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Growing Up

Teil 1

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Vorwort

Tja und hier nerv ich mal wieder ;o). Ja es gibt etwas Neues. Noch nicht, wie vielleicht erwartet, die Fortsetzung von Dark Past, aber vielleicht gefällt es euch doch ein bisschen. Diesmal erwartet euch garantiert nichts, was wie Forgotten Friendship oder Dark Past im Grundton eher eine depressive Stimmung hat. Hier geht es dann doch eher fröhlich zu Sache, zumindest versuche ich das. Ob ihr es glaubt oder nicht, für mich ist es einfacher 'ne traurige Story als eine fröhliche Story zu schreiben. Wie immer ist auch dieses Mal alles nur erfunden, es gibt keine der Personen in dieser Form in Wirklichkeit, zumindest kenne ich sie nicht, wenn doch, können diese sich freuen, hier verewigt worden zu sein ;o). So und jetzt wieder einmal viel Spaß.

Chris

 

Hallo, ich bin Micky. Eigentlich Michael, aber kaum einer nennt mich so. Man könnte theoretisch sogar meinen Ausweis ändern. Selbst mein Chef nennt mich nur Micky wenn er gut drauf ist, sonst natürlich, Herr Hohlbein. Ja ja, ist ein Scheißname, aber ich kann ja nichts dran ändern. Worum es heute geht? Um meine Jugend. Ja ich weiß, es klingt doof, wenn ich schon mit 21 von Jugend spreche, aber worum es heute geht, liegt auch schon 5 Jahre zurück, na ja und für mich ist das in etwa ein Viertel meines Lebens und somit eindeutig schon lange, sogar sehr lange her. Als alles anfing war ich noch 16 und wohnte in einem kleinen Ort auf dem Lande, irgendwo zwischen Berlin und Hamburg, es ist nicht wirklich erwähnenswert, wo genau, also lassen wir es lieber. Es war ein kleiner Ort, etwa 10 000 Einwohner, also eine Atmosphäre, wo man sich untereinander kannte und zwar jeden. Manchmal ist dies zwar ganz angenehm, aber auf Dauer ist es doch nervig. Man wird von jedem erkannt und man kann rein gar nichts unbeobachtet tun. Ist man mal einen Tag schlecht drauf, dann weiß es 2 Minuten später gleich die ganze »Stadt«, im Grunde genommen ist es keine wirkliche, viel zu klein und viel zu dörflich. Zu der Zeit ging ich noch aufs Gymnasium direkt im Ort, ja kaum zu glauben, aber unser Ort hatte wirklich ein eigenes. Wobei es auch ziemlich klein ist. Ich hab seitdem nie wieder eine Schule gesehen, die mit 200 Schülern auskommt. Tja und ich war in einer Clique von etwa 8 Mann involviert. Alle samt aus meiner Kursstufe und alle kannten wir uns schon seit Jahren, die meisten sogar noch aus Kindergartenzeiten. Da waren zum einen Sandy, Melanie, Andy, Matthias, Daniela, Christina, Marcus und ich. Alle waren 17 bis auf ich, war halt das Nesthäkchen, aber auch nur noch für ein paar Wochen, dann sollte es auch bei mir soweit sein, endlich 17 und auch die Sommerferien lagen nicht mehr lange entfernt, war ja schließlich schon Frühsommer, so langsam wurde es draußen richtig warm und man konnte sich schon fast trauen, nur in T-Shirt und Shorts rauszugehen, na ja, aber auch nur fast. Für solche Aktionen bin ich dann doch 'ne Frostbeule.

»Morgen«, begrüßte ich unsern Marcus.

»Was? Schon so früh am Morgen so fröhlich? Ich glaub du bist nicht normal.«

»Weiß ich nicht, ob ich normal bin, du auf jeden Fall nicht, siehst eher so aus, als wenn du gerade frisch aus dem Bett gefallen wärst.«

»So fühle ich mich auch. Naja, ich sollte halt mal ein bisschen mehr schlafen. Aber erklär das mal Melanie, die lässt mich einfach nicht zur Ruhe kommen«, drehte er mit den Augen.

»Was ist mit mir?«, gesellte sich auch Melanie auf einmal zu uns.

»Wenn man vom Teufel spricht...«, und wieder drehte Marcus nur mit den Augen.

»Hey, was soll denn das heißen?«

»Ach nichts. Nur das mein kleines Teufelchen immer dann auftaucht, wenn von ihm die Rede ist.«

»Spinner.«

»Aber wenigstens ein lieber Spinner?«

»Der beste Spinner der Welt.«

Und was passierte wohl in den nächsten Sekunden vor meinen Augen? Ja, es war soweit, das erste Pärchen hatte heute Morgen zu sich gefunden und musste sich erst mal von oben bis unten ab schlabbern. Wobei man ja sagen muss, dass es schon ein Wunder ist, wie Melanie unseren Frauenheld Marcus so dicht an der Leine hält und ihn ja in keine widrige Richtung entkommen lässt. Wer es bis jetzt noch nicht verstanden hat. Ich, Marcus und Melanie, standen eines Mittwochs morgens vor der Schule und warteten auf das Klingeln zum Schulbeginn. Naja, nicht primär auf das Klingeln, als vielmehr auf die anderen, die noch erscheinen sollten.

