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Achterbahn

Teil 4

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Achterbahn

Das letzte Ferienwochenende hab ich für Tine reserviert. Gestern hat sie mich zum Mittelaltermarkt geschleppt und heute will sie unbedingt ausgehen, weil Patti mit seinen Metalfreunden ’ne Saufparty veranstaltet, auf die Tine natürlich keine Lust hat. Dante hat sich zwar ein paar Mal gemeldet, aber außer im Jugendzentrum haben wir uns nicht gesehen. Da hab ich mal lieber auch nicht gefragt, ob er Samstagabend in der Villa ist … nicht, dass der wieder denkt, ich würde ihm nachlaufen oder ihn Tine als meinen neuen Freund vorstellen wollen.

Erstmal treffen wir drei, vier Ausgeh-Bekannte und eigentlich bin ich relativ entspannt. Die Musik ist okay und ich denke wirklich überhaupt nicht an Dante oder hoffe, dass er noch auftaucht … bis er dann doch noch auftaucht. Er begrüßt mich kurz und verschwindet gleich wieder.

„Der Typ ist echt die Härte“, schüttelt Tine verständnislos den Kopf. „Wie hältst du das bloß aus?“

„Können wir bitte nicht darüber reden?“

„Kann ich ihm bitte aufs Maul hauen?“

„Nein.“

„Schade“, seufzt sie. „Es wäre mir ein Vergnügen.“

Ich versuche, weiterhin Spaß zu haben, aber jedes verdammte Mal, wenn er mit irgendeinem Kerl spricht, verknoten sich meine Eingeweide ein bisschen mehr. Und leider spricht er mit vielen Jungs, weil er halt tausend Leute hier kennt. Blondie hab ich übrigens auch grad gesehen und ich kann mir ungefähr vorstellen, wie der sich momentan fühlt. Dante schenkt ihm nämlich keinerlei Beachtung. Dafür schenkt ein Emojunge mit roten Ponysträhnen und Lippenpiercing Dantes Flügeln unglaubliche Beachtung. Er griffelt an Dantes Arm herum, dass mir schlecht wird.

„Auf einen gelungenen Abend“, nickt Tine und kippt einen Tequila runter.

Etwas später gesellt sich Herr Engels ohne den kleinen Grabscher zu uns aufs Sofa.

„He, Würfelkirsche“, lächelt er charmant und schielt ihr nacktes Wadenbein entlang.

Oh je, Tines Blick bedeutet nichts Gutes.

„Nenn mich nicht so. Ich nenne dich schließlich auch nicht Spritz-mir-ins-Gesicht“, erklärt sie und lutscht ihre Zitronenscheibe aus.

Dantes Lächeln stirbt augenblicklich.

„Du bist eine verdammte Plaudertasche, Elias.“

„Niedlich versaut, mh?“, erinnere ich ihn an seinen Mitteilungsdrang.

„Ich bin nicht derart ins Detail gegangen.“

„Sprich sie einfach mit ihrem Namen an, das erspart dir weitere Peinlichkeiten.“

„Beweg du lieber deinen Hintern auf die Tanzfläche. Chris spielt gleich dein Lieblingslied, jedenfalls hat er’s mir versprochen.“

Tatsächlich … Black-Crosser.

Als ich mit tanzen fertig bin, ist Dante bereits wieder mit dem roten Emopony zugange. Ich glaube, er will testen, ob ich wirklich mit seinem ’Ich will keine Beziehung wie du sie dir vorstellst’-Fuck klarkomme, also darf ich jetzt keinen Fehler machen, sonst verliere ich ihn.

„Ich bin angeschickert“, lallt die Würfelkirsche, „und ich hab meinen Schlagring in der Tasche.“

„Ist so was nicht verboten?“

„Glaubst du, ich will, dass irgendsoein Vergewaltigerschwein über mich herfällt, wenn ich abends allein in einer einsamen Gegend unterwegs bin?“

„Dante ist kein Vergewaltigerschwein.“

„Aber eine Pissnelke. Das geht vor Gericht durch.“

„Es ist okay“, behaupte ich. „Wir haben unsere … was-auch-immer … besprochen und jeder weiß, was Sache ist.“

„Weißt du, was ich gerne wissen würde? Wie die Pissnelke reagiert, wenn du dir auch so einen feschen Emo zum Angrabbeln suchst.“

„Erstens ist das nicht mein Stil und zweitens … es wäre ihm vermutlich egal.“

„Und für so was hast du Marcel den Laufpass gegeben.“

„Fang nicht wieder damit an.“

„Dreh dich auf keinen Fall um.“

„Hä?“, mache ich und … wow, meine verknoteten Eingeweide explodieren!

„Eli, ich hatte dich nicht aus Spaß gewarnt“, stöhnt Tine.

Dante knutscht mit dem Emopony. Das gehört alles zum Test, rede ich mir heimlich ein.

„Lass uns Tequilas trinken.“

„Meinetwegen.“

Wenn ich betrunken genug bin, stört mich das Geknutsche vielleicht nicht mehr.

„Ey, ich hab Hunger. Wollen wir irgendwo was essen?“, brüllt es irgendwann in mein Ohr.

Beduselt rapple ich mich hoch.

„Bin ich eingeschlafen?“, frage ich Tine.

„Ja, aber nicht viel.“

„Eli?“

„Dante“, sage ich überrascht.

„Was ist … kommst du mit?“

„Wieso nimmst du nicht dein rotes Emo-Pony mit?“

„Weil ich dich mitnehmen will.“

„Ich bin mit Tine hier.“

„Kein Problem. Wenn sie mir sagt, wo sie wohnt, fahre ich sie nach Hause.“

Umständlich beuge ich mich zur Würfelkirsche rüber.

„Dante fährt dich nach Hause.“

„Klasse, Taxigeld gespart.“

Beim Einsteigen ins Auto behauptet sie, dass ihr hinten schlecht wird und nimmt vorne Platz. Ich bin so breit und müde, dass mir alles egal ist. Sogar, worüber die beiden sich während der Fahrt unterhalten. Einigermaßen wach werde ich erst wieder, als Tine völlig beiläufig fragt, ob Dante tatsächlich gerne Wichse ins Gesicht bekommt.

„Ich hätte dir anstelle der Würfelkirschen lieber Bitch auf die Stirn stechen sollen“, lächelt er pissig.

„Mal ehrlich, ich finde das total harmlos, normal und unpeinlich“, erklärt sie, dreht sich zu mir um und sagt laut genug, dass Dante es hören muss: „Igitt, wie absonderlich.“

„Entschuldige“, entschuldige ich mich bei ihm.

„Besoffene Weiber sind halt widerwärtig“, zuckt er die Schultern.

„Vorsicht, Tine hat ’nen Schlagring in der Tasche.“

„Oh, ich fürchte mich zu Tode.“

Tine fängt an zu giggeln. „Haha … dann schrubbst du zukünftig die Bidets in einem bulgarischen Nonnenkloster.“

„Nein, wie schön, nein, wie passend“, grinst Dante.

„Du kennst …“

Er nickt.

„Gott, ich liebe …“

„Ich auch. Letzte Woche hab ich ’nem Typen das Owl-Cave-Symbol gestochen.“

„Cool“, freut sie sich fast ein Loch ins Knie und hat wohl spontan vergessen, dass sie Dante hasst. Na ja, wenn jemand ihre Lieblingsserie mag, steigt der auf ihrer Sympathieskala gleich höher. Die beiden können gar nicht genug kriegen, schmeißen fröhlich mit Zitaten um sich und zum Schluss macht Tine ihm einen Heiratsantrag, den er ohne zu zögern annimmt.

„Eli, leg uns die Hand auf und sag, dass wir Mann und Frau sind“, faselt meine irre Freundin.

„Du kannst mich am Arsch lecken“, murmle ich eifersüchtig.

Nachdem wir Tine abgesetzt haben, stelle ich fest, dass es reichlich spät ist und nichts mehr auf hat.

„Fahren wir zu mir“, beschließt der frischgebackene Herr Würfelkirsche. „Torben hat eingekauft, also sollte was Essbares da sein.“

„Ich bin nicht besonders hungrig.“

„Aber du möchtest heute bei mir schlafen.“

„Möchte ich?“

„Unbedingt.“

„Okay.“

Ich denke, ich hab den Test bestanden. Und Torben hat tonnenweise Tiefkühlfraß und Dosenfuck gekauft. Frisches Gemüse kennt er anscheinend nicht. Dante und ich teilen uns eine Dose Ravioli und zwei Flaschen Bier. Nach dieser ausgewogenen Mahlzeit schleppt er mich in sein Zimmer, zieht mich aus und verfrachtet uns beide ins Bett.

