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Die Kanaille

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

Maxi

„Gabriel hat mit mir Schluss gemacht“, erkläre ich knapp.

„Scheiße, ich hab ein Déjà vu“, stöhnt Anne.

Hab auch eins. Ich sitze schon wieder neben meiner besten Freundin im versifften Kifferzimmer ihres Stechers. Entschuldigung, aber Freund kann man Christo ja nun wirklich nicht nennen.

„Was war denn diesmal der Grund?“

„Ich glaube, so richtig weiß er das selber nicht.“

„Bist du traurig?“

Hat die ‘nen Knall?! „Nee, ich freu mich total.“

„Ach komm, du hast doch sicher schon einen neuen Plan, wie du ihn verführen kannst.“

Warum glaubt eigentlich jeder, dass es mir nur um Sex geht? Ist es denn so abwegig, dass ich Gabriel liebe? Und dass er mich genauso liebt?

„So leicht wie du dir das vorstellst, ist es nicht.“

„Wieso? Bambi hat doch total hingehauen“, grinst sie. „Übrigens hast du mir noch gar nicht erzählt, wie es denn nun war, mit einem älteren Mann zu schlafen.“

Hab ich auch nicht vor. Normalerweise erzähle ich ihr alles. Bloß diese eine Sache... die will ich für mich behalten. Es war einfach viel zu schön, als dass ich es mit jemandem teilen möchte. Und mit ihr schon mal gar nicht. Für Anne ist Gabriel nichts weiter als ein „älterer Mann“, auf den ich scharf bin. Klar, sechzehn Jahre Unterschied klingt erstmal ziemlich gewaltig. Na und? Gabriel ist dreiunddreißig, nicht dreiundfünfzig. Er sieht weder aus wie mein Vater, noch wie mein Opa.

„Ich hab schon wieder was Falsches gesagt, oder?“, bemerkt sie.

„Hast es erfasst.“

„Tut mir Leid, Maxi. Du weißt, dass ich’s okay finde. Ich kann mir halt nur nicht vorstellen...“

Das Déjà vu geht weiter, als Claude ins Zimmer spaziert. Allerdings lächelt er mich nicht an, sondern setzt sich zu Christos Kundschaft.

„Jetzt pass mal auf“, flüstert Anne.

Ich glotze gespannt. Aha, Claude hat wohl schon was gefunden. Und das sieht tatsächlich noch nicht besonders erwachsen aus. Irgendwie finde ich es fast ekelhaft, wie Claude ihm beiläufig über den Schenkel streicht und was ins Ohr wispert. Aber andererseits hat’s auch was ziemlich Cooles. Ich meine, er scheint sich absolut sicher zu sein, dass er bei dem Jungen landen kann.

„Jetzt wird er gleich abhauen und in zwei Minuten wird der Typ ihm nachstiefeln. So läuft das immer. Und was dann abgeht, kannst du dir vorstellen.“

„Hallo, Maxi“, säuselt Claude beim Verlasen des Zimmers und schenkt mir doch noch ein anzügliches Lächeln. Wenig später haut auch der Typ ab. Ich könnte mir vorstellen, dass der wahrscheinlich einen sehr viel netteren Abend verbringen wird als ich.

„Ich weiß nicht, ob es richtig ist, dass wir die Sache so ignorieren“, überlegt Anne.

„Aber du ignorierst doch auch die kriminellen Machenschaften deines Freundes.“

„Drogen zu verkaufen ist ja wohl nicht so schlimm wie...“, sie schüttelt sich angeekelt, „kleine Jungs zu verführen.“

„Wenn die Jungs durch Christo zu härteren Drogen kämen und daran krepieren würden, wärst du sicher anderer Meinung.“

„Wer weiß, was Claude mit denen anstellt.“

„Wer weiß, was dein Freund denen tatsächlich alles vertickt“, kontere ich.

„Naja, dass du es nicht schlimm findest, wenn ein Kerl Sex mit jemandem hat, der halb so alt ist wie er selber, ist mir klar.“

„Weißt du was, Anne?“

„Nee.“

„Fick dich doch einfach ins Knie“, zische ich und gehe.

Als ich auf meinem Bett liege und an die Decke starre, tut mir die Sache mit Anne schon wieder leid. Wir streiten uns eigentlich nie und beschimpfen tue ich sie schon gar nicht. Aber manchmal geht es mir halt extrem auf die Nerven, dass sie Christos Machenschaften derart bagatellisiert. Drogen zu verkaufen ist doch kein verdammtes Kavaliersdelikt! Und auf der anderen Seite tut sie so ekelhaft moralisch. Geht sie doch einen Scheiß an, ob Claude was mit den Jungs treibt. Der Kleine sah jedenfalls nicht aus, als würde er sich gezwungen fühlen, hinter ihm her zu laufen. Für Anne ist Claude trotzdem ein perverses Arschloch. Wäre ich nicht ihr bester Freund, ich wette, sie würde über Gabriel genauso herziehen. Fuck, an den wollte ich jetzt nicht unbedingt denken. Zu spät. Augenblicklich erscheint sein schönes Gesicht mit diesen unglaublichen Augen vor mir. Das war das Erste, worauf ich bei ihm abgefahren bin: seine braunen Augen, mit den goldenen Sprenklern, die einem nur im Licht auffallen und aussehen wie klitzekleine Sterne. Danach kamen sofort Gabriels Hände, die eigentlich kein Stück männlich aussehen. Dafür sind die viel zu zierlich. Und weich... zum verrückt werden weich! Ich hab eigentlich keinen Schimmer, wann es wirklich angefangen hat. Es begann mit so ’nem warmen Gefühl, einem angenehmen Kribbeln, wenn ich an ihn dachte, weshalb ich logischerweise gerne an ihn dachte. Dass das etwas mit Sex zu tun haben könnte, war mir nicht klar. Was hat man als Kind schon eine Ahnung von Sex, oder?! Ich bekam das Kribbeln auch bei einigen Jungs, allerdings nie so heftig, und als Robert mir schließlich vorsichtig erklärte, was Homosexualität bedeutet, weil Gabriel zu der Zeit einen Freund hatte, den er gelegentlich mitbrachte und zu dem ich aus mir unbegreiflichen Gründen nicht besonders nett sein konnte... hat mich das echt verwirrt. Mit dreizehn wusste ich es definitiv: ich hatte keinen Bock auf Mädchen, ich war verliebt in Gabriel und tierisch eifersüchtig auf seinen dämlichen Freund! Als die beiden sich getrennt haben, freute ich mir fast ein Loch ins Knie. Endlich hatte ich Gabriel wieder für mich. Bis die nächste Arschgeige kam. Natürlich hat er uns nicht jeden Aufriss vorgestellt, aber ich weiß schon, dass er ziemlich rumgevögelt hat. Dass er einfach nur Spaß dabei hatte, kam mir nicht eine Sekunde in den Sinn. Ich hatte da sehr romantische Vorstellungen und phantasierte mir den absurdesten Scheiß zusammen. Dass er aus Verzweiflung mit so vielen Kerlen schläft, weil er mich nicht haben darf, zum Beispiel. Diese permanente Sehnsucht und der Liebeskummer waren wirklich heftig. Allerdings sind das Peanuts im Vergleich zu meiner momentanen Situation. Als ich bloß von ihm träumte hatte ich ja keine Ahnung, wie es mit ihm sein würde. Jetzt weiß ich es und das macht alles noch tausendmal schlimmer.


„Es tut mir Leid“, jaulen Anne und ich gleichzeitig.

„Ehrlich“, fügt sie hinzu, „ich wollte nicht so ätzend sein.“

„Ich auch nicht.“

„Alles wieder gut?“

„Alles wieder gut“, grinse ich, „jedenfalls zwischen uns.“

Sie wirft sich auf mein Bett und krault Sid hinterm Ohr. „Willst du noch mal versuchen, mit Gabriel zu reden?“

„Keine Ahnung.... ja, vielleicht. Wenn ich penetrant genug bin, erhört er mich möglicherweise.“

„Der Typ ist aber auch echt zu blöd.“

„Bin ganz deiner Meinung“, entgegne ich, schubse mein Hundchen sanft vom Bett und lege mich neben Anne. Sid trottet auf seine Schlafdecke und knabbert hingebungsvoll an seinem Lieblingsquietschetier.

„Wollen wir nachher ausgehen?“

„Eigentlich nicht.“

„Ach komm schon, Maxi... du kannst dich nicht ewig hier verkriechen.“

„Ich verkrieche mich doch erst seit ein paar Tagen“, murmle ich.

„Eben.“

„Okay, von mir aus. Ich verspreche dir aber nicht, dass ich gute Laune haben werde.“

„Damit kann ich leben“, lächelt sie und steht auf. „Wir sehen uns später.“

Später hängen wir in einem düsteren Club, wo mir alles auf den Sack geht. Die Musik ist kacke und viel zu laut, es ist viel zu voll, viel zu verraucht, das flackernde Discolicht ist viel zu grell und... Gabriel ist nicht hier. Der langweilt sich bestimmt grad wieder bei einem Klavierkonzert, einer Operette oder was die Zeitung ihm sonst aufgebrummt hat. Seine Termine sind meist am Wochenende. Kann mir ganz recht sein. Besteht wenigstens nicht die Gefahr, dass er ausgeht und einen Typen kennenlernt, der altersmäßig besser zu ihm passt als ich.

„Ich geh tanzen“, brüllt Anne und kämpft sich durch einen Pulk von schwarzen Gestalten.

Ich kaufe mir eine Cola und hasse die ganze Welt.

„He... so ganz alleine hier?“, säuselt es an meinem Ohr.

Genervt drehe ich mich um. „Verpiss dich, ich hab keinen Bock auf... oh, hi, Claude.“

„Hallo“, sagt er langsam und lächelt. „Soll ich mich jetzt wieder verpissen, oder verrätst du mir erst, worauf du keinen Bock hast?“

„Würdest du nicht viel lieber wissen, worauf ich Lust hab?“

„Logisch“, grinst er.

„Ich wäre am liebsten gar nicht hier.“

„Kein Problem. Meine Karre steht draußen... du bestimmst, wo’s hingeht.“

„Können wir meine Freundin mitnehmen? Wir sind nämlich zusammen hergekommen.“

„Oh, ich fürchte, für die ist kein Platz mehr. Weißt ja, wie’s in meinem Auto aussieht.“

„Ich soll sie also stehen lassen, um mit dir rumzufahren?“

Claude nippt an seinem Wasser mit Zitrone. „Das wäre allerdings furchtbar unhöflich. Aber schließlich bin ich Gentleman genug, sie nach Hause zu bringen, um dann mit dir allein rumzufahren.“

„Meine Antwort wird sich trotzdem nicht ändern, Claude.“

„Weißt du, ich stehe auf Jungs, die schwer zu haben sind.“ Seine Finger spielen mit den Bändern meines Kapuzenpullis. Wenn der wüsste, dass ich diese eklige Angewohnheit habe, ständig daran zu nuckeln, würde er das sicher unterlassen. Naja, vielleicht auch nicht.

„Ich bin nicht schwer zu haben, ich bin überhaupt nicht zu haben.“

„Wegen deiner Freundin?“, blinzelt er verschwörerisch.

„Anne ist zwar meine Freundin, aber wir haben nichts miteinander“, erkläre ich.

„Ist das die Kleine, die was mit Christo hat? Ich bin da mal reingeplatzt als die ziemlich miteinander beschäftigt waren. Magst du noch eine?“ Er deutet auf mein leeres Glas.

„Ja. Nein, danke.“

„Dann kann ich gar nichts tun, um dich glücklich zu machen?“

„Du könntest dich in Gabriel verwandeln“, sage ich mehr zu mir selbst.

„Wie bitte?“, fragt er irritiert.

„Vergiss es. Nicht so wichtig.“

„Fein, also... ich bin noch ein Weilchen hier. Wenn du einen Chauffeur brauchst, lass es mich wissen.“

Claude verschwindet irgendwo im künstlichen Nebel und Anne taucht daraus wieder auf. Nach zwei Gläsern Fanta (weil sie das Koffein in der Cola nicht verträgt) und einem Blick auf ihre Snoopy-Armbanduhr findet sie, dass sie langsam mal kucken könnte, ob bei Christo noch Leute rumhängen.

„Okay, ich hab eine Mitfahrgelegenheit organisiert“, grinse ich, „du wirst begeistert sein.“

Claude hat tatsächlich nichts dagegen, uns zu kutschieren. Anne... na ja, sie steigt schließlich doch ein.

„Pass auf dich auf“, wispert sie mir zum Abschied ins Ohr. „Wenn du dich bis morgen Nachmittag nicht gemeldet hast, gehe ich zur Polizei.“

„Einen schönen Abend noch“, wünscht Claude, worauf Anne bloß ihr Gesicht verzieht. „Und? Wohin jetzt?“

„Meinetwegen wohin du willst“, seufze ich.

„Ganz schön riskant, oder?“, grinst er und startet den Wagen. „Was, wenn ich dich verschleppe?“

„Macht auch schon nix mehr.“

„Was ist denn los? Einen schlimmen Tag gehabt?“

„Eine schlimme Woche... ein schlimmes Leben.“

Claude wurschtelt herum und legt eine CD ein. „Okay, ich weiß, was da hilft.“

Muse... na, wenigstens hat er Geschmack. Ich liebe Muse! Und ich liebe hübsche Typen, die Autofahren. Ist so’n Tick von mir. Claude sieht dabei schon verdammt scharf aus. Wenn Gabriel nicht wäre, würde ich ihm wahrscheinlich sofort an die Wäsche gehen. Ich hoffe, Claude hat das nicht gleich bei mir vor, die Häuser werden nämlich langsam immer weniger, die Gegend immer ländlicher. Nach einigen Kilometern gibt’s rechts und links bloß noch Felder. Au weia, wenn das mal gut geht. Mitten in der Nacht mit einem fremden Kerl in der Pampa und Anne wird erst am Nachmittag die Bullen verständigen. Vielleicht liege ich bis dahin schon vergewaltigt, nackt und tot unter irgendwelchen Blättern und Zweigen versteckt im Wald. Mir wird etwas kribblig, unruhig rutsche ich in meinem Sitz hin und her.

„Kein Grund, nervös zu werden“, beruhigt er mich, „man sagt mir zwar gelegentlich Verkommenheit nach, aber ich bin keiner, der kleine Jungs einfängt und hinterher irgendwo im Wald verscharrt.“

Oh Mann, kann der Gedanken lesen?!

„Außerdem weiß deine Freundin, mit wem du zusammen bist und ich glaube, sie hat heimlich mein Kennzeichen auswendig gelernt. Da würden also die Bullen sofort bei mir auf der Matte stehen.“

Er biegt in einen Waldweg. Ach du Scheiße!! Es ist zappenduster... allerdings nicht lange, weil der Weg zu einem halbwegs beleuchteten Parkplatz führt. Vor uns türmt sich ein kleines Schloss auf.

