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Second serve

Teil 14

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Inhaltsverzeichnis

Fynn: Ein Neubeginn

Diese Turnierreise hatte ein besonderes Finale für Dustin und mich. Nicht nur, dass wir den Titel geholt hatten, nein, auch meine Eltern hatten noch ein besonderes Geschenk. Mein Vater lud ihn zu uns ein. Für ein Wochenende. Das war eine tolle Geste und Dustin schaute sehr ungläubig, als mein Vater uns das offenbarte.

Leider stand für uns in den nächsten Wochen die Bundesligasaison an. Wir sollten mit den erfahrenen Spielern trainieren und ihnen als Trainingspartner zur Verfügung stehen. Mal sehen, was uns da so erwartete.

Da wir in den nächsten Wochen wegen der anstehenden Termine eher nicht nach Hause fahren würden, schlug meine Mama vor, sie könnten auch zu uns nach Halle kommen. Gleichzeitig würden sie dann gerne das Bundesligaspiel besuchen und anschließend am Abend zu uns in die WG kommen. Das hörte sich sehr gut an. Chris war einverstanden und ich sollte das nur mit Martina absprechen. Das hatte ich mir für den morgigen Nachmittag vorgenommen. Heute allerdings freute ich mich auf unser Bett, denn ich war echt müde und ausgelaugt. Auch Dustin freute sich auf die Ruhe zu Hause. Als wir auf dem Parkplatz des Vereins ankamen, hatten wir sehr schnell unsere Taschen genommen und uns von Mama nach Hause bringen lassen. Gerry Weber hatte alle noch zum Essen eingeladen, aber wir wollten unbedingt unsere Taschen wegbringen und uns noch etwas frisch machen.

Der Abend im Sportparkhotel war wunderschön. Herr Weber hatte sich wirklich sehr spendabel gezeigt und sogar alle Familienangehörigen mit eingeladen.

Leider wurde es sehr spät, so dass ich erst nach Mitternacht mit Dustin endlich in unserem Bett lag.

Entsprechend müde war ich am nächsten Morgen. Die Nacht war einfach zu kurz, um sich richtig zu erholen. Beim Frühstück saßen wir mit den anderen gemeinsam am Tisch, Martina ließ sich berichten und freute sich für uns über diesen tollen Erfolg. Natürlich war Carlo der Alleinunterhalter. Ich staunte immer wieder, woher er diese scheinbar unerschöpfliche Energie nahm.

In der Schule wurde es dann wieder interessant. Wir hatten eine Woche Unterricht versäumt und das bereitete mir etwas Kopfschmerzen. Wir waren zwar informiert, was im Unterricht passiert war, aber zum ernsthaften Lernen fehlte uns in Hamburg die Zeit. Dustin und ich trennten uns vor dem Schulgebäude mit einem Kuss.

Mittlerweile störte es niemanden mehr wirklich und das gab uns ein sicheres Gefühl.

Ich betrat kurz vor acht meinen Klassenraum und bevor ich guten Morgen sagen konnte, kam spontaner Applaus auf. Natürlich hatte ich sie über den Verlauf in Hamburg informiert und es war sehr schön zu wissen, dass ich unterstützt wurde.

Ich nahm die Glückwünsche entgegen und Frank kam zu mir:

„Hey, Fynn. Du bist jetzt deutscher Meister und hast auch noch die Legende uns Udo getroffen. Wie cool war das wohl da?“

„Hi, Frank. Das war mega cool. Der Typ ist aber echt nett und gar nicht so freaky, wie er immer wirkt. Aber diese Situation im Atlantic war schon richtig spannend. Was habt ihr hier so getrieben?“

Bevor er antworten konnte, betrat unser Mathelehrer den Raum. Unser Gespräch wurde damit beendet und leider hatte mich der Schulalltag zurück.

Das Thema war für mich glücklicherweise nicht allzu komplex und somit startete ich gut in meinen Schulalltag.

In der Mittagspause hatten sich einige Freunde um Dustin und mich versammelt und wir mussten von dem Trip nach Hamburg berichten. Wir stellten erstaunt fest, dass viele unsere Reise verfolgt hatten. Ich hatte noch nicht bemerkt, dass wir immer mehr Akzeptanz und Anerkennung erfuhren und Dustin mittlerweile als mein Freund dazugehörte.

Auch in den Parallelklassen waren wir sehr gut integriert und es gab so gut wie keine dummen Bemerkungen mehr. Sollte es dennoch mal jemand tun, hatte sich das schnell herumgesprochen und es wurde den Leuten klargemacht, dass das unerwünscht ist.

Ich berichtete noch von der gestrigen Feier und Frank gab dazu seinen Kommentar:

„Dafür siehst du aber noch recht frisch aus. Habt ihr überhaupt was getrunken? Immerhin seid ihr jetzt deutscher Meister.“

„Ja, aber nur ein wenig Sekt. Wir müssen ja fit bleiben. Dennoch merke ich heute jeden Knochen und fühle mich müde.“

Das führte zu Gelächter und Mario stichelte:

„Na, du bist ja auch schon älter. Immerhin bist du ein Jahr älter als wir.“

Dabei grinste er frech und Dustin nutzte dies, um zu kontern:

„Besser alt und müde, als jung und ahnungslos.“

Das führte bei allen, auch bei Mario, zu einem Lachanfall. Es war ein toller Konter und ich musste zugeben, damit hatte mich mein Freund überrascht. So schlagfertig war er nicht oft.

Als ich zwei Stunden später nach Hause kam, war Martina bereits mit dem Essen fertig und Dustin erwartete mich im Flur. Er gab mir einen schnellen Kuss zur Begrüßung. Wir gingen nach draußen auf die Terrasse, wo der Tisch bereits gedeckt war und wir in Ruhe essen konnten.

„Wo sind denn die anderen heute?“, fragte ich.

Martina klärte uns auf:

„Tim und Carlo sind zu Carlos Eltern gefahren. Ihr habt ja heute trainingsfrei und Carlo hat Tim eingeladen.“

Das ist ja interessant, dachte ich. Für einen Tag fahren die dahin, sonst war es Carlo immer zu weit. Naja, eigentlich war es schön, dass sie das jetzt machten. Für uns hatte das den Vorteil, wir hatten das Appartement für uns. Maxi war zu seinen Eltern gefahren und wir hatten endlich mal unsere Ruhe.

Dustins Onkel hatte sich auch gemeldet und uns zu dem Erfolg gratuliert. Er wollte auf jeden Fall zu einem Bundesligaspiel kommen und uns dabei das Wochenende besuchen.

Frank hatten wir sehr viel zu verdanken und das musste ich ihm auch noch irgendwie einmal zeigen. Ich hatte auch schon eine Idee. Darüber musste ich aber noch mit Chris sprechen, denn dafür brauchte ich seine Hilfe.

Dustin und ich gingen nach dem Essen in unser kleines Appartement, denn wir hatten leider einiges an Schulsachen nachzuholen. Entsprechend fleißig machten wir uns an die Arbeit.

Am Mittwoch stand für Dustin eine wichtige Englischarbeit an und dafür musste er noch einiges tun. Englisch fiel ihm glücklicherweise nicht mehr ganz so schwer. Diese Sprache war einfach sehr wichtig im Tennis. Überall auf der Welt wurde auf den Turnieren Englisch gesprochen. Da mussten wir doch schon fit sein, sollten wir irgendwann einmal auch im Ausland mehr unterwegs sein.

„Schatz, ich muss feststellen, dass eine Woche nicht in der Schule sein mit sehr viel Arbeit verbunden ist.“

„Ja, das stimmt. Allerdings haben wir dadurch auch Chancen, andere Städte zu sehen und unser Tennis spielen zu können. Das ist ein Privileg.“

Dustin schaute von seinem Schreibtisch hoch zu mir. Ich hatte mittlerweile meine Arme um ihn gelegt und das Bedürfnis, ihm einen Kuss zu geben.

„Hmm, darauf habe ich heute schon viel zu lange gewartet.“ Dustin grinste danach.

„Du kannst gern mehr davon haben, aber erst nach den Schulaufgaben. Heute haben wir Zeit zum Lernen. Morgen ist ja schon wieder Training.“

„Das hört sich ja so an, als ob du keine Lust zum Training hättest.“

„Das täuscht, aber ich finde es auch anstrengender, beides machen zu müssen.“

„Ok, dann lass uns jetzt richtig reinhauen und danach etwas für uns machen.“

Dabei legte er ein ganz bestimmtes Lächeln auf und ein Leuchten war in seinen Augen zu sehen. Dustin wurde in den letzten Wochen immer selbstbewusster, auch in unserer Beziehung. Er sagte mir immer häufiger, wenn er etwas wollte oder einen Wunsch hatte. Jetzt wusste ich, worauf er im Anschluss Lust hatte. Lust im wahrsten Sinne des Wortes.

Zwei Stunden später war eine Dusche fällig. Irgendwie sind Turnierreisen hinderlich, um die Zweisamkeit nutzen zu können. Wir hatten deutlichen Nachholbedarf.

Am Abend hatten wir uns mit einigen Freunden verabredet. Heute war frei und das wollten wir natürlich auch nutzen. Martina hatten wir informiert, dass wir erst später nach Hause kommen würden. Außerdem hatte ich sie gefragt, ob das in Ordnung sei, dass meine Familie uns hier besuchen würde. Sie freute sich für uns und hatte uns zugesagt, dass sie uns unterstützen würde. Wir sollten nur rechtzeitig das Datum mit ihr absprechen.

Es gab in Halle ein kleines Café. Dort trafen sich viele Schüler und spielten Billard oder saßen draußen im Biergarten. Unsere Clique hatte sich heute zum Billard verabredet und wir waren acht Leute und hatten uns zwei Tische reservieren lassen.

Wir spielten nicht gut, aber hatten sehr viel Spaß dabei. Endlich einmal wieder nur entspannen und nicht ständig an Tennis denken müssen. Für unsere Freunde waren wir immer viel zu oft weg. Das sagten sie uns auch. Gerade bei solchen Gelegenheiten wurde uns deutlich, dass es zwei Seiten gab. Freundschaften zu pflegen, war schwierig für uns. Wir waren bereits sehr oft unterwegs oder eben auf dem Trainingsplatz.

Umso mehr konnte ich diese wenigen Momente genießen. Wir hatten sehr viel Spaß und auch Dustin wurde immer offener in unserer Gruppe. Obwohl er ja der jüngste war, wurde er von allen so akzeptiert, wie er war. Auch unsere Beziehung wurde einfach als normal akzeptiert. Es war toll, solche Freunde zu haben. Früher hatte ich so eine Clique nicht. Auch für Dustin war das eine völlig neue Erfahrung, die ihm aber sehr viel Selbstvertrauen gab. Er lachte häufiger und war nur noch sehr selten ein stiller Mitläufer.

Das war auch ein Verdienst von Chris. Er hatte Dustin immer wieder angespornt, sich nicht mehr zu verstecken. Er hat uns diese Sicherheit gegeben. Heute wurde es mir wieder ganz deutlich, als uns eine Gruppe rechter Idioten anmachen wollte.

Innerhalb weniger Minuten war Dustin zum Personal des Cafés gegangen und hatte um Unterstützung gebeten. Auch unsere Freunde waren für uns da. Es dauerte nicht lange und wir hatten wieder unsere Ruhe, denn diese Vollidioten wurden einfach hinausgeworfen und bekamen Hausverbot.

„Warum man so sein kann, muss ich nicht verstehen.“ Frank sagte das zu mir.

„Ja, es gibt nur leider viel zu viele von diesen geistigen U-Booten. Da hilft nur, geschlossen dagegen vorzugehen. Danke, dass ihr uns geholfen habt.“

„Na hör mal. Das war doch wohl das mindeste. Eigentlich müsste man diesen Chaoten eins überbraten, aber sie sind so hohl in der Birne, dass sie das nicht mal merken würden.“

„Außerdem würden wir uns doch auf ihr Niveau herablassen. Nein, danke. Das tue ich mir nicht an.“

Ich musste zweimal hinschauen, aber das war Dustin, der das gesagt hatte. Frank grinste und klatschte spontan Beifall. Ich zeigte meinem Freund den Daumen hoch und gab ihm vor Begeisterung einen innigen Kuss. Das führte zu lautem Gelächter und Jubel in unserer Gruppe.

„Leute, stellt euch mal vor die beiden würden Paris im Doppel gewinnen. Das wäre eine geile Story.“

Jetzt wurde es etwas wilder, denn die anderen fingen an, sich dazu die tollsten Dinge auszudenken, aber es war sehr lustig.

Etwa zwei Stunden später waren Dustin und ich auf dem Heimweg und plötzlich fragte mich Dustin:

„Glaubst du eigentlich daran, dass wir mal ein großes Turnier gewinnen?“

Ich schaute ihm in die Augen und ich wusste sofort, er hatte diese Frage ernst gemeint.

„Ich weiß es nicht. Es ist mir aber auch nicht wichtig. Ich finde es einfach nur toll, dass wir momentan die Chance bekommen, unter optimalen Bedingungen trainieren zu können. Was dabei herauskommt, wissen wir erst in zwei oder drei Jahren.“

Dustin begann zu lächeln und antwortete mir:

„Du hörst dich schon genauso an wie Chris. Aber wie immer hat Chris recht. Ich stimme dir zu. Es ist eigentlich egal, ob wir ein großes Turnier gewinnen.“

Der Abend war leider zu Ende und Dustin legte seinen Arm um mich und so gingen wir gemeinsam nach Hause.

Chris: Wie sieht die Zukunft aus?

Den Montag ohne Tennis konnte ich nutzen, um für mich einige Dinge zu klären und Besorgungen zu machen. Im Büro war natürlich viel Arbeit liegen geblieben und mir wurde immer deutlicher, dass ich diesen zeitlichen Aufwand im Break Point Team nicht mehr lange mit meinem Beruf vereinbaren konnte.

Den Montagabend hatte ich mir genommen, um mit Pedro eine Partie Dart zu spielen. Pedro war mittlerweile einer meiner besten Freunde geworden. Obwohl er mit 26 mein Sohn sein könnte, hatten wir eine sehr tiefe von Vertrauen getragene Freundschaft aufgebaut. Kennengelernt hatte ich seine Familie als er 13 war und zu mir ins Training kam.

Dort fiel er mir auf, weil er so gut wie kein Wort sprach und ich jede Information mühsam aus ihm herauslocken musste. In vielen Gesprächen wurde es für mich immer deutlicher, dass er etwas Besonderes an sich hatte. Ich wusste nur nicht was. Erst, als sein Vater irgendwann einmal zum Tennisplatz kam, um ihn abzuholen, wurde es klar. Pedro beherrschte die Gebärdensprache, weil seine Eltern beide taubstumm waren. Das war für mich die Information, die mir gefehlt hatte.

Die nächsten Jahre wurden sehr spannend und phasenweise dramatisch. Jedenfalls hatten wir diese schwierige Zeit gemeinsam gelöst und bis heute hatte ich auch zu seinen Eltern einen sehr guten Kontakt. Pedro hatte sich während seines Studiums im IT Bereich mit einer kleinen Firma selbstständig gemacht.

Heute war unser Verhältnis absolut gleichberechtigt und wir tauschten uns immer intensiv aus. Pedro war der erste meiner Freunde, dem ich erzählt hatte, dass ich schwul bin. Die Gedanken daran waren heute immer noch ein sehr emotionaler Moment für mich.

Nach unserem Dartspiel schlug er vor, noch ein wenig durch die Stadt zu bummeln und in ein Café zu gehen. Dort saßen wir nun und hatten uns natürlich eine Fassbrause bestellt.

Es wurde ein Gespräch mit vertauschten Rollen, sonst hatte ich immer die Ratschläge für ihn parat, aber dieses Mal machte mir Pedro sehr deutlich klar, dass ich weniger gleichzeitig machen müsste. Er kannte meine Schwäche sehr genau, nämlich nicht nein sagen zu können. Ich wollte es immer allen recht machen. Nach einem sehr persönlichen und guten Gespräch war für mich klar, ich musste für mich endlich eine Entscheidung treffen und zwar noch vor Mittwoch. Bis dahin musste ich für mich geklärt haben, ob ich in Halle komplett einsteigen wollte, oder die Verantwortung für Dustin, Fynn und Maxi in andere Hände legen sollte. Beides, also meinen Beruf als Therapeut und den als Chefcoach für die drei Jungs ging einfach nicht mehr unter einen Hut zu bringen. Pedro war der Meinung, ich sollte mich für das Neue entscheiden und in Halle das Projekt fortführen. Er hatte es auch schlüssig begründet. Ich musste darüber noch einmal eine Nacht schlafen und so verabschiedeten wir uns gegen Mitternacht.

Der Dienstag verlief ruhig und ich hatte auch das Training sehr ruhig angesetzt. Die Jungs sollten sich etwas erholen und somit war mehr in der Physio und weniger auf dem Platz zu tun. Daher konnte ich am Abend selbst noch ein paar Bälle spielen. Es war wirklich interessant zu spüren, wie ich mit jeder weiteren Stunde auf dem Platz mehr Spaß hatte. Mein Körper schien es gut zu verkraften und das war für mich das Wichtigste überhaupt.

Thorsten freute sich ebenfalls, denn so war er quasi gezwungen, häufiger mal selbst auch ein paar Bälle zu schlagen. Nach dem Spiel hatten wir noch kurz über das Planungsgespräch am morgigen Mittwoch gesprochen. Thorsten spürte sofort meine Anspannung und konnte das nicht ganz nachvollziehen.

„Warum zerbrichst du dir so den Kopf darüber? Eigentlich muss dir doch klar sein, dass Jan dich als verantwortlichen Coach für die drei Jungs haben möchte. Du hast neulich selbst gesagt, dass dir eine Veränderung der Situation gut tun würde. Also entspann dich und hör dir doch zuerst einmal an, was genau unsere Ideen sind. Du hast hier schon so viel bewegt und das Team bereichert. Also komm mal runter. Dein Bruder ist nicht mehr der fiese große Bruder aus der Vergangenheit. Und du solltest ihm auch eine Chance geben und nicht immer gleich das Schlimmste annehmen.“

„Das sagst du so einfach. Aber ich werde mich bemühen. Danke für den Hinweis. Also dann bis morgen um 14 Uhr. Wer wird in der Zeit das Training machen?“

„Morgen sind deine Jungs bei Toto untergebracht und gehen dann zur Physio. Also alles kein Problem für dich, wenn es länger dauern sollte.“

Damit verabschiedete ich mich von Thorsten und stieg in mein Auto.

Die Nacht wurde sehr unruhig. Ich konnte einfach nicht richtig durchschlafen und wurde immer wieder wach. Es gingen viele wirre Gedanken durch meinen Kopf.

Obwohl ich mich im Prinzip schon entschieden hatte, fühlte ich mich nicht sonderlich gut. In der Beratungsstelle hatte ich morgens noch ein kurzes Gespräch mit meinem Chef. Dort ging es aber noch nicht um meine Entscheidung, wie es bei mir weitergehen würde. Wir sprachen über den neuen Kollegen und ob ich zufrieden mit seiner Arbeit wäre. Ich war wirklich sehr zufrieden und somit würde es auch dort eine vernünftige Fortsetzung geben, sollte ich mich tatsächlich für die Aufgabe in Halle entscheiden.

Je näher ich Halle kam, desto mulmiger wurde mein Gefühl. Aber warum eigentlich? Ich hatte bislang gute Erfolge vorzuweisen und es machte mir großen Spaß, den Jungs in ihrer Entwicklung beizustehen. Präsent bei mir waren aber immer noch die schlechten Erinnerungen an meine Jugendzeit. Damals hatte mich Jan oft sehr übel behandelt und mir böse mitgespielt. Obwohl ich wusste, dass es heute anders war, konnte ich diese Dinge nicht ausblenden.

Als ich in Halle den Motor abstellte, nahm ich den Laptop und schaute mir meine Aufzeichnungen von allen bisherigen Turnieren noch einmal an. War alles korrekt und vollständig? Konnte ich damit einen guten Bericht von Hamburg abgeben? Ja, das sah gut aus und ich fuhr den Laptop wieder herunter und öffnete die Autotür.

Ein Schwall schwülwarmer Luft kam mir entgegen und ich war heilfroh, heute nicht spielen zu müssen. Es waren auch für den späteren Nachmittag Gewitter angesagt.

Auf dem Weg zum Clubhaus wurde ich von Tim und Carlo entdeckt. Sie kamen sofort zu mir gelaufen und begrüßten mich mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Hi Chris, wir dachten, du bist heute nicht da. Wir sollen bei Toto trainieren, so wurde uns gesagt. Aber du bist ja Gott sei Dank doch da.“

„Hi, ihr beiden. Warum Gott sei Dank? Mögt ihr Christopher nicht?“

„Jedenfalls macht es bei dir mehr Spaß. Also haben wir jetzt doch bei dir Training?“

Ich schüttelte den Kopf und erwiderte:

„Nein, wir haben heute eine größere Besprechung mit dem Team. Ich bin heute tatsächlich nicht auf dem Trainingsplatz. Morgen aber wieder normal. Ihr werdet also einen Tag mit Toto trainieren müssen. Das wird schon nicht so schlimm werden.“

Die beiden waren sogar etwas enttäuscht, aber sie konnten nachvollziehen, dass diese Besprechung wichtig war. Jan hatte eben nicht viel Zeit und wir mussten die Termine so legen, dass er auch konnte.

Als ich den Besprechungsraum betrat, musste ich doch ein wenig schlucken. Es waren bereits fast alle da. Thorsten, Thomas, Burghard und auch Christian, der Teammanager vom Breakpoint Team. Er war für die Einstellungen und Finanzen zuständig. In dem Moment wo ich „Hallo“ sagte, ging die Tür erneut auf und Jan betrat gut gelaunt den Raum.

Von ihm kam ein sehr freundliches: „Hi Chris, schön dass du schon da bist.“

Dabei gab er mir sogar eine kleine Umarmung. Das kannte ich nun noch gar nicht von meinem Bruder. Er begrüßte die anderen genauso herzlich und er bat mich, neben ihm Platz zu nehmen. Auch das war außergewöhnlich. So langsam wurde ich immer nervöser. Jan bemerkte dies und stand noch einmal auf und verließ den Raum. Alle anderen hatten mittlerweile Platz genommen und entsprechend aufmerksam wurde ich beobachtet.

Als Jan zurückkam, fingen alle an laut zu lachen. Jan stellte mir eine große Flasche Fassbrause auf den Tisch und sagte:

„Hier, damit deine Nerven zur Ruhe kommen. Das hilft dir bestimmt.“

Jetzt musste ich auch lachen und es tat mir gut. Jan hatte mit dieser lustigen Geste bewirkt, dass ich mich etwas freier fühlte. Ich nahm die Flasche und trank einen großen Schluck.

„Ich glaube, du holst besser noch etwas Nachschub. So wie dein Bruder angesetzt hat, ist er sehr durstig.“

Wieder fingen alle an zu lachen. Der Spruch kam von Thorsten und ich konterte:

„Ja, bei Fassbrause verstehe ich keinen Spaß mehr. Sie ist einfach zu lecker.“

Jan lächelte und bat alle Platz zu nehmen. Er eröffnete unsere Besprechung.

