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Feindkontakt

Teil 2

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Die Prügelei ist in vollem Gange. Diesmal haben wir angefangen und es steht relativ unentschieden. Lässig kicke ich einem Blödmann meinen Fuß in weiche, schmerzhafte Gefilde. Mich kotzt alles an. Nicht nur, dass Noahs Lippe blutet, weil sie von Tims Faust getroffen wurde, sondern generell. Ich meine, WAS zum Henker soll der ganze Kack?

Wann hört das alles auf? Wir müssen mit den Deppen ja keine Blutsbrüderschaft eingehen, nicht beachten würde für den Anfang schon ausreichen. Ignorieren statt provozieren. Eine Art Waffenstillstand. Der Blödmann hat sich erstaunlich schnell bekrabbelt und rammt mir sein Knie in den Magen, was sehr unangenehm ist. Bin froh, dass ich heute noch nichts gegessen habe, trotzdem ist mir nach übergeben. Ich gehe zu Boden, krümme mich zusammen, bleibe einfach liegen und hoffe, man lässt mir meine Ruhe. Vorher bekomme ich aber noch einen Tritt in die Rippengegend. Schönen Dank auch!

Als es vorbei ist werden Tim und ich wie gewohnt von den Mädchen verarztet.

»Ich hab echt keine Lust mehr auf sowas«, seufzt Elisa.

Haha... als hätte sie die Hucke voll gekriegt. Und überhaupt, ich hab ja wohl auch keinen Bock drauf.

»Ernsthaft, Bennie... weiß einer von euch Pappköpfen eigentlich noch, worum es geht? Kleine Prügeleien unter Kindergartenjungs schön und gut, aber ihr seid fast erwachsen. Ihr solltet langsam mal in der Lage sein, eure Probleme anders zu lösen.«

»Ja, Mama«, zische ich.

»Ist doch wahr. Noah ist sauer, weil ich jetzt mit dir zusammen bin... warum muss sich das auf ZWEI Schulen auswirken?«

Meine Freundin lebt anscheinend sehr phantastisch. »Du hast mit der Sache nicht das Geringste zu tun, Elisa. Entschuldige, aber... die Welt dreht sich nicht nur um dich, auch wenn du das vielleicht gerne hättest.«

»Was soll das heißen?« fragt sie zickig.

»Ich glaube, ich hab mich sehr verständlich ausgedrückt.«

»Okay, ich nehme mal an, du bist wegen der Schlägerei so mies drauf... ansonsten würde ich denken, du möchtest einen Streit provozieren. Allerdings hätte ich dann gerne gewusst, warum«, erklärt sie und knallt grob ein Pflaster auf meinen Handrücken.

Ich bin müde. Meine Rippe tut weh. Und ich will sehen, was mit Noah ist. Auf gar keinen Fall will ich mich jetzt mit Elisas Launen befassen. »Tut mir leid«, murmle ich weinerlich.

»Wir sehen uns morgen?«

Ich nicke ergeben, bekomme einen nicht sehr gefühlvollen Kuss auf die Wange und bin entlassen. Tim hatte anscheinend weniger Stress mit Sissi, er knutscht sie zum Abschied fünf Minuten.

»Ich hoffe, du bist beruhigt, weil die Normalität wieder hergestellt ist«, zische ich auf dem Nachhauseweg.

»Mann«, freut sich Tim, »ich hab diesem Noah-Penner ordentlich in die Fresse gehauen. Ha! Fragt sich nur, wer jetzt hier die kleine Suse ist.«

Die Hand in meiner Jackentasche ballt sich zur Faust, und wenn ich weiter so auf meine Lippe beiße, fängt sie an zu bluten wie Noahs. »Vielleicht hat Elisa recht«, beginne ich vorsichtig.

»Womit?«

»Dass diese Kloppereien für'n Arsch sind.«

Er bleibt stehen und hält mich an der Schulter fest. »Ey, Schneider, wie bist du denn drauf?«

»Ich finde, ich könnte dich dasselbe fragen.«

»Scheiße, eine Freundin zu haben, bekommt dir wohl nicht, was? Wirst ja ganz weich.«

Die Faust in meiner Tasche ist hart und wenn der noch weiter nervt, darf er sie gleich spüren.

»Mal ehrlich«, faselt er, »du warst doch derjenige, der am lautesten gebrüllt hat, dass Noah ein Pisser ist, dem die Visage poliert gehört. Kann ich was dafür, dass du jetzt auf einmal verknallt in den bist?«

Ich bemühe mich erst gar nicht, bei diesem letzten Satz irgendwie rot zu werden. Tim hat das nicht gesagt, weil er ahnt, dass er recht hat, sondern weil er blöd ist.

»Ich hab einfach keine Lust mehr, ständig Hausarrest zu kriegen. Meine Mutter sieht doch, dass ich mich schon wieder geschlagen habe«, erkläre ich.

»Also... mir war's das wert.«

»Mir nicht. Kann meine Freizeit durchaus sinnvoller gestalten.«

»In dem du das Mädchen deiner Träume nicht vernaschst, wenn es sich anbietet?«

Okay, meine Kinnlade fällt mir auf die Schuhe. Bekloppt vor Wut stampfe ich weiter.

»Bennie... es tut mir leid. Ich... ich hätte das nicht sagen sollen. Aber du solltest wissen, dass Elisa reichlich verstört war. Und enttäuscht. Das hat jedenfalls Sissi erzählt.«

»Die kleine Schlampe sollte ihr Maul auch nur zum Blasen aufmachen«, fauche ich. »Oh, tut mir leid, das hätte ich jetzt nicht sagen sollen«, füge ich zuckersüß lächelnd hinzu.

»Oh Mann, reg dich erstmal ab, Schneider. Bis morgen.«

Ich will nur noch in Noahs Arme!!

Zuhause gibt's das Übliche »Junge, was ist denn mit deiner Hand passiert?« von meiner Mutter und die Ausrede »Beim Sport« von mir. Danach verkrampftes Mittagessen und ich frag schon gar nicht mehr, wo sich mein Vater rumtreibt. Der ist immer seltener da. Kann ich verstehen, besonders lustig geht's hier nicht zu. Noch ein Grund, warum ich mich bei Noah so wohl fühle. Wenn da beispielsweise zusammen gegessen wird, reden die über tausend Sachen, scherzen miteinander, und man merkt, dass die sich alle sehr gern haben. Bei uns wird gebetet und danach schweigend das Essen reingeschaufelt. Es ist die Art meiner Mutter, jeglichen Funken Lebensfreude um sich herum schon im Keim zu ersticken. Dabei ist sie nicht böse oder sowas. Wahrscheinlich ein Andenken ihrer Erziehung. Mein Opa ist wahrlich kein netter Zeitgenosse. Mehr die Gattung... Männer sind die besseren Menschen. Meine Oma hat sich jedenfalls gehütet, aufzumucken. Auch wenn's hart klingt, aber zu sterben, war das beste, was ihr passieren konnte. Tja und Mama wurde so erzogen wie sich das für ein dummes minderwertiges Mädchen gehört. Wenig bis gar keine Liebe, dafür aber umso mehr Kirche und Küche. Kein Wunder, dass sie sich derart in ihren Glauben flüchten musste... sie hatte ja nichts anderes. Bruder und Schwester waren ein Herz und eine Seele (und sicher noch viel viel mehr), während sie allein vor sich hin betete. Ich sag's nicht gern aber... wir sind in Wahrheit die Freaks. Nicht Noah. Nicht seine Deppenfreunde.

Nach den Hausaufgaben mache ich mich auf den Weg zu Noah, und je näher ich seinem Haus komme, desto freier kann ich atmen. Als ich sein Gesicht sehe, muss ich allerdings erstmal vor Schreck die Luft anhalten.

»Scheiße«, murmle ich und berühre vorsichtig seine kaputte Lippe.

»Dein bester Freund ist so gut wie tot«, zischt er.

»So schlimm?«

»Naja, das Küssen fällt wohl heute flach.«

»Verdammt.«

»Komm, lass uns ins Bett gehen, ja?«

»Nee, das Vögeln fällt auch aus. Meine Rippe tut so weh, dass ich mich kaum bewegen kann.«

»Gott, Bennie...«, bollert er los, »ich will dich doch nicht flachlegen, sondern einfach nur'n bisschen spüren. Dich festhalten, weil... weil du mir gefehlt hast.«

Viel Kleidung ist dafür nicht erforderlich. Wir kuscheln uns unter die Decke, ich schmuse mich augenblicklich in seine Arme. Ruhe und Entspannung finde ich allerdings nicht. Mir geistert so viel im Kopf herum, dabei kann ich nicht mal genau sagen, was. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, bekloppt zu werden?! Mein Herz rast, ich geh kaputt. Aggressiv grapsche ich an ihm rum.