„Mein Lieblingsplatz“, erklärt er und macht den Motor aus.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du romantisch veranlagt bist.“

Er zuckt die Schultern und lehnt sich zurück. „Don’t judge a book by its cover. Im Hellen ist das Schloss natürlich viel schöner, weil man mehr davon sieht, allerdings besteht dann die Gefahr, dass man von fehlgeschlagenen Golfbällen traktiert wird... da vorne ist nämlich ein beschissener Golfplatz.“

„Okay, aber was wollen wir hier?“

„Die Stille genießen, die gesunde Luft... du könntest mir auch von Gabriel erzählen. Hübscher Name. Hübscher Typ?“

„Keine gute Idee. Außerdem kenne ich dich grad mal drei Sekunden. Glaubst du, da erzähle ich dir meine intimsten...“

„Ah, du hast also was Intimes mit Gabriel“, unterbricht er mich lächelnd.

„Lass uns lieber die Stille genießen.“

Claude kramt aus seiner Manteltasche ein kleines, silbernes Fläschchen. Schraubt den Verschluss ab und hält es mir hin.

„Was ist da drin?“

„Ach, ein bisschen hiervon, ein bisschen davon, hauptsächlich Jack Daniel’s.“

„Willst du mich besoffen machen und dann flachlegen?“

Er nimmt einen eleganten Schluck aus der Flasche. „Nein, ich will dich nur flachlegen. Obwohl ein wenig betrunken sehr charmant sein kann. Da hinten müssten irgendwo noch Cola-Dosen sein, wenn du magst.“

Ich hangele mich über den Sitz und finde tatsächlich eine Dose. „Wo gibt’s denn so was noch?“

„Im Getränkemarkt. Du hast echt einen süßen Arsch, Maxi.“

„Danke“, murmle ich, nachdem ich mich wieder anständig hingesetzt habe. Irgendwie kann ich mir Claude nur schwer beim Getränke kaufen vorstellen. Das passt einfach nicht. Für solche Sachen ist der zu cool. Hat der etwa gesagt, dass mein Arsch... ich bekomme nachträglich einen roten Schädel, worüber ich mich sehr ärgern muss. Er ist schließlich nicht der Erste, der mir das sagt.

„Und es sieht wahnsinnig bezaubernd aus, wenn du rot wirst“, grinst er und streicht mir mit einem Finger über die Wange.

„Mit deinen Komplimenten kriegst du mich auch nicht rum.“

„Nein“, schüttelt er den Kopf. „Nein, natürlich nicht, denn ich bin nicht Gabriel.“

„Hör schon auf, ich werde dir nix von ihm erzählen.“

Er nimmt einen letzten Schluck und steckt die Flasche in seine Manteltasche zurück. „Aber über irgendwas müssen wir doch reden.“

„Warum nicht über dich?“

„Was willst du wissen?“

„Keine Ahnung. Vielleicht... was du mit den Jungs anstellst, die du bei Christo abschleppst.“

„Na... abschleppen, was sonst?“

„Das ist aber manchmal nicht so ganz legal, oder?“, frage ich vorsichtig.

Er scheint kurz zu überlegen. „Manchmal wohl nicht. Meistens aber schon.“

„Und... du hast gar keine Angst, dass...“

„Ich Schwierigkeiten bekomme, wenn ich dir so freizügig erzähle, dass ich auf Jungs stehe? Warum sollte ich? Die Jungs machen alles freiwillig. Ich zwinge niemanden. Oder hab ich dich etwa gezwungen, in mein Auto zu steigen?“

Der sollte sich mal mit Gabriel unterhalten... von wegen schlechtem Gewissen und so. Und ich sollte mich nicht nachts mit fremden Kerlen rumtreiben. Es wird eh langsam ziemlich kalt.

„Würdest du mich jetzt bitte nach Hause bringen?“

„Klar.“


Meine Güte, das gab Stress. Robert war echt sauer, weil es schon hell wurde, als ich nach Hause kam. Normalerweise sage ich immer irgendwie Bescheid, wenn ich über Nacht weg bleibe. Allerdings war Claude ja nicht grad geplant. Jedenfalls fand Robert, ich sei zwar schon siebzehn aber... blablabla. Hätte mich nicht gewundert, wenn er versucht hätte, mir Hausarrest zu verpassen. Ich könnte Robert durchaus erklären, warum ich mich momentan wieder in meiner, wie er es nennt, Kotzphase befinde. Könnte ihm erklären, dass sein schwachmatischer bester Freund schuld daran ist. Weil der mich liebt aber trotzdem mit mir Schluss gemacht hat, weil er eben ein verdammter Feigling ist. Ich glaube nicht, dass Robert dafür Verständnis hätte, also halte ich die Klappe und verhalte mich so unauffällig wie möglich, wenn Mama und Papa in der Nähe sind. Vielleicht wäre der Zeitpunkt gekommen, ihnen wenigstens meine Homosexualität beizubringen. Allerdings hab ich überhaupt keinen Bock, mit denen zu reden. Ich würde sowieso nur zu hören kriegen, dass es okay ist. Und das weiß ich selber.

Bei meinem Nachmittagsspaziergang mit Sid lande ich aus Versehen vor Gabriels Wohnungstür. Ehrlich, ich konnte gar nichts dafür. Sid wollte unbedingt hierher. Ich frage mich, ob Gabriel mir das abkaufen wird. Wahrscheinlich nicht. Andererseits ist er auch auf meine Heulerei bei Bambi reingefallen. Da waren nämlich mindestens neunzig Prozent gespielt. Na ja, okay, sagen wir... fünfundvierzig. Zeichentrickfilme rühren mich halt immer so schrecklich. Ah, da hab ich doch eine Ausrede! Gabriel hat noch meine DVD. Zittrig drücke ich auf die Klingel. Die Tür öffnet sich.

„Ich will meine DVD abholen“, murmle ich, stürme einfach an ihm vorbei ins Wohnzimmer und lasse mich in einen Sessel fallen.

„Hättest du ncht anrufen können?“

„Nee. Das war total spontan, weil Sid und ich zufällig in der Gegend waren.“

„Würde es dir was ausmachen, deinen Hund von der Couch zu nehmen? Der sabbert schon wieder alles voll.“

„Sid!“ Ich deute kurz auf den Boden, was mein schlaues Hundchen sofort begreift. „Und... wie geht’s dir so?“

„Blendend“, zischt er.

„Ja? Siehst aber ganz schön scheiße aus“, bemerke ich und lege die Füße auf den Tisch.

Gabriel reibt sich angestrengt die Schläfen, so wie Diven das machen, wenn sie sich aufregen. Ich liebe es, wenn er das tut. Das ist so verflucht süß. Er verschwindet ins Schlafzimmer und wirft mir die DVD hin.

„War’s das?“

„Gute Frage. Ich hab jemanden kennen gelernt.“ Scheiße, das hat sich angehört, wie in einem abgeschmackten Beziehungsdrama. „Der Typ ist echt durchgeknallt, aber... er würde sofort was mit mir anfangen.“

„Meinen Segen habt ihr.“

Wie kann denn ein einzelner Mensch nur so vollkommen verblödet sein?! Es ist ihm nicht egal, das merke ich. Wieso sagt er es nicht einfach und nimmt mich in den Arm? Sein Verhalten macht mich dermaßen aggressiv, dass ich seinen Kopf gegen die Wand schmettern möchte. Stattdessen stehe ich auf und greife nach Sids Leine.

„Schieb dir deinen Segen doch am besten den Arsch hinauf. Schönen Tag noch.“


Seit meinem letzten Besuch herrscht zwischen Gabriel und mir Funkstille. Nicht, dass wir die zwei Wochen davor wahnsinnig viel Kontakt gehabt hätten. Warum muss ich ausgerechnet in diesen blöden Hirni verschossen sein?! Nicht, dass ich mir diese Frage noch niemals zuvor gestellt hätte. Meine Gedanken drehen sich total im Kreis. Warum kann er nicht... es ist doch nichts dabei... er liebt mich doch auch... blablabla. Ich hab fürchterliche Magenschmerzen. Das hat einen konkreten Grund. Robert und Christine veranstalten nämlich eine Party. Heute. Bei uns zu Hause. Und wer ist wohl dazu eingeladen? Richtig geraten. Natürlich wird auf meine Anwesenheit nicht unbedingt Wert gelegt. Ist ja ein Abend für Erwachsene. Ich könnte bei Anne übernachten... oder unter einer Brücke. Oder einfach in meinem Zimmer bleiben. Dummerweise will ich aber Gabriel sehen, obwohl es mir das Herz zerreißen wird. Vielleicht kommt er ja gar nicht. Er muss doch damit rechnen, mir über den Weg zu laufen, schließlich wohne ich hier. Kann mir nicht vorstellen, dass er mir begegnen möchte. Was interessiert es mich, was Gabriel will?! Hab ich jemals versprochen, es ihm leicht zu machen? Der soll sich den ganzen verfluchten Abend scheiße fühlen... so wie ich mich mein ganzes Leben lang schon scheiße fühle seinetwegen! Ich hasse Gabriel.

Um halb Neun geht unten bereits tierisch die Post ab. Die aufgebrezelten Gäste stehen mit ihren Champagnergläsern in der Gegend rum und/oder schlagen sich die Bäuche voll. Logischerweise gibt’s bloß so’n Delikatessen-Fraß aus Christines Restaurant. Gabriel steht überhaupt nicht auf diese edlen Häppchen, auf diese Art von Parties übrigens auch nicht. Er wird sicher nicht auftauchen. Und wenn doch, hat es mich mit wahrscheinlich längst vor Langeweile dahingerafft. Zum Glück verschonen mich die Anwesenden mit irgendwelchen Arschlochfragen vom Kaliber: Was macht denn die Schule... oder... Was willst du denn nach dem Abitur studieren. Ich hab mir immer ausgedacht, dass ich nach der Schule mit Gabriel zusammenlebe. Sieht allerdings momentan nicht so aus, als würde der Traum jemals in Erfüllung gehen. Andererseits hab ich auch jahrelang davon geträumt, Gabriel zu küssen und mit ihm zu schlafen, was mir durchaus gelungen ist. Shit, wenn ich bloß dran denke, kriege ich schon weiche Knie und mein gesamter Körper fängt an zu kribbeln. Und wenn das alles war? Was, wenn Gabriel mich nie wieder küsst? Wenn ich ihn nie wieder berühren darf, nie wieder durch seine Haare wuseln? Was, wenn er mich nie wieder in den Arm nimmt??

„Schätzchen... bist du krank?“ Christine hat sich unbemerkt angeschlichen und befühlt mütterlich besorgt meine Stirn.

„Es geht mir gut.“

„Warum machst du dann ein Gesicht, als hättest du Schmerzen?“

Ja, warum wohl?!

„Vielleicht solltest du besser ins Bett gehen.“

Um zehn Uhr?? Und bevor ich Gabriel gesehen hab?

„Hast du dir etwa doch dieses Nabelpiercing stechen lassen? Hat sich das etwa entzündet“, faselt sie und zupft an meinem Shirt rum.

„Mom...“

„Was?“

„Würdest du bitte damit aufhören und dich um deine Gäste kümmern?“

Kaum hab ich den Satz beendet, klingelt es. Mein Herz fängt an zu klopfen und mir wird sehr zittrig.

„Mach mal bitte auf“, fordert Christine, weil sie von ihrer Freundin in ein Gespräch verwickelt wird.

Ich gehe also mit Schlabberbeinen zur Tür. Einmal kurz sammeln, tief durchatmen, öffnen. Natürlich ist es Gabriel. Natürlich sieht er dermaßen gut aus, dass ich ihm sofort um den Hals fallen will. Natürlich mache ich das nicht.

„Hallo.“

„Hey“, murmelt er in seinen schwarzen Schal. Seine Wangen sind gerötet, weil es draußen arschkalt ist. Verflucht, der macht es mir aber auch nicht leicht.

„Kommst du rein?“

Er nickt und verschwindet eilig ins Wohnzimmer. Ich könnte jetzt ebenfalls verschwinden und zwar in mein Zimmer. Ich hab Gabriel gesehen, was sich genauso schrecklich angefühlt hat wie ich dachte. Will ich mir das etwa den ganzen Abend geben? Bin ich vielleicht Masochist?! Aber ich kann nicht oben hocken, wenn ich genau weiß, dass er hier unten ist. Mann, das ist doch echt zum Kotzen! Okay, zurück zur Partygesellschaft. Gabriel steht jetzt auch mit einem Glas Champagner in der Gegend herum. Allerdings wirkt er im Gegensatz zu den übrigen Damen und Herren reichlich verloren. Mehr wie bestellt und nicht abgeholt. Ich schlendere zu ihm rüber, was mit meinen quabbeligen Beinen nicht einfach ist.

„Du bist zu spät... Gabriella.“

Anstatt zu antworten kippt er sein Getränk runter.

„Ich muss mit dir reden.“

„Okay.“

Er blickt sich verstohlen um. „Allein.“

„Wollen wir nach oben?“

Seinem Gesicht nach zu urteilen, hält er das für keine gute Idee. Trotzdem stehen wir zwei Minuten später in meinem Zimmer.

„Also, was gibt’s?“, frage ich und versuche, möglichst cool zu klingen.

Gabriel streicht sich fahrig durch die Haare und kuckt überall hin, nur nicht in meine Richtung.

„Ich...“, beginnt er leise.

„WAS?“

Er zuckt erschrocken zusammen. „Maxi, das... das kann so nicht weitergehen.“

Ist der bescheuert oder hat er Gedächtnisschwund? „Du hast bereits mit mir Schluss gemacht. Ich hab keinen Bock, mir die ganze Scheiße noch mal anzuhören.“

Langsam kommt er auf mich zu. „Hast du wirklich jemanden kennen gelernt?“

Der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank! „Ich wüsste nicht, was dich das an...“

Er legt mir seinen Zeigefinger auf den Mund und lächelt unsicher. „Sag mal, merkst du gar nicht, dass ich grad total kaputt gehe?“ Dann küsst er mich. Gabriel küsst mich... ohne dass ich ihn dazu aufgefordert habe! Ich meine, was soll denn das verdammt noch mal heißen? Wen interessierts?! Ich schlinge meine Arme um ihn und bin für die nächsten Minuten in einer anderen Welt. Ungefähr so lange bis er den Knopf meiner Jeans öffnet und mich dabei fast entschuldigend anschaut.

„Willst du nicht wenigstens die Tür zumachen?“, frage ich atemlos.

„Scheiß auf die Tür.“

Seine Hand schiebt sich in meine Hose während wir weiter knutschen. Ungefähr so lange bis Robert plötzlich im Zimmer steht.

Shit!

„Was zum Teufel...?“

„Paps... reg dich jetzt nicht auf, okay?“, versuche ich die Situation irgendwie zu retten. Zwecklos. Roberts Gesichtsausdruck variiert zwischen ich-kann’s-nicht-glauben und ich-bin-bereit-zu-töten.

„Ich wollte nicht, dass du es so erfährst“, versuche ich es erneut, „aber...“

„Halt den Mund“, unterbricht er mich böse. Dann wendet er sich an Gabriel. „Bist du pervers, oder was? Stehst drauf, kleine Jungs zu ficken? IN MEINEM GOTTVERDAMMTEN HAUS?“

Au weia, ich hab noch nie erlebt, dass er ausfallend wird.

Gabriel ist total verängstigt und verschämt. „Robert, ich...“

„Ich sag dir eins... es ist mir scheißegal, was du treibst, okay? Aber du wirst verdammt noch mal die Finger von meinem Sohn lassen. Und gnade dir Gott, wenn ich erfahre, dass das hier nicht zum ersten Mal passiert. Wenn du die ganzen Jahre über versucht hast, ihn anzufassen... ich schwör dir, ich mach dich fertig, du Schwein.“

„Gabriel hat doch gar nichts getan“, schreie ich, was Robert jedoch völlig ignoriert.