„Ich würd jetzt deine Arme lecken, aber da haben fremde Fittiche dran rumgegrabbelt.“

Dante grinst süß und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Ich hab Felix gesagt, dass meine Flügel tabu sind.“

„Echt?“

„Schlaf gut.“

„Ey, Engels … blas mir einen“, fordere ich betrunken und küsse ihn ungeschickt.

„Oh Mann“, schüttelt er lachend den Kopf. Dann gleiten seine Lippen über meinen Hals, küssen meinen Oberkörper herunter, wandern in tiefere Gefilde …

„Ich hasse Tequila“, wimmere ich am nächsten Morgen, noch bevor sich meine Augen gänzlich geöffnet haben. In meinem Schädel rauscht es ekelhaft laut.

„Kopfschmerzen? Hättest mehr trinken sollen.“

„Noch mehr?“

„Ich meine Wasser“, erklärt Dante und stopft mir eine Paracetamol in den Mund, die ich mit einem halben Liter Mineralwasser aus der Flasche runterspüle.

Kaum liegt mein Kopf wieder sicher auf dem weichen Kissen, schießen mir die Erinnerungen an letzte Nacht wie kleine Blitze ins Hirn. Dante, der mir einen bläst und … der blöde Mitbewohner, der an die Tür hämmert, weil ich so laut … au je … und dann?

„Ich bin eingepennt.“

„Hm-hm, aber wenigstens hast du damit gewartet, bis du fertig warst.“

„Hab ich die Sache mit Torben bitte geträumt?“

„Ich könnte ja sagen … allerdings wäre das gelogen.“

„Tut mir leid, ich vertrag keinen Alkohol.“

„Immerhin weiß ich jetzt, dass du betrunken nur noch versaut bist. Übrigens wolltest du es mir noch bestialisch gut besorgen, aber … na ja.“

„Wenn mein gefühlt gigantischer Schädel auf Normalgröße geschrumpft ist, krieg ich das hin“, verspreche ich und will ihm einen Kuss geben, aber Dante dreht sein Gesicht zur Seite.

„Eli, du stinkst wie ’ne abgestandene Schnapsflasche.“

Entsetzt halte ich mir die Bettdecke vor den Mund.

„Hör auf, süß zu sein. Geh duschen, putz dir die Zähne und komm dann wieder her.“

Beim anschließenden Frühstück darf ich mir neben Kakao und Marmeladentoasts kleine Unverschämtheiten vom Mitbewohner reinziehen. Ja, es ist mir peinlich, dass er mich gehört hat, aber deswegen so ein Fass aufzumachen, halte ich für stark übertrieben. Dante sieht das ähnlich.

„Dicker, ich hab dich mit deinen Weibern mehr als einmal gehört. Krieg dich wieder ein.“

„Du musstest mit meinen Aufrissen danach aber nie am Frühstückstisch sitzen.“

„Weil du nicht mal genug Anstand besitzt, deinen Weibern morgens ’nen Kaffee zu machen. Gib mir den Autoschlüssel.“

„Wieso?“

„Weil ich Eli gleich nach Hause fahre.“

„Dauert das lange?“, fragt er und knallt den Schlüssel auf den Tisch. „Wir wollten noch an den neuen Songs basteln.“

„Später.“

„Wann?“

„Wenn ich zurückkomme.“

Torben glotzt mich an, als wollte er mir dringend aufs Maul hauen. Zum Glück kippt Dante seinen Kaffee runter und wir gehen. Allerdings bringt er mich nicht sofort nach Hause, weil es draußen sehr schön warm ist und Dante Lust hat, ein bisschen durch die Gegend zu fahren. Als ich mit der Hand kurz hinter mir nach der Wasserflasche taste, krieg ich eine Tüte zu fassen.

„Was’n das?“

„Brot.“

„Aha.“

„Für die Enten“, erklärt Dante.

„Enten?“, frage ich belämmert.

„Die essen so was.“

„Du willst … Enten füttern?“

„Dachtest du, ich wollte uns unterwegs ein paar Schnittchen schmieren oder was?“

Der verarscht mich doch. Ganz sicher. Allerdings hält er nach zehn Minuten an einem kleinen Schloss an, packt die Brottüte in seine Tasche, steigt aus, nimmt meine Hand und spaziert mit mir ans tümpelartige Wasser, das das Schloss umgibt. Und die Enten lassen auch nicht lange auf sich warten. Ey, das ist eine vollkommen absurde Szene, ja. Da steht dieser verwegene, tätowierte, sexy Kerl, schmeißt Brotstücke ins Wasser und strullt sich vor Entzücken fast in die Buxe, weil einige Enten besonders forsch sind, uns umzingeln und die Brotstücke aus der Hand schnappen. Danach suchen wir uns eine ruhige Stelle und legen uns auf die Wiese. Dante hat sogar für diesen Zweck eine Decke dabei. Ich bin fassungslos. Weil mir im Traum nicht eingefallen wäre, dass ausgerechnet er so was drauf haben könnte. Aber ich hätte ihm so etwas Niedliches wie Entenfüttern auch schon nicht zugetraut und als Krönung lädt er mich später noch zu einem Eis ein. Vielleicht hat er einen Sonnenstich? Gegen Abend hat er aber auf jeden Fall eine grenzenlos beschissene Idee.

„Wir besuchen Crazy.“

„Nein“, kreische ich panisch. „Ich meine … vielleicht hat er keine Zeit oder … es nervt ihn, wenn du fremde Leute bei ihm anschleppst.“

„Crazy ist ein sehr geselliger Mensch“, lächelt Dante sonnig.

„Ich bin eigentlich total kaputt. Mein Kopf tut immer noch weh. Fahr mich doch lieber nach Hause, ja?“

„Meinetwegen.“

Mann, das ist ja gerade nochmal gut gegangen.

Zuhause schmerzt mein Schädel tatsächlich ein wenig, weshalb ich mich sofort ins Bett begebe. Dante kuschelt eine Weile mit mir, dann steht er auf.

„Ich melde mich“, verspricht er.

„Okay“, murmle ich und drehe mich langsam zu ihm um. Zu sehen, wie er weggeht … nach diesem wunderschönen Tag … irgendwie tut das total weh. „Oder … warum bleibst du nicht einfach hier?“

Er scheint einen Moment zu überlegen, zieht sich aus und schlüpft zu mir unter die Decke.


Ferien sind immer zu kurz, oder? Dieses Mal scheinen die sechs Wochen besonders schnell rumgegangen zu sein. Zum Glück bin ich keiner, der die Schule verabscheut. Ich komme mit den Leuten gut aus und der Unterricht ist ebenfalls kein großes Problem. Wenn nicht das  blödianistisch frühe Aufstehen wäre. Und wenn Eltern nicht jetzt schon fragen würden, was man nach der Schule machen will. Mann, ich hab noch ein ganzes Jahr Zeit. Wer weiß, ob ich das Abi überhaupt schaffe, dann hab ich sogar noch länger Zeit. Trotzdem, ich beneide Menschen, die genau wissen, was sie möchten und dementsprechend ihre Zukunft planen können. Jedenfalls trifft es sich gut, dass ich wenigstens vormittags abgelenkt bin und somit nicht ständig an Dante denken muss, der eh mal wieder schrecklich viel zu tun hat und sich kaum meldet. Dass er ab nächsten Monat wirklich und wahrhaftig bei Crazy arbeiten wird, hat er mir nur noch so nebenbei kurz am Telefon mitgeteilt. Was er sonst treibt … keinen Schimmer. Er bequatscht längst nicht mehr alles mit mir. Tine weiß aus zuverlässiger Quelle, dass es für Dante nicht unüblich ist, sich neben seinen Sexdates auch mal länger mit jemandem zu beschäftigen und ihn dann plötzlich abzuservieren. Die Quelle ist logischerweise Torben, daher zweifle ich am Wahrheitsgehalt. Fest steht aber leider, dass ich für Dante immer unwichtiger werde. Oder wie soll ich sein Verhalten sonst deuten? Tine findet, dass ich für ihn viel zu verfügbar bin, womit sie nicht Unrecht hat. Ich sage ihm nie, dass es jetzt ungünstig ist, ich keine Zeit habe, weil ich dies und das machen muss. Weil ich jedes Mal so verdammt ekelhaft glücklich bin, dass er sich überhaupt mit mir abgibt. Er weiß das sehr genau und hat keine Skrupel, das auszunutzen. Das ist auf der einen Seite ziemlich ekelhaft, aber anderseits … wenn ich überlege, unter welchen Umständen er aufgewachsen ist, kann er sich vielleicht gar nicht anders verhalten. Er tut eben das, was er von seiner Mutter gelernt hat. Mit so einer Entschuldigung darf ich Tine allerdings nicht kommen.