»Ich... ich möchte dich so gerne küssen«, japse ich verzweifelt, sauge mich wie verrückt an seinem Hals fest und umklammere seinen Schwanz.

»Bennie... hör auf.«

Nein. Ich will...

»Verdammt«, zischt er, »du kannst das nicht erzwingen, okay? Was ist zum Teufel los mit dir?«

Das wüsste ich auch gerne. Es geschieht nämlich etwas sehr Seltsames. Ich fange an zu weinen! Keine Ahnung, wieso, und erst ist es auch lediglich ein leichtes Schniefeln. Aber dann...

»Bennie, was hast du denn?« fragt Noah leise.

Seine Nähe bringt mich fast um und doch ist er immer noch viel zu weit weg. Völlig irrsinnig halte ich mich an ihm fest.

»Babe, du machst mir Angst.«

»Entschuldige«, murmle ich, nachdem ich mich etwas beruhigt habe. »War wohl heute alles ein bisschen viel.«

»Wir haben uns schon schlimmer geprügelt.«

»Ja, mag sein. Aber es hat noch nie so weh getan.« Ich befreie mich aus seinen Armen und ziehe mich an.

»Wohin willst du?«

»Nach Hause.«

»Ah ja? Und warum so plötzlich?«

»Hör zu, ich hatte einen ätzenden Tag und... ich will einfach allein sein.«

»Wann sehen wir uns?«

»Keine Ahnung. In ein paar Tagen vielleicht.«

Ich gehe nicht sofort nach Hause, sondern spaziere durch den Wald. Dummerweise treffe ich dabei auf Elisa. Als wäre der Tag nicht schon schrecklich genug gewesen.

»Bennie... hey, mit dir hätte ich jetzt überhaupt nicht gerechnet.«

»Hallo.«

»Was tust du hier?«

Ich zucke nur die Schultern und hocke mich auf einen Baumstamm, der da rumliegt.

»Es tut mir leid, dass ich so zickig war.«

»Mir auch.«

Elisa setzt sich neben mich und greift nach meiner Hand. Mir ist nach Schreien. Am liebsten würde ich ihr alles sagen.

»Ich finde, wir sollten mal reden«, beginnt sie.

»Worüber?«

»Uns?« schlägt sie vor.

Das ist mein Stichwort! Es tut mir leid, Elisa, aber ich bin absolut und vollkommen in Noah verliebt. Während du mit ihm zusammen warst, vögelte er mir den Verstand raus, und während du mit mir zusammen bist, vögelt er mir den Verstand raus. Eigentlich vögeln wir ständig und es macht verdammt viel Spaß. Sei nicht böse, dass wir dich belogen und betrogen haben. War keine Absicht, hat sich halt einfach so ergeben, weil Noah mich letzten Sommer verführt hat und ich ihm seitdem total hörig bin. Wir können gerne Freunde bleiben.

DAS klingt ziemlich scheiße! Außerdem bin ich Noah nicht hörig. Jedenfalls nicht mehr, als er mir.

»Du willst also nicht?«

»Äh, was?«

»Reden. Sag mal, wo bist du mit deinen Gedanken?«

»Sorry, ich hatte einen anstrengenden Tag.«

»Ja«, grummelt sie, »wie so oft in letzter Zeit. Prügelst dich ja lieber, anstatt mit mir zusammen zu sein. Bennie, wir sehen uns doch kaum noch.«

»Wir sehen uns andauernd.«

»Ich meine... allein. Ich versteh's einfach nicht. Erst hast du nichts unversucht gelassen, mich ins Bett zu kriegen, dann bin ich so weit und du... lässt mich abblitzen. Bist du sauer? Soll das sowas wie eine Strafe sein, weil ich dich so lange hab zappeln lassen? Das heißt, ich hab dich ja nicht wirklich zappeln lassen, es ist nur... ich war mir halt nicht sicher und... und so...«

Okay, wie soll ich ihr jetzt sagen, dass ich ihren Ex liebe, oder?! Also sage ich lieber gar nichts, sondern nehme sie in den Arm.

»Wenn... wenn du mich nicht lieb hast, dann sag's mir, Bennie«, flüstert sie zittrig.

»Ich hab dich lieb.«

»Was ist es dann?«

»Ich... ich hab momentan so viele Sachen im Kopf. Dieser Stress mit Noahs Deppen geht mir auf den Senkel... du hast da vollkommen recht, sag das vielleicht mal Tim... Gott, und meine Mutter macht mich wahnsinnig. Immer will die wissen, was ich mache, wohin ich gehe, wann ich zurück komme und... immer betet die. Meinen Vater hat sie schon fast vertrieben.«

Elisa macht ein ziemlich betretenes Gesicht. »Shit, das... das wusste ich nicht.«

»Das ist ja auch nichts, was man mal eben so in lockerer Runde erzählt«, antworte ich gequält.

»Kann ich dir irgendwie... helfen?«

»Nee. Leider nicht. Außer vielleicht... du könntest aufhören, unsere Sexangelegenheiten mit deiner kleinen Plaudertaschen-Freundin zu bequatschen. Tim, der mir erzählt, wie enttäuscht du bist, ist grad das, was ich noch brauche.«

»Bennie, das tut mir wirklich leid. Ich dachte, Sissi... also, ich... die kann echt was erleben.«

Schön. Hoffentlich hab ich jetzt eine Mädchenfreundschaft auf dem Gewissen. Das kümmert mich einen Dreck!


Hab mich ein paar Tage nicht bei Noah sehen lassen. Ich vermisse ihn bis zum Schwachsinn und gerade das macht mir total Angst. Zu wissen, dass man jemanden gern hat, ist eine Sache. Auszusprechen, dass man jemanden liebt, eine andere. Komisch, oder? Ich meine, es hat sich zwischen uns ja eigentlich gar nichts geändert. Trotzdem. Ich liebe dich...das bedeutet doch schließlich was. Das macht verwundbar, oder sowas. Die Angriffsfläche für Verletzbarkeiten viel, viel größer. Und zwar auf beiden Seiten... ich kann nicht mehr heute Noah vögeln und morgen mit Elisa schnuckeln, weil ich meinem Freund damit weh tue. Elisa hat von all dem keine Ahnung, was auch nicht besonders fair ist. Dass ich mich gefühlsmäßig vollkommen für Noah entschieden habe, ist mir klar. Dennoch mag ich Elisa sehr. Wie doof ist das denn?

Während ich meine sehr beknackte Situation überdenke, schellt mein Handy. Noah!

»Hey, was gibt's?«

»Ich... mh, ich wollte nur wissen, ob wir noch zusammen sind.«

»Klar. Was soll die Frage?«

Er schnauft ein wenig. »Du heulst, läufst weg und meldest dich dann einfach nicht mehr. Meine Gedanken fahren Achterbahn.«

Heute ist Freitag... sehr gut! »Kann ich zu dir kommen?«

»Logisch.«

»Okay, bis gleich.«

»Äh... sagen wir in zwei Stunden, ja? Muss noch was erledigen.«

»Meinetwegen.«

Zwei Stunden später stehe ich mit hinterm Rücken verschränkten Armen vor Noah.

»Eine gute Nachricht«, lächelt er, »ich kann wieder... küssen.«

»Fein«, grinse ich und hänge augenblicklich an seinen Lippen. »Ich... ähem, ich hab noch was für dich.«

»Aha?«

Schwupps, zaubere ich hinter meinem Rücken eine Schachtel hervor. Wahrscheinlich werde ich auch ein wenig rot, meine Wangen fühlen sich jedenfalls ziemlich heiß an.

»Ohhhhhh... Schokoladenfiguren. Danke, Schatz«, giggelt er. »Das wär doch nicht nötig gewesen.«

»Blödmann.« Ich setze mich auf Bett und warte, dass er zu mir kommt, was er aber nicht tut.

Er bleibt an seinen Schreibtisch gelehnt stehen. »Was ist denn?«

»Ähem... naja, also...«, stottert er mit roter Visage. Hä? Wieso wird der denn rot?

»Was stehst du da überhaupt so rum?«

Zögernd geht er einen Schritt zur Seite. »Deswegen«, murmelt er.

Ach du Scheiße! Ich werd verrückt. Hastig stürme ich auf ihn zu. »Das... das hast du nicht gemacht, oder?«

»Ich fürchte doch.«

Da steht ein silbernes Tablett auf seinem Schreibtisch. Ein silbernes Tablett mit einem... Schokokuchen! Auf dem dunklen Guss kleben... rosa Zuckerherzchen! Und um den Kuchen herum tummeln sich... Liebesperlen! Schade, dass ich mein Gesicht grad nicht sehen kann.

»Den... den hab ich ganz allein gebacken«, erklärt er stolz.