„Ich hab niemals... wofür zum Teufel hältst du mich?“, fragt Gabriel leise.

„Verschwinde aus meinem Haus“, entgegnet Robert kalt. Als Gabriel an der Tür ist, fügt er noch ein gut hörbares „Kinderficker“ hinzu.

Gabriel

Was frag ich auch, wofür Robert mich hält?! Völlig fertig stürme ich die Treppe runter und muss aufpassen, dass ich nicht hinknalle, so sehr zittern meine Beine.

„Gabriel, du willst doch nicht schon gehen?“, fragt Christine enttäuscht, als ich mir meine Jacke schnappe.

Ich kann nicht mit ihr sprechen. Ich will bloß weg.

„Was ist denn los?“, ruft sie mir nach.

DAS wird Robert ihr bestimmt gleich erklären. Und ich bin mir sicher, er wird noch einige schlimme Sachen dazuerfinden, weil er tatsächlich glaubt, ich würde Maxi seit Jahren belästigen. Mein bester Freund nennt mich Kinderficker! Kaum bin ich um die nächste Straßenecke verschwunden, kommt mir auch schon mein gesamter Mageninhalt hoch. Ich kotze ins Gestrüpp. Danach schleppe ich mich nach Hause und hab nicht die geringste Ahnung, was ich tun soll. Der Gedanke, dass ich Maxi zurückgelassen habe, dass er ganz allein ist, wenn Robert mit seinem Verhör beginnt, lässt mich fast noch mal kotzen. Maxi wird mich verteidigen, das weiß ich, er wird selbstbewusst zugeben, dass er mich verführt hat. Das würde er wahrscheinlich auch, wenn ich angefangen hätte. Darum geht’s aber nicht. Maxi und ich stecken in dieser Sache gemeinsam drin und ich kann grad nichts tun, um ihn zu unterstützen, wenn er Mama und Papa erklären muss, was gelaufen ist. Mir bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten. Dass Maxi sich meldet. Oder dass ich Post von Roberts Anwalt bekomme, in der mir untersagt wird, mich Maxi jemals wieder zu nähern. Ich traue Robert alles zu, ich habe nämlich sein Gesicht gesehen. Er war angeekelt. Und bereit zu töten. Mich, seinen besten Freund. Mich, den Kinderschänder! Einen kurzen Augenblick überlege ich, Fabi anzurufen. Allerdings kann ich auf ihr „ich hab’s dir doch gesagt“ getrost verzichten. Blöde Klugscheißersprüche bringen mich auch nicht weiter. Ich hätte einfach nur diese fucking Tür zumachen sollen! Robert und Christine platzen nie unaufgefordert in Maxis Zimmer. Was hab ich mir bloß dabei gedacht, wie auf dem Präsentierteller mit ihm rumzuknutschen? Nix, nehme ich an. Weil mein Hirn generell nicht funktioniert, wenn meine Lippen mit Maxis in Berührung kommen.


Logischerweise schlief ich die letzten drei Nächte sehr schlecht. Erstens weil Maxi verschwunden ist. Zweitens weil Robert mir durchs Telefon mit der Polizei drohte, falls ich seinen Sohn bei mir versteckt haben sollte. Denkt der, ich hätte eine Art Verlies in meinem Keller, wo ich mir irgendwelche Jungs halte? Angekettet, bei Wasser und Brot? Und mehrmals am Tag hole ich einen zu mir rauf, um ihn nach Strich und Faden zum Sex zu zwingen. Vielleicht ist Robert beim Anblick von Maxi und mir geisteskrank geworden?! Es beruhigt mich einigermaßen, dass er keine Waffen im Haus hat. Drittens mache ich mir natürlich Sorgen um Maximilian. So Schlimme, dass ich bei Anne angerufen habe. Die wusste allerdings auch nichts. Zum Glück ist Maxi nicht der Typ, der sich was antun würde. Andererseits steht er offensichtlich ziemlich unter Druck... wenn er einfach abhaut und weder seine Freundin noch mich davon in Kenntnis setzt. Verdammt, wo steckt er bloß?

Als ich mich gerade dazu entschlossen habe, telefonisch doch mal sämtliche Krankenhäuser abzuklappern, klingelt’s bei mir. An der Tür. Ich finde, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Maxi oder die Polizei! Die Schritte auf den Treppenstufen hören sich nach einer einzelnen Person an. Bullen tauchen immer zu zweit auf, das ist allgemein bekannt. Ich hoffe. Ich sehe... eine schwarze Kapuze. Gottseidank!!

„Wo bist du verfluchte Scheiße gewesen?“

Maxi lässt seinen Rucksack zu Boden gleiten und hängt seine Jacke ordentlich an den Haken.

„Anne.“

„Die hat aber gesagt, sie wüsste nicht, wo du steckst.“

„Logisch“, zuckt er die Schultern und geht ins Schlafzimmer.

Die kleine Kröte hat mich eiskalt belogen, während ich fast bekloppt geworden bin vor Angst?! Teenager sind doch echt zum Kotzen!

„Würdest du mir verdammt noch mal sagen, was zur Hölle passiert ist?“, frage ich aufgebracht. Und fassungslos, weil Maxi sich ins Bett verkrochen hat, was ich momentan nicht ganz begreife.

„Komm her, Gabriel!“, lächelt er müde. Oder traurig. Oder hilflos. Oder ein bisschen von allem.

„Maxi, wir müssen...“

„Kannst du nicht einfach nur herkommen?“, unterbricht er mich seufzend.

Wenn er mir dann endlich sagt, was los war... okay. Ich lege mich zu ihm und sofort kuschelt er sich heftig an mich.

„Was...“

„Ich will jetzt nicht darüber reden“, murmelt er, „ich will... dich.“

Mir ist klar, dass er das nicht sexuell meint. Sexualität ist momentan sehr nebensächlich. Wichtig ist: Maxi festhalten und nicht aus Versehen vor Erleichterung in Tränen auszubrechen, weil er unversehrt ist! Sanft streichele ich seinen Nacken während er sein Gesicht an meinem Shirt reibt. Nach einer Weile ist er verdächtig ruhig.

„He, bist du eingeschlafen?“, frage ich leise.

„Nein.“

„Ich hab mir echt Sorgen gemacht.“

„Keine Angst. Ich hab Robert und Christine gesagt, dass du kein Kinderschänder bist. Dass du nie den Versuch gemacht hast, mich anzugrapschen. Und dass ich dich verführt habe. Ich denke, sie glauben mir.“

„Das meinte ich nicht. Maxi, du warst drei verfluchte Tage verschwunden.“

„Ich musste einfach weg. Robert ist zwar von dem Trip runter, dir die Bullen auf den Hals zu hetzen... aber unsere Hochzeit plant er deswegen noch lange nicht. Er hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich dich nicht wieder sehen soll. Ich erspare dir die unfreundlichen Bemerkungen, die er in Bezug auf dich gebrauchte. Da ich nicht vernünftig mit ihm reden konnte, bin ich halt erstmal zu Anne. Um ein bisschen Ruhe zu haben. Tut mir Leid, dass ich mich nicht gemeldet hab.“

Ich umarme ihn fester. „Schon okay, Schmusekatze.“

„Mhhh... ich hab das so gehofft.“

„Was?“

„Dass ich noch deine Schmusekatze bin“, murmelt er an meinem Hals.

Oh Mann, Maxi ist viel zu süß! Ehrlich, das sollte verboten werden.

„Was wolltest du mir eigentlich sagen, da oben in meinem Zimmer?“

„Keine Ahnung.“

„Klingt total glaubwürdig“, kichert er.

„Außerdem hast du vorgeschlagen, in dein Zimmer zu gehen.“

„Weil du mit mir reden wolltest“, kontert er.

„Was spielt das noch für eine Rolle? Dank meiner grandiosen Idee, die Tür sperrangelweit auf zu lassen, ist jetzt eh alles im Arsch.“

„Ich hatte dich darauf hingewiesen.“

„Ja, du kleiner Klugscheißer“, zische ich.

Maxi ignoriert meine Bemerkung und sieht mich lächelnd an. „Weißt du... als du mich plötzlich geküsst hast, das war ganz schön heiß. Erst dachte ich, du wolltest mir wieder irgendeinen Scheiß erzählen, aber auf einmal warst du so... meine Güte, ich wette, wenn uns niemand gestört hätte, wärst du wie ein Raubtier über mich hergefallen, mh?“

„Überhaupt nicht. Ich bin kein Raubtier.“

„Auf jeden Fall“, grinst er und stupst mir in die Seite. „Küss mich... Tiger!“

Ich weiß genau: in Anbetracht dieser schrecklichen Situation, in der wir uns befinden, sollte es mich nicht so ekelhaft glücklich machen, dass Maxi bei mir ist. Wir sind schließlich kein frischverliebtes Pärchen, ohne die geringsten Schwierigkeiten. Ich hab meinen besten Freund verloren und für Maxi ist es zu Hause auch nicht gerade angenehm. Trotzdem. Ich kann nicht anders, als seine Nähe zu genießen.

„Ist dir eigentlich klar, dass wir erst ein einziges Mal miteinander geschlafen haben?“, fragt er, während er mein Shirt hochschiebt und meinen Bauch küsst.

„Wie kannst du ausgerechnet jetzt an Sex denken?“

„Wie kann ich nicht?“ Seine Finger spazieren langsam über meinen Hosenbund. „Mal ehrlich, Gabriel, es tut mir Leid, dass die Sache zwischen uns raus gekommen ist... so raus gekommen ist. Es ist abartig, wie Robert sich verhält und... aber das interessiert mich grad gar nicht.“

Mich aber! Und es ist mir unmöglich zu vergessen, wie Robert mich genannt hat. Dieses verfluchte Wort quabbelt durch meinen Kopf und verklebt mir das Hirn. Dass er mir tatsächlich so etwas zutraut... nach all den Jahren, die wir uns kennen... ich begreife das nicht. Er muss doch wissen, dass ich Maxi niemals wehtun könnte.

„Gabriel“, wispert er, „es ist okay.“

„Tatsächlich? Da stehst du mit deiner Meinung aber ziemlich allein“, entgegne ich finster.

„Mir würde es reichen, wenn du sie teilen könntest. Und wenn das nicht geht... darfst du danach gerne alle Schuld auf mich schieben“, erklärt er schulterzuckend.

Was soll ich machen? Gegen Maxi komme ich einfach nicht an. Und wenn er möchte, ist es doch wirklich in Ordnung, oder?!

„Wir müssen trotzdem überlegen, wie’s jetzt weitergehen soll“, stelle ich fest, während sich meine kleine Schmusekatze in meine Arme schmust. „Dass deine Eltern über den plötzlichen Weggang ihres Sohnes nicht erfreut sind, liegt auf der Hand.“

„Du schickst mich also nach Hause?“

„Was hast du denn gedacht? Wolltest du vielleicht bei mir einziehen?“

Maxi rückt von mir weg. „Ah, wir haben wieder auf Arschloch-Modus geschaltet, was?“

„Du bist nun mal noch nicht volljährig und dein Vater läuft Amok. Entschuldige, dass ich mir Gedanken mache.“

„Ich etwa nicht? Glaubst du, ich will diese ganze Scheiße? Aber im Gegensatz zu dir hab ich keine Probleme, zu meinen Gefühlen zu stehen.“

Logisch, er hat ja auch nichts zu verlieren. „Ich sag doch bloß, dass du nicht einfach bei mir bleiben kannst, wenn deine Eltern was dagegen haben. Das hab ich nicht mal eben so erfunden.“

„Damit ist die Sache für dich erledigt?“ Er steht auf und zieht sich an. „Du bist so ein erbärmlicher Feigling, Gabriel.“

Muss ich mir das von einem dummen Teenie sagen lassen, der völlig kopflos erstmal tagelang verschwindet?! „Ich bin nicht feige, sondern vernünftig. Während du nämlich mit deiner rosaroten Brille auf Wolke 7 schwebst und damit hausieren gehst, dass du mich verführt hast, stehen bei mir die Bullen auf der Matte, weil dein Vater mich für einen Kinderficker hält.“

„Er hält dich sogar für einen verdammten Kinderficker. Für einen verklemmten Bastard, der bei Kerlen keinen hochkriegt und sich deshalb an kleinen Jungs vergreift. Und weißt du was? Ich hab nicht die geringste Lust, ihn noch vom Gegenteil zu überzeugen.“

Weg ist er. Na, das ist doch wieder einmal prima gelaufen. Und wegen dieser Rotzgöre hab ich den ganzen Stress!


„Wie lange geht’n das noch?“, wispert Fabienne von der Seite und fächelt dezent mit ihrem Programmheft.

„Keine Ahnung.“

„Der Oppa neben mir hat einen fahren lassen. Ich will sofort hier weg.“

Das geht allerdings nicht. Wir sitzen grad im Veranstaltungssaal des Kurhauses und sind umzingelt von alten Leuten, die sich vor Lustigkeit fast die Buxen vollstrullern. Außerdem muss ich bis zum Schluss bleiben, weil ich über den Kack hier einen Artikel zu schreiben habe. Auf der Bühne tanzt und singt sich das Ensemble einen dranlang... allen voran Ilja Richter und Gunther Emmerlich. Den einen kennt man aus alten Disco-Tagen, der andere hat schon immer stimmlich auf Ivan Rebroff gemacht. Ich hasse Gunther Emmerlich. Und ich hasse Musicals. Das hier ist nämlich eins und zwar „My Fair Lady“. Hab mir schon gedacht, dass es langweilig werden würde, deshalb nötigte ich Fabi mitzukommen.

„Das wirst du mir büßen“, droht sie finster.

„Ich lad dich zu ’nem Cocktail ein.“

„Soviele Cocktails wie ich brauche, um diese Horrorshow zu vergessen, kannst du gar nicht bezahlen.“

Nach knapp drei Stunden ist der Spuk vorbei. Fabienne überlegt glücklich, in welche Bar wir gehen könnten.

„Ähem... hast du vergessen, dass ich noch arbeiten muss?“

Sie rümpft geringschätzig die Nase. „Ich will mich besaufen... auf deine Kosten. Jetzt!“

Wir landen also in einem plüschigen Lokal mit künstlicher Palmendeko plus 80er-Jahre Neonbeleuchtung. Ich kann nur hoffen, die Getränke sind nicht so geschmacklos wie das Ambiente. Fabi bestellt sich irgendwas abenteuerlich Buntes mit Zuckerrand, Papierschirmchen und obligatorischer Zierfrucht in Sternform. Ich trinke Cola ohne alles, obwohl mir ebenfalls nach besaufen ist.

„Auf einen gelungenen Abend“, prostet Fabienne und angelt mit der Zunge nach ihrem Strohhalm. „Frag mich nie wieder, ob ich mir dir ausgehen will.“

„So schlimm war’s auch nicht.“

Fabi knallt ihr Glas auf den Tisch. „Der Oppa neben mir...“

„Hat einen fahren lassen, ich weiß.“

„Und seine Frau hat ständig ihren sicherlich tuberkulösen Schleim ins Taschentuch gehustet. Ich fasse es nicht, Ilja Richter... scheiße, ist der alt geworden.“

„Robert hat mich und Maxi beim Knutschen erwischt“, platzt es aus mir raus.