»Guten Morgen«, sprang mich plötzlich von hinten etwas an und ich zuckte erst mal schreckhaft zusammen. »Hey, nun kipp nicht gleich in Ohnmacht.«

»Dann quiek mir hier nicht ins Ohr und spring mir nicht auf meinen leidgeplagten Rücken«

»Ach, du ärmster. Tust mir richtig leid. Trotzdem auch euch beiden Turteltauben guten Morgen.«

»Morgen Sandy«, meldet sich dann jetzt auch Marcus wieder einmal zu Wort.

Morgen, Morgen, Morgen und so ging es weiter, bis schließlich alle 8 Mann bzw. Frau im Kreis standen und wie immer über den gestrigen Abend plauderten. In der Clique gab es zu diesem Zeitpunkt nur ein Paar intern und 4 Paare extern, wenn man dieses so ausdrücken will. Wie schon bekannt waren Marcus und Melanie ein Paar und alle anderen bis auf Matthias und mich hatten außerhalb der Gruppe ihren Partner gefunden. Tja, aber ich war deswegen nun nicht wirklich irgendwie neidisch. Sicherlich, ich hätte gerne jemanden an meiner Seite gehabt, aber wenn's nicht geht, dann geht's halt nicht. Wobei ich in letzter Zeit merkte, dass meine Freunde irgendwie vorhatten, mich zu verkuppeln und wenn diese Zeit des Verkuppelns erst wieder anfängt, kann ich mich erst mal begraben. Ich finde, es gibt nichts schlimmeres, als einem Mädchen vorgestellt zu werden, um dann ihr selber zu sagen: »Nö, du bist nicht mein Typ!«, was ja wohl meistens der Fall ist. Wenn es meine Freunde dann ihr selber sagen würden, kein Problem, aber am Ende ist man ja immer selber der Sündenbock.

»Na, was habt ihr heute alle vor?«, fragte dann Daniela irgendwie in den Raum.

»Also ich und Melanie müssen Mathe lernen.« Und im gleichen Moment, wo Marcus diesen Satz tätigte, verfiel der Rest irgendwie in großes Gelächter, während Melanie an seiner Seite richtig schön rot anlief. »Sollte es nicht lieber Biologie sein?«, kam dann von irgendwem aus der Gruppe noch der Zusatz.

»Ne, nun aber mal im Ernst. Wer will heute Nachmittag mit zum See baden fahren?«, fragte Daniela diesmal etwas konkreter.

»Also wir beide sind dabei«, antwortete diesmal Melanie als erstes.

»Und was ist mit Mathe?«, fragte Marcus entgeistert.

»Das kann warten, genauso wie du.« Holla, da wollte sich aber jemand für den Fettnapf von eben revanchieren.

»Ähm ... Entschuldigung, aber ist es zum Baden nicht etwas zu kalt?«, fiel ich dann doch erst mal in die Runde ein.

»Memme. Ein Mann kennt keine Kälte, der steht das durch und so schlimm ist es nun auch nicht, das Wasser hat schon 15°C«, kommt es mal wieder typisch von unserm Hartei Matthias.

»Hey, nun mach mal hier keinen auf starker Macker. Wenn mir das zu kalt ist, dann ist mir das zu kalt. Ich will nicht die nächste Woche krank im Bett liegen, wenn das Wasser vielleicht endlich wirklich warm geworden ist«, fauchte ich ihn dann doch etwas zu hart an. Aber wer bei mir mit solchen Anspielungen kommt, der sollte sich warm anziehen, bei so was werd ich mächtig zickig.

»Nun mal ganz ruhig ihr beiden Zankhähne, nicht schon wieder, also noch mal: Wer kommt mit zum See baden oder auch einfach nur rumhängen, kann auch so schön sein, für die, die nicht wollen?«

Irgendwie lief dies in der letzten Zeit immer häufiger zwischen Matthias und mir ab. Ich weiß nicht genau warum, aber dass wir in Streit gerieten, war nahezu schon täglich an der Tagesordnung und es brauchte nur ein ganz kleiner Ansatzpunkt sein, den anderen zu provozieren, irgendeiner von uns beiden nutzte ihn. Ja ich gebe es zu, ich war auch nicht wirklich das Unschuldslamm, ab und an, wenn ich mal wieder mies drauf war, nutzte ich vor allem zu der Zeit diese Möglichkeit, Luft abzulassen. Warum dies erst in letzter Zeit so ist? In meinen Augen hatte Matthias von heute auf morgen eine Wandlung vollzogen. Er wollte auf einmal irgendwie stark und selbstbewusst wirken. Gut und schön, sag ich mir da, solange es nicht zu stark wird, in Ordnung, sonst wird es ganz schnell prollig und so ist es nun einmal bei ihm geworden. Immer diese komischen Sprüche über harte Kerle und dieses typisch konservative Gesellschaftsbild über Frau und Mann. Er spielte öfters den großen Macker und versuchte irgendwie krampfhaft eine Freundin zu finden. Manchmal ging das echt auf den Senkel. Die anderen konnten anscheinend gut damit umgehen, aber bei so was bin ich ziemlich schnell auf 180. Ich und Matthias hatten außerhalb der Gruppe aber noch nie wirklich viel zusammen unternommen, so dass es keinen von uns beiden wirklich störte, dass wir uns ankeiften.

»So, wer kommt nun mit?«, fragte Daniela noch mal nach.