Ich kann immer noch nichts sagen, was Noah anscheinend sehr nervös macht.

»Naja, ich dachte... es ist mehr lustig gemeint, weil... also, du musst den auch nicht essen...«

Meine Hände krallen sich in sein Shirt, mit einem Ruck ziehe ich ihn an mich und küsse ihn.

»Oh Gott, Noah«, sage ich atemlos, »das... wow... das ist sooooo süß.«

Seine Augen bekommen ihren Glanz zurück. »Ja?«

»Den essen wir später. Ich finde... es ist unbedingt Zeit, mal wieder ein bisschen Spaß zu haben.«

»Was hast du dir da so vorgestellt?« lächelt er verführerisch.

Ich schubse ihn aufs Bett. »Zieh dich aus.«

Ein Grinsen erscheint auf seinem Gesicht. »Ui, wir sind aber heute sehr dominant, was? Soll ich die Handschellen rausholen?«

»Sag bloß, die hast du noch.«

»Na klar. Ich schmeiß doch dein Lieblingsspielzeug nicht weg.«

»Die Teile waren deine Idee. Hab ja nicht mal gewusst, dass es sowas überhaupt gibt.«

Noah lacht sich kaputt. »Darf ich dich dran erinnern, dass du nur noch damit wolltest...«

»Halt's Maul, du Arsch«, sage ich beleidigt. »Ähem... wo...«

»Na in der Schublade«, giggelt er. »Zusammen mit den Fotos, dem Porno, de...«

»Was für'n Porno?«

»Unserem.«

»Du hast uns heimlich gefilmt?« frage ich entgeistert und bekomme einen leichten Schlag gegen die Stirn.

»Da sind doch nicht wir drauf, du Idiot.«

Gott sei Dank!! Noah ist alles zuzutrauen.

»Und was heißt hier überhaupt Unserem? Also ich weiß davon nichts. Mit wem guckst du dir denn sowas an, mh?«

»Eigentlich mit dir, aber dann kam diese bescheuerte Trennung dazwischen und... naja, der ist auch nicht besonders toll. Eher lustig. Muskeltypen im Swimmingpool, schwabbernde Schwänze in Großaufnahme und so'n Kack. Scharf wird man dabei jedenfalls nicht.«

»Noah, du solltest dich jetzt wirklich ausziehen.«

Da er keine Anstalten macht, seine Kleidung abzulegen, muss ich mich auf ihn stürzen.

»Zieh dich aus«, wiederhole ich streng.

»Zwing mich«, wispert Noah, zwinkert mir zu und leckt kurz über meine Lippen.

Nach sehr leidenschaftlichem Sex kuscheln wir eine Weile. Mein Blick fällt auf...

»Ich glaub's nicht. Du hast echt einen Kuchen gebacken.«

»Ja, nur zum Blumen pflücken hat die Zeit nicht mehr gereicht.«

»Ich wusste gar nicht, dass du sowas kannst.«

»Blumen pflücken?« fragt er blödsinnig.

»Backen«, antworte ich und knabbere an seinem Hals.

»Meine Mama hat mir gesagt, wie das geht. Und danach die Küche renoviert. Ich war echt total schweinisch.«

»Na, das ist nix Neues. Du, Noah, ich möchte gerne heute bei dir schlafen. Ist das okay?«

»Das solltest du lieber deine Mutter fragen.«

»Danke, jetzt ist meine Stimmung im Eimer. Gib mir mal das Telefon.«

Sie meldet sich nach ungefähr dreißig Stunden. Sicher hab ich sie beim Beten gestört.

»Hi, Mom, ich bin's. Ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich bei einem Freund übernachte.«

»Du meinst, du wolltest fragen, ob du bei einem Freund übernachten darfst«, verbessert sie streng.

»Genau das.«

»Wo und bei wem?«

»Ähem... Malte.«

»Nein, Benjamin, das ist mir nicht recht. Dein Vater und ich kennen diesen Jungen nicht. Du kommst bitte nach Hause.«

Ich gluckse unterdrückt, weil Noah gerade meinen Hals beknabbert. »Hör zu, Malte...«,

Noahs Mund begibt sich in tiefere Gefilde, »Malte kommt am Sonntag zum Gemeindefest. Darf ich bitte so lange hierbleiben?«

»Benjamin... also, ich weiß nicht. Was sagen denn seine Eltern, wenn du da so lange zur Last fällst? Ich möchte mit ihnen sprechen.«

»Die... mhh, also, die sind im Augenblick nicht da. Aber wir haben sie natürlich vorher gefragt, ob ich...«, Noah küsst meinen Bauch, »bitte, Mama.«

Sie seufzt. »Ausnahmsweise. Und am Sonntag wirst du ihn mir vorstellen.«

»Ja«, zische ich und flitsche Noahs Finger von meiner Brustwarze.

»Dann... benimm dich anständig. Und sag seinen Eltern einen lieben Gruß.«

»Okay.« Ich schmeiße den Hörer auf und schubse Noah zur Seite. »Du Penner. Wie kannst du solche Sachen machen, wenn ich mit meiner Mutter telefoniere? Bist du bescheuert?«

»Du wolltest doch ein bisschen Spaß«, grinst er.

»Arschloch. Das ist nicht lustig.«

»Stimmt. Es tut mir leid.«

»Tut's dir gar nicht.«

»Wie willst'n Malte aufs Gemeindefest kriegen?«

Mein Blick verfinstert sich noch mehr. »Halt die Fresse.«

»Deine Mutter wird dich niemals wieder irgendwo übernachten lassen, das ist dir klar, oder?«

»Halt die Fresse.«

Er zuckt die Schultern, hopst aus‘m Bett und knibbelt an meinem Kuchen rum.

»Mach den nicht kaputt, du Arsch«, rufe ich entrüstet.

»Ich hab Hunger, lass uns essen.«

Zum Schokokuchen serviert Noah Gebrannte Mandel Tee. Seine Eltern sind absolute Teefanatiker und haben ständig die abenteuerlichsten Sorten. Danach ist wieder Kuscheln angesagt, aber Noah ist irgendwie nicht bei der Sache.

»Was denn?« frage ich.

»Fühlst du dich manchmal eigentlich auch so eingesperrt?«

»Hä?«

»Naja, wir sind immer nur im Bett.«

»Seit wann stört dich das?«

»Weiß nicht. Ich... ich möchte halt... keine Ahnung... wir können nie zusammen rausgehen, weil uns ja keiner sehen darf. Das ist doch zum Kotzen.«

Das ist es allerdings aber... kann ich das vielleicht ändern? Okay, natürlich könnte ich. Hab nur sehr große Angst vor den Konsequenzen. Meine Mutter fällt tot um, Elisa hasst mich und meine Freunde... Tim... au je!

»Für eine Beziehung sind mir gelegentliche Sextreffen zu wenig, Bennie.«

»Na toll, und was sollen wir jetzt machen?« entgegne ich eine Spur zu aggressiv.

»Mir ist es egal, was andere sagen.«

»Wenn meine Mutter was mitkriegt, können wir unsere gelegentlichen Sextreffen vergessen. Ist dir DAS vielleicht auch egal?«

»Bis an dein Lebensende wegsperren kann sie dich nicht. Ich finde, wir sollten es darauf ankommen lassen. Und... du solltest endlich mit Elisa reden. Du kleiner Feigling hast ihr doch sicher noch nichts gesagt, oder?«

»Schluß machen ist halt nicht so einfach.«

»Uns beide haben, geht aber auch nicht.«

»Dann sag du's ihr doch.«

»Okay, kein Problem«, erklärt er.

Scheiße, der bringt das wirklich. »Nee, ich mach das schon selber.«

»Wann?«

»Wenn ich es für richtig halte. Dräng mich bloß nicht.«

»Fein. Ich werde erst wieder mit dir schlafen, wenn du dich von Elisa getrennt hast.«

»Haha... das schaffst du notgeiler Vollidiot niemals.«

»Sei dir da mal nicht zu sicher«, lächelt er, »ich hab mich unter Kontrolle, ganz egal, was du anstellst.«

»Und woher willst du wissen, dass ich nicht mit DIR Schluß mache und mit Elisa schlafe?«

»Du liebst mich, Bennie.«

Verdammt!!


Noah, der kleine Penner, hat seine Drohung wirklich wahr gemacht. Von Freitagabend bis Sonntagmittag gab's keinerlei Sexualkontakt. Ein bisschen Küssen, ein bisschen Knuddeln, das war alles. Ich hab gesäuselt, gebettelt, gefleht, gejammert, verführt, gemacht und getan...

NIX. Gott, ich hasse diesen Typen!

Darüber kann ich mich jetzt aber nicht mehr aufregen, weil heute Gemeindefest angesagt ist.