„Ich wusste doch, dass du mich nicht einfach so mitgeschleppt hast“, stöhnt sie. „Allerdings wäre es mir lieber gewesen, wir hätten die Sache am Telefon besprochen. Oder bei dir zu Hause... ohne die drei Stunden Musical-Folter vorneweg. Außerdem hab ich dir gesagt, dass du Schluss machen sollst. Warum hörst du eigentlich nie auf mich? Mit Claude ist es doch dasselbe. Hab ich dir nicht von Anfang an gesagt, dass mit dem Typen was nicht stimmt? Und richtig. Nur weil er gut aussieht und im Bett vielleicht ein oder zwei geile Nummern drauf hat... Kerle denken doch echt nur mit dem Schwanz.“

Zum Glück hat Fabi keine Ahnung, dass meine Beziehung zu Claude nicht bloß sexueller Natur war... ist. Eigentlich weiß sie überhaupt nicht, was Claude so alles treibt. Sie findet nur, er sei unseriös, womit sie ja durchaus Recht hat.

„Ich hab doch mit Maxi Schluss gemacht“, erkläre ich, „gleich nach unserem Gespräch. Aber irgendwie...“

„Ja?“, fragt sie mit hochgezogener Braue. „Irgendwie hat er dich angemacht und du konntest eben nicht widerstehen, oder was?“

„Nein, so war es gar nicht.“

„Ich sag doch...alle schwanzgesteuert“, faselt sie. „Männern scheint es zu gefallen, Sklave ihres Sextriebs zu sein. Und dann verteidigen sie ihr Rumgeficke mit so was Blödem wie... ich brauche nun mal viel Sex, denn ich bin ein Mann. Und wenn Kerle fremdgehen ist ja auch immer die dusselige Schnalle Schuld, die ständig Migräne hat oder ihre Tage oder frigide ist oder verklemmt. Das ist so abartig, Gabriel.“

Der Cocktail muss es ganz schön in sich haben!

„Fabi, kannst du bitte mal deine Männer-sind-hirnlose-dauergeile-Arschgesichter-Sprüche lassen und vernünftig mit mir reden?“

„Ja, sicher“, zuckt sie mit den Schultern. „Aber schließlich hattest du was mit Maxi, obwohl du wusstest, dass es falsch ist.“

„Ich liebe Maxi.“

„Hast du’s nicht noch ’ne Nummer größer? Gabriel, der Junge steckt noch mitten in der Pubertät. Du bist scharf auf ihn, okay, aber Liebe... tut mir Leid.“

Wieso rede ich eigentlich mit ihr darüber? Sie versteht mich doch eh nicht. Warum zur Hölle glauben alle, dass es mir bei Maxi nur um Sex geht?!

„Hat Robert dir gleich in die Fresse gehauen?“

„Nein. Er dachte, ich hätte Maximilian jahrelang vergewaltigt.“

„Wundert dich das? Überleg mal, wie du reagieren würdest, wenn du gesehen hättest, wie dein erwachsener Freund deinen halbwüchsigen Sohn abknutscht.“

„Ich hätte ihm wenigstens die Chance gegeben, die Sache zu erklären.“

Fabi lächelt mitleidig. „Bestimmt. Ich hoffe, du hast jetzt endlich begriffen, dass du die Finger von ihm lassen solltest.“

Ich sehe schon... dieses Gespräch ist absolut überflüssig. Vielleicht sagt Fabi es nicht so deutlich wie Robert, aber sie hält mich vermutlich auch für etwas ganz Schlimmes. Es scheint niemanden zu interessieren, dass Maxi mich auch liebt und sehr wohl in der Lage ist zu entscheiden, ob ich gut für ihn bin oder nicht. Ich hab das echt dermaßen satt. Maxi ist siebzehn und nicht sieben, verdammt noch mal! Wenn ich es mir recht überlege, denkt und handelt er meistens erwachsener als alle, die ich kenne... mich eingeschlossen. Dass wir uns gestern fies gestritten haben, er einfach abgehauen ist, hab ich bis gerade komplett verdrängt. Schade, dass es mir jetzt eingefallen ist, weil ich mich sofort schlecht fühle. Schlecht und einsam. Ich brauche meine Schmusekatze.

„Kannst dich freuen, wir haben uns wahrscheinlich sowieso gestern getrennt.“

„Gabriel“, beginnt sie völlig entnervt, „meinst du, ich hätte überhaupt kein Herz, oder was? Ich weiß, dass er dir was bedeutet, aber...“

„Ich muss jetzt meinen Artikel schreiben“, unterbreche ich sie, stehe auf und werfe ein paar Geldscheine auf den Tisch, „trink doch einfach noch einen auf mich.“

Das Licht im Treppenhaus ist wie so oft kaputt. Eigentlich komisch, wo die Alte von unten sich doch ständig als Hausmeisterin aufspielt. Das Auswechseln einer Glühbirne gehört anscheinend nicht zu ihren Aufgaben. Aber wenn mal jemand nach zwanzig Uhr die Musik einen Ticken zu laut hat, ruft sie gleich die Bullen. Als ich mich durch die Dunkelheit taste, stoße ich auf der letzten Treppe gegen etwas Weiches. Ein ärgerliches Knurren hallt durch den Hausflur.

„Sid!“

„Maxi?!“ Ich stolpere zur Tür, schließe auf und knipse das Licht an. Da steht er. Neben seinem Riesenhund. „Was tust du denn hier?“

„Auf dich warten.“

Kaum sind wir in meiner Wohnung, fallen wir uns schon in die Arme.

„Es tut mir Leid“, wispert er.

„Mir auch“, wispere ich.

Der Köter beginnt, bedrohlich zu bellen. Ich hab dem Vieh noch nie über den Weg getraut und kriege es ein bisschen mit der Angst.

„Sid... hör auf, du Penner“, beruhigt Maxi seine Töle und tätschelt liebevoll an ihr rum. „Er will mich nur beschützen“, erklärt er mir.

Na fein, noch jemand, der denkt, ich würde Maxi etwas antun!

„Außerdem ist er eifersüchtig.“ Maxi nestelt aus seiner Jackentasche eine Knabberstange und verfüttert sie an den Hund. Danach trottet Sid ins Wohnzimmer, um es sich auf meiner Couch gemütlich zu machen. Wenn der wieder anfängt zu sabbern, werde ich ihn eigenhändig einschläfern!

„Bist du weggelaufen?“, frage ich.

„Nee. Offiziell bin ich bei Anne. Ich kann da auch wieder hin, aber... ich würde lieber... also... darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“

Wie könnte ich nein sagen, wenn er mich SO ansieht?!

„Ich muss aber noch einen Artikel schreiben.“

„Okay.“

Natürlich kann ich mich kein Stück konzentrieren, weil Maxi sich mit seinem Hund unterhält, was blöderweise gnadenlos süß ist. Ständig muss ich vom Monitor wegschielen und ihn beobachten.

„Wie lange dauert’n das noch?“, fragt er ungeduldig... alle fünf Minuten.

„So lange wie’s dauert“, brumme ich beim Durchsuchen des Textes nach Tippfehlern und/oder dämlichen Formulierungen.

Maxi schnauft vernehmlich, steht auf, zwängt sich zwischen mich und Schreibtisch, um sich langsam auf meinen Schoß zu setzen. Während er an meinem Hals rumschnuckelt und gleichzeitig seine Hände unter mein Shirt schiebt, schaffe ich es tatsächlich irgendwie, den halb korrigierten Artikel per e-Mail an die Redaktion zu schicken.

„Können wir jetzt endlich ins Bett gehen?“

„Schaffst du’s überhaupt bis da hin? Ich dachte, du würdest es gleich hier...“

„Viel zu unbequem“, unterbricht er mich.

Es ist wirklich schwierig, bei Verstand zu bleiben, wenn man zwar weiß, dass man nichts Falsches tut, sich jedoch trotzdem schändlich fühlt, weil man aus irgendwelchen Gründen denkt, dass es doch falsch ist, was man tut... oder getan hat. Nehmen wir mal an ich liebe Maxi und er liebt mich, dann ist es doch natürlich, dass wir miteinander schlafen, richtig?! Dann ist es doch scheißegal, was amoklaufende Eltern und bescheuerte Freundinnen sagen, denn die haben ja keine Ahnung, wie es um unsere Gefühle bestellt ist. Ich meine, läge die Sache wohl anders, wenn ich nicht mit Robert befreundet wäre? Wenn ich Maxi nicht schon seit dem Grundschulalter kennen würde? Wenn er irgendein siebzehnjähriger Junge wäre, in den ich mich zufälligerweise verliebt hätte... würden Robert, Christine, Fabienne und alle anderen dann auch schlecht von mir denken? Sie haben mich, so viel ich weiß, bis jetzt nie für ein Monster gehalten. Hängt denn echt ALLES an dieser einen beschissenen Tatsache, dass Maximilian eben kein x-beliebiger Bengel ist, der mir irgendwo über den Weg gelaufen ist?!

Und überhaupt... Robert war immer so wahnsinnig tolerant, ist er dermaßen ausgeflippt, weil Maxi ausgerechnet mich ausgesucht hat, oder findet er es generell scheiße, einen schwulen Sohn zu haben?

„Hast du wieder ein schlechtes Gewissen?“, fragt Maxi leise.

„Hä?“

„Du bist so still.“

„Ich denke nach.“

„Worüber denn?“

„Glaubt Robert dir, dass du bei Anne bist?“

Maxi überlegt einen Moment. „Nein. Aber was soll er schon machen? Er kann mich ja nicht einsperren, bis ich seiner Meinung nach alt genug bin, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.“

„Er könnte beispielsweise zum Familiengericht gehen.“

„Du siehst zu viel fern, Gabriella“, kichert er. „Gerichtsshows sind das Letzte!“

„Immerhin hat er mir bereits mit der Polizei gedroht. Wenn er sieht, dass wir uns gegen seinen Willen treffen... also, da gibt’s wahrscheinlich schon Mittel und Wege.“

„Christine würde es nicht zulassen, dass er so weit geht.“

Aha?!

„Sie ist zwar auch nicht total begeistert, aber sie versucht wenigstens, mich zu verstehen. Sie redet mit mir, anstatt bloß zu verbieten“, erklärt er.

„Trotzdem, ich...“

„Gabriel“, unterbricht er mich seufzend, „kannst du nicht mal fünf Minuten an was anderes denken? Nur so... zur Abwechslung? Sieh mal, ich weiß ja selber, dass es im Moment ’n bisschen kacke läuft, aber... ich hab so lange auf dich gewartet und... jetzt sind wir doch verliebt und da sollte es doch schön sein, wenn wir zusammen sind“, sagt er leise.

„Ich kann eben nicht besonders gut verdrängen, dass dein Vater...“

„Halt die Klappe, Gabriel, ich meine es ernst. Wenn unsere Beziehung dermaßen unangenehm für dich ist, warum machst du dann nicht einfach wieder Schluss mh?“

Fuck! „Na, weil...“, ich ziehe ihn in meine Arme, „ich meine Schmusekatze bei mir haben will.“

Maxi ist sofort beruhigt und kuschelt heftig. Das ist grad noch mal gut gegangen. Noch ein Streit wär mir echt zu anstrengend geworden. Meine Gedanken kann ich logischerweise dennoch nicht abstellen.

Maxi

Die Situation zu Hause ist ganz schön uncool. Dabei hab ich geredet, erklärt und weiß der Fuchs was... alles zwecklos. Robert ist in die Vorstellung verschossen, dass Gabriel mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Eigentlich ist mein Vater ziemlich gescheit, momentan jedoch hat er den Schwachsinn mit Löffeln gefressen. Okay, damit könnte ich noch irgendwie umgehen, aber dieses ständige Überwachen... das nervt wirklich. Komisch, dass man in dieser Familie erst schwul werden und mit ’nem dreiunddreißigjährigen Kerl ins Bett steigen muss, um wieder mal ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Allerdings will ich diese Aufmerksamkeit gar nicht. Ich will, dass Robert endlich aufhört, mich wie ein dummes Gör zu behandeln. Logisch, war es ein Schock für ihn, mich mit Gabriel zu erwischen. Logisch, hat er im ersten Moment Gottweißwas gedacht. Verstehe ich. Verstehe ich alles. Mir ist nur nicht ganz klar, warum ICH für alle Verständnis haben soll, wenn sich keiner der Beteiligten dafür interessiert, was ich verdammt noch mal zu sagen habe. Ernsthaft, ich halte mich längst nicht für mit allen Wassern gewaschen, aber vernünftiger als die angeblich Erwachsenen bin ich allemal. Christine ist zwar nicht so völlig durchgedreht wie Robert, hat aber auch reichlich sonderbare Vorstellungen. Da kam sie in mein Zimmer gestiefelt für ein ernstes Gespräch von Mutter zu Sohn. Erstmal ging’s natürlich um mein dreitägiges Verschwinden. Sie hätte sich Sorgen gemacht und so... dafür entschuldigte ich mich ausgiebig. Dann ging’s weiter.

„Es war schon ein Schock für uns“, erklärte sie, „nicht nur wegen Gabriel, sondern überhaupt. Wir hatten doch gar keine Ahnung, dass du... schwul bist. Warum hast du nicht mit uns darüber geredet? Du hattest doch wohl keine Bedenken, oder?“

„Ich fand’s einfach nicht wichtig, euch wissen zu lassen, worauf ich stehe“, sagte ich sehr freundlich.

„Aber, Maxi, das ist wichtig. So was muss man doch besprechen.“

„Wozu? Mit wem ich Sex haben will geht bloß mich was an. Du erzählst mir auch nicht, wann du mit Ro... Paps ein Schäferstündchen geplant hast.“

Christine blickte mich erschrocken an. Mit diesem Mein-kleines-Baby-wird-viel-zu-schnell-erwachsen-Blick, der mir sofort die Laune verdarb.

„Weißt du, es spielt keine Rolle für mich, ob du schwul bist oder nicht, und dass du dich ausgerechnet in Gabriel verliebt hast, auch wenn ich nicht erfreut darüber bin, denn er ist nunmal wesentlich älter... Ich...“, sie schüttelte den Kopf, „ich mag mir einfach nicht vorstellen...“

„Dass dein kleines Baby Sex hat. Mom, ich bin siebzehn, was glaubst du denn?“

„Du... schläfst also mit Gabriel?“

Ich konnte förmlich die Bilder in ihrem Kopf sehen... Gabriel, der mich in allen möglichen und unmöglichen Stellungen knallhart durchfickt.

„Ich liebe Gabriel.“

„Die Frage ist, ob er dich auch liebt.“

„Hör auf damit, Mom, okay?! Du sagst, es spielt keine Rolle, dass ich schwul bin... tut es aber doch. Wir würden dieses Gespräch niemals führen, wenn ich mit einer Frau zusammen wäre.“

„Ich möchte einfach nicht, dass mein Sohn erwachsen wird und Sex hat. Das will keine Mutter.“

„Irrtum. Du möchtest nicht, dass ich mit einem Typen Sex habe. Das ist ein Unterschied.“

„Du willst mir doch wohl nicht unterstellen, schwulenfeindlich zu sein“, regte sie sich auf.