»Also Marcus, Melanie, Matthias, Sandy, Andy, Christina, ich. Und was ist mit dir Micky?”

»Ach, ich weiß noch nicht, hätte eigentlich noch ein bisschen zu tun.« Gab es daraufhin von mir als Antwort. Eigentlich hatte ich nicht wirklich etwas zu tun, vielmehr hatte ich nicht unbedingt Lust, auf Matthias zu treffen.

»Ach, nun komm schon, was hast du denn zu tun? Das am See wird sicherlich lustiger, als das, was du vorhast!«, versuchte mich Melanie dann umzustimmen.

»Zum einen hab ich noch so einiges zu organisieren, weil meine Eltern doch morgen in Urlaub fliegen, falls dir dies noch ein Begriff ist, und zum anderen, müsste ich auch dringend mal wieder was für die Schule machen«, keifte ich doch irgendwie etwas zu scharf zurück, so dass es mir natürlich im gleichen Moment schon wieder leid tat.

»Ist ja schon gut. Musst hier nicht gleich rum zicken«

»Entschuldigung, war nicht so gemeint, bin heut wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden.«

»Kommst du trotz der Sachen wenigstens auf ein zwei Stündchen mit, wird sicher lustig und wäre schade, wenn du nicht dabei wärst«, versuchte mich dann Daniela noch mal rumzukriegen.

»Na gut, ich werd sehn, was sich machen lässt, aber ich kann dennoch nichts versprechen.«

»Danke, wird sicher toll und wirst es garantiert nicht bereuen, versprochen.«

Und mit diesen abschließenden Worten setzte auch das elendige Klingeln der Schulglocke ein. Jeden Tag aufs Neue nervig, und es erinnerte uns bloß daran, dass wir hier noch für die nächsten 2 Jahre fest saßen. Naja aber was will man schon dagegen machen? Es gibt nichts, außer einfach alles über sich ergehen lassen. Und schon hier trennten sich die Wege unserer Gruppe. Die einen in Mathe, die anderen in Kunst. Naja, wenigstens war es nicht so, dass wir nun alle in unterschiedliche Kurse gehen mussten, sondern immer einer mit dabei war. Tja, aber ob mir dieser jemand wirklich was nützte. Jetzt hatte ich Mathe und wer begleitet mich natürlich? Matthias. Ich glaub den Typen werd ich wohl nie los.

»Du hast du die Hausaufgaben mit?«, fragt er mich dann auch noch im gleichen Moment.

»Ja sicher, du etwa nicht?«, keifte ich ihn natürlich gleich wieder an.

»Hey, schon gut. Was hab ich dir denn jetzt schon wieder getan? Sag mal, hast du deine Tage?«

»Wenn du nicht gleich mit diesem Scheiß aufhörst, setzt es was. Du nervst ganz einfach nur!«

»Entschuldigung, dass ich die ehrwürdige Hoheit gestört habe. Komm mal wieder runter von deinem hohen Ross, anscheinend ist dir die Sonne von heute in den Kopf gestiegen.«

»Bla bla bla. Kannst du nicht auch einmal etwas anderes, als andere zu deinen Zwecken zu benutzen oder auch mal auf deine dämlichen Kommentare verzichten? Die nerven gewaltig!«

»Entschuldige, dass ich nerve. Kannst ja gehen, wenn's dir nicht passt.«

»Danke, dass mach ich dann auch besser.«

Wie gesagt so getan. Ich schnappte mir meine Sachen und verdrückte mich in eine der hinteren Bankreihen. Endlich mal Ruhe. Keine nervigen Typen die Nerven. Naja ich war heute Morgen echt schlecht drauf, geb ich ja zu, aber Matthias setzt dem ganzen natürlich noch die Krone auf. Wenigstens hatte ich jetzt erst mal zwei Stunden Ruhe und konnte so langsam wieder auf Normal Null herunter fahren. Ich bekam zwar nicht viel vom Unterricht mit, aber was soll's. Ist bloß Mathe, das wird schon irgendwie gehen.

Tja und dann wurde ich erst mal 2 Stunden von unserem Lehrer vollgesabbelt. Über die Integration einer normalen e-Funktion etc. etc. Langweiliger Kram, der wirklich keinen interessierte. Ich denke sicherlich euch auch nicht. So überspringe ich mal die nächsten 90 Minuten, in denen ich sowieso nur am schlafen war und gehe über zur nächsten großen Pause. Mathe war geschafft und jetzt versammelte sich erst mal unsere Gruppe wieder in der Aula.

»Kommt denn sonst noch wer heute Nachmittag?«, frage ich sicherheitshalber noch mal nach, es kamen schon Aktionen, bei denen sich eigentlich bloß wir 8 treffen wollten und plötzlich waren wir irgendwie so um die 20.

»Ne, eigentlich nicht, also mein Freund und auch die Freundinnen und Freunde der anderen müssen sich heut 'ne andere Beschäftigung suchen, es geht auch mal ohne uns und außerdem, sollten wir acht uns auch mal wieder allein treffen.«

»Sehe ich genauso, ich wollte bloß noch einmal nachfragen. Ihr könnt euch sicherlich noch an letzten Sommer erinnern, als da dann plötzlich so um die 20 Leute angeschissen kamen?!«

»Klar, aber ich fand das geil. War ja schon fast Partystimmung, zwar noch ein bisschen wenig Leute für 'ne Party, aber immerhin. Und vor allem alles voller lecker Schnitten.« Von wem kam wohl dieser Kommentar? Richtig, Matthias. Große Klappe und nichts dahinter. Schwingt hier große Reden über leckere Schnitten, aber selber noch nie auch nur im entferntesten Sinne eine Freundin gehabt.

