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Schmuddelkind

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

The passion of lovers

Nach diesem Abend mit Chili war eine Rückkehr ins normale Leben nicht mehr möglich – auch wenn ich mich zunächst noch dagegen sträubte. Mir war zwar längst klar, dass ich ihn so schnell wie möglich wieder sehen wollte, aber ich versuchte, mir was anderes einzureden.

Armin schmiss am Wochenende eine Party und hatte mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass mein Erscheinen Pflicht war. Somit fiel Sex mit Chili erstmal aus. Ich war erleichtert und enttäuscht zugleich. Schule war echt anstrengend, weil ich offiziell mit einem Freak nichts zu tun haben durfte, aber im Unterricht andauernd zu ihm rüberschielen musste.

Und Zoe machte plötzlich auf anschmiegsam. Nicht, dass sie sich tatsächlich an mich schmiegte... allerdings war sie auffallend oft in meiner Nähe.

"Sieht aus, als hättest du sie langsam weichgeklopft", zwinkerte Armin blöde.

"Man klopft vielleicht ein Schnitzel weich, aber keine Mädchen", sagte ich.

"Weiß nicht, mein Essen ist immer schon fertig, wenn es gebracht wird", zuckte er die Schultern.

Manchmal war Armin mir extrem zuwider.

"Ich wette, du schaffst es trotzdem nicht, sie auf der Party flachzulegen."

"Geh zum Pferderennen, wenn du wetten willst", gab ich zurück.

"Was ist mit dir los, Rosenberg? Schlecht geschissen?"

"Zoe ist mir wichtig. Kannst du das mal begreifen?"

"Reg dich ab, ja? Ich hab's kapiert. Obwohl ich nicht verstehe, warum du hier auf große Liebe machst, wo Frauen für dich vor ein paar Wochen auch nichts weiter als Schlampen waren, die man vögelt."

Zum Glück war die Pause vorbei und das Fortsetzen der Diskussion blieb mir erspart.

Nicht erspart blieb mir Samstagabend der Blick in den Kleiderschrank. Der war für gewöhnlich nicht schlimm, weil ich eigentlich nur tolle Klamotten besaß, heute allerdings sagte mir wenig bis gar nichts zu. Oder es war die Party, die mir nicht in den Kram passte. Vielleicht kam ich deshalb auf diese Schnapsidee und mir war selbstverständlich von Anfang an klar, dass es Ärger geben würde. Ich zog mein ältestes Paar Jeans an und einen dunklen Kapuzenpullover, den man normalerweise bloß zum Joggen tragen konnte. Meine Haare strubbelte ich mit Wachs durcheinander, den Pony kämmte ich seitlich glatt ins Gesicht.

"Veranstaltet Armin ein Kostümfest?"

Madita stand in der Tür und musterte mich.

"Zu gewagt?", fragte ich unsicher.

Sie kam auf mich zu und rüttelte ein bisschen an meinen Schultern. "Wer bist du? Was hast du mit meinem Bruder gemacht?"

"Krieg dich wieder ein. Ich wollte eben mal ein neues Styling ausprobieren", verdrehte ich die Augen.

"Deine Haare gefallen mir", grinste sie. "Komm mal kurz mit."

In ihrem Zimmer befestigte sie eine silberne Kette an meiner Hose und schnürte mir mehrere dünne Lederbänder ums Handgelenk.

"Und du willst wirklich so auf die Party?"

"Klar."

"Na dann... Hals- und Beinbruch."

Armins Partys waren meist noch wilder als meine. Sein Haus war auch viel größer und der Garten hatte einen Pool. Deswegen waren grad im Sommer Einladungen sehr begehrt. Es war zwar noch nicht ganz so warm, aber das machte den Leuten anscheinend nichts aus. Sie vergnügten sich ausgelassen in den Fluten.

"Rosenberg? Bist du das?" Micha schwenkte eine Flasche Hochprozentiges und starrte mich ungläubig an.

Du meine Güte... so sehr verändert hatte ich mich auch wieder nicht.

"Willst du joggen gehen?", kicherte Linda, offensichtlich schon reichlich angeheitert.

"Joggen gehen ist ein totaler Widerspruch", erklärte ich. "Entweder man geht oder man läuft."

"Oder man wird in den Pool geworfen", brüllte Micha, versetzte Linda einen kräftigen Schubs und sprang gleich hinterher.

Auf dem Weg ins Haus begrüßte ich ein paar Freunde und Bekannte, die mich ebenso seltsam anstierten wie Micha. Ich bereute mein Outfit ein wenig.

Der Gastgeber lümmelte mit einem mir unbekannten Mädchen auf der Couch, in der einen Hand ein Glas Jack Daniel's, die andere Hand auf dem nackten Mädchen-Schenkel.

"Nette Party", lächelte ich.

"Rosenberg", nickte Armin träge, schüttelte seine Eiswürfel im Glas und nippte kurz an seinem Drink. "Geh nach oben und zieh dir was an."

"Die Meute draußen ist nackter als ich."

Plötzlich sprang er auf. "Willst du mich verarschen?" Angeekelt zupfte er an den Bändern meines Pullovers. "Was zum Teufel soll der Aufzug?"

"Vielleicht will er joggen", giggelte das Mädchen.

Armin fuhr herum. "Tu mir einen Gefallen, ja? Misch dich nicht ein, wenn ich mich unterhalte."

Da sollte mal jemand behaupten, Armin wüsste nicht, wie man Frauen behandelte!

"Hast du ein Problem mit meiner Kleidung?", provozierte ich ihn.

"Der Witz ist zu Ende, Rosenberg. Und er war nicht besonders lustig. Wenn du unbedingt auf Mutant machen willst, fein, von mir aus, aber nicht in meinem Haus."

"Soll das etwa ein Rausschmiss werden?"

"Du hast es erfasst."

"Du wirfst mich raus, weil dir meine Klamotten nicht gefallen?", fragte ich vorsichtshalber noch mal nach.

"Sieh dich um... ich kann es mir nicht leisten, Freaks einzuladen. Und du kannst es dir wohl kaum leisten, dich in einen zu verwandeln."

Ich sah mich um. Halbnackte Leute ließen die Sau raus... betranken und befummelten sich, zogen sich Drogen rein, rannten um die Wette zum Kotzen aufs Klo... und mich bezeichnete Armin als Freak?!

"Viel Spaß noch", wünschte ich und ging.

Wieso war mir eigentlich nie aufgefallen, was für ein Drecksack mein bester Freund war? Möglicherweise weil ich mich vor ein paar Wochen noch genauso aufgeführt hatte. Wenn diese Geschichte mit Chili nicht passiert wäre, hätte ich sicher ähnlich reagiert, wenn sich Armin auf einmal klamottentechnisch dermaßen verändert hätte. Chili... oh, Mann, ich hatte ihm einen geblasen. Wie eine verdammte Schwuchtel seinen Schwanz gelutscht. Und was das Schlimmste war: es hatte mir gefallen. Wo sollte das denn enden? Mit der Flasche Wodka, die ich von der Party mitgenommen hatte, setzte ich mich an den Straßenrand und war kurz vorm Heulen. Was Madita neulich gesagt hatte, war gar nicht so verkehrt gewesen. Ich konnte mit meinem besten Freund nicht über private Dinge reden.

Ich konnte mit überhaupt niemandem darüber reden, dass ich Angst hatte, schwul zu werden.

Ich hatte einen wahnsinnig großen Bekanntenkreis und war doch vollkommen allein. Es war nur logisch, dass ich, nachdem ich genügend Alkohol intus hatte, zum Freakhaus ging.

Und weil ich ein bisschen betrunken war, traute ich mich sogar, Strubbel zu fragen, ob Chili irgendwo rumlief.

"Deine Haare sehen so viel besser aus als beim letzten Mal", grinste er.

"D-danke", stotterte ich.

"Du hast was zu Trinken mitgebracht... wär doch nicht nötig gewesen", erklärte er und nahm mir die Flasche aus der Hand. "Hartes Zeug. Hast du Probleme oder säufst du einfach nur gerne?"

"Beides."

"Na ja, interessiert mich einen Dreck. Aber wenn du ihm wehtust, biste fällig. Alles klar?"

"Kristallklar", log ich und stolperte davon.

Chili saß etwas abseits vom Freaktrubel in einem Sessel. Ich ließ mich auf der Lehne nieder.

"Haste das selber gemacht?", fragte er und musterte mich. "Sieht gut aus."

"Madita hat ein bisschen geholfen."

"Wieso bist du nicht bei deinem Freund Achim?"

"Armin. Und da war ich grad noch, aber mein Outfit hat ihm nicht gefallen."

"Kann ich mir vorstellen", nickte er. "Laut Madita ist er noch hundertmal versnobter als du. Und ein Schwein. Sie hat mir erzählt, dass er sie fast vergewaltigt hätte."