„Patti wurde als Kind regelmäßig von seinem Vater verdroschen, trotzdem ist aus ihm kein Schläger geworden, der sich an Schwächeren vergreift“, sagt sie.

Stimmt. Aber irgendeinen Schaden hat er sicher davongetragen.

Freitag traue ich mich, Dante anzurufen. Die Woche über war er ziemlich abwesend und … ich vermisse ihn so schrecklich, dass ich es nicht mehr aushalte. Ich will wenigstens seine Stimme hören.

„Eli … was gibt’s?“

Das ist eine höfliche Form von: Du störst, du nervst, warum zum Teufel rufst du mich an?! Meine Laune steigt augenblicklich in die Hölle hinab.

„Nichts weiter. Wollte nur ein bisschen quatschen.“

„Ähem, das ist grad ganz schlecht. Ich hab Besuch.“

„Okay, soll ich später noch mal anrufen oder morgen?“

„Nee, Felix bleibt länger.“

Ich krieg Herzklopfen. So total fieses, schmerzhaftes. Mir wird unglaublich heiß und übel und mein Hals ist plötzlich so zu, dass ich kaum sprechen kann. Dafür spricht Felix im Hintergrund, ich verstehe allerdings nicht, was er sagt. Was Dante antwortet ebenfalls nicht, weil er offenbar mit der Hand das Telefon zuhält.

„Halloho …“, rufe ich mich in Erinnerung.

„Sorry, Felix quengelt grad wie ein Dreijähriger, weil ich ihm verboten habe … hey, lass das, ich hab dir gesagt, meine Flügel gehören Eli“, lacht er. „Du kriegst nachher …“

Reflexartig lege ich auf.

Eine Minute später klingelt das Telefon.

„Hast du gerade aufgelegt?“, fragt Dante.

„Nee“, lüge ich. „War wohl irgendwas mit der Leitung.“

„Ach so. Pass auf, lass uns nächste Woche telefonieren, ja? Oder komm doch Dienstag ins Jugendzentrum.“

„Mal sehen.“

„Bis dann“, behauptet er fröhlich.

Ich dagegen bin nicht fröhlich, ich stehe unter Schock!

Es ist ein abscheuliches Gefühl, wenn man nichts machen kann, weil … man verdammt noch mal einfach nichts machen kann. Mindestens ebenso abscheulich sind die Bilder, die mein Hirn unaufhörlich produziert. Felix scheint ja wohl der rote Emopony aus der Villa zu sein. Oder es ist noch jemand auf Dantes Flügel scharf. Es ist auch gar nicht so sehr, dass ich mir zwanghaft vorstellen muss, wie die beiden Sex haben, sondern dass jemand bei ihm ist und ich nicht dieser Jemand bin, Dante aber so mit ihm umgeht, wie er mit mir umgehen würde.

Der Emopony macht sich breit, wo eigentlich nur ich hingehöre! Die beiden trinken Mandeltee, reden und lachen miteinander, küssen und kuscheln, Dante zeigt ihm am Computer Tattoos, die er gestochen hat … DAS muss ich mir zwanghaft vorstellen. Und zwar das gesamte Wochenende. Und ich kann mich nicht einmal bei Tine ausheulen, weil die glauben soll, dass ich mit allem klarkomme, weil ich das selbst ums Verrecken glauben will. Ich kann mich überhaupt nicht ausheulen, denn es tut dermaßen weh, dass ich beim besten Willen keine einzige Träne zustande bringe. Das ist ein wirklich gemeiner Zustand, so was wie … seelische Endstation. Weil nichts mehr geht, nichts hilft, es nichts gibt, was Linderung verschafft.

Ja, natürlich, ich hätte mit so was rechnen müssen. Aber nachdem Dante gesagt hat, dass er nur mit mir schläft, war das nicht möglich. Mein Herz hat das nicht zugelassen und meinen Verstand völlig eingelullt. Jetzt kriege ich die Quittung für meine Traumtänzerei.

Selbstverständlich gehe ich am Dienstag nicht ins Jugendzentrum, denn ich habe keine Ahnung, wie lange der Felix-Besuch dauert. Hinzugehen und Dante mit ihm rumschnuckeln zu sehen, wäre praktisch Selbstmord. Der arme kleine Blondie … mir wird grad erst richtig bewusst, was ich ihm das eine Mal angetan habe.

Erstaunlicherweise ruft Dante mich Dienstagabend an.

„Ey, du wolltest doch kommen.“

„Ja … ich bin krank“, überlege ich mir schnell.

„Was’n?“

„Grippe oder so. Nichts Schlimmes.“

„Na dann, gute Besserung.“

Das war’s. Mehr hat er nicht zu erzählen, also nehme ich an, dass Felix noch bei ihm ist. Gut, dass ich Zuhause geblieben bin.

Freitagabend steht Dante plötzlich auf der Matte. Den mittelgroßen Knutschfleck an seinem Hals sehe ich sofort. Den kleineren daneben auch, obwohl der bereits verblasst. Okay, Eli, fang bloß nicht an zu heulen!

„Was macht die Grippe?“

„Geht so.“

„Stimmt irgendwas nicht?“

Die Frage kann er unmöglich ernst meinen. Ich meine … das geht doch gar nicht, oder?

„Alles in Ordnung“, lächle ich horrorartig und setze mich etwas angeekelt zu ihm aufs Bett.

Der riesige Knutschfleck grinst mich feist an. Augenblicklich denke ich an Marcel. Sagt man nicht, dass man alles, was man jemandem antut, irgendwann zurückkriegt? Ich krieg’s momentan aber so was von geballt!

Dante plaudert gemütlich über Belanglosigkeiten, während ich mich in Gedanken übergebe …  nachdem ich Tines Schlagring an seiner hübschen Visage ausprobiert habe. Als er dann allerdings erzählt, dass ich mich gut mit Felix verstehen würde, weil der auch so einen komischen Leckfetisch entwickelt hat … nachdem er von meinem erfuhr … tausche ich den Schlagring gegen ein sehr großes Messer und metzle ihn mitsamt seiner fucking Felix-Type auf besonders grausame Weise kaputt.

Aha, am Sonntag hat er ihn tätowiert. Na klar, ICH warte seit Monaten auf meine Sterne und diese kleine, ekelhafte … Mann, ich bin sogar gedanklich sprachlos. Eiskristalle hat er der Pissnelke ans Wadenbein gestochen. Ach, Gottchen … wie zauberhaft.

„Crazy war total begeistert, als ich ihm die Bilder gezeigt habe“, faselt er verzückt.

„Und das ist ja die Hauptsache.“

„Hast du schlechte Laune?“

„Nein. Ja.“

„Eli“, schnauft er genervt, „red mit mir.“

„Ich hatte einfach einen scheiß Tag.“

Dante zieht mich in seine Arme. „Dann sorge ich dafür, dass der Abend besser wird“, grinst er. „Hey, entspann dich.“

Trotzdem ich es versuche, funktioniert es kaum, obwohl Dantes Hände sehr sanft meine Haut streicheln.

„Mmhhhh… ich will, dass du meine Arme leckst“, säuselt er und küsst mich.

Ein widerwärtiger Brechreiz steigt in mir hoch. Hastig renne ich in mein Mini-Bad und kotze eine Runde. Danach schwanke ich zurück. Dante glotzt mich irritiert an.

„Sag mal, kann es sein, dass du schwanger bist?“

Haha, wie lustig, Arschloch!

„Wer weiß“, murmle ich schwächlich. „Oder ich hab mir einen Virus eingefangen.“

„Es hat nicht zufällig was mit Felix zu tun, oder?“

„Nee, mit dem Virus.“

„Okay. Soll ich dir einen Tee machen?“

„Danke, aber ich will jetzt nur noch schlafen“, erkläre ich und ziehe mir die Bettdecke bis zum Kinn.

„Ich ruf dich an“, sagt er noch, bevor er geht.