»Tja, für dich sicherlich schön. Aber ich kann auch gut leben, ohne gleich jedem zweiten Rock hinterher zu gucken. Vielleicht hilft dir der Nachmittag, dass endlich mal wieder dein Blutstau in den Lendenregionen gelöst wird, wenn du mal keine anderen Mädchen siehst!«

»Hey, was soll denn das jetzt heißen?«, empörten sich die anderen weiblichen Geschöpfe aus unserer Gruppe.

»Ach gar nichts, ich wollte ... ich ... ähm ... ach vergesst es.«

Und wieder nur dieses fiese Grinsen der Mädchen. Ich weiß nicht, aber gegen Frauen ist man doch irgendwie immer machtlos. Stimmt schon, Frauen haben wirklich oftmals mehr Hirn, als der Rest der Menschheit, wer das auch immer sein mag. Zumindest ein paar Frauen und wenn ich's noch weiter einschränken sollte, dann unsere 4 Mädels.

»Ja ja, wir haben schon verstanden, wir entsprechen nicht deinem Niveau, wir sind halt doch bloß ein paar arme Frauen, die nichts zu bieten haben. Kein Geld, keine Schönheit ...«

»Aber dafür ein ganz bezauberndes Wesen und eine wunderschöne Freundschaft«, viel ich den vieren dann doch noch ins Wort. Irgendwie musste ich ja wieder aus meinem Fettnapf kommen.

»Schleimer«, kam da nur als Reaktion von den restlichen Jungs und von den Mädchen nur ein »Ohh«, und alle wurden gleichermaßen rot. Zumindest da hatte ich mein Ziel erreicht und konnte erst mal übers ganze Gesicht grinsen. Und dieser Spruch war nicht nur einfach so dahingesagt, er war wirklich ernst gemeint, ich liebte meine Mädels. Immer wenn es mir mal beschissen ging, konnte ich mich einfach bei ihnen melden und irgendeine hatte immer ein offenes Ohr für mich, und das alles ohne Gegenleistung. Naja, es gab schon eine, aber sie wurde nicht verlangt, ich war im Gegenzug dazu auch ihr offenes Ohr. Man muss ja ganz ehrlich sagen. Mädchen fühlen sich durch so einen Kerl wie Matthias eher abgeschreckt, ich glaube kaum, dass man zu ihm auch nur irgendeine tiefere emotionale Beziehung aufbauen kann, geschweige denn, mit ihm über so etwas reden.

Genau im gleichen Moment erklang das unheimlich nervige Schrillen unserer Schulklingel. Die Pause war mal wieder vorbei und unserer Gruppe gliederte sich wieder einmal in zwei Teile auf. Sandy, Marcus, Matthias und ich hatten jetzt erst einmal Deutsch und der Rest verdrückte sich zu Kunst. Kaum hatten wir unseren Raum betreten, stapfte auch schon unser leicht angegrauter Deutschlehrer herein. Im Gegensatz zu unseren anderen Lehrern war er wirklich bloß leicht angegraut mit seinen 40 Jahren und auch von seiner Art her doch ziemlich offen und tolerant für andere Angelegenheiten. Aber genauso launisch wie ich, man sah ihm sofort an, ob es eine gute oder doch eher wieder eine nervige Stunde werden würde, und heute wurde es doch eher eine positive Stunde, so sah zumindest sein Gesicht aus.

»Sandy?«, versuchte ich leise zu flüstern.

»Ja?«

»Wann treffen wir uns denn nun eigentlich heute Nachmittag?«

»So gegen drei, direkt an unserer Badestelle im Wald, kannst dich doch sicherlich noch dran erinnern oder?«

»Ja klar, wollte bloß ungefähr wissen wann, damit ich nicht wieder als letzter anmarschiere. Kennst mich ja.«

»Naja, nu übertreib mal nicht, da gibt's viel schlimmere bei uns wie dich, schau dir allein Matthias an. Prollig, Macho und immer zu spät. Was soll man davon noch halten?«

»Ach, ist nicht nur dir dies aufgefallen?«

»Ne, wem denn nicht? Das kann man eigentlich nur mit Tomaten auf den Augen übersehen oder man will es einfach nicht ...«

Plötzlich kam von vorne eine etwas lautere Stimme und fuhr uns beide, na ja vielmehr mich, direkt an.