"So schlimm war es nicht. Außerdem hab ich ihm dafür auf die Fresse gehauen."

"Hast du Lust, nach oben zu gehen?"

"Ja."

Kaum hatte Chili die Tür abgeschlossen, knutschte ich ihn heftig und nestelte an seinen Gürteln. Warum musste er eigentlich immer gleich mehrere tragen? Die hielten doch in solchen Situationen nur auf.

"Ich hab dich vermisst", wisperte er.

"Ich dich auch", antwortete ich und war überrascht, weil mir in diesem Moment auffiel, dass ich ihn tatsächlich vermisst hatte.

Eine Weile lagen wir knutschend und fummelnd auf der siffigen Matratze, bis er mir ein Kondom unter die Nase hielt, worauf ich den Kopf schüttelte.

"Du kannst mich nicht ewig zappeln lassen, Valentin Konstantin", seufzte er.

"Wieso ausgerechnet du, mh?"

"Weil ich der Einzige hier bin, der Ahnung hat."

"Ich weiß auch, wie man ein Kondom benutzt."

"Schon, aber mit welchem Kerl hattest du in letzter Zeit Analverkehr?"

"Und du?"

Er stützte sein Kinn auf meine Brust und sah mich an. "Mit Len. Vor drei Wochen oder so."

"Ich dachte, er sei bloß ein Freund."

"Ist er. Mein Bester sogar."

"Wie kannst du dann mit ihm..."

Chili rieb sein Gesicht an meiner Brust. "Wir waren betrunken. Und geil."

"Das ist ekelhaft", behauptete ich und schob ihn von mir.

"Wolltest du vielleicht jedes Mädel heiraten, mit dem du Sex hattest?"

"Nee. Aber von meiner besten Freundin würde ich die Finger lassen."

"Hast du eine beste Freundin?"

"Darum geht's ja wohl nicht", regte ich mich auf.

"Sondern?"

Sein bekloppt unschuldiger Blick machte mich wütend. "Es geht darum, dass..."

"Ja?"

"Dass du mit diesem Typen..."

"Len", grinste er.

Was, verdammt, gab es zu grinsen? "Mir doch egal, wie der heißt."

"Ey, du bist ja eifersüchtig."

"Bin ich nicht."

"Doch. Und zwar volle Kanne."

"Quatsch. Von mir aus kannst du ficken, wen du willst", tat ich gleichgültig.

"Ich will dich ficken."

"Vergiss es."

"Und ich weiß auch gar nicht, warum du dich so dagegen wehrst, weil...", er beugte sich über mich und hielt meine Hände fest, "ich krieg dich ja eh rum."


"Hey, Pfeifenkopf", murmelte Madita niedergeschlagen und kuschelte sich in meine Bettdecke.

"Hey, Nebelkrähe. Alles in Ordnung?"

Sie hatte offenbar geweint, denn ihre Augen waren ein bisschen rot und verquollen.

"Das Übliche halt. Als Frau bist du einfach immer benachteiligt... es ist zum Kotzen."

"Aha."

"Chili ist verknallt."

Ich bekam reflexartig rote Ohren. "Äh... bitte?"

"Ich meine, er hat es nicht gesagt, aber eine Frau spürt so was. Er grinst die ganze Zeit und benimmt sich wie bekifft."

"Warum heulst du dann?", fragte ich irritiert.

"Weil sich irgendein verdammter Schwanzträger meinen Traummann geangelt an. Oder dachtest du, Chili wäre extra für mich hetero geworden, Blödian?", schrie sie mir ins Gesicht.

Ach du Schande... sie meinte doch hoffentlich nicht mich. Verknallen war nicht abgemacht. Okay, er hatte mich letztes Wochenende doch noch rumgekriegt und nach anfänglichen Schwierigkeiten war es auch erstaunlich gut gewesen... aber er sollte mal lieber nicht gleich überschnappen und sich Liebe einbilden.

"Hat er gesagt, wer es ist?"

"Nein. Hörst du mir vielleicht mal zu? Ist ja auch völlig egal," schniefte sie, "ich bin es jedenfalls nicht, denn ich habe keinen Penis."

Ich hatte sowohl ein mega-schlechtes Gewissen als auch Panik. Wenn Chili sich dermaßen auffällig benahm, würde es bald die ganze Welt mitkriegen. Und Madita, mit ihrem weiblichen Spürsinn, würde sowieso dahinter kommen. Meine plötzlich aufgetauchte Homosexualität hätte ich ihr vielleicht noch gebeichtet. Sie ging mit derartigen Dingen sehr cool um. Aber ich konnte ihr unmöglich sagen, dass ich ausgerechnet mit ihrem Traummann geschlafen hatte. Und dass ich dringend vorhatte, es wieder zu tun. Und wieder und wieder.

"Was ist bitte so lustig?", riss sie mich aus meinen Gedanken.

"Hä?"

"Du grinst so dämlich. Findest wohl witzig, dass ich mich in einen schwulen Typen verliebt habe, was?"

Hatte ich wirklich gegrinst? Mir war nichts aufgefallen. "Nein... äh... nein, ich finde das sehr traurig. Weiß er denn, dass... ähem... du Gefühle für ihn hegst?"

"Klar, meinst du, ich sag ihm das auch noch und mache mich total zum Arsch?", fauchte sie rabiat. "Männer. Entweder schwul oder Vollidioten. Ich werd am besten lesbisch."

Das würde unseren Eltern sicher gefallen... der Sohn steht auf Kerle und die Tochter auf Weiber... hahahaha! Sie würden uns augenblicklich verstoßen. Deshalb musste ich unbedingt mit Chili sprechen. Er sollte sich seine dumme Verknalltheit aus dem Kopf schlagen. Das machte alles nur unnötig kompliziert. Armin hatte mir den Klamotten-Ausrutscher halbwegs verziehen... bei schwulem Sex mit einem Freak verstand er null Spaß, so viel war sicher. Besonders wenn er herausbekam, dass sich sein bester Freund wie ein Weib hatte ficken lassen. Mir war es selber peinlich. Dass ich es Chili erlaubt, und dass es mir gefallen hatte.

Ich konnte mir das echt nicht erklären, aber allein der Gedanke daran machte mich total wuschig. So sehr, dass ich jedes Mal fast eine Latte bekam, wenn ich Chili im Unterricht sah.

Er saß da, drei Plätze weiter, und ich musste dran denken, wie er meinen Nacken geküsst, beknabbert und mich schließlich wie ein geiler kleiner Vampir gebissen hatte, als er kam. Wie er sich danach an mich gekuschelt hatte. So... süß irgendwie. Eigentlich hatte ich gar nicht noch stundenlang mit ihm rumschmusen wollen, aber gegen Chili war ich in der Tat völlig wehrlos. Mit Liebe hatte das jedoch relativ wenig zu tun.

"Du, Madita," begann ich und strich ihr eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht, "gehst du mit mir shoppen?"

Sie zuckte zusammen und setzte sich auf. "Was?"

"Klamotten shoppen. Du kennst doch sicher die richtigen Läden."

"Äh...?"

"Ich will so aussehen wie... du weißt schon, wie die Typen, die du toll findest."

"Ehrlich? Ich dachte, du wolltest mich bloß aufmuntern. Was sagt'n Armin zu deiner Veränderung?"

"Ich hab eine eigene Meinung", lächelte ich.

"Das solltest du ihm aber lieber verschweigen. Der Penner hat keinen Humor."

Am Ende des Tages hatte ich eine kleine Kollektion von schwarzen Hosen, silbernen Gürteln, Totenkopf-Kapuzenjacken und Ringelshirts. Dazu einen dünnen Sternchenschal und schwarze, hohe Doc's.

"Du wirst mir langsam unheimlich, Valentin", schüttelte Madita den Kopf.

Ehrlich gesagt war ich mir selber unheimlich und ich wusste auch nicht, ob ich die Klamotten irgendwann mal anziehen würde. Aber es war gut, sie im Schrank zu haben. Für den Abend entschied ich, war es besser, sich normal zu kleiden, denn ich war mit Armin verabredet. Schon als ich zu ihm ins Auto stieg, verging mir die Lust. Das Mädchen von der Party saß neben ihm und hinten lachte mir ihre Freundin entgegen.

"Wie ich sehe war dein Schwachsinn nur vorübergehend, Rosenberg", nickte er und fuhr los.

Zuerst ging es in einen hippen Club, vor dem eine beachtliche Schlange auf Einlass wartete.

Wir kamen natürlich sofort rein... Armin musste nirgendwo warten. Die Mädels verschwanden aufs Klo, während Armin und ich uns mit ein paar Drinks in eine lauschige Ecke verzogen.

"Seit wann poppst du eine Tussi mehrmals?", wollte ich wissen.