Ich muss mich schleunigst in den Griff kriegen. Es geht nicht, dass ich kotze, sobald Dante in meiner Nähe ist und versucht, mich zu küssen. Das heißt … er versucht es eigentlich nicht mehr. Mir ist klar, warum. Ich wollte mir einreden, dass Felix eins von Dantes einmaligen Sexdates war und ich war sogar relativ erfolgreich. Bis ich rausgefunden habe, dass die beiden noch telefonieren. Das hat mich um Lichtjahre zurückgeworfen, weil ich annehme, dass Dante mich früher oder später austauschen wird. Logisch. Was hab ich ihm schon zu bieten, was die kleine Emopissnelke nicht kann? Wahrscheinlich ist Felix genauso fickfreudig und niedlich versaut und an Dante herumlecken tut er auch. Außerdem hat er den Vorteil, dass er neu ist. Ich bin da eher das abgegriffene Spielzeug, das man in die Ecke schmeißt, weil’s langweilig geworden ist. Meine Tage sind gezählt. So und nicht anders sieht es aus!

„Crazy hat endlich dieses super geile Mint bestellt“, verkündet Dante, der vorhin spontan auftauchte.

„Müsste mich das interessieren?“

„Du wolltest doch den großen Stern in Türkis haben.“

„Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich überhaupt Sterne haben will“, entgegne ich.

„Wieso denn das auf einmal?“

„Darf ich meine Meinung nicht ändern?“

Dante schüttelt seufzend den Kopf. „Ich hab gewusst, dass das passieren würde.“

„Keine Ahnung, wovon du redest.“

„Und ich hab auf diesen Eifersuchtsscheiß nicht die geringste Lust. Eli, ich hab dir gesagt, dass ich nicht so bin, wie du es gerne hättest. Du scheinst …“

„Ich möchte einfach nicht in ein paar Monaten aufwachen und feststellen, dass mich knallbunte Sterne am Arm nerven. Was soll das mit Eifersucht zu tun haben? Bist du irgendwie bescheuert?“

„Vergiss die fucking Sterne“, sagt er und steht auf. „Ich glaube, es ist besser, wenn … wir uns mal eine Zeit lang in Ruhe lassen.“

Na toll, ich könnte schon wieder kotzen. Hab ich nicht eben noch vermutet, dass ich ausgetauscht werde? Ich hätte nur nicht gedacht, dass es dermaßen schnell gehen würde.

„Wenn du das glaubst, ist es wohl tatsächlich das Beste“, stimme ich zu.

Als er weg ist, kann ich endlich heulen. Wenigstens das funktioniert wieder.


Dante macht ernst. Wie lange schon kann ich nicht sagen, denn mir ist jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen. Ich gehe zur Schule, treffe mich mit Tine, hänge rum, vermisse den blöden Fickfrosch, flenne wie bekloppt, bin wütend, wünsche ihm die Pest an den Hals, flenne wieder, weil ich ihn vermisse … da kann man schon mal den Überblick verlieren, seit wie vielen Tagen oder Wochen das so geht.

Tine ist echt lieb. Ich hab gedacht, sie würde sich freuen, mir fiese Sprüche reinwürgen, dass sie mich gewarnt hat und so, aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Sie nimmt mich in den Arm und tröstet mich. Na ja, Dante zu beschimpfen und zu verfluchen kann sie sich trotzdem nicht verkneifen.

Ach ja, ich hab ein paar Mal mit Marcel telefoniert. Das war erstaunlich nett, weil es nicht um Enttäuschungen, Verletzungen und Beziehungskram ging, sondern wir uns ganz normal über alles Mögliche unterhalten haben. Er hat mir zum Geburtstag gratuliert, den ich dieses Jahr einfach mal hab ausfallen lassen, weil mir kaum nach feiern war. Wie auch immer, es hat mir echt gut getan, mit Marcel zu reden. Jedenfalls für den Moment. Denn wenn ich alleine bin, kehrt unweigerlich die Dante-Sehnsucht zurück. Sie geht mit einer schrecklichen Wut einher und dem Wunsch, ihm wehzutun. Ich meine, ihm scheint es wirklich nichts, gar nichts auszumachen. Wenigstens glaube ich nicht, dass er auch nur ansatzweise so unter dem Kontaktabbruch leidet wie ich. Nein, er ist vermutlich froh, dass er sich jetzt wieder voll und ganz auf seine Felixe, Internetemos und Jugendzentrumsverehrer konzentrieren kann. Und ich wette, der fickt grad irgendwen. Oder er schmachtet seinen innig geliebten Crazy, den Supermann, an. Poliert kräftig seinen Heiligenschein.

Crazy.

Vielleicht ist es an der Zeit, Dante die Illusion zu nehmen, dass sein Wahlpapi unfehlbar ist.

Vielleicht ist es an der Zeit, meinen Papi endlich kennenzulernen.

Am nächsten Nachmittag ist es soweit. Ich weiß, wenn ich erst anfange, gründlich drüber nachzudenken, traue ich mich in hundert Jahren nicht. Allerdings hab ich jetzt auch die Buxe gestrichen voll. Mit jedem Schritt, den ich näher ans Studio komme, klopft mein Herz lauter, zittern meine Hände, Beine, Füße mehr, wird die Übelkeit stärker, die Unsicherheit größer. Mein Kopf ist wie leergefegt. Zuhause war es noch nicht so schlimm. Da konnte ich immerhin überlegen, was ich anziehe, hab tausendmal meine Haare umgestylt und so. Nicht, dass es wichtig wäre, was er von meinem Aussehen hält, aber man muss ja nicht wie der letzte Penner da auflaufen. Schwarze Jeans, schmaler Sternchengürtel, Boa-Shirt, Kapuzenjacke drüber, Haare ein wenig Boa-mäßig … für den Anlass okay.

Komisch, ich hatte eine kleine, abgefuckte Klitsche erwartet. So’n Tummelplatz für schräge Vögel, Rocker und Knastbrüder. Aber es wirkt von außen schon völlig anders. Keine zwielichtige Gegend, sondern sauber und aufgeräumt. Die Fenster sehen aus wie seine Visitenkarte in riesig, nur ohne schwarzen Hintergrund. Gott, ich bin dermaßen neben der Spur, dass ich zur Beruhigung eine Zigarette rauchen muss. Ein Tequila würde mich wahrscheinlich mehr entspannen. Es dauert dann nochmal mindestens eine halbe Stunde, bis ich in der Lage bin, das Studio zu betreten.

Ein heller, ziemlich großer Raum mit kuhfleckiger Couch, Sesseln und einem niedrigen Tisch. Schräg gegenüber eine Ladentheke. Auf den Fensterbänken stehen Grünpflanzen. Offenbar hält er es nicht für nötig, mit Bildern von seinen Tattoos anzugeben, denn an den Wänden hängt kein einziges. Dafür allerdings … ein großes Phillip-Boa-Poster. Und im Hintergrund dudelt leise „I dedicate my soul to you“. Ich fürchte, ich weiß jetzt, wer die Boa-CD in unserem alten Keller vergessen hat. Hab immer angenommen, dass die Mom gehörte.

Oh Scheiße, da sitzt er! Hinter dem Tresen. Halblanger, brauner Zopf, ärmelloses Shirt, ein Arm komplett tätowiert … wie auf den Fotos von der Convention. Fuck, ich glaube, der starrt mich bereits seit gefühlten zehn Minuten an. Oder ich bilde mir das ein, weil eigentlich kann er mich nicht erkennen. Schließlich hat er mich das letzte Mal gesehen, als ich ungefähr ein Jahr alt war. Sicher ist es mein Boa-Shirt, das ihm aufgefallen ist.

„Elias?“, ertönt eine weiche Stimme.

„Ha-hallo“, sage ich leise. Dann reiße ich mich aber so was von zusammen. Der soll mal nicht denken, dass ich seinetwegen hier bin. So selbstbewusst wie nur möglich gehe ich zum Tresen.

„Ist Dante da?“

Mit dieser Frage hab ich ihn wohl sehr irritiert.

„Ähem … nein, der hat heute frei. Aber … hey, ich … freue mich, dass du endlich … shit, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Kann ich einen Termin kriegen? Oder wie läuft das hier?“

„Du willst ’n Tattoo?“

„Ja“, entgegne ich knapp.

„Von … Dante?“

„Wieso, hat er’s nicht drauf?“

„Äh, doch. Aber der macht seine Termine selbst und wie gesagt, er hat frei, also … was möchtest du denn haben?“

„Regenbogensterne.“

„Was sagt Jutta dazu?“

„Ich bin alt genug.“

„Hm, also ich hätte grad Zeit.“

„Ich komme lieber wieder, wenn Dante da ist. Du verstehst sicher, dass ich unter den ganzen Umständen nichts Dauerhaftes von dir auf meinem Körper haben will.“

„Elias, warte“, ruft er, als ich an der Tür bin.