Auf der Wiese hinter der Kirche sind ein paar Stände aufgebaut. Elisa verkauft Kuchen und ich bin bei den Getränken. Zwischendurch noch die Tombola, bei der von der Gemeinde gestifteter, unnützer, Kleinkram verlost wird. Für die Kinder gibt's eine Runde in 'nem echten Feuerwehrauto und/oder eine Planwagenfahrt. Die alten Gäule könnten nicht mehr stinken, wenn sie schon tot wären. Ich versuche, nicht zu atmen, als ich an den Viechern vorbei gehe.

Meine Mutter schleppt Kaffeekannen zu Elisa und winkt mir hektisch, als sie mich beim Pappbecher aufstellen sieht. Fuck! Da kommt sie auch schon angerannt, faselt mich voll und dann tut sie etwas, wofür ich sie bis ans Ende aller Tage verabscheuen werde. Sie glättet meinen durch den Wind zerzausten Haarschopf. Besser gesagt, die Ponysträhnen. Das wäre nicht weiter schlimm aber... sie leckt vorher ihre Finger an!! Ekelhaft und peinlich sind nur zwei Wörter, die mir dabei durch den Kopf schießen. Zum Glück hat das im allgemeinen Treiben um uns rum niemand mitgekriegt. Meine Mutter ist geisteskrank, da bin ich mir sicher.

Das Fest ist dermaßen langweilig, dass ich die ganze Zeit an Noah halbnackt denken muss.

Eröffnet wird es durch eine ultra lange Rede vom alten Pfarrer, der dem lieben Gott für alles dankt, was man sich nur vorstellen kann. Mama lauscht andächtig, während der junge Pfarrer-Kollege verstohlen in meine Richtung glotzt. Ich sag's ja... der steht auf mich! Da räkel ich mich doch gleich ein wenig auf meinem Klappstühlchen, lasse mein T-Shirt unanständig nach oben rutschen und streiche mir zusätzlich über den Bauch. Bingo! Der Mann Gottes kriegt 1a rote Ohren. Dann hab ich keine Zeit mehr für solchen Mist, weil andauernd irgendwer was zu Trinken will. Elisa hat am Kuchenstand mit Sissi ebenfalls alle Hände voll zu tun. Tim, der mir helfen sollte, ist noch nicht aufgetaucht. Das hat der letztes Jahr schon so gemacht. Kam total spät, weil er eine faule Arschgeige ist, mit einer super schwachsinnigen Ausrede. Ich sollte ihm die Fresse polieren.

»Ein schönes Fest«, seufzt Mama an ihrem Wasser-im-Pappbecher nippend. »Ein Glück, dass das Wetter mitspielt. Wäre für die Kinder doch schade...«

»Ja«, nicke ich brav.

»Und, wo ist nun der junge Mann?«

»Hä?« mache ich auf ahnungslos.

»Dein Freund Malte. Ich dachte, er...«

»Oh, der... ähem, der lässt sich entschuldigen. Sein... seiner... Oma geht's nicht gut... äh... Schlaganfall.«

»Um Gottes Willen«, ruft Mama bestürzt. Doch plötzlich verengen sich ihre Augen. »Willst du mich für dumm verkaufen, Benjamin? Du weißt, was wir besprochen haben. Keine Freunde, die dein Vater und ich nicht kennen. Und jetzt lügst du mir auch noch frech ins Gesicht. Erfindest so eine abscheuliche Geschichte. Was ist nur los mit dir?«

Scheiße! Erkennt keinen Knutschfleck, durchschaut aber eine kleine Lüge sofort. »Tut mir leid«, murmle ich zerknirscht.

»Damit ist es diesmal nicht getan. Du hast Hausarrest. Drei Wochen. Und nach dem Fest kommst du sofort nach Hause, hast du verstanden?«

»Mama, bitte... drei Wo...«

»Diskussion beendet«, unterbricht sie mich streng. »Es wird kühl, zieh dir eine Jacke über. Ich gehe jetzt. Um halb neun bist du zu Hause, Freundchen.«

Wenn meine Mutter sauer ist, hantiert sie immer mit solch abartigen Begriffen wie Freundchen oder Bürschchen. Ich muss mich kräftig schütteln. Und eins ist klar: drei Wochen ohne Noah kann die vergessen!!

Eine Weile später kommt Elisa angeschlendert, die in ihrem Blümchenkleid sehr hübsch aussieht. »Hey, gibst du mir eine Cola?«

Ich stelle ihr einen Becher hin.

»Tim mal wieder unterwegs, um einen Bus voller Omas vor Terroristen zu schützen?«

»Ja, wahrscheinlich.«

»Du... wenn das hier vorbei ist, wollen wir dann noch was machen?«

»Geht nicht. Hab Hausarrest.«

»Schon wieder?« fragt sie enttäuscht. »Deine Mutter geht mir langsam auf die Nerven.«

»Mir auch.«

»Wie lange denn?«

»Drei Wochen«, antworte ich finster.

»Na super«, stöhnt sie, »dann ist der Sommer vorbei. Aber wenn Tim kommt, könnten wir doch...«

»Mal sehen. Erstmal muss er ja da sein.«

Kaum hab ich zu Ende gesprochen...

»Hey, hallo, sorry, es ging nicht eher. Ich musste noch...«

»Erspar uns die aufregenden Details, Tim«, fauche ich. »Fauler Sack.«

Damit verschwinden Elisa und ich kurz in den Wald.

Mir ist ziemlich übel, denn eigentlich sollte ich jetzt mit ihr reden. Besser gesagt, mit ihr Schluß machen. Leider lächelt sie so bezaubernd, dass ich es nicht fertig bringe. Küssen tut sie mich auch. Mist! Nee, heute geht's nicht. Besser ich warte noch. Gelegenheit zum Sex mit Noah wird's in den nächsten drei Wochen eh nicht geben. Noah... also, wenn ich ehrlich bin, würde ich schon lieber mit ihm hier... anstatt mit ihr. Ich hab das mit der Entscheidung so dahin gesagt, spüre aber grad sehr deutlich, dass es mir ernst ist. Elisa nicht mehr küssen, das kann ich problemlos aushalten. Noah zu verlieren... undenkbar! Er hat mir einen Kuchen gebacken, verdammt noch mal!! Er ist der einzige, der es schafft, meinen Hals so zu küssen, dass ich vor Lachen nicht zusammenbreche. Bin nämlich an der Stelle kitzlig bis zum Erbrechen. Er heult bei Zeichentrickfilmen. Er macht ganz doll süße Schlafgeräusche. Er löffelt Nutella aus'm Glas. Seine Hände sind unglaublich weich, genau wie seine Lippen, seine Haut, seine Haare, mhhhh... und er riecht so schnuffig. Ich liebe ihn. Es...

»Es ist aus«, vernehme ich mit einem Mal sehr deutlich. Und zwar von mir.

»Wie? Was meinst du?« fragt Elisa blöde.

»Du und ich... die ganze Sache zwischen uns. Es ist vorbei.«

Einen Moment starrt sie mich an, dann reißt sie erschrocken ihre Augen auf. »Aber... das... wieso? Ich verstehe nicht... Bennie. Wenn das ein Scherz sein soll, ich kann darüber nicht lachen.«

»Kein Scherz«, entgegne ich und lasse sie da einfach verwirrt auf dem Baumstamm hocken.


Hab ich echt gedacht, ich mache mit Elisa Schluß und alles ist gut? Wie blöd kann man denn sein? Der ganze Stress fängt jetzt erst richtig an. Noah ist natürlich happy, hätte mir das so schnell gar nicht zugetraut. Elisa heult die ganze Zeit, Sissi hasst mich und Tim bombardiert mich mit Fragen. Wieso, weshalb, warum, gibt's ein anderes Mädchen, ob ich krank sei, die arme Elisa... blablabla. Ich schweige. Was sonst, oder? Meine Situation hat sich jedenfalls nicht verbessert. Hausarrest, Arschlochblicke in der Schule (die Sympathien sind logischerweise auf Seite der Abgeschossenen), Sehnsucht nach Noah und immer noch dieses schreckliche Geheimnis, in den Feind verliebt zu sein. Wenigstens kann Noah mir den Sex nicht mehr verweigern. Das ist leider schon die einzige gute Nachricht.

Mein Vater wird mehr und mehr zum Gast in diesem Haus. Ich glaube ja, der hat eine Freundin. Das Verrückte ist... ich denke, meine Mutter weiß das und es ist ihr egal! Naja, sollen die doch selber mit ihrer beknackten Beziehung zurande kommen. Geht mich alles nichts an. Ich fände es auch nicht schlimm, wenn die sich scheiden lassen. Nur, würde ich dann gerne zu Paps ziehen, wenn er mich haben will.