"Gar nicht. Die Kleine ist noch Jungfrau, deshalb ziert sie sich ein bisschen. Aber ich schwör dir, heute ist sie fällig."

"Findest du das nicht abartig? Ich meine, sie ist ein Mädchen und für die ist das Erste Mal eine ziemlich wichtige Sache."

"Oh, es wird unvergesslich für sie werden, keine Angst", lachte er und kippte seinen Drink runter. "Wenn die sich ein wenig Zauberpulver durch die Nase zieht, geht die ab wie eine Rakete."

"Du bist ein Drecksack."

"Ich weiß. Und genau deswegen sind die Weiber so scharf auf mich."

"Hast du dich vergewissert, dass sie keinen Bruder hat?"

"Halt die Fresse, Rosenberg. Ich hab dir das nur durchgehen lassen, weil wir seit Ewigkeiten Freunde sind. Ansonsten hätte ich dich gekillt."

Das war gelogen. Armin war ein miserabler Gegner, wenn es zu Handgreiflichkeiten kam. Der klassische Fall von großer Klappe und nix dahinter!

Wir blieben ungefähr zwei Stunden im Club. Die mitgeschleppte Freundin, sie hieß Jessika, war sehr wahrscheinlich keine Jungfrau mehr und hatte sich außerdem eine beängstigende Menge Zauberpulver reingezogen, denn sie bedrängte mich aufs Übelste. Knutschte und fasste ständig an mir rum, dass ich sie zwischendurch auf Abstand halten musste, weil ich befürchtete, sie würde es an Ort und Stelle mit mir treiben wollen. Leider war ihr dummes Geschwätz noch unerträglicher. Ich hörte irgendwann einfach nicht mehr zu. Armin griff derweil auf seinen alten Trick zurück: er gab seiner keuschen Flamme einen Drink nach dem anderen aus und hielt es doch nicht für nötig, seinen teuren Stoff an sie zu verschwenden.

Als Diana seiner Meinung nach genug hatte, fuhren wir zu ihm und Armin ging sofort zum Angriff über. Die alkoholisierte Jungfrau war plötzlich total enthemmt und benahm sich wie eine kleine Nutte. Jessika hatte das bereits den ganzen Abend über getan. Sie hörte auch jetzt nicht damit auf. Ungeniert machte sie sich obenrum frei, während Armin Diana untenrum befummelte. Aufreizend ließ Jessika ihre Brüste vor meinem Gesicht hüpfen und rutschte auf meinem Schoß herum. Neben mir stöhnte es leise. Armins Kopf bewegte sich zwischen Dianas Schenkeln. Ich hasste solche Aktionen, weil ich beim Sex gerne ungestört war. Außerdem dachte ich an Chili, den ich lieber halb nackt auf mir gehabt hätte. Dennoch tat ich, was von mir erwartet wurde. Ich vögelte Jessika, während Armin ein betrunkenes Mädchen entjungferte.

"Das war echt geil, Baby", behauptete Jessika hinterher.

"Ich liebe dich", säuselte Diana glücklich.

Armes Mädchen, sie würde spätestens morgen bitter bereuen, dass sie sich an ein Schwein wie Armin verscherbelt hatte.


"Hey, Emojunge", strahlte Chili und gab mir einen Kuss auf den Mund. Ich unterschied mich seit der Shopping-Tour mit Madita wirklich nicht mehr von den Freaks. Außer dass viele von denen geschminkt waren... das gab's bei mir nicht. War mir dann doch ein Tick zu schwuchtelig. Chili sah wahnsinnig cool aus. Schwarze Jeans, ärmelloses Sex-Pistols-Shirt, Hundehalsband, seine silbernen Gürtel und er hatte sich die Fingernägel schwarz lackiert. Allerdings schien das einige Tage her zu sein, die Farbe war an vielen Stellen schon abgeblättert... oder wie auch immer man das bei lackierten Nägeln nannte.

"Deine Schwester ist fix und fertig, weil sie nicht weiß, was bei dir grad abgeht."

Das war das Stichwort. "Dafür weiß ich, was bei ihr... was ist das?"

"Was meinst du?"

Ich wurschtelte mich von seinem Schoß. "An deinem Hals. Was zum Teufel ist das?"

Chili betastete seine Kehle. "Ein Halsband?", schlug er vor.

"Ich meine den Knutschfleck."

"Ach so."

"Ja, ach so. Von wem ist der? Von mir nämlich nicht."

"Du bist ja schon wieder eifersüchtig", lächelte er und zog mich an sich.

Scheiße, er hatte Recht. Mir wurde übel.

"Len hat ein bisschen..."

"Danke, das reicht schon", unterbrach ich ihn finster.

"Es war nichts, ehrlich. Nur Spaß. Die Mädels wollten das gerne mal sehen."

"Welche Mädels?"

Er zuckte die Schultern. "Mädels halt. Die sind verrückt auf knutschende Jungs, weiß der Teufel, wieso."

"Wie weit ist das denn gegangen?"

"Valentin," rief er überrascht, "denkst du, ich treibe es mit Len in geselliger Runde, oder was? Er hat an meinem Hals genuckelt, das war's."

"Können wir nach oben gehen? Ich muss was mit dir besprechen."

"Klar", grinste er dreckig.

Im Zimmer war dann erstmal nichts mit reden, weil Chili augenblicklich über mich herfiel. Ich hatte keinerlei Einwände. Der Sex mit ihm war so viel besser, als irgendeine dumme Trine auf Koks zu vögeln.

"Was wolltest du eigentlich mit mir besprechen?"

"Vergessen", antwortete ich überwältigt und kuschelte mich in seine Arme. So weit war es also schon gekommen... ich kuschelte freiwillig mit einem Kerl! Allerdings hatte ich mich diesem Kerl auch freiwillig hingegeben, was machte es also noch?

"Ich fänd es gut, wenn du dich etwas dezenter verhalten würdest."

"Okay. Aber was genau meinst du?"

"Madita hat den Verdacht, dass du verknallt bist."

"Ich hab ihr nichts erzählt."

"Sie sagt, eine Frau spürt so was", erklärte ich. "Hat sie Recht?"

"Woher soll ich wissen, wie eine Frau tickt?"

"Bist du verknallt in mich?"

Chili schob seine Hand in meine. "Ziemlich", seufzte er.

"Das war nicht abgemacht."

"Stimmt."

"Hör auf zu grinsen, Blödmann, das ist nicht lustig."

"Entschuldige", grinste Chili und begann, meine Fingerspitzen zu küssen, "aber du bist manchmal so lustig."

"Haha", grummelte ich und zog meine Flosse weg. "Du bringst alles durcheinander, ist dir das überhaupt klar?"

"Das war nicht meine Absicht."

"Ich glaub dir kein Wort."

"Na schön, ich wollte dich durcheinander bringen. Okay?"

"Hör auf damit, das bringt mich bloß in Schwierigkeiten."

Seine Finger streichelten meine Armbeuge. "Wieso?"

"Weil... ich in total unangebrachten Situationen dran denke... letztens in der Schule beispielsweise, da hab ich mir vorgestellt, du würdest mich in eine dunkle Ecke zerren."

Das hatte ich tatsächlich. Mitten in Englisch und wenn die Becker mich an die Tafel geschickt hätte... großer Gott.

"Süß," kicherte er, "gibt's denn in der Schule dunkle Ecken?"

"Nein. Und jetzt halt gefälligst die Klappe."

"Und was hab ich mit dir in der dunklen Ecke getrieben?"

"Gar nichts. Halt die Klappe", fauchte ich.


Irgendwie lief alles aus dem Ruder. Diana überschüttete Armin mit Liebesschwüren, der jedoch fühlte sich belästigt und vögelte natürlich weiter durch die Gegend. Madita ging am Stock, weil sie in Chili verknallt war, der aber lieber mit mir ins Bett ging, was sie und auch sonst niemand wissen durfte. Zoe konnte ich gar nicht mehr einschätzen. Sie war süß und lieb, wenn wir uns trafen, faselte allerdings ständig von Chili und Madita. Also eigentlich ging es hauptsächlich um meine Schwester, sodass mir manchmal ein total absurder Gedanke durchs Hirn schoss, den ich sofort kopfschüttelnd verwarf. Das konnte einfach nicht sein! Und zu allem Unglück schien Armin wieder ein bisschen auf Madita abzufahren. Der faselte nämlich auch ständig ätzend über Chili... weil die Schwuchtel sich andauernd bei ihr einschleimte und er sollte bei seinen widerwärtigen Arschfickereien bleiben, wenn er wusste, was gut für ihn war. Es wurde so schlimm, dass er Chili in der Schule öffentlich blöd anmachte. Ich stand daneben und kam mir wie ein Drecksack vor. Aber was hätte ich anderes tun sollen? Chili verteidigen? Das hätte mich doch augenblicklich verraten. Chili hielt mir das komischerweise überhaupt nicht vor, wenn wir zusammen waren, weswegen ich mich noch mieser fühlte. Außerdem machte mir mein Doppelleben echt zu schaffen. Tagsüber der angepasste, reiche Bengel und am Wochenende der schwule Emojunge. Es war zum Kotzen.