„Was?“

„Meinst du nicht, wir sollten … reden?“

„Worüber?“

In diesem Moment erscheint von irgendwoher eine Frau, die Crazy mit „Schatz“ anredet.

„Hallo“, grüßt sie freundlich.

„Das ist Elias“, erklärt Crazy.

„Oh … schön, dich kennenzulernen“, behauptet sie, streckt ihre Hand aus und lässt sie langsam sinken, als ich darauf nicht reagiere.

„Elias … das ist Lola, meine Frau.“

Der Kerl ist verheiratet mit einer … Lola?  Na, der Name ist Programm. Die sieht aus wie ein Pin-up. Und zwar ein … schwangeres!

„Herzlichen Glückwunsch. War die früher mal Nutte oder so?“

Crazys Blick wird unglaublich finster. „Okay, du hast allen Grund, sauer auf mich zu sein und ich verstehe total, dass du mir nicht grad um den Hals fallen willst, aber Lola gegenüber schlägst du bitte einen anderen Ton an, sonst bist du schneller draußen als …“

„Schatz“, unterbricht sie ihn und streicht beschwichtigend über seinen Arm.

Mir ist schlecht. Es ist normalerweise nicht meine Art, fremde Frauen zu beleidigen.

„Tut mir leid“, murmle ich und strecke ihr nun meine Hand entgegen. „Hallo, ich bin Elias.“

Lächelnd drückt sie meine schwitzige Flosse. „Ist bestimmt nicht einfach für dich, mh?“ Dann wendet sie sich an ihren Schatz. „Warum geht ihr zwei nicht rauf und ich bleib solange im Laden?“

Oh Gott, nein!

Leider schiebt mich Crazy bereits zu irgendeiner Treppe und ehe ich weiß, wie mir geschieht, sitze ich plötzlich in seinem Wohnzimmer und bekomme Eiskaffee serviert. Die scheinen das gesamte Haus zu bewohnen und wenn man aus dem Fenster schaut, erstreckt sich da noch ein hübscher Garten. Eigentlich ziemlich spießig für zwei solche Gestalten.

„Läuft wohl ganz gut dein Laden, was?“

„Es war ein harter Weg bis hierher, aber ich hab’s geschafft.“

„Und deine Frau? Wie lange seid ihr …“

„Zwei Jahre. Aber zusammen sind wir fast acht.“

Er hat’s nicht für nötig gehalten, mir das mal kurz auf seinen Geburtstags- und Weihnachtskarten mitzuteilen. Supi.

„Und … erzähl mal, was machst du so?“

„Nichts“, zucke ich die Schultern.

„Jutta sagt, du bist mit jemandem zusammen? Ist sicher ein hübsches Mädchen.“

„Wir haben uns getrennt.“

„Oh, das wusste ich nicht.“

„Ich bin fremdgegangen.“

Schadet nicht, ihn gleich wissen zu lassen, was ich für ein Versager bin, oder? Äh… MOMENT MAL!

„Was soll das heißen … ‚Jutta sagt?‘ Und wieso hast du mich eben sofort erkannt?“

„Na ja, deine Mutter und ich telefonieren ab und zu miteinander und ich hab sie gebeten, mir Fotos von dir zu schicken.“

Ey, das haut mir echt den Boden weg. Mom hat das nie erwähnt, sondern getan, als hätte sie keinerlei Kontakt zu ihm … ich hasse alle Menschen! Fuck, was, wenn sie ihm erzählt hat, dass ich schwul … nee, er hat vor drei Sekunden von einem hübschen Mädchen gefaselt.

„Ich muss los. Würdest du mir einen Gefallen tun?“

„Natürlich.“

„Sag Dante nicht, dass ich hier war … und dass du mein Erzeuger bist.“

Seinen dämlichen Blick möchte ich nämlich um nichts auf der Welt verpassen.

Crazy blickt mich skeptisch an, fragt aber nicht weiter nach. „Wie du möchtest. Bleiben wir … ich meine, sehen wir uns wieder?“

„Weiß ich noch nicht.“

Als ich Zuhause bin, würde ich meiner Mutter gerne sofort an die Gurgel springen, deshalb verschweige ich ihr den Crazy-Besuch. Stattdessen rufe ich Marcel an.

„Hey, darf ich dir kurz was erzählen?“

„Sicher“, antwortet er.

„Ich war grad bei meinem Vater.“

Sekundenlang ist es still, dann fragt er: „Soll ich vorbeikommen?“

„Würdest du?“

„Bin in einer halben Stunde da.“


Ich finde es nicht gut, was ich tue … getan habe. Okay, Marcel hat angeboten, zu mir zu kommen und sich den ganzen Crazy-Scheiß anzuhören, aber Marcel ist eben ein netter  Mensch, der in so einer Situation alles vergisst, was gelaufen ist, und einfach für einen da sein möchte. Tine hätte auch alles stehen und liegen lassen … warum musste ich ausgerechnet ihn anrufen? Dafür gibt es keine vernünftige Erklärung. Für den Kuss schon, irgendwie. Ich war halt so aufgewühlt, Marcel furchtbar lieb und als er mich ganz normal tröstend in den Arm genommen hat, ist es passiert. Ich habe ihn geküsst und er hat mich gelassen. Und danach waren wir beide gehörig durcheinander. Weil es sich komischerweise richtig anfühlte und gleichzeitig total falsch. Jedenfalls werde ich Marcel aber nicht noch einmal nötigen, für seinen Exfreund den Seelentröster zu spielen. So was macht man einfach nicht.

Mom war übrigens reichlich geschockt, als sie erfuhr, dass ich hinter ihr kleines Geheimnis gekommen bin. Na ja, wahrscheinlich war es doch mehr die Tatsache, dass ich den Erzeuger besucht hab, denn was ihren Kontakt angeht, war sie sich lediglich einer geringen Schuld bewusst. Sie behauptete dann, sie hätte ihm bloß ganz allgemeine Sachen über mich erzählt, alles andere wollte sie mir überlassen. Nebenbei … dass Crazy verheiratet ist, war für sie auch eine Neuigkeit. Sie sagte, in den Telefonaten sei es nie um sie beide gegangen, weil es da halt nichts mehr zu besprechen gebe.

Dante … scheint doch so schlecht zu sein wie sein Ruf. Oder er ist es wieder, seitdem er mich abgeschossen hat. Nicht nur, dass er Felix vögelt, er flirtet immer noch hardcore mit seinen  Internetjungs. Ich weiß, ich sollte nicht ständig seine Einträge lesen, aber ich kann nicht anders. Ein Typ scheint es ihm besonders angetan zu haben. Schaff deinen süßen Hintern in mein Bett … kann’s kaum erwarten, über dich herzufallen … kleines geiles Stück … brauchst es wohl ziemlich dringend … So was schreiben die sich. Und das ist nur das harmlose Zeug.

Mir zerfetzt es jedes Mal das Herz, wenn ich diesen Müll lese.

„Dann hör auf damit“, schlägt Tine vor.

„Geht nicht“, murmle ich bedröppelt. „Ich muss doch wissen, was er macht.“

„Notgeile Emopissnelken bumsen“, zuckt sie die Schultern.

„Danke, Tine.“

„Es ist doch nun mal leider so. Du warst für ihn nichts weiter als einer von vielen, je eher du das einsiehst, desto … gesünder. Was ist denn jetzt mit Crazy?“

„Was soll mit dem sein?“

„Gehst du nochmal zu ihm?“

„Keine Ahnung.“

„Du solltest. Immerhin hast du bald einen Bruder oder eine Schwester.“

„Halbbruder. Oder Halbschwester.“

„Ist doch egal“, verdreht sie die Augen.

„Genau“, stimme ich zu.

„So hab ich das nicht gemeint.“

„Glaubst du, bloß weil der Versager noch ein Kind in die Welt setzt, vergesse ich plötzlich, was er mir angetan hat?“, rege ich mich auf.

„Wo wir grad beim Thema sind … was tust du Marcel an?“

„Der Kuss hatte nichts zu bedeuten“, erkläre ich.

„Eben. Lass so was in Zukunft, okay? Tu ihm nicht noch mehr weh.“

Klar, als würde ich absichtlich auf den Gefühlen anderer Leute herumspringen. Heiße ich etwa Dante Engels? Ich frage mich, ob der meine Kette noch trägt … widerwärtig wie er ist, tippe ich auf Ja.