Elisa tut mir total leid. Ich wollte ihr niemals wehtun. Und wie kann ich mich auf Noah freuen, mit dem Wissen, dass es ihr schlecht geht, weil sie verflucht noch mal überhaupt keine Ahnung hat, was zur Hölle eigentlich los ist?! Dummerweise spielt das für mich keine Rolle, wenn ich in Noahs Armen liege, was ja momentan eher unmöglich ist. Ich geh kaputt. Zwei Wochen Knast noch. Mama lässt nicht mit sich verhandeln. Ich darf zur Schule, zum Chor und danach sofort in mein Zimmer. Wenn ich hier bekloppt werde und ausflippe, ist das allein ihre Schuld.

Am zehnten Tag meiner Gefangenschaft halte ich es nicht mehr aus. Das Fenster in meinem Zimmer geht nach hinten raus, ich wohne nicht besonders weit oben und haue nicht das erste Mal mitten in der Nacht ab. Früher hab ich das oft gemacht, um mich mit Tim zu treffen und wer weiß was anzustellen. Heute verschwinde ich, um mit Noah zu vögeln.

Sein Haus erreiche ich ohne Zwischenfälle, es dauert allerdings eine Weile, bis er mein Schaben an seinem Fenster bemerkt. Kann ja schlecht Mama und Papa wachklingeln.

Verschlafen und verstrubbelt öffnet er. »Bennie? Was...«

»Lass mich schon rein«, zische ich.

»Ist was passiert?« fragt er wirr.

»Nein«, antworte ich und dränge ihn küssend zum Bett.

Zeit für ein ausgedehntes romantisches Vorspiel haben wir nicht. Wir kommen augenblicklich zur Sache und sind ziemlich schnell fertig. Jetzt ist zwar der akute Fickreiz weg, aber leider ein sehr starker Kuscheldrang da. Shit, ich muss zurück. Bedröppelt ziehe ich mich an, küsse Noah wenigstens noch ein paar Minuten und schleiche nach Hause in mein leeres Bett.

Im Laufe der verbliebenen Hausarrestwochen besuche ich meinen Freund des Nachts noch einige Male. Dabei stelle ich fest, dass Quickies auf die Dauer wenig befriedigend sind. Ich bin schlecht gelaunt, weil ich Noah vermisse und Elisa bekommt alles ab. Was will die denn auch ständig mit mir reden? Ich hab Schluß gemacht, verflucht. Kann die mich nicht einfach in Frieden lassen?! Nein, sie möchte wissen, warum so plötzlich und ob es an ihr liegt. Und wenn ich mich anderweitig verliebt habe, soll ich doch wenigstens sagen, wer sie ist.

Entweder schweige ich beharrlich oder aber, und da bin ich nun wirklich nicht stolz drauf, ich behandle sie so schlecht, gemein und mies ich kann. Wenn sie mich hasst, ist sie wenigstens nicht mehr traurig.


An meinem ersten freien Wochenende beschließe ich aus mir unerfindlichen Gründen zum Internat zu gehen. Allerdings nur, weil Noah nicht zu Hause ist. So ein Penner. Hat ja wohl überhaupt keine Lust, ein bisschen Zeit mit mir, seinem Freund, zu verbringen, was?! Ich hasse ihn!

Die Jungs und Mädels hängen auf der Wiese rum und verströmen eine geradezu ekelerregende Fröhlichkeit. Tim knutscht mit Sissi. Elisa ist zum Glück nicht da. Ich hocke mich gefrustet ins Gras, unterhalte mich gezwungenermaßen mit einigen Leuten, die natürlich wissen wollen, warum das Traumpaar getrennt ist, und bekomme plötzlich eine Art Herzinfarkt. Meine Exfreundin taucht aus dem Wald auf. Zusammen mit meinem Freund. Okay, das hat sicher nichts zu heißen, denke ich, und versuche, gelassen zu bleiben. Offiziell sind Noah und ich schließlich verfeindet. Eine Szene kann ich ihm später machen. Wieso zum Arsch sind ihre Haare so zerzaust? Noahs Shirt zerknautscht?

»Nabend, Spatzenhirn«, grinst Noah, geht an mir vorbei und setzt sich neben Elisa, die mir einen verachtenden Blick schenkt, ihn jedoch heller anstrahlt als die Sonne. Seit wann verstehen die sich wieder so gut? Was läuft hier eigentlich?

»Das ist unsere Chance«, wispert Tim mir ins Ohr, »die kleine Pissratte ist ohne seine Schwachmaten hier. Wir können ihn fertig machen.«

»Danke, kein Bedarf.«

»Schneider, der fummelt an deinem Mädchen rum. Willst ihm das einfach durchgehen lassen?«

Sicher nicht. »Elisa ist nicht mehr MEIN Mädchen.«

»Trotzdem«, drängelt Tim.

»Tu mir einen Gefallen... lass mich in Ruhe.«

»Fein«, entgegnet er wütend, »mit dem werde ich auch allein fertig.«

Erstmal gehe ich kurz zu Sissi rüber. »Ich weiß, du magst mich nicht mehr aber... lenk deinen Freund doch bitte ein bisschen von seinem Prügelwahn ab, ja? Ich hab keine Lust auf diese Scheiße. Mein Hausarrest ist grad erst vorbei.«

Noah malt übrigens grad mit dem Zeigefinger Verschnörkelungen auf Elisas nacktes Knie.

Ekelhaft. Das sieht ganz und gar nicht nach so tun als ob aus. Meine Gefühle überschlagen sich beinahe. Ich will, dass Noah neben mir sitzt und mein Knie streichelt. Und ich will ihm die Visage blutig hauen. Das will Tim anscheinend auch immer noch, wird jedoch von Sissi einstweilen zurückgehalten. Die anderen Jungs und Mädchen kümmern sich schön um ihren Scheiß. Logisch. Denen kann es ja egal sein, dass mein Freund mich vor meinen Augen betrügt. Mit unserer Exfreundin. WAS?? Die... die küssen sich. Knutschen, während ich, verfluchte Scheiße, daneben stehe. Okay, jetzt reicht's! Halb wahnsinnig vor Wut stürme ich auf die beiden zu und zerre Noah von Elisas Lippen.

»Das ist ja wohl das Allerletzte«, brülle ich.

»Verschwinde, Bennie«, brüllt Elisa zurück.

»Mir so ein scheiß Ultimatum stellen und... und dann das hier. Du dreckige kleine Schlampe. Ich hätte wissen müssen, dass du sowas abziehst.«

»Du hast dich getrennt und mir gar nichts mehr zu sagen«, brabbelt Elisa, »ich kann tun und lassen, was ich will.«

»War das dein Plan, ja? Ich sollte mit ihr Schluß machen, damit du freie Bahn hast?«

»Bennie... nein... das ist...«, versucht Noah zu beschwichtigen.

Er greift nach meinem Arm, doch ich schubse ihn aggressiv weg.. »Halt's Maul, du Penner.«

»Kein guter Zeitpunkt«, fügt er eindringlich hinzu.

»Was ist hier los?« fragt Elisa irritiert.

»Faselst mich voll mit diesem Liebesscheiß, damit ich mich von ihr trenne und du bei ihr landen kannst. Was bist du eigentlich für ein abgewichstes, Arschloch, hä? Ist das alles ein Spiel für dich? Sag's mir, Noah, ich will's echt wissen.«

»Bennie... kannst du vielleicht...«

»Du brichst mir mein verdammtes Herz, Noah, okay?« schreie ich mit Tränen in den Augen.

»Oh... oh mein Gott...«

Dann ist alles still. Und alle starren mich an. Überrascht. Entsetzt. Peinlich berührt. Tims Mund steht offen. Elisa steht dermaßen unter Schock, dass sie sich nicht rühren kann. Mit hängenden Schultern schaut sie abwechselnd zu mir, Noah und den anderen. Ich begreife erst Sekunden später, dass es nicht besonders schwer ist, eins und eins zusammenzuzählen.

»Was...«, frage ich in die Runde. »was glotzt ihr denn so? Ja, ihr habt richtig gehört. Noah und ich schlafen zusammen. Na und? Was ist so schlimm daran, hä? Ich liebe ihn. Und wenn ihr Arschgeigen ein Problem damit habt, ist mir das doch kackegal. Weiß vielleicht von euch jemand, was für einen verfickten Saft ich gern trinke? Ihr wisst überhaupt nichts von mir. Ich liebe Noah und er liebt mich. Und du«, ich stelle mich vor Tim, »du willst meinen Freund schlagen? Fass ihn noch einmal an und ich prügel dich windelweich.«

Tims Mund klappt langsam zu.

»Kümmert euch um euer eigenes armseliges Leben«, bölke ich. »Ihr... ihr könnt mich alle mal.« Damit schubse ich mich durch die stumme Menge und laufe davon.