Während ich eilig durch den Schulflur ging, packte mich irgendwas und zerrte mich um die Ecke. Ich wurde in einen muffigen Raum geschubst und gegen die Tür gedrückt.

"Was zum Teufel..."

"Davon hast du doch heimlich geträumt", behauptete Chili und stützte seine Hände an der Tür ab, sodass ich mich nicht bewegen konnte.

"Bist du wahnsinnig? Wenn uns jemand sieht..." Weiter kam ich nicht, weil er mich küsste.

Ich küsste ihn zurück und schob dabei meine Hände unter seinen schwarzen Wollpullover. Oh Mann, was tat ich hier, verdammt noch mal?!

"Lass den Scheiß, der Unterricht fängt doch gleich an."

"Streber", lächelte er, öffnete meine Hose und glitt mit der Hand hinein. "Du brauchst das viel dringender als Mathe, oder?"

"Du bist ja irre", japste ich.

"Und du bist geil."

Logisch, wenn er dermaßen an mir rumhantierte. Mein Herz raste als hätte ich einen Hundert-Kilometer-Lauf hinter mir. Die Angst, entdeckt zu werden, die Erregung, Chilis Lippen, die meinen Hals berührten... ich war total hinüber und kam wahrscheinlich so schnell wie noch nie.

"Shit", zischte er.

Ich klappte die Augen auf, knöpfte die Hose zu und Chili rubbelte an seinem Ärmel.

"Das ist mein Lieblingspullover, den du vollgewichst hast. Und ich darf jetzt den ganzen Tag mit deinem Sperma am Ärmel rumlatschen."

"Hast du den Lehrer von deiner alten Schule auch so verführt?"

"Was?" Er sah mich kurz an und widmete sich wieder seinen Ärmel. "Nee. Der hat mich verführt."

Also hatte Armin die Wahrheit gesagt.

"Woher weißt du das überhaupt schon wieder?"

"Man hört so einiges."

"Dann hör beim nächsten Mal genauer hin. Ich war ziemlich verschossen und dachte, er wäre es auch, was sich aber als Irrtum rausstellte. Der Arsch wollte mich bloß flachlegen. Und hinterher hat er mir alles in die Schuhe geschoben. Können wir das Thema jetzt lassen?"

Ich schlang meine Arme um ihn und gab ihm einen Kuss.

"Am Freitag treffen sich ein paar Freunde von mir bei Len. Ich will, dass du mitkommst."

"Was hab ich mit deinen Freunden zu tun?"

"Du hast was mit mir zu tun."

"Ich überleg's mir", antwortete ich, küsste ihn noch mal und ging zum Unterricht. Wenn das mal nicht unangenehm aufgefallen war, dass ausgerechnet Chili und ich gefehlt hatten.

"Wo hast du gesteckt, verdammte Scheiße?", zischte Armin in der nächsten Pause.

"Wieso? Hast du mich vermisst?"

"Schwuchtel", lachte er.

Auf der anderen Seite des Schulhofs stand Madita mit Chili zusammen.

"Der kleine Arschficker geht mir echt auf die Eier. Was griffelt der schon wieder an deiner Schwester rum, hä?"

"Auch wenn das hart für dich ist... du hast bei Madita keine Chance."

"Wer will schon so eine Gruftieschlampe vögeln."

"Pass auf, was du sagst", warnte ich ihn.

"Der Typ ist jedenfalls bald fällig."

"Kümmere dich lieber um deine neue Freundin."

"Ach du Scheiße", stöhnte er. "Die ist besessen von dem Gedanken, dass ich sie liebe. Bloß weil ich ihr einmal meinen Schwanz reingesteckt hab. Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich machen soll... die lauert mir überall auf. Ekelhaft."

"Sei einfach nur du selbst, dann wirst du sie garantiert schnell los."

"Danke, für den Tipp, Wichser."

Beim Reingehen beschleunigte Armin seine Schritte, sodass er mit Chili auf gleicher Höhe war, und rempelte ihn an.

"Kannst du nicht aufpassen?", schnauzte er.

"Entschuldigung, dass du mich angerempelt hast", entgegnete Chili ruhig. "Hast du vielleicht Probleme?"

"Du bist das Problem, Freak. Geh zurück in das Loch, aus dem du gekrochen bist und treib dich nicht rum, wo du nicht hingehörst."

"Armin", mischte sich Madita ein. "Halt doch einfach deine Fresse, ja?"

Er wandte sich an mich. "Siehst du... der schwule Sack muss sich von einem Mädchen beschützen lassen."

"Wenn der schwule Sack dich mal privat erwischt, reißt er dir den Arsch auf", erklärte Chili und schlenderte an ihm vorbei.

"Sag mir wann und wo, du Missgeburt", brüllte Armin.


Mir war ein bisschen unwohl, als ich mich am Freitag mit Chili traf. Erstens, weil ich seine Freunde kennen lernen musste, und zweitens wegen der Sache mit Armin, obwohl ich ja gar nichts dafür konnte.

"Ich würde gerne wissen", begann Madita, "was du treibst, wenn du dich so anziehst."

"Geht nur mich was an", murmelte ich und zupfte meine Ponysträhnen zurecht.

"Valentin, wenn du eine Freundin aus der Szene hast, kannst du mir das doch sagen."

"Später. Ich muss los."

Wir hatten abgemacht, uns vor Lens Haus zu treffen. Chili konnte mich ja schlecht abholen, wenn Madita da war. Sie hätte tausend unbequeme Fragen gestellt und wäre mir auf die Schliche gekommen. So weit war ich noch lange nicht.

Len lebte mit seinen Eltern in einem Wohnblock, wo die Häuser alle gleich aussahen... schmutzig gelb gestrichen und ein kleiner Balkon vorm Fenster. Es dauerte etwas, bis ich das richtige Haus gefunden hatte und war sehr froh, dass meine Eltern reich waren und ich nicht in so einem Kasten hausen musste. Die Gegend machte mich fertig. Chili hockte vor der Tür auf einem Schaukelgerät für Kinder. Dahinter hatte man einen Mini-Sandkasten angelegt. Es gab eine Rutsche und ein Klettergerüst.

"Ey, ich dachte schon, du tauchst nicht mehr auf", strahlte er und erhob sich.

"Ich hab's nicht gleich gefunden."

"Du kommst wohl nicht oft aus deiner Gegend raus, mh?"

"Kennst du vielleicht die ganze Stadt wie deine Westentasche?"

Lächelnd legte er seine Hände auf meine Hüften. "Hallo."

"Hallo", flüsterte ich und strich ihm eine rote Strähne hinters Ohr. In diesem Augenblick fiel mir zum ersten Mal auf, was für ein unglaublich schönes Gesicht er hatte. Seine Brauen hatten einen perfekten Schwung, seine Augen waren grün mit klitzekleinen haselnussfarbenen Pünktchen, seine Nase war klein und stupsig und sein Mund sah total nach küssen aus. Das tat ich auch. Ich küsste ihn und kam mir sehr schwul vor. Einen Kerl schön zu finden, auf den Schwung seiner Augenbrauen zu achten... na, wenn das nicht schwul war, was dann?

"Hört auf, euch abzuschlecken!"

Erschrocken schubste ich Chili weg und blickte mich um. Im zweiten Stock stand Len auf dem Balkon.

"Entspann dich, Valentin", sagte Chili und griff nach meiner Hand.

Oben angekommen erschien Len an der Tür, grinste blöd und küsste Chili zur Begrüßung auf den Mund. Etwas zu lange, fand ich, aber mich fragte ja keiner.

"Guten Abend, Valentin. Wie schön, dass Sie mein bescheidenes Heim mit Ihrer Anwesenheit beehren. Ich kann mich kaum fassen vor Freude."

"Ist der besoffen?", wisperte ich.

"Nee, bloß bescheuert", entgegnete Chili.

"Sorry, der rote Teppich ist grad in'ner Reinigung", faselte Len und nahm uns mit in sein Zimmer, wo sich bereits Freakjungs und Freakmädchen tummelten. "Das ist übrigens Valentin", stellte er mich knapp vor.