Tine schaut mich an und schüttelt den Kopf. „Du denkst schon wieder an den Bumsfrosch, mh? Oder immer noch. Eli, wie arschig muss der sich denn noch benehmen, dass du den Kerl endlich vergisst?“

„Verliebtsein kann man nicht einfach abstellen.“

„Du willst nicht, weil du heimlich hoffst …“

„Na und? Hoffnung kann man genauso wenig abstellen.“

„Allerdings“, seufzt sie.

So sehr ich auch drüber nachdenke, es will mir einfach nicht in den Kopf, dass Dante mich derart schnell abgehakt hat. Oder anders gesagt … wie konnte ich auf ihn reinfallen? Und wie viele Jungs sitzen wohl grad in ihrem Zimmer und überlegen genau dasselbe? Dante ist doch gemeingefährlich. Außerdem muss ich mich seinetwegen jetzt auch noch mit Crazy befassen.

Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich niemals Kontakt zu dem Erzeuger gesucht. Ich wäre noch mit Marcel zusammen und hätte keinerlei Probleme. Alles wäre phantastisch. Dieser blöde Penner taucht auf, macht mal eben mein Leben kaputt, fickt sich fröhlich durch die gesamte schwule Emo-Szene und findet sich auch noch wahnsinnig toll dabei. Wenn Crazy wüsste, dass sein Azubi mich behandelt wie einen verdammten Putzlappen, würde er ihm sicher in den Arsch treten. Crazy sieht einigermaßen muskulös aus, also kann er vermutlich  sehr gut Ärsche treten und Leute vermöbeln. Vielleicht würde er ihn sogar rausschmeißen. Da könnte Dante dann aber mal schön sehen, wo er bleibt und seine Mutter wieder um Geld anbetteln. Allerdings … vielleicht würde Crazy auch mir in den Arsch treten, weil sein Sohn eine Schwuchtel ist. Dass er mich rächen und beschützen würde, halte ich für ausgeschlossen. Schließlich hat es ihn jahrelang bloß mäßig bis kaum interessiert, ob sein Sohn versorgt ist oder in der Gosse lebt. Das ist auch eine Sache, die ich, selbst mit viel Phantasie, nicht begreife. Wie kann man ein Kind in die Welt setzen, sich vom Acker machen und später EINEN blöden Brief schreiben, der als Universalerklärung dienen soll? Wenn er kein Kind wollte, hätte er ja wohl Vorkehrungen treffen können, oder? Mom war sicher nicht so drauf, dass sie heimlich die Pille abgesetzt hat. Und es gab vor neunzehn Jahren bestimmt schon Kondome zu kaufen.

Was mich echt fertig macht, ist der Umstand, dass der Erzeuger glücklich und zufrieden wirkt mit seinem schönen Haus, seiner Frau und … dem fast fertigen Kind. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er Lola und den Halbbruder oder die Halbschwester verlassen wird. Wieso konnte er sich nicht über mich freuen? Klar, er war noch sehr jung, aber … man geht nicht einfach weg und scheißt auf Verantwortung übernehmen. Dass er wenigstens später, als er Geld verdiente, für mich gezahlt hat, war ja wohl das Mindeste. Aber der Typ hat EINEN EINZIGEN lausigen Versuch unternommen, mich kennenzulernen. Wäre ich ihm ansatzweise wichtig, hätte er es hundertmal versucht, oder? Außerdem … wie beschissen ist es denn bitte, so eine Entscheidung auf einen knapp Fünfzehnjährigen abzuwälzen, der total durch den Wind und deshalb gar nicht in der Lage ist, vernünftig darüber nachzudenken? Für mich war Crazy doch überhaupt nicht real, er existierte lediglich auf zwei Karten pro Jahr. Plötzlich sollte ich nach London fahren und einen Menschen treffen, von dem ich grad mal die Handschrift kannte und der mich sowieso nie gewollt hatte. Damit wäre jeder überfordert gewesen. Und wenn er mich nicht gewollt hat, wieso zum Teufel hat er sich dann nicht komplett aus meinem Leben verpisst, hä? Das wäre für mich einfacher gewesen, als zweimal im Jahr dran erinnert zu werden, dass ich einen Vater habe, der eigentlich kein Interesse an mir hat.

Marcel sagt, dass ich all die Fragen, die ich seit Jahren mit mir herumschleppe, Crazy stellen soll. Und dann … entweder einen Schlussstrich ziehen oder mich ihm annähern.

Ungefähr das Gleiche sagt Leo, als ich mit ihm in der Küche sitze und lustlos Gemüse klein schnipsle.

„Nur mit anderen Leuten darüber zu reden bringt dir keine Antworten. Du drehst dich im Kreis, Eli.“

„Ich weiß überhaupt nicht, ob ich seine Antworten hören will.“

„Na ja, dass du ihn besucht hast, zeigt …“

„Mann, ich war doch nicht seinetwegen da“, erkläre ich und hacke aggressiv auf der Paprika herum.

„Wow …“, Leo greift sanft nach dem Messer in meiner Hand, „wir wollen Salat, kein Gemüse-Massaker. Ich nehme an, es geht um den jungen Mann mit den bunten Haaren?“

„Dante Fickfrosch Engels“, bestätige ich. „Übrigens möchte ich über den jetzt ganz bestimmt nicht reden, weil mir das noch weniger bringt.“

„Leider wahr. Bei Liebeskummer hilft nun mal nichts. Ich hab’s immer gehasst, wenn klugscheißende Blödmänner mit Sprüchen ankamen, wie … das geht vorbei, das machen alle mal durch, andere Mütter haben auch schöne Töchter … zum Kotzen.“

„Ja“, grinse ich schief, „besonders die schönen Töchter.“

„Okay, du weißt, was ich meine“, lächelt er.

„Danke, dass du mich mit blöden Sprüchen verschonst.“

„Das Idiotische ist … in Wirklichkeit stimmen sie fast alle, auch wenn sie in der Situation ziemlich für’n Arsch sind.“


Es muss was passieren. Ich stehe dermaßen unter Strom, dass ich morgens beim Aufwachen merke, wie heftig meine Zähne aufeinandergepresst sind. Das kann nicht gesund sein. Wohliges Entspanntsein fühlt sich anders an. Dazu kommt noch, dass ich bei jeder Kleinigkeit völlig übertrieben ausflippe und Leute anbrülle, die gar nichts dafür können. Wenn das so weiter geht, fange ich wohlmöglich noch an, irgendwelche Leute, die mich nerven, zusammenzuschlagen. Dabei bin ich echt kein gewalttätiger Mensch. Obwohl … für Dante würde ich gerne eine Ausnahme machen. Der braucht es mit Sicherheit, mal gehörig die Fresse voll zu kriegen. Und ich meine das jetzt nicht in Bezug auf seine abartige Sperma-Besessenheit! Am liebsten würde ich all seinen Fuckbook-Emoboy-Groupies davon erzählen, aber ich befürchte, die würden auf derartige Ekelhaftigkeiten auch noch abfahren wie Hulle. Typen, die sich selbst Sluttysoundso nennen, auf jeden Fall. Typen, die ihm schreiben, dass sie grad „fucking horny“ sind und es besorgt haben wollen, sowieso. Den anderen würde es vermutlich nichts ausmachen … wie es mir nichts ausgemacht hat. Es ist doch so: Wenn man in jemanden verliebt ist, dann ist dieser Jemand perfekt und es gibt nichts, was einem irgendwie uncool oder so vorkommt! Mal ehrlich … Dante, der gierig wie ein nach Luft schnappender Fisch nach meinem Schwanz schnappt und darauf lauert, dass ich abspritze … das sieht in echt verdammt uncool aus. Und wirklich geil fand ich’s auch eher weniger.

An schönen Oberarmen zu lecken ist wenigstens was Ausgefallenes, das man im Gegensatz zu Dantes Vorliebe nicht in jedem x-beliebigen Pornofilm zu sehen kriegt. Da werden hauptsächlich Ärsche geleckt, was für mich den Gipfel des Lachhaften darstellt. Also wenn ich Pornos kucke, will ich doch, dass das Ganze einen gewissen Zweck erfüllt, oder? Der besteht aber nicht darin, mich fremdzuschämen oder kaputtzulachen, weil’s so bescheuert aussieht, wie ein, im günstigen Fall hübsches, Gesicht zwischen zwei Arschbacken steckt. Mindestens ebenso grandios dämlich und unnütz sind Nahaufnahmen von Löchern, die gestopft werden … man kann es leider, was Pornos betrifft, kaum anders nennen. Mich regen solche Nahaufnahmen nicht mal ansatzweise an, viele Männer offenbar schon. Vielleicht bin ich einfach noch ein bisschen zu klein, um mir Pornos anzuschauen?