»Herr Hohlbein? Was gibt's denn noch für interessante Ding?«

»Ach nichts.«

»Nichts? Na dann ist das für sie ja jetzt interessanter. Sie haben zu morgen in Zweiergruppen einen Fragebogen auszufüllen ...«, während dieser Worte stand er schon auf und teilte jedem von uns 4 Zettel mit Fragen aus, »... diese Fragen müssen sie mit ihrem Gegenüber durcharbeiten und am Ende der Klasse ein konkretes Gesamtbild der Person darstellen. Sie sollen hier keine expliziten Aussagen wiedergeben, sondern eher in die Person hineininterpretieren, wie sie diese sehen, wie gut sie z.B. mit ihr klarkommen würden, was sie von ihr halten und so weiter. Sie verstehen schon. Jeder hat in etwa 5 Minuten Zeit um sich zu äußern, so müssten wir in etwa 2 Stunden durch sein.« Eine kleine künstlerische Pause setzte ein und er fuhr fort. »So jetzt zu den einzelnen Gruppen. Sandy, du arbeitest mit Martin zusammen. Daniel, du mit Manuela. Michael, du dann bitte mit Matthias ...«

Ähm, wie bitte? Ich soll hier von heute auf morgen so einen beschissenen Fragebogen ausfüllen und auf Fragen wie »Wann hattest du deine erste Beziehung? Bist du eher auf der Suche nach Sex oder Liebe? Wie siehst du dein Leben im Moment?« antworten, was mir jetzt schon gegen den Strich ging, aber dieses auch noch gemeinsam mit Matthias und ihn dann bewerten. Sicherlich, bewerten wird kein Problem darstellen. Ein grober, ungehobelter Holzklotz, der nur mit seinem Sch**** denkt und mit nichts anderem, mehr brauche ich dann wohl im Unterricht nicht sagen, aber ich will hier auch keinen Seelenstrip ablassen.

»Ähm ...«

»Ja, Michael?«

»Sie verlangen doch nicht wirklich, dass wir auf alle diese Fragen antworten müssen?«

»Doch eigentlich schon? Wieso denn nicht?«

»Wieso nicht? Weil sie so ziemlich privat sind und ich einige Antworten sicherlich nicht abgeben werde, weil sie einfach nicht in die Öffentlichkeit gehören.«

»Kommen sie denn in die Öffentlichkeit? Ich glaube kaum. Ihr sollt euch gegenseitig antworten und diese Antworten bleiben letztendlich in eurem Besitz. Ihr sollt hier nicht einfach die Antworten des anderen wiedergeben, ihr sollt den Menschen charakterisieren. Explizite Antworten sollt ihr hier gar nicht nennen. Also sehe ich eigentlich kein Problem.«

Aha, keine expliziten Aussagen an die Klasse, aber an Matthias. Wo da wohl der Unterschied liegt. Ein Wort an Matthias und schon 2 Stunden später weiß es der ganze Ort. Da konnte man sich mal wieder auf etwas gefasst machen. Für die nächsten zwei restlichen Stunden war meine Stimmung mal wieder im Keller. Kaum wird man etwas fröhlich, wird man gleich durch so was wieder abgebremst. Und was tat ich also die nächsten 2 Stunden? Ich starrte aus dem Fenster und verfluchte, dass ich an diesem Tag überhaupt aufgestanden war.

»Michael? Willst du noch am Unterricht teilnehmen?«

»Michael? Hörst du mir überhaupt zu?«

»Michael? Was machst du da überhaupt?«

Und immer wieder kamen die Fragen von meinem Lehrer, doch es interessierte mich kein bisschen, so sah er wenigstens, was ich von seiner Lehrmethode mit dem Test halte. Gar nichts, na ja mit Sandy oder so könnte ich so was machen, aber doch nicht mit Matthias, Tratschtante Nummer 1.

Irgendwann waren dann aber auch diese zwei Stunden vorbei und es klingelte zur Pause. Naja wäre es wenigstens eine normale Pause gewesen. Nein, jetzt musste ich erst mal schnell meine Sportsachen aus dem Schließfach holen und dann aber auch schon zur Turnhalle. Aber erst musste ich mich noch von Sandy standesgemäß verabschieden, die hatte jetzt nämlich stattdessen Philosophie. Hatte ich schon gesagt, dass ich diesen Mittwoch verfluche? Ja, gut dann sag ich's hier halt noch einmal, ich hasse den Mittwoch, denn auch die nächsten beiden Stunden hatte ich wieder gemeinsam mit Matthias und sonst keinem aus unserer Gruppe. Am liebsten wäre ich jetzt einfach nach Hause gegangen und hätte geschlafen, so lange bis dieser Mittwoch vorbei wäre.

Der Weg zur Turnhalle war ein schmaler Feldweg durch ein kleines Waldstück. Tja bei uns gibt es noch so was, dass die Turnhalle nicht unmittelbar auf dem Schulgelände liegt. Naja, ist aber weniger schlimm, sind auch nur etwa 500 Meter zu Fuß. Plötzlich geht aber Matthias direkt neben mir und ich zucke vor Schreck erst mal kräftig zusammen.

»Hey, nicht ganz so schreckhaft. Sag nicht, ich hätte dir wieder was getan!« Und wieder einmal geht Matthias neben mir. »Ich wollte auch nur mal fragen, wie wir das mit unserem Fragebogen machen?«

Innerlich fing ich schon wieder an zu kochen, als ich nur das Wort Fragebogen hörte, aber man kann ja schlecht etwas dagegen machen.

»Weiß nicht so genau, aber am besten wäre es wohl, wenn wir nach unserm Treffen am See gemeinsam irgendwo hingehen und den ganzen Kram durcharbeiten.«

»Tja bloß wohin? Ich wohne nicht wirklich in der Nähe von unserer Badestelle! Wie sieht es denn bei dir aus? Könnte man sich nicht da treffen? Liegt für mich sowieso unmittelbar auf dem Weg?«

Da erdreistet sich dieser Kerl auch noch zu mir zu kommen. Aber wirklich etwas dagegen zusetzten hab ich nun auch nicht. Das ist wirklich die beste Möglichkeit und bevor wir irgendwie noch ewig bis zu ihm gehen, bin ich doch lieber bei mir mit einverstanden.