Wir setzten uns auf den Boden mit dem Rücken gegen die Heizung gelehnt. Der Raum wirkte auf mich schon für zwei Personen klaustrophobisch klein, was sicherlich an den dunkelrot gestrichenen Wänden lag. Das schwarz bezogene Bett tat sein Übriges. Genauso wie die sieben Leute, die das Zimmer mit Zigarettenqualm verräucherten. Sie redeten über Musik, die ich nicht kannte, Filme, die ich nicht kannte, und andere Leute, die ich nicht kannte. Immerhin bekam ich von Len ohne dämlichen Kommentar ein Bier in die Hand gedrückt, während er sich mit Chili eine Flasche Billigwein teilte. Das störte mich irgendwie, aber auch danach fragte keiner, also hielt ich den Mund und versuchte, niemanden direkt anzuschauen. Nicht, dass einer auf die Idee kam, mit mir sprechen zu wollen. Worüber auch? Die lebten alle in einer völlig anderen Welt. Hoffentlich ging der Abend schnell vorbei.

"Hoffentlich fangt ihr nicht wieder an zu knutschen, wenn ihr besoffen seid", sagte plötzlich ein Freak mit 'nem Piercing in der Lippe.

"Ich muss mir keinen Mut antrinken, um Chili zu küssen", erklärte Len.

"Du bist doch nicht mal schwul."

"Auch das muss ich nicht sein, um ihn zu küssen."

Sollte der Spinner es tatsächlich wagen, meinen Freund zu küssen, würde ich ihm in den Arsch treten. Und zwar kräftig. Demonstrativ legte ich meine Hand auf Chilis Schenkel und rückte etwas näher an ihn heran.

"Scheint so, als hätte Chili einen neuen Knutschpartner aufgerissen", grinste Lippenpiercing.

"Bist abgemeldet, Len."

"Halt's Maul, sonst schmeiß ich dich raus", drohte er lachend.

"Ihr habt uns aber noch'n Knutschvideo versprochen", schmollte ein Mädchen mit rosa Schleife im Haar.

"Ja, das war bevor... äh...", Chili schaute mich hilfesuchend an.

Sollte ich jetzt etwa zugeben, dass ich Sex mit ihm hatte und beschissen eifersüchtig wurde, wenn er Len küsste?!

Das Mädchen blickte erwartungsvoll.

"Meine Güte," stöhnte Len, "Chili ist jetzt mit Valentin zusammen. Da knutscht man offenbar nicht mehr einfach so herum. Alles klar?"

Meine Hand rutschte vor Schreck von seinem Schenkel und mein Gesicht fühlte sich heiß an. Sehr heiß. Wenigstens in Freak-Kreisen war ich nun offiziell schwul.

"Süß", behauptete das Mädchen. "Habt ihr schon miteinander?"

Was zum Henker ging die das an?

"Wollen wir nicht mal Pizza oder so bestellen?", wechselte Chili das Thema. "Ich hab Hunger."

"Du solltest dich lieber zurückhalten. Kuck dir mal deinen Bauch an", kicherte Len und tätschelte besagtes Körperteil.

"Alles Muskeln", lachte Chili.

"Alles Speck", verbesserte Len.

Als seine Hand unters T-Shirt wandern wollte, musste ich mich einschalten. Irgendwann war die Grenze erreicht. Und zwar genau jetzt. Ich flitschte also seine Flosse weg. "Ob Speck oder Muskeln... auf jeden Fall gehört das mir. Da hat kein anderer rumzugriffeln."

Len zuckte die Schultern. "Ich hatte das alles bereits vor dir. Mehrmals."

"Ich hab es jetzt. Und du wirst es nie wieder bekommen."

"Darf ich vielleicht auch was dazu sagen?", fragte Chili.

"Nein", antwortete ich und setzte mich auf seinen Schoß. "Aber du darfst mich küssen."

"Echt? Wenn alle zuschauen? Hast du dir das gut überlegt?"

Das entzückte Quietschen der Mädels und das Grölen der Jungs nahm ich nur entfernt wahr, als sich unsere Zungen stupsenderweise berührten, umschlängelten und wir schließlich heftig knutschten. Seine Hände schoben sich unter meine Kapuzenjacke, streichelten meinen Rücken. Meine Hände wuselten durch seine Haare.

"Schluss jetzt," sagte er irgendwann atemlos, "sonst kann ich für nichts garantieren."

Ich wäre sehr gerne mit ihm allein gewesen, war ich aber leider nicht. Alle im Raum stierten uns an, das brachte mich in die Realität zurück. Ein bisschen verschämt rutschte ich von Chili runter.

"Wow", staunte das Mädchen.

"Das war so fucking schwul, dass mir der Appetit vergangen ist", behauptete ein Typ, der eine rotschwarz geringelte Mütze auf dem Schädel trug.

"Okay, Pizza ist für dich gestrichen", beschloss Len.

Den Rest des Abends verbrachte ich quasi mit den drei Mädels, die mich nach der Knutscherei plötzlich niedlich fanden. Und ich hatte plötzlich auch keine Probleme mehr, mich mit denen zu unterhalten.

www.

"Wieso ist denn das auf einmal so sauber hier?", wunderte ich mich.

Die Matratze war frisch bezogen, eine neue Decke lag darauf.

"Ich schlaf nicht gerne dreckig... auch wenn ich vielleicht so aussehe", erklärte Chili.

"Das warst du?"

"Klar. Immerhin ist das jetzt unser Zimmer. Außerdem komme ich manchmal her, wenn..."

"Ja? Mit anderen Typen, was? Mit Len."

"Wenn mein Zimmerkumpan im Heim mal wieder auf Superarschloch macht und ich meine Ruhe haben will."

"Entschuldige", murmelte ich.

"Kannst doch nichts dafür."

Mir wurde langsam bewusst, dass ich eigentlich nicht besonders viel über Chili wusste. Wir trafen uns ja bloß am Wochenende... wenn ich nicht mit Armin unterwegs war. Ich hatte mich nie gefragt, was er ohne mich machte. Außer, ob er andere Jungs küsste.

"Wie... ähem... wie wohnst du im Heim?", fragte ich reichlich blöde.

"Nicht so komfortabel wie du bei deinen Eltern", lächelte er. "Das Schlimme ist, dass man kein bisschen Privatsphäre hat. Na ja, und dass der Typ in meinem Zimmer ein Kotzbrocken ist."

"Aber mit dem wirst du doch fertig, oder? Ich meine, so cool wie du Armin immer auflaufen lässt."

"Geht so. Dein Freund ist noch ein ganz anderes Kaliber. Lass uns jetzt nicht über so was reden, okay?"

Aus der unteren Etage drang dumpfe Musik herauf. Ständig hörte man Schritte vor der Tür und Leute, die sich unterhielten. Es fiel mir schwer, den Krach zu ignorieren, und irgendwie passte das, was Chili und ich taten, immer weniger hierher. Aber, wo sollten wir es sonst tun?

Bei mir zu Hause, mit meiner Schwester nebenan? Madita hatte immer noch Liebeskummer, da konnte ich ihr unmöglich meine schwule Beziehung zumuten.

"Aber wir reden total wenig."

"Findest du?"

"Über wichtige Sachen... ja, finde ich."

"Du weißt, wo ich herkomme, Valentin. Und ich weiß, wie du lebst, und dass du ein reiches, verzogenes Gör bist, das normalerweise auf so was wie mich spuckt."

"Und du kannst angepasste Spießer wie mich nicht ausstehen, du Freak."

"Zum Glück spielen diese Dinge keine Rolle, wenn wir im Bett sind."

"Also haben wir doch bloß eine Sexbeziehung?"

"Seit wann möchtest du denn was anderes?", fragte er überrascht.

"Seit ich mich in dich verliebt habe, Arschloch", antwortete ich ärgerlich, weil ich ihm sein überraschtes Getue nicht eine Sekunde abkaufte. Chili wusste längst, dass ich in ihn verliebt war. Wahrscheinlich, ganz sicher sogar, hatte er es noch vor mir gewusst. Und bestimmt war genau das auch sein Plan gewesen. Blöder Freak. Ich hasste ihn!

"Du bist ja süß", säuselte er und fing an, mein Ohrläppchen zu beknabbern.

Ich versuchte, das warme, angenehme Kribbeln zu ignorieren, und ausnahmsweise mal nicht sofort schwach zu werden.

"Chili, wo soll das hinführen?"

Sein Zeigefinger fuhr über meine Brust, meinen Bauch und stoppte kurz vorm Reißverschluss meiner Jeans. "Dahin?", schlug er vor und sah mich dabei so beschissen niedlich an, dass ich kaum noch einen vernünftigen Gedanken fassen konnte. Deshalb fasste ich lieber Chili an, schob meine Hände in die Ärmel seines Pullovers und streichelte seine Arme.

"Sag mal, habt ihr im Heim eigentlich keine Waschmaschine?" Ein wenig angeekelt deutete ich auf die hellen Flecken im schwarzen Stoff.

"Das ist mein Lieblingspullover, den stecke ich doch in keine Maschine", behauptete er aufgebracht, "den darf man nur mit der Hand waschen... aber von solchen Sachen hast du ja wohl keine Ahnung. Und glotz nicht so angewidert, das ist schließlich dein verdammtes Sperma, ja?"