Mit ’ich-hasse-die-ganze-Welt-und-laufe-sofort-Amok-wenn-mich-einer-reizt’-Gedanken mache ich mich auf den Weg zu Crazy-Tattoos. Ich habe nicht das kleinste Fitzelchen Ahnung, was mich erwartet … oder was ich erwarte. Aber sollten Dante und Crazy mir quer kommen, garantiere ich für nichts!

Nachdem ich mein Fahrrad draußen abgeschlossen habe, spare ich mir die Entspannungszigarette und marschiere in den verfluchten Laden. Dass ich dabei einen Emo  anremple, der grad raus will, etwas schmerzhaft das Gesicht verzieht und seinen Arm streichelt, interessiert mich einen Scheiß. Dante stiert mich … ich möchte mal sagen … böse an.

„Erstens, pass gefälligst auf, wo du hinläufst, ja? Und zweitens, was willst du hier?“

Fuck! Er sieht umwerfend gut aus. Leuchtend grüne Haare, die Spitzen dunkler. Ein passend buntes Drop-Dead-Shirt dazu, schwarze Hose mit Reißverschlüssen an den Beinen, grüner Gürtel und … die Kette mit dem Tattoomaschinenanhänger.

„Eine Tüte Puffreis kaufen, du kleine Intelligenzbestie“, erkläre ich augenverdrehend.

„Schiebst du wieder irgendwelche Sterne vor, nur um mich zu sehen, mh?“

„Ach, Dante“, lächele ich mitleidig, „ich bin doch nicht deinetwegen hier.“

„Da bin ich aber mal gespannt“, entgegnet er ekelhaft überheblich.

Wie aufs Stichwort erscheint Crazy.

„Hey… Papa.“

„Hallo“, grüßt er überrascht.

Dantes Gesichtsausdruck … unbeschreiblich. Man kann förmlich sehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten beginnt. Hab ich mich verhört? Hat er Papa gesagt? Was hat denn das zu bedeuten? Das kann doch gar nicht sein. Ich hab mich bestimmt verhört. Oder nicht?

„Alles gut gegangen mit dem Arm?“, fragt Crazy.

„Äh … ja“, nickt Dante, immer noch völlig belämmert.

„Und du?“, wendet Crazy sich an mich. „Willst du …“

„Zu dir“, unterbreche ich ihn. „Oder hast du keine Zeit?“

„Engelchen, ich lass dich mal für ’ne Stunde oder so allein, ja? Gianni ist noch mit den Schmettis beschäftigt. Wenn irgendwas Wichtiges ist, ich bin mit Elias oben.“

Schade, ich würde mich soooo gerne noch weiter an seinem blöden Gesichtsausdruck laben.

Allerdings … mir vorzustellen, wie er da alleine hockt und nicht weiß, was los ist, hat auch was.

„Deine Frau nicht da?“

„Lola ist beim Arzt. Ultraschall und so.“

„Aha. Wisst ihr schon …“

„Ein Mädchen“, strahlt er.

„Und … wirst du deiner Tochter auch bloß zweimal im Jahr ’ne Karte schicken?“, frage ich beiläufig.

„Eli, ich weiß, dass ich diesen einen Fehler niemals wieder gutmachen kann.“

„Du meinst den Fehler, dass du Jutta geschwängert hast?“

„Nein, dass ich wie ein Feigling, wie ein egoistischer Scheißkerl weggelaufen bin, anstatt mich um meinen Sohn zu kümmern. Zu sehen wie er aufwächst, ihn abends ins Bett zu bringen, mit ihm …“

„Mir kommen gleich die Tränen.“

„Es tut mir leid, Elias“, behauptet er leise.

„Wenn das tatsächlich so wäre, hättest du mir mehr als einen läppischen Brief geschrieben, oder?“

Er schüttelt den Kopf. „Ich wollte nicht … in dein Leben eindringen und alles durcheinanderbringen, deshalb hab ich mich danach nicht mehr gemeldet. Es war für mich auch nicht leicht, dir zu schreiben.“

„Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Warum hast du so lange gewartet? Warum bist du abgehauen? Weißt du was? Spar dir deine scheiß Entschuldigungen, ich will sie echt nicht hören. Nichts, was du sagst, kann irgendwas ändern“, brülle ich und lasse den einen Versager oben im Wohnzimmer hocken und den anderen unten im Studio. Fickt euch doch alle ins Knie, Arschgeigen!

Wie ein Irrer fahre ich durch die Straßen und kann bald kaum noch was sehen, weil meine Augen zornige Tränen produzieren. Dante und Crazy … da haben sich die zwei richtigen Blödmänner gefunden. Einer ekelhafter als der andere. Warum eröffnen die nicht einen Wir-machen-Eli-fertig-Club? Crazy denkt, mit einer fucking Entschuldigung ist alles getan und ich verzeihe ihm sofort. Und Dante hält sich für total unwiderstehlich. Wenn ich eine Knarre gehabt hätte … ich hätte beide abgeknallt, ohne mit der Wimper zu zucken.

Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, aber irgendwann stehe ich vor Marcels Tür.

„Eli … was ist passiert?“, fragt er besorgt.

„Ich …“ Scheiße, ich glaube, ich hab einen Nervenzusammenbruch. Ich bin nicht in der Lage, etwas zu sagen, weil ich heule und nach Luft japse, aber so richtig funktioniert beides zusammen nicht.

Marcel schleppt mich in sein Zimmer, auf die Couch und hält meinen zitternden Körper fest. Ich klammere mich an ihn, als hinge mein Leben davon ab.

„Ganz ruhig, Eli“, wispert er, „versuch zu atmen … langsam.“

Ich versuche, ihn zu küssen, muss allerdings ständig husten und das Atmen hab ich auch noch nicht wieder gänzlich unter Kontrolle.

Marcel legt seine Hände an meine Wangen und zwingt mich ihn anzusehen. „Du musst dich beruhigen, Elias!“

Das hilft ein wenig.

„Jetzt sag mir, was los ist.“

Ich will nicht reden. Ich will …

„Fick mich“, japse ich und schlinge meine Arme um ihn.

„Eli …“

„Bitte … fick mich einfach“, wiederhole ich verzweifelt und küsse ihn gierig.

Marcel küsst zurück. Für einen Moment, dann schiebt er mich sanft weg und schüttelt den Kopf.

„Sex löst keine Probleme.“

Verdammt, warum muss er immer so scheiß vernünftig sein? Und wie kann ich meinen Exfreund um einen Fick anbetteln … nach allem, was ich ihm angetan habe? Das macht sicher der Nervenzusammenbruch.

„Tut mir leid“, murmle ich bedröppelt. „Ich hätte nicht … aber … ich wusste nicht, wo ich sonst hin sollte.“

„Dein Vater?“

„Ja“, nicke ich und erzähle, was bei Crazy abgelaufen ist. Dante verschweige ich allerdings.

„So viel also zu der-Versager-ist-mir-scheißegal, mh?“, lächelt Marcel und reicht mir eine Packung Taschentücher. „Wahrscheinlich werden noch einige Gespräche und Heulanfälle nötig sein, bis du mit dem Thema wirklich durch bist.“

„Darauf kann ich gut verzichten“, schniefe ich.

„Vielleicht … also wenn du dir professionelle Hilfe …“

„Ich leg mich doch wegen Crazy auf keine Klapsencouch. Soweit kommt’s noch. Ich bin schließlich nicht der Verrückte.“

„Es könnte trotzdem nicht schaden, mit jemandem zu sprechen, der Ahnung hat von solchen Dingen.“

Dante ist an allem Schuld. Immer noch. Das würde ein Seelenklempner auch nicht anders sehen.


Tine ist sauer. Weil ich meinen Exfreund belästige, obwohl ich immer noch in Dante verliebt bin. Marcel würde sich doch wieder Hoffnungen machen, behauptet sie. Na und? Was, wenn ich Marcel zurück haben will? Bei ihm weiß ich wenigstens, dass er mich liebt und ich der Einzige bin. Bei Dante weiß ich, dass er mich nicht liebt und viele Typen fickt. Aber … so leid es mir auch tut, Marcel wäre bloß zweite Wahl und so was hat niemand verdient.