»Ok, dann halt bei mir, wenn's denn unbedingt sein muss?«, versuche ich irgendwie gleichgültig zu wirken.

»Muss es nicht, wir können uns auch gleich 0 Punkte eintragen lassen.«

»Nun zick hier nicht gleich wieder rum.«

»Ach vergiss es einfach, wir treffen uns dann nach dem Baden.«

Und wieder war er weg, wahrscheinlich sogar zum Glück, noch mehr von seinen Sprüchen und irgendwann würde ich doch in die Luft gehen ...

.... »Hast du die neue aus der neunten gesehen?«

»Ne, welche meinst du?«

»Na die mit den zwei hervorragenden Argumenten!«

»Ach du meinst die mit den Wassermelonen?«

»Ja, die würd ich echt gern mal durchnehmen. Die sieht echt geil aus ...«

»Träum weiter, bis die dich dran lässt, ist dein Schwanz abgefault. Bleib lieber bei dir selbst haste mehr von.«

»Du musst es ja wissen. Naja, ich glaub ich kenn keinen, der so oft auf Handbetrieb umstellt wie du!«

Kann man sich das vorstellen. Man kommt einfach in die Umkleide der Turnhalle und was bekommt man um die Ohren? Wassermelonen, abfaulende Schwänze, Handbetrieb? Manchmal komm ich mir echt vor, wie in einem Stall voller rolliger Rammler, die nur auf den nächsten Schuss warten. Tja ich glaub Kerle sind da nicht wirklich besser als Hasen. Oftmals bin ich echt froh, wenn bei einigen wenigstens einmal am Tag das Blut in den Kopf zurückkehrt und dann und wann auch einmal einen vernünftigen geraden Satz hervorbringt, ohne dabei Wörter wie Wixen, Ficken, Titten und ähnliches zu benutzen. Bei einigen funktioniert es wirklich, aber na ja, was verlangt man auch groß. Da wandert man doch am liebsten erst mal vorbei und verkriecht sich in eine etwas ruhigere Ecke.

»Ah unser Mr. Sauber ist wieder da. Nah und immer noch keusch und brav bis zur Hochzeit?«

»Ach komm, lass ihn doch, der ist halt noch etwas zurück, was will man auch groß erwarten, armes Kerlchen.«

»Ich glaub sein größter Traum ist es, einmal im Jahr abzuspritzen.«

»Naja, oder wenigstens mal einen hochbekommen.«

Tja manchmal, manchmal geht der Tag genauso beschissen weiter, wie er angefangen hat. Heute scheint mal wieder so einer gekommen zu sein. Ist man bloß, weil man sich nicht alle zwei Minuten einen runter holt oder alle zwei Sekunden irgendeinem weiblichen Wesen nachsabbert und sei es noch so hässlich, kein Mann? Tja, so was muss man sich dann auch noch jede Woche irgendwie anhören. Irgendwann stumpft man einfach ab und ignoriert es einfach, oder besser gesagt, man versucht es irgendwie zu überhören. Und dennoch kommt es einem wieder bis ans Trommelfell und man hört es trotzdem. Egal wie oft man sich sagt: »Das sind bloß Arschlöcher, auf so was musst du keinen Wert legen!«, man ist trotzdem immer wieder irgendwie verletzt, man gibt es sich zwar zum Schluss nicht mehr wirklich zu, aber dennoch nimmt es einem irgendwo immer etwas von der Würde. Man fragt sich selbst, was habe ich falsch gemacht? Bin ich wirklich so ein Versager? Und ich glaube, egal wie selbstsicher auch noch manche 30 oder gar 40 Jährige vorgeben zu sein, es funktioniert einfach nicht. Auch sie sind angreifbar durch so etwas, vielleicht nicht so leicht wie Jugendliche, aber auch bei ihnen zerrt es an den Kräften. Früher bin ich wegen solcher Kommentare regelmäßig ausgeflippt und hab das eine oder andere mal auch mal zugeschlagen, aber darauf bin ich heute keineswegs mehr stolz, so sehr sie es auch vielleicht verdient hätten. Aber ich hatte ihnen durch meine Reaktion einfach nur recht gegeben. Ich war schwach und wusste nicht wie ich anders hätte reagieren können. Heute bin ich zumindest etwas älter und geh einfach bloß an den Typen vorbei, setz mich irgendwo in eine ruhige Ecke der Umkleide und zieh mich einfach bloß um. T-Shirt, Sporthose, Turnschuhe, was braucht man mehr? Irgendwie geht's mal wieder fix bei mir, schnell in die Klamotten und bloß weg und irgendwohin, wo man nicht diesen Spinnern gegenübersitzt.

»Aha, dem Herrn sind wir wohl nicht fein genug?!«, kommt es natürlich von Sven, dem Oberspinner.