"Zieh das Teil trotzdem jetzt aus", wisperte ich.

"Nur, wenn du mir dabei hilfst", wisperte er zurück.

Logisch, dass er immer das letzte Wort haben musste.

Mir erschien es immer noch seltsam, mit einem Kerl zu kuscheln. Was den Sex betraf, da konnte man sich noch irgendwie herausreden... von wegen Geilheit und so. Leider ging das in meinem Fall nicht wirklich. Welcher normale, heterosexuelle Siebzehnjährige ließ sich denn bitte von einem Typen den Schwanz reinstecken und fand noch Gefallen daran? Und jetzt lag ich in Chilis Armen und fühlte mich so gut dabei, obwohl es doch eigentlich abstoßend sein sollte. Ich bekam mich echt nicht sortiert, weil mein Kopf deutlich sagte, dass es falsch und ekelhaft und schwul war, während sich in meinem Herzen ein Virus festgesetzt hatte. Das Virus hieß Chili und hatte langsam aber sicher sämtliche Zoes dieser Welt total verdrängt. Zoe... sie war nach wie vor wunderschön, aber ich begehrte sie nicht mehr. Wie sollte ich, wenn meine Gedanken andauernd um den verdammten Freak hier kreisten?!


Etwas stimmte nicht. Madita benahm sich seltsam. Sie sprach seit Tagen nicht mit mir, warf mir allerdings dafür ultra fiese Blicke zu. Zuerst dachte ich, sie hätte vielleicht so typische Mädchenlaunen, oder sich über Armin geärgert, aber letzteres hätte sie mir auf jeden Fall erzählt. Und sie verhielt sich ja auch nur mir gegenüber so komisch. Gestern in der Schule, als Chili wieder einmal mit Armin aneinander geraten war und ich daneben stand, als ginge mich das alles nichts an, zischelte sie mir kopfschüttelnd "Heuchler" zu. Das machte mich so nervös, dass ich am nächsten Tag an ihre Zimmertür klopfte.

"Was?", brummelte sie.

"Das würde ich gerne von dir wissen. Was ist los?"

"Du fragst mich, was los ist?", rief sie schrill. "Toller Witz, Valentin, echt."

"Äh...?", machte ich ratlos.

"Findest du es in Ordnung, was Armin mit Chili abzieht? Nur, weil Chili Jungs bevorzugt und er ein Problem damit hat?"

"Ich hab keine Lust, mich da einzumischen."

"Wieso nicht?"

"Warum sollte ich?"

"Ja", überlegte sie und drehte sich langsam auf ihrem Schreibtischstuhl hin und her, "warum solltest du? Ich zeig dir am besten mal, warum, oder?"

Was Madita mir zeigte war ein Video im Internet. Zwei knutschende Jungs. Einer war Chili, der andere war ich. Au, verflixt!! Das musste irgendjemand bei Len gemacht haben... wahrscheinlich das Mädchen mit der rosa Schleife im Haar. Ich lief mit Sicherheit rot an und die Tussi war so gut wie tot. Wie kam die dazu, mich ins Internet zu stellen?! Arschgeige!

"Also... ich höre."

Ich überlegte.

"Wieso schlabberst du Chili ab? Wieso küsst du überhaupt Jungs? Bist du plötzlich schwul, oder was? Hast du dich deshalb so verändert? Weil du weißt, dass Chili auf Emojungs steht und du ihm... gefallen wolltest?"

"Das war doch bloß Spaß", dachte ich mir aus. "Wir... wir waren betrunken und alle haben gemeint, wir würden uns nicht trauen und die Mädchen wollten das gerne sehen... und so."

"Hältst du mich für bescheuert? Als ob gerade du einen Kerl küssen würdest, weil dich jemand dazu auffordert. Sag schon, bist du auf einmal schwul und verknallt in meinen Traummann?"

"Natürlich nicht. Es war wirklich so, wie ich gesagt hab. Ich stehe auf Frauen." Und damit auch nicht der kleinste Verdacht in ihr zurückblieb, erzählte ich Madita von dem Abend mit Armin, Diana und Jessika. Logischerweise schmückte ich das Ganze ein bisschen aus und versicherte ihr, wie geil es gewesen war.

Madita verzog erwartungsgemäß das Gesicht. "Erspar mir die Details eurer Orgie, mir ist schon schlecht."

Na ja, wenigstens hielt sie mich nicht mehr für schwul. Während ich innerlich aufatmete, klickte sie beiläufig das nächste Video an. Chili erkannte ich sofort, konnte jedoch nur ahnen, wer da grad reichlich hingebungsvoll an seinem Hals nuckelte. Beziehungsweise war es klar, weil Chili mir Lens Knutschfleck gebeichtet hatte. Geschockt war ich trotzdem. Und eifersüchtig, was ich mir nicht anmerken lassen durfte.

"Siehst du... der lässt sich von jedem küssen. Einfach so, weil's lustig ist."

"Lustig würde ich das nicht nennen. Eher... heiß. Süß und sexy."

Sie wollte mich testen. Ganz sicher. "Wenn man schwul gut findet, schon. Mich macht das nicht an."

"Und als du Chili geküsst hast... hat dich das angemacht?"

"Total", lachte ich übertrieben laut.

"Küsst er gut?"

"Keine Ahnung. Wenigstens hat er nicht gesabbert."

"Wenn Armin das sieht, bist du Geschichte."

"Ich glaube kaum, dass er sich im Internet knutschende Jungs ankuckt."

"Es sei denn, er bekäme einen Hinweis", entgegnete sie.

Mir wurde schlecht. "Du willst es ihm doch nicht sagen, oder?"

"Dazu müsste ich mit dem Mistvieh reden, was ich nicht tue, weil ich das Mistvieh hasse. Außerdem haue ich meinen Bruder nicht in die Pfanne… auch wenn ich deine Freundschaft zu ihm verabscheue. Wo wir gerade von Freundschaft reden… seit wann verbringst du deine Wochenenden mit Straßenkötern?"

"Es war bloß ein Wochenende. Und es wird sich nicht wiederholen, weil der Abend reine Zeitverschwendung war. Na ja, bis auf die Mädels… die waren echt scharf."

Ich verließ ihr Zimmer, setzte mich an meinen Computer und schaute mir ein wenig beim Knutschen zu. Es war eigenartig, sah allerdings eindeutig besser aus als Lens stümperhaftes Rumgelutsche.


Nachdem die Valentin-knutscht-Chili-Angelegenheit mit meiner Schwester geklärt war, hatte ich mich eigentlich auf etwas Entspannung eingestellt. Ein schwerer Fehler! Erst hatte mich Chili letzten Samstag versetzt, dann begann Armin plötzlich, Vermutungen anzustellen... über die tatsächlichen Beweggründe des Arschfickers. Er war auf einmal wahnsinnig überzeugt, dass Chili sich deshalb an Madita ranschmiss, um in meiner Nähe sein zu können, weil er sich in mich verknallt hatte. Hin und wieder hatte Armin etwas in der Richtung gefaselt, aber jetzt wurde es zur fixen Idee. Er wollte sich gar nicht mehr beruhigen, es war unglaublich. Zum Glück kam er nicht auf den Gedanken, dass ich Chili auch toll fand. Ich hätte augenblicklich mein Testament machen können und achtete panisch darauf, besonders fies über ihn herzuziehen, damit nicht vielleicht doch noch die Wahrheit ans Licht kam. Natürlich fühlte ich mich schlecht dabei, aber schließlich wusste ich ja, dass alles Gemeine, was ich über Chili sagte, gelogen war.

Nach Englisch packte ich meine Sachen zusammen, um mich auf den Weg zum Bioraum zu machen. Ich hatte getrödelt, alle anderen waren schon weg. Auf dem Flur lehnte Chili an der Wand. Anscheinend hatte er auf mich gewartet. Wie gewohnt wollte ich ohne ein Wort an ihm vorbei, doch er hielt mich fest.

"Bist du bescheuert?", zischte ich und sah mich nach allen Seiten um.

"Ich muss mit dir reden."

"Nicht hier."

"Hier," nickte Chili, "jetzt."

"Dann beeil dich. Und fang vielleicht damit an, wo du Samstag gewesen bist. Ich hab die halbe Nacht auf dich gewartet."

"Ich dachte, du hättest eventuell was anderes vor. Eine kleine Orgie mit deinem Freund Achim, oder so."

"Armin. Wovon redest du überhaupt?", fragte ich, obwohl mir eine Idee kam.

"Solltest vor deiner Schwester weniger mit deinen Fickdates angeben, mh?"

Volltreffer. Alte Tratschtante! "Das muss ich aber leider, weil deine beknackten Freundinnen Knutschvideos ins Internet stellen. Sind wohl nicht ganz dicht."