„Nein. Aber irgendwie hast du anscheinend noch nicht begriffen, dass Schwule durchaus ganz normale Beziehungen haben können, in denen es nicht nur darum geht, sich gegenseitig den Verstand rauszuficken... entschuldige den Ausdruck.“ Christine kann es nicht leiden, wenn ich schmutzige Wörter benutze.

Sie schwieg eine Weile. Dann stand sie auf und ging zur Tür. „Vielleicht hast du Recht. Vielleicht bin ich längst nicht so tolerant wie ich dachte... wenn es um meinen Sohn geht. Ich weiß nicht. Aber ich liebe dich, Maxi. Ganz egal, was passiert. Und ich weiß, dass Gabriel dich niemals zu irgendwas zwingen könnte. Das weiß selbst dein Vater. Du musst uns einfach ein bisschen Zeit geben, das alles zu verdauen.“

Wieso brauchen Eltern immer Zeit, um irgendwas zu verdauen? Sollten sich Robert und Christine nicht freuen, dass ich jemanden habe, der mich glücklich macht? Schließlich bin ich doch auch froh, dass die sich nach den ganzen Jahren noch lieben.

Leider ist es mit Gabriel nicht viel entspannter. Ich sag’s nicht gern, aber mein Freund ist ein erbärmlicher Jammerlappen. Ein sehr süßer, keine Frage. Trotzdem geht mir seine Angst vor Robert, den Bullen, Anwälten und Richtern auf den Sack. Was glaubt er denn? Dass er in den Knast muss, weil er mich ein paar Mal gefickt hat, was ich ausdrücklich wollte?! Das ist eh so eine Sache. Ich weiß, dass er mich will und trotzdem muss ich immer irgendwie den Anfang machen, weil sonst überhaupt nichts laufen würde. Wenn wir kuschelig rumliegen, scheint er regelrecht darauf zu lauern. Glücklicherweise kann ich aus irgendwelchen Gründen in Gabriel lesen wie in einem offenen Buch, also kann ich mir auch ungefähr ausmalen, warum er sich so verhält. Gottseidank. Wenn ich da jetzt noch im Dunkeln tappen müsste... Mann, wir haben doch genug Probleme. Trotzdem werde ich mit ihm darüber reden müssen. Wir sind zwar zusammen, aber ich glaube nicht, dass Gabriel mich als gleichwertigen Partner betrachtet. Weder im Bett noch sonst wie. Das ist echt beschissen, das geht gar nicht! Wenn er ein bisschen weniger kompliziert wäre, würde uns das schon sehr helfen. Der macht sich immer Gedanken, die völlig unnötig sind. Und Anne macht Stress, weil ich angeblich nie mehr Zeit für sie habe, weil ich ja andauernd bei Gabriel bin. Deshalb haben wir uns verabredet. Bei Christo. Alles klar, aber ich verbringe zu viel Zeit mit meinem Freund... tz!

Jedenfalls ist heute wenig los. Die Leute scheinen alle versorgt zu sein. Grad mal zwei Mädchen sitzen auf der abgeschmackten Matratze, kichern und tuscheln miteinander. Die sind bestimmt zum ersten Mal hier und kommen sich ganz cool vor. Na ja, geht mich nichts an. Die Tatsache, dass Anne mich unbedingt treffen wollte, allerdings Blicke durch den Raum schmeißt, die signalisieren „Haut ab, ich will mit Christo poppen“, nervt mich gewaltig. Wir wollten das eigentlich nie... dass sich Beziehungen mit wem auch immer negativ auf unsere Freundschaft auswirken. Man kennt das ja, kaum hat einer einen Freund oder eine Freundin, ist für andere Sachen kein Platz mehr. Scheint so, als wäre es bei uns erheblich aus dem Ruder gelaufen.

„Willst du auch?“, fragt Christo und deutet auf seine Wasserpfeife.

Ich kann mich einfach nicht überwinden, das Ding „Blubber“ zu nennen, wie er es tut. Zu peinlich. Das ist wie... wenn Leute zu Heroin immer noch „Äitsch“ sagen. Hier kommt manchmal so’n komischer Typ hin, der jedes Mal danach fragt, obwohl Christo bekanntlich bloß harmloses Zeug verkauft. Jedenfalls möchte ich vor Peinlichkeit im Boden versinken, wenn Eddie mit seinen Christiane-F-Begriffen hantiert. Der muss diese Sachen wie Vokabeln gelernt haben. Und wieso um alles in der Welt bietet Christo mir Drogen an?! Ich brauche ihm gar nicht mehr antworten, weil er bereits vergessen hat, dass er eine Frage gestellt... dass er überhaupt gesprochen hat. Noch ein, zwei Züge, dann hat er vermutlich auch seinen Schwanz vergessen und demonstriert seiner sexuell gefrusteten Freundin die typische Kiffermentalität: machen wir später... erstmal einen rauchen!

„Ich lass mir den Scheiß nicht länger gefallen“, zischelt Anne.

„Hä?“

„Die Kifferei. Und die zwei Schicksen da, die sollen abhauen. Die hängen echt schon den ganzen Abend hier rum. Haben die keine Eltern, oder was? Müssen die nicht schon längst im Bett sein?“

„Bitte deinen Freund doch, sie rauszuschmeißen“, lache ich mich kaputt.

„Phhh...“, schnauft sie, „das kann ich auch alleine. Ey, ihr beiden“, ruft sie, „könnt ihr euch verpissen? Habt lange genug mit euren verdammten Ärschen auf meinem Bett gesessen.“

„Wasn los?“, murmelt Christo beduselt, während die Mädchen erschrocken ihre Jacken anziehen.

Anne ist cool. Die hat eine große Klappe, so was hab ich noch nicht erlebt. Sie könnte mit ihrem Talent echt Anführerin einer schlimmen Mädchengang werden. Das Verprügeln übernehmen dann die anderen, weil Anne beim Faustkampf haushoch verlieren würde, was aber niemand weiß, da sie ja hervorragend schreien, fluchen und pöbeln kann.

Die Schicksen sind weg, ich finde, ich sollte ebenfalls gehen.

„Warte, ich komme mit“, grummelt Anne.

„He... Süße... wir wollten doch...“ Christo greift unmotiviert nach ihrer Hand. Ein schwerer Fehler, weil sie eh schon total in Fahrt ist.

„Fick dich, Christo. Glaubst du, ich hab Lust, mich von einer bekifften Arschgeige durchrammeln zu lassen?“

„Verpiss dich doch, du blöde Fotze“, entgegnet Christo genervt.

„Weißt du was? Rauch noch einen und lach dich über die weiße Farbe an deinen Wänden tot. Hirnloses Stück Mist.“

Wow, das geht ja hier zu wie in einem Ghetto-Film.

„Maxi, komm endlich“, drängelt sie.

Als wir draußen sind atmet Anne ein paar Mal tief durch.

„Ist dir klar, dass du grad das Wort durchrammeln gebraucht hast?“, grinse ich.

„Das ist alles seine Schuld. Oh Gott, hab ich das wirklich gesagt?“ Sie reibt sich peinlich berührt durchs Gesicht. „Der macht mich aber auch wütend, der Idiot.“

Der Streit hat sie natürlich nicht kalt gelassen. Verständlich, weil sie Christo eben doch irgendwie gern hat. Auch verständlich, denn Christo kann unglaublich süß und nett sein... wenn er will.

„Pennst du bei mir?“

„Nee, ich werd mal zu Gabriel.“

„Logisch“, seufzt sie. „Pass auf... lass uns nächstes Wochenende was machen, ja? Freitag oder Samstag, nur wir zwei.“

„Okay“, nicke ich, bringe sie nach Hause, wie sich das gehört, wenn man spät abends noch unterwegs ist, und mache mich auf den Weg zu Gabriel.

Er ist überrascht, ob angenehm oder nicht... keinen Schimmer. Zu freuen scheint er sich jedenfalls nicht. Wenn man sich freut, umarmt und küsst man sich. Gabriel ist eher brummelig.

„Es ist halb zwei nachts, verdammt. Wieso musst du immer so spät noch draußen rumlaufen?“

Ui, er macht sich Sorgen... süß!

„Ich hab Anne nach Hause gebracht.“

„Ja und?“

„Hast du Angst, dass mich jemand verschleppt und ermordert?“

„Laufen ja wohl genug Irre herum“, entgegnet er.

„Krieg ich trotzdem einen Kuss?“

„Meinetwegen“, murmelt er und zieht mich an sich.

„Weißt du...“, ich schlinge meine Arme um ihn, „ich bin echt froh, dass ich dich hab.“

„Aha?“

„Anne und Christo haben sich vorhin gestritten, total ätzend, und da hab ich gedacht... na ja, dass ich trotz der ganzen Schwierigkeiten, die wir haben, glücklich bin.“

Jetzt wäre eigentlich der Moment gekommen, wo er mir sagen müsste, dass er ebenfalls glücklich ist. Tut er natürlich nicht. Vielleicht möchte er es gerne, aber er ist wohl noch nicht so weit.


Freitagabend...Anne-und-Maxi-Abend! Nachdem wir selbst gemachte Pizza gegessen und ein bisschen über unsere Beziehungen gequatscht hatten, fanden wir, wir bräuchten unbedingt etwas Ablenkung und entschieden uns für laute Musik und tanzen. Letzteres tut Anne grad... ich stehe nicht auf Electro, weshalb ich bloß zuschaue. Während mein Blick also durch den Club streift, bleibt er plötzlich am Eingang hängen. Claude, in Begleitung. Ich kann mich täuschen, schließlich ist es düster und voll mit künstlichem Nebel, aber der Junge sieht nicht sonderlich erwachsen aus. Ganz im Gegenteil. Er flüstert Claude etwas ins Ohr und schlendert auf die Tanzfläche. Claude schlendert an die Bar, wo ich mit meiner Cola rumhänge. Allerdings scheint er mich nicht zu bemerken, obwohl ich praktisch neben ihm stehe.

„Hey“, sage ich und stupse ihn an.

„Maxi“, lächelt er überrascht.

Der sieht schon wieder gut aus, meine Güte! Lackhose und so’n enges Oberteil, dazu der lange schwarze Mantel und sein nachlässiger Zopf, aus dem sich einige Haarsträhnen gelöst haben.

„Und… geht’s dir heute besser?“, fragt er, ohne mich anzuschauen, weil sein Blick auf die Tanzfläche gerichtet ist.

„Na ja...“, antworte ich. „Dein neuer Freund?“

„Luca? Schön wär’s“, seufzt er.

Als das Lied zu Ende ist, gesellt sich der Junge, Luca, zu uns. Ich bin wirklich schlecht im Schätzen, aber wenn der älter ist als vierzehn fresse ich einen Besen! Hübsch ist er, ich möchte fast sagen: schön. Große Augen und Schmollmund, blonde Strubbelhaare... in den könnte ich mich glatt verlieben, wenn er drei Jahre älter wäre.

„Darf ich ’ne Cola haben?“, fragt er schüchtern.

Claude nickt lächelnd und streicht ihm sanft eine Ponysträhne aus dem Gesicht.

Ich bin angeekelt und fasziniert zugleich. Erstens weil Claude sich traut, mit diesem Kind hier aufzutauchen und zweitens weil ich so eine zärtliche Geste von ihm nicht erwartet hätte.

„Hübscher Junge“, sage ich, als Luca auf die Tanzfläche zurückgeht.

„Allerdings.“

Ich muss das jetzt wissen. „Hast du was mit ihm?“

„Wow... du hältst mich für total verkommen, was?“

„Du hast selber gesagt, dass du verkommen bist“, bemerke ich.

„Aber doch nicht so. Er ist vierzehn, da lasse selbst ich die Finger von... jedenfalls die nächsten zwei Jahre“, grinst er. „Ich darf ihn leider bloß anschauen. Dabei bin ich wahnsinnig in Luchino verschossen.“

„Lu... was?“

„Das ist sein richtiger Name. Klingt das nicht wunderschön?“, schwärmt er. „Seine Mama steht auf Romy Schneider, hat er erzählt, deswegen heißen seine beiden Geschwister Romy und Alain. Ihn hat sie nach Romys Lieblingsregisseur Luchino Visconti benannt. Süß, oder?“

Ich verstehe zwar nur Bahnhof, aber was soll’s?! Dann kommt auch schon Anne und zieht mich ein bisschen von Claude weg.

„Der Typ ist und bleibt ekelhaft. Gib dich nicht mit dem ab“, zischt sie.

„Hör schon auf. Du kennst ihn doch überhaupt nicht.“

„Ich muss auch keine Serienkiller kennen, um zu wissen, dass ich mit denen nix zu tun haben will.“

„Super Vergleich“, schnaufe ich.

Zum Glück wird die nächste halbe Stunde Deathrock gespielt, ich kann endlich tanzen und brauche mich nicht weiter mit Anne zu befassen.

Im Laufe des Abends stolpere ich erneut über Claude. Das heißt, eigentlich sitzt er gegenüber der Bar. Ich schiebe einen freien Stuhl neben ihn und setze mich.

„Und?“

„Was und?“, frage ich.

„Keine Ahnung“, zuckt er die Schultern.

„Ich hab einen Freund“, beginne ich und beuge mich ein wenig zu ihm rüber. Eigentlich geht es ihn überhaupt nichts an, aber... vielleicht ist er der Einzige, mit dem man vernünftig darüber reden kann. „Der ist dreiunddreißig.“

Claude zieht filmreif seine Braue hoch.

„Gabriel... ich hab ihn schonmal erwähnt.“

„Kann sein.“

„Jedenfalls laufen meine Eltern Amok, seit wir zusammen sind und...“

„Wo ist er denn heute?“, unterbricht er mich.

„Bei irgendeinem Trompeter.“

„Wie bitte?“

„Er schreibt Artikel für eine Zeitung und muss sich ständig so’n komisches Zeug ankucken.“

„Verstehe. So ein verdammter kleiner Schleicher.“

„Hä?“

„Gabriel. Kein Wunder, dass er beim letzten Mal so fertig war. Ich hab ihn noch gefragt, ob ein Kerl dahintersteckt. Konnte ja nicht wissen, dass...“, er mustert mich, „na ja, dass er die Altersklasse gewechselt hat.“

Jetzt kippe ich aber gleich vom Stuhl. „Du... kennst... Gabriel? Meinen Gabriel? Wieso? Woher?“

Sein anzügliches Grinsen sagt alles. Ich glaub’s nicht. Gabriel ist doch viel zu alt für Claude!

„Ich kenne die halbe Stadt. Kein Grund, gleich vom Stuhl zu kippen“, lacht er. „Gabriel ist mir irgendwann mal über den Weg gelaufen. Naja, eher getorkelt. Also, eigentlich war er so voll, dass er kaum noch stehen konnte. Da musste ich mich doch um ihn kümmern.“

„Und wie sehr hast du dich um ihn gekümmert?“, frage ich schärfer als geplant. Shit, ich bin ein eifersüchtiger, kleiner Giftzwerg!

„An dem Abend ist nichts gelaufen, dazu war er gar nicht mehr in der Lage.“

Ich atme etwas erleichtert aus.

„Das mit dem Sex kam erst später.“

Danke, so genau will ich’s lieber doch nicht wissen.