„Nachdem alle anwesend sind und ich anschließend wieder zum Flughafen muss, möchte ich direkt zum ersten Tagesordnungspunkt kommen. Unsere Jungs haben die deutschen Mannschaftsmeisterschaften in Hamburg gewonnen. Das ist ein weiterer toller Erfolg, der das Resultat unserer neuen Trainereinteilung ist. Thorsten hat mir berichtet, dass Max, Dustin und Fynn sich sehr viel schneller entwickeln, als wir geplant hatten. Wir, insbesondere Thomas und ich sind übereingekommen, dass wir die Planungen überarbeiten und anpassen müssen.“

Jetzt machte er eine kleine Pause und Thomas stand auf, ging zur Leinwand und stellte den Beamer an. Dort wurden die letzten Wochen abgebildet. Die Trainingswerte, die Ergebnisse und alle anderen wichtigen Informationen, inklusive der Planungen für die nächsten Wochen.

Thomas erklärte noch einmal kurz die letzten Planungen und dann stand Jan auf. Er ging zur Leinwand und sagte:

„Ich möchte Chris nun bitten, seinen Bericht aus Hamburg abzugeben. Dann werden wir seine Daten mit diesen Daten vergleichen. Ich bin mir sehr sicher, dass seine Daten bereits deutlich besser aussehen werden.“

Ich klappte meinen Laptop auf und aktivierte meine Dateien. Dann ging ich zur Leinwand und erklärte meine Datensätze. Es war in der Tat eindeutig. Die Jungs hatten eine viel bessere Fitness und deutlich gesteigerte Kraftwerte. Die Ergebnisse auf dem Platz sprachen eh für sich. Als ich fertig war, schauten mich alle an. So, als ob ich ein Außerirdischer wäre.

„Ist irgendwas? Hab ich was Falsches gesagt?“, fragte ich deshalb verunsichert.

„Nein“, sagte Jan, „keine Sorge. Du hast einen tollen Bericht abgegeben. Wir staunen über die Werte und die Leistungsbereitschaft. Seit die drei bei dir trainieren, haben alle eine Leistungsexplosion an den Tag gelegt. Sogar Maxi trainiert jetzt freiwillig an seiner Fitness und Ausdauer. Die Turnierpläne, die wir erstellt haben, sind hinfällig. Wir müssen das anpassen. Ich habe eine Idee, aber ich möchte zuerst eure, insbesondere Chris Meinung dazu hören.“

„Eigentlich ist das ganz einfach“, begann ich. „Wenn wir die Jungs weiter angemessen nach vorne bringen wollen, müssen sie jetzt auf Herrenturniere in der Future oder Challenger Kategorie. Es wird für sie keine Herausforderung mehr sein, auf der Juniorenebene zu spielen.“

Jan blickte nach meiner Erklärung in die Runde und ich konnte nur Kopfnicken bei allen feststellen. Thomas fragte:

„Aber sie stehen der Bundesliga noch zur Verfügung? Oder sollen sie direkt auf die Reise gehen?“

„Natürlich stehen sie der Bundesligamannschaft voll zu Verfügung. Das wird sie sicherlich noch etwas überfordern, aber sie können dort sehr gut mit absoluten Topleuten trainieren und Matchhärte bekommen.“

„Wann hast du denn vor, sie auf die große Tour zu schicken?“, fragte Thorsten.

„Ganz einfach, nach der Bundesliga. Dann geht es auf die Hartplatzsaison. Chris soll sie hier in der Base darauf vorbereiten. Wir haben hier alle Arten von Plätzen. Thorsten, du arbeitest bitte mit Chris gemeinsam einen Tourplan aus. Chris regelt das bitte mit den Eltern und erklärt den Jungs, was sich ändern wird.“

„Und wer soll sie auf dieser Tour begleiten und trainieren?“, fragte ich.

Jan schaute mich völlig überrascht an.

„Du natürlich. Wer sonst? Es gibt keinen, der besser mit den Dreien arbeiten kann. Glaubst du im Ernst, die Jungs würden jetzt einen anderen Trainer akzeptieren? Ich möchte es klar und deutlich sagen: Du machst einen tollen Job hier und hast schon viel mehr erreicht, als wir erwartet hatten. Vielleicht schafft es einer der drei ja auch auf die Profitour. Wer weiß? Allerdings weiß ich ganz sicher, wenn ein Coach das jetzt richtig kann, dann du. Also, was ist? Hast du Lust, das zu machen? Wir würden dir einen unbefristeten Vertrag geben, damit du Planungssicherheit hast. Also die gleichen Konditionen wie Burghard und Thomas. Zusätzlich möchte ich dich als Mentalcoach einsetzen, auch auf der Profitour mit Gilles. Was du noch nicht weißt, Gilles hat sich sehr lobend über dich geäußert. Ich glaube, dass du auch ihm ein wenig weiterhelfen kannst.“

Hatte ich mich gerade verhört? Mein Bruder hatte mir einen unbefristeten Vertrag angeboten. Das war für mich dann doch viel mehr, als ich erwartet hatte. Thorsten grinste schon und fing an zu lachen.

„Wie gut, dass du gerade dein Gesicht nicht sehen konntest. Nein, Spaß. Ich finde es nur konsequent, dich damit zu beauftragen. Es gibt wirklich keinen besseren. Allein wie du Maxi Disziplin beigebracht hast. Das hat vor dir niemand geschafft. Dafür bewundere ich dich, ehrlich. Ich hatte nämlich bei Maxi schon fast aufgeben wollen. Außerdem bist du für Dustin und Fynn eine ganz wichtige Bezugsperson. Das können wir auf gar keinen Fall jetzt auseinanderbringen. Ich würde mich sehr freuen, dich endgültig als Teammitglied zu begrüßen.“

Ich musste für eine Sekunde meine Gedanken sortieren, aber mein Herz hüpfte gerade vor Freude durch die Gegend. Es war deutlich mehr, als ich erwartet hatte und das bestärkte meine Entscheidung noch mehr.

„Ja, ich würde das gerne machen, wenn die Jungs und deren Eltern damit einverstanden sind. Ich habe bereits mit meinem Chef gesprochen. Er ist nicht glücklich, falls ich tatsächlich aufhöre, aber er kann es verstehen. Und wenn ihr auch mit mir arbeiten wollt, dann sage ich heute sofort zu. Das wird sicher eine Herausforderung, aber die Jungs haben sich das verdient. Und ich würde gern auch etwas zu Maxi und seiner Veränderung sagen.“

Jan hatte sich mittlerweile wieder gesetzt und Christian hatte einen großen Din A 4 Umschlag auf den Tisch gelegt. Thorsten fragte mich:

„Möchtest du sofort zu Maxi etwas sagen oder sollen wir zuerst über die genauen Vorstellungen sprechen?“

„Äh, welche Vorstellungen? Eure? Also was ihr von mir erwartet?“

„Nein, natürlich erzählst du uns, was du von diesem Auftrag erwartest und was du für die Jungs als Ziel ausgeben möchtest.“

Das kam von meinem Bruder. Ich war völlig geplättet.

„Dann möchte ich doch lieber zuerst über Maxi etwas berichten.“

Ich schilderte ihnen meine Beobachtungen und die für mich daraus folgenden Schlüsse. Dass er sich endlich von seinem dominanten Vater lösen konnte und sich mit mir eine Lösung aller Dinge erarbeitet hatte, seinen eigenen Weg zu finden und zu spüren, dass er sehr wohl gute Ideen hatte und diese nur umsetzen musste. Dass er inzwischen gelernt hatte, nur für sich Verantwortung zu tragen. Auch das hatte zu einer deutlich verbesserten Konzentration geführt. Es dauerte einige Minuten, bis ich mit meinen Auswertungen und Erklärungen fertig war. Zum Ende hatte ich noch die Entwicklung in der deutschen Rangliste anhand eines Schaubildes deutlich gemacht.

Ich nahm wieder auf meinem Stuhl Platz und Christian war sprachlos. Selbst Thomas schien beeindruckt und nickte anerkennend mit dem Kopf. Mein Bruder holte tief Luft und sagte:

„Du hast gerade eine sehr gute Spieleranalyse abgegeben. Und das, obwohl du keine professionelle Trainerausbildung hast. Sehr beeindruckend. Es bestätigt nur das, was mir alle bislang von dir erzählt haben. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit dir und ich möchte dir sagen, dass ich dir viel zutraue. Wenn einer diese drei Talente nach vorn bringen kann, dann du. Und das meine ich sehr ernst. Willkommen in unserem Team als fester Mitarbeiter. - Ich kann leider nicht länger hier sein, weil mein Flieger in einer Stunde geht, aber ich melde mich bei dir. Thorsten hat mir bestätigt, wie gern er mit dir arbeitet. Also ihr arbeitet bitte einen Turnierplan aus und dann schickt ihr mir den bitte.“

Jan stand von seinem Platz auf, ging aber nicht zur Tür sondern wandte sich mir zu, umarmte mich und sagte:

„Ich freue mich wirklich auf deine weitere Unterstützung und dass wir wieder so gut miteinander umgehen können. Danke, dass du mir eine Chance gibst, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ich melde mich bei dir.“

Damit verließ er unsere Besprechung und ließ mich ziemlich verwirrt zurück. War das wirklich mein Bruder oder ein Doppelgänger?

Um frische Luft zu tanken, wollte ich für einen Augenblick nach draußen gehen, aber Christian sagte:

„Hey, du kannst nicht einfach gehen. Ich habe hier noch den neuen Arbeitsvertrag. Steck den bitte ein, lies ihn dir sorgfältig durch und bring ihn mir bitte unterschrieben wieder mit. Herzlich willkommen im Team als fester Mitarbeiter. Ich freu mich drauf, dass du weiterhin bei uns bist.“

<Farbe code="#ff0000">Thomas kam mit mir nach draußen, nachdem ich den Vertrag in meine Tasche gelegt hatte.</Farbe>

„Bevor wir gleich noch über die Bundesliga sprechen werden, habe ich noch eine Frage. Was ist wirklich mit Marek in Hamburg passiert? Thorsten wollte mir dazu nicht viel sagen, aber wenn du ihn nach Hause geschickt hast, dann wird schon etwas vorgefallen sein. Immerhin ist er die Nummer eins im Team. Hat er sich volllaufen lassen oder was war los?“

„Nein, er hat gesagt, dass er mit einer Schwuchtel nicht zusammen spielen möchte. Daraufhin habe ich ihn direkt nach Hause geschickt. Außerdem ist er die ganze Zeit immer nur auf seinen eigenen Vorteil aus. Er macht gar nichts für das Team. Mit ihm kann und will ich nicht mehr zusammen arbeiten. Es ist mir egal wie gut er spielen kann. Er kann sich nicht benehmen.“

Mir schwoll direkt wieder der Hals an, als ich Thomas davon berichtete. Meine Wut war immer noch nicht verflogen und am liebsten hätte ich Marek ganz rausgeworfen.

„Das ist echt ganz harter Tobak. Damit hat er seine eigene Mannschaft beleidigt. Ich bin entsetzt. Hm, ich denke, damit sind wir noch nicht durch. Hat Thorsten dazu schon was gesagt?“

„Ja, hat er. Er wollte mit Marek sprechen und das klären. Er hat damit nicht nur seine Mannschaft beleidigt, sondern auch mich. Das lasse ich mir von niemandem gefallen. Nur damit das klar ist.“

Thomas schaute mich mit großen Augen an und hatte sofort begriffen, was ich gerade gesagt hatte.

„Äh, heißt das, du bist auch schwul wie Dustin und Fynn?“

„Jap, genau das heißt das. Ich dachte eigentlich, dass würde mittlerweile bekannt sein.“

„Nein, woher? Wer sollte das gewusst haben?“

„Na, Jan weiß es schon recht lange und Thorsten habe ich das auch schon vor einiger Zeit gesagt.“

„Sorry, aber sie haben davon gar nichts erzählt. Bevor du auf komische Ideen kommst, ich habe damit überhaupt kein Problem und finde es unmöglich, was Marek da abgezogen hat. Ich weiß nicht, ob ich dabei so ruhig geblieben wäre. Respekt. Jetzt verstehe ich Thorstens Anliegen, Marek noch einmal zum Thema zu machen.“

Ich zuckte mit den Schultern. Für mich war der Knabe erledigt und ich wollte mich damit eigentlich nicht mehr beschäftigen.

„Ok, warten wir mal ab. Was anderes, wir starten am Sonntag mit der Bundesliga und dem ersten Heimspiel. Ich möchte die drei Jungs am Freitag und Samstag beim Teamtraining dabei haben. Bekommst du das schon hin, auch dabei zu sein?“

„Ja, sicher. Mein Arbeitgeber weiß bereits, dass ich wohl wechseln werde. Da wird das kein großes Problem werden. Ich habe ja bereits meinen Nachfolger eingearbeitet.“

„Das hört sich gut an. Wissen die Jungs eigentlich schon von der neuen Planung auf der Challenger Tour?“

„Nein, nicht wirklich. Ich wusste ja selbst noch nichts davon. Ich frage mich nur gerade, wie das finanziert werden soll. Alle drei haben ja nicht gerade eine Eurodruckerei in der Hinterhand.“

„Das lass mal Thorsten und Christians Sorge sein. Wir haben mit einigen Ausrüstern gute Verbindungen. Außerdem wird sich Jan das ganz sicher schon überlegt haben. Ich denke, sobald die drei weiterhin gute Ergebnisse bringen, werden auch Sponsoren hinzukommen.“

Thorsten hatte sich mittlerweile zu uns gesellt und bat uns wieder herein zu kommen. Thomas und ich nahmen wieder am Tisch Platz und Thomas stellte seine Bundesliga Pläne vor. Für das erste Heimspiel standen Robin Haase, Jan Lennart Struff, Jarkko Nieminnen und Daniel Munoz de la Nava für die Einzel zur Verfügung. Im Doppel kam Tim Pütz noch dazu. Das war eine sehr starke Aufstellung. Immerhin waren davon drei der vier Spieler unter den hundert besten Spielern der Welt. Mit Jarkko Nieminnen sogar ein ehemaliger Top fünfzehn Spieler. Hinzu sollten meine drei Jungs kommen und als Trainingspartner zur Verfügung stehen.

„Chris, Fynns Familie wollte doch die Jungs besuchen. Wie wäre es denn, wenn sie am Sonntag von Fynn zur Bundesliga eingeladen werden? Anschließend können sie den Abend verbringen.“

„Stimmt, Thorsten. Das hört sich gut an. Ich werde gleich mit den dreien noch sprechen und ihnen das ganze Projekt vorstellen. Da kann ich das auch gleich klären. Hast du schon eine Idee, welches Turnier als erstes auf dem Plan stehen soll?“

„Ja, auf jeden Fall München. Die BMW open sollten sie spielen. Auch wenn sie natürlich nur für die Qualifikation in Frage kommen. Dennoch ist das ein wichtiges Turnier. Vor allem wird auch auf Asche gespielt. Sie können dort viel lernen und mal sehen wie weit sie kommen. Sie spielen die Qualifikation am Dienstag und Mittwoch. Normalerweise wären sie dann am Wochenende wieder zu Hause und können Bundesliga spielen.“

„Ok, was hältst du davon, wenn wir die Turnierpläne am Sonntag gemeinsam mit Fynns Eltern besprechen. Außerdem hat Fynn gesagt, dass Dustins Onkel auch kommen möchte. Wir sollten das dann mit allen besprechen.“

„Das hört sich sehr gut an. Genau so sollten wir das machen. Du sagst ihnen gleich nur den Ablauf für die Partie am Sonntag. Ab Freitag wird mit dem Kader trainiert. Sonntagabend machen wir ein Meeting mit den Familien.“

Ehe ich mich versah, hatte ich mit Thorsten und Thomas die ersten Planungen besprochen. Irgendwie fühlte sich das gut an. Ich wurde von ihnen als gleichwertiger Partner akzeptiert und sie standen hinter meinen Ideen. Meine größte Problematik war für mich die Finanzierung. Für Thorsten schien das alles gar kein Problem zu sein. Er tat so, als ob das schon geklärt sei. Für mich stand da noch einiges an Arbeit an. Egal, Finanzen waren nicht meine Baustelle und ich musste lernen, mich da auf Christian und Thorsten zu verlassen. Jan hatte gesagt, dass er das so möchte und ich hatte den Eindruck, dass das damit beschlossen war.

Jedenfalls hatte dem niemand widersprochen und somit war die Zeit gekommen, meine neue Karriere einzuläuten und meine Jungs über die genauen Bundesligapläne zu informieren.

Thorsten gab mir noch zu verstehen, dass er mich gleich im Anschluss des Gesprächs mit den Jungs noch einmal sprechen wollte.

Fynn: Chris hat uns etwas mitzuteilen

Unser Training auf dem Platz war beendet und eigentlich wollten wir uns zu dritt in die Physio aufmachen, aber es sollte anders kommen. Chris kam uns entgegen und machte ein sehr angespanntes Gesicht. Ich hatte sofort im Gefühl, dass sich etwas auf der Trainerbesprechung getan hatte.

Dustin hatte sofort seinen ganzen Körper angespannt, als er Chris sein Gesicht gesehen hatte. Nur Maxi schien sehr entspannt zu bleiben.

„Oh shit“, sagte Dustin leise zu mir, „so ein Gesicht hat Chris schon ewig nicht mehr gemacht. Was ist denn da schiefgegangen?“

„Ruhig, die haben über eine Stunde zusammengesessen. Da wird einiges zur Sprache gekommen sein.“

Ich blieb neben meinem Freund stehen und Chris war mittlerweile bei uns angekommen.

„Das trifft sich sehr gut, dass ihr drei zusammen seid. Da brauche ich es nur einmal erklären. Freitagabend ist das erste Training mit dem Bundesligakader angesetzt und Thomas möchte euch von Beginn an dabei haben. Das Spiel findet am Sonntag hier in Halle statt. Am Samstag trainiert ihr wieder mit der Mannschaft und seid bitte am Sonntag um acht Uhr hier auf der Anlage.“

„Bist du nicht dabei?“, fragte Dustin aufgeregt, fast ängstlich.

Jetzt lächelte Chris.

„Sorry, keine Sorge. Ich bin natürlich auch dabei. Ich werde ab sofort mit Thomas gemeinsam die Bundesliga betreuen und euch auch bei den Auswärtsspielen begleiten. Das heißt also, ich werde ab sofort nur noch für das Break Point Team arbeiten und für euch da sein.“

„Geil“, sagte Maxi und auch Dustin und ich freuten uns über diese tolle Nachricht.

„Es gibt aber noch mehr zu besprechen, aber das machen wir dann am Sonntagabend. Dustin, Frank wollte doch am Sonntag auch kommen, oder nicht?“

„Ja, er hat zugesagt. Er kommt schon am Samstag und bleibt bis Dienstag. Warum fragst du? Gibt es ein Problem?“

„Nein, kein Problem. Fynn, wann wollte deine Familie zu Besuch kommen?“

Ich wunderte mich immer wieder aufs Neue, wie viel Chris im Kopf behielt.

„Sie wollten an einem Wochenende kommen. Wann genau war noch nicht geklärt.“

„Sehr gut. Frag sie doch bitte, ob sie nicht am Sonntagmorgen herkommen möchten und die Bundesliga verfolgen wollen. Ihr werdet ja am Sonntag noch etwas Zeit haben, während der Matches bei eurer Familie zu sein. Abends möchten Thorsten und ich mit euch allen gemeinsam essen. Da eure Familien ja eure Wohnung sehen möchten, werden wir gemeinsam dort essen. Martina wird sich darum kümmern. Wie findet ihr das?“

Mir war sofort klar geworden, dass das noch einen anderen Grund hatte. Irgendwas war noch geschehen. Chris gab so bestimmt Anweisungen, dass er mit Sicherheit einen Plan hatte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, denn eigentlich war doch alles besprochen. Egal, mittlerweile hatte ich gelernt Chris zu vertrauen. Dustin hatte manchmal noch so seine Schwierigkeiten.

„Das hört sich gut an. Ich werde meine Familie für Sonntag einladen. Wie sieht das mit den Eintrittskarten aus? Braucht Patrick auch eine Karte?“

„Ihr braucht alle keine Karten. Sagt mir nur am Samstag, wie viele von euren Familien kommen. Ich besorge dann die Karten dafür. Ist das am Sonntagabend auch ok für euch? Maxi, wie sieht das bei dir aus? Kann deine Mutter auch kommen?“

Maxi stellte seine Tasche ab und überlegte einen Augenblick.

„Äh, ja. Ich denke doch schon. Allerdings bin ich etwas überrascht. Sollte das nicht ein Familienbesuch für Fynn und Dustin werden? Warum sollen meine Eltern auch kommen?“

Chris blieb ruhig und gab eine direkte Antwort, die mir die Bestätigung gab.

„Ganz einfach, es hat eine neue Entwicklung gegeben und die muss auch mit euren Eltern besprochen werden.“

„Aber du betreust uns doch weiter, oder?“, fragte Dustin sofort ängstlich.

Chris lächelte und erwiderte:

„Klar, keine Panik. Das bleibt so wie es ist. Ich möchte aber auch, dass Fynn und Dustin Zeit haben mit der Familie. Deshalb habe ich gedacht, wir treffen uns um zwanzig Uhr bei euch in der WG zum Essen. Martina wird sich darum kümmern. Thorsten und ich kommen dort hin. Seid ihr damit einverstanden?“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, Chris wollte uns noch nicht alle Details verraten. Da er bislang immer sehr gute Gründe hatte so vorzugehen, blieb ich dieses Mal ruhig und vertraute ihm. Deshalb sagte ich schnell zu, bevor sich Dustin zu viele Gedanken machen konnte.

Chris verabschiedete sich wieder von uns. Er hatte mit Thorsten und Thomas noch etwas zu klären. Wir drei gingen jetzt endlich zur Physio. Kolja wartete bereits auf uns.

„Man, wo bleibt ihr denn? Ihr seid eine Viertelstunde zu spät.“

„Hallo Kolja, ja sorry. Chris hat uns aufgehalten. Die haben wichtiges zu besprechen gehabt und er wollte uns das noch mitteilen. Du kannst bei Chris nachfragen, wir können nichts dafür.“

Kolja fing an zu lachen und grinste fies.

„Schon gut, Chris hat natürlich bei mir angerufen und Bescheid gesagt, dass ihr etwas später kommt. Alles gut.“

„Boah, bist du fies. Ich hatte echt schon Schiss, dass du uns jetzt richtig lang machst.“

„Hi, hi, Fynn. Du bringst mich auf eine gute Idee.“

Das war wieder so typisch für Kolja. Er nahm uns immer wieder mal auf die Schippe. Allerdings revanchierten wir uns dafür immer. So hatten wir immer etwas zu lachen und bemerkten oft gar nicht, wie sehr uns Kolja scheuchte. Wobei es immer am Schluss für mich ein gutes Gefühl gab, dort gewesen zu sein. Das Resultat sprach auch für sich. Wir waren in viel besserer körperlicher Form, und ich war seit ich in Halle trainierte, nicht einmal ernsthaft verletzt.