Ich laufe eine ganze Zeit lang heulend durch den Wald, bis mir irgendwann die Puste ausgeht und ich erschöpft gegen einen Baum lehne. Tja, da hab ich mich ja schön reingeritten. Freundin weg, Freund weg und vor aller Ohren Noah meine Liebe erklärt. Ich kann doch jetzt einpacken. Den Planeten wechseln. Noah und Elisa... das tut weh. So verdammt weh! Ich hab ihm echt geglaubt, dass er mich für sich allein haben will. Dass wir zusammen gehören. Das war alles... gelogen?!

»Hey«, wispert es hinter mir.

»Was willst du? Geh und knutsch deine Freundin.«

»Eigentlich sollte ich sauer auf dich sein.«

»Bist du irre?« frage ich entgeistert.

»Irre in dich verknallt. Ey, wie kannst du denken, ich erzähle dir irgendeinen Scheiß, um an ein Mädchen ranzukommen, das mich absolut nicht interessiert? Hat dir der Hausarrest das Hirn geschädigt, oder wie?«

»Du Penner. Hast sie befummelt und geküsst und... was habt'n ihr im Wald getrieben?«

»Oh Mann, Bennie... wir haben uns zufällig getroffen, ich hab mich für mein arschiges Benehmen entschuldigt, und kaum sah sie dich auf der Wiese hocken, fing sie mit diesem beknackten ich-mache-Bennie-mit-seinem-Erzfeind-eifersüchtig-und-krieg-ihn-so-zurück an. Hätte ich ihr sagen sollen ‘mein Freund dreht durch, wenn du mich so beflirtest‘?«

Ich lächle gequält. »Na, das wird sie jetzt wohl wissen. So wie alle anderen auch. Ich kann nicht glauben, dass ich das wirklich getan habe.«

»Ja, war schon ein ziemlicher Schocker.«

»Und jetzt?«

Noah nimmt mein Gesicht in seine Hände und sieht mich an. »Ich liebe dich, Benjamin Schneider.«

»Ahhh... wie süß. Das Schwuchtel-Traumpaar endlich vereint«, spottet es, gefolgt von Händeklatschen. »Was denn? Wo bleibt der Kuss, mh? Hab heute noch nicht gekotzt.«

Elisas Stimme klingt schon weinerlicher.

»Es tut mir leid«, murmle ich und finde, ich habe einen Tritt in die Eier verdient.

»Soso, leid tut es dir also. Du ahnst nicht, WIE leid es dir noch tun wird. Was denkst du, erzähle ich deiner Mama, dass ihr Sohn ein Arschficker ist? Ein kleiner Schwanzlutscher? Wie mag sie darauf wohl reagieren?«

Mir wird übel. »Elisa, das... das kannst du nicht machen. Bitte...«

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und lächelt triumphierend. »Kann ich nicht? Aber es wissen doch eh schon alle. Einer mehr oder weniger... was spielt das für eine Rolle?«

»Du hast allen Grund, sauer auf mich zu sein. Aber bitte...«

»Verschon mich mit deinem Gewinsel, du Arschloch. Sauer auf dich? Ich bin nicht sauer. Ich hasse dich. Euch. Mann, das ist doch echt zum Totlachen. Dass mich ein Typ betrügt, okay, aber gleich zwei... und dann auch noch miteinander. Ihr beiden Scheißer habt nicht das kleinste bisschen Ahnung, wie ich mich grad fühle. Und wenn es irgendwas gibt, womit ich euch das Leben zur Hölle machen kann... glaubt mir, ich werde es tun.«

»Shit«, zischelt Noah als die Furie weg ist.

»Ist das alles, was dir dazu einfällt?«

»Meinst du... sie geht wirklich zu deiner Mutter?«

»Ja, wieso nicht. Und wenn sie es ihr nicht sagt, wird sie es von jemand anders erfahren. Ich bin so gut wie tot.«

»Vielleicht wird's gar nicht so schlimm?«

»Vielleicht leben wir auch im Wunderland. Meine Mutter hält Sex vor der Ehe für eine Sünde. Wahrscheinlich sogar Sex während der Ehe. Und sowas wie Homosexualität gibt es in ihrem Universum schon gar nicht.«

»Okay, was also willst du jetzt machen?«

»Gute Frage. Erstmal zu dir. Mir wird nämlich langsam kalt.«

Bei einer Tasse Gebrannte Mandel-Tee überlegen wir weiter, kommen jedoch zu keinem Ergebnis. Das heißt, ich komme grad zu einem. Nämlich, dass es mir wirklich absolut gleichgültig ist, ob meine Mutter weiß, dass ich Noah liebe. Ich meine, was kann sie schon dagegen machen? Mir verbieten, ihn zu sehen? Oder mich wegschicken? Wie der arme Inzest-Onkel verschwinden musste? Ich bin jetzt auch so ein schmutziges Familiengeheimnis. Ein Schandfleck. Und was erwartet mich Montag in der Schule? Verdrängen ist angesagt. Ich will nicht nachdenken, sondern brauche dringend ein paar Kuscheleinheiten von meinem Freund. Mir schwirrt und schwabbert der Kopf, was kein Wunder ist, wenn man überlegt, was in den letzten Stunden passiert ist. Aber genau das wird ausgeblendet, sonst schnappe ich über.

»Ich muss mich hinlegen«, nuschle ich schwach. »Und du... du musst mich festhalten, Noah.«

Wie ein Stein falle ich aufs Bett, er legt sich zu mir und schlingt seine Arme um mich.

Sanft wuselt er durch meine Haare. Meine Lider werden schwer...

Ich öffne meine Augen und sehe Noah lächeln. »Hey.«

»Mhhh... bin ich eingeschlafen?«

»Allerdings.«

»Tut mir leid«, murmle ich und kuschel mich tiefer in seine Arme.

»Schon okay. Du hast sehr süß ausgesehen. Ganz entspannt und... schön.«

Wow, ich krieg sofort ‘ne Gänsehaut. Sein Geruch macht mich so... ich küsse ihn wie verrückt. »Ich lieb dich, Noah.« Mann, es tut einfach wahnsinnig gut, das zu sagen.

»Ich lieb dich auch, Bennie.« Seine Hand kraucht unter mein Shirt, streichelt meinen Bauch.

»Shit«, murmelt er.

Irritiert öffne ich ein Auge. »Was'n?«

»Ey, du bist total magersüchtig«, regt er sich plötzlich auf. »Sag mal... isst du eigentlich noch?«

»Nee, das hab ich schon vor Jahren eingestellt. Hast du sie noch alle?« fauche ich und schiebe seine Hand weg.

»Ja«, antwortet er und legt seine Hand zurück auf meinen kaum vorhandenen Bauch. »Du bist viel zu dünn. Was wiegst'n?«

»Keine Ahnung. Kuck dich mal lieber selber an.«

Sofort legt er sich auf den Rücken, schiebt sein flatteriges Shirt nach oben und griffelt an sich herum. Mir wird ein bisschen warm. Er räkelt sich lasziv. Seine Fingerspitzen gleiten über karamellige Haut, umkreisen einen süßen Bauchnabel und spielen aufreizend mit dem Knopf seiner Jeans. Ich hab auf einmal irgendwie sehr viel Speichel im Mund und schlucke wie bekloppt. Noahs Blick wird weich. Sein Lächeln... Mann, ich geh kaputt!

»Sieht geil aus, wenn ich mich anfasse, mh?«

»Du bist doch'n Penner«, sage ich kopfschüttelnd.

»Schläfst du trotzdem mit mir?«

»Hab ich eine Wahl?«

»Wohl kaum. Ich hab dich ganz schön scharf gemacht, oder?«

»Davon träumst du. Ich bin nicht so leicht rumzukriegen.«

»Ach nein?« fragt er mit hochgezogener Braue. »Das hab ich anders in Erinnerung. Du hast dich nach zwei Tagen vom Feind flachlegen lassen.«

»Doch nur, weil ich dich schon lange vorher heimlich toll fand«, verteidige ich mich schmollend.