„In der Hauptsache verkehren wir allerdings geschäftlich miteinander.“

„Was’n für Geschäfte?“

„Nichts worüber du dir Gedanken machen solltest.“

Also irgendwas Unseriöses. Alles andere hätte mich bei Claude auch gewundert. Aber Gabriel... das ist echt heftig. Ich dachte, ich kenne ihn.

„Maxi, lass uns verschwinden. Die Musik ist zum Kotzen“, brüllt Anne mir ins Ohr.

Bevor ich gehe, hält Claude mich fest.

„Ich gebe nächstes Wochenende eine Party. Vielleicht hast du Lust, mal vorbeizuschauen“, erklärt er und reicht mir eine Karte mit seiner Adresse.


Ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Spreche ich Gabriel auf seinen Kumpan an? Frage ich ihn ganz direkt, was genau er mit Claude zu tun hat? Shit, wenn Gabriel was Illegales macht... Claude hat jedenfalls so eine Art an sich, dass man ihm sofort jede Schändlichkeit zutraut. Logischerweise gefällt ihm das und er spielt seine Rolle auch ziemlich gut. Und Gabriel hat immer Geld, obwohl er eigentlich nicht arbeitet. Wahnsinnig viel wird er für seine Artikel nicht bekommen. Ich hab mir da nie Gedanken drüber gemacht. Komisch, oder?! Au weia... vielleicht führt mein Freund schon ein jahrelanges Doppelleben und ist heimlich eine Unterweltgröße?! Ich glaube, ich sag erstmal nix. Möglicherweise krieg ich auf Claudes Party etwas raus. Möglicherweise hab ich aber auch bloß zu viele Krimis gelesen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gabriel etwas tut, das ihm Ärger mit der Polizei bringen könnte... so wie der sich beinahe wegen Roberts Drohungen die Buxe vollstrullt. Außerdem hat der für so was gar nicht die Nerven. Der traut sich noch nicht einmal ohne Fahrschein mit dem Zug zu fahren. Aber wenn er ein Doppelleben führt, spielt er mir den harmlosen Schnuckel sicher nur vor.

„Ist was?“, reißt mich der Schnuckel aus meinen Gedanken.

„Nee... was’n?“

„Keine Ahnung. Du starrst mich an. Seit ’ner Viertelstunde.“

„Ist mir nicht aufgefallen“, seufze ich. „Lass uns ins Bett gehen, ich bin müde.“

„Was hat dich denn so angestrengt, dass du um halb elf müde bist“, fragt Gabriel scheinheilig.

Klar, der hört das Wort Bett und kriegt gleich ’ne Latte vor Freude. Ich hab ihn lieb, aber so einfach funktioniert das nicht mehr.

„Du.“

„Hm?“

„Dein schlechtes Gewissen kotzt mich an.“

„Hast du bei Christo zu viele schädliche Dämpfe eingeatmet?“

Ich ignoriere seine dämliche Bemerkung. „Bist du scharf auf mich? Vergiss es, ich kenne die Antwort. Warum zum Teufel muss ich immer den Anfang machen?“

„Ich kann dir nicht ganz folgen“, erklärt er irritiert.

„Du kannst mir sehr gut folgen, denn du bist ja wohl nicht bescheuert. Ich hab’s satt, dass du mir nie sagst, was du willst. Dass du nie tust, was du willst. Ständig wartest du darauf, dass ich dich verführe... wie lange soll’n das noch so gehen?“

Fuck, jetzt kuckt er ganz bedröppelt.

„Ich weiß, dass es für dich nicht einfach ist. Aber... verdammt, wie soll ich mich denn fühlen, wenn ich dich jedes Mal fast drängen muss, mit mir zu schlafen, und es dir hinterher leid tut, oder du dir schlecht vorkommst?“

„Ich liebe dich“, wispert er und streichelt mir über die Wange.

„Du liebst mich seit ich sechs Jahre alt bin“, lächele ich gequält.

Seine Hand greift in mein Haar und zieht meinen Kopf nach hinten.

„Ich bin wahnsinnig... wahnsinnig wahnsinnig verknallt in dich“, flüstert er mir ins Ohr. „Du machst mich verrückt und... ich will dich vögeln. Jetzt!“

Er schubst mich ins Schlafzimmer, aufs Bett, knutscht mich bis ich fast bewusstlos werde und reißt mir die Klamotten runter.

Oh... wow!

OH... WOW!!

Gabriel ist echt hemmungslos, was wahrscheinlich logisch ist, wenn man bedenkt, wie lange er sich zurückgehalten hat. Ich meine, wir haben miteinander geschlafen und es war total schön, aber das hier... das ist vollkommen anders.

„Mann, ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht“, japse ich.

„Tut mir Leid“, murmelt er, „ich hab versucht...“

„Ach, das meine ich nicht“, giggel ich und drehe mich zu ihm um. „Ich hab gedacht, dass du wieder sauer wirst und mich nach Hause schickst.“

„Ja, klingt ganz nach mir, oder?“, grinst er. „Aber du hattest leider recht. Warum kennst du mich eigentlich so gut?“

„Hab dich jahrelang studiert.“ Und trotzdem hat er einige Geheimnisse, hinter die ich hoffentlich noch kommen werde! Aber damit will ich mich im Moment nicht befassen. Ich will viel lieber mit ihm kuscheln. Das geht sehr gut, wenn ich halb auf ihm liege und er mich mit seinen Armen umschlingt. „Außerdem war es ja nun nicht gerade schwierig rauszufinden, warum du so ein Problem mit dem Sex hattest. Deshalb hab ich das mit dem ersten Mal auch schon vorher mit ’nem anderen Typen erledigt.“

„Was?“, fragt er entsetzt.

Oh, ich liebe es, ihn zu schocken.

„Na ja, ich wollte es schon ganz gerne mit dir haben, aber mir war klar, dass du da nicht mitgemacht hättest. Natürlich hätte ich dich einfach anlügen können... das wäre aber erstens scheiße gewesen und zweitens musste ich doch schließlich wissen, was auf mich zukommt.“

„Du hast... meinetwegen... mit irgendeinem Kerl... mal eben so?“

„Flo war nicht irgendein Kerl, sondern ein Junge vom Gitarrenunterricht. Wir fanden uns gegenseitig ganz okay, haben hin und wieder ein bisschen rumgemacht und... dann ist es eines Abends halt weitergegangen.“

„Wann war denn das?“

„Vor zwei Jahren.“

Au weia... er ist schon wieder geschockt. Ich kann nicht anders, es ist zu leicht.

„Also ungefähr zu dem Zeitpunkt als du angefangen hast, dich sexuell für mich zu interessieren.“

„Vielen Dank, jetzt fühle ich mich wieder schmierig“, grummelt er.

„Blödsinn“, murmle ich und küsse seinen Hals. „Du hast doch keine Annäherungsversuche gestartet und meine hast du immer schön abgewehrt. Du warst total vernünftig und ich war total gefrustet. Mit dir darüber reden ging auch nicht, weil du wahrscheinlich sofort den Kontakt abgebrochen hättest. Und ich wollte doch in deiner Nähe sein. Wenigstens das. Du weißt überhaupt nicht, wie schlimm die letzten Jahre für mich gewesen sind. Ich war praktisch ein Wrack, Gabriella.“

„Glaubst du vielleicht, ich hätte mich über mein Interesse an einem Fünfzehnjährigen gefreut? Ich war praktisch völlig im Arsch, Schmusekatze.“

Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn an. „Und jetzt?“

„Jetzt begreife ich so langsam, dass es okay ist, in dich verliebt zu sein, auch wenn anscheinend die ganze Welt anderer Meinung ist.“

„Die Welt wird sich irgendwann dran gewöhnt haben.“

„Die Welt vielleicht, dein Vater nicht.“

Na toll, jetzt hab ich ein schlechtes Gewissen, weil ich eine Freundschaft zerstört habe.

„Meine Eltern haben nicht in erster Linie ein Problem mit dir, sondern mit meiner Homosexualität, was sie natürlich nicht zugeben wollen, weil sie ja eigentlich so wahnsinnig tolerant sind. Man hat zwar nichts gegen Schwule im Bekanntenkreis, aber einen schwulen Sohn will man deshalb noch lange nicht. Ekelhaft, oder?“

„Du musst das nicht sagen, damit ich mich besser fühle“, entgegnet er lächelnd. „Deine Eltern werden die Tatsache, dass du schwul bist eher akzeptieren, als die, mit mir zusammen zu sein.“

„Es stimmt aber. Und Christine stellt sich vor, dass wir pausenlos Sex haben.“

„Na ja... hat sie nicht ein bisschen recht damit?“

„Ich hab vier Jahre darauf gewartet, da darf es wohl jetzt ein wenig mit mir durchgehen.“

Seine Hand wuselt durch meine Haare. „Finde ich auch“, wispert er und küsst mich.

„Ich find’s toll, wenn du kein schlechtes Gewissen mehr hast“, grinse ich.

„Ja?“

„Ja. Du warst immer so... kontrolliert. Hast wahrscheinlich gedacht, du müsstest besonders vorsichtig sein. Ich will aber gar nicht, dass du dich zurückhältst, Gabriel“, flüstere ich und knabbere an seinem Ohrläppchen. „Ich will dich wild und geil und gierig.“

„Maxi“, beginnt er hilflos.

„Ich will mein Raubtier!“

„Später.“

Äh... wie bitte? „Wie bitte?“

Gabriel zieht mich in seine Arme. „Ich mag jetzt kein Raubtier sein. Ich mag dich festhalten und ganz nah bei mir spüren“, säuselt er. „Ich mag deinen Hals küssen, deinen Nacken streicheln, dir ungefähr tausendmal sagen, wie verliebt ich in dich bin und... dich nie nie wieder loslassen.“

Oha, mir wird ganz schwumselig. „Würdest du bitte aufhören, solche Sachen zu sagen?!“

„Warum?“

„Weil ich dich dann noch mehr liebe und ich weiß nicht, ob ich das aushalten kann.“

„Ahhh... Schmusekatze, du bist so süß“, lächelt er und stupst meine Nase.


Also man muss schon völlig verblödet sein, um nicht zu merken, was hier abgeht. Geschockt bin ich natürlich trotzdem. Normalerweise sieht man ja so was bloß im Fernsehen. Ich hoffe nur, Claude denkt nicht, dass er mich für diesen Kack begeistern kann. Schick lebt er. In so ’nem Haus, wo man unten in den Fahrstuhl steigt und sofort in der Wohnung steht, wenn die Tür aufgeht. Find ich cool, hätte aber wohl ständig Angst, dass irgendeine unerwünschte Arschgeige den Code herausbekommt und plötzlich bei mir vorm Bett steht... oder die Bude ausräumt, wenn ich nicht da bin. Bei ihm gibt’s allerdings schon mal keinen überflüssigen Schnickschnack. Die Einrichtung wirkt so, als hätte sie ein hipper Designer aus New York erfunden: sauteuer und ungemütlich! Die schwarze Ledercouch sieht zwar geil aus, aber warme, weiche Behaglichkeit verströmt sie nicht gerade. Mir kommt plötzlich der schreckliche Verdacht, dass das hier eine Nummer zu groß für mich ist. Das weiße Pulver auf dem Glastisch ist sicher kein Puderzucker. Und die Kerle, die sich mit den halbnackten Jungs beschäftigen... du meine Güte!!

„Maxi“, begrüßt mich der Gastgeber, „schön, dass du da bist.“

„Mal sehen“, weiche ich vorsichtig aus.

„Was zu trinken?“ Er deutet auf die reichlich gefüllte Bar.

„Nein, danke.“

„Vielleicht später“, zuckt er die Schultern.

„Ich... ähem... ich kann eh nicht lange bleiben“, stottere ich mir einen dranlang, während mein Blick auf einen Anzugtypen fällt, der Hand in Hand mit einem Jungen in ein anderes Zimmer verschwindet.

„Bist wohl noch mit Gabriel verabredet, was? Hättest ihn ruhig mitbringen können.“

„Gabriel mag keine Parties.“

„Stimmt“, nickt er.

Ich könnte kotzen, wenn Claude mir so ekelhaft beiläufig zu verstehen gibt, dass er meinen Freund anscheinend ziemlich gut kennt.

„Und... hast du vor, mich heute auch noch an einen der Herren zu verscherbeln?“, frage ich angepisst.

„Wovon redest du überhaupt?“, seufzt er kopfschüttelnd.

Will der mich verarschen? „Halbnackte Jungs lassen sich von reichen, alten Säcken begrabbeln... in deiner Wohnung“, helfe ich ihm auf die Sprünge. „Was kostet denn zum Beispiel der da?“ Ich zeige ihm einen Blondschopf, der obenrum nichts mehr anhat.

„Das weiß ich doch nicht. Und ich hab verdammt noch mal keine Ahnung, ob du zu viele Rotlicht-Filme gesehen hast. Alles, was ich sehe, ist eine Party, auf der sich ein paar Leute amüsieren.“

Jetzt werde ich aber langsam sauer. Immerhin hat er mich hierher eingeladen und was abgeht ist offensichtlich... was soll dieses Versteckspiel?

„In Rotlicht-Filmen wärst du der Zuhälter.“

Claude nippt lässig an seinem Drink. „Zum Glück ist das hier kein Film. Sieh mal, hier weiß jeder, worauf er sich einlässt, wenn er herkommt. Und jeder weiß, dass es eben nichts umsonst gibt. Allerdings geschieht alles freiwillig. Wenn Blondie da vorne also keinen Bock hat, dem Typen, der ihn angräbt, sexuell gefällig zu sein, ist das okay. Oder denkst du, ich hetzte ihm später meinen Schlägertrupp auf den Hals?“

„Aber was springt dann für dich dabei raus?“

„Die alten Säcke bezahlen schon ganz gut dafür, dass sie überhaupt hier sein dürfen“, zwinkert er.

„Ich finde das irgendwie ekelhaft.“

Claude zuckt die Schultern. „Hab ich kein Problem mit.“

Puff, Peep-Show, Zuhälterei... seine Parties scheinen eine Mischung aus allem zu sein. Ich hab keine Ahnung, was ich davon halten soll. Die Jungs sehen zwar nicht unbedingt wie arme, gezwungene Stricher aus, aber sicher ist Claude nicht so nett und freundlich, wie er tut. Eines weiß ich allerdings ganz genau: ich gehöre nicht hierher!

„Also hast du dir gedacht... lade ich Maxi einfach mal ein, vielleicht möchte er sich ja sein Taschengeld aufbessern?“

„Nee“, grinst er, „ich will dich immer noch abschleppen. So wie ungefähr jeder hier.“

„Ach du Scheiße“, stöhne ich genervt.

„Ernsthaft, ich kann dich irgendwie gut leiden und wollte dich wiedersehen. Du bist süß, ich hab dich gern in meiner Nähe.“

„Wieso hast du dich nicht in einem Café mit mir verabredet, in einem Club, einer Kneipe oder vorm Kino... so wie jeder normale Mensch?“

Er scheint zu überlegen. „Das hättest du bestimmt für ein Date gehalten und abgelehnt, weil du doch einen Freund hast. Da schien mir diese Party... mh... unverbindlicher. Also warum nimmst du dir nicht was zu trinken und wir unterhalten uns noch ein bisschen?“

Ja, warum eigentlich nicht?!

Gabriel

„KAAAAAAAA...linka...kalinka...“, stimmt der Bärtige an und die überfüllte Kirche verwandelt sich schlagartig in einen brodelnden Hexenkessel. Die Ommas und Oppas klatschen begeistert im Takt.