„Es ist nicht das Schlechteste, mal eine Weile allein zu sein“, sagt Tine. „Vielleicht kommt ja irgendwann ein hübscher Kerl des Weges geschlendert, mit dem der Sex gut ist und der dich liebt. Und wenn du wegen Crazy durcheinander bist, komm zu mir, verdammte Scheiße. Stell dir vor, Marcel wäre so bescheuert gewesen, mit dir zu schlafen. Dann wäre das Chaos ja wohl perfekt.“

„In meinem Zustand hätte ich vermutlich jeden gebeten, mich zu ficken“, überlege ich. „Ich hatte einen Nervenzusammenbruch.“

„Deswegen sollst du zu mir kommen. Mich hättest du …“, sie sieht mich skeptisch an, „du hättest mich nicht gefragt, oder?“

„Nein“, stöhne ich genervt, „dich wahrscheinlich nicht.“

„Wahrscheinlich?“

Ich zucke die Schultern. „Keine Ahnung. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch.“

„Ja, doch. Ich hab’s inzwischen verstanden, Drama-Queen.“

„Mir ging’s wirklich schlecht.“

„Hat sich der Spermaschlecker schon gemeldet?“

„Nein.“

„Wird er. Ganz sicher. Lass dich dann auf gar keinen Fall von ihm einlullen, okay? Der Typ ist Abschaum. Wehe, du fickst mit ihm.“

„Tine, er hat den Kontakt abgebrochen.“

„Und hat jetzt einen guten Grund, dich wieder zu sehen. Sag mir nicht, du hättest das nicht eingeplant, als du deinen Erzeuger besucht hast.“

„Ich … hab nicht damit gerechnet, dass es mir was ausmachen würde“, gebe ich zu.

„Er ist halt dein Vater.“

„Leo ist mein Vater.“

„Ja, trotzdem. Ist doch völlig klar, dass dich das emotional mitnimmt.“

„Er hat gestern angerufen.“

„Crazy?“

„Hat gemeint, er würde meine Reaktion total verstehen und wenn ich wollte, ich könnte jederzeit zu ihm kommen.“

„Klingt doch in Ordnung.“

„Du findest es in Ordnung, dass er mal wieder alles mir überlässt? Wieso muss ich meinem Vater ständig hinterherlaufen?“

„Weil er vielleicht auch nicht genau weiß, wie er sich verhalten soll und dich nicht bedrängen will?“, schlägt sie vor.

„Ah, die Standarderklärung. Warum wird von mir erwartet, dass ich super weiß, wie ich mich verhalten soll, während er in seinem fucking Studio hockt und rein gar nichts macht, was mir zeigt, dass ich ihm irgendwie wichtig bin?“

„Immerhin hat er dich angerufen. Ist doch schon ein Schritt nach vorne.“

„Ein bisschen spät, oder? Er ist seit zwei Jahren in der Stadt.“

„Und redet seit tausend Jahren mit deiner Mutter über dich, lässt sich Fotos schicken … so unwichtig kannst du ihm nicht sein.“

„Wahrscheinlich alles bloß Show für seine schwangere Lola“, entgegne ich finster.

„Eli, wovor hast du eigentlich Angst?“

„Hä?“

„Dass du ihn kennenlernst und feststellst, dass er ein netter Kerl ist?“

„Er hat seine Freundin und sein Kind im Stich gelassen. Leute, die so was tun, sind nicht nett.“

„Ja, aber … Leute können sich ändern. Hast du vielleicht Angst … na ja, vor dem, was er feststellen könnte, wenn er dich kennenlernt?“

„Keine Ahnung, was du meinst“, zische ich.

„Leo hatte arge Probleme … und du bist nicht mal sein leiblicher Sohn.“

„Ich bin schwul. Wer damit nicht zurechtkommt, soll sich verpissen.“

„Okay“, seufzt sie, „aber du hast ihm nach drei Sekunden gesagt, dass du fremdgegangen bist … das hübsche Mädchen hingegen hast du nicht aufgeklärt.“

„Dante wird ihn wahrscheinlich inzwischen über meine sexuelle Orientierung in Kenntnis gesetzt haben.“

„Glaub ich nicht“, schüttelt sie den Kopf. „Da wäre zu viel Erklärung fällig und er müsste sich selbst als Pissnelke outen, die dir, Crazys Sohn, das Herz gebrochen hat. Denkst du echt, der Spermaschlecker würde irgendwas tun oder sagen, das ihn vor seinem Wahldaddy schlecht dastehen lässt? Blut ist dicker als Wasser.“

„Perlen vor die Säue.“

„Wie bitte?“

„Ich dachte, du wolltest Wer-kennt-die-blödesten-Sprichwörter spielen.“

„Sonst gerne“, verdreht sie die Augen, „heute geht’s leider nicht. Keine Zeit.“

„Patti?“

„Wenn ich noch bleiben soll …“

„Ist okay.“


„Du hast mich angelogen. Monatelang. Ich fasse es nicht“, schnauzt Dante.

Tja, und so schnell ist ein Kontakt wieder hergestellt. Zugegeben, ein bisschen hatte ich tatsächlich damit gerechnet, dass er auftauchen würde. Wütend latscht er in mein Zimmer, obwohl ich ihn jetzt nicht direkt reingebeten hab.

„Ich erwarte eine Erklärung.“

„Wofür denn?“

Dante sieht aus, als würde er jeden Moment durchdrehen.

„Du weißt genau, wovon ich rede.“

„Falls du Crazy meinst, dann kannst du von mir aus bis zum Sankt Nimmerleintag warten. Es geht dich nämlich einen Dreck an.“

„Du hast mich angelogen“, kriegt er sich überhaupt nicht mehr ein.

„Mann, du wiederholst dich. Richtiger wird es dadurch allerdings nicht.“

„Das ist doch Bullshit“, keift er. „Du hattest ungefähr tausend Gelegenheiten, mir zu sagen …“

„Hast du mich gefragt, ob Crazy mein Vater ist?“, unterbreche ich ihn. „Und hab ich darauf mit Nein geantwortet? Dann hab ich dich auch nicht belogen.“

Haha, der kleine Fickfrosch ist reichlich sprachlos, was ich grad sehr genieße.

„Dante, was willst du eigentlich? Du weißt jetzt, wer mein Vater ist. Wobei mir immer noch nicht klar ist, warum das für dich eine so große Rolle spielt. Liegt es daran, dass dein heißgeliebter Crazy dich offensichtlich nicht ausreichend über seine Vergangenheit informiert hat, obwohl ihr doch so dicke miteinander seid? Das ist nicht mein Problem. Oder ist für dich eine kleine Welt zusammengebrochen, weil dein heißgeliebter Crazy nicht der strahlende Superheld ist, sondern bloß ein Kerl, der Frau und Kind sitzengelassen hat?“

„Vielleicht hat er geahnt, zu was für einer kleinen Pestbeule sich sein Sohn mal entwickeln würde und ist deshalb abgehauen“, entgegnet er.

„Ah, jetzt weiß ich’s. Du bist beleidigt, weil er nicht DEIN Vater ist, mh? Logisch, du würdest ja auch viel besser zu ihm passen.“

„Vielleicht bist du beleidigt, weil er sich mehr für andere Leute interessiert als für seinen eigenen Sohn. Inzwischen kann ich ihn total verstehen.“

„Mach die Tür zu, wenn du gehst.“

Leider bewegt Dante sich keinen Schritt.

„Das war ein Rausschmiss. Brauchst du den schriftlich?“

„Warum hast du’s mir nicht gesagt, Eli? Monatelang hab ich dir von Crazy vorgeschwärmt  und mich drei Minuten später über deinen widerwärtigen Erzeuger aufgeregt. Kannst du dir vorstellen, wie blöd ich mir vorkomme?“

„Sicher nicht mal ansatzweise so blöd, wie ich mir vorkam, als du fast deinen neuen Armlecker gevögelt hast, während ich noch am Telefon war.“

„Was hat’n das damit zu tun?“

„Vergiss es.“

„Okay, es tut mir leid, dass du … so ungünstig angerufen hast. Aber ich hab nie behauptet, dass du der Einzige bist, mit dem ich …“

„Doch, hast du.“

„Dann war es vermutlich zu dem Zeitpunkt so. Trotzdem. Ich hab dir niemals ewige Treue geschworen. Du wusstest, auf wen du dich einlässt.“

„Ja. Auf einen Typen, der alles fickt, was rumläuft.“

„Genau.“

Geil, der ist auch noch stolz drauf. Ich kotze gleich.

„Ich finde, es ist alles gesagt.“

„Ach, und das entscheidest du, ja?“

„Was möchtest du denn noch?“

„Gar nichts“, schnauft er und geht.

Was für eine Knalltüte!

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