»Wie lange?«

»Keine Ahnung. So hin und wieder mal.«

»Beim Wichsen, oder? Äh, Bennie... du musst übrigens nicht rot werden. Ich hab auch oft an dich gedacht.«

»Beim Wichsen.«

»Nee, auch so.«

»Und warum dann die Sache mit Elisa?«

»Eine kurzzeitige Verwirrung, nehme ich an. Elisa ist süß und das Küssen hat Spaß gemacht, aber mehr nicht.«

»Du hast sie bedrängt, mit dir zu schlafen. War das auch nur Spaß?«

Noah zieht sein Shirt runter und legt sich auf die Seite. »Hast du nie mal irgendwas Blödes gemacht? Vielleicht wollte ich einfach nur aus dieser ganzen Geschichte raus und das schien mir der leichteste Weg. Ich hab echt keinen Schimmer. Und spar dir deinen vorwurfsvollen Blick. Du bist bei ihr viel weiter gegangen.«

»Das war bevor... ich meine, jetzt ist doch alles klar zwischen uns, oder? Kein Rumgespaße mehr mit anderen.«

»Warum sollte ich was mit irgendwem anfangen, wenn ich weiß, dass ich's bei dir besser kriegen kann?«

Lächelnd schiebe ich meine Hand unter sein Shirt. »Soll ich dir vielleicht zeigen, wie viel besser? Nur so, um sicher zu gehen.«

»Unbedingt«, wispert er und küsst mich.


Das Wochenende verbringe ich logischerweise bei Noah und zum ersten Mal in meinem Leben hab ich Mama vorher nicht um Erlaubnis gefragt. Sie wird sehr erbost sein. Deshalb hab ich Papa angerufen, dem es egal ist, bei wem ich mich rumtreibe. Naja, egal vielleicht nicht, aber er ist halt lockerer als meine Mutter. Quasi ein ganz normaler Mensch. Mich zieht so gar nichts nach Hause. Schade, dass ich nicht für immer hier bleiben darf. Ich könnte ein harmonisches Familienleben grad dringend gebrauchen. Das hab ich gemerkt, als wir den gestrigen Abend mit Noahs Eltern verbrachten. Mit denen kann man wenigstens reden. Über wichtige Sachen. Sex und Beziehung beispielsweise und über meine momentane Situation.

Herr Winter hat mir seine Hilfe angeboten, wenn Mama total ausflippt und so weiter.

Allerdings wurde mir beim Thema Jugendamt ziemlich übel. Das klingt gleich so dramatisch.

Noahs Mutter hat mich ganz doll in den Arm genommen, weil ich peinlicherweise irgendwann angefangen habe zu flennen.

Jetzt liege ich in Noahs Armen und alles ist gut. Sanft streichelt er meinen Nacken, während ich mein Gesicht an seiner Brust reibe.

»Sag mal... wie kommt es eigentlich, dass du nicht messdienerst? So wie dein süßer Freund Tim.«

»Ich singe im Chor, und Tim ist nicht süß.«

»Wenn er sein schmuckes Gewand trägt aber schon.«

»Du hast einen total eigenartigen Klamottenfetisch, Noah.«

»Ja? Mh... nee, nicht wirklich. Naja, vielleicht doch«, kichert er.

»Außerdem brauchst du das Gefühl, einen anständigen Jungen zu verderben. Wahrscheinlich hast du mich nur deshalb ausgesucht. Und natürlich wegen der Schuluniform.«

»Als ob du jemals anständig gewesen wärst. Weißt du eigentlich, dass ich es immer mal in der Kirche mit dir treiben wollte?«

»Noah«, kreische ich entrüstet.

»Auf der Kirchenbank.«

»NOAH! Ich kann doch jetzt nie wieder, ohne daran zu denken... außerdem sind die viel zu hart und zu schmal. Wie soll'n das funktionieren?«

»In der Phantasie geht alles«, lächelt er. »Komm schon, lass dir was einfallen.«

»Nee, mir ist jetzt nicht danach.«

»Los«, drängelt er.

»Also gut... du sitzt in der Messe und vorne steht dieser süße Messdiener, der dich die ganze Zeit verstohlen anstarrt.«

»Au ja... flirten während alle dem Pfarrer lauschen... was weiter?«

»Mhh... du machst ihn ziemlich nervös. Er errötet scheu, als sich eure Blicke treffen und...«

»Bennie, nicht zu romantisch bitte. Ich will mich nicht verlieben, sondern geil werden.«

»Halt die Klappe«, mahne ich, »sonst erzähle ich dir nichts von seinem harten Schwanz.« Meine Hand streicht sanft über Noahs nackte Haut.

»Überspring den langweiligen Teil. Die Messe ist zu Ende, ja?«

»Okay. Ihr seid allein. Er geht durch die Bänke und räumt... äh... sammelt die... Gesangbücher ein.« Ich zucke die Schultern, als ich Noahs skeptischen Blick bemerke. »Naja, irgendwas muss er ja machen, oder? Jedenfalls hältst du ihn fest, greifst in seinen blonden Schopf und versuchst, ihn zu küssen. Er wehrt sich heftig... zunächst.«

»Klingt ganz nach dir«, kichert Noah.

»Er weiß halt genau, wie du's gern hast.« Meine Lippen streifen seine Wange, berühren sein Ohr, während meine Hand zwischen seine Schenkel gleitet. »Du drückst ihn auf die kalte harte Bank, legst dich auf ihn und spürst seinen... massiven Ständer...« Ich muss kurz unterbrechen, weil Noah einen Lachanfall bekommt.

»Ach du Scheiße«, keucht er, »wo hast‘n das her? Massiver Ständer... haha...«

»Hab ich mal irgendwo gelesen«, erkläre ich giggelnd. »Okay, du spürst also seinen pochenden...«

»Oh bitte!«

»...harten Schwanz und reibst dich an ihm. Sein Bein schlingt sich um deine Hüfte, seine Lippen pressen sich auf deinen Mund... plötzlich wirbelt er dich herum und fängt an, dir einen zu blasen.«

»Oh wow! Dafür, dass er sich so gewehrt hat, ist der aber ganz schön schnell. Darf ich ihm ins Gesicht spritzen?«

»Nein. Das ist ekelhaft«, entgegne ich und lege mich auf ihn, küsse seinen Hals.

»Was dann?«

»Du drehst ihn auf den Bauch, schiebst sein Gewand hoch und ziehst ihm die Hose runter bis... zu... den... Knöcheln. Er zittert.«

»Weil er friert?«

»Vor Erregung, Idiot«, zische ich genervt. »Du versaust die ganze Geschichte.«

»Ich dachte ja nur. Mit nacktem Hintern da rumliegen... hat er einen süßen Arsch?« fragt er und grapscht nach meinem.

»Mhhhhh... rund und fest, und seine Haut ist ganz weich. Du beugst dich über ihn, küsst seinen Nacken. Er stöhnt und wimmert leise, während du ihn langsam vögelst...«

Noah legt mir den Finger auf die Lippen. »Du solltest mich jetzt langsam mal vögeln.«

»Ich liebe deine Geschichten...«, kichert er träge. »du hast echt überhaupt kein Talent.«

»Du konntest es ja mal wieder nicht abwarten. Dabei wollte ich doch noch das tolle Flap-Flap-Geräusch einbauen.«

Seine Fingerspitzen, die über meinen Rücken streichen, stoppen. »Das was?«

»Na überleg mal.«

Einen Augenblick sieht er mich an, dann schüttelt er den Kopf. »Das macht nicht flap-flap, sondern flop-flop. Trotzdem danke, dass du's mir erspart hast.«

»Danke, dass du trotz meines mangelnden Talents gekommen bist«, entgegne ich angepisst.

»Ja, das lag aber nicht an deiner Geschichte, sondern an deinem Schwanz.«

»Penner. Kannst du mir nicht was Nettes sagen, nachdem ich's dir so bestialisch gut besorgt habe?«

Noah tätschelt meinen Kopf. »Na na na... jetzt übertreiben wir aber ein bisschen, oder?«

Ich stütze mich mit den Armen auf seiner Brust ab und...

»Willst du mir mit Sexentzug drohen? Schon wieder mal? Weil ich immer so gemein bin?«

Mein Kopf fällt auf seine Brust. »Gott, ich hasse dich.«

»Ich dich auch, Bennie«, seufzt er.


Sonntagabend. Zittrig schließe ich die Wohnungstür auf und lausche, was eigentlich gar nicht nötig ist, weil ich ganz genau weiß, dass Mama da ist. Wo soll die auch sonst sein?! Ich versuche, irgendwie unbemerkt an ihr vorbei in mein Zimmer zu schleichen, aber...

»Wo bist du gewesen, Benjamin? Und lüg mich nicht an.« Ihre Stimme ist eisig. Ob sie schon mit Elisa gesprochen hat.