"Das ist nicht das Thema."

"Ich muss zum Unterricht", erklärte ich.

"Hiergeblieben", rief er und drückte mich gegen die Wand. "Du kannst nicht mich haben und gleichzeitig irgendwelche Weiber aufreißen, okay? So läuft das nicht."

Ich hatte absolut keine Lust, auf eine derartige Diskussion, wo jederzeit jemand auftauchen konnte. "Wir sind nicht verheiratet und ich hab dir nie etwas versprochen."

"Aber du hast zugelassen, dass ich mich in dich verliebe, Valentin. Und du bist doch..."

"Störe ich das neue Traumpaar? Ihr seht richtig süß zusammen aus, echt niedlich."

Verfluchte Scheiße!! Armin grinste dämlich. Woher war der denn auf einmal aufgetaucht?

"Na los, Valentinchen, willst du ihm nicht sagen, dass du ihn auch liebst?"

Es gab nur einen Ausweg. Ich schubste Chili aggressiv weg. "Lass deine schwulen Griffel von mir, du Arschficker."

Chilis Augen verengten sich. "Kein Problem."

"Ich hab dir schon mal gesagt... du bist das Problem, Freak", mischte sich Armin ein.

"Wer redet denn mit dir, Schwein?", fragte Chili böse lächelnd.

"Schwul meinen Kumpel nicht an, sonst reiß ich dir den Arsch auf."

"Wieso? Hättest du's lieber ich würde dich anschwulen, Herzchen?"

Au je, das nahm bestimmt kein gutes Ende. Inzwischen waren ein paar Schüler gekommen, die uns sensationsgeil belauerten.

"Ich mach dich alle", behauptete Armin mit hochrotem Kopf und wollte Chili wahrscheinlich an die Gurgel, ihn schlagen oder sowas. Chili hatte aber anscheinend mehr Erfahrung, was Prügeleien betraf. Er griff nach Armins Handgelenk, verdrehte ihm den Arm hinterm Rücken und drückte sein Gesicht gegen die Wand.

"Versuch's erst gar nicht. Gegen mich hast du keine Chance. Jetzt schnapp dir deinen Freund und verpiss dich, bevor ich anfange, dir weh zu tun."

Armin schnaufte wütend. Und natürlich konnte er diese Bloßstellung nicht auf sich sitzen lassen. Er bediente sich, wie immer, wenn ihm jemand überlegen war, einer Hinterhältigkeit. Als Chili an ihm vorbei wollte, stellte er ihm ein Bein. Chili stolperte, schlug der Länge nach hin und war somit die Lachnummer des heutigen Tages. Ich konnte gar nicht hinsehen, so peinlich war das. Wenn ich nicht so ein Feigling gewesen wäre, hätte ich Armin in die Eier getreten und meinem Süßen aufgeholfen.

"Lern erstmal geradeaus zu laufen, bevor du mit mir sprichst", lachte Armin.

Weil mich die Situation überforderte, lachte ich mit. Und hätte mir selber in die Fresse schlagen können.

Chili rappelte sich hoch, spuckte vor uns auf den Boden und ging.


"Also, Rosenberg, wie sieht's aus? Ziehen wir am Wochenende mal wieder los?"

Armin lümmelte sich in den riesigen Ledersessel, der eigentlich seinem Vater gehörte, weil er ja schließlich in seinem Arbeitszimmer, hinter seinem Schreibtisch stand. Allerdings war Armins Erzeuger fast nie daheim, sondern düste geschäftlich in der Welt herum, weswegen Armin gern so tat, als sei er der Herr im Haus.

"Nee", sagte ich. "Hab momentan keinen Bock auf Weiber flachlegen."

"Wegen Zoe?", mutmaßte er. "Oder hat dir der Freak vielleicht doch den Kopf verdreht?"

Armin lachte blöde, weil er dachte, er hätte einen tollen Witz gemacht. Mir war jedoch seit zwei Wochen das Lachen gründlich vergangen. Vor zwei Wochen war noch alles in Ordnung gewesen. Obwohl "in Ordnung" ein bisschen zu positiv ausgedrückt war.

"Du wirst langweilig", seufzte Armin. "Wenn das so weiter geht, werde ich mir einen neuen besten Kumpel suchen müssen."

"Tu, was du nicht lassen kannst."

"Und deine miese Laune geht mir auf den Sack. Ich kann sowas nicht um mich haben, das zieht mich runter, echt."

"Okay, ich verschwinde", erklärte ich und stand auf.

"Oh, hab ich deine zarten Gefühle verletzt?"

"Vergiss es, Drecksack."

"Wir sehen uns, Rosenberg."

"Wird sich wohl kaum vermeiden lassen", murmelte ich.

Zuhause verkroch ich mich sofort in mein Zimmer, denn ich wollte auf gar keinen Fall meiner Schwester über den Weg laufen. Madita war nämlich stinksauer auf mich. Wegen der Sache vor zwei Wochen... als Armin Chili ein Bein gestellt hatte. Sie war zwar nicht dabei gewesen, aber sowas machte in der Schule natürlich die Runde. Jetzt sprach niemand mehr darüber, weil längst eine andere Geschichte, ein anderes Gerücht, ein anderer Skandal aktuell war. Leider konnte ich nicht so schnell vergessen, weil mich Chilis Gips am Arm täglich daran erinnerte. Er hatte einen Bänderriss in der Hand, was Madita mir erzählt hatte, weil ich mich nicht traute, selber mit ihm zu reden. Erstens hatte ich furchtbare Panik, dass Armin doch noch die Wahrheit raus fand, und zweitens hatte ich ein schlechtes Gewissen. Irgendwie war alles meine Schuld und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich mich Chili gegenüber verhalten sollte. Der wollte bestimmt eh nichts mehr mit mir zu tun haben. In der Schule ignorierte er mich jedenfalls total. Vorher hatte er mich wenigstens ab und zu noch heimlich angegrinst. Na ja, sicher war es besser so. Unsere Beziehung hätte sowieso keine Zukunft gehabt. Deshalb machte ich mir lieber Gedanken, wie ich endlich bei Zoe landen konnte. Immerhin war ich lange vor Chili in sie verliebt gewesen... dieses Gefühl musste noch irgendwo in mir drin sein. Ich verabredete mich mit ihr für den Abend.

Zuerst gingen wir ins Kino, romantischer Liebesfilm, logisch. Danach wollte sie eigentlich nach Hause, aber ich überredete sie, noch mit zu mir zu kommen. Hübsch sah sie aus in ihrem Edelkleidchen. Wie Germany's next Topmodel... nur schöner und nicht so schrecklich abgemagert. Ich stand überhaupt nicht auf dürre Klappergestelle. Zoe war weich und weiblich. Trotzdem, so richtig scharf machte sie mich nicht. Wahrscheinlich musste ich mich nach meinem Ausflug in die Homosexualität erst mal wieder umorientieren.

Wir tranken Apfelschorle, unterhielten uns eine Weile über nichts Bestimmtes und schließlich bestellte ich ihr ein Taxi. Der Abschiedskuss, den sie mir auf den Mund hauchte, war süß, allerdings nicht mal ansatzweise so aufregend wie Chilis Lippen. Vielleicht war Zoe der falsche Weg, um wieder normal zu werden. Möglicherweise brauchte ich dafür eher ein Mädchen, mit dem ich Sex haben konnte.

Eine halbe Stunde nachdem Zoe weg war, klingelte es an der Tür. Da meine Eltern auf einer Party waren und Madita bei Toni übernachtete, musste ich selbst runtergehen und öffnen.

Ah, wie passend. Es war Chili. Heute schien wohl mein Glückstag zu sein.

"Ist Dita da?"

"Nee."

"Fuck."

Er hielt seinen Gipsarm vor der Brust und stützte ihn mit der gesunden Hand, als wäre er eine kleine Kostbarkeit, oder etwas Zerbrechliches, das es zu beschützen galt. Meine Güte, man konnte auch übertreiben.

"Ich wollte eigentlich bei Len pennen, aber der hat grad Besuch und... na ja, da dachte ich, dass ich bei Dita...", erklärte er.

"Wieso schläfst du nicht bei dir?"

Chili zuckte die Schultern.

"Oder in deinem Partyhaus-Fickzimmer."

"Ist mir zu laut."

"Aha. Und jetzt?"

"Keine Ahnung. Ich find schon was", antwortete er und nestelte unkomfortabel an seiner Gipsflosse.

So eine Kacke! "Komm rein, kannst hier schlafen."

"Echt? Ist das okay?"

"Ja, verdammt."

Ich überlegte kurz, ihn in eines der Gästezimmer zu schicken, entschied mich jedoch dagegen, weil ich keinen Schimmer hatte, wo unsere Haushälterin die Bettwäsche lagerte. Außerdem würde ich mich ganz bestimmt nicht hinstellen und für Chili ein Bett beziehen.

Umständlich entschnürte er seine hohen Doc's, krabbelte auf die Matratze und griff nach dem Glas Apfelschorle, das ich ihm reichte.

"Das schmeckt beschissen", grinste er. "Ich hasse Apfelschorle."

"Willst du was anderes?"

"Nee, ich bin schon froh, dass ich hier sein darf."

Ein bisschen schlecht gelaunt setzte ich mich neben ihn. "Na, wieso solltest du auch nicht hier sein dürfen?"

"Weil ich ein Arschficker bin, der seine schwulen Griffel nicht von dir lassen konnte. Und ich will gar nicht wissen, was du Armin sonst noch alles erzählt hast, damit er nicht auf komische Gedanken kommt."

Au je! "Ich hab das nicht so gemeint, das weißt du ganz genau. Was hätte ich denn machen sollen?"

Er sah mich überrascht an. "Ich bin nicht sauer auf dich, Valentin. Jedenfalls nicht deswegen."

Jetzt war ich überrascht. "Sondern?"

"Darauf könntest du bequem selber kommen, finde ich."

"An deiner Stelle würde ich mir in die Fresse schlagen", murmelte ich.

"Eine kaputte Hand reicht mir."

"Wie... ähem... wie lange musst du denn noch...", ich deutete auf die Gipsschiene.

"Vier bis sechs Wochen. Kommt drauf an, was das Röntgenbild sagt."

"So lange?"

"Na ja, das ist irgendein superwichtiges Band, das gerissen ist… und ohne Operation hätte ich meine Hand wegschmeißen können."

"Hast du Schmerzen?"

"Mein angeknackster Stolz tut mehr weh. Wenn das bei einer gescheiten Schlägerei passiert wäre, aber so... echt peinlich. Len hat sich fast totgelacht."

"Wusste ich doch, dass der Typ ein Penner ist."

"Du hast auch gelacht", bemerkte er.

"Aber nicht, um mich über dich lustig zu machen."

"Nee, um deinen Arsch zu retten."

"Es tut mir wirklich leid, Chili", sagte ich aufrichtig. "Nicht nur das mit deiner Hand", fügte ich leise hinzu.

"Was denn noch?"

"Alles eben."

"Dass du total eifersüchtig warst, obwohl ich vor dir was mit Len hatte, und du mit irgendwelchen Weibern gevögelt hast, obwohl du schon was mit mir hattest?", schlug er vor.

"Genau."

"Dass du dich zwei verfickte Wochen nicht bei mir gemeldet hast?"

Ich nickte.

"Lass uns ins Bett gehen."

Ein Blitz jagte durch meinen Körper, als er das sagte. Ins Bett gehen... oh, Mann, wie gerne wollte ich das mit ihm. Die Erregung, die bei Zoe fehlte, war plötzlich da. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ich wollte Chili so sehr, es war ekelhaft. Wie sollte ich das denn aushalten, wenn er neben mir lag? Und hatte ich nicht eben noch vor gehabt, wieder normal zu werden?! Das lief ja hervorragend.

Chili stand auf und kämpfte mit seinem Shirt.

"Brauchst du Hilfe?", hörte ich mich fragen und trat mir gedanklich kräftig in den Hintern. Super, Rosenberg, um von den Homogelüsten wegzukommen, ist es total günstig, einen hübschen Kerl auszuziehen... überlegte ich. Leck mich! Angeboten ist angeboten. Darüber hinaus wirkte Chili tatsächlich mitleiderregend überfordert, wie er einhändig an sich herumfummelte. Vorsichtig befreite ich ihn von dem Stück Stoff. Seine Nippel waren hart. Bloß nicht drüber nachdenken, und erst recht nicht zu lange hinstarren... mahnte die Stimme in meinem Kopf.

"Die Gürtel auch?"

Ich hatte den Verstand verloren. Was grinste der eigentlich so blöde, während ich mich daran zu schaffen machte? Der breite Silbergürtel fiel zu Boden. Der zweite zickte ein wenig. Die Schnalle hatte sich irgendwie nach hinten gedreht, weshalb ich meine Arme um Chilis Hüften schlängeln musste. Gott, war das auf einmal heiß hier. Ich konnte praktisch fühlen, wie sich auf meiner Stirn Schweißperlen bildeten. Und der kleine Freak grinste immer noch, weil er vermutlich genau wusste, dass ich grad fast kaputt ging.

"Valentin", flüsterte er.

"Hm?"

"Machst du mir bitte die Hose auf?"

"Kannst du das nicht selber?"

"Das würdest du nicht fragen, wenn du nur eine Hand zur Verfügung hättest."

Zittrig öffnete ich den Knopf seiner Jeans. "Wie hast du dich denn angezogen?"

"Valentin..."

Meine Hände streichelten seine Haut und bevor er noch etwas sagen konnte, küsste ich ihn.

Chili seufzte leise und presste seinen Körper aufreizend gegen meinen. Ungeschickt stolperten wir ins Bett, knutschten und fummelten und rieben uns aneinander. Dass dabei seine Gipsflosse ständig im Weg war, spielte keine große Rolle. Chili brachte mich selbst mit einer Hand noch an den Rand des Wahnsinns.

"Fick mich", wisperte er plötzlich.

"Was?", fragte ich irritiert.

"Na ja, wie soll ich denn... das ist mir zu anstrengend", erwiderte er fast entschuldigend.

"Außerdem möchtest du doch gerne, oder?"

"Ich denke, du lässt dich nicht von Kerlen ficken."

"Nee, von Kerlen nicht", lächelte er, "von meinem Freund schon."

Ich glaubte nicht, dass ich es wert war, sein Freund zu sein. Ein Freund verhielt sich nicht so scheiße, wie ich es getan hatte. Auf keinen Fall. Chili war viel zu gut für mich. Ich verdiente ihn überhaupt nicht.

"Ist okay, Valentin." Seine Finger strichen mir sanft Ponysträhnen aus dem Gesicht. "Ich will das auch."

Es dauerte eine Weile, bis er eine angenehme Lage gefunden hatte. Sein Arm schmerzte wohl doch ziemlich, auch wenn er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Vielleicht hätte ich ihm besser vorschlagen sollen, das Ganze zu verschieben. Mein Körper war anderer Meinung. Trotzdem war ich sehr vorsichtig und in erster Linie daran interessiert, dass es Chili gefiel, was einerseits total schwierig war, weil es sich so unglaublich gut anfühlte, und andererseits eigenartig. Ich war eigentlich nicht jemand, der beim Sex viel an andere dachte. Hauptsache, ich hatte meinen Spaß und meine Befriedigung. Diese Erkenntnis verursachte mir Übelkeit.

Ich war auf dem allerbesten Weg, ein zweiter Armin zu werden. Aber wie Armin zu sein, war nicht erstrebenswert, im Gegenteil, das war fürs Klo.

"Oh Gott," stöhnte Chili, "geh runter von mir."

Wie bitte?!

"Ich muss mich umdrehen und...", er wurschtelte sich unter mir auf den Rücken

und lächelte, "wow, das ist besser. Scheiß Arm."

"Tut mir Leid, hab ich dir wehgetan?"

"Nein und hör auf, dich andauernd zu entschuldigen."

"Du bist irgendwie ekelhaft", bemerkte ich.

"Hä?"

"Wie kannst du so süß zu mir sein? Ich bin ein Feigling. Ein beschissener Heuchler. Ein..."

"Ich verstehe dich", unterbrach er mich, "das ist alles. Dir steht das Wasser bis zum Hals, weil du mit mir zusammen sein willst und es keinem deiner angeblichen Freunde sagen kannst. Deinen Eltern sehr wahrscheinlich auch nicht. Ehrlich, ich bin froh, dass ich nicht in deiner Haut stecke."

"Ich hab keine Ahnung, wie das alles weitergehen soll. Ich meine... das mit uns."

"Na ja, wir werden uns weiterhin heimlich treffen und Sex haben. Das wird eine Zeit lang gut laufen, dann werden wir anfangen, uns nach dem Sex ein bisschen zu streiten, weil diese Heimlichtuerei total an den Nerven zerrt, und irgendwann werden wir uns nur noch streiten.

Vielleicht gibt's einen Abschiedsfick, den verzweifelten Versuch, irgendwas zu retten, obwohl wir beide wissen, dass es aus ist. Auf jeden Fall wird es ätzend und schmerzhaft und bestimmt werden wir uns hassen, wenn es endlich vorbei ist."

Oh, Mann... was für tolle Aussichten. "Wozu sollten wir uns das Ganze antun? Du scheinst immerhin genau zu wissen, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt ist."

"Ich will aber so lange wie möglich mit dir zusammen sein."

Ich wollte auch mit ihm zusammen sein... so lange es niemand erfuhr.

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