»Solltet ihr etwa?«

»Halt deine verwichste Klappe oder du bekommst ein drauf!«

»Ah, eine Drohung, aber besser du nimmst noch mal ein Duden, damit du mal über andere Worte als wichsen und Titten verfügst. Naja, wenigstens solltest du wenigstens wissen, was es noch für andere Worte gibt, verlangt ja keiner, dass du sie auch schreiben kannst«, sagte ich und ging ganz einfach an ihm vorbei. Hinter mir hörte ich noch, wie er mal wieder »Wichser« hinter mir herrief. Tja wie gesagt, ein Duden täte da vielleicht Wunder, wobei ich eigentlich befürchte, dass sowieso schon alles vergeben ist. Statt mich wieder einmal darüber aufzuregen, ging ich lieber in die Halle, besser gesagt zum Mattenstapel im Geräteraum und legte mich einfach drauf. Augen zu und ein bisschen relaxen. Es dauerte auch keine Sekunde und ich war eingeschlafen. Obwohl der Tag noch eigentlich ziemlich jung war, bin ich doch so fertig gewesen, dass ich einfach zusammensackte ...

... Michael? Hallo? Herr Langschläfer! Die Stunde hat begonnen! Komm lieber schnell zu den anderen, bevor du noch Ärger bekommst!» Irgendetwas ruckelte da an meiner Schulter. ‚Hey noch nicht wecken, hab keine Lust auf Sport' ging mir als erstes durch den Kopf. Aber irgendwann musste ich schließlich doch die Augen öffnen. Ich lag wie vorher auf der Matte, bloß über mich gebeugt war nur Matthias, der andauernd an meinen Schultern rüttelte. Aha, der Übeltäter, wieso kann er mich nicht einfach schlafen lassen, fällt doch sowieso keinem auf.

»Aha, Dornröschen erwacht wieder aus ihrem Tiefschlaf!«, grinste Matthias mich dann einfach nur noch an.

»Ach, halt schon den Mund, wieso kann man hier nicht einfach in Ruhe schlafen?«, fauchte ich ihn noch etwas müde an und musste dann gleich wieder prompt gähnen.

»Warum? Keine Ahnung? Weil du sonst bloß wieder Ärger mit unserm Herrn Professor bekommst? Nu komm, bevor du noch wirklich einen Verweis bekommst!«, lächelte er mich diesmal an und reichte mir die Hand. Noch etwas schläfrig griff ich nur eher schwach nach ihr und schon Momente später hatte er mich nach oben gezogen. Aber leider etwas zu heftig, war wohl anscheinend noch zu schwach auf den Füßen, denn im gleichen Augenblick verlor ich mein Gleichgewicht und fiel einfach nach vorne, bloß da stand Matthias. Irgendwie aus Reflex fasste er einfach um mich und hielt mich erst mal nur fest, dass ich nicht umfalle.

»Hey, wohl noch etwas schwach auf den Beinen?«, raunte er mir diesmal eher sanft direkt ins Ohr.

»Danke, geht aber wieder«, versuchte ich nur irgendwie zu reagieren, löste mich von ihm und ging so schnell wie möglich aus dem Geräteraum und setzte mich zu den anderen.

Irgendwie hatte mich die Szene doch eben etwas erschreckt. Was sollte das von Matthias? Will der mich veräppeln? Oder versucht der auf einmal doch freundlich zu sein? Manchmal wird man aus dem wirklich nicht schlau.

»So und jetzt zum Handballspielen. Wie jede Woche. Teams bilden und gegeneinander antreten. Ach so, und nebenbei gibt es dafür dann auch jetzt die Endnoten«, kam es da nur von unserem Sportlehrer und ich wusste genau, dass wieder einer dieser beschissenen Tage ist. Ich hasse Handball wie die Pest, eigentlich alle Spielarten. Ich kann halt keine Sportart wirklich gut, na ja, vielleicht ein bisschen Schach und Tischtennis, aber na ja, den Rest kann man eher vergessen. Genau deswegen wurde ich eigentlich auch immer als letztes gewählt, hatte mich auch schon daran gewöhnt. Naja wenigstens als Abwehr war ich einigermaßen zu gebrauchen, denn dumm rumstehen und die Hände nach oben strecken kann jeder.

»Micky!« Ähm ja, wer schreit da nach mir? Klar Matthias hatte mich mal in sein Team gewählt und dieses als Vorletzter, ich blieb diesmal also nicht bis zum Schluss auf der Bank und musste dann doch irgendeinem Team zugeordnet werden, was mich im Grunde nicht wollte.

»Du gehst wieder in die Abwehr, das kannst du ja schon ziemlich gut«, kam dann mal wieder von Matthias. Der große versucht sich jetzt wieder als Chef aufzuspielen. »Und immer wenn die Situation mal erfolgreich erscheint, schleust du dich nach vorne durch. Die meisten anderen werden dich nicht decken, dass kann zu schön viel Überraschung führen ...« Bla bla bla. Hab ich schon erzählt, wie gerne ich Handball spiele. An so etwas kann man dieses eigentlich ziemlich gut sehen, alles wird abgesprochen und es geht den meisten nur darum, den anderen fertig zu machen und der Spaß dabei bleibt auf der Strecke. Egal man muss sich halt unterordnen, wenn man sich hier noch aufregt über irgendwelche Abarten des Spiels, so wird man sowieso gleich mit strafenden Blicken vom Alten bestraft.

Und Pfiff. Das Spiel hatte mal wieder begonnen. An der Mitte nahm ich erst mal den Ball in Empfang und verteilte ihn an irgendeinen Kreisläufer, um dann selber wieder in unsere Abwehr zu verschwinden. Wie spannend.