Ich atme tief ein. »Bei Noah.«

»Kenne ich den?«

»Ich glaube nicht. Warum?«

»Was ist nur in dich gefahren? Treibst dich nächtelang herum, obwohl du genau weißt...«

»Papa hat's erlaubt. Ich hab ihn angerufen. Ist nicht mein Problem, dass ihr nicht miteinander sprecht.«

»Nicht in diesem Ton, Benjamin«, herrscht sie. »Du hast mich zu fragen, du kennst die Regeln. Und wer ist dieser Noah jetzt?«

»Ein Freund.«

»Ich hab langsam genug von deinen Unverschämtheiten, Freundchen.«

Ihr letztes Wort macht mich echt aggressiv. »Ich hab auch langsam genug. Und zwar von deinem scheinheiligen Getue. Vielleicht solltest du dich mal lieber fragen, wo Papa andauernd steckt und mir meine Ruhe lassen. Ich bin nämlich sechzehn, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, und durchaus in der Lage, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Und meine Freunde brauchen ganz bestimmt nicht deine Zustimmung.«

»Du... du gehst in dein Zimmer und...«

»Was? Muss ich etwa ohne Abendessen ins Bett?«

»Das war's. Du hast Hausarrest«, bölkt sie.

»Du kannst mich mal«, bölke ich zurück und knalle ihr die Tür vor der Nase zu.

Wow! Ich fühle mich ein bisschen toll. Wenn man bedenkt, dass ich es zum ersten Mal gewagt habe, mit Mama zu streiten. Und den blöden Hausarrest kann sie gleich vergessen. Sie wird sich dran gewöhnen müssen, dass ich kein Baby mehr bin, das sich von ihr gängeln lässt.


»Du kommst nach der Schule bitte sofort nach Hause«, sagt Mama am Montagmorgen.

»Ich bin nach der Schule bei Noah«, sage ich und gehe.

Je näher ich dem Schulgebäude komme, desto schlimmer werden meine Magenschmerzen.

Die, die am Freitag meine kleine Ansprache nicht mitbekommen haben, wurden sicher längst von den anderen unterrichtet. Naja, wovor soll ich schon Angst haben? Vorm Verprügelt werden? Ich lach mich kaputt. Allerdings... ich auf der einen Seite und die gesamte Schule auf der anderen, das wäre in der Tat neu. Na und? Die werden mich wohl kaum totschlagen, nur weil ich Noah liebe. Vielleicht werde ich ein bisschen einsam sein für den Rest meiner Schulzeit. Dann kann ich mir neue Freunde suchen. Also gibt es eigentlich nichts, was mir Angst machen müsste. Und warum grummelt mein Magen-Darm-Trakt dann so fürchterlich? Shit, meine Hände zittern. Meine Beine fühlen sich sehr nach Gummi an, als ich durchs Tor gehe, an ein paar Jungs vorbei, die zwar verhalten, aber nicht unfreundlich Hallo sagen. Hab ich grad unterdrücktes Kichern vernommen? Scheiße noch mal, ich bin Benjamin Schneider und muss mich für nichts schämen!! Mit hocherhobenem Kopf marschiere ich ins Gebäude, durch die Flure, auf mein Klassenzimmer zu. Plötzlich zerrt etwas an mir. Sehr grob. Ich werde in eine Ecke gedrängt und sehe Tims wütendes Gesicht.

»Ich hab mit dir zu reden, Schneider«, zischt er.

»Und das ist so dringend, dass du mir den Arm auskugelst?«

Tims Augen blitzen gefährlich. Meine blitzen zurück.

»Sag mir, dass das am Freitag nur Verarsche war«, fordert er. Seine Hände krallen sich in meinen Hemdkragen.

»Von mir aus. Es war nur Verarsche. Geht's dir jetzt besser?«

»Ich mein's ernst, Schneider. Du lässt dich also tatsächlich von dieser Pissratte ficken?«

»Sieht so aus«, entgegne ich ruhig.

Tims Hände lösen sich von meinem Hemd. »Warum? Ich meine... Elisa stirbt fast für dich und du... ich versteh's nicht. Bist du irgendwie bekloppt?«

»Ich hab halt gemerkt, dass ich Jungs lieber mag. Ist es mein Problem, dass du was gegen Schwule hast?«

Er sieht mich an, als hätte mindestens einer von uns beiden nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Ich hab... was? Mann, Schneider«, schnauft er, »wir sind Freunde seit tausend Jahren und es ist mir fucking egal, ob du schwul bist, oder pervers, oder ob du es mit Tieren treibst, aber...«

»Nur schwul, Tim, okay?« unterbreche ich ihn.

»Wieso ausgerechnet mit Noah?«

»Hätte ich dich anmachen sollen?«

»Wir hassen den Typen. Und wir hassen seine schwachsinnigen Freunde. Noah ist der Feind, falls du es vergessen haben solltest.«

Wow, der macht mir jetzt echt Angst. »Tim, wir sind nicht im Krieg. Hier gibt's keine Feinde. Nur einen Haufen kleiner Jungs, die sich aus Langeweile gegenseitig auf's Maul hauen.«

»Aber wir haben immer...«

»Ich kann jedenfalls meine Zeit sinnvoller verbringen.«

»Ja, der kleinen Pissratte den Schwanz lutschen.«

Wütend schubse ich ihn zur Seite. »Die Unterredung ist beendet.«

Tim hält mich fest. »Von wegen.«

»Dann hör auf, ihn so zu nennen.«

»Ich nenne ihn, wie ich will. Ich bin ja schließlich nicht derjenige, der sich von ihm vögeln lässt«, faucht er.

»Wenn ich Noah nicht zufällig für mich allein haben wollen würde, könnte ich dir das durchaus empfehlen. Bin sowieso der Meinung, alles, was du brauchst, ist ein richtig geiler Fick«, fauche ich zurück.

Sein Mund klappt auf, dann wieder zu. Er schüttelt den Kopf. »Erwarte nicht von mir, dass ich deinen neuen Freund gleich in die Arme schließe.«

»Es reicht, wenn du ihm nicht mehr auf die Lippe haust. Dann kann ich ihn nämlich tagelang nicht küssen.«

Tim schüttelt sich übertrieben. »Fühl dich doch bitte einfach nicht genötigt, mir sowas zu erzählen, ja?«

»Wir sind also... noch Freunde?«

»Nur wenn du aufhörst, mich so romantisch anzugucken. So, als wolltest du mir gleich um den Hals fallen.«

»Hast du Panik, dass die Jungs das sehen und denken...«

»Ist mir doch egal. Außerdem glaube ich eh, dass hier mindestens die Hälfte heimlich vom eigenen Geschlecht träumt.«

Bevor ich ihn fragen kann, wer zum Beispiel, klingelt es zur ersten Stunde Englisch.

Der Schultag verläuft relativ normal. Auch wenn meine Klassenkameraden sich etwas strange benehmen. Kucken mich komisch an, sind nervös in meiner Gegenwart, und wissen anscheinend nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Klar, die phantasieren sich wahrscheinlich die wildesten Sachen zusammen. Vielleicht denken sie, dass ich in meiner Freizeit als Tucke durch die Gegend laufe. Was weiß ich. Irgendwann wird denen schon aufgehen, dass ich immer noch ich bin. Mich nicht in einen anderen Menschen verwandelt habe, nur weil ich zufällig mit einem Jungen ins Bett gehe. Überhaupt bin ich grad in so einer Stimmung... mir ist alles herrlich egal. Besonders Elisas Drohung. Wenn sie es meiner Mutter sagt, muss ich es wenigstens nicht tun. Und sonst... wie will die mir denn bitte das Leben zur Hölle machen? Es ist ja nicht so, als wäre meine sexuelle Orientierung noch ein Geheimnis. Sie hat rein gar nichts gegen mich in der Hand. Trotzdem lehne ich mal lieber ab, als Tim mich fragt, ob wir nach der Schule zum Internat gehen. Besser, ich halte mich erstmal von ihr fern. Außerdem steht Noah am Tor und wartet auf mich.

»Ach du Scheiße«, murmelt Tim, »will der dich jetzt jeden Tag abholen? Entschuldige aber ich muss gleich kotzen.«

»Viel Vergnügen«, wünsche ich pissig.

Als wir am Tor angelangt sind, verfinstert sich Tims Visage gleich noch mehr. Vermutlich, weil Noah und ich um die Wette strahlen.

»Hey.«

»Hey.«

»Ist es okay, dass ich... ähem...«

Ich nicke lächelnd und greife nach seiner Hand, während Tim ihn im Vorbeigehen heftig anrempelt.

»Macht er dir Schwierigkeiten?« fragt Noah.

»Nee.«

Plötzlich kommt Tim zurück und stellt sich dicht vor ihn. »Waffenstillstand... fürs Erste. Und solltest du ihm irgendwie weh tun oder was auch immer, wische ich mit dir den Boden auf, du Sack.«

»Ey, Tim«, ruft Noah ihm hinterher, »warte lieber nicht drauf, dass das passiert.« Dann nimmt er mein Gesicht in beide Hände und knutscht mich auf den Mund.

Ob Tim noch irgendwas sagt, weiß ich nicht, weil ich zu sehr mit Küssen beschäftigt bin.

ENDE

Jedenfalls vorläufig ;)

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