Dustin und ich hatten eigentlich vorgehabt, nach dem Training schnell nach Hause zu fahren. Wir wollten unbedingt noch ein wenig üben. Dustin schrieb am Freitag eine wichtige Klausur. Maxi hatte allerdings eine andere Idee und fragte uns in der Umkleide:

„Wie sieht das aus, wollen wir noch eine Runde in die Sauna und anschließend etwas in den Whirlpool zum Entspannen?“

Ich schaute Dustin an. Er sollte das entscheiden, aber er schien nicht abgeneigt zu sein und so gingen wir noch für eine Stunde in die Sauna. Als Dustin und ich allein auf der Ruhefläche lagen, fragte er mich:

„Kannst du mich mal aus diesem Traum wecken. Irgendwie kann ich das alles noch gar nicht fassen. Wir fahren einen Erfolg nach dem anderen ein und jetzt dürfen wir mit den Bundesligastars sogar trainieren. Alles nur, weil wir Chris kennengelernt haben. Ohne ihn wären wir vermutlich auch gar nicht mehr gemeinsam in Halle.“

Ich spürte erneut Melancholie in seiner Stimme. Hin und wieder überkam ihn dieses Gefühl und dann musste ich aufpassen. Dustin fiel schnell in ein Loch. Das kostete mich immer viel Energie, ihn dort wieder herauszuholen. Gerade jetzt, wo er spürte, dass ich auch meine Familie wieder bekommen könnte, wurde er manchmal traurig. Für mich absoluter Blödsinn, denn meine Eltern hatten auch ihm signalisiert, dass er bei uns willkommen ist. Sogar mein Vater war auf ihn zugegangen und hatte ihn zu uns eingeladen. Das war für mich die Erfüllung eines Traumes. Mein Vater hatte mich jetzt so akzeptiert wie ich eben war.

„Hör auf, Schatz. Wir hätten auch ohne Chris unseren Weg gefunden. Sicher hast du damit recht, dass dieser Weg anders ausgesehen hätte, aber ich würde dich noch genauso lieben, wie ich das heute tue. Lass uns den Traum leben und so viel dafür tun wie wir können. Also mach dir nicht so viele negative Gedanken. Vor allem, du kannst ohne Angst in den Tag leben und das Leben genießen. Keine Eltern, die dich mehr quälen können. Mit Chris haben wir einen Freund, der immer über uns wachen wird. Egal wo wir sein werden.“

Nach meinem Ausspruch schwiegen wir und Dustin nahm meine Hand und drückte sie ganz fest. Das hatte er in so einer Situation schon ganz lange nicht mehr getan. Für mich war es ein wundervolles Gefühl. Leider kam Maxi und störte unsere Zweisamkeit. Allerdings hatte er wohl bemerkt, dass wir in einer besonderen Situation waren. Er verhielt sich sehr rücksichtsvoll.

„Sorry, wenn ich euch störe, aber mir wurde es zu warm in der Sauna.“

Dustin hob seinen Kopf und fing an zu lachen. Das überraschte mich allerdings schon etwas.

„Dass es dir mal zu warm würde, kann ich gar nicht glauben.“

Dustin kringelte sich vor Lachen und Maxi und ich fielen mit ein. So war Dustins Zweifel im Nu verschwunden und wir fuhren gemeinsam in die WG. Draußen im Garten tobten Tim und Carlo mit einem Jungen, den wir nicht kannten. Martina saß auf der Terrasse und hatte uns schon vermisst.

„Na, wo kommt ihr denn her? Ich warte schon eine Stunde auf euch.“

„Sorry Martina, wir haben erst noch mit Chris und Thorsten etwas zu besprechen gehabt und dann hatte Maxi die Idee, noch in die Saune zu gehen. Ich habe vergessen anzurufen.“

„Wir haben vergessen anzurufen wolltest du wohl sagen.“

Es war so typisch für Dustin. Jetzt nahm er wieder die Schuld auf sich. Da musste ich gegensteuern. Allerdings was Maxi nun tat, überraschte mich total.

„Ja, tut mir leid. Ich habe die Idee gehabt und die beiden überredet. Sie wollten eigentlich sogar lernen. Ich habe die Zeit nicht im Auge gehabt und hätte anrufen müssen. Also das geht auf meine Kappe.“

Martina bekam genauso große Augen wie wir. Maxi übernahm hier die Verantwortung. Das war etwas ganz Neues.

„Na, dann setzt euch mal. Schön, dass ihr euch entschuldigt. Das Essen ist fertig und ihr braucht es nur noch aus dem Ofen nehmen.“

„Ok“, sagte Maxi, „ihr setzt euch und ich hole das Essen. Heute mache ich dafür den Kellner.“

Hallo? War Maxi krank? Das hatte ich so noch nie erlebt. Dustin und Martina schauten genauso ratlos und schüttelten ihre Köpfe.

„Was ist denn mit dem los?“, fragte Dustin.

Martina zuckte mit ihren Schultern und grinste.

„Wer weiß, vielleicht ist er frisch verliebt und will sich einschleimen.“

Dustin und ich fingen an zu lachen. Allerdings gefiel mir das außerordentlich gut, dass Maxi anfing sich auch hier einzubringen. Und zwar ohne immer an den eigenen Vorteil zu denken.

„Wer weiß, vielleicht hat er ja in Hamburg endlich geschnallt, dass wir als Team viel mehr erreichen können. Es wäre doch schön, wenn Maxi sich nicht ständig von seinem Vater beeinflussen lassen würde. Der denkt nämlich nur an den eigenen Vorteil.“

Wieder staunte ich über meinen Freund. So klare Worte kamen sonst nicht über seine Lippen. Hier traf er allerdings den Nagel auf den Kopf. Maxis Vater war nett, aber sehr anstrengend und manchmal einfach nur peinlich.

„Ihr mögt den Vater nicht sonderlich, oder?“, fragte Martina.

„Nun ja, er ist ja eigentlich ganz nett, aber ständig weiß er alles besser und will Maxi immer vorschreiben, was er wie zu tun hat. In Hamburg war das total entspannt ohne seinen Vater. Maxi hatte sich nur auf sich und Chris verlassen und schon spielte er um Welten besser. Ich bin sehr gespannt, wie das am Sonntag wird. Abends soll hier ja eine Besprechung stattfinden. Ich bin mir sicher, dass sein Vater da wieder versuchen wird, mehr Vorteile herauszuschlagen.“

„Ihr redet von meinem Vater, stimmt´s?“

Ich zuckte zusammen, denn ich hatte bei meiner Aussage nicht bemerkt, dass Maxi schon mit dem Essen zurück war.

„Ähm, ja. Ich hatte Martina gerade erklärt wie das manchmal bei deinem Vater so läuft und..“

„… und das er dir auf die Eier geht. Mir übrigens auch. Was glaubst du, was das für mich eine Erlösung in Hamburg war. Ich brauchte nicht jede Handlung bei ihm absegnen lassen und kein Nörgeln nervte mich. Chris hat das viel besser im Griff und Chris hat zehnmal mehr Ahnung als mein Vater. Leider sagt ihm das nur keiner.“

„Warum eigentlich nicht? Hast du das schon mal versucht?“, fragte Martina.

„Einmal? Hundertmal mindestens. Er lässt sich von niemandem etwas sagen. Von mir schon gar nicht. Deshalb bin ich ja auch so froh, dass er auf den Reisen nicht mitkommt.“

Ich schaute meinen Freund an und wusste sofort, dass er eine Idee im Kopf hatte und diese auch umsetzen würde. Diesen Blick kannte ich mittlerweile sehr gut. Es war jetzt allerdings besser, nicht darüber zu sprechen. Er würde es mir eh nicht verraten.

Chris: Thorsten schafft klare Verhältnisse

Nachdem ich mit den Jungs gesprochen, sie beruhigt und den Plan für Sonntag erläutert hatte, machte ich mich auf den Weg zurück zu Thorsten und Thomas. Sie wollten noch etwas mit mir besprechen.

„So, da bin ich wieder. Die Jungs wissen Bescheid und sind einverstanden. Ich habe ihnen nur die konkreten Pläne für das erste Bundesliga Wochenende erklärt.“

„Sehr gut. Von München müssen sie noch nichts wissen. Das sagen wir ihnen dann am Sonntag. Ich denke, ihr fliegt am Dienstag von Paderborn nach München, spielt dort die Qualifikation und seid zur Bundesliga am folgenden Sonntag wieder zurück. Hoffentlich gibt das keine Probleme mit der Schule. Die Jungs sind viel unterwegs.“

„Da sehe ich auch das größte Problem, Thorsten. Auf Dauer können sie nicht ständig in der Schule fehlen. Es wird Zeit, dass es Sommerferien gibt.“

„Keine Sorge, wir passen auf. Aber München ist ein wichtiges Turnier. Das sollten sie wahrnehmen, denn sie haben eine Wildcard für die Qualifikation bekommen. Wie sieht das denn mit den Noten aus?“

Ich wusste schon, dass es für Dustin nicht so einfach war. Aber Fynn und auch Maxi halfen ihm wo sie konnten. Das war schon toll, wie sie sich gegenseitig unterstützten. Deshalb sagte ich:

„Bis auf eine leichte Schwäche in Englisch bei Dustin ist soweit alles im grünen Bereich. Keine Traumnoten, aber sicher in der nächsten Klasse. Zwei Wochen noch, dann gibt es Ferien. In dieser Woche schreiben sie die letzten Arbeiten.“

„Ok, hört sich gut an. Jetzt kommen wir noch zu einem unerfreulichen Punkt. Es geht um Marek. Was sollen wir mit ihm machen? Ich nehme an, du wirst keine große Lust mehr haben, ihn mitzunehmen.“

„Das ist korrekt. Nach dieser Aktion in Hamburg ist das Thema für mich erledigt. Ich kann mir nicht vorstellen, mit ihm noch einmal zusammen zu arbeiten. Wenn er keinen Bock hat, sich für uns einzusetzen, dann sollte er sich einen anderen Verein suchen. Ich werde jedenfalls nicht mehr mit ihm arbeiten.“

Das war für mich eine beschlossene Sache. Mit solchen Leuten konnte und wollte ich nicht weiter zusammen arbeiten. Thorsten spürte auch meine Entschlossenheit, während Thomas der Meinung war, dass wir uns seine Spielstärke nicht entgehen lassen konnten.

„Um das noch klarer zu sagen. Wenn ihr Marek weiterhin für Halle spielen lassen wollt, dann ohne mich und ohne die Jungs. Das kann und will ich ihnen nicht zumuten. Außerdem lasse ich mich von niemandem derart beleidigen. Wenn er diese Meinung hat, sollte er sich einem anderen Verein anschließen.“

Thomas war anderer Meinung, aber Thorsten beendete diese Diskussion:

„Leute, hört auf darüber zu streiten. Ich habe Jan von diesem Vorfall berichtet und er hat das auf seine Weise geregelt. Er hat den Vertrag mit Marek schlichtweg zum Saisonende aufgelöst. Damit wird sich diese Situation nicht wiederholen. Für mich auch eine richtige Entscheidung. Ich habe auch keine Lust, ständig einen Unruheherd in unserem Team zu haben. Da ist es egal, wie gut er spielen kann. Außerdem haben die Jungs ja sehr deutlich unter Beweis gestellt, dass sie auch ohne ihn gewinnen können.“

Thomas akzeptierte das ohne weitere Diskussion und ich war beruhigt. Jetzt ging es darum, meine Ideen für kommende Turniere vorzustellen.

„Also mein Plan ist es, die drei in diesem Sommer auf der Future und Challenger Ebene spielen zu lassen. Bei den Future Turnieren sind sie bereits im Hauptfeld und teilweise sogar gesetzt. Dort können sie notwendige Weltranglistenpunkte sammeln, um dann bei den Challenger Turnieren möglichst bald nicht mehr die Qualifikation spielen zu müssen. Wenn es nach Plan läuft, sollten sie im Winter fest auf der Challenger Tour spielen können. Dann haben sie genug Weltranglistenpunkte gesammelt.“

„Das ist ein ehrgeiziger Plan, aber ich finde das genau richtig. Sie sollen einfach spielen und du wirst ihnen den Weg zeigen. Das Talent und die Einstellung haben sie und dann schauen wir mal, wie weit sie kommen. „Nike“ und „Prince“ haben bereits ihre Unterstützung zugesagt. Das heißt also, die Ausrüstung übernehmen sie ab sofort komplett und beteilligen sich an den Reisekosten. Jetzt müssen wir mal sehen, wie das mit den anderen Kosten aussieht. Bei den Future Turnieren sind die Preisgelder nicht besonders hoch und da wird es schwer werden, die Kosten zu decken. Vor allem wenn alle drei spielen. Es ist ja nicht zu erwarten, dass ständig alle drei im Preisgeld landen. Bei der Challengerserie sind die Preisgelder deutlich besser. Sollte einer der Jungs mal ins Hauptfeld kommen, würden die Kosten für alle gedeckt sein.“

Thorsten war der Manager und musste natürlich auch auf die Kosten achten. Das Team konnte nicht unbegrenzt Geld für die Jungs ausgeben. Die örtlichen Sponsoren hatten uns schon sehr freundlich unterstützt. Da würde kein zusätzliches Geld zu erwarten sein.

„Wie viele Turniere können wir denn in diesem Sommer noch spielen?“, fragte ich.

„Wie meinst du diese Frage?“, fragte Thorsten jetzt.

„Na, du hast doch gerade gesagt, dass die Finanzen überhaupt nicht gesichert sind. Also müssen wir den Plan ja auch danach ausrichten.“

„Unsinn. Hör auf, dir über Geld Gedanken zu machen. Das ist nicht deine Aufgabe. Jan hat dir doch klar gesagt, dass die Finanzierung unsere Sorge sein wird. Du sollst die Jungs voranbringen. Ich bin mir sicher, dass der Erfolg automatisch kommen wird. Dann kommen auch Sponsoren. Gerry hat ebenfalls zugesagt, die drei zu unterstützen. Er möchte sie als Werbeträger einsetzen. Dustin und Fynn sollen Werbung für die neue Herrenkollektion von Gerry Weber machen. Damit wird Gerry die Kosten übernehmen, bis wir genug andere Sponsoren haben. Und keine Sorge, die Jungs machen nur einen Werbespot. Der wird an einem Tag gedreht und dann ist das erledigt.“

Dustin und Fynn als Werbeträger für Gerry Weber? Wie cool war das denn? Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Da war ich jetzt aber sehr gespannt, wie die Jungs das aufnehmen würden. Gerry war sehr mutig ein schwules Paar als Werbeträger zu verpflichten. Aber er hatte bislang immer voll hinter ihnen gestanden und von daher war das nur die logische Folge davon.

Also war die Finanzierung bis zum Ende des Sommers gesichert. Unabhängig von den Ergebnissen. Sie konnten also ohne Druck Turniere spielen.

Wir besprachen noch einige Details und so kam ich erst spät abends nach Hause. Irgendwie war das zwar ein sehr erfolgreicher Tag, aber so richtig wohl fühlte ich mich nicht. Ich war innerlich noch nicht zu hundert Prozent davon überzeugt, dass es für mich richtig war, meinen Job in der Beratungsstelle aufzugeben und mich nur noch auf die Aufgabe im Break-Point-Team zu konzentrieren. Ein Gedanke, der mittlerweile müßig war. Ich hatte mich ja bereits entschieden, dennoch fühlte ich mich unsicher. Würden wir die Jungs auch wirklich nicht überfordern? Für mich war das Wohl und die Entwicklung der Jungs das wichtigste überhaupt. Unabhängig von den Ergebnissen. Entsprechend schwer fiel es mir zur Ruhe zu kommen. Erst nach Mitternacht konnte ich endlich einschlafen.

Freitag sechs Uhr in der Frühe. Die Sonne schien bereits in mein Badezimmer und ich stand vor dem Spiegel. Meine Gedanken kreisten um den heutigen Tag. Für mich auch eine Premiere. Nachdem ich aus dem Bad kam, hatte ich mir den Laptop und meinen Tee genommen und setzte mich auf die Terrasse.

Im Sportteil der Onlinezeitung konnte ich einen Vorbericht über das erste Heimspiel des TC BW Halle in der Tennisbundesliga lesen. Es wurde von den Spielern und den Zielen gesprochen. In diesem Jahr war die Meisterschaft nicht unbedingt als Vorgabe gesetzt. Mit Aachen und Düsseldorf gab es stärkere Mannschaften auf dem Papier. Allerdings waren wir immer gleichmäßig gut besetzt und würden in keinem Spiel mit einer schlechten Mannschaft antreten. Wir hatten den großen Vorteil, dass Gerry Weber sich die Bundesligamannschaft als sein Hobby leisten wollte und entsprechende finanzielle Möglichkeiten bereitstellte. Das war der einzige Bereich, in dem er sportlichen Einfluss hatte. Er bezahlte die Bundesliga, also hatte er sich auch Einflussnahme bei der Spielerwahl zusichern lassen.

Die Zeitung hatte noch kein neues offizielles Mannschaftsfoto abgebildet. Es gab auch noch kein neues. Das sollte heute gemacht werden. Am ersten Spieltag war es Tradition in Halle mit einer recht prominenten Mannschaft anzutreten. Es wurden sehr viele Zuschauer zum Saisonstart erwartet, da würde es eine gute Werbung sein, mit vielen Weltklassespielern anzutreten.

Die Gedanken kreisten genau darum. Meine drei Jungs würden heute das erste Mal mit Leuten aus den Top fünfzig der Welt zusammen trainieren und am Sonntag in einem Team spielen. Das löste auch bei mir eine leichte Nervosität aus. Deshalb entschloss ich mich früh nach Halle aufzubrechen. Um neun sollte das erste offizielle Training sein und vorher wollte ich meine Jungs sehen und mit ihnen den Tag besprechen.

Fünfundvierzig Minuten später saß ich mit Thomas im noch leeren Clubhaus bei einem Othello. Von den Spielern war noch niemand anwesend. Bis dahin war noch etwas Zeit. Meine Jungs sollten als erste eintreffen.

„Wir sollten uns aufteilen. Du machst das Training mit deinen Jungs und Robin Haase. Dazu kommt Tim Pütz. Die anderen nehme ich zu mir und dann schauen wir mal wie es geht. Einverstanden?“

„Generell schon“, sagte ich, „allerdings würde ich es sinnvoller finden, meine Jungs auseinander zu nehmen. Sie sollen ja den Cracks als Trainingspartner zur Verfügung stehen.“

„Ok, das geht natürlich auch. Ich dachte, vielleicht würden sie lieber zusammen sein.“

„Hey, das können sie die ganze Woche. Also, sie sollen sich hier einbringen. Deshalb teilen wir sie auf.“

„Ist in Ordnung. Mein Plan für heute ist, zuerst ein wenig zu spielen. Sie sollen sich ja kennenlernen und das geht am besten auf dem Platz in einem kleinen Spiel.“

Das ließ ich Thomas so machen. Er hatte mehr Erfahrung für die Bundesliga. Außerdem waren die Spieler alle Vollprofis. Denen musste niemand mehr erklären, wie man sich auf eine Partie vorbereitet.

Wir stimmten noch unsere Zeitpläne ab und plötzlich hörte ich bekannte Stimmen. Maxi, Fynn und Dustin waren angekommen. Sie betraten den Clubraum und begrüßten uns auffallend still. Die Anspannung war deutlich erkennbar. Ihre Taschen hatten sie auf der Terrasse abgestellt.

„Moin Jungs“, begrüßte ich die drei mit einer Umarmung.

„Hi Chris. Es ist schön, dass du auch schon da bist. Ich bin total nervös.“

Fynn musste lachen, denn normalerweise war Maxi immer derjenige, der einen lockeren Spruch brachte.

„Kein Problem“, sagte ich, „geht mir genauso. Allerdings gemeinsam bekommen wir das schon geregelt. Ganz sicher.“

Dieser unbedeutende Satz hatte zur Folge, das bei allen drei wieder ein Lächeln zu sehen war und wir nach draußen gingen.

Robin Haase war der erste Spieler, der auf der Anlage eintraf. Ein langer Schlacks, nett und lustig. Thomas begrüßte ihn und kam mit ihm dann zu mir. Thomas stellte mich kurz vor und Robin schaute mich genau an. Mit seinen blauen Augen fixierte er mich geradezu.

„Hey, ich hätte eben, als ich dich gesehen habe, schwören können, dass du Jan bist. Ihr seht euch sehr ähnlich.“

Ich zuckte mit den Schultern, denn eigentlich war ich immer der Meinung, dass wir uns gar nicht ähnlich sehen.

Nach und nach kamen unsere Spieler an und begrüßten uns. Als die Mannschaft komplett eingetroffen war, holte Thomas alle auf dem ersten Center Court zusammen.

Für mich interessant war die Reaktion der Profis. Sie wunderten sich ganz offensichtlich über die Anwesenheit der drei Jungs. Sie waren es nicht gewohnt, so junge Teamkollegen zu haben. Allerdings war der Respekt unserer Jungs den Profis gegenüber genauso groß. Dustin und Fynn standen abseits der anderen und suchten den Blickkontakt zu mir. Von ihrer Sicherheit der letzten Wochen war nicht viel übrig geblieben. Thomas stellte die Jungs vor und machte deutlich, dass Dustin, Fynn und Maxi als Teammitglieder vorgesehen waren. Als dieser Sachverhalt geklärt war, teilte Thomas die Plätze zu und das Training begann.

Thomas und ich standen oberhalb der Plätze auf der Tribüne.

„Was ist dein Eindruck? Die Jungs sind unsicher oder täuscht das?“

„Nein, das täuscht nicht. Aber ist das ein Wunder? Wenn die Profis so merkwürdig reagieren, wundert mich das überhaupt nicht. Ich fand das eben einfach ätzend. Keiner ist auf die Jungs zugegangen und hat sie begrüßt. So macht das garantiert keine Freude für unsere Truppe.“

Ich war richtig angefressen über diesen Auftakt. Das ließ ich Thomas auch deutlich spüren. Erstaunlicherweise hörte er sich meinen Unmut wortlos an. Als ich fertig war, schaute er mich an, nickte nur kurz und ging nach unten auf den Platz. Er redete mit Jarkko und Tim. Dann passierte etwas Überraschendes. Jarkko verließ den Platz und ging zu meinen Jungs auf dem Nebenplatz. Sie hatten sich zum Training doch wieder allein auf den Platz begeben. Ich war immer noch geladen über so viel Arroganz der Profis. Jarkko betrat den Platz und fing einfach an mit den Jungs zu spielen. Innerhalb weniger Minuten herrschte auf dem Platz wieder eine gelöste Stimmung. Jarkko hatte es sehr schnell geschafft, die Angst und die Unsicherheit zu nehmen. Ich stand immer noch oberhalb der Plätze und konnte so das Geschehen beobachten.

Thorsten war mittlerweile auch zu den Plätzen gekommen und sprach mit den Spielern. Thomas schien ihm etwas zu erklären, denn kurze Zeit später stieg er zu mir die Treppe hinauf.

„Thorsten hat gerade Klartext geredet. Jetzt sollte es als Team auch besser werden. Tut mir leid, dass es so begonnen hatte. Ich glaube, dass sie es nicht verstanden hatten. Schau dir mal an, wie sie jetzt mit ihnen spielen. Sie gehen aufeinander zu und merken, dass sie verdammt gut sind. Ich glaube einfach, dass sie die drei unterschätzt haben.“

„Ok, warten wir ab. Was steht heute noch an?“

Jetzt begann Thomas zu lachen.