Fabienne hält sich entsetzt die Hand vor den Mund und duckt sich reflexartig.

„Ilja Richter, Gunther Emmerlich und jetzt Ivan Rebroff?! Verdammte Scheiße, Gabriel, was willst du mir noch alles antun?“, zischelt sie.

Ich finde, sie hat überhaupt keinen Grund, sauer zu sein, sondern nach unserem letzten Treffen einiges wieder gut zu machen. Außerdem war der Abend gar nicht mal so schlimm.

Ehrlich gesagt, war ich ziemlich gespannt, denn ich kenne Ivan Rebroff seit meiner frühesten Kindheit aus’m Fernsehen. Aus den großen Samstagabend-Shows, die ich mit meinen Eltern ansehen durfte. Und zu Weihnachten ist der auch aufgetreten. Und... der hat sich kein bisschen verändert, es ist unglaublich. Er trägt noch immer Bart, Russenmütze (eine sehr gigantische), bunte Ringe an den Fingern und eine Stimme hat der, mein lieber Schwan! Darüber hinaus zog er sich in der Halbzeit des Konzerts um (er tauschte sein schwarzes Oberteil mit goldenen Stickereien gegen ein rotes Oberteil mit goldenen Stickereien), brachte seinen eigenen Stuhl mit, der aussieht wie ein russischer Thron... der Mann ist eine verdammte alte Diva!

Nachdem das letzte Kalinka geschmettert ist, zieht sich Herr Rebroff in die Sakristei zurück, um, wie er selber gerade erzählte, ein Schlückchen des fabelhaften Weins zu genießen, den man für ihn bereitgestellt hat. Danach will er Autogramme geben. Ich denke nicht, dass Fabi eins haben möchte, denn sie drängelt bereits zum Ausgang.

„Logisch, dass du den toll findest“, schnauft sie, „mein Vater sagt, Ivan Rebroff ist schwul... aber ultra-schwul.“

„Na und? Soll ich ihn jetzt heiraten, oder was?“

„Ich brauche Alkohol.“

„Okay, aber nur, wenn du nicht wieder ausfallend wirst.“

„Wenn dir meine Meinung nicht in den Kram passt“, beginnt sie schrill, „ist das dein Problem. Mich einfach da blöde hocken zu lassen... wie unhöflich. Stimmt es eigentlich, dass der Rebroff ein Schloss besitzt?“

„Nee, eine griechische Insel.“

„Mein Vater sagt, der hätte ein Schloss“, schüttelt sie den Kopf.

„Dein Vater ist irre, vergiss das nicht.“

„Da hält der sich bestimmt kleine, russische Jungs als Lustknaben“, überlegt sie vor sich hin, „noch ein Grund, weshalb du Sympathien für den hegst, was?“

Mir geht echt der Hutnagel hoch. Das ist eine Redewendung, die eine ehemalige Klassenkameradin gerne benutzte. Wir sind niemals so gänzlich dahintergestiegen, was genau sie damit meinte, allerdings sagte sie das meist, wenn sie sehr genervt war. Also... bei dem Scheiß, den Fabi von sich gibt, geht mir der Hutnagel hoch... aber ultra-hoch!

Inzwischen sind wir in der Bar mit den Fake-Palmen angekommen und trinken ein Gesöff, dessen Name so exotisch ist, dass ich den nicht einmal aussprechen kann, ohne mir mehrfach die Zunge zu brechen. Fabi zieht das bunte Zeugs durch den Strohhalm und lehnt sich anschließend seufzend zurück.

„So, wollen wir dann endlich über Maximilian sprechen?“

„Nein“, antworte ich und beiße in den Fruchtstern, der am Glas herumhing.

„Wie... nein?“, fragt sie entgeistert.

„Ich spreche mit dir nicht mehr über meine Liebe zu Maxi.“

„Blödsinn.“

„Du hältst mich doch eh für abartig.“

Fabi grinst dämlich. „Ich halte dich für abartig, seit wir uns kennen, das hat nichts mit Maxi zu tun. Nehmen wir übrigens noch einen?“ Sie deutet auf unsere halb ausgetrunkenen Gläser.

„Ja sicher.“

Nach dem zweiten Cocktail kommt noch ein dritter, ein vierter... mir ist schon ziemlich duselig im Kopf.

„Mal ehrlich, Gabirel... briel“, lallt sie, „was ist denn so geil dran, Schwänze zu lutschen? Gott, ich verstehe das einfach nicht. Ich meine, wenn ich einem Kerl einen blase, dann doch nicht weil mich das scharf macht, sondern weil ich ihm einen Gefallen tun will. Aber ihr Schwuppen... euch geht dabei echt einer ab, oder? Und ihr steht drauf, wenn der Kerl euch in den Mund spritzt. So als ob Wichse lecker wie Vanillepudding wär... das ist... ich kapier’s nicht.“

Wenn Fabi betrunken ist, redet die nur noch über Sex. Schlimmer als jeder Stammtischbruder.

„Weißt du, was ich mich schon die ganze Zeit frage? Was ist denn bloß aus den Samstagabend-Shows geworden?“

Ihre Gedankensprünge sind allerdings noch eine Ecke heftiger.

„Total ausgestorben, sag ich dir. Und warum? Weil es keine richtigen Entertainer mehr gibt. Glaubst du vielleicht, dein Ivan Rebroff könnte heutzutage bei ‚Schlag den Raab’ oder so auftreten? Vielleicht als Witzfigur, wenn er Aggro Berlin covert. Stell dir den mal mit Sido-Maske vor“, kichert sie. „Mit Sido-Maske und Russenhut... buahahaha... oder Bushido, der alte Endgegner... ’nimm jetzt Haltung an, kalinkakala’...“

Anscheinend bin ich längst nicht so besoffen wie Fabienne, denn ich verstehe ihren hysterischen Lachkrampf nicht wirklich.

„Okay“, hickst sie, „schluss mit lustig. Ich bin randvoll, rufst du mir ’n Taxi? Und vor allen Dingen rufst du mich morgen an und erzählst mir von deiner Liebe zu Maxi!“

Natürlich bekommt sie ihr Taxi, den Anruf bei ihr kann sie sich getrost abschminken.

Zu Hause wartet jede Menge Arbeit auf mich. Ein zu schreibender Artikel und... Maxi. Letzterem hab ich einen Wohnungsschlüssel gegeben, für alle Fälle. Ich hätte nur nicht gedacht, dass der Fall so schnell eintritt. Wie auch immer. Maxi hockt auf der Couch und schnieft. Scheiße, hat der etwa heimlich Bambi gekuckt? Oder Dumbo oder sonst einen Kack?!

„Ist was passiert?“, frage ich halbherzig und setze mich neben ihn.

„Ich soll Sid abgeben“, heult er.

Die Töle lungert Quietschetierchen-knabbernd auf einer Decke am Boden und glotzt mich dabei böse an. Der Köter denkt doch hoffentlich nicht, dass ich ihm sein vollgesabbertes, abgenagtes Spielzeug wegnehmen will?!

„Hä?“

„Ja, weil ich mich angeblich nicht mehr genügend um ihn kümmern würde“, erklärt Maxi total verzweifelt, „das stimmt überhaupt nicht. Robert will mir einfach nur alles wegnehmen, was ich liebe. Der denkt, wenn er mir erlaubt, meinen Hund zu behalten, höre ich auf, meinen Freund zu treffen.“

Au je, ich hab ungefähr tausend Promille und soll mich jetzt ernsthaft mit dem Köter-Problem befassen?!

„Scheiße“, hickse ich, „Entschuldigung.“

Maxi mustert mich kritisch. „Wieso kommst du so spät?“

„Ich musste mit Fabi Cocktails trinken.“

„Aha. Das waren wohl sehr viele, was? Bist du betrunken?“

„Ein bisschen“, gebe ich zu.

„Na toll, ich hab Stress und du besäufst dich.“

„Das konnte ich doch nicht wissen, Schmusekatze“, säusele ich und rücke ein Stückchen näher.

„Geh weg, du stinkst nach Kneipe!“

Beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust. „Du klingst wie ’ne Ehefrau. Außerdem waren wir in einer schicken Cocktail-Bar.“

„Dann putz dir die Zähne, falls du vorhast, mich zu küssen.“

„Okay“, seufze ich und tue, was er verlangt. Danach schleppe ich mich auf die Couch zurück und hauche ihn zum Beweis meines frischen Atems kräftig an.

„Du bist ekelhaft“, giggelt Maxi,

„Penner.“ Danach zieht er mich in seine Arme.

„Wir überlegen uns morgen was für den Hund, ja?“, murmle ich an seinem Hals, während meine Hände unter sein Shirt wandern.

„Das ist hier keine Einladung zum Sex, Gabriella. Gehörst du etwa auch zu den Typen, die immer geil werden, wenn sie Alkohol getrunken haben?“

„Tut mir Leid“, entschuldige ich mich und öffne den Knopf seiner Hose. Den Reißverschluss schaffe ich nicht mehr. Mich überkommt eine sehr starke, sehr dringende Schläfrigkeit. Mhhhh... und Maxi ist so warm... und kuschelig... und...

Am nächsten Morgen bekomme ich die Quittung für meinen Alkoholkonsum. Ich habe Schädelschmerz vom Feinsten und offensichtlich auf der Couch gepennt. Aber wie süß, Maxi muss mir gestern noch das Nötigste ausgezogen und meine Kuscheldecke über mich gebreitet haben. Geil, und ich hab nichts davon mitbekommen. Sicher waren die Cocktails schlimm vergiftet. Normalerweise knockt es mich nicht so schnell aus. Ich haue mir Paracetamol rein, tapse ins Schlafzimmer und lege mich vorsichtig neben die schlafende Schmusekatze. Wenn doch bloß mein Schädel nicht so bollern würde.

„Bah... du hast immer noch eine Fahne“, grummelt Maxi und dreht sich auf die andere Seite.

Also lutsche ich ein Pfefferminz, in der Hoffnung, dass ich mich dann wenigstens an ihn schmiegen darf. Allerdings kann ich mich aufgrund der Bollerei in meinem Kopf nicht rühren, weswegen ich auf dem Rücken liegen bleibe, in der Hoffnung, dass die Tabletten bald ihre Wirkung entfalten. War da nicht gestern irgendwas mit einem Hund?! Oh Gott, den Artikel muss ich auch noch schreiben.

„Mein Kopf tut so weh“, jammere ich.

„Das kommt vom Saufen.“

Logisch. Ein bisschen einfühlsamer könnte er aber trotzdem sein, finde ich, und versuche es mit einem wehleidig gestöhntem „Auaaaaa...“.

„Meine Güte“, schnauft er, während er aus dem Bett springt und durch die Wohnung stampft. Ein paar Minuten später klatscht er mir einen kalten Waschlappen auf die Stirn und bettet meinen armen Suffkopp mitsamt dem Kissen auf seine Brust.

„Sonst noch was?“, fragt er gereizt, wuschelt allerdings sehr vorsichtig und liebevoll durch meine Haare.

„Ich lieb dich, Schmusekatze.“

„Halt bloß den Rand“, warnt er und streichelt meine Schläfen, bis ich wieder eingeschlummert bin.

Das nächste Aufwachen ist nur bedingt angenehmer. Der Schmerz ist zwar weg... jedoch eine unbändige Gier nach meiner Schmusekatze da. Ich traue mich gar nicht, ihn zu fragen, sondern schwitze angestrengt vor mich hin und bin mir irgendwie selber peinlich. Mein gesamter Körper kribbelt, das Herz rast und mein Schwanz ist so hart... es ist ekelhaft.

„Maxi?!“ Wo ist der denn bloß abgeblieben?

Vollständig angezogen und mit niedlich roten Wangen erscheint er in der Tür und lehnt sich lässig gegen den Türrahmen.

„Geht’s dir besser?“

„Wo bist’n gewesen?“

„Ich war mit Sid draußen“, erklärt er und hopst aufs Bett. „Hab Brötchen mitgebracht.“

Ach ja, das Köter-Problem... muss noch ein Weilchen warten, die Brötchen ebenfalls. Ich schlinge meine Arme um ihn und knutsche wie bekloppt. Seine Hand gleitet zwischen meine Beine.

„Au weia, wie lange hast’n das schon? Tut das nicht weh? Wow, der ist ja echt... hart.“

„Ich will dich ficken“, röchele ich mir einen dranlang.

„Quatsch“, behauptet er, wurschtelt sich unter die Bettdecke und... zwei Minuten später bin ich entspannt wie Hulle.

Maxi wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. „Können wir jetzt endlich frühstücken?“

Das ist die heutige Jugend... romantisch bis zum Gehtnichmehr!

„Können wir dafür im Bett bleiben?“

„Nein. Fauler Sack.“

Okay, ich will ihm diese Ungezogenheiten ausnahmsweise mal durchgehen lassen. Allerdings nur, weil er sich so rührend um mich gekümmert hat. Wir setzen uns also in meine kleine Küche, essen Nutella-Brötchen und trinken Kakao. Hätte zwar lieber einen Kaffee ohne alles gehabt, anstelle dieses Kindergesöffs, aber egal.

„Warum schnuffelt der Hund an meinen Füßen?“, frage ich entsetzt bis angeekelt und schiele beklommen unter den Tisch.

„Vielleicht hat er Hunger“, zuckt Maxi die Schultern. „Ich hab übrigens mit Anne telefoniert... Sid kann erstmal bei ihr wohnen. Das ist zwar total bescheuert, weil ich jetzt immer zur Schule muss, meinen Freund besuchen, meinen Hund besuchen, und wahrscheinlich für mich selber gar keine Zeit mehr haben werde, aber wenigstens ist Roberts kleiner Arschlochplan nicht aufgegangen.“

Du lieber Himmel, Robert muss wirklich verzweifelt sein, wenn er sich solche Sachen ausdenkt. Das bedeutet allerdings, dass ich mir wegen Polizei und gerichtlichen Verfügungen keine Sorgen zu machen brauche, richtig?! Ich meine, wenn er tatsächlich der Meinung wäre, er könnte mich damit von Maxi fernhalten, hätte er sicher irgendwas angeleiert. Das trifft sich gut, denn ich weiß nicht, ob ich es so gerne gehabt hätte, mein gesamtes Leben vor Gericht auszubreiten. Bestimmt hätte dann ein Detektiv der Gegenpartei meine Kontakte zum halbkriminellen, junge-Boys-vernaschenden Claude aufgedeckt. Wegen Claude sollte ich mir eh schleunigst etwas einfallen lassen.


„Und... was hältst du davon?“

Ich fühle mich, als hätte ich Drogen genommen... Drogen, die geschnüffelt werden. Seit geschlagenen zwei Stunden macht meine Schwester Katharina mit mir sämtliche Parfumabteilungen sämtlicher Kaufhäuser unsicher. Weihnachtsshopping, ich könnte kotzen!

Wieso hab ich mich bloß auf den Kack eingelassen? Ich will noch nicht einmal an Weihnachten denken, denn das Fest der Liebe hab ich die letzten Jahre... natürlich immer bei Robert und Christine verbracht. Wird wohl dieses Jahr ausfallen, es sei denn, ein Wunder geschieht. Gehören Weihnachten und Wunder nicht zusammen?! Na ja, bei mir wahrscheinlich eher nicht. Katharina hat mir übrigens soeben einen weiteren Gestank auf die Klamotten gesprüht... sie sucht den passenden Duft für ihren Ehemann. Mir ist nach umfallen.