Tom, Matthias, Tom und autsch ... Das muss weh getan haben. Bei einem Sprungversuch wurde er erst mal von den Beinen geholt und landete seitlings auf dem Boden. Ich glaub ich wäre bei so einer Aktion garantiert erst mal Invalide für die nächsten 10 Jahre, aber diese Typen stehen natürlich gleich nach 10 Sekunden auf und machen weiter als wenn fast nichts geschehen wäre.

Abpfiff und 9 Meter. Das bedeutet dann mal wieder, alle Gegner an ihre Kreislinie und unsere Mannschaft an die gestrichelte 9-Meter-Linie. Bloß ich nicht, war mir eigentlich auch lieb so. Ich musste ein bisschen weiter hinten bleiben, um so vielleicht besser verteilen zu können. Der eigentliche Grund war eigentlich, dass ich doch vorne nichts brachte und so wenigstens schnell in der Abwehr bei einem Konter war.

»Micky! Ich werf dir gleich den Ball zu. Du verteilst ihn diesmal bloß nicht, du gehst damit selber an die Torlinie und versuchst einfach zu werfen. Die Gegner versuchen uns derweilen in Schach zu halten, so hast du freie Bahn.«

Ähm, hab ich das gerade richtig verstanden? Mattias will doch nicht wirklich, dass ich einen Angriff starte. »Und los«, anscheinend doch. Er klapste mir noch schnell auf den Allerwertesten und machte sich dann auf zu seiner Position.

Pfiff! Das Spiel war wieder freigegeben, erst jetzt bemerkte ich, dass ich immer noch etwas perplex dastand. Erst langsam bemerkte ich, was jetzt vor sich ging. Ich bemerkte es nicht nur langsam, anscheinend verlief die Zeit vor meinem Auge wie in Zeitlupe.

Matthias warf mir den Ball zu, langsam und so wie ein Luftballon flog er mir sanft in die Hände. »Micky los!«, schrie mir plötzlich Matthias entgegen. Ich stand anscheinend schon eine Weile einfach nur so da, ohne zu wissen, was ich jetzt machen soll. Naja, eine Weile, im Handball vielleicht 2 Sekunden. Erst da durchzuckte mich irgendetwas und ich begann den Ball nach vorne zu dribbeln. Mit größter Vorsicht, Schritt für Schritt. Wie versprochen tat sich vor mir eine Lücke auf. Matthias auf der einen Seite und Tom auf der anderen. Beide hielten die Gegenspieler zurück, um mir so Platz zu lassen. Meter für Meter dribbelte ich, mit größter Vorsicht, ich wollte schließlich nicht enttäuschen, nicht diesmal, zumindest werfen wollte ich. Wenn er gehalten wird, ist dieses eine andere Sache, aber zumindest werfen. Meter für Meter. Auf meiner Stirn bildeten sich die ersten Schweißperlen, erst klein und dann immer größer, und alles nur durch das Adrenalin, was mir in diesem Moment wohl Kilogrammweise durch den Kopf schoss.

Noch 5 Meter bis zur Kreislinie. Ich nahm den Ball in die Hand und wollte zu den letzten drei Schritten bis zum Sprungwurf ansetzen. Noch 3 Schritte. Mein Herz hämmerte wie ein Presslufthammer gegen die Innenseite meiner Rippen. Noch 2 Schritte. Der Atem setzte aus, ich wollte schnaufen, doch kein bisschen Luft drang bis in die Lungen vor. Noch 1 Schritt. Meine Muskeln spannten sich an und ich wollte zum Sprung ansetzten. Aber Scheiße, da hatte sich Sven an Micky vorbeigeschleust und stand mir in diesem Moment mitten im Weg, doch ich konnte nicht mehr zurück. Ich befand mich in diesem Moment, wo ich ihn das erste Mal bemerkte, schon in der Flugphase. Er streckte die Arme nach oben und wollte springen, aber da war ich schon direkt vor ihm, holte weit mit der Hand aus und warf den Ball über seine Hände hinweg. Der Ball setzte erst auf dem Boden auf. Er hatte so viel Drall und Kraft, dass sich der Ball mit einem leichten Linksknick, direkt an den Händen des Torwarts vorbei bewegte und erst hinter ihm, im Netz des Tores an Schwung verlor und abgefangen wurde.

Doch zeitgleich befand ich mich immer noch in meiner Flugphase und flog immer weiter, doch irgendwann stand da Sven im Weg. Er setzte auch zum Sprung an, aber der Ball war ja schon über ihn hinweg geflogen. Doch er und ich waren in diesem Moment in unserer Flugphase und es schien unausweichlich, dass wir kollidieren würden. Ich konnte schließlich nicht abbremsen oder abdrehen, genauso wenig wie er. Heftig prallte er mit seinem Gesicht gegen meine Brust und flog dadurch rücklings auf den Boden. Unsanft landete er erst auf dem Hinter und dann mit dem Rücken auf den Boden. Als ich aufsetzen wollte, verhakte ich mich mit seinen Füßen und landete aber etwas sanfter direkt neben ihm auf meiner Seite. Erst als ich dort auf dem Boden lag, kam mein normales Zeitgefühl wieder. Mein Adrenalinspiegel sank und ich bekam auch wieder Luft.

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