„Es gibt noch einen Pressetermin und am Sonntag soll es vor Beginn der Doppel ein Showmatch mit den Jungs geben.“

Als er das sagte, wurde mir sofort klar, dass sie sich etwas Besonderes ausgedacht hatten. Und ich war garantiert ein Teil dieses Planes.

Zwei Stunden später saß ich mit Thomas und Thorsten im Büro. Die Spieler waren zur Massage und somit hatten wir ein wenig Ruhe die Strategie für Sonntag abzustimmen. Thorsten hatte sich bereits mit der Aufstellung des Gegners auseinandergesetzt.

Dustin: Ein aufregender Trainingstag

Der Start in unsere Bundesligalaufbahn verlief holperig. Fynn und ich hatten morgens leicht verschlafen und wir hatten das Gefühl, dass wir von den Profis gemieden wurden. Chris spürte das und war entsprechend gereizt. Erst nachdem Thomas und Thorsten mit ihnen gesprochen hatten, wurde die Situation für uns deutlich angenehmer. Jarkko war der erste, der mit uns auf den Platz ging und wir hatten sehr schnell zeigen können, dass wir gut waren. Das sprach sich schnell herum und nach den ersten zwei Stunden Training waren wir integriert, als ob wir schon ewig dazugehören würden.

Vor dem Mittagessen ging es für alle zur Physio und Massage. Jarkko und Robin sprachen ein sehr gutes Deutsch, und mit Daniel konnten wir uns gut in Englisch unterhalten. Maxi war die ganze Zeit erstaunlich ruhig und zurückhaltend. Das war für uns neu. Es hatte den Anschein, als ob ihm die Profis doch mehr Respekt einflößten, als er sonst hatte.

Ich saß mit Fynn bei Kolja im Behandlungsraum und wir sprachen gerade über die Sonntagspläne, als Tim Pütz zu uns in den Raum kam.

„Na, ihr zwei. Wie ist das erste Training für euch so gelaufen?“

„Ach“, sagte Fynn, „ eigentlich ganz gut. Ich war zuerst sehr aufgeregt und auch etwas genervt von euch. Allerdings wurde es danach dann viel besser und ich glaube, wir konnten zeigen, dass wir auch spielen können.“

Tim fing an zu lachen und antwortete:

„Sorry, ja. Da hast du recht. Wir waren wohl etwas falsch informiert. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ihr zu uns gehört. Erst als Thorsten uns das richtig erklärt hat, wussten wir, dass ihr mit uns spielen sollt. Tut mir leid, wirklich. Das hat bestimmt blöd ausgesehen für euch. Wir sind aber eigentlich eine nette Truppe. Ich hoffe, das werdet ihr noch merken.“

Wir sprachen noch während der ganzen Behandlung über das kommende Spiel am Sonntag und Tim wollte am Nachmittag mit uns Doppel trainieren. Schließlich könnte es ja sein, dass sich jemand verletzt und wir auch einspringen müssen. Tim hatte nicht zu viel versprochen. Er war wirklich sehr nett und offen. Er gab uns viele Hinweise und Tipps.

Auf dem Weg zum Mittagessen ins Sportparkhotel hatte Fynn die Gelegenheit genutzt, mit mir ein paar Minuten allein sein zu können.

„Wie ist dein Eindruck von den Spielern? Ich finde sie jetzt wirklich ganz nett. Jarkko spricht richtig gutes Deutsch. Da bin ich schon überrascht. Er will heute Nachmittag mit mir Doppel spielen. Wie läuft es bei dir?“

„Ja, sehe ich auch so. Ich habe mit Tim gesprochen und er wird wohl mit mir spielen. Er sagte, es könnte ja sein, dass wir einspringen müssen, falls sich jemand verletzt.“

Unser Gespräch verstummte, weil wir beide mit unseren Gedanken beschäftigt waren. Erst kurz vor dem Betreten des Sportparkhotels nahm Fynn mich zur Seite und gab mir noch einen intensiven Kuss. Ich war darauf gar nicht vorbereitet und musste lachen, als er sich wieder von mir gelöst hatte.

„Jetzt wissen es alle, dass wir ein Paar sind. So unauffällig wie du das gemacht hast.“

Fynn wurde sogar rot. Das passierte sonst schon lange nicht mehr.

„Ist das denn schlimm, wenn es die anderen Spieler auch wissen? Wir wollten uns doch nicht mehr verstecken.“

„Ach Schatz, das war doch nur Spaß. Sie werden es eh irgendwann bemerken. Also warum wieder verstecken?“

In diesem Moment kam Jarkko zu uns und er hatte natürlich mitbekommen was passiert war.

„Hey, also stimmt das. Ihr seid wirklich ein Paar?“

Leugnen wollten wir nicht mehr und Chris hatte uns immer wieder klargemacht, dass wir offen damit umgehen sollen.

„Ja, das stimmt. Woher wusstest du das?“

„Thorsten hat es mir heute Morgen erzählt. Ich hatte es von Jan gehört und war sehr erstaunt, dass es in Zukunft ein schwules Paar im Profitennis geben wird. Das wird echt auch mal Zeit.“

Wir betraten gemeinsam das Hotel und Maxi war bereits am Tisch mit Daniel Munoz de la Nava in einem intensiven Gespräch. Als er uns entdeckte, winkte er uns zu sich an den Tisch.

„Hey, setzt euch zu uns. Daniel und ich haben uns schon gewundert wo ihr bleibt.“

Maxi schien sich mit dem Spanier bereits gut angefreundet zu haben. Mittlerweile musste ich auch meine erste Meinung über die Profis revidieren. Wir hatten in der ersten Einheit viel von ihnen erklärt bekommen und sie hatten uns in das Team integriert. Jetzt saßen wir mit einigen der weltbesten Spieler an einem Tisch zum Essen.

Es wurden Anekdoten erzählt und viel gelacht. Am Nachmittag trainierten wir verschiedene Doppelkonstellationen und Thomas erklärte uns, dass wir eine gute Alternative für ein Doppel mit Tim Pütz sein könnten.

Den Abend hatten wir frei und ich ging mit Fynn, Maxi und Robin eine Partie Billard spielen. Da am Samstag erneut den ganzen Tag trainiert wurde, mussten wir leider schon um halb zehn wieder zu Hause sein. Diese Tage bis zum Sonntag waren für uns sehr anstrengend. Da konnten wir spüren, dass uns noch einiges an Fitness fehlte. Für die anderen war das eher eine normale Trainingseinheit.

Fynns Vater hatte sich am Samstagabend noch gemeldet und erneut bestätigt, dass sie den ganzen Sonntag mit uns verbringen wollten. Abends sollte ja ein Gespräch mit Chris und Thorsten stattfinden. Fynn freute sich sehr auf diesen Besuch. Schließlich war es das erste Mal, dass seine ganze Familie zu Besuch kam.

Die Nacht vor dem ersten Spieltag war für uns sehr unruhig. Ich war total nervös und Fynn ging es nicht viel besser. Entsprechend erschienen wir beide zum Teamfrühstück. Die Stimmung bei den anderen war indes richtig gut und es wurde viel gescherzt und gelacht. Es fiel mir sehr schwer, so locker zu sein wie die Profis. Eigentlich gab es für uns gar keinen Grund, so aufgeregt zu sein, denn wir brauchten ja gar nicht zu spielen.

Chris hatte uns gebeten nach dem Frühstück einmal mit ihm auf den Parkplatz zu gehen. Er wollte uns etwas zeigen. Maxi war ebenfalls bereits dort und wartete auf uns. Chris war noch nicht da.

„Na, hat euch Chris auch herbestellt? Habt ihr einen Plan, warum wir herkommen sollen?“

„Nee, keine Ahnung. Aber es wird schon wichtig sein. Sonst würde Chris nicht so geheimnisvoll sein.“

Fynn hatte das mit einem Lächeln gesagt, mich umarmt und mir einen Kuss gegeben. In dem Moment bog Chris um die Ecke und hatte einen großen Karton auf dem Arm.

„Na, so gefällt mir das schon wieder viel besser. Ich hatte schon Sorge, dass die Bundesliga für euch ein Liebeskiller ist. Aber jetzt ist erst einmal Einkleiden angesagt. Eure Teamkleidung ist endlich angekommen.“

Er stellte den großen Karton auf den Boden, öffnete den Deckel und gab jedem von uns ein großes Paket mit Sachen.

„Das bitte direkt anziehen und dann geht es zum Fototermin auf den Center Court.“

„Und wo hast du deine Sachen? Oder kommst du nicht mit auf das Foto?“

Chris grinste und hielt uns sein Paket mit Sachen entgegen.

„Hier, keine Sorge. Ihr müsst nicht allein auf das Bild.“

In diesem Moment fuhr ein Bus auf den Parkplatz. Unser Gegner traf ein. Sehr beeindruckender Auftritt, wie ich fand. Mit einem eigenen Fanbus kam unser Gegner an. Bis zum Spielbeginn um elf Uhr waren es noch etwa zwei Stunden. Erst jetzt wurden die Kassen besetzt und überall herrschte reges Treiben auf der Anlage. Die Werbe- und Verkaufsstände wurden aufgebaut und auch die Schiedsrichterstühle mit den Mikrofonen wurden aufgebaut. Die Anzeigentafeln installiert und das Schiedsrichterteam war ebenfalls schon eingetroffen. Thorsten hatte ich bereits mit ihnen über die Anlage gehen sehen. Es wurde jetzt wirklich ernst und diesmal war ich nicht nur Zuschauer, sondern tatsächlich mit meinem Freund Spieler für den TC BW Halle.

Allerdings wurde uns das erst richtig bewusst, als wir alle in der wunderschönen Teamkleidung auf dem Center Court für den Fotografen Modell standen. Es war ein schönes, aber auch komisches Gefühl mit den Weltklassespielern gemeinsam auf dem Platz zu stehen.

Chris erklärte uns nach dem Shooting: „Um kurz vor elf möchte ich, dass ihr hier unten am Rand seid und zur Vorstellung für die Zuschauer da seid.“

„Wie? Vorstellung für die Zuschauer? Wird nicht um elf einfach begonnen?“, fragte ich überrascht.

„Nein“, sagte Chris mit einem Grinsen im Gesicht. „Am ersten Spieltag gibt es traditionell eine größere Vorstellung für die heimischen Fans. Es gibt auch ein kleines Spiel und die Fans können etwas gewinnen. Das dauert etwa eine halbe Stunde. Danach geht es dann mit den Spielen los.“

Was für ein Aufwand für ein Mannschaftsspiel, dachte ich. Allerdings wurde mir sehr bald klar, dass dieser Aufwand gerechtfertigt war. Um halb elf war die Anlage bereits richtig voll mit Zuschauern. Und an der Kasse waren noch lange Schlangen. Und das allerverrückteste war die Tatsache, dass es Leute gab, die von uns Autogramme haben wollten. Nur weil wir in Spieleranzügen steckten.

Fynn und Maxi staunten genauso wie ich. Manchmal mussten wir sogar lachen, wenn ein Erwachsener uns um ein Autogramm bat. Wir hatten noch keinen einzigen Ball geschlagen und hatten das Gefühl, bereits ein Match gewonnen zu haben.

Unglaublich.

Um kurz vor elf war die komplette Mannschaft am Treffpunkt und Frank Hofen begrüßte die Zuschauer. Frank war offizieller Pressesprecher unseres Vereins.

Einer nach dem anderen wurde vorgestellt und bekam lauten Applaus. Dann waren wir an der Reihe und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Unsere Namen wurden der Reihe nach aufgerufen und wir liefen auf den Platz. Die Ballkinder standen Spalier und wir wurden von den anderen Spielern abgeklatscht. Das Publikum klatschte und jubelte bei jedem einzelnen Spieler. Das war ein Gänsehautfeeling.

Ganz zum Schluss wurden die Trainer Thomas und Chris mit Thorsten aufgerufen. Sie betraten gemächlich mit einem Lächeln den Platz. Frank Hofen erklärte dann:

„So, liebe Zuschauer. Wie ihr bereits bemerkt habt, gibt es in diesem Jahr einige Neuerungen. Wir haben einen weiteren Coach in unserem Team. Chris ist der Bruder von Jan und verstärkt unser Team in diesem Jahr. Was noch neu sein wird, erklärt euch jetzt Gerry Weber.“

Er gab das Mikrofon weiter an Gerry Weber. Wir waren sehr gespannt, was nun kommen würde.

„Ebenfalls in diesem Jahr neu ist, dass wir drei sehr junge Nachwuchsspieler in den Kader aufgenommen haben. Wir sind überzeugt, dass wir von diesen Youngsters noch viel hören und sehen werden. In diesem Jahr sollen sie Bundesligaluft schnuppern und im nächsten Jahr auch regelmäßig eingesetzt werden. Ich möchte darum bitten, diesen Jungs die gleiche Unterstützung zu geben, die wir bislang immer von euch als Zuschauer bekommen haben. Wir glauben nämlich daran, dass sie in ein oder zwei Jahren in der Weltspitze spielen werden. Damit beenden wir die offizielle Vorstellung und ich möchte darauf hinweisen, dass wir zwischen Einzel und Doppelspielen ein kleines Showmatch geplant haben. Dort sollen die Youngsters auch zeigen können, dass sie das Niveau für die Bundesliga haben. Ich wünsche allen viel Spaß und hoffe auf einen erfolgreichen Tag für den TC BW Halle.“

Dann brandete erneut lauter Applaus auf und ich hatte Gänsehaut. Fynn schaute mich die ganze Zeit ungläubig an. Als Gerry Weber fertig war, flüsterte er mir ins Ohr:

„Boah, ich dachte, das hört nie auf. So eine Vorstellung hatte ich nicht erwartet. Das war ja richtig Kinoreif.“

Thomas kam zu uns:

„Könnt ihr bitte mit Tim und „Struffi“ auf den Trainingsplatz gehen. Sie wollen sich einschlagen. Anfangen tun Jarkko und Daniel.“

Also konnten wir im Prinzip gar nichts von den Spielen sehen. Aber das war ja auch der Sinn unserer Mission. Wir liefen zurück in die Umkleide und holten unsere Schläger. Am Platz angekommen, warteten die beiden schon auf uns.

„Hi, lasst uns beginnen. Hier sind Bälle und dann los. Am besten gehen zwei von euch zu „Struffi“ und einer bleibt bei mir.“

Tim schien wirklich richtig ernst zu machen. Entsprechend nervös war ich, weil ich derjenige sein sollte, der sich mit ihm einschlagen sollte. Leider machte sich das auch in meiner Fehlerquote deutlich. Schön war, Tim nahm es mit Humor und nach etwa fünf Minuten wurde mein Spiel deutlich besser. Jetzt wurde das Tempo auch deutlich höher und Tim konnte richtig Gas geben. Ich schlug die Bälle genauso schnell zurück und die Ballwechsel wurden immer länger. Er fing irgendwann an, Aufschläge zu machen und ich spielte Returns. Nach etwas mehr als einer Dreiviertelstunde brach er das Spiel ab.

„Super, danke. Das reicht für jetzt. Das war richtig gut. Lass uns mal bei den anderen beiden Matches schauen. Hoffentlich führen unsere Jungs.“

Tim schlug mich mit der flachen Hand ab und er wollte direkt zu den anderen gehen. Ich hingegen wollte noch den Platz abziehen. Das gehörte sich eigentlich so. Allerdings sagte Tim:

„Lass das. Das macht das Platzteam. Heute ist das nicht unsere Aufgabe. Komm mit.“

Krass, ich konnte einfach gehen. Auf dem Weg zu den Plätzen, wo gespielt wurde, mussten wir erneut viele Autogramme geben. Wir setzten uns unten auf die Tribüne direkt am Platz. Thorsten saß mit den anderen bereits dort und informierte uns. Es sah bei beiden Einzeln gut für uns aus. Jeweils der erste Satz ging an Halle.

Die Stimmung unter den Zuschauern war gigantisch, jeder Punkt wurde mit frenetischem Jubel begleitet. Beim Spielstand von 3:2 im zweiten Satz für Jarkko sprach mich ein Junge an, der vielleicht elf oder zwölf war.

„Entschuldigung, könnte ich von dir ein Autogramm haben? Dein Freund hat mir auch schon eins gegeben.“

Ich erschrak. Woher wusste er, dass ich einen Freund hatte? Thorsten neben mir fing an zu grinsen, als er mein Gesicht sah. Er nickte mir beruhigend zu und ich unterschrieb auf dem T-Shirt des Jungen.

„Woher wusste der Junge, dass ich einen Freund habe?“

Jetzt fing Thorsten richtig an zu lachen und ich verstand nur noch Bahnhof.

„Du bist mir einer, hast du den Jungen nicht erkannt? Das war der älteste Sohn von Ralf Weber. Und daher wird er gewusst haben, wer ihr seid. Außerdem spielt er bei uns im Verein.“

Das war mir jetzt allerdings etwas unangenehm. Fynn kam die Tribüne herunter und setzte sich neben mich. Jetzt konnten wir das Ende dieses Matches beobachten und für mich war es sehr beeindruckend wie sicher Jarkko seinen Gegner im Griff hatte. Obwohl fünfzehn Jahre älter, spielte er seinen Gegner an die Wand.

Als das Match zu Ende war und Jarkko gesiegt hatte, klatschte er jeden von uns ab. Wir wurden dabei nicht ausgespart. Im Gegenteil, Jarkko setzte sich sogar zu uns auf die Tribüne, als wir bei Tim das Ende seiner Partie beobachteten. Er fragte uns nach unseren Erfolgen und den letzten Turnieren. Irgendwann fragte er Fynn:

„Sag mal, wie gehen denn so die anderen Spieler damit um, wenn sie erfahren, dass ihr ein Paar seid?“

Fynn zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es gar nicht. Meistens versuchen wir das gar nicht groß zu zeigen. Aber so wirklich negativ war nur eine Reaktion, die von Marek in Hamburg. Das war bitter und hatte wehgetan.“

Jarkko ließ sich von uns diese Geschichte erklären und zum Ende sagte er:

„Boah, das ist eine ganz miese Geschichte. Ich hoffe, dass Chris und Thorsten das geklärt haben, bevor Jan ihn in die Finger bekommen hat.“

Ich schaute ihn fragend an und auch Fynn schien das nicht richtig verstanden zu haben.

„Leute, ist doch ganz einfach. Jan würde ihn hochkant rauswerfen, wenn er das mitbekommen hätte.“

In diesem Moment drehte sich Thomas von der Bank zu uns um und sagte trocken:

„Er hat ihn hochkant rausgeworfen. Wenn auch erst zum Ende des Jahres.“

Jarkko fing herzlich an zu lachen und klopfte uns freundlich auf die Schultern.

„Genauso habe ich das erwartet. Jan hat sich an dieser Stelle kein Stück verändert.“

„Du hast lange mit Jan gearbeitet, oder?“, wollte ich wissen.

„Ja, über zehn Jahre. Und ich habe viele Erfolge mit ihm gefeiert. Jetzt wo ich nicht mehr auf der Tour spiele, haben wir uns getrennt. Aber wir sprechen uns immer noch oft und tauschen uns aus.“

Leider waren wir so in das Gespräch vertieft, dass wir erst nach dem Matchball von Daniel realisierten, dass es bereits 2:0 stand. „Struffi“ hatte den anderen Platz mittlerweile betreten und deshalb strömten die Zuschauer dorthin.

Fynn: Endlich Zeit die Familie zu begrüßen

Ich hatte jetzt endlich einmal kurz Gelegenheit, meine Familie zu begrüßen. Auch Patrick war mitgekommen und fieberte voll mit. Er war etwas enttäuscht, sagte zwar nichts Negatives, aber ich konnte es an seinem Gesicht erkennen.

„Was ist los? Warum machst du so ein Gesicht?“

„Ich dachte, ihr würdet heute auch selber spielen. Das finde ich etwas schade.“

Meine Mutter wollte sich einmischen und Patrick schon zurückpfeifen, aber ich war schneller.

„Warum das denn? Glaubst du, wir könnten so einfach auf diesem Niveau spielen? Du spinnst doch. Wir sind froh, dass wir dabei sein können und mit diesen Weltklasseleuten trainieren können.“

„Sehr richtig, mein Sohn.“

Mein Vater kam hinzu und begrüßte mich mit einer Umarmung. Das tat gut. Wir hatten uns schon sehr lange nicht mehr so entspannt begrüßt. Ein tolles Gefühl. Genauso schön war die Begrüßung von Dustin. Mein Vater umarmte ihn genauso wie er das bei mir getan hatte.

„Habt ihr einen Moment Zeit oder seid ihr gerade irgendwo eingebunden?“, fragte mein Vater.

Ich schaute Dustin etwas ratlos an. Wir zuckten mit den Schultern.

„Weiß nicht, aber was hast du vor? Momentan müssen wir keine feste Aufgabe erfüllen, aber wir sollten nicht weggehen.“

Mein Vater lachte und führte uns einfach in den Catering Bereich. Dort gab es Getränke und Essen. Eigentlich hatten wir Spieler alles frei. Aber mein Vater hatte sich etwas überlegt. Er lud uns zu einem Eis ein. Mit der Waffel in der Hand bewegten wir uns über das Gelände. Wir erklärten ihm alles und plötzlich standen Thomas und Jarkko vor uns. Sie begrüßten meinen Vater und wir sprachen noch kurz miteinander. Thomas bat uns, bald wieder an den Platz zu kommen.

Dennoch nahm sich mein Vater die Zeit, uns schnell noch etwas zu sagen:

„Hört mal ihr zwei, heute Abend werden wir wohl wenig Gelegenheit haben, viel Privates zu besprechen. Deshalb möchte ich euch das hier sagen. Insbesondere für Dustin ist das wichtig. Meine Frau und ich haben uns überlegt, dass wir Dustin bei uns in die Familie aufnehmen könnten. Vorausgesetzt, ihr möchtet das überhaupt. Macht euch mal Gedanken darüber und wir sprechen dann bei einer ruhigen Gelegenheit noch einmal darüber.“

„Wir haben den frühen Abend noch Zeit zusammen zu sein. Das Gespräch beginnt ja erst am Abend.“

Dennoch war das war ein absoluter Knaller. Mein Vater, der zuerst ein Riesenproblem mit meiner Homosexualität zu haben schien, würde meinen Freund in seine Familie aufnehmen. Das war schon heftig. Ich war so überrascht, dass ich nicht viel mehr sagen konnte. Ich umarmte ihn einfach nur. Das tat mein Vater mit Dustin im Anschluss sehr innig. Ein tolles Bild. Für Dustin war das sehr emotional, genau wie für mich.

Mit Tränen in den Augen umarmte Dustin meinen Vater. Anschließend nahm ich meinen Freund in den Arm und wir küssten uns. Patrick grinste breit, als wir uns wieder getrennt hatten.

„Grins nicht so blöd. Noch nie ein küssendes Paar gesehen?“, fragte ich genervt.

„Doch, aber noch nicht meinen Bruder und seinen Freund. Das musste ich gleich festhalten.“

Bevor ich ihm sein Handy wegnehmen konnte, um das Foto zu löschen, war er schon weggelaufen. Dustin fand das hingegen lustig:

„Hey, lass ihn doch. Es weiß hier doch eh jeder. Immerhin ist er mittlerweile kein nervendes Kleinkind mehr. Komm, wir müssen wieder zum Platz. Die anderen spielen wieder. Kommen Sie mit?“

Mein Vater freute sich über Dustins Frage und somit machten wir uns zu dritt auf, wieder an den Platz zu gehen.

Dort herrschte schon wieder großartige Stimmung und ich war schon verwundert, wie viele Zuschauer gekommen waren.

Es sah nach einer deutlichen Führung nach den Einzeln für uns aus. Vielleicht sogar schon ein Sieg nach den Einzeln. Das mussten wir noch abwarten, aber es sah echt gut aus. Dustin und ich saßen wieder nebeneinander direkt hinter der Spielerbank, auf der Chris saß. Er redete gerade mit Robin, als Frank Hofen zu uns kam und fragte:

„Würdet ihr bitte nach den Einzeln einmal zu mir kommen. Es gibt da was zu besprechen.“

„Klar“, antwortete ich, „aber wir können das auch hier schon besprechen.“

Frank setzte sich zu uns auf die Tribüne.

„Ok. Ich möchte in der Pause zwischen den Einzeln mit euch ein Interview für die Zuschauer machen. Ihr seid die Nachwuchshoffnungen des TC BW Halle und die Zuschauer sollen euch besser kennenlernen.“

Ich schaute meinen Freund an. Dustin mochte diese Interviews überhaupt nicht, aber wir wussten auch, dass das gerade zu Hause sehr wichtig war. Also nickte Dustin mir unmerklich zu.

„Ok, aber nur kurz. Wir sollen in der Pause vor den Doppeln ein kleines Showmatch spielen.“

Frank lächelte und erwiderte:

„Keine Sorge. Es wird nicht so lange dauern. Kommt ihr bitte nach den Einzeln zum Pressestand.“

Wir sagten ihm das zu und dann war er auch schon wieder verschwunden. Das dritte Einzel war schon so gut wie entschieden, denn „Struffi“ führte deutlich. Lediglich Robin hatte schwer zu kämpfen. Er hatte an Position eins aber auch den härtesten Gegner. Dort sah es eher nach einer Niederlage aus. Da in der Bundesliga der dritte Satz auch im Champions-Tiebreak gespielt wurde, kam auch immer etwas Glück ins Spiel.

Mein Vater hatte Dustin mittlerweile wie selbstverständlich das „Du“ angeboten. Irgendwie war das alles bislang ein wundervoller Tag und ich war glücklich über diese Entwicklungen. Chris hatte es geschafft, unsere Familie zusammenzubringen.

Eine halbe Stunde später stand es 3:1 für Halle nach den Einzeln und Chris hatte uns in die Kabine gerufen. Also musste das Interview mit Frank Hofen warten. Es wurde kurz über die möglichen Doppelaufstellungen gesprochen und dann konnten wir auch zum Interview gehen. Daran musste ich mich noch gewöhnen.

Heute waren viele Zuschauer gekommen und wir waren sehr begehrte Autogrammgeber. Das irritierte mich immer noch. Wir hatten noch kein besonderes Ergebnis erzielt und dennoch wurden wir von den eigenen Zuschauern stark unterstützt. Frank stellte uns ein paar einfache Fragen zu unserer Person und dann kam auch eine Frage, die ich eigentlich nicht so gern hatte.

„Stimmt das eigentlich, dass ihr beide ein Paar seid? Thorsten hat mir diese Information zugetragen.“

Früher wäre Dustin sofort in Panik geraten und vielleicht sogar weggelaufen. Heute überraschte er mich mit seiner Antwort, die wie aus der Pistole geschossen kam:

„Ja, das ist richtig und ich bin stolz auf meinen Freund. Außerdem auf Chris, der uns hier die Möglichkeit gibt, unseren Traum zu leben.“

Im Publikum herrschte für einen Moment ungläubiges Schweigen, dann kam aber lauter Applaus auf. Frank nahm das auf:

„Es ist auch an der Zeit, dass es im Herrentennis kein Tabu mehr ist. Wie ihr an der Reaktion der Zuschauer sehen könnt, stehen sie hinter euch. Ich wünsche euch für die Zukunft viel Erfolg und hoffen wir, dass ihr bald auch in der Bundesliga für Furore sorgen könnt.“

Damit waren wir wieder entlassen. Schnell machten wir uns auf den Weg in die Umkleide. Wir sollten ja jetzt ein kleines Showdoppel spielen. Vor der Kabine empfing uns aber Chris, der mit jemandem dort stand und sich sehr angeregt unterhielt. Diese Person stand mit dem Rücken zu uns, so dass wir noch nicht erkennen konnten, wer das war.

„Stopp, wo wollt ihr denn hin?“, fragte uns Chris.

„Na, wir sollen doch das Showdoppel spielen. Wir brauchen unsere Taschen.“, antwortete ich.

Dustin war schon sehr ungeduldig, weil er immer Angst hatte, zu spät zu sein. Da drehte sich die andere Person zu uns um und mir blieb fast die Luft weg. Frank, Dustins Onkel war gekommen. Das traf Dustin total unvorbereitet und entsprechend heftig fiel die Begrüßung aus. Auch mich begrüßte er sehr herzlich und als wir uns etwas beruhigt hatten, ließ Chris die Bombe platzen.

„Euer Showmatch wurde gestrichen. Es gibt eine kleine Änderung. Daniel hat sich leicht verletzt und wird kein Doppel spielen. Deshalb haben wir uns entschieden Robin und Tim spielen erstes Doppel und Fynn spielt mit Jarkko zweites Doppel. Bevor ihr mich jetzt haut, das war Jarkkos Idee. Er hat gesagt, dass Fynn ein sehr gutes Doppel spielt. Er wollte das so. Also Beschwerden an ihn.“

Dustin und ich schauten Chris wohl ziemlich blöd an, denn Frank begann zu lachen und auch Chris lachte uns an.

„Ihr könnt natürlich auch ablehnen, wenn ihr nicht möchtet. Leider können wir euch nicht zusammen spielen lassen. Das Match ist noch nicht entschieden.“

„Spinnst du? Wenn Fynn die Möglichkeit bekommt zu spielen, spielt er. Er wird auch ohne mich spielen können.“

Bevor ich noch etwas sagen konnte, schien für Chris das damit klar zu sein. Er ergänzte noch:

„Dustin soll mit mir auf der Bank sitzen und Jarkko wartet schon auf euch. Ihr sollt euch auf einem der hinteren Plätze einschlagen. Dustin und Maxi werden eure Partner sein.“

Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet und entsprechend aufgeregt war ich jetzt und auf dem Weg zum Trainingsplatz sprachen wir natürlich über diese neue Situation.

„Ich freu mich für dich, ehrlich. Und komm nicht auf die Idee zu denken, ich wäre enttäuscht. Absolut nicht. Genieße das Spiel. Mit Jarkko hast du einen ganz erfahrenen Spieler an deiner Seite. Das klappt schon.“

„Ich weiß nicht. Ich bin jetzt doch sehr nervös. Hoffentlich bekomme ich das auch hin. Immerhin sind viele Zuschauer da und ..“

„Hey, dafür haben wir doch so hart gearbeitet. Also mach dir nicht so einen Stress. Chris würde dich nicht spielen lassen, wenn er Zweifel hätte. Los, auf geht es.“

Am Platz warteten Maxi und Jarkko bereits. Schön für mich war, dass Maxi sich ebenfalls für mich freute. Er war kein bisschen neidisch auf mich. Jarkko war auch sehr entspannt und gab mir ein gutes Gefühl.

Chris: Ein schöner Sonntag geht zu Ende

Mit der Möglichkeit für Fynn, Doppel zu spielen, hatten wir die Jungs überrascht. Ich hatte auch nicht wirklich daran gedacht. Allerdings hatte Jarkko diese Idee. Er hatte Fynn die ganzen Trainings und Vorbereitungen über beobachtet und mir mehrfach über sein außerordentliches Talent etwas vorgeschwärmt.

Interessanterweise hatte insbesondere Maxi damit keine Probleme und gönnte es Fynn. Jetzt saß ich bei Jarkko und Fynn auf der Bank und staunte immer wieder über die 'Abgebrühtheit' von Fynn. Er spielte mit Jarkko ein grandioses Doppel. So als ob er bereits seit Jahren in der Bundesliga spielen würde. Die Zuschauer tobten bei jedem Punkt, den Fynn machte. Allerdings musste ich auch erkennen, dass ohne Jarkko dieses Experiment sicher nicht so funktioniert hätte. Jarkko nahm ihm jeden Druck und übernahm die Verantwortung auf dem Platz. Er redete nach jedem Punkt mit Fynn und auch bei Fehlern baute er ihn wieder auf. Das war für mich sehr schön anzusehen. Fynn wurde mit jedem Spiel sicherer und auch mutiger.

Es war kaum zu glauben, aber wir konnten beide Doppel gewinnen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Entsprechend euphorisch war auch Dustin auf der Bank als Jarkko den Matchball verwandelt hatte. Dustin lief auf den Platz und was tat er? Nein, er umarmte nicht Fynn zuerst, sondern er lief auf Jarkko zu und umarmte diesen sehr stürmisch. Dieser war allerdings überhaupt nicht darauf vorbereitet und so lagen beide plötzlich auf dem Rücken, mitten auf dem Platz. Alle lachten sich kaputt über das Bild. Fynn schien so überrascht und erschrocken, dass er seinen Freund von Jarkko zog. Dieser rappelte sich lachend vom Boden auf und dann wurde gejubelt.

Erst Minuten später waren wir vom Platz gegangen und Jarkko ging neben mir, während Dustin und Fynn hinter uns liefen. Jarkko grinste über sein gesamtes Gesicht, während ich ein wenig konsterniert war über diese unglaubliche Leistung.

Jarkko nahm mich einen Moment an die Seite, als uns Fynns Eltern gegenüber standen. Das sollte nicht für die Eltern bestimmt sein. Jarkko hatte ein gutes Gespür dafür.

„Woher hast du gewusst, dass Fynn so gut spielen würde?“, fragte ich Jarkko.

„Ich habe es nicht gewusst und ich muss zugeben, dass ich so eine Leistung auch nicht erwartet hatte. Umso schöner ist das allerdings. Dieser Junge hat ein unglaubliches Auge für die Situation. Wenn er mehr Erfahrung hat, kann er ein großer Spieler werden. Ihr müsst die drei unbedingt weiter fördern.“

„Das haben wir auch vor, allerdings bin ich mir nicht so sicher, ob es richtig ist, sie schon so früh auch bei großen Turnieren spielen zu lassen.“

Jarkko schaute mich an, begann zu lachen und sagte:

„Lasst sie spielen. Du wirst es ihnen schon richtig erklären. Eine Frage habe ich allerdings an dich. Du bist doch mehr als nur ihr Coach. So vertraut wie sie mit dir umgehen bist du etwas Besonderes für sie.“

„Naja, ich habe zuerst nur versucht, ihnen bei familiären Problemen zu helfen. Allerdings kam Jan dann auf die Idee, mich als Coach einzubauen. Seitdem trainiere ich sie auch. Sie haben in den wenigen Monaten extrem schnell unglaublich viel hinzu gelernt. Und dass Fynn heute so unglaublich gespielt hat, war so nicht zu erwarten gewesen.“

„Also, so überragend hatte ich das auch nicht gedacht. Nach den Leistungen beim Training konnte ich mir allerdings schon vorstellen, dass er gut spielen könnte, aber so überzeugend? Nein, nicht wirklich. Allerdings hast du einen großen Anteil daran. Respekt!“

Ich wurde von Fynns Eltern und Dustins Onkel erwartet und konnte sie bereits auf dem Rasen sehen, wo sie auf mich warteten. Also verabschiedete ich mich für einen Moment von Jarkko und ging zu ihnen.

„Na Chris, haben sich die beiden wieder etwas beruhigt? Das war eine grandiose Leistung. Ich kann das immer noch nicht so richtig glauben.“

Fynns Vater war vollkommen überwältigt von der Situation und sehr aufgewühlt. Frank hingegen lächelte nur und sagte zu mir:

„Wie gut, dass wir damals auf dich gehört haben und du ihnen das ermöglicht hast. Wie soll denn eigentlich das Ganze weitergehen?“

„Wartet bitte bis heute Abend. Wir werden es euch erläutern, wenn die anderen auch dabei sind. Wir brauchen dafür ja auch eure Zustimmung. Deshalb haben wir heute noch dieses Meeting angesetzt.“

„Ah, alles klar. Können wir bis dahin mit den Jungs in die WG fahren? Wir haben ja noch gar nicht die Wohnung von innen gesehen.“

Ich erklärte ihnen, dass sie die Zeit mit Dustin und Fynn nutzen sollten. Dadurch hatte ich ein wenig Zeit, mir den Zukunftsplan noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Sollte dieser sich so umsetzen lassen wie geplant, wäre ich in naher Zukunft wenig zu Hause. Beginn würde in München sein. Dort hatten die Jungs eine „Wildcard“ für die Qualifikation der BMW-Open erhalten. Eigentlich war diese Turnierkategorie noch zu hoch, aber eine Wildcard zu bekommen, war eine Auszeichnung und die mussten wir annehmen.

Es waren alle wichtigen Personen anwesend, als ich um halb acht in die WG kam. Thorsten und ich hatten noch einmal alle wichtigen Punkte besprochen und er wollte den Abend moderieren.

Ich begrüßte die anwesenden Eltern alle einzeln. Das war für mich nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern gab mir gleichzeitig Informationen über die Stimmungslage. Heute war es relativ einfach. Die Stimmung war bestens, weil das Bundesligateam gewonnen hatte und Fynn sogar ein sehr gutes Match gezeigt hatte. Lediglich Maxis Vater war nicht einverstanden mit der Entscheidung, Fynn spielen zu lassen und nicht seinen Sohn.

Wir standen gerade beieinander und ich wollte ihm dazu etwas erklären, als Maxi sich dazu stellte und nur für einen kurzen Moment zugehört hatte.

„Was soll das, Papa? Solche Entscheidungen werden von allen getroffen. Wir waren alle damit einverstanden. Jetzt lass diese blöde Meckerei. Ich bin sehr froh, dass Fynn spielen durfte und es so toll gemacht hat. Ich weiß nicht, ob ich das so hinbekommen hätte. Also hör auf hier Gift zu sprühen. Das wollen wir nicht.“

Sein Vater war sehr ungehalten darüber, dass Maxi sich damit abgefunden hatte und nicht auf den Einsatz gepocht hatte. Maxi war weiterhin noch der Spieler, der am höchsten in der Rangliste stand. Deshalb war der Vater der Meinung, dass das automatisch für Maxi das Recht beinhaltete, auch als erster zu spielen.

„Was soll das jetzt? Warum spielst du nicht? Du stehst viel besser in der Rangliste als Fynn. Ich finde das nicht ok. Schließlich bezahlen wir ja viel Geld für deine Förderung.“

„Glaubst du, die anderen nicht?“

Maxi fing an sauer zu werden. Diese Position gegen seinen Vater überraschte mich schon etwas. Ich stand als stummer Beobachter in dieser Auseinandersetzung und wartete ab, was jetzt passieren würde. Da machte der Vater einen Fehler, er fragte mich nach meiner Meinung.

„Also, wenn du mich so fragst, sehe ich das genauso wie Maxi. Die drei Jungs spielen absolut auf Augenhöhe und Jarkko hatte sich für Fynn entschieden. Die Ranglistenposition von Maxi ist nur noch minimal besser, als bei den anderen beiden. Außerdem entscheiden wir das gemeinsam, sollte nur einer spielen können. Die Jungs waren alle einverstanden und haben Fynn unterstützt. Vielleicht solltest du deinem Sohn einfach mal eine eigene Entscheidung zubilligen. Er weiß mittlerweile sehr gut, dass wir nicht gegen ihn entscheiden, sondern für das Team. Unsere Jungs haben das mittlerweile verstanden.“

In diesem Moment kam Maxis Mutter noch hinzu und führte ihren Mann, auf ihn schimpfend, direkt von uns weg. Maxi und ich grinsten uns an. Maxi begann zu lachen und sagte:

„Hi hi, Mama hat wieder alles im Griff. Ein gutes Zeichen. Jetzt wird sie dafür sorgen, dass ich wieder in Ruhe arbeiten kann.“

„Nicht nur du kannst in Ruhe arbeiten, wir auch. Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen, die anderen warten bestimmt schon auf uns.“

Tatsächlich. Als wir den Raum betraten, saßen bereits alle auf ihren Plätzen und Thorsten hatte schon den Beamer eingeschaltet. Ich setzte mich neben Thorsten und dieser fing auch direkt mit der Begrüßung an.

„Guten Abend zusammen. Wir freuen uns über die vollständige Anwesenheit aller Eltern, Spieler und Trainer. Heute wollen wir unsere neuen Zukunftsplanungen mit Ihnen besprechen. Auch für euch als Spieler werden sich einige Dinge verändern. Aber um etwas Anspannung von euch zu nehmen, es wird nur eine etwas andere Ausrichtung sein. Jeder von euch dreien wird weiterhin mit Chris arbeiten und niemand wird herabgestuft.“

Es entstand leichte Unruhe, aber bei den Jungs war Erleichterung zu spüren. Sie wussten ja noch nichts von unseren Plänen. Thorsten fuhr mit den Erklärungen fort:

„Wir wollen Sie und euch über unsere neuen und veränderten Pläne unterrichten. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum. Die Antwort ist ganz einfach: Die Planung mit euch als Nachwuchsspieler hat sich einfach überholt. Ihr habt euch viel schneller entwickelt, als wir gedacht hatten. Das ist natürlich sehr erfreulich, aber dementsprechend müssen wir mit euch und euren Eltern über die weiteren Dinge sprechen. Chris wird sich gleich zum sportlichen Bereich äußern und erklären, was wir uns vorstellen. Danach werde ich einige Dinge zu den Finanzen erläutern. Wenn dann noch Fragen offen sind, werden wir selbstverständlich versuchen, diese zu beantworten. Chris, erklärst du bitte jetzt einmal unsere Pläne.“

Wir hatten eine Präsentation für die Eltern vorbereitet in der die tatsächliche Entwicklung abgebildet war. Ich erläuterte die einzelnen Schritte. Dann ging es um die Veränderungen. Thorsten führte aus:

„Jetzt ist aber absehbar, dass wir die drei Jungs hier nicht mehr angemessen unterstützen können. Sie müssen auf größere Turniere und mehr individuell gefördert werden. Das ist allein in der Base nicht mehr zu leisten. Deshalb haben wir uns überlegt, die drei bereits jetzt auf die Future und Challenger Tour zu schicken.

Chris wird sie dort ständig begleiten. Sie bekommen ebenfalls einen eigenen Physio und werden demgemäß viel mehr Turniere im Ausland spielen. Und bevor Sie sich jetzt um die Schule Sorgen machen, es ist natürlich weiterhin unser Ziel, dass sie einen guten Abschluss machen. Allerdings können sie nicht mehr regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Sie werden von ihrer Schule mit Schulmaterial versorgt und wenn sie hier an der Base sind, können sie die nötigen Prüfungen schreiben. Wir werden den Turnierplan den Bedürfnissen entsprechend aufstellen. Für uns ist die Grundvoraussetzung, einen Abschluss zu erreichen, um im Tennis weiterhin gefördert werden zu können. Diese Breakpoint Philosophie wird auch jetzt nicht aufgegeben.“

Bei den Eltern, insbesondere bei Fynns Familie konnte ich ungläubiges Staunen bemerken. Dustin wurde unruhig. Für ihn war es die größte Veränderung, denn er hatte keine Familie im Hintergrund. Deshalb wollte ich das als erstes aufklären. Thorsten übergab das Wort an mich:

„Bevor zu viel Unruhe entsteht: Insbesondere für Dustin bedeutet das noch mehr Eigenverantwortung, weil er leider noch keine eigene Familie im Hintergrund hat. Allerdings wird sich auch da etwas verändern. Wie mir Herr Grehl im Vorfeld bestätigt hat, wird Dustins Onkel mit Hilfe von Fynns Familie das Sorgerecht übernehmen und sich um Dustin kümmern. Das begrüßen wir außerordentlich und ich persönlich freue mich sehr, dass auch Sie, Herr Grehl, Ihren Sohn und seinen Freund wieder unterstützen können. Ich freue mich auf eine tolle Zusammenarbeit. Und damit für die Jungs keine Missverständnisse auftreten, ich werde euch auf allen Turnierreisen begleiten und für das Training verantwortlich sein. Ich habe mich auf Bitten meines Bruders entschieden, als Vollzeittrainer im Breakpoint-Team einzusteigen.“

Was jetzt geschah, hatte ich nicht erwartet. Die drei Jungs schauten sich kurz an und standen dann auf und applaudierten spontan. Alle Eltern waren genauso überrascht wie ich und auch Thorsten hatte damit nicht gerechnet.

Als es wieder ruhig war, meldete sich Dustins Onkel zu Wort:

„Chris, wie ist das mit der Finanzierung? Mehr Reisen heißt doch auch mehr Kosten. Könnt ihr dazu etwas sagen?“

„Sicher“, mischte sich Thorsten ein, „darauf werden wir gleich noch ausführlich eingehen. Bitte noch etwas Geduld.“

Frank nickte zustimmend und Thorsten gab mir wieder das Wort.

Ich stellte jetzt unseren genauen Turnierplan vor und in welchen zeitlichen Dimensionen wird denken. Es sollte angepeilt werden, dass alle drei Jungs in Jahresfrist bei allen Challengerturnieren im Hauptfeld sind und bei einigen ATP – Turnieren ebenfalls. Das würde ein ambitioniertes Ziel sein, von dem ich jedoch überzeugt bin, dass es machbar sein könnte. Unter der Voraussetzung, dass sich keine größeren Verletzungen einstellten.

Nachdem ich meine Ausführungen beendet hatte, sollte Thorsten den Finanzplan vorstellen. Zuvor wollte ich aber noch etwas zu Gerry Weber sagen, der heute nicht anwesend sein konnte.

„Bevor Thorsten jetzt den Finanzplan erklärt, möchte ich Gerry Weber ausdrücklich meinen Dank aussprechen. Er war derjenige, der sofort weitere Unterstützung zugesagt hatte, als klar wurde, der finanzielle Aufwand würde deutlich steigen. Ich möchte jetzt die Eltern von Fynn und Dustins Onkel um eine Erlaubnis bitten. Gerry Weber möchte mit den beiden einige Werbeaufnahmen für die neue Herrenkollektion machen. Es soll dabei deutlich werden, dass sie das erste offen homosexuelle Paar im Tennis sind und Gerry Weber sie unterstützt. Das ist gleichbedeutend mit einem offiziellen Sponsorenvertrag. Dafür brauchen wir aber natürlich die Freigabe der Eltern.“

Diese Information war natürlich für Dustin und Fynn völlig neu und entsprechend aufgeregt waren sie. Dustins Onkel hatte als erster verstanden, was für eine Chance sich dadurch auftat.

„Also, wenn die Jungs damit einverstanden sind, gebe ich hier sofort meine Zustimmung. Jeder Euro Unterstützung ist wichtig und noch viel wichtiger ist das Zeichen, welches Gerhard Weber damit in der Wirtschaft und der Gesellschaft setzen wird. Ich kann nur meinen Hut vor seiner Weitsicht ziehen.“

An dieser Stelle hatten wir kontroverse Diskussionen erwartet. Vor allem bei Fynns Vater. Denn es würde damit vollkommen öffentlich, dass sein Sohn schwul ist und einen festen Partner hat. Es kam allerdings anders. Auch er stimmte sofort zu und gab seiner Freude über diese klare Position von Gerry Weber Ausdruck.

Dieses Meeting war ein voller Erfolg und endete in einer lockeren Runde bei einer Flasche Bier oder Fassbrause. Es dauerte einige Minuten, dann standen Dustin, Fynn und seine Familie bei Thorsten und mir. Fynn sagte:

„Wir sind sehr froh, dass du weiterhin mit uns unterwegs bist und wir nicht einen anderen Trainer bekommen. Wer hat den Deal mit Gerry Weber eingetütet? Das ist echt der Knüller.“

„Naja, das war schon Gerrys Idee. Ich hatte lediglich in einem Gespräch von unseren Plänen berichtet. Er war unserer Ansicht und hat dann diesen Vorschlag gemacht. Ich glaube, mit Gerry habt ihr einen großen Fan und Förderer im Hintergrund. Solltet ihr weiterhin derart bodenständig und hart arbeiten, wird er für euch immer ein offenes Ohr haben.“

Thorsten verabschiedete sich recht bald. Auch Maxis Eltern blieben nicht mehr allzu lange. Frank und Fynns Familie hingegen blieben noch deutlich länger und baten mich, ebenfalls zu bleiben. So erfuhr ich noch einige neue Details aus Fynns Vergangenheit. Ganz besonders interessant fand ich Patricks Verhalten. Im Gegensatz zu sonst, war er den ganzen Abend sehr still und hörte aufmerksam unseren Gesprächen zu. Auch mit seinem Bruder gab es nicht ein Mal Streit. Den ganzen Abend nicht.

Als der Abend zu Ende ging und ich in mein Auto steigen wollte, kam Patrick noch zu mir an die Fahrertür. Ich saß bereits im Auto.

„Ja? Was gibt es noch, Patrick.“

„Äh, also ich möchte mich bei dir bedanken. Erst, seit Papa wieder zu Hause ist und wir eine Familie werden, wird mir klar, wie viel Arbeit du sowohl für Fynn als auch für mich geleistet hast. Ich war sicher oft nicht besonders nett und fair zu dir. Es tut mir leid, aber ich habe mich oft ungerecht behandelt gefühlt. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“

Dann gab er mir ein kleines Päckchen mit einer roten Banderole. Ich war sehr überrascht, nahm es aber gerne an und bedankte mich. Zum Abschluss sagte ich zu ihm:

„Es ist schön, dass du dir Gedanken gemacht hast. Wenn du es ehrlich meinst, verzeihe ich dir gerne. Zeig uns, dass du etwas gelernt hast und dann wird sich das für alle lohnen.“

Fynn: Einige Tage später auf der Fahrt nach München

Dustin, Maxi und ich hatten nach dem Gespräch am Sonntagabend große Probleme zu begreifen, was uns dort offenbart wurde. Selbst jetzt, einige Tage später im Hotel in München, hatten wir das noch immer nicht ganz als Realität verstanden. Für mich fühlte es sich wie ein Traum an. Chris hatte uns natürlich nach München begleitet. Dustin und ich hatten ein Doppelzimmer und packten unsere Taschen aus. Wir mussten erst am nächsten Tag gegen 15 Uhr spielen.

Die BMW Open hatte ich mir im letzten Jahr noch im Fernsehen angeschaut und durfte jetzt selbst dort mitspielen. Das war eines der größten Turniere im Herrentennis in Deutschland. Es zählte zur 250er Kategorie und hatte ein gesamt Preisgeld von mehr als 500 000 € zu verteilen.

Die Kategorie 250 ist die niedrigste auf der ATP-Tour. Die Zahl 250 steht für die Weltranglistenpunkte, die der Sieger erhält. Das Preisgeld wird gestaffelt, das heißt, die 500 000 Euro gelten für alle Konkurrenzen. Der Sieger erhält 82 000 € und einen BMW M4.

So ein Turnier hatten wir, wie schon erwähnt, bislang nur als Zuschauer gesehen. In diesem Jahr durften wir zumindest die Qualifikation für das Hauptfeld mitspielen. Selbst das war nur möglich, weil wir vom Veranstalter eine Wild Card dafür bekommen hatten. Unsere Ranglistenposition hätte dafür noch nicht gereicht.

Entsprechend aufgeregt waren wir beide und Dustin hatte auch hin und wieder Zweifel geäußert. Ich hingegen war fest entschlossen, alles aus mir herauszuholen. Natürlich ließ ich Dustins Zweifel nicht durchgehen und heute äußerte er sich zum ersten Mal positiv dazu.

„Es ist schon geil, dass uns diese Chance gegeben wird. Irgendwie fällt es mir schwer, das so zu glauben. Wie gut, dass du an meiner Seite bist.“

Er legte seine Arme von hinten um meine Brust und drehte mich zu sich um. Unsere Gesichter näherten sich und als sich unsere Lippen berührten, durchströmte mich eine enorme Energie. Das fühlte sich immer noch unfassbar schön an. Es führte leider auch dazu, dass unsere Bemühungen, die Taschen auszupacken und für den morgigen Tag vorzubereiten, sich ein wenig verzögerten. Der geneigte Leser wird sich denken können, warum.

Chris saß bereits mit Maxi in der Hotellobby und wartete auf uns, als wir aus dem Fahrstuhl kamen. Alle beide grinsten breit, als wir zu ihnen an den Tisch traten.

„Na“, sagte Chris, „was hat euch denn aufgehalten? Ihr seid zehn Minuten zu spät.“

„Sorry“, meinte Dustin und wollte versuchen es zu erklären, aber ich unterbrach ihn.

„Nein, das musst du nicht erklären. Chris weiß es eh schon. Wir sollten einfach beim nächsten Mal pünktlich sein.“

Maxi runzelte seine Stirn, während Chris nur nickte und vielsagend lächelte.

„Dann können wir jetzt los zum Essen?“, fragte er direkt, ohne auf unsere Worte einzugehen.

„Meinetwegen gerne, ich habe jedenfalls Hunger.“

„Wann hast du eigentlich keinen Hunger, Fynn?“, fragte Chris süffisant.

Das führte zu allgemeinem Gelächter und Chris hatte uns damit vor weiteren Fragen von Maxi bewahrt. Ich war sehr froh darüber.

Kurze Zeit später saßen wir am Tisch und jeder hatte einen großen Teller Nudeln vor sich stehen. Die waren sehr lecker, auch wenn ich manchmal das Gefühl hatte, zu viele Nudeln zu essen. Aber vor einem Turnier war Pasta halt sehr wichtig.

„Was machen wir eigentlich heute noch so? Steht noch was an oder können wir vielleicht noch etwas bummeln gehen?“

Chris runzelte seine Stirn und schaute zu uns. Maxi schüttelte den Kopf und sagte:

„Also ich werde heute gar nichts mehr machen. Ich bin hundemüde und bleibe ganz sicher im Hotel. Ich werde noch eine Massage nehmen und dann ins Bett gehen.“

Das konnte ich kaum glauben, denn Maxi war sonst immer für einen Stadtbummel zu haben. Gerade in einer Stadt wie München.

„Eigentlich finde ich das unvernünftig, heute noch auf Tour zu gehen. Wo wollt ihr denn hin? Morgen früh um neun ist Training angesagt. Die Strategiebesprechung ist im Anschluss.“

Klar, Chris wollte natürlich, dass wir absolut fit sein würden. Ich wollte das allerdings auch, aber ich hatte mich erkundigt, wo es hier in der Nähe einen Billardladen gibt. Da wollte ich gerne mit Dustin hin und noch eine Partie spielen.

Ich hatte Chris das erklärt. Er überlegte relativ lange über unser Anliegen und sagte dann:

„Also gut, aber um zehn seid ihr wieder hier und das pünktlich. Sonst wird das in Zukunft so nicht mehr gehen. Nehmt euer Handy mit und wenn was sein sollte, bitte ruft mich sofort an.“

„Super. Danke Chris. Wir sind pünktlich zurück, versprochen.“

Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet, dass uns Chris gleich am ersten Abend allein in die Stadt ließ. Entsprechend erfreut waren Dustin und ich, als wir umgezogen das Hotel verließen. Ich hatte die Adresse von dem Billardcafé in mein Handy gespeichert und somit waren wir nach zehn Fußminuten dort. Ein wenig nervös gingen wir durch den Eingang.

Dustin hatte mir vorher noch einen flüchtigen Kuss gegeben und als wir den Raum betraten, staunten wir nicht schlecht. Dort waren sechs Pooltische und zwei Snookertische aufgebaut, an denen reger Spielbetrieb herrschte. Ich ging voran zum Tresen und fragte:

„Einen schönen guten Abend. Wir möchten gern Billard spielen.“

„Pool oder Snooker?“, fragte uns die nette Dame.

„Äh, eigentlich egal. Wo ein Tisch frei ist.“

„Dann nehmt bitte den Snookertisch zwei. Der ist in fünf Minuten frei.“

„Danke, können wir bitte eine Apfelschorle und ein Wasser haben?“, fragte ich.

Die Dame nickte und bat uns, schon zum Tisch zu gehen. Sie brachte uns die Getränke dorthin und wir nutzten die Zeit, uns ein wenig umzuschauen.

Es waren überwiegend jüngere Leute dort. Wir vermuteten Schüler und Studenten. Die waren deutlich in der Mehrzahl. Unser Tisch wurde jetzt frei und wir begannen unser Spiel. Snooker war viel anspruchsvoller als Poolbillard. Der Tisch war fast doppelt so groß wie ein Pooltisch und die Bälle und Löcher kleiner. Dustin und ich waren Amateure und spielten eigentlich eher Pool. Ich stand gerade am Tisch und spielte die blaue Kugel ins Mittelloch, als Dustin wie angewurzelt auf den Nebentisch starrte. Dort spielten zwei Jungs, die etwas älter als wir waren. Vielleicht siebzehn oder achtzehn. Ich konnte nichts Ungewöhnliches feststellen und nachdem ich die blaue Kugel versenkt hatte, fragte ich Dustin:

„Was für ein Gespenst hast du denn gerade gesehen?“

Dustin schüttelte sich etwas und flüsterte: „Ich weiß nicht, aber die beiden Jungs am Nebentisch haben sich gerade geküsst.“

„Äh, ja und? Das können wir doch auch. Warum erschrickst du so dabei?“

„Weil wir das niemals hier tun würden. Wir sind mitten in einem Café und kennen hier keinen Menschen. Das würde ich niemals riskieren.“

Ich schaute meinen Freund an und musste grinsen. Ich hatte da mittlerweile eine andere Sichtweise, wollte die aber nicht gleich am ersten Abend mit Dustin öffentlich diskutieren. Wir spielten weiter und ich beobachtete unsere Tischnachbarn weiter und ja, Dustin hatte recht. Die beiden Jungs waren mit Sicherheit nicht erst seit gestern zusammen. Sie benahmen sich absolut selbstbewusst und ihre Zuneigung zueinander zeigten sie offen.

Bei unserem zweiten Spiel waren sie für einen Moment nach draußen gegangen und ich hatte gerade einen Lauf und konnte schon zwei rote Kugeln und zweimal eine Farbe lochen. Als ich die dritte Rote versenkt hatte, hörte ich hinter meinem Rücken eine Stimme:

„Wow, du spielst richtig gut. Dass jemand drei rote in Folge spielen kann, habe ich hier noch nicht oft gesehen. Seid ihr neu hier?“

Ich drehte mich um und der blonde Junge vom Nebentisch stand vor mir und lachte. Sein Freund stand neben ihm und fing ebenfalls an zu lachen.

„Luc“, sagte er, „du hast die beiden total in Verlegenheit gebracht. Schau mal, sie werden ganz rot.“

„Na und, lass mir doch auch mal meinen Spaß, Stef.“

Dann streckte er mir seine Hand entgegen und sagte: „Wie wir heißen, habt ihr ja jetzt schon gehört. Darf ich fragen, wie eure Namen sind?“

„Äh klar, ich heiße Fynn und das ist mein…, äh das ist Dustin.“

Fast hätte ich uns direkt geoutet. Dustin schaute mich an und überraschte mich total. Er ging auf Luc zu und sagte:

„Er wollte sagen, das ist mein Freund Dustin. Ich denke, wir können bei euch offen sein. Ihr seid vermutlich ja auch ein Paar, wie ich eben bemerken konnte.“

„Richtig, wo kommt ihr her? Wir haben euch hier noch nie gesehen.“

Luc war sehr direkt, aber auch sehr freundlich und ich hatte ein gutes Gefühl. Also erklärte ich ihm, weshalb wir hier waren und wo wir herkamen. Darauf nickte er sehr anerkennend:

„Wow, also seid ihr echte Tennisprofis. Ihr spielt bei den BMW open mit. Respekt. Da wollten wir zum Zuschauen hingehen. Wir interessieren uns auch für Tennis. Ich spiele es sogar ein wenig selbst. Aber meine großen Brüder sind deutlich besser als ich.“

Das Gespräch wurde sehr locker, aber auch ein wenig persönlicher. Sie erzählten uns, dass sie auch zu Besuch seien. Eigentlich würden sie aus der Schweiz kommen. Das erstaunte mich doch sehr.

„Ihr kommt aus der Schweiz? Dafür hat Stef aber einen eher bayrischen Akzent und du jedenfalls keinen Schweizer.“

„Stimmt, gut beobachtet. Ich komme auch aus Deutschland und Stef ist eigentlich Münchner, lebt aber bei mir in der Schweiz.“

Bei ihm in der Schweiz? Hatte er bereits eine eigene Wohnung? Er war doch nicht viel älter als wir. Das verwunderte uns doch etwas. Dustin war die ganze Zeit verdächtig ruhig, aber jetzt fragte er doch nach:

„Habt ihr schon eine eigene Wohnung? Wir leben in einer WG in Halle. Dort können wir trainieren und zur Schule gehen.“

Luc lächelte und sein Freund fing auch an zu lachen. Luc antwortete:

„Ja und nein. Also wir haben unsere eigene Wohnung, aber im Hause meiner Eltern. Das ist eine sehr lange und komplizierte Geschichte. Das würde heute zu weit führen. Lasst uns lieber noch etwas spielen. Wir gegen euch? Ist das ok?“

Sie waren sehr nett und offen. Das gefiel mir gut. So spielten wir gegeneinander und es war sehr ausgeglichen. Leider mussten wir um viertel vor Zehn wieder ins Hotel zurück. Chris wäre richtig böse geworden, hätten wir es gewagt, zu spät zu kommen. Luc und Stef hatten aber sofort Verständnis dafür. Wir tauschten unsere Handynummern aus und sie versprachen uns, am nächsten Tag am Turnier vorbeizuschauen und uns zu besuchen. Darüber freuten wir uns sehr. Es war schon komisch, dass wir nach München fahren mussten, um Gleichgesinnte zu finden, die auch noch unser Alter hatten und sehr nett waren.

Wir meldeten uns bei Chris zurück und es war wie zu erwarten. Er hatte sofort bemerkt, dass wir etwas Besonderes erlebt hatten und fragte nach. Also berichteten wir von unserem Abend. Chris musste lachen, als wir endeten.

„Also habt ihr schon eure ersten Münchner Fans gefunden.“

Wir mussten lachen, aber Chris hatte eigentlich sogar den Nagel auf den Kopf getroffen. Wie gut, dass Maxi schon im Bett war. Sonst hätte er sich bestimmt über uns lustig gemacht. Chris fand es gut, dass wir ein gleichgesinntes Paar gefunden hatten. Leider war München oder gar die Schweiz furchtbar weit weg, aber egal. Es war der erste schwule Kontakt den wir mit gleichaltrigen hatten. Naja, fast gleichaltrig. Sie waren ein bzw. zwei Jahre älter als wir.

Chris: Die ersten Matches auf der Profitour mit einer zusätzlichen Überraschung

Am nächsten Morgen waren die Jungs erstaunlich gelassen. Wir besprachen den Ablauf und dann ging es auch schon zum Training. Alles verlief normal und ich war sehr zufrieden mit der Leistung. So brauchten sie sich nicht zu verstecken. Plötzlich bemerkte Fynn zwei Jungs unter den Zuschauern. Er ging einfach an den Zaun und winkte die beiden zu sich an den Zaun. Sie redeten kurz miteinander, dann ging Fynn wieder auf den Platz und machte weiter. Da sie am Nachmittag alle drei ihr erstes Match hatten, rief ich über den Platz:

„Leute, es reicht. Zieht den Platz ab und dann ist für euch Physio und eine Massage angesagt. Wir treffen uns um halb eins zum Essen.“

„Geht klar. Können wir uns noch etwas mit Luc und Stef treffen? Sie haben noch nicht viel Erfahrung im Tennis auf Profiebene. Wir würden sie gern etwas herum führen.“

„Erst wenn Physio und Massage abgehakt sind. Fragt sie doch, ob sie mit uns essen möchten. Ich würde sie gern kennenlernen.“

Das wollten meine drei Jungs tun. Maxi kannte sie ja auch noch nicht und war entsprechend neugierig.

Maxi und ich saßen bereits am Tisch im Spielerbereich, als Dustin zu uns kam.

„Chris, es gibt ein Problem. Luc und Stef sind ja keine Spieler und haben keinen Ausweis für den Spielerbereich. Kannst du bitte zum Eingang kommen?“

„Oh, das stimmt. Da habe ich überhaupt nicht dran gedacht. Ich komme.“

Ich stand vom Tisch auf und folgte Dustin mit zum Eingang. Dort stand Fynn mit zwei Jungs und wartete auf mich. Ich sprach kurz mit dem Eingangspersonal und versprach für die beiden einen „Players Ausweis“ zu besorgen. Danach durften sie uns begleiten.

„So, das ist unser Tisch und ich bin Chris.“

Ich gab beiden die Hand und stellte auch Maxi vor.

„Ich bin Stefan und das ist mein Freund Lucien. Aber Freunde nennen uns nur Stef und Luc.“

Ich freute mich über diese offene Art der beiden.

„Wie kommt ihr zum Tennis?“, fragte ich.

Luc lächelte und erwiderte: „Meine Brüder und mein Vater spielen Tennis. Mick und Lukas sind sogar richtig gut. Naja, für euch natürlich nicht so gut, aber für Hobbyspieler sehr gut. Ich interessiere mich halt ebenso für Tennis. Meine Eltern sind auch hier in München. Sie wollen sich ein neues Auto bei Geiger kaufen. Vielleicht sagt euch das ja etwas.“

Ich musste lachen. Meine Jungs schauten mich etwas ratlos an.

„Leute, der Geiger Karl, so nennt man ihn hier, ist einer der verrücktesten Typen der Ami Szene. Sehr korrekter Mensch und immer für eine Überraschung gut.“

„Das stimmt allerdings. Das können wir aus eigener Erfahrung bestätigen“, ergänzte Stefan.

Dann bat Stefan darum, dass wir ihn Stef nennen sollten. Die Jungs unterhielten sich sehr angeregt und es war offensichtlich, dass Luc und Stef auch ein Paar waren. Für meine beiden Jungs war das ein großer Gewinn. Sie hatten endlich Gleichgesinnte in ihrem Alter gefunden.

Das Essen war bereits vernichtet und die Jungs hatten noch etwa eine dreiviertel Stunde Zeit, bevor sie sich vorbereiten mussten.

„Wollt ihr den beiden nicht ein wenig die Anlage zeigen? Ich besorge euch schnell zwei Ausweise, damit kommt ihr überall rein.“

Ich stand vom Tisch auf und ging ins Turnierbüro. Die Ausweise bekam ich ohne Probleme. Sie waren gültig, solange wir uns im Turnier befanden.

Als ich zurück an den Tisch kam, waren die Jungs in eine rege Unterhaltung vertieft. Auch Maxi war mittlerweile voll integriert und ich wurde erneut bestätigt. Mit diesen Jungs würde ich noch viel Freude haben.

Ich bestellte mir einen Othello und die Jungs machten sich auf den Weg über die Anlage.

„Bevor ihr verschwindet. Es gibt noch eine Regel, die ihr beachten solltet. Fragt die Stars auf dem Trainingsplatz nicht nach Autogrammen. Das wird nicht gern gesehen.“

Luc nickte und nahm seinen Freund in den Arm. So offen waren Fynn und Dustin in der Öffentlichkeit noch nicht immer. Vielleicht würden sie dadurch mutiger werden. Ich freute mich über diese Bekanntschaft. Es waren sehr nette Jungs. Vielleicht würden sie sich ja so anfreunden, dass sie sich mal besuchen würden. Abwarten.

Eine Stunde später saß ich mit Luc, Stef und Dustin bei Fynn am Platz. Maxi hatte seine Partie auch bereits begonnen und ich musste daher hin und her wandern, um beide zu betreuen.

„Chris, kann ich dich mal etwas fragen?“, flüsterte Luc.

Ich drehte mich zu ihm und nickte.

„Kannst du eigentlich Fynn noch helfen, wenn er auf dem Platz ist? Er hat uns gesagt, dass coachen eigentlich verboten ist.“

„Ja, das stimmt. Dennoch kann ich ihm helfen. Mit Gesten und allein meiner Anwesenheit kann ich ihm Sicherheit geben. Das wird euch aber Dustin viel besser erklären können. Er erlebt das ja auch aus der Sicht des Spielers.“

Fynns Gegner kam aus Argentinien und mir wurde sehr schnell klar, das würde sehr hart für ihn werden. Er wird sehr viel Geduld und Kondition brauchen. Gut, Kondition hatte er, aber ob seine Geduld bereits ausreichen würde, da hatte ich meine Zweifel.

„Worüber denkst du gerade nach? Gibt es ein Problem?“, fragte mich Luc. Er hatte mich die ganze Zeit sehr genau beobachtet.

„Nein, ich denke nicht. Ich habe nur über den Gegner sinniert und festgestellt, dass das für Fynn eine ganz schwere Aufgabe sein wird.“

„Denkst du nicht, dass alle Gegner eine schwere Aufgabe sein werden? Immerhin sind die alle deutlich älter und erfahrener.“

Jetzt musste ich lachen. Luc hatte den Nagel auf den Kopf getroffen und mir gezeigt, dass ich eigentlich gar keinen Grund hatte, mir Sorgen zu machen. Alles, was hier passierte, war Bonus.

Ich stand auf, klopfte Luc auf die Schulter und sagte:

„Danke für den Hinweis. Das ist vollkommen richtig und deshalb werde ich mich bemühen, alles gelassen zu nehmen. Ich geh mal bei Maxi schauen. Dustin gehst du dich bitte aufwärmen.“

Maxi hatte einen Spanier als Gegner, der um die 500 in der Weltrangliste stand. Maxi hing sich richtig gut rein und kämpfte um jeden Punkt. Mitte des ersten Satzes war es noch ausgeglichen bei einem 4:4. Für mich war das bereits ein guter Erfolg, denn Maxi spielte ohne Angst und versuchte, seine Möglichkeiten voll auszuspielen. Ich blieb dort bis zum Ende des ersten Satzes. Erfreulicherweise bekam sein Gegner ein wenig Nervenflattern und Maxi gewann den ersten Satz mit 6:4. Beim Gegner flog der Schläger ins Netz und er redete sich in einen Disput mit dem Schiedsrichter. Das konnte für Maxi nur gut sein, denn die Konzentration seines Gegners würde nicht unbedingt besser werden.

Ich ging zurück zu meinem Platz an Fynns Spiel und Luc und Stef fieberten aktiv mit. Sie applaudierten und feuerten ihn an. Daher blieb ich noch etwas im Hintergrund. Ich wollte das Geschehen noch etwas beobachten.

Luc und Stef waren mit Feuereifer dabei, aber sie blieben immer fair. Es war offensichtlich, dass sie die Regeln und das Verhalten als Zuschauer sehr gut beherrschten. Ich stellte mich wieder zu ihnen und Stef fragte sofort:

„Wie sieht es bei Maxi aus? Fynn spielt geiles Tennis. Er kann seinen Gegner richtig ärgern. Das ist toll anzusehen.“

„Wie steht es denn aktuell?“, fragte ich.

„Momentan 3:5, aber Fynn hat Aufschlag und führt 40:0.“

Dabei lachte Stef richtig befreit auf. Seinen Freund musste ich mir immer wieder genau ansehen. Luc machte mit Sicherheit auch viel Sport. Sein Körper war durchtrainiert, aber nicht muskulös. Luc blieb im Hintergrund und ließ Stef sich austoben. Leider brachte der Gegner, nachdem Fynn sein Aufschlagspiel gewonnen hatte, seinen Aufschlag durch, so dass der erste Satz verloren ging.

Jetzt ging auch Dustin mit seinem Gegner auf den Platz. Für mich also noch mehr Stress. Innerhalb weniger Minuten musste ich auf drei Plätzen schauen. Das machte es nicht einfach, daher entschied ich mich dieses Mal, zuerst das Match von Maxi zu Ende zu begleiten. Ich informierte Luc und Stef, damit sie mir Bescheid sagen sollten, wenn es etwas Wichtiges gab.

Es war etwas unglücklich, dass alle Jungs nahezu gleichzeitig angesetzt wurden. Allerdings war das in der Qualifikation nicht zu vermeiden, denn dort wurden alle Spiele einer Runde parallel angesetzt.

Außerdem war nicht wirklich damit zu rechnen gewesen, dass einer meiner Jungs das Hauptfeld erreichen würde. Ein gewonnenes Match musste schon als riesen Erfolg gewertet werden. Dieser Erfolg sollte sich zuerst bei Maxi einstellen, der seinen Gegner tatsächlich auch im zweiten Satz bezwingen konnte. Damit war Maxi in der zweiten Runde der Qualifikation. Dort gab es bereits auch Weltranglistenpunkte und natürlich auch etwas Preisgeld.

Bei Dustin sah es leider nicht so gut aus. Er spielte gut, aber sein Gegner war einfach eine Nummer zu groß für ihn. Erfreulicherweise musste ich Dustin nicht aufbauen, das übernahmen seine neuen Freunde Luc und Stef. Sie hatten bis zuletzt bei ihm am Platz gesessen und waren nach dem Spiel sofort zu ihm an die Bank gegangen. Ich beobachtete das Geschehen bei Dustin und stellte fest, dass er auch mit Niederlagen mittlerweile gut klar kam. Ich ging zu ihm und musste lächeln, denn Luc hatte bereits ein ganz anderes Thema aufgelegt. Sie unterhielten sich über amerikanische Autos.

„Sag mal Dustin, seit wann interessierst du dich für amerikanische Autos?“

Er lachte und antwortete: „Schon als kleiner Junge hatte ich immer einen Mustang oder eine Viper als Spielzeugauto. Ich finde die einfach geil und Luc mag die auch. Er sagt, dass er sogar einen eigenen Oldtimer hat, den er mit seinem Vater zusammen aufbaut.“

„Stimmt das?“, fragte ich etwas überrascht.

Luc nickte, aber es schien ihm etwas unangenehm zu sein. Deshalb ließ ich das einfach so stehen. Sie würden mir davon erzählen, wenn sie das möchten. Ich wechselte wieder zurück auf das Thema Tennis.

„Dustin, gehst du bitte duschen und dann kommst du zur Nachbesprechung.“

„Ja, alles klar. Dann entschuldigt mich jetzt. Ich geh dann mal duschen.“

Luc und Stef schauten mich fragend an. Ich wechselte den Platz und ging zu Fynn. Sein Spiel verlief vielversprechend, denn er hatte den zweiten Satz überraschend glatt mit 6:3 gewonnen. Dort ging es jetzt in den dritten Satz. Ich nahm an der vorher besprochenen Stelle Platz und nahm sofort Blickkontakt mit ihm auf. Das war für alle meine Spieler ganz wichtig. Ich konnte sogar nur über den Augenkontakt mit den Jungs kommunizieren.

Es dauerte noch einige Minuten, aber dann war unser Team komplett beim Spiel von Fynn versammelt, inklusive unserer neuen Fans Luc und Stef. Ich beschloss, die Nachbesprechung erst nach dem Match von Fynn zu machen. Jetzt war ich hier mehr gefordert. Fynn kämpfte wirklich großartig und hielt auch im dritten Satz gut mit. Es blieb ausgeglichen und das war für mich schon eine echte Überraschung. Denn er hatte einen voll austrainierten Profi als Gegner. Soweit waren die Jungs noch nicht. Allein körperlich hatten sie noch Defizite. Dennoch hing sich Fynn bei jedem Punkt voll rein und ich fragte mich, wann würde der Einbruch kommen. Er kam nicht, im Gegenteil, Fynn spielte sich in einen Rausch und gewann sein Match mit 6:4 im dritten Satz. Das war die zweite Überraschung heute.

Dustin hatte natürlich als erster auf den Platz laufen wollen, aber er wurde von Sicherheitsleuten daran gehindert. Wir waren bei einem ATP-Turnier. Da galten andere Regeln und wir mussten warten, bis Fynn den Platz verlassen hatte und wir zu ihm konnten.

Dustin war natürlich nicht mehr zu bremsen und fiel seinem Freund in die Arme. Sie hielten sich aber mit der Knutscherei merklich zurück. Luc, Stef und Maxi grinsten. Ich schüttelte den Kopf und musste anmerken:

„Also, das war jetzt aber eine magere Belohnung für so eine tolle Leistung.“

Die beiden schauten mich mit großen Augen an und dann brachen alle in Gelächter aus. Fynn hatte als erster verstanden, was ich meinte und legte mit einem großen Kuss nach.

„Ok, es ist genug jetzt. Ich habe meinen Plan geändert. Ihr geht bitte alle auslaufen und duschen. Danach treffen wir uns beim Fahrdienst und es geht zurück ins Hotel. Dort machen wir die Nachbesprechung und die Vorbereitung auf morgen.“

Maxi, Dustin und Fynn nahmen ihre Taschen und verschwanden. Luc und Stef blieben noch bei mir.

„Und was habt ihr heute noch vor? Was machen deine Eltern, Luc?“

„Die sind heute bei Karl Geiger und schauen sich einige Autos an. Die sehen wir erst heute Abend wieder.“

„Ok, habt ihr Lust mit mir ein Eis essen zu gehen? Ich lade euch ein. Dabei können wir ja mal besprechen, ob wir uns heute gemeinsam noch etwas München anschauen können.“

Wir saßen draußen im Spielerbereich, dort hatten Zuschauer keinen Zutritt und das gab uns etwas Ruhe, um miteinander zu sprechen. Ich erfuhr von den beiden, dass Stefs Bruder Mario bei Geiger als Mechaniker arbeitete und Luc dort auch schon in den Ferien gearbeitet hatte. Sie erzählten mir von ihrem Kennenlernen und diese Geschichte war schon sehr heftig. Stef hatte ähnliches erlebt wie Dustin und ich hörte ihnen sehr aufmerksam zu. Als sie geendet hatten, musterten sie mich genau. Ich gab nur einen kurzen Kommentar dazu ab.

„Ich verstehe sehr gut, was ihr erlebt habt. Dustin hat eine ähnliche Geschichte hinter sich. Vielleicht könnt ihr für ihn da eine enorme Hilfe sein. Geht es vorsichtig an, ich weiß nicht, ob er schon soweit ist, darüber mit euch zu sprechen. Es würde für ihn gut sein. Wenn er mit mir spricht, ist das etwas vollkommen anderes, als mit euch gleichaltrigen und Gleichgesinnten zu reden.“

Luc neigte seinen Kopf leicht zur Seite und fragte: „Du hast Erfahrung im Umgang mit diesen Dingen. Du bist nicht nur Tennistrainer, oder?“

Ich musste lächeln.

„Nein, genauso wenig wie du ein normaler Junge bist. Du hast mir auch noch einige Dinge zu deiner Familie nicht verraten. Das ist aber auch vollkommen in Ordnung. Ich habe viele Jahre als Familien- und Suchttherapeut gearbeitet. Mein Bruder hat mich erst vor kurzem dazu überredet, als Trainer bei ihm einzusteigen.“

Die beiden schauten mich mit großen Augen an und Stef fing als erster an zu lachen.

„Luc, das wird schwierig werden, Chris deine Familiengeschichte zu verheimlichen. Vielleicht solltest du doch gleich mit offenen Karten spielen. Er findet es eh heraus.“

Luc nickte nachdenklich und bat mich um Erlaubnis, kurz telefonieren zu können. Was für eine Frage? Dieser Junge schien wirklich ein ganz besonderer junger Mann zu sein. Ich war gespannt auf die noch folgenden Dinge. Stef blieb bei mir und ich konnte ahnen, dass er jetzt erwarten würde, ihn auszufragen, während Luc telefonierte. Natürlich tat ich das aber nicht.

Luc kam zurück und lachte.

„So Leute, Stef hat es schon vorher gewusst, meine Eltern möchten euch gerne kennenlernen. War auch nicht anders zu erwarten. Also gut, sie schlagen vor, sich um 19 Uhr bei Geiger zu treffen. Schafft ihr das bis dahin, mit allem fertig zu sein?“

Ich überlegte kurz, aber das sollte zu machen sein. Also sagte ich zu. Ich ließ mir noch die Adresse geben und dann verabschiedeten sich Luc und Stef von mir. Somit hatte ich jetzt genug Zeit, mich um meine Jungs zu kümmern. Ich war sehr neugierig auf dieses Treffen heute Abend. Es war für mich überhaupt nicht selbstverständlich, dass Lucs Eltern uns so spontan kennenlernen wollten. Allerdings hatte Stef mir noch bestätigt, dass das bei seinen Eltern eher die Regel sei.

Von meinen drei Jungs war einer etwas enttäuscht, der zweite sehr euphorisch und aufgeregt und der dritte sehr müde aus der Physio zurückgekommen.

„Wie geht es dir Dustin? Bist du noch enttäuscht, dass du ausgeschieden bist?“

Er schaute mich mit leuchtenden Augen an und seine Antwort freute und überraschte mich zugleich:

„Nein, überhaupt nicht. Ich habe das Maximum gegeben. Mehr ging heute nicht und es hat nicht gereicht. Ich habe gut gespielt und habe mir nichts vorzuwerfen. Ich freue mich, dass Fynn und Maxi morgen ein weiteres Match spielen können.“

Dabei gab er seinem Freund einen flüchtigen Kuss. Dieser bedankte sich mit einem weiteren Kuss und Maxi grinste dabei.

„Wo sind denn Luc und Stef? Ich hatte gehofft, wir würden noch mit ihnen etwas Zeit verbringen können.“

„Tun wir ja auch, aber nicht mehr hier auf der Anlage. Wir fahren ins Hotel, machen die Nachbesprechung und die Planung für morgen. Anschließend fahren wir in die Stadt und treffen die beiden bei Karl Geiger. Lucs Eltern möchten uns kennenlernen. Dann werden wir auch gemeinsam zu Abend essen. Gibt es dazu Fragen?“

Die Jungs schauten zwar verwundert, aber freuten sich auch über diese neue Entwicklung. Der Weg zum Fahrdienst war nicht weit und eine Viertelstunde später waren wir wieder im Hotel.

Ich hatte bereits die nächsten Gegner für Maxi und Fynn analysiert und die Strategie vorbereitet. Von daher war dieser Punkt recht zügig abgehakt. Mein Bruder hatte mir auch die Videoanalyse nahegelegt, allerdings wollte ich nicht zu viel Druck aufbauen. Die beiden sollten befreit spielen können. Sollten sie morgen erneut mit einer tollen Leistung glänzen, wäre das Ergebnis absolut nebensächlich.

„Haben dir Stef und Luc noch etwas Interessantes erzählt?“, fragte Dustin.

Ich musste schmunzeln, denn ich hatte das Gefühl, dass uns Luc noch eine ganz wichtige Information vorenthielt. Er hatte als einziger noch nichts von seiner Geschichte und seiner Familie erzählt. Das wunderte mich bei seiner sonst so offenen Art.

„Nein, nicht wirklich. Außer, dass seine Eltern sich sehr für ihre Kinder interessieren und was sie mit wem machen. Ich finde es sehr positiv, dass Lucs Eltern uns kennenlernen möchten. Für dich bestimmt ein Fest, wenn du dir bei Geigers die tollen Amischlitten ansehen kannst.“

Dustin zeigt mit einem breiten Grinsen den Daumen hoch und die anderen beiden mussten lachen. Es wurde Zeit für uns, aufzubrechen. Ich wollte auch hier nicht zu spät kommen. Das war eine Schwäche von mir. Ich hasste Unpünktlichkeit.

Die Türen der Straßenbahn öffneten sich und drei aufgeregte Jungs und ich stiegen aus. Die Jungs waren bestens gelaunt und trotz der Müdigkeit freuten sie sich auf das Wiedersehen mit Luc und Stef.

Den Weg hatte uns Luc noch sehr gut beschrieben und außerdem hätten wir hier wahrscheinlich jeden Münchner fragen können. Der Geiger Karl war so bekannt wie ein bunter Hund. Es dauerte nur fünf Minuten und wir standen vor dem Geigerschen Autohaus. Dustin wurde immer unruhiger und selbst Fynn konnte ihn kaum noch bändigen.

„Hey, wenn du da so aufgedreht reingehst, fliegen wir gleich wieder raus. Was macht das wohl für einen Eindruck? Nimm dich mal etwas zurück.“

Fynn war es sichtlich unangenehm, dass sein Freund so aufgedreht war. Dustin spürte das und versuchte sich zu beruhigen. In diesem Moment hatte sich Maxi einfach entschieden durch die Eingangstür zu gehen. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Die Eingangshalle war beeindruckend und überall standen neue amerikanische Autos. Vom Mustang über eine Viper bis hin zum Chevy Pick up.

„Wow, das ist echt cool hier“, sagte Fynn staunend.

„Siehst du, jetzt weißt du, warum ich so aufgeregt bin. Das ist doch wohl total geil hier.“

In diesem Moment kam eine Frau auf uns zu, neben der Luc ging. Sie kamen lachend bei uns an und Luc stellte uns seine Begleiterin vor.

„Hi, schön, dass ihr super pünktlich gekommen seid. Darf ich euch die Chefin vorstellen, Barbara Geiger.“

Sie begrüßte uns sehr freundlich und ich konnte mir sehr gut vorstellen, warum Luc sie so mochte. Sie hatte ein sehr herzliches Wesen und strahlte eine Souveränität aus, die gewaltig war. Sofort griff sie Dustins Begeisterung auf und ging mit ihm zu einem nagelneuen Mustang. Sie öffnete ihm die Fahrertür und er durfte sich hineinsetzen.

Fynn flüsterte mir zu: „Das ist für Dustin wie Ostern und Weihnachten zusammen. Ich bin aber auch total begeistert von dieser Halle.“

Was mir auffiel, Stef war gar nicht hier. Das wunderte mich schon etwas, denn sonst waren die beiden doch immer nur gemeinsam zu sehen gewesen. - Es dauerte aber nicht lange und ich konnte seine Stimme in der großen Halle vernehmen. Er kam mit Karl Geiger und vermutlich Lucs Eltern von oben die Treppe herunter.

Als sie näher kamen, realisierte ich, wer uns hier entgegen kam. Das machte mich schon etwas nervös. Ich war sehr gespannt, ob sich meine Jungs an diese Person noch erinnern konnten. Stef stand nun vor uns, Dustin war noch mit dem Mustang beschäftigt und Maxi hatte ihn erkannt. Er schüttelte seinen Kopf und flüsterte mir ganz schnell zu:

„Weißt du wer das ist?“

Ich nickte nur und dann stellte uns Stef die Eltern seines Freundes vor.

„So, herzlich willkommen im Autohaus der Firma Geiger. Chris, Karl wirst du ja schon kennen. Das hier sind Marc und Sabine Steevens. Die Eltern von Luc.“

Das war jetzt die noch erwartete Überraschung von Luc. Marc Steevens war eine Rennlegende und sicher einer der erfolgreichsten Piloten der letzten dreißig Jahre. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber nicht damit.

„Hallo, und schön, Sie kennenlernen zu dürfen. Luc hat uns dieses Geheimnis noch nicht verraten gehabt. Allerdings hatte ich schon noch mit einigen Überraschungen bei Ihrem Sohn gerechnet.“

Ich gab beiden die Hand und Marc Steevens fing an zu lachen. Seine Frau schüttelte ihren Kopf und sagte:

„Ja, wir hatten es auch schon befürchtet. Als er uns von Ihnen, Fynn und Dustin erzählte, war uns gleich klar geworden, dass er nicht damit herausrücken würde, wo er her kommt. Das kennen wir schon. Deshalb wollten wir Sie und ihre Jungs auch so schnell kennenlernen.“

„Stef hat uns schon geschildert, dass Sie immer sofort wissen möchten mit wem sich Ihre Kinder treffen. Das imponiert mir sehr. Noch mehr, wenn man jetzt weiß, wie berühmt seine Eltern sind.“

Luc war mittlerweile mit den beiden Geigers zu uns gekommen und hatte eine gesunde Gesichtsfarbe mit einem breiten Grinsen.

Fynn hatte als erster der Jungs seine Sprache wiedergefunden.

„Das ist ja klar gewesen. Du hast das absichtlich verschwiegen, wer dein Vater ist. Na warte, das wird dich ein Eis kosten.“

Alle Anwesenden stutzten einen Augenblick, begannen dann aber zu lachen. Luc zuckte mit den Schultern und erwiderte:

„Ja, ist in Ordnung, aber wenn ihr wüsstet, wie schwierig das manchmal für mich ist, einen berühmten Vater zu haben. Ich möchte doch, dass meine Freunde meinetwegen meine Freunde sind und nicht, weil ich einen bekannten Vater habe.“

Für mich war das gut nachvollziehbar, aber dass ausgerechnet Dustin jetzt dazu etwas sagte, überraschte mich.

„Kann ich total verstehen. Umso schöner finde ich, dass wir uns kennengelernt haben. Für mich ist das immer etwas Besonderes, die Eltern meiner Freunde kennenzulernen. Leider habe ich mit meinen Eltern nicht so viel Glück gehabt. Stef wird sicher verstehen, wie sich das anfühlt.“

Stef nickte wortlos und sowohl Luc, als auch Fynn nahmen ihren Freund liebevoll in den Arm. Dann umarmten sie sich gegenseitig. Das war eine sehr emotionale Geste. Es berührte mich sehr.

Herr Steevens bat uns, ihnen zu folgen. Sie hatten für uns einen Tisch in einem benachbarten Restaurant bestellt und dort wollten sie mit uns über das ganze Tennisprojekt sprechen. Ich war erstaunt, wie viel sie bereits wussten. Auch Karl und Barbara Geiger hatten bereits Kenntnis von der Besonderheit unseres Teams.

Nach dem Essen dauerte es nicht lange und die Jungs wurden etwas unruhig. Sie langweilten sich ein wenig. Da kam Marc auf die Idee:

„Luc, wenn Chris nichts dagegen hat, nimm doch deine Truppe mit und ihr geht eine Partie Billard spielen. Wir möchten uns gerne noch ein wenig länger mit Chris unterhalten.“

„Sie müssen aber morgen wieder spielen. Dürfen sie denn mit mir noch ein wenig raus?“, fragte mich Luc zweifelnd.

Ich musste lachen. Klar, sie hatten morgen wieder ein hartes Match vor sich, aber das konnte ich ihnen doch nicht verwehren.

„Danke der Nachfrage, Luc. Wenn ich das aber jetzt untersagen würde, bekäme ich Ärger. Und das möchte ich nicht. Seid also bitte um halb elf wieder hier. Sonst wird es einfach zu spät.“

„Boah, danke Chris. Das hätten wir jetzt echt nicht gedacht. Du lässt uns wirklich ziehen?“

„Klar Fynn, ich vertraue euch. Ihr wisst selbst am besten, dass ihr euch anständig benehmt. Und dass ihr keinen Alkohol trinken solltet, ist wohl selbstverständlich.“

Meine Jungs bedankten sich bei mir und wenige Augenblicke später war ich mit den Geigers und Lucs Eltern allein.

Es wurde ein sehr interessantes Gespräch, denn Marc Steevens war sehr offen und neugierig. Ich hatte nach wenigen Minuten komplett vergessen, dass ich hier mit sehr prominenten Leuten zusammen in einem Restaurant saß. Erinnert wurden wir nur daran, als ein Jugendlicher Gast Marc um ein Autogramm bat.

„Wie lange wissen Sie eigentlich schon, dass Dustin und Fynn ein Paar sind?“, fragte mich Lucs Mutter während unseres Gespräches.

Ich erzählte ihnen dann die Geschichte der beiden und immer wieder fragten sowohl Karl Geiger als auch Marc Steevens nach Details. Und auch ich erfuhr weitere Details von der Geschichte von Luc und Stef, von der Leukämieerkrankung Lucs und der tragischen Geschichte von Stef (im Detail nachzulesen in „Lucien“). Umso beeindruckter war ich von der Erscheinung der beiden. Die Zeit lief uns einfach davon. Es war bereits zehn Uhr, als mich Lucs Vater fragte:

„Ihr spielt morgen wieder auf der Iphitos Anlage? Wir fahren erst am Wochenende wieder zurück in die Schweiz. Wäre es störend, wenn wir uns morgen dort ein paar Spiele ansehen würden? Luc spielt ja auch etwas Tennis und meine ältesten Söhne sind beide sehr gute Spieler. Es interessiert mich, wie gut die Jungs schon sind.“

Diese Frage überraschte mich sehr. Marc Steevens war eine Legende und er würde sicherlich dort für Aufsehen sorgen, sollte er sich auf der Anlage zeigen.

„Also meine Jungs würden das vermutlich eher noch als zusätzlichen Ansporn sehen, aber es ist Ihnen schon klar, dass Sie dort eine Menge Aufsehen erregen würden?“

Er lachte und auch Sabine schien das zu amüsieren.

„Es wird immer für Marc schwierig sein, ohne beobachtet zu werden, irgendwohin zu gehen. Mittlerweile ist es bei uns zu Hause nicht mehr so aufregend. Allerdings lassen wir uns deswegen die Unterstützung unserer Kinder nicht vermiesen. Luc hat gesagt, dass ihr ein tolles Team seid und euch gegenseitig unterstützt. Das hat uns neugierig gemacht. Für Marc ist das heute noch sehr wichtig. Gemeinsam stark sein und den anderen immer respektieren, auch wenn er andere Ansichten hat. Anders sein heißt ja nicht schlechter zu sein.“

Wow, das waren sehr interessante Aussagen und warum wunderte ich mich eigentlich nicht darüber? Die Eltern hatten sofort Position für Luc und Stef bezogen, sie interessierten sich für alle Aktivitäten ihrer Kinder. Auch, was Lukas und Mick in Deutschland machten, war immer wichtig geblieben. Das waren die beiden ältesten Söhne von Marc Steevens.

„Also, es wäre in Ordnung, wenn wir Luc und Stef morgen begleiten würden? Nicht, dass dadurch das Spiel Ihrer Jungs leidet.“

„Nein, ich glaube das nicht. Wie schon gesagt, es dürfte eher Ansporn sein. Fynn muss schon um elf Uhr spielen. Maxi erst um eins. Von daher passt das ganz gut.“

Damit ging der Abend zu Ende, denn meine Jungs kamen pünktlich mit Luc und Stef zurück. Ich konnte unser Gespräch nicht fortführen. Wir vereinbarten allerdings, dies am nächsten Tag zu tun.

Unsere Wege trennten sich jetzt. Aber es war offensichtlich, meine drei Jungs hatten sich mit Luc und Stef angefreundet, denn ihre Verabschiedung war bereits deutlich enger als noch zu Beginn des Abends.

Lucs Eltern wünschten uns einen guten Heimweg und damit endete der erste Abend in München.

Zwei Stunden später saß ich immer noch mit den Vorbereitungen beschäftigt am Laptop. Allerdings gingen meinen Gedanken auch immer wieder zurück zu dem Gespräch mit Lucs Eltern. Es war für mich immer noch schwer nachvollziehbar, dass jemand wie Marc Steevens so entspannt mit uns den Abend verbracht hatte.

Thorstens Reaktion war ebenfalls entsprechend. Er war auch total begeistert, als er den Namen hörte und ich ihm von dem Verlauf des Abends berichtet hatte.

Aber erst, als ich alle Gegner ausreichend analysiert hatte, legte ich mich weit nach Mitternacht schlafen.

Fynn: Nervös vor dem Spiel

Nach dem lustigen Abend mit Luc und Stef waren wir zwar sehr aufgekratzt, aber dennoch müde und geschafft eingeschlafen. Luc hatte uns viel über seine Familie erzählt und Dustin hatte von sich berichtet. Ich hatte mich etwas zurückgehalten, vor allem, als sich Stef und Dustin von sich selbst erzählten. Zum ersten Mal habe ich Dustin entspannt über seine Vergangenheit reden gehört. Auch schlief er direkt ruhig neben mir ein. Ich konnte leider gar nicht so beruhigt einschlafen. Für mich war das Ganze wie ein Traum. Wir hatten den berühmten Marc Steevens und seine Familie kennengelernt, als ob es das Normalste auf der Welt sei. Und ausgerechnet er hatte schwule Söhne. Das erschien mir wie ein Traum. Irgendwann gegen Mitternacht, viel zu spät, um am nächsten Tag ausgeschlafen ein Tennismatch zu bestreiten, schlief ich ein.

Als mich Dustin am nächsten Morgen liebevoll weckte, war ich nicht sonderlich gut gelaunt. Ich fühlte mich einfach extrem nervös. Heute hatte ich eine bislang einzigartige Chance, in das Hauptfeld des ATP Turniers von München zu kommen. Und ich wusste, dass wir prominente Zuschauer haben würden.

Dustin hingegen war vollkommen entspannt und bestens gelaunt. So hatte ich ihn schon ewig nicht mehr erlebt. Ich musste wohl sehr zerknirscht ausgesehen haben, als ich aus dem Bad zurück kam.

„Hey, welche Laus ist dir denn heute Nacht über die Leber gelaufen. Du hast schon die ganze Zeit miese Laune. Lach doch mal. Wir sind in München und du hast dein bislang wichtigstes Match vor dir.“

„Sehr witzig!“

„Was denn? Stimmt doch.“

„Ja, schon gut. Du weißt ja nicht, was ich alles für einen Mist geträumt habe.“

In diesem Moment umarmte mich Dustin und küsste mich unvermittelt. Es war ein grandioses Gefühl am frühen Morgen und ich hielt meinen Freund noch fest umarmt, als es klopfte, sich die Tür öffnete und Chris hereinkam. Er blieb wortlos hinter der Tür stehen und räusperte sich kurz.

„Guten Morgen, Chris.“

„Na, das ist aber ein interessanter Frühsport, den ihr da ausübt.“

Chris verzog dabei keine Miene und ich war für einen Moment der Meinung, er könnte das für eine negative Vorbereitung halten. Ich löste mich von Dustin und wir wollten uns normal weiter vorbereiten, aber da fing Chris laut an zu lachen.

„Leute, mittlerweile solltet ihr nicht mehr so schüchtern sein. Es ist doch toll, wenn ihr euch so am frühen Morgen motivieren könnt. Es ist euch doch wohl nicht mehr peinlich, oder?“

„Naja, du warst so ernst und für einen Moment…“

Chris drehte sich wieder um und sagte nur: „Seht zu, dass ihr in zehn Minuten beim Frühstück erscheint. Ich habe anschließend mit euch einiges zu besprechen.“

Und schon war er zur Tür hinaus und wir wieder allein.

„Sag mal, was war das denn grade? So entspannt hab ich Chris vor einem Turniertag noch nicht erlebt. Vielleicht sollten wir das auch so machen. Einfach entspannen?“

„Nein, Dustin. Ich bin nicht entspannt. Es wäre auch falsch jetzt entspannt zu sein. Ich will gewinnen und alles dafür tun, dass Luc und Stef einen guten Eindruck von uns bekommen. Lucs Vater ist bestimmt auch sehr ehrgeizig und erwartet bestimmt von uns unsere maximale Leistung. Ich möchte uns gut präsentieren. Chris hat viel Arbeit in uns gesteckt. Jetzt sollten wir die Leistung liefern.“

Es klopfte erneut und Maxi betrat unser Zimmer.

„Hey Leute, seid ihr soweit. Wir müssen zum Frühstück. Chris wartet nicht gern.“

Wir nahmen unsere Taschen und verließen das Zimmer, um gemeinsam zum Frühstück zu gehen. Chris saß bereits mit einer Tasse Tee hinter seinem Laptop und studierte irgendwelche Daten.

„Guten Morgen, Jungs. Seid ihr fit? Es wird heute sehr hart für Fynn und Maxi werden. Also nehmt ein ausgiebiges Frühstück zu euch und auch genug Obst für den Platz mit.“

Chris war schon vollkommen im Turniermodus und ich hatte mir ganz fest vorgenommen, genauso fokussiert zu sein und mich nur mit dem Match zu beschäftigen. Dustin wusste das und ließ mich heute früh auch komplett in Ruhe. Es fühlte sich toll an, ihn neben mir zu haben, aber dennoch von ihm in Ruhe gelassen zu werden.

Chris ließ uns zuerst in Ruhe essen, aber dann fragte er uns: „Was habt ihr bereits über eure Gegner herausgefunden?“

Maxi hatte sich tatsächlich schon einige Daten von seinem Gegner angesehen. Ich hatte dafür noch überhaupt keine Zeit gehabt. Dementsprechend hatte ich ein schlechtes Gewissen und Chris bemerkte es sofort.

„Ist kein Problem, Fynn. Ich werde euch mit allem versorgen was nötig ist.“

Chris klärte uns über die Stärken und Schwächen unseres jeweiligen Gegners auf und abschließend ermunterte er uns mit den Worten:

„Leute, habt Spaß auf dem Platz und gebt alles. Das Ergebnis sehen wir zum Schluss. Ich bin jetzt schon sehr stolz auf euch.“

Dann entließ er uns in die Vorbereitung. Wir packten uns noch etliche Bananen und Energieriegel ein, dann trafen wir uns vor dem Hotel zum Fahrservice auf die Anlage.

Als wir aus dem Auto ausstiegen, wurden wir von Luc und Stef bereits erwartet. Chris schirmte uns allerdings ein wenig ab. Er wollte nicht, dass uns die beiden in der Konzentration störten. Ich fand es zwar schade, aber Dustin konnte sich ja um die beiden kümmern. Er brauchte nicht mehr zu spielen. Dustin gab mir zum Abschied einen schnellen Kuss, aber diese Rechnung hatten wir ohne Luc und Stef gemacht. Luc kommentierte diese Szene eindeutig:

„Hey, wie soll Fynn gut spielen, wenn du ihm nur so ein Küsschen spendierst? Das war echt wenig Motivationsspende.“

Dustin schaute mich mit unsicherem Blick an und für mich war es fast etwas peinlich, denn Chris stand schon am Spielereingang und wartete auf mich. Also beeilte ich mich, lieber zu Chris zu kommen, als Dustin noch einen Kuss zu geben.

„Mach nicht so ein Gesicht. Sie haben doch auch Pässe bekommen, also werden sie dich gleich am Platz sehen und nachher auch in der Playerlounge. Aber jetzt konzentrierst du dich besser nur noch auf dein Spiel.“

Chris legte seinen Arm auf meine Schulter und das gab mir unheimlich viel Sicherheit. Denn meine Nervosität stieg immer mehr an. Chris hatte ein gutes Gespür dafür, was in mir vor ging.

„Mach dir nicht so viel Druck. Du kannst frei spielen. Du weißt, was zu tun ist und gib dein Bestes. Dann sehen wir weiter. Ich glaube an deine Fähigkeiten. Maxi hat auch ein ganz schweres Match vor sich. Also geh raus und genieße das Ganze hier.“

„Ich möchte euch aber nicht enttäuschen. Ihr habt mir diese Chance gegeben und ich möchte alles dafür tun, dass …“

„Lass es einfach. Ich weiß das. Also spiel einfach und dann sehen wir weiter. Ich werde immer mit dir Blickkontakt haben. Maxi hat noch etwas Zeit. Also los geht es. Ich muss auf die Tribüne, sonst komm ich zu spät. Mein Weg ist etwas weiter als deiner.“

Chris: Auf der Tribüne mit prominenten Gästen

Als ich auf die Tribüne in den Bereich für die Trainer kam, standen die Eltern von Luc bereits dort und warteten auf mich.

„Guten Morgen zusammen. Schön, dass Sie gekommen sind. Wo sind die Jungs?“

Marc lachte und Sabine antwortete: „Die kommen auch gleich. Allerdings wollten sie sich zuerst mit Dustin treffen. Er hat ja kein Match mehr. Deshalb wollten sie gemeinsam noch etwas über die Anlage schlendern.“

„Ok, ich glaube aber nicht, dass Dustin zu spät zum Spiel seines Freundes kommen wird. Das habe ich nämlich noch nie erlebt.“

Ich ging voran und unsere Pässe wurden kontrolliert. Ohne Probleme kamen wir in die Coaching Zone. Die Spieler waren bereits dabei sich einzuschlagen und bevor ich meinen Platz einnahm, hatte ich mit Fynn Augenkontakt aufgenommen.

Lucs Eltern hatten bereits hinter mir Platz genommen, als die Jungs eintrafen. Sehr schön war, dass auch Maxi bei uns Platz nahm. Damit war meine Truppe vollständig versammelt.

„Chris, wie wird hier eigentlich gespielt? Bei den Junioren hat uns Maxi erzählt, wird der dritte Satz im Champions Tie-break gespielt. Ist das hier auch so?“

„Nein, Stef. Das hier ist ein ATP-Turnier. Da wird der dritte Satz ausgespielt.“

„Und wird in der Qualifikation auch schon ein Preisgeld ausgeschüttet?“, fragte Luc.

Marcs Reaktion war überraschend, denn mit einem Augenkontakt zu seinem Sohn wollte dieser bereits die Frage zurückziehen.

„Lassen Sie ihn ruhig. Es ist doch eine berechtigte Frage. Ja, die Sieger der Qualifikation erhalten bereits Weltranglistenpunkte und ein Preisgeld. Also die Reisekosten hätten wir damit bereits für alle gedeckt, sollte einer der Jungs ins Hauptfeld kommen.“

Das Spiel hatte noch nicht begonnen, der Schiedsrichter hatte gerade „two minutes“ angesagt, als Luc fragte:

„Wie groß ist eigentlich das Budget für eine Saison auf der Profitour? Das kostet doch mit den Reisekosten und Material sicher viel Geld.“

„Ja, das stimmt. Wir kalkulieren pro Spieler in der ersten Saison mindestens 30 000 Euro mit allem was anfällt. Inklusive Training, Reisespesen, Meldegelder und so weiter. Das ist viel Geld für einen Nachwuchsspieler. Ohne Sponsoren wäre das kaum zu machen.“

Lucs Eltern hörten schweigend, aber sehr aufmerksam zu.

Das Spiel von Fynn begann und meine Konzentration lag ab jetzt nur noch auf dem Match.

Fynn spielte sehr stark und suchte immer wieder den aufmunternden Blickkontakt zu mir. Ich merkte deshalb überhaupt nicht mehr, was sich um mich herum abspielte. Ich war sozusagen im Tunnel. Ich analysierte jeden Punkt und versuchte, immer wieder mit Fynn zu kommunizieren. Beim Spielstand von 5:4 im ersten Satz fragte mich Marc Steevens:

„Spielt Fynn immer so stark? Das imponiert mir sehr. Er hat keinerlei Angst vor dem viel erfahreneren Spieler. Wenn er so weiterspielen kann, hat er eine Siegchance, oder nicht?“

Ich schaute etwas irritiert zu ihm herüber und Maxi grinste, als er sagte:

„Herr Steevens, fragen Sie bitte Chris erst nach dem Spiel wieder solche Fragen. Er ist jetzt gerade vollkommen mit dem Match beschäftigt.“

Luc und Stef fingen mit Maxi an zu lachen. Es war glücklicherweise gerade eine Wechselpause, so störte das Gelächter das Spiel nicht. Ich schaute Maxi an und konnte nicht anders als mitlachen.

„So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Du übertreibst maßlos, Maxi. Ich stimme mit Ihnen überein, Herr Steevens. Fynn spielt außerordentlich stark. Viel stärker als ich erwartet habe. Allerdings kann ich nicht sagen, ob er eine Siegchance hat. Im Augenblick ist das Match völlig offen. Warten wir den ersten Satz ab.“

Das Spiel wurde fortgesetzt und damit musste unsere Unterhaltung unterbrochen werden. Dustin war genauso angespannt wie ich. Es entwickelte sich ein sehr harter Kampf um den ersten Satz, den Fynn allerdings überraschend für sich entscheiden konnte.

Meine sonst immer währende Ruhe ging mir für einen Moment verloren und ich ließ meine Anspannung mit einem lauten „Yes“ heraus.

Alle in unserer Box jubelten und freuten sich über diesen überraschenden Satzgewinn. Fynns Gegner stand immerhin gute 500 Positionen besser in der Weltrangliste. Hier bahnte sich eine große Überraschung an. Selbst Lucs Eltern fieberten im zweiten Satz richtig mit und eine halbe Stunde später war die Sensation perfekt. Fynn hatte seinen Gegner besiegt und wir lagen uns jubelnd in den Armen.

Für einen Augenblick hatte ich die Beherrschung verloren und musste den Druck herauslassen. Dustin war kaum noch auf der Tribüne zu halten. Luc und Stef konnten ihn allerdings etwas beruhigen. Fynn saß mit dem Handtuch über dem Kopf auf der Bank und schüttelte immer wieder seinen Kopf.

„Sagen Sie Chris, wie ist das möglich? So eine gewaltige Leistungssteigerung in nur wenigen Wochen, das ist doch schon höchst außergewöhnlich, oder nicht?“

„Doch Marc, das ist schon sehr besonders. Damit konnte niemand wirklich rechnen. Umso schöner ist das für uns. Sie können sich sicher am ehesten vorstellen, wie hoch das Trainingsniveau im Profibereich ist. Meine Jungs sind alle noch sehr jung, aber sie verstehen sich gut und unterstützen sich gegenseitig. Das macht sie stark.“

„Aber vergessen Sie dabei nicht einen ganz wichtigen Faktor?“, warf Lucs Mutter jetzt ein. „An diesem Erfolg haben Sie doch einen beträchtlichen Anteil. Sie haben den Jungs einen Weg gezeigt, der für sie zu gehen ist. Ohne Sie wären diese Jungs mit Sicherheit nicht dort, wo sie jetzt bereits angekommen sind. Sie erinnern mich sehr stark an meinen Marc, als wir uns kennengelernt haben. Fragen Sie einmal meinen Luc, was er alles für ihn getan hatte. Ich bewundere Sie und Ihr Engagement.“

Diese Aussage war mir schon ein wenig unangenehm. Allerdings setzte ausgerechnet Maxi jetzt noch einen drauf.

„Sie haben recht, Frau Steevens. Ohne Chris wären wir niemals hier. Er hat sich für uns eingesetzt und bei unserem Team die nötige Unterstützung erkämpft.“

Ein tolles Bild bot sich mir jetzt, denn alle Jungs hatten sich demonstrativ zusammen hingestellt und ihre Arme gegenseitig auf den Schultern verschränkt. Auch Luc und Stef standen mit ihnen gemeinsam in einer Reihe. Herr Steevens und ich schauten uns an und dann sagte er:

„Genau das macht euch stark. Ihr seid ein Team und das finde ich ganz großartig. Maxi, für dein folgendes Match wünschen wir dir auch ebenso viel Mut und Freude am Spiel, wie es Fynn gezeigt hat.“

Er gab Maxi die Hand und damit musste sich Maxi von uns verabschieden. Er musste sich aufwärmen und ich ging zuerst zu Fynn in die Umkleide. Er stand jetzt in der Finalrunde um den Einzug in das Hauptfeld.

„Na Großer, wie geht es dir jetzt? Du hast gerade eine kleine Sensation erreicht. Ganz großes Kino.“

Er schaute mich strahlend von der Bank an und ich konnte nicht anders, als ihn zu umarmen. Er hatte sich selbst übertroffen. Das bedeutete, dass er morgen tatsächlich um den Einzug in das Hauptfeld spielen musste. Ich setzte mich für einen Moment neben ihn und wir redeten ganz ruhig über das Spiel. Ich staunte ein wenig, dass er noch nicht so kaputt war. Es schien, als ob unsere konditionelle Vorbereitung ausreichend gewesen war.

„Mach dich frisch. Dann Auslaufen und Massage. Nach dem Duschen kommst du zu Maxi an den Platz. Luc, Stef und Lucs Eltern sind auch noch bei mir. Maxi geht jetzt auf den Platz.“

Ich hielt ihm die Hand hin, die er abschlug und dann verließ ich die Umkleide, um zu Maxi zu gehen, welcher einen noch viel stärkeren Gegner als Fynn hatte. Das wurde dann auch im Match sehr deutlich. Maxi spielte nicht schlecht, aber er konnte diesem Gegner nicht genug entgegensetzen. Es war für mich sofort ersichtlich, dass er dieses Spiel nicht gewinnen konnte. So war ich auch nicht enttäuscht über die deutliche 1:6 und 2:6 Niederlage.

Wir hatten für heute unsere Spiele gespielt und nur Fynn durfte am nächsten Tag noch einmal um den Einzug in das Hauptfeld kämpfen. Das allerdings war ein riesiger Erfolg. Aber auch die anderen beiden hatten mit guten Leistungen überzeugt. Ich konnte also bislang sehr zufrieden sein.

Entsprechend positiv fiel auch mein Bericht aus, als ich mit Thorsten telefonierte. Thorsten bat mich allerdings um einen Gefallen. Ich sollte für seinen Sohn um ein Autogramm von Marc Steevens bitten. Ich versprach, mich darum zu bemühen.

Der Tag war für mich sehr anstrengend und da war ich sehr froh über die Unterstützung von Luc, Stef und Lucs Eltern. Sie hatten nach den Spielen dafür gesorgt, dass keine zu große Enttäuschung bei Dustin und Maxi aufkam. Allerdings spürte ich gerade bei Marc Steevens eine gewisse Nachdenklichkeit, als ich mit ihm und seiner Frau allein im Spielerbereich saß und einen Othello genoss.

Die Jungs waren gemeinsam auf den Trainingsplätzen unterwegs und schauten sich die richtig erfolgreichen Profis beim Training an.

„Das ist schon eine Menge an Druck, den Sie aushalten müssen, oder? Ich habe Sie bei den Spielen von Fynn und Maxi genau beobachtet. Sie sind immer zu hundert Prozent im Spiel dabei. Jeden Ball gehen Sie im Geiste mit. Oder täuscht das?“

„Nein, Marc. Sie haben das sehr gut beobachtet. Ich gehe jeden Punkt im Kopf mit, denn ich möchte hinterher in der Analyse mit dem Spieler darüber sprechen können. Außerdem hilft es mir, dem Spieler während des Spieles Hilfen geben zu können.“

„Wie wichtig ist das für den Spieler, dass Sie da sind. Sie können ja während des Spieles nicht miteinander reden.“

„Schwierige Frage für mich. Das sollten Sie besser die Jungs fragen. Da meine Jungs aber darauf bestehen, dass ich immer von Beginn an am Zaun stehe, muss ich wohl davon ausgehen, dass es ihnen hilft.“

Marc lächelte mich an und seine Frau schaltete sich in diesem Moment in das Gespräch ein.

„Also wenn ich das so beobachte, wie Sie sich mit den Jungs auseinandersetzen, dann sind Sie viel mehr als nur der Trainer. Luc hat uns gestern Abend erzählt, dass ihn das sehr an die Zeit erinnert, in der ihn Marc mit den Problemen seines Freundes unterstützte. Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich.“

Das war für mich zwar ein tolles Lob, aber auch etwas unangenehm. Die Leistung brachten die Jungs auf dem Platz und die war außergewöhnlich genug.

Wir redeten noch einige Minuten über meine Arbeit in der Base und Marc drang immer tiefer in die Materie ein. Es schien mir so, als ob er sich sehr ernsthaft für meine Arbeit als Coach und die Arbeit des Teams interessierte.

„Eine Frage habe ich noch. Wie macht ihr das mit der Schule oder Ausbildung. Machen die drei keine Schule mehr? Geht ihr mit ihnen voll auf die Schiene Tennis?“

„Nein, Marc. Die Schule müssen alle Spieler bei uns mit einem guten Abschluss beenden. Darauf wird allergrößter Wert gelegt. Das heißt, sie haben alle eine enorme Doppelbelastung. Das ist anstrengend. Umso aufwendiger ist meine Arbeit auf den Turnierreisen, denn ich muss natürlich auch die schulischen Dinge im Auge behalten.“

Das Gespräch entwickelte sich immer weiter. Marc berichtete mir von seinen Söhnen und wie sehr er die Erziehung früher vernachlässigt hatte. Das machte ihm heute noch zu schaffen und er wollte