„Kannst du ihm nicht eine Krawatte kaufen, Manschettenknöpfe mit seinen Initialen...wie jede normale Ehefrau?“

„Sei doch keine Arschgeige“, singt sie fröhlich. „Was biste denn so muffig heute?“

Muffig? Wohl eher puffig, mit den tausend verschiedenen Aftershave-und-Eau-de-schlag- mich-tot-Gerüchen an mir dran.

„Ich glaube, ich nehme doch dieses Lagerfeld-Zeugs, was meinst du?“, überlegt sie und stellt die Tester zurück.

„Eine hervorragende Idee.“

„Oder eigentlich ist Parfum total unoriginell. Mensch, Gabriel, hilf mir doch mal“, quengelt sie.

„Warum kaufst du dir nicht heiße Unterwäsche, verführst ihn und säuselst ihm unterm Tannenbaum ins Ohr, dass ihr bald zu...“

„Du hast wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank“, unterbricht sie mich schrill, „zwei Kinder reichen mir. Besonders im Moment. Jana will Tokio Hotel heiraten und Sebastian... ich glaub, der wird schwul. Seit der WM hat er nur noch Fußballbilder in seinem Zimmer hängen. Der hat sich noch nie für Fußball interessiert. Jetzt will er unbedingt ein Ballack-Trikot. Wo soll ich das denn bitte herkriegen?“

„Hättest du was dagegen, wenn er schwul wäre?“

Katharina sieht mich an, als sei ich der Leibhaftige. „Nein.“

„Sicher?“

„Absolut.“

„Und wenn er einen Freund hätte?“, frage ich und beginne, leicht an den Händen zu schwitzen.

„Sebastian ist vierzehn... ach du scheiße, denkst du, er hat einen Freund?“

„Woher zum Teufel soll ich das wissen?“

„Wann hattest du noch mal deinen ersten Freund? Mit fünfzehn, oder? Nee, warte mal, mit siebzehn, du alter Spätzünder“, grinst sie. „Meinst du, ich sollte mal mit Basti reden? Mh, besser das macht Hannes... so von Mann zu Mann. Allerdings hat der keine Erfahrung mit schwulem Sex und Coming Out.“

„Und du schon, ja?“

„Immerhin hab ich einen schwulen Bruder.“ Sie klatscht sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ich bin ja verblödet... DU kannst doch mit ihm reden.“

BUAHAHAHA!!!!!!!!!!!

„Du weißt doch gar nicht, ob er überhaupt auf Jungs steht, Katharina. Also entspann dich und warte einfach ab. Wenn es so ist, wird er es dir schon sagen.“

„Oh mein Gott“, bollert sie angeekelt, „stell dir mal vor, Basti hat mit seinem Freund Sex, während wir hier Weihnachtsgeschenke kaufen. Und Jana kreischt auf Tokio-Konzerten, dass sie Bill nackig sehen will... sie ist doch erst zwölf, Gabriel! Ich sperre meine Kinder für den Rest ihres Lebens ein. Jetzt weiß ich erst, was Robert und Christine durchgemacht haben müssen.“

Ich versuche, das Stichwort zu ignorieren.

„Was schwitzt du denn so?“

Verdammter Mist!!

„Mir ist übel, ich brauch frische Luft.“

„Du bist ein Jammerlappen“, schüttelt sie den Kopf.

In der weihnachtlich geschmückten Fußgängerzone geht’s mir nur mäßig besser. Katharina hakt sich bei mir ein und ist bereits wieder die Ausgelassenheit in Person. Mir ist ungefähr wie damals, als ich meinen Eltern mitteilte, dass ich schwul bin. Möglicherweise läuft es hier gleich ähnlich glimpflich ab. Mama und Papa waren nämlich im ersten Moment geschockt, dann aber sehr verständnisvoll. Ich finde, ich darf Maxi nicht mehr verheimlichen. Schließlich hat Katharina alle meine länger andauernden Beziehungen kennen gelernt. Außerdem hab ich mich dazu entschlossen, mich für meine Gefühle nicht mehr zu schämen.

„Ich bin mit jemandem zusammen.“

Meine Schwester strahlt mich an. „Wirklich? Ach, das ist schön. Hast dich viel zu lange rumgetrieben. Wie heißt er denn und wie ist er so? Wann stellst du ihn uns vor? Das ist doch was Festes?“

„Er heißt Maximilian, er ist toll, ihr kennt ihn bereits und, ja, was ganz Festes.“

„Ja?“, überlegt sie. „Nee, fällt mir grad nichts zu ein.“

Ich atme tief durch. „Der Sohn von Robert und Christine.“

„Ach, mit dem bist du zusammen?“ Plötzlich bleibt sie wie angewurzelt stehen. „Moment mal, der ist doch... das ist doch... ein... Kind. Gabriel?!“

„Maxi ist fast achtzehn.“

„Aha. Ja, wie... fast achtzehn? Du bist dreiunddreißig. Glaubst du, dass das gut geht?“

„Wir sind verliebt und seine Eltern hassen mich, das ist alles, was ich weiß.“

„Lass uns mal ’nen Kaffee trinken, zwischen gebrannten Mandeln und Fischbrötchen redet es sich nicht so toll, oder?“

Wenigstens hasst sie mich noch nicht. Das gibt mir Hoffnung.

Nachdem ich ihr die meisten schönen und unschönen Details erzählt habe, rührt sie bedächtig in ihrem Milchkaffee.

„Also... mh, ich muss zugeben, dass ich Robert und Christine verstehe. Jedenfalls, was die Art und Weise betrifft, wie sie das alles erfahren haben. Aber dass Robert denkt, du hättest Maxi heimlich jahrelang begrapscht, ist ja wohl das Allerletzte. Und glaub bloß nicht, du würdest um das Gespräch mit Sebastian drumrum kommen. Ich habe keine Probleme, dich mit ihm allein zu lassen... du weißt, was ich meine.“

Ich könnte losheulen, so erleichtert bin ich gerade. Katharinas Hand legt sich auf meine.

„Hast du dir deswegen Sorgen gemacht? Gabriel“, lächelt sie, „ich kenne dich seit dreiunddreißig Jahren und nur, weil du jetzt zufällig einen sehr viel jüngeren Freund hast, denke ich doch nicht, dass du jedem Teenager hinterher sabberst. Es ist natürlich etwas ungewöhnlich, aber wenn Maxi dich liebt und du ihn... scheiß drauf, was andere Leute sagen. Kannst du dich noch dran erinnern, was Mama und Papa anfangs von Hannes gehalten haben? Studium abgebrochen, lungert in der Gegend rum, der kann doch keine Familie ernähren, wie der schon aussieht... und jetzt sind sie total stolz auf ihren Schwiegersohn.“

„Ich fürchte, bei mir gibt es nichts, worauf man stolz sein könnte“, murmle ich bedröppelt.

„Ach, hör auf zu jaulen. Du bist mein Bruder und einer der nettesten, liebsten Menschen, die ich kenne. Was willst du mehr?“

Ich bin einigermaßen gut gelaunt, als ich nach Hause komme, und freue mich wahnsinnig auf meine Schmusekatze. Wir sind zwar erst in einer halben Stunde verabredet, aber Maxi ist bereits da. Schon ein komisches Gefühl, meine Wohnung zu betreten und es wartet jemand auf mich. Das ist fast ein bisschen wie zusammen leben und so was hab ich bisher elegant umschifft. Ich mag gerne jemanden bei mir haben, allerdings brauche ich auch immer die Gewissheit, dass dieser Jemand wieder geht. Mit Maxi ist das erschreckend anders. Ich könnte mir durchaus vorstellen, irgendwann mit ihm...

„Hey“, strahlt er, schlindert auf Socken über den Laminatboden, direkt in meine Arme und küsst mich auf den Mund.

Wow, was für eine Begrüßung! Plötzlich lässt er mich los, mustert mich kritisch und schnüffelt.

„Gibt es etwas, das ich wissen müsste?“

„Äh...?“

„Du riechst wie’n verdammter Stricher.“

Schönen Dank, Katharina!

„Und wieso weißt du so genau, wie verdammte Stricher riechen?“

„Weiß ich doch gar nicht“, erklärt er, „aber so stelle ich mir den Geruch von billigem Sex vor. Warst du im Puff?“

„Au weia... hast mich durchschaut“, grinse ich. „Ich war mit meiner Schwester shoppen, die hat mich mit lauter Zeugs angesprüht.“

„Das ist die blödeste Ausrede, die ich jemals gehört habe.“

„Aber die blödesten Ausreden stimmen meist. Ich zieh mich um.“

„Nee, warte!“ Er schubst mich auf die Couch und setzt sich auf meinen Schoß. „Wenn du heimliche Stricher-Phantasien hegst, müssen wir darüber reden, Gabriel.“

„Ich hege keine...“ Maxis schmutziges Lächeln macht mich ganz bekloppt. „Du bist echt unglaublich.“

„Nicht wahr“, nickt er und schiebt seine Hände unter mein Shirt. „Ernsthaft... stehst du auf Jungs, die sich für Geld anbieten?“

„Nein.“

„Bist du sicher?“

„Ganz sicher. Stehst du auf Männer, die dich kaufen wollen?“

Maxi schüttelt wild den Kopf. „Aber vielleicht möchtest du mich ja in Zukunft bezahlen. Vielleicht möchtest du, dass ich irgendwo in einer abgefuckten Gegend auf dich warte... vielleicht möchtest du mich auch auf einer Stricherparty aufgabeln.“

Ach du Scheiße! Ich kriege augenblicklich leichte Beklemmungen. „Du hast eindeutig zu viel Freizeit, wenn du dir solche Sachen ausdenkst. Ich war mit Katharina shoppen. Ruf sie an, wenn du mir nicht glaubst.“

„Das war ein Scherz, Gabriella, warum bist du so angepisst?“

Na toll, jetzt denkt er, ich fühle mich ertappt. „Bin ich nicht.“

„Würdest du mich aussuchen, Gabriel?“, flüstert er mir ins Ohr. „Mit mir in eine billige Absteige gehen und...“

„Hör jetzt auf damit, okay?“

Seine Hand streicht aufreizend über meinen Schwanz. „Aber die Vorstellung scheint dich anzumachen.“

„Wenn ich so an dir rumfasse, kriegst du auch ’ne Latte.“

„Wieso fasst du dann nicht an mir rum?“, wispert er und küsst meinen Hals.


„Gabriel, mein Freund.“

Hä?! Seit wann kommt Claude zu mir nach Hause? Oh Gott, muss ich ihn jetzt rein bitten? Sollte ich das riskieren? Ich meine, Vampire, die man nicht richtig einschätzen kann, bittet man auch nicht in die Wohnung, weil man denen dann total ausgeliefert ist. Nun ist Claude so viel ich weiß kein Vampir... zutrauen würde ich es ihm allerdings.

„Was ist? Bittest du mich nicht hinein?“, fragt er.

Fuck!! „Äh... na ja... äh, doch.“ Ich trete einen Schritt zur Seite, dass er an mir vorbei kann.

„Bist heute nicht ganz geordnet im Kopf, was? Oder liegt es an mir? Mache ich dich etwa immer noch nervös?“

„Entschuldigung, aber was zur Hölle willst du?“

„Freundlich wie immer, was? Na ja, egal. Ich war grad in der Gegend und dachte, ich schau einfach mal, was du so treibst.“

„Du bist nie in meiner Gegend und schaust einfach mal so.“

Er setzt sich auf die Couch und schlägt lässig die Beine übereinander. „Okay, das war gelogen. Ich hab Lust auf einen Fick.“

Es ist total bescheuert, aber ich fühle mich immer ein wenig geschmeichelt, wenn Claude mit mir ins Bett will, denn ich weiß, mit wem er normalerweise ins Bett geht. Da ist keiner in meinem Alter dabei. Ich bin also so was wie der Einzige, allerdings nicht so naiv zu glauben, dass das in irgendeiner Form romantisch ist, oder etwas mit Liebe zu tun hat. Wohl mehr mit der Tatsache, dass ich mich bis jetzt jedes Mal hab rumkriegen lassen. Claude mag das Gefühl, dass ihm niemand widerstehen kann. Und da war er die letzten Jahre bei mir ja auch absolut an der richtigen Adresse. Ich bin sogar noch mit ihm ins Bett gegangen, als ich in einer relativ festen Beziehung steckte. Das heißt, es hätte was Festes werden sollen, aber dann ist die Sache mit Claude irgendwie raus gekommen und der Typ war weg. Ich wette, Claude hatte dabei seine Finger im Spiel, denn... ich habe es Daniel nicht erzählt. Egal, mit Daniel hätte es wahrscheinlich eh nicht funktioniert, weil er zu der Zeit kam, als ich schon dabei war, mich in Maxi zu verlieben. Maxi... ich werde meine Schmusekatze auf gar keinen Fall betrügen!!

„Hallo?“ Claude wedelt mit seiner Hand vor meiner Nase herum. „Bist du in Meditation, oder was?“

„Nee, ich hab nur keine Zeit für dich.“

Er sieht mich einen Moment irritiert an, dann schenkt er mir ein anzügliches Lächeln. „Netter Versuch, Schätzchen. Hier, ich hab dir ein bisschen Geld mitgebracht.“ Claude legt das Bündel auf den Tisch.

„Willst du mich kaufen?“

„Wenn dich das scharf macht“, zuckt er die Schultern.

„Hör zu, ich hab seit einiger Zeit einen Freund und... also es wäre mir lieb, wenn wir unsere Beziehung nur noch aufs Geschäftliche beschränken würden.“

„Verstehe“, nickt er. „Einen Freund, mh? Als hätte dir das jemals was ausgemacht.“

„Das tut es jetzt.“

„Der Typ muss ja unglaublich sein. Bist richtig verliebt, was?“

„Allerdings. Und das lasse ich mir von dir nicht wieder kaputt machen.“

„Gabriel, sei so nett und biete mir einen Drink an, ja? Und hilf doch dabei meinem Gedächtnis auf die Sprünge.“

Ich stelle ihm ein Bier hin. „Daniel. Vor zwei Jahren.“

„Daniel? Mh, ich kenne einen, aber der ist sechzehn, der kann es schon mal nicht sein. Es sei denn, du bist noch verkommener als ich. Na ja, interessiert mich auch nicht wirklich.“ Er wirft einen angewiderten Blick auf das Bier, greift in seine Manteltasche und nimmt schließlich einen Schluck aus seinem silbernen Fläschchen.

„Ja, dann hätten wir wohl alles besprochen“, dränge ich.

Claude lässt seine Flasche zurück in die Manteltasche gleiten und steht auf. Danach zieht er seinen Mantel aus und stellt sich dicht vor mich hin. „Glaubst du, du könntest mich so einfach abservieren? Du spinnst wohl.“ Er greift nach meinem Gürtel und zieht mich mit einem Ruck an sich. Seine Hand streichelt meinen Schritt. „Das hab ich mir gedacht, du kleiner Schleicher“, lächelt er ekelhaft überlegen.

Ja, ich hab eine Latte. Na und? Claude macht mich nunmal geil.

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