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Juli

Teil 5

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Vorwort

Hey...hallo! Viele von euch wollten, dass es weitergeht also ist das Folgende ganz allein eure Schuld ;) Von Beschimpfungen und/oder Morddrohungen bitte ich abzusehen. Möchte heute ganz besonders das Schlafmonster knuddeln, das neben diversen anderen Gestalten eine prima Inspiration für diese Geschichte war. Let's go!

 

»Hi Knallkopp.«

Äh, mit Caro hab ich jetzt irgendwie überhaupt nicht gerechnet. Ich wollte doch gerade meinen Freund anrufen, der vor zwei Tagen nach Berlin zurückgefahren ist und den ich natürlich schon wieder heftig vermisse.

»Hallo?« sage ich gedehnt.

»Juli, wir müssen reden«, beginnt sie ernst und setzt sich neben mich aufs Bett. »Ich will wieder wissen, was in dir vorgeht also...was geht in dir vor?«

»Äh...so spontan fällt mir gar nichts dazu ein, muss ich sagen.«

»Pass auf, ich weiß, dass ich mich ziemlich arschig verhalten habe. Das tut mir leid. Auch, dass ich Bekannte habe, obwohl wir die niemals wollten. Du musst die nicht mögen und auch nicht mit mir und denen ausgehen. Aber du musst mich wieder lieb haben und mir eine Chance geben.«

»Caro«, lächle ich, »es ist doch schon längst alles wieder in Ordnung.«

»Echt?«

»Klar.«

»Chris hat irgendeine Schlampe gevögelt.«

»Deshalb bist du hier? Um dich auszuheulen?« schnaufe ich empört.

»Sicher. Denkst du, ich würde mich ernsthaft bei dir entschuldigen?« grinst sie, wird danach jedoch sofort traurig und wütend. »Der blöde Ficker...hat noch gemeint, sie hätte ihn eben so schrecklich angemacht. Übrigens wohl auch nicht das erste Mal. Mann, ich hätte ihn nach diesem beknackten Festival schon abschießen sollen. Der hat sich da benommen wie ein Steinzeitmensch.«

»Au je, das tut mir echt leid, Caro. Soll ich ihm in die Fresse hauen?«

»Das würdest du tun?«

»Logisch«, antworte ich.

»Danke, vielleicht komme ich drauf zurück. Hast du eigentlich heute noch was vor?«

»Äh, naja, ich wollte Nils anrufen. Sonst nichts.«

Sie kramt angestrengt in ihrer Tasche. »Ich hab Buffy auf DVD mitgebracht«, erklärt sie mit unwiderstehlichem Dackelblick.

»Also willst du hier schlafen?«

»Wenn ich darf...«

»Okay...mach uns schonmal 'ne Pizza, ich telefoniere kurz mit Nils, ja?«

Caro lächelt glücklich und küsst mich kurz auf den Mund. »Ich liebe dich, Knallkopp.«

»Warum eigentlich?«

»Hä?«

»Wieso liebst du mich?«

Sie blinzelt kritisch. »Sag mal...fragst du deinen Freund etwa auch so dämliche Sachen?«

»Mh...manchmal.«

»Au weia«, seufzt sie und verschwindet kopfschüttelnd in die Küche.

Ich wähle eilig Nils' Nummer.

»Hey Sie.«

»Woher weisst du, dass ich es bin?«

»Keine Ahnung. Telepathie?«

»Lieben Sie mich noch?«

Er scheint zu überlegen, denn er sagt einige Sekunden nichts. Mir bleibt mal eben das Herz stehen. Wieso stelle ich aber auch so eine bescheuerte Frage?

»Außerordentlich«, antwortet er endlich.

»Und warum hat das so lange gedauert?«

»Na, weil ich erst überlegen musste.«

»Haha.«

»Was sind Sie eigentlich so gut gelaunt? Sowas kennt man ja gar nicht von Ihnen.«

»Mh, ich hab keine Ahnung. Caro hat sich von ihrem Freund getrennt.«

»DAS macht dich fröhlich?«

»Nein, Blödmann. Nur die Tatsache, dass sie zu mir kommt und wir uns immer noch oder aber auch wieder gern haben. Außerdem freue ich mich wahnsinnig auf dich. Es bleibt doch dabei?«

»Ja«, seufzt er, »in zwei Wochen.«

»Sie, ich muss Schluss machen. Caro und ich essen jetzt Pizza und kucken Buffy.«

»Okay...viel Spaß, Niffnasentier. Ich liebe Sie. Schöne Grüße an Caro.«

»Mach ich. Schlafen Sie.«

Also, mal ganz ehrlich...ich finde die Staffel mit der Initiative und diesem zusammen geschusterten Adam-Monster am Besten. Da ist Spike einfach super cool und lustig. Caro ist inzwischen zufrieden, weil vollgefressen, in meinem Arm eingeschlafen und...macht laute Schmatzgeräusche. Irgendwie hab ich das vermisst, trotzdem stupse ich sie an.

»Was denn?« murmelt sie verpennt.

»Hör auf zu schmatzen oder geh nach Hause.«

»Ok«, nuschelt sie und ist sofort wieder eingeschlafen.


Am nächsten Morgen gibt's Frühstück im Bett. Schokobrötchen und Kakao. Caro frisst, als hätte sie tagelang nichts bekommen. Ich liebe es, wenn Leute SO essen können. Ehrlich. Kalorienzähler halte ich nicht aus.

»Übrigens«, kaut sie, »kannst du mir einen Gefallen tun? Wenn ich mich nochmal in einen Typen verliebe und schwachsinnig werde...schlag mir bitte den Schädel ein, ja?«

»Mach ich.«

»Ich meine es ernst, Juli. Ich hab mich verhalten wie eine Deppenkönigin. Ich bin verdammt nochmal auf ein Festival gefahren...ein FESTIVAL«, sie schüttelt sich, »ich kann's kaum glauben. Außerdem hätte ich beinahe meinen einzigen wirklichen Freund verloren. Das will ich niemals wieder erleben.«

»Caro...es ist wirklich alles ok.«

»Na und? Ich hab trotzdem ein schlechtes Gewissen. Mann und dann auch noch die Sache mit meinem Bruder.«

»Hast du jetzt doch ein Problem damit?«

»Hast du den Blödsinn?« fragt sie entgeistert. »Du bist mit Nils zusammen und ich liebe dich. Wieso sollte ich ein Problem mit Cassi und Zecke haben? Ist doch toll, dass mein Bruder sich so einen Schnuckel ausgesucht hat. Wenigstens einer in der Familie ist glücklich.« »Chris ist also tatsächlich erledigt?«

Sofort wird ihr Gesicht total finster. »Der soll vögeln, wen er will...mich jedenfalls nicht mehr. Arschgeige. Fickfrosch. Und du? Hast Sehnsucht nach deinem Süßen, mh?« Oh ja...und wie!! »Naja«, antworte ich ausweichend, »es ist irgendwie auszuhalten. In zwei Wochen bin ich ja wieder bei ihm.«

Scheiße, vierzehn Tage können verflucht lang sein...auch wenn's heute nur noch dreizehn sind.

»Ich bin sehr stolz auf dich, Juli. Scheinst langsam erwachsen zu werden.«

HAHAHAHA! Im Leben nicht!

»Wollen wir morgen ausgehen?«

»Nein«, antworte ich bestimmt, »so erwachsen fühle ich mich dann doch noch nicht.«

»Okay, hatte eh nichts anderes von dir erwartet.«


Caro ist natürlich unterwegs. Schließlich muss sie sich ja einen neuen Kerl angeln. Ich muss Nils total vermissen und finde, geteiltes Leid ist halbes Leid...also besuche ich Cassi und bin wirklich erstaunt, ihn nicht mit rot verheulten Augen vorzufinden. Immerhin ist sein »Schatz« ebenfalls weit weg.

»Hi Juli«, begrüßt er mich fröhlich.

»Hallo«, murmle ich unglücklich.

»Irgendwas nicht in Ordnung?«

Ich lasse mich aufs Bett fallen. »Das Übliche...«

»Oh, verstehe.«

»Vermisst du Zecke nicht?« frage ich leicht angeekelt.

»Doch...irgendwie schon.«

Hä? Was ist das denn für eine bekloppte Antwort? Scheiße, ich dachte, wir könnten ein bisschen zusammen heulen.

»Aber?« frage ich noch eine Spur angewiderter.

»Ich habe einfach keine Lust, in Tränen auszubrechen. Ich freue mich lieber darauf, ihn wiederzusehen.«

Sowas wollte mir seine Schwester doch auch schon einreden.

»Wir haben lange geredet und abgemacht, dass es eben keine Heulerei gibt.«

»Wie kann man denn sowas abmachen?«

Er zuckt die Schultern. »Die Welt hört sich nicht auf zu drehen, nur weil Zecke draufsitzt.« Noch so'n Caro-Spruch und ich kotze sein Zimmer randvoll.

»Und du machst dir keine Gedanken, was er ohne dich so treiben könnte?«

»Wir haben uns nichts verboten, können tun und lassen, was wir wollen.«

»Klingt ziemlich bescheuert.«

Cassi fängt an zu kichern. »Ich hab Zecke gut kennengelernt...wenn ich ewige Treue von ihm verlangt hätte, würde er vermutlich jetzt gerade mit irgendwem im Bett liegen. Er braucht das Gefühl von Freiheit, also gebe ich es ihm und...bums...schon hab ich ihn am Haken. Ich weiß, dass er mir treu bleibt, so lange ich es nicht ausdrücklich von ihm verlange.«

Solche Spielchen gehen mir extrem auf den Sack. Ich meine, das ist doch Kacke. Irgendwas sagen und das Gegenteil zu erwarten...was soll das? Aber, naja, wenn die zwei das brauchen. Mir doch Milch. Übrigens bin ich der Meinung, dass sowas nie lange gut geht.

»Ich vermisse ihn natürlich ganz schön«, faselt er weiter, »es ist nur eine Frage, wie man damit umgeht. Was bringt es, wenn ich flenne und flenne? Dadurch sehe ich ihn auch nicht eher.«

Beneidenswert. Der kleine Cassi ist sehr viel weiter als ich. Scheiße, vielleicht bin ich in meiner Entwicklung irgendwo stehengeblieben?! Ich finde, es macht ziemlich Sinn, was er sagt.

»Weißt du, Juli...wenn ich dir das sagen darf...ich glaube, du solltest deine Beziehung zu Nils weniger verbissen sehen.«

Oh...okay, DADDY!! Hallo? Wieso erzählt mir ein verdammtes vierzehnjähriges Balg, wie ich zu leben habe?? »Ach tatsächlich?«

»Ja, du klammerst viel zu sehr...das hält auf die Dauer niemand aus und dann hast du das, was du befürchtest. Nils ist genervt, fühlt sich eingeengt und wird versuchen, sich zu befreien. Das ist wie mit Caro. Du warst so auf sie fixiert und bist zusammengebrochen, als sie plötzlich auch noch andere Freunde hatte.«

So, jetzt lehn dich aber mal nicht ZU weit aus dem Fenster, mein Freund!!

»Du solltest mehr deinen eigenen Kram machen. Du, Juli, solltest bei dir an erster Stelle stehen. Nicht Nils oder Caro.«

Altkluger kleiner Scheißer! Muss ich mir das jetzt geben? Nein.

»Danke«, antworte ich und stehe auf, » ich werde darüber mal in aller Ruhe nachdenken. Gott, wie weise du bist. Ich wünschte, ich hätte deine Lebenserfahrung.«

»Na toll«, schmollt Cassi, »jetzt bist du sauer, weil ich dir meine Meinung gesagt habe. Nur, weil ich zwei Jahre jünger bin als du, heißt das nicht, dass ich von nichts eine Ahnung habe.«

»Ich bin nicht sauer«, entgegne ich, »und wenn doch, dann auf mich, weil ich noch nicht deinen Weitblick habe. Mach's gut, KLEINER.«

Als ich nach Hause komme, klingelt das Telefon.

»Na, Sie kleine süße Maus...«

Mh, wir sind anscheinend gerade in der Reden-wir-uns-doch-mit-total-schwachsinnigen- Koseworten-an Phase. Ich bin begeistert.

»Hey, Zimtsternchen.« Leider bin ich alles andere als originell und kann nur an Essen denken.

»Wo waren Sie? Hab schon dreimal angerufen.«

»Bei Cassi«, erkläre ich finster. »Sag mal...engt dich mein fürchterliches Klammern ein?«

»Mhhhh...ich liebe es, wenn Sie klammern«, schnurrt er.

»Nils, ich meine es ernst. Denkst du, ich sehe unsere Beziehung zu verbissen und sollte versuchen, auch ohne dich Spaß zu haben?«

»Kommt drauf an, welche Art von Spaß. Warum stellst du so komische Fragen? Warte...oh nein, sag bloß, Cassi hat dir den gleichen Schwachsinnsscheiß erzählt wie Zecke mir?« Er lacht sich kaputt. »Juli, vergiss das ganz schnell, ja? Die zwei sind nicht mehr ganz dicht. Die trauen sich nur nicht zuzugeben, dass sie bis zum Schwachsinn verliebt sind. Machen auf locker, weil alles andere zu gefährlich ist.«

»Aber ein bisschen hatte Cassi recht. Es bringt nichts, pausenlos zu heulen.«

»Schon möglich aber...hey...ich will leiden, wenn du nicht bei mir bist. Ich glaube, wenn man das nicht zu sehr übertreibt, ist es durchaus okay. Ich vermisse dich nunmal ganz doll... warum darf ich das nicht fühlen, oder? Ich meine, ich darf mich ja auch wohl fühlen, wenn wir zusammen sind.«

»Klingt irgendwie logisch.«

»Hey...lassen Sie sich von einem Babe, das auf toupierte Bauschköppe steht, doch nicht verunsichern. Hat Cassi vielleicht eine Ahnung, was bei uns abgeht? Wenn du mich irgendwann nicht mehr vermissen solltest, schlage ich dir den Schädel ein.«

»Der Punkt ist ja, wie man damit umgeht.«

»Hab ich doch gesagt. Ein gesundes Maß an Sehnsucht ist in Ordnung.«

Ich komme mir plötzlich total blöde vor, dass wir überhaupt über sowas sprechen müssen.

»Findest du es auch grad blödsinnig, darüber zu reden?« fragt er.

Ich nicke. Dann fällt mir ein, dass er das ja gar nicht sehen kann. »Hm-hm.«

»Okay...dann erzähl mir jetzt irgendwas Scharfes, ich würd mir gern einen runterholen.«

Mein Kopf wird so rot, wie man sich wohl einen gekochten Hummer vorstellt und ich verschlucke mich an meiner Spucke. Nils lacht...exzessiv.

»Sie sind so leicht aus der Fassung zu bringen. Das ist ganz süß...hahaha...«

»Bis bald, Blödmann.«

»Schlafen Sie...Trottel.«


Komisch...warum ist mein Leben momentan eigentlich so...unkompliziert?! Sowas kenne ich nicht und bin sofort beunruhigt. Sicher ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. Caro und ich lieben uns wieder, essen auf'm Schulhof Milchschnitten, lästern über Blödköppe und Dummtrinen. Mit Nils läuft es total super...ich vermisse ihn zwar, kann das aber aushalten. Die Frau hatte keine erwähnenswerte Aussetzer in den letzten Tagen, der Mann hat mein Taschengeld erhöht und ich fahre in einigen Tagen nach Berlin. Hallo? Befinde ich mich im Wunderland?? Bloß nicht darüber nachdenken, sondern einfach nur genießen, dass es mir gut geht, oder?! Oh...und natürlich Nils anrufen.

Es tutet, es klickt und...Paul ist dran.

»Dein Sonnenschein ist nicht da.«

Äh...wie bitte? Wir telefonieren IMMER um diese Zeit. »Wo ist er denn?« frage ich und merke, wie sich meine Innereien verkrampfen.

»Kino«, antwortet Paul knapp.

»Aha. Mit Lotte, ja?«

»Ähem...nee, glaub nich. Ich sag ihm, dass du angerufen hast. Bis dann.«

Mir fällt die Kinnlade auf die Schuhe. Was zur Hölle war DAS denn? Und wieso geht Nils ins Kino anstatt auf meinen Anruf zu warten? Soll ich mir jetzt blöde Gedanken machen? Nein, beschließe ich und versuche mich irgendwie abzulenken. Das ist jedoch nur bedingt möglich, weil ich mir natürlich Nils-Fotos ankucke und mir doch Gedanken mache. ICH hab noch nie unser abendliches Telefonat verpasst. Wenn er jetzt krank wär oder sonst was Schlimmes passiert wäre aber Kino ist keine Entschuldigung, finde ich. Hätte er mir doch vorher sagen können, oder?

Kurz bevor ich schlafen gehe klingelt endlich das verfluchte Telefon.

»Hey, Niffnase.«

»Hallo.«

»Tut mir leid, is'n bisschen später geworden, ich war noch...«

»Im Kino«, unterbreche ich ihn. »Darf ich fragen, mit wem?«

»Darfst du. Mit Sebastian.«

»Müsste ich den kennen?«

»Nee. Lotte hat den letztens einfach in'ner U-Bahn angequatscht, weil sie ihn niedlich fand. Und er hat erzählt, dass er unseren Auftritt toll fand und naja...wir treffen uns ab und zu.«

»Wie schön für euch«, sage ich säuerlich.

»Hören Sie sofort auf damit.«

»Keine Ahnung, was du meinst.«

»Hören Sie auf, eifersüchtig zu sein. Sebastian hat eine Freundin, ist überhaupt nicht mein Typ und außerdem liebe ich Sie bis zum Schwachsinn. Ich kann es kaum erwarten, dass du mich besuchst und über mich herfällst. Ich vermisse dich echt ganz doll, Juli.«

Mir wird heiß und kalt. Alles hab ich ihm soeben verziehen! »Ich vermisse dich auch.«

»Sobald du aus dem Zug gestiegen bist, das schwöre ich dir, werde ich dich tausend Stunden küssen.«

Mhhhh...das gefällt mir! Will ihn auch küssen. Meine Nase in sein Haar vergraben und seinen weichen Nacken streicheln. Ich vermisse das alles grad so sehr, dass ich Probleme beim atmen habe und ein wenig japsen muss.

»Ein paar Tage noch, Babe«, säuselt er.

»Ich mag jetzt bei dir sein«, jammere ich.

»Ich liebe Sie.«

»Ich Sie auch. Schlafen Sie.«


Ich halt's im Kopf nicht aus. Und ich bin NICHT eifersüchtig aber...mann, bei jedem Anruf faselt Nils erstmal stundenlang von Sebastian. Wie lustig der ist. Dass er Buffy mag. Dass er MUSE hört. Dass er siezen lustig und süß findet. Dass er auch Musik macht. Dass er total auf unserer Wellenlänge ist. Und Nils kann es kaum erwarten, dass ich ihn kennenlerne, weil ich mich sicher supergut mit ihm verstehen werde. Wenn man meinen Freund reden hört, klingt es, als würden die echt jeden verdammten Tag zusammenhängen. Möchte mal wissen, was Lotte dazu sagt?! Ich jedenfalls sage, mir geht das etwas auf den Geist. Die gehen ins Kino, in irgendwelche Clubs, zu was weiß ich für Veranstaltungen, rennen durch Berlin...und ich hänge hier und muss mich langweilen und mir indirekt anhören, dass ich überhaupt kein Leben habe. Hier gibt's grad mal eine einzige Disko (man sagt hier natürlich nicht Club dazu), ein Café und ein Jugendzentrum. Sonst nichts.

»Dafür gibt es dich da und deshalb liebe ich deine Stadt« sagt Nils immer und ich finde das so süß, dass ich sofort dahin schmelzen will. Trotzdem...ich hasse Sebastian, wie ich alle Leute hasse, die meinen Freund sehen können, wann immer sie Lust dazu haben. Und ich hasse Leute, die Nils davon abhalten, mit mir zu telefonieren. Er hat nämlich bereits zum drittenmal meinen abendlichen Anruf »verpasst«, weil er mit Sebastian unterwegs war und die Zeit vertrödelt hat. Dummerweise entschuldigt er sich jedesmal so charmant, dass ich ihm eben einfach nicht lange böse sein kann. Ist doch okay, wenn er Freunde hat. Ich hänge schließlich auch wieder oft mit Caro zusammen. Und in ein paar Tagen spielt eh alles keine Rolle mehr, weil ich dann bei Nils bin und alles ist schön.

Nachmittags lugt Cassi durch meine Zimmertür.

»Hi, biste noch angepisst?«

»Nee, komm rein.«

Er setzt sich neben mich und strahlt. »Und schon aufgeregt, wegen Berlin?«

»Ziemlich und du?«

»Ich freu mich total auf Zecke. Schade nur, dass er hierher kommen muss. Mom denkt, ich sei noch zu klein, um allein nach Berlin zu fahren«, schnauft er genervt. »Was soll's. Hauptsache, wir sind zusammen. Übrigens ist er ganz schön sauer auf deinen Freund.«

»Wieso?« frage ich misstrauisch. »Weil er ihn nicht rangelassen hat?«

»Nee, weil der neuerdings wohl öfter mal die Probe ausfallen lässt, um mit irgendeinem Sebastian rumzuhängen.«

Mir kommt sofort die Kotze hoch. Schon wieder diese Arschgeige.

»Kennst du den eigentlich?«

»Nein, nur vom Erzählen. Scheint ein sehr netter Mensch zu sein.«

»Zecke mag ihn nicht.«

»Zecke mag nur Zecke«, entgegne ich. »Naja und wie's aussieht dich.«

»Ja«, seufzt er verklärt.

»Hattet ihr eigentlich schon Sex?« frage ich beiläufig und erwarte, dass Cassi rot wird aber... Fehlanzeige.

»Klar«, erwidert er, »jedenfalls sowas in der Art. Ich meine, es ist nicht gerade prickelnd, wenn meine Eltern im Haus rumlungern und wir immer leise sein müssen. Dabei will Zecke ständig...äh...naja.« Nun giggelt er doch ein bisschen verschämt.

Haha, wenn ich Cassi hätte, würde ich wahrscheinlich auch ständig wollen...an Zeckes Stelle. Und ich möchte mir immer noch die Schulter klopfen, weil ich die beiden zusammen gebracht habe.

»Du fährst Freitag, oder?« fragt er, worauf ich nicke. »Mh, wenn du Zecke noch sehen solltest, sag ihm, dass ich mich auf ihn freue und gib ihm einen Kuss von mir, ja?«

Ich schüttele mich angeekelt. »Muss das sein mit dem Kuss?«

Cassi kichert. »Nee, nicht unbedingt. Aber sag's ihm.«


Mein Magen rumpelt, ich bin so aufgeregt, dass ich die letzten Meter nicht mehr im Abteil sitzen kann. Stehe ungeduldig an der Tür und warte, dass sie endlich aufgeht, ich rausspringen und meinem Freund in die Arme fallen kann. Mann, der Scheißzug hat schon eine Viertelstunde Verspätung. Langsam kommt der Bahnsteig in Sicht, ich verrenke meinen Hals und...oh, mein Handy klingelt. Nils, sagt das Display.

»Hey.«

»Ähem...hi...sind Sie schon da?«

Ein riesiges Fragezeichen schwebt über meinen Schädel. »So gut wie. Bin noch im Zug und...«

»Okay, pass auf, ich bin grad...äh...keine Ahnung. Is ja auch egal. Ich komme eine halbe Stunde später.«

Das Fragezeichen verwandelt sich in eine dunkle Comicwolke, aus der ein Blitz schießt. »Wir waren vor sechzehn Minuten verabredet.«

»Ja...hab verpennt. War gestern mit Sebastian auf 'ner Party und wir sind total versumpft. Hör mal, ich muss Schluss machen, mein Akku ist fast leer. Bis gleich...wir treffen uns am Donut-Shop.«

Die Comicwolke verwandelt sich in eine Axt, mit der ich Nils' Schädel spalte. Seit wann ist der so unzuverlässig? Seit wann geht der auf Parties und versumpft, wenn am nächsten Tag sein Freund kommt, den er wochenlang nicht gesehen hat? Ich bin echt angepisst.

Donut-Shop...toll, wo soll'n der sein? Nils hat anscheinend vergessen, dass ich mich hier überhaupt nicht auskenne. Hoffentlich erinnert er sich wenigstens noch an meinen Namen. Meinen Weltreiserucksack geschultert stiefele ich los, glotze nach links und recht und...aha DUNKIN' DONUTS...wird ja wohl dann unser Treffpunkt sein. Mir bleiben noch ungefähr zwanzig Minuten, also rauche ich wie ein Irrer und blicke mich ständig um. Weiß ja nicht, aus welcher Richtung er kommt.

Ich warte und warte und warte. Jetzt ist schon ein halbe Stunde SEHR vorbei, Nils immer noch nicht da. Super! So hab ich mir unser Wiedersehen vorgestellt. Ganz genau so. Während ich überlege, ob ich ihn anrufe oder vielleicht doch auf den Schreck erstmal ein paar Donuts esse, höre ich ein lautes JUUUULI.

Nils stürmt strahlend, aber sichtlich müde, auf mich zu, wuselt durch meine Haare und küsst meine Wange. »Hey Sie!«

»Hallo«, entgegne ich eisig. Innerlich gehe ich fast kaputt, weil er so unglaublich süß aussieht. Seine Haare sind arg verstrubbelt und als er sich kurz umdreht, der Wind sein Hemd, dass er überm T-Shirt trägt aufbläht, fällt mir ein bemerkenswerter Riss in seiner Cordhose auf. Genau unterm Hintern und so groß, dass man seine Boxershorts sieht und einiges von seinem Bein.

Ich hake einen Finger in den klaffenden Stoff. »Was ist das denn?« Er giggelt verschämt. »Ey, ich hab keine Ahnung. Lass uns bloß schnell nach Hause.« »Welche Art von Parties besuchst du denn neuerdings?« frage ich während wir zur U-Bahn gehen.

»Die hat Sebastian aufgetan. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwas mit viel Alkohol getrunken habe, mir einen komischen Typen vom Hals halten musste und ich glaube, dabei ist das hier«, er deutet auf seine Hose, »passiert. Sicher bin ich mir aber nicht.« Die Fahrt über reden wir kaum. Also eigentlich gar nicht. Mir kommt das alles merkwürdig vor. Nils kommt mir merkwürdig vor. Fremd oder sowas. Keine Ahnung. Vielleicht bin ich aber auch nur noch angefressen, weil er sich verspätet hat.

»Nils...in die Küche und zwar sofort.«

Er verdreht genervt die Augen. Einen Augenblick später steht seine Mutter im Flur. »Juli...hi«, lächelt sie und umarmt mich, dann wird ihr Blick frostig. »Ich hab kurz was mit deinem Freund hier zu besprechen«, erklärt sie und zieht ihn mit sich. Au weia!

»Wenn du dich das nächstemal die ganze beschissene Nacht rumtreiben willst, dann ruf mich wenigstens an, ja?« höre ich sie zischeln.

»Tut mir leid, Mom.«

»Ich hab keine Lust, wegen dir frühzeitig graue Haare zu kriegen. In der letzten Zeit ist dir ja wohl alles egal, was? Und überhaupt...das war die letzte Nacht außer Haus, mein Freund. Und wenn ich so rücksichtslos wäre wie du, würde ich Juli sofort nach Hause schicken, als angemessene Strafe...aber er kann ja nichts für deine momentane Arschlochphase.«

»Mom...bitte nicht. Ich...«

»Halt die Klappe. Ich überleg mir noch was für dich, sobald er wieder weg ist.«

»Okay, Mom. Danke Mom.«

»Treib's nicht zu weit, Nils.«

»Sorry, M...entschuldige.«

Na das kann ja heiter werden! Leise schleiche ich in Nils' Zimmer. Einige Sekunden später schließt er die Tür und lehnt sich dagegen. »Scheiße, die ist echt sauer.« Dann kramt er seine Jeans hervor. »Ich muss erstmal duschen. Bis gleich.«

Okay, denke ich, er geht nur duschen. Alles in Ordnung. Trotzdem kämpfe ich mit den Tränen und verliere. Was zur Hölle stimmt hier nicht? Ich meine, okay, ich bin hier bei meinem Freund aber ich hab so'n Gefühl, als passe irgendwas nicht ins Bild. Ich weiß...Nils hat mich zur Begrüßung weder umarmt noch richtig geküsst. Naja, er kam von wo auch immer, hatte eine wenig erholsame Nacht und muss erst wach werden. Der Stress mit Sarah macht ihm zu schaffen. Klar, dass er nicht strahlt wie die Sonne und mich knutschen will, oder?! Nachdem der Heulanfall aufgehört hat, rauche ich eine Entspannungszigarette und zwinge mich, mir keine Gedanken mehr zu machen. Ich bin hier bei Nils, verdammt. Ich sollte glücklich sein.

Fünf Minuten später kommt er zurück und lässt sich aufs Bett fallen. »Mann, ich bin echt müde.«

Ist der ausversehen bekloppt geworden? »Schon okay«, murmle ich und versuche, mir meine Enttäuschung anmerken zu lassen. Total überflüssig, weil Nils' Augen bereits geschlossen sind und er nach eingepennt aussieht. Großartig. Ich bin da und er schläft. Wo hat der seine Manieren gelassen? Und warum ist er selbst jetzt noch so niedlich, dass ich ihm weiche Vanillehaarsträhnen aus dem Gesicht streichen muss? Ich mich neben ihn lege und ihn einfach nur mit Herzchenaugen anschaue?

Plötzlich klingelt sein Handy. Er schreckt auf, wirft einen Blick aufs Display und lächelt. »Hey Sportsfreund...haste alleine nach Hause gefunden?...Was...nee, meine Mutter hat Terror gemacht...schlepp mich bloß nicht nochmal auf so'ne Kotzparty...ich hab dir gesagt, dass ich mit jemandem verabredet bin, kann ich was dafür, dass du das nicht mitgekriegt hast?« Mir ist stark nach brechen. Ich bin also nur Jemand, mh?! Nils giggelt und lacht. Überhaupt... wie wach der auf einmal ist. Ich möchte ihn dringend ein bisschen verprügeln. »Och...armer kleiner Basti«, säuselt er, »Sei froh, dass du nicht meinen Typen hattest, sonst könntest du deine Hose jetzt wegschmeißen.« Er sieht mich kurz an. »Du, ich hab Besuch. Ich mach jetzt Schluss, okay. Ja, bis später.« Nils schaltet das Handy aus und kuschelt sich in die Decke zurück. »Hey, Sie sind so weit weg«, seufzt er, rückt näher und schmiegt sich an mich.

»Ist dir das aufgefallen?« frage ich und rutsche etwas weg von ihm.

»Bist du sauer? Oh, blöde Frage. Ich meine, erst komme ich zu spät, dann gibt's Stress mit meiner Mutter und zur Krönung penne ich auch noch ein. Tut mir leid, Juli.«

»Ich hätte vielleicht Zuhause bleiben sollen«, überlege ich und achte sehr auf seine Reaktion.

»Was?« Er zieht mich in seine Arme. »Hey...du hast mir so gefehlt. Siehst du das?« er deutet auf seinen Kalender. »Ich hab die Tage abgestrichen. Und gestern war ich so nervös, ich musste mich ablenken. Deshalb bin ich mit Basti losgezogen.« Er kichert. »Mann, ich bin dem total auf die Nerven gegangen, weil ich nur von dir erzählt habe.«

»Ach ja? Was denn?«

»Zum soundsovielten Mal wie wir uns kennengelernt haben...der Kuss, die Telefonate...alles eben. Naja und wie wahnsinnig süß du bist, wie weich deine Haare sind, wie gut du riechst und dass ich jedesmal Sterne sehe, wenn wir uns küssen. Mh, und wo wir gerade davon reden...« Seine Lippen berühren meine. Zuerst vorsichtig, doch einige Sekunden später knutschen wir wie die Irren. Ein vertrautes Gefühl kraucht durch meinen Körper. Immer wenn ich Nils küsse und/oder berühre ist das wie...keine Ahnung, wie nach Hause kommen oder so. Schwer zu erklären aber es fühlt sich toll an.


Scheiße...ich dachte, ich hätte Nils heute den ganzen Tag für mich aber nein, wir treffen Sebastian. Nils ist anscheinend nicht sehr erpicht drauf, Zeit nur mit mir zu verbringen. Wahrscheinlich bin ich doch ein kleiner Langweiler?! Weil es ihm wichtig ist, tue ich so, als würde ich mich auf Sebastian freuen. Ist ja auch okay, ich meine, Nils und ich haben schließlich zwei Wochen. Da tut ein Tag nicht weh.

Schon als wir im Café sitzen und Sebastian angestürmt kommt, hasse ich ihn. Der sieht viel zu gut aus und er strahlt viel zu sehr und er verstrubbelt zur Begrüßung Nils' Haare.

Hallo??

»So und Sie sind also Juli, mh?«

Wieso siezt mich der Arsch? Das ist eine Sache zwischen meinem Freund und mir. »Hab schon eine Menge von dir gehört.«

»Aha?« sage ich nur.

»Jaja«, grinst der Blödi, »Nils redet ja meist über nix anderes.« Er greift nach Nils' Kiba und nimmt einen großzügigen Schluck. Ich will ihm sofort in die Fresse hauen. Wieso sind die so vertraut miteinander? Die kennen sich doch grad mal drei Wochen.

Und es scheint, dass die jetzt unbedingt alles bequatschen müssen, was die in den drei Wochen erlebt haben. Ich bin plötzlich vergessen und/oder total überflüssig. Wahrscheinlich könnte ich Einrad-fahrend Trompete spielen...die würden nicht mal mit der Wimper zucken. Entschuldigung aber das ist zum Kotzen, ich bin berechtigterweise extrem pissig.

»Wollen wir eigentlich den ganzen Tag hier rumsitzen?« murmele ich irgendwann.

»Was möchten Sie denn machen?«

Also ich finde, wenn mein Freund sowas fragen muss...das ist doch kein gutes Zeichen, oder?

»Zecke hat irgendwas von einem Festival erzählt. Da spielen ein paar Bands, die niemand kennt...könnte lustig werden«, erklärt Nils.

Mir ist nicht sehr danach, den Bauschkopp zu treffen. Immerhin hat der meinen Freund heimlich geküsst. Andererseits...

»Oh Gott, wir kennen doch alle Zeckes Musikgeschmack. Das ist sicher wieder so'n Totenrock-Gruftie-Scheiß«, mault Sebastian.

...jeder hat eine zweite Chance verdient und Zecke ist ja eigentlich nett. »Ich würd gerne hingehen«, sage ich hastig.

»Okay«, lächelt Nils. »Wie sieht's aus, Basti?«

»Wenn's unbedingt sein muss...«

»Dann treffen wir uns so gegen neun«, er greift nach meiner Hand, »Juli und ich haben bis dahin noch was vor.«

»Was'n?« zischt er.

»Knutschen«, grinst Nils und küsst meine Wange.

In seinem Zimmer hocke ich relativ unglücklich auf'm Bett, während er kurz mit Zecke und Lotte telefoniert. Danach setzt er sich neben mich und wuselt durch meine Haare.

»Was ist denn los? Sie sind ja so still.«

Ich zucke nur die Schultern. »Nix.«

»Bist du sauer?«

»Sollte ich?«

»Juli...rede mit mir«, seufzt er.

»Es ist echt alles in Ordnung«, lüge ich. »Kommt Lotte nachher auch?«

»Ja, die freut sich schon total auf dich. Zecke übrigens auch.« Er kichert. »Der hat gute Laune, weil er übermorgen zu Cassi fährt.«

»Schön für ihn«, brummel ich.

Geknutscht wird übrigens nicht. Nils scheint vergessen zu haben, dass er das vor hatte. Ich bin nicht einmal erstaunt darüber. Noch ein schlechtes Zeichen.

Okay...die Halle ist superklein, supervoll und es ist superstickig und superheiss. Nils, Sebastian und ich stehen schon eine Weile ganz vorne, als endlich Lotte und Zecke angerempelt kommen. Charlotte sieht süß aus in ihrem Schottenmini und den zerrissenen Strümpfen. Ihre Haare sind kunstvoll zusammengesteckt. Sie umarmt mich tausend Stunden und küsst mich auf den Mund.

»Hey Julilein. Schön, dass Sie wieder mal da sind.«

Lotte darf mich siezen!!

Sie wirft einen kurzen Blick auf Sebastian. »Hallo.«

Er winkt ihr zu, sagt aber nichts. HAHA...die scheinen sich zu mögen.

»Hey, hi, Juli«, brüllt Zecke...schwarze enge Jeans, Sex Fiend-Shirt, knielange Cordjacke und Cassis schwarzes Halstuch. Mann, der sieht gut aus, wenn nur die toupierten Haare nicht wären.

»Scheiße, was macht'n der Pisser hier?« fragt er leise und deutet auf Sebastian. »Ich kann den nicht ab«, flüstert er mir ins Ohr, wobei seine Lippen meine Haut berühren. Ob der das extra macht? Naja, ist zwar angenehm, interessiert mich aber nicht.

»Ich soll dir von Casi sagen, dass er sich auf dich freut«, beginne ich, »und ich soll dir das hier geben.« Ich nehme sein Gesicht in beide Hände und drücke ihm einen feuchten Kuss auf die Stirn.

Zecke reibt mit der Hand meinen Speichel von seiner Haut. »Bah...war das unbedingt nötigt?« Die erste Band fängt an. New Days irgendwas...

Ich schlage meine Hand vor den Mund und will mich kaputtlachen. »Ey, Zecke...der Gitarrist hat das Toupieren aber tausendmal besser drauf als du«, giggel ich.

»Allerdings«, kichert er, »aber...niedlich, mh?«

Ja, schon. Bis auf die Haare. Rot sind die und echt bis zum Anschlag aufgebauscht. Der Pony hängt ihm in die Visage. Mir fällt der enorm große Mund auf. Ansonsten ist er total dürr, trägt aber ein sehr schönes schwarzes Shirt, das seine Schultern freilässt.

Lotte flippt durch die Gegend. »Die sind toll«, brüllt sie zu uns rüber. »Die Sängerin sieht cool aus.«

Finde ich auch. Sebastian rümpft nur die Nase. So ein Arsch. Ich schmiege mich an Nils, der seine Hand in meine schlängelt.

Nach ungefähr einer Stunde kommt die nächste Band VANI. Wow...ich bin begeistert bis zum Schwachsinn, obwohl Elektro-Kram gar nicht mein Ding ist.

»Mann, wo sind die denn entsprungen?« grummelt Sebastian.

Hallo?? Ist der irre? Ich meine, da hopsen diese zwei Elektroprinzessinnen mit silbernen Krönchen und pinken Baby-Doll-Klamotten rum. Auf die Bühne haben die ein Bügelbrett geschleppt, auf dem zwei Teetassen stehen, von denen die zwischendurch trinken.

»Der komische Typ am Keyboard ist echt zuviel. Was spielt der für eine Kacke?«

Tut mir leid aber Sebastian ist ein Trottel. Die Prinzessin faselt ständig, dass die Musik vom Band kommt und auf dem einen Keyboard pappen silberne Buchstaben PANTOMIME KEYBOARD. Ey...wie lustig und abgefahren ist das denn?! Sowas geiles hab ich ja überhaupt noch nie gesehen. Bin sofort Fan!! Und ich muss schon wieder lachen, weil die eine Sängerin Haare hat wie Zecke und der Gitarrist von der Band vorher. Die sind doch sicher alle im Bauschkopp-Club!!

»Die sind geil, oder?« ruft mir Nils ins Ohr.

Ich nicke total entrückt und verzückt.

In der Pause nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und gehe zum Bühnenrand, wo die eine Prinzessin ihre Sachen zusammenräumt.

»Äh«, mache ich vorsichtig, »ich...äh, ihr seid echt toll.«

»Danke«, strahlt die Schwarzhaarige und zuppelt an den pinken Bommeln ihrer silbernen Krone.

»Wirklich, das war super lustig. Äh...habt ihr vielleicht 'ne CD, die man kaufen kann?«

»Nee, bis jetzt noch nicht aber...«, sie kramt in ihrer Tasche, »hier, den schenke ich Ihnen.« Sie drückt mir einen weißen Button mit VANI Schriftzug in die Hand. »Die kann man übrigens auch kaufen. Auf meiner sagenhaft lustigen Internetseite www.get-vanified.de ... schreiben Sie was Nettes ins Gästebuch«, grinst sie. »Und empfehlen Sie mich weiter.«

»Klar, mach ich. Danke.« Geil...die hat mich gesiezt. Einfach so!!

Zecke hängt längst mit der anderen Prinzessin und dem Bauschgitarristen zusammen und scheint eine Menge Spaß zu haben. Nils unterhält sich mit Sebastian, der eine Superfresse zieht, Lotte flippt über die Tanzfläche. Ich fühle mich ein bisschen nirgendwo dazugehörig. Als Zecke kurze Zeit später rübergeschlendert kommt, nestelt er an mir und meinem VANI Button rum. »Oh...wo hast'n den her?«

»Den hat mir die Prinzessin geschenkt«, antworte ich stolz.

»Ich will auch einen«, schmollt er.

»Naja...frag sie doch.«

»Okay«, lächelt er und ist auch schon verschwunden.

Ich bin der Meinung, Nils könnte sich ein wenig um mich kümmern. Als hätte er meinen Gedanken erraten, schlingt er plötzlich von hinten seine Arme um mich und küsst meinen Nacken. »Sebastian will was essen gehen.«

»Und weiter?«

»Weiß nicht, ich dachte...äh, möchtest du unbedingt noch bleiben?«

»Wir haben für vier Bands bezahlt, also will ich auch vier Bands sehen«, erkläre ich und drehe mich zu ihm um.

»Alles klar, ich sag ihm nur Bescheid, ja?« Er gibt mir einen schnellen Kuss auf den Mund.

Nach einer Weile hat Sebastian sich in eine Ecke gesetzt und stiert finster vor sich hin. Ey, der soll doch abhauen.

»Ey, der soll endlich abhauen«, raunt mir Zecke ins Ohr. »Mal ehrlich, Juli...der Typ ist doch zum kotzen, oder?«

Ich nicke heftig.

»Gott sei dank«, seufzt er, »ich hab schon an meinem Verstand gezweifelt. Und ich weiß überhaupt nicht, was Nils an dem findet?«

DAS weiß ich allerdings auch nicht. Bevor ich antworten kann, taucht Lotte auf.

»Ich geh kaputt«, japst sie.

»Hä?«

»Lotte hat sich in die rothaarige Schönheit verknallt«, kichert Zecke.

»Äh...in welche?«

»Egal, ich nehm beide«, grinst sie. »Äh...wo ist'n Nils?« Sie blickt sich hastig um. »Oh na klar, bei Mr. Super-Fickfrosch. Mal ganz unter uns...kann den außer Nils überhaupt jemand leiden?«

»Nein«, sagen Zecke und ich gleichzeitig.

»Und du hast den angeschleppt.«

»Da wusste ich noch nicht, was für ein dämlicher Ficker das ist«, zischt sie und setzt sich auf den Boden.

Zecke und ich setzen uns ebenfalls.

»Stimmt es eigentlich, dass er eine Freundin hat?« frage ich.

»Keine Ahnung. Soll ich dir mal was sagen? Ich glaube, der ist scharf auf Nils. Vielleicht nicht unbedingt sexuell...noch nicht...aber der vereinnahmt Nils total. Und er ist eifersüchtig. Auf mich, auf Zecke, auf die Band und ganz besonders auf dich, Juli.«

Mein Magen bollert unangenehm.

»Sebastian wollte mit Nils zelten oder so'n Scheiß und war total angepisst, weil er ihm gesagt hat, dass du ihn in den Ferien besuchst. Ich finde, du solltest dem jetzt dringend mal ein bisschen zeigen, dass Nils dir gehört.« Sie stupst mir grinsend in die Seite. »Du weißt schon...so wie bei Zecke.«

»Ey, ich hab das gehört«, brüllt der. »Aber ich bin unbedingt Lottes Meinung.« Mir gehen solche Spielchen auf den Sack. Allerdings hab ich schreckliche Sehnsucht nach Nils. Wieso ist der so weit weg? Ich bin hier und Nils tut so, als sei ich nicht mehr als ein guter Bekannter. Was zum Teufel geht denn bloß ab?

Während die dritte Band spielt, mache ich mich also auf den Weg zu meinem Freund und schlinge meine Arme um ihn.

»Sie fehlen mir.«

Nils strahlt mich an, ich schmelze dahin. »Sie mir auch«, wispert er.

»Wir wollten doch was essen«, bölkt Sebastian dazwischen.

Ich hab Lust, ihm in die Visage zu spucken, küsse aber lieber Nils auf den Mund.

»Können wir nach Hause?« flüstere ich in sein Ohr.

»Du wolltest doch noch bleiben.«

»Trotzdem.«

»Nils...was ist denn jetzt?« Sebastians Stimme klingt sehr ungeduldig.

Nils dreht sich um. »Äh, ja, warte mal, Basti...«, er sieht mich an, »meinst du...« Meine Hände streichen über seine Hüften. »Ich bin scharf auf dich«, hauche ich und knabbere an seinem Ohr.

Nils' Wangen bekommen einen dunkelroten Farbton, er lächelt verschämt. »Ich ruf dich an, Basti«, sagt er, greift nach meiner Hand und zieht mich Richtung Ausgang.

HAHAHA...ich hab gewonnen! Fuck you, Basti-Bitch!!!


Die nächsten Tage sind einfach nur super schön. Nils ist atemberaubend. Süß, lieb, nett, aufmerksam, verkuschelt, verknutscht und der Name Basti kommt nicht ein einziges Mal über seine Lippen (an denen sowieso ich meistens hänge). Lotte war ein paar mal zum Frühstück da aber ansonsten verbringen wir unsere Zeit allein. Nils ist wie ausgewechselt, was sicher an der Sebastian-Nichttrefferei liegt. Ich bin der Meinung, der Typ hat einen schlechten Einfluss auf meinen Freund, traue mich aber nicht, das zu sagen. Es läuft grad alles so gut...warum Stress provozieren?! Drama bekommen wir noch früh genug, wir haben nämlich nur noch drei Tage, bis ich wieder nach Hause muss. Hab mir fest vorgenommen, nicht daran zu denken und schaffe das sogar ab und zu.

Am Nachmittag, wir liegen gerade ineinander verschlungen auf seinem Bett und knutschen, klopft es plötzlich an der Tür. Zwei Sekunden später latscht Sebastian-Ficker ins Zimmer. Ich halt's im Kopf nicht aus.

Nils wurschtelt sich los von mir. »Hey, Basti.«

»Sag mal, findest du das ok?«

»Was denn?« fragt er verwirrt.

»Na, kaum ist dein Freund inner Stadt, bin ich total abgemeldet. Ich kann ja verstehen, dass ihr mal allein sein wollt aber was du abziehst ist echt das Letzte. Hast dich seit Tagen überhaupt nicht mehr gemeldet«, erklärt er und lässt sich auf einen Stuhl fallen.

Nils macht ein zerknirschtes Gesicht. »Au weia...tut mir leid. Das war echt keine Absicht.«

»Sah aber verdammt so aus. Wenn du keine Lust mehr hast, mit mir rumzuhängen, dann sag's einfach.«

Mann, der Typ ist die absolute Pest. »Sag mal, was willst du eigentlich?« mische ich mich ein. »Ich bin zwei Wochen da...du immer.«

Sebastian sieht mich an, als hätte ich seine gesamte Familie gekillt. »Hab ich mit dir gesprochen?«

»Hey, wenn ihr euch unbedingt anzicken wollt, dann macht das woanders, ja?« zischt Nils.

»Ich mag nur nicht so ignoriert werden«, murmelt Sebastian. »Sorry, Juli...das sollte echt nicht gegen dich gehen.«

Das ist der erste nette Satz, den ich von ihm höre. »Schon okay. Wir...wir können ja vielleicht heute noch irgendwas machen«, schlage ich großzügig vor. Naürlich meine ich das nicht wirklich so aber...naja.

Wir laufen also ein wenig durch Berlin, shoppen (weil Caro ein Geschenk verlangt hat) und ich bin angenehm überrascht von Sebastian. Der ist nämlich eigenartig umgänglich. Fast sogar nett und lustig. Übrigens kaufe ich für Caro ein sauteures, sehr lecker riechendes Seifenstück...in einem Laden, wo's nur so'n selbstgemachtes Seifenzeugs gibt.

Als wir in einem Café Kirsch-Jasmin Tee trinken und Nils kurz auf'm Klo ist, fängt Basti an zu faseln, dass ihm sein Verhalten leid tut und er hofft, dass wir doch noch Freunde werden... blablabla. Ich ziehe zumindest in Erwägung, es zu versuchen.

Im Laufe des Abends, den wir in Nils' Zimmer verbringen erfahre ich dann, dass seine familiäre Situation der meinen ziemlich ähnelt. Seine Eltern sind geschieden und kümmern sich einen Kack um ihn. Alles, was er bekommt ist Geld. Viele Freunde hat er auch nicht, deshalb hängt er sich so an Nils. Mh, kommt mir irgendwie ebenfalls bekannt vor. Vielleicht ist Basti doch nicht so'n Arsch?! Ich meine, der mag MUSE, steht auf »Six feet under«, hat eine unglaubliche Latte an Kalkofe-Sprüchen drauf und er heult jedesmal bei »Club der toten Dichter«. Das ist übrigens total unheimlich. Also das erstemal hat er nur noch den Schluss mitbekommen...halt da wo die Jungs auf ihre Tische steigen...und Sebastian musste losheulen, obwohl er keinen Schimmer hatte, weshalb die nun aufgestanden sind. Ey...das war bei mir ganz genauso. Nur den Schluss gesehen, keine Ahnung aber geheult wie bekloppt. Als Basti das erzählte, hatte ich echt eine Gänsehaut. Ich meine, das ist doch abgefahren, oder?! Jedenfalls kann ich so langsam verstehen, dass Nils Sebastian mag.

»Ich bin froh, dass du dich mit Basti ausgesprochen hast«, erklärt Nils, als wir allein sind und kuschelnderweise unter der Bettdecke liegen. »Der steht momentan ein wenig neben sich, weil seine Freundin mit einem anderen Typen gevögelt und er sich von ihr getrennt hat.«

»Naja, heute war er ganz verträglich«, murmele ich.

»Ich mag ihn echt gerne.«

»Mehr als mich?«

»Das«, lächelt Nils, »ist wohl kaum möglich. Sie werden bei mir immer an erster Stelle stehen, das wissen Sie doch.«

»Es hat mich verletzt, dass du nicht da warst, um mich abzuholen«, beginne ich vorsichtig.

»Und dann das Gefasel mit Basti...mann, ich kam mir so überflüssig vor.« Ich finde nämlich aufeinmal, dass man der Liebe seines Lebens eben nicht immer alles so durchgehen lassen muss. Er hat sich blöd benommen und ich hab mich deswegen kackig gefühlt...das muss man doch sagen dürfen, oder?

Nils zieht mich in seine Arme und küsst mein Haar. »Tut mir leid, Babe. War gedankenlos von mir.«

Ich hab ihm schon wieder alles verziehen. Nils ist einfach zu wundervoll.


Ich hasse Nils!! Okay, nicht wirklich aber ich bin sauer. Okay, auch das nicht aber enttäuscht bin ich. Vor ein paar Stunden mussten wir uns voneinander verabschieden (für eine elendig lange Zeit!!), jetzt bin ich zuhause, will ihn anrufen...sagen, dass ich heil angekommen bin usw...und er ist unterwegs. Mit wem wohl? Richtig...Basti! Hab ja inzwischen längst begriffen, dass mein Freund mit traurig-sein-wegen-Trennung anders umgeht als ich. Er muss sich ablenken. Aber doch bitte nicht, wenn ich mit ihm reden will. Wir telefonieren doch immer, wenn ich nach Hause komme. Mir ist nach kaputtgehen. Bevor ich aber damit anfangen kann, klingelt das Telefon.

»Hallo Sie.«

»Wer ist da?« frage ich.

»Oh Gott, Juli...es ist unheimlich aber ich weiß ganz genau, was mit dir los ist. Ich meine, ich wusste es schon, als ich deine Nummer gewählt habe. Du bist sauer, weil du mich angerufen hast und ich nicht da war, stimmt's? Dann dachtest du, dass ich ja wohl überhaupt nicht traurig bin, weil du tausend Kilometer weit weg bist und ich mich sofort ohne dich amüsiere, ja? Vergiss es, Babe. Bin grad bei Basti und heule mich aus...du fehlst mir nämlich total. Und jetzt sag mir, dass du mich liebst, sonst drehe ich durch.«

»Ich lieb dich«, antworte ich. Ob Nils doch irgendwie Gedanken lesen kann?

»Und Sie sind nicht mehr böse auf mich, nein?«

»Nee.«

»Schön, dann schlafen Sie und wir telefonieren morgen in Ruhe, okay?«

»Okay. Schlafen Sie auch.«

Naja, zum ins Bett gehen ist es noch etwas früh. Ich besuche Caro, die allerdings nicht da ist. Egal, gehe ich eben zu Cassi.

Der Kleine sieht aus, als hätte er eine neue atemberaubende Droge erfunden und ausprobiert. Ich hätte auch gerne was davon.

»Juli«, brüllt er, stürmt auf mich zu und...äh...küsst mich auf die Wange?! »Sorry«, murmelt er ein wenig verschämt.

»Macht nix. Wo is'n Caro?«

»Bei irgendeinem Kerl. Keine Ahnung. Ich soll dir aber sagen, dass sie sich morgen unbedingt mit dir verabreden will...und dass sie dich liebt. Und Knallkopp soll ich sagen«, kichert er.

»Wie war's in Berlin?«

Das ist logischerweise nur eine Alibi-Frage. Der will über Zecke sprechen. So dringend, dass er vermutlich platzt, wenn ich ihn nicht erlöse.

»Ganz okay. Aber...wie war's denn mit Zecke?«

Sein Lächeln wird breiter und breiter, seine Wangen rot und in seinen Augen glitzert es. Er hebt seine Hand und präsentiert mir einen silbernen Ring.

»Oh, hat der Bauschkopp etwa um deine Hand angehalten?«

»Woher weißt du das?« fragt er enttäuscht, dann grinst er wieder. »Zecke und ich sind zusammen...so richtig.«

»Aha? Und was ist mit jeder darf machen, was er will?«

»Steht überhaupt nicht mehr zur Debatte. Zecke hat gesagt, dass er mich liebt und mir den Schädel abhackt, wenn ich was mit einem anderen Typen anfange. Wir haben uns ziemlich lange unterhalten. Er hat gesagt, dass er eigentlich keinen Bock auf Fernbeziehung hat aber einfach nur just for fun...dafür hat er mich viel zu lieb. Und weil du und Nils das beste Beispiel seid, dass Fernbeziehungen eben doch funktionieren können, will er es versuchen. Und zum Beweis, dass er es ernst meint, hat er mir seinen Ring geschenkt«, seufzt er glücklich und hält besagtes Schmuckstück einen Moment an seine Lippen.

»Soso, ich nehme mal an, ihr dürft euch jetzt endlich auch vermissen, ja?«

Seine Augen werden ein bisschen traurig. »Ich gehe fast kaputt«, gesteht er, »aber Zecke will in zwei Wochen wieder her kommen. Das ist auszuhalten.«

Hey, was soll ich sagen? Ich freue mich, dass es für die zwei doch noch ein Happy End gegeben hat. Cassi verdient einen Jungen, der ihn wirklich gern hat...auch wenn dieser Junge eine scheiß Frisur hat...HAHAHA!

Am nächsten Tag bekomme ich Besuch von Caro. Die ist irgendwie auch so eigenartig. So, als hätte sie von Cassis Superdroge genascht.

»Knallkopp«, strahlt sie und umarmt mich, »bin ich froh, dass du wieder da bist. Wie war's in Berlin? Wie geht's Nils? Hast du ihn von mir gegrüßt? Und hast du diesen Sebastian kennengelernt? Und...wow...du hast mir gefehlt«, brabbelt sie.

»Caro...komm erstmal runter, ja? Du machst mir Angst.«

»Jetzt schon?« lächelt sie. »Dann warte mal ab, was ich dir zu erzählen habe. Es ist nämlich was Unglaubliches passiert, als du bei Nils warst.«

Oh nein! Bitte lass sie nicht wieder mit Chris-Fickerarsch zusammen sein. Bittebittebitte!!

»Okay, ich höre«, sage ich vorsichtig und rechne wirklich mit dem absolut Schlimmsten.

»Juli...ich hab mich verliebt. Und ich hab keine Ahnung, wie ich dir sagen soll...äh, du wirst mich für total schwachsinnig halten. Mich auslachen, mich umbringen...«

»Du hast dich nicht mit deinem schwachmatischen Ex vertragen, oder?«

Sie blickt mich an, als hätte ich gefragt, ob sie Syphilis hat. »Danke, so irre bin ich doch noch nicht.«

»Mach's nicht so spannend, sonst kriege ich eine Herzattacke«, dränge ich und nehme einen Schluck von meinem Waldmeistergesöff.

Caro atmet tief ein und wieder aus. »Na schön. Es ist...es ist Sandro. Ich bin mit Sandro zusammen.«

Ich muss mich verschlucken, wobei mir Waldmeistersaft in die Nase gerät. Also spucke ich das Zeug durch den Raum und röchele mir einen ab. Caro haut mir besorgt auf den Rücken. Das Husten ist so anstrengend, dass mir Schweiß auf die Stirn tritt.

»Nicht sterben...nicht sterben«, faselt Caro hektisch.

Nach einiger Zeit hab ich mich beruhigt. »Du bist mit wem zusammen?«

»Hör mal, Juli...Sandro ist ganz anders...ich meine...der ist echt süß und lieb.«

»Hast du vergessen, was bei eurer ersten und einzigen Verabredung passiert ist? Der wollte dich besoffen machen und flachlegen. Sehr süß und total lieb, wenn du mich fragst.«

»Das war doch nur, weil er so schrecklich nervös war. Er wusste nicht, wie er sich verhalten sollte und...naja, hat alles falsch gemacht aber jetzt...wir haben uns ausgesprochen und er hat mir gestanden, dass er total in mich verschossen ist.«

»Das ist doch nur eine neue Masche, um dich rumzukriegen.«

Caro schüttelt den Kopf. »Du warst nicht dabei. Sandro war ganz scheu und schüchtern. Er hat gezittert, als ich ihn küssen wollte. Sowas kann man nicht spielen. Ich bin verliebt, wir sind zusammen...kannst du dich nicht für mich freuen?«

Ich ziehe sie in meine Arme. »Doch. Aber...sei trotzdem vorsichtig, ja? Ich möchte nicht, dass dich nochmal jemand so verletzt wie Chris. Und ich will nicht, dass du mir noch einmal so abhanden kommst.«

»Das werde ich nicht, Knallkopp«, flüstert sie und schmiegt sich an mich.

Happy End für alle Beteiligten, mh?! Ich fühle, dass sich mein bisheriges Kackleben in pures Gold verwandelt. Ich meine, Caro ist glücklich, Cassi ist glücklich und ich...ich habe Nils. Seit Tagen warte ich schon auf schlimme Befürchtungen aber es kommen einfach keine. Ich scheine endlich begriffen zu haben, dass Nils mich liebt und ich mir wegen nichts Sorgen zu machen brauche. Natürlich vermisse ich ihn...das ist eben die dunkle Wolke. Und die muss es schließlich geben, weil es sonst ZU perfekt wäre. ZU einfach. Was soll's...ich lerne langsam mit der Sehnsucht zu leben und freue mich einfach darauf, Nils wieder zu sehen. Genauso wie Cassi es geraten hat. Die Ironie an der Sache ist...jetzt, wo ich damit klar komme, leidet er umso mehr. Wie abgedroschen, oder? Hey, aber so ist das Leben. Übrigens ist es jetzt Zeit, meinen Freund anzurufen.

»Hey, Sie sind ja ausnahmsweise mal nicht unterwegs«, scherze ich.

»Juli...hi.«

»Alles in Ordnung?«

»Äh...wieso fragst du?«

»Weiß nicht. Hey, ich hab gerade festgestellt, dass mein Leben momentan toll ist. Und dass du ein sehr wichtiger Grund dafür bist. Und dass ich seit Tagen keine blöden Gedanken mehr hatte. Hab ich dir eigentlich schon gesagt, wie sehr ich dich liebe? Gott, Nils...ich liebe dich wahnsinnig und du fehlst mir und...«

Ein lautes Schluchzen dringt an mein Ohr. Au weia!

»Hey...ich wollte Sie damit nicht zum weinen bringen.«

»Juli, bitte...«, heult er, »es tut mir so leid.«

»Schon okay«, flüstere ich weich.

»Nein, du verstehst nicht...ich...ich...scheiße...«

Jetzt bin ich aber wirklich total beunruhigt. »Nils, was ist passiert? Ist irgendwas mit deiner Mutter...Paul...«

Kann doch sein, oder? Ich meine, ich hab Nils noch niemals so heulen gehört. »Nein...ich...Julian, wir müssen reden.«

Äh...wieso nennt er mich Julian? Mir wird schlecht. Und zwar so richtig ekelhaft. Ein Mega- Brechreiz kraucht mir in den Hals und mein Herz klopf unangenehm laut und schnell.

»Ich...ich weiß nicht, wie...es ist alles so kompliziert...ach verflucht...ich liebe dich, das musst du mir glauben. Ich meine, du weißt, dass ich dich liebe...für immer und ewig aber...« Nils wird schon wieder von einem Heulanfall unterbrochen.

»Sag's bitte einfach«, brülle ich total panisch. Irgendwie spüre ich grad ganz deutlich, dass mein Leben nach diesem Telefonat vorbei sein wird. Das, was eben noch so toll war. Ich weiß genau, was Nils mir sagen will. Ich kann den Satz fast vor mir sehen, fast hören, ohne dass er ihn aussprechen muss, aber der Gedanke daran ist so schrecklich, dass er gar keinen Platz in meinem Schädel findet.

»Sebastian«, beginnt er und vor meinen Augen wird es dunkel. Alles um mich herum wird plötzlich ganz schwammig. Ich starre auf meinen Arm, der sehr weit weg aussieht. So, als sei er nicht wirklich an mir dran. Nils' Stimme klingt wie durch Watte. Mein Verstand setzt aus. Muss aussetzen, weil ich sonst wahrscheinlich einen tödlichen Schock erleiden würde. Ich höre nicht, was Nils sagt. Höre es eine ganze Zeit einfach nicht. Oder doch...aber er scheint in einer mir unbekannten Sprache zu reden.

»...und es wäre einfach nicht fair, verstehst du?«

Nein, ich verstehe nicht. Wie sollte ich?

»Julian, ich liebe dich aber ich kann nicht so tun, als hätte ich keine Gefühle für Sebastian. Ich weiß nicht, was es ist aber es ist da und verwirrt mich. Deshalb ist es besser...ich meine... ich muss erstmal rauskriegen, was überhaupt los ist.«

»Du machst Schluss mit mir«, höre ich mich sagen.

»Nein...ich...keine Ahnung. Ich möchte dich nicht belügen. Sebastian hat mich geküsst und ich fand es schöner, als ich es hätte finden dürfen.«

»Du machst Schluss mit mir«, sage ich noch einmal.

»Ich...ich brauche nur etwas Zeit...«

»Du machst Schluss mit mir. Ich leg jetzt auf.«

Nachdem ich aufgelegt habe, gehe ich in die Küche und schiebe eine Thunfischpizza in den Ofen. Während die da drin ist, räume ich die Spülmaschine aus und frage mich, wieso die Frau eigentlich nicht da ist. Naja, interessiert mich nicht wirklich. Ob ich noch zu Caro rüber gehe? Vielleicht hat die Lust, sich zu zweit zu langweilen?

Hastig schlinge ich die Pizza runter und kotze sie drei Minuten später komplett wieder aus. Hab Thunfisch noch nie gut vertragen.


Sandro scheint tatsächlich gut für Caro zu sein. Ich meine, der küsst den Boden, auf dem sie wandelt und hat sein Sex-Gefasel total abgelegt. Ganz schnurrig ist er, wenn er in ihrer Nähe ist und strahlt wie ein verdammter Christbaum. Der hat sich vom Macho-Arsch in einen normalen Menschen verwandelt. Kompliment, hätte ich ihm nicht zugetraut. Naja und Caro sieht einfach nur wahnsinnig entspannt und glücklich aus. Übrigens hält sie Wort und verbringt ihre Zeit weiterhin mit mir anstatt andauernd nur mit Sandro zu knutschen. Alles ist in bester Ordnung. Alles...bis auf die Tatsache, dass ich seit vier Tagen nicht mit Nils gesprochen habe. Das kommt mir irgendwie komisch vor. Ich meine, wir telefonieren doch immer vorm schlafen. Eigentlich ist es nicht weiter schlimm. Den ganzen Tag über hab ich so viel Kram zu tun, dass ich mir kaum Gedanken mache. Nur abends gegen halb zehn, wenn ich gewohnheitsmäßig zum Hörer greife, lasse ich ihn Sekunden später auf die Gabel zurück sinken, weil mir einfällt, dass wir ja gar nicht mehr zusammen sind. Naja, dann weiß ich für ein paar Minuten nicht so richtig, was ich mit mir anfangen soll und lege mich ins Bett. Am nächsten Morgen stehe ich halt wieder auf, gehe zur Schule, hänge mit Caro ab, besuche Cassi oder manchmal auch den Vater und Ariane. Ich hab soweit alles im Griff. Nur mit meinem Magen stimmt etwas nicht. Wenn ich was esse, bekomme ich nach einiger Zeit furchtbare Schmerzen und muss mich übergeben.

Am Nachmittag bekomme ich einen Anruf von Lotte. Merkwürdig, die ruft mich nie an.

»Hey, Juli...wie...wie geht's dir?« fragt sie sehr vorsichtig.

»Äh, gut. Wieso?«

»Naja...ich wusste nicht, ob es okay ist, wenn ich anrufe. Ich meine...keine Ahnung...ich wollte dir einfach nur sagen, dass ich dich gern habe, was immer zwischen dir und Nils auch passiert. Wir bleiben trotzdem Freunde.«

»Ich hab dich auch gern und klar, wir sind Freunde. Mach dir mal keine Sorgen. Hey, wie geht's Zecke? Und was macht Tom?«

»Äh, ja, ich soll dich grüßen«, entgegnet sie verwirrt. »Juli, ist echt alles in Ordnung? Du... du kannst mit mir reden, wenn...also, ich bin immer für dich da.«

»Danke, das ist lieb von dir. War sonst noch was?«

»Äh...«

»Sorry, Lotte, hab's grad eilig. Mach's gut, ja?«

»Ja, bis...bis bald.«

Wieso sollte es mir denn nicht gut gehen? Komisch...

Nach dem Telefonat stürmt Caro unangemeldet in mein Zimmer. Ich bin etwas überrascht. So viel ich weiß, war die heute mit Sandro verabredet.

»Juli...hey, wie geht's dir?«

Äh, sind die Mädels irre geworden? Warum fragen die mich das plötzlich?

»Bist du nicht mit Sandro verabredet?«

Sie starrt mich fassungslos an. »Du...du KNALLKOPP! Wieso zum Arsch redest du nicht mit mir?«

»Was ist denn los?«

»Du...du spielst die ganze Zeit heile Welt, machst auf alles in Ordnung und ich muss von meinem kleinen Bruder erfahren, dass du nicht mehr mit Nils zusammen bist.«

»Hat irgendjemand was davon, wenn ich das herausposaune? Leute trennen sich andauernd. Is doch keine große Sache.«

»Juli, du benimmst dich ekelhaft...wie immer. Warum kannst du nicht heulen und toben, irgendwas kaputt hauen, dich mit Süßkram vollstopfen wie jeder NORMALE MENSCH mit Liebeskummer?«

»Weil das nichts ändert.«

»Sagst du mir wenigstens, was passiert ist?«

»Nein.«

Seufzend setzt sie sich neben mich. »Weißt du, dass ich manchmal total Lust habe, dich zu verprügeln?«

Ich zucke nur die Schultern und springe auf, bevor sie ihre Arme um mich schlingen kann.

»Würdest du jetzt bitte gehen?«

»Okay. Ruf an, wenn du mich brauchst. Juli, versprich mir das.«

»Klar.«

Verdammt, jetzt bekomme ich schon Magenschmerzen, obwohl ich den ganzen Tag nichts gegessen habe.


Allmählich geht mir Caros vorsichtiges Getue super auf den Sack. Cassi hat sie damit auch schon angesteckt. Ständig fragen die, wie's mir geht und wenn ich reden will...blablabla. Die wollen auch andauernd was mit mir unternehmen, mich ablenken oder sowas. Ey, ich brauche keine verfickte Ablenkung. Hallo? Es ist alles prima!! Jedenfalls bis auf die Sache mit meinem verkorksten Magen. Da mache ich mir aber keine Gedanken drüber. Vertrage eben keine Nahrung mehr...was solls?!

Hab den Vater und Ariane besucht, ein Stück Schokotorte gegessen und erstaunlicherweise bei mir behalten. Der Vater kam wieder auf Weihnachten zu sprechen. Möchte er ja gerne mit mir verbringen. Die Ferien auch. Hab kurz gedacht, dass ich in den Ferien doch nach Berlin fahre, dann ist mir eingefallen, dass ich eben NICHT nach Berlin fahre und fühlte mich plötzlich ein wenig verloren.

Ariane hat gefragt, ob ich krank sei, ich würde ziemlich schlecht aussehen. Ganz blass und Augenringe und so. Der Vater sprang gleich darauf an und mahnte mich, ausreichend zu schlafen und wenn's ein Problem gäbe...ich könne jederzeit mit ihm reden. Da hab ich mich lieber mal schnell verpisst.

Als ich grad ins Bett will, klingelt das Telefon. Wenn das wieder Caro ist...ich drehe durch.

»Hallo?«

»Hi...«

Ach du Scheiße...Nils!

»Was gibt's denn?«

»Ich...ich dachte, ich ruf einfach mal an.«

»Aha.«

»Wollte hören...wie geht's dir?«

Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen. Die Frage entwickelt sich langsam zum Running-Gag.

»Fein. Und dir? Was macht dein neuer Freund?«

»Julian, was soll das? Basti ist nicht mein Freund. Jedenfalls nicht so wie du denkst. Ich bin viel zu verwirrt.«

»Entschuldige, ich wollte nur höflich sein. Es interessiert mich einen Scheiß, was du mit dem Pisser treibst.«

»Hey, lass uns nicht streiten, ja? Juli, ich weiß, dass ich dir weh tue und ich fühle mich dabei wie ein Arschloch. Du fehlst mir so...ich weiß einfach nicht, was ich machen soll.«

Okay, jetzt muss ich aber wirklich lachen. Und zwar so, dass ich kaum noch Luft kriege. »Sorry«, japse ich, »aber das ist...hahaha...geil...hihi...du...du bist in Sebastian verknallt und erzählst mir diese ganze Scheiße...hahaha...«

»Es war wohl ein Fehler, dass ich angerufen habe«, sagt er traurig.

»Absolut«, entgegne ich und kichere immer noch ein wenig. Das hier ist echt zu absurd.

»Ich wollte doch nur...scheiße...«

Du meine Güte, jetzt fängt der schon wieder an zu heulen. Ich kriege einen neuen Lachkrampf. »Mach's gut. Ich wünsche dir viel Glück mit deinem Freund«, giggel ich und lege auf.

Das Lachen fühlt sich irgendwie schmerzhaft an aber ich kann trotzdem nicht aufhören. Es fühlt sich falsch an aber ich lache noch heftiger und bekomme langsam Angst. Hastig rufe ich Caro an. So viel Verstand hab ich zum Glück noch.

»Kannst du bitte herkommen? Ich glaub, ich brauch dich ganz dringend.«

»Okay, bin sofort da.«

Das ist sie tatsächlich. Wir stehen uns gegenüber und sehen uns nur an. Dann nimmt sie mich wortlos in die Arme, zieht mich aufs Bett und hält mich die ganze Nacht fest, während ich heule bis ich total erschöpft bin.

Im Morgengrauen kann ich ihr dann endlich die ganze Geschichte erzählen.

Schule fällt heute für uns aus. Meine Augen sind so geschwollen, dass ich sie kaum auf bekomme und Caro bekuschelt mich und faselt lauter liebes Zeug, um mich zu beruhigen. Das macht leider alles nur schlimmer, ich heule noch mehr. Ich weiß nicht wieso aber ich muss mir plötzlich vorstellen wie Nils Sebastian küsst. In allen Einzelheiten. Wie sich vorsichtig ihre Lippen berühren, ihre Zungenspitzen leicht gegeneinander stoßen und sich umschlängeln. Nils' Augen sind geschlossen, seine Hände streicheln Sebastians Nacken... so wie sie beim küssen immer meinen Nacken gestreichelt haben. Ich will das nicht sehen aber es ist wie ein Zwangsgedanke, den ich nicht abstellen kann. Das Bild ist in meinem Kopf und geht einfach nicht weg. Auch nicht das Bild, wo sie beide aneinander gekuschelt auf dem Bett sitzen, sich verliebt anlächeln und Nils' Finger mit Sebastians spielen.

Als ich Caro davon erzähle, will sie mich in den Arm nehmen doch ich sträube mich heftig.

»Juli«, sagt sie sanft, »hör auf, dir so weh zu tun.«

»Denkst du, das macht mir Spaß?« zische ich und schlage mit den Handballen gegen meine Stirn. »Ich kriegs nicht raus, verdammte Scheiße. Das...das soll weg gehen.«

Ich glaube, Caro ist in diesem Moment genauso hilflos wie ich.


Die nächsten zwei Wochen verbringe ich mit heulen und an Nils denken. Alles, was wir erlebt haben. Mein erster Besuch bei ihm, das viele Küssen und Kuscheln, in der Sommersonne mit ihm durch Berlin spazieren, sein Lächeln, seine glitzernden Kristallaugen. »Hey Sie«, flüstert er und küsst mich auf den Mund. Ich geh kaputt. Mein Herz explodiert.

Cassi hat gesagt, ich soll verdammt noch mal um Nils kämpfen...bringt das etwas? Ich meine, als die Sache mit Stella passierte, wusste ich irgendwie, dass Nils mich noch liebt. Selbst als er mit Zecke geknutscht hat...aber das hier ist anders. Er hat sich in Sebastian verliebt. Was soll ich dagegen machen? Ihn verprügeln und zwingen, MICH weiter zu lieben? Wenn er ihn nur gevögelt hätte, das könnte ich ihm verzeihen...irgendwann. Vielleicht wäre das nicht passiert, wenn ich in seiner Nähe wohnen würde. Vielleicht ist es total sinnlos, darüber nachzudenken. Vielleicht ist alles sinnlos. Vielleicht ist es besser, tot zu sein?! Ich glaube, wenn Leute sagen, sie wollen sterben, meinen sie eigentlich tot sein. Sterben geht langsam und tut weh und genau das will man doch eben nicht haben. Gott...ich bin so schrecklich müde.

Weder Caro noch Cassi können mir helfen, obwohl die beiden sich sehr bemühen. Lottes Anrufe helfen auch nicht. Wieso kapieren die nicht, dass es nichts zu reden gibt? Als könnte ein bisschen Gebrabbel über Nils den Schmerz verringern. Als könnte reden Nils' Liebe zurück bringen. Ich will nur meine Ruhe haben. Einfach da liegen und nichts tun. Nichts denken. Das ist übrigens total schwierig, weil einem doch ständig irgendetwas durch den Kopf geht. Ob man das nun möchte oder nicht. Ich denke natürlich die ganze Zeit an Nils. Vermisse ihn, hasse ihn, liebe ihn, hasse ihn wieder, heule und zwischendurch immer dieses Bild...Nils küsst Sebastian. Ich frage mich, ob Nils an mich denkt? Möglicherweise erkennt er, dass er einen Fehler gemacht hat. Vielleicht klappt es zwischen ihm und Sebastian nicht und er will mich wieder haben? Er ist verwirrt, hat er gesagt. Nein, Juli, vergiss das ganz schnell. Klammere dich nicht an eine diffuse Hoffnung. Wenn Sebastian ihn verwirrt heißt das, dass seine Gefühle für mich zu schwach sind.

Ein Blick auf den Wecker...kurz nach halb zehn. Au weia. Die schlimmste Zeit des Tages. Oh und natürlich muss ausgerechnet jetzt das verfickte Telefon klingeln. Wieso quält man mich so?? Ich gehe einfach nicht ran. Aber wenn es Nils ist und...Blödsinn!! Sicher Caro, die wieder fragen will, wie's mir geht. Scheiße, der Anrufer ist echt hartnäckig.

»Hallo?« bölke ich in den Hörer.

»Hi...ich bin's.«

Na super!! »Wieso rufst du mich an?« frage ich matt.

Keine Antwort. Das bringt mich auf die Palme. »Wieso zum Arsch rufst du an?« brülle ich.

»Juli...können wir nicht einfach reden?«

»Wozu? Du hast Schluss gemacht. Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen? Es ist doch alles schon schlimm genug. Bist du vielleicht ein Sadist? Holst du dir einen runter, wenn ich hier kaputtgehe?«

»DU hast Schluss gemacht. Ich wollte...«

»Was?« keife ich. »Mich warmhalten, falls es mit deinem Basti-Spasti nicht klappt? Das kannst du vergessen.«

»So hab ich das nicht gemeint, Juli. Glaubst du, mir geht es besser? Ich vermisse dich auch. Du bist hier nicht der einzige, der leidet.«

»Mag sein aber ich bin ja wohl der einzige, der allein leiden muss. Ich wette, Basti-Spasti hat eine Menge Ideen, wie er dich aufmuntern kann. Besorgt er's dir gut?«

»Ich schlafe nicht mit Sebastian. Das ist echt das Letzte, woran ich im Augenblick denke.«

»Du kannst von mir aus die ganze Bevölkerung von Berlin durchficken.«

»Ich verstehe, dass du verletzt bist aber...«

»Moment mal«, unterbreche ich ihn, »du verstehst überhaupt nichts, klar? Und wenn du auch nur ansatzweise etwas für mich empfinden würdest, würdest du mich nicht andauernd anrufen, um mir zu sagen, wie sehr dich die Tatsache verwirrt, dass du einen anderen liebst. Du bist echt unglaublich.«

»Und du denkst wie immer nur an dich«, seufzt er.

»Wenigstens einer, der das tut. Was soll ich denn deiner Meinung nach machen? Darauf warten, dass du dich vielleicht irgendwann doch wieder für mich entscheidest? Oder darauf, dass du mich zu deiner Hochzeit einlädst? Fick dich, Nils. Ich hab keinen Bock auf diese Kacke und ich werde dir ganz bestimmt nicht meinen Segen geben. Das ist es doch, was du willst, oder? Verständnis. Von mir hören, dass es okay ist, damit du beim vögeln kein schlechtes Gewissen haben musst.«

»Das ist doch Schwachsinn«, zischt er.

»Wie dieses gesamte Telefonat, was ich jetzt übrigens beenden werde.«

Gesagt getan knalle ich den Hörer auf, schmeiße ein paar Sachen durch mein Zimmer und heule. Aber diesesmal aus Wut! Ich meine, Halloho...geht's noch? Erzählt der mir, wie scheiße er sich fühlt. Arschgeige! Ich denke nur an mich, hä?! Na und? Er hat doch, was er wollte. Sebastian. ICH hab Schluss gemacht? Entschuldigung, muss mich mal eben kaputt lachen. ER hat sich anderweitig verliebt. Nils ist das Arschloch, nicht ich. Das wollen wir doch mal ganz fix festhalten. Soll ich mir echt einen Kopf um sein Seelenleben machen?

Der spinnt doch total. Blöde Mistratte. Drecksack. Ich...hasse...Nils!!


Ach Cassi ist so süß! Der hat mir eine Anti-Liebeskummer-CD gebrannt. Lauter abgefahrenes Zeug. Ein ganz geiles Cover von »I will survive« ist da drauf. Und das Stück von den Scary Bitches baut mich total auf. »Piss all over your grave«...super fieser Text aber...WOW!! Macht sofort bessere Laune, besonders wenn man's LAUT hört!

Leider bekomme ich schlimme Depressionen als Cassi mich besucht. Er ist nämlich nicht allein. Zecke ist dabei und der ist Schuld, dass die große Nils-Sehnsucht wieder ausbricht und ich losheule. Gott, wie peinlich!!

»Au mann, Juli...«, flüstert der Bauschkopp bestürzt und umarmt mich, was ich allerdings nicht lange aushalte. Irgendwie riecht Zecke nach Nils.

Wir sitzen unangenehm schweigend rum und mir ist schon wieder schlecht. Warum sind die zwei hier? Die sollen gehen.

»Und...was macht das Traumpaar?« frage ich schließlich.

Zecke wird rot und fängt an zu schwitzen. »Keine Ahnung«, murmelt er.

»Also sind die zusammen, oder wie?«

»Weiß nich genau.«

»Warum? Siehst du Nils nicht mehr?«

Natürlich tut es scheißverdammt weh...wissen will, muss, ich's dennoch. Komisch, dass man sich immer selber so fertig macht, oder?!

»Doch schon aber...ey, ich mag mich da nicht einmischen. Frag ihn selbst.«

»Du sollst dich nicht einmischen, sondern einfach nur meine Frage beantworten. Also...Ja oder Nein?«

Zecke atmet angestrengt. »Ich glaube ja. Ich bin mir aber nicht sicher. Nils geht's wirklich dreckig und wahrscheinlich...«

»Danke«, unterbreche ich ihn, »das reicht schon.«

»Es tut mir echt leid, Juli.«

»Jaja, allen tut es leid. Nützt nur nix.«

»Wirklich«, schnauft er, »ich kann einfach nicht begreifen, was er an diesem Sebastian-Arsch findet. Keiner von uns versteht das. Vielleicht hat der Nils Drogen gegeben oder sowas?

Lotte und ich waren echt geschockt, als er erzählte, dass ihr...ich meine...»

»Wir haben uns getrennt. Du kannst das ruhig aussprechen«, sage ich und fühle meine Augen feucht werden. Ganz so leicht ist es doch nicht.

Nach einem reichlich verkrampften Video-Abend verabschieden sich die beiden. Klar, die wollen allein sein und sich den Verstand rausficken. Das, was Nils und Basti-Spasti wohl im Augenblick machen. Mir fallen die ganzen süßen Sachen ein, die Nils mir gesagt hat...dass er niemals mit mir Schluss machen würde, wie sehr er mich liebt, dass er mich so doll vermisst...ich erinnere mich genau an den Geruch seiner Haut, seine Wärme, wenn ich neben ihm aufwache, seine verstrubbelten Haare, sein Lächeln, seine zuckersüßen Küsse. Und dann erscheint wieder dieses Nils-küsst-Sebastian-Bild. Ich werd noch verrückt! Ich muss etwas tun!

Meine Finger sind schwitzig, als ich Nils' Nummer wähle. Mein Herz rast bis an die Schmerzgrenze und ich bin kurz vorm Kollaps aber ich weiß, dass ich mich danach besser fühlen werde. Bittebitte, lass ihn da sein!!

Es tutet, es klickt...

»Hallo?«

»Hier ist Julian«, sage ich mit fester Stimme, für die ich mich unglaublich anstrengen muss.

»Äh...hallo«, ist Nils' unsichere Antwort.

»Hör einfach nur kurz zu, okay? Und Nils...hör ganz genau zu«, sage ich eindringlich und drücke zittrig den Knopf des CD-Players.

I hope you die young, I hope you die in pain, I hope you die alone in the pouring rain
I hope you die cold and empty and sad, they send you to hell on the other side
I hope you die young, I hope you die in pain, I hope you die alone and half insane

Jetzt kommt mein Lieblingsteil!!

And I hope that I'm still alive, so I can dance and sing and piss all over your grave

Nils atmet schwer und als ich ohne ein weiteres Wort auflege macht sich ein sehr wunderbares Gefühl in mir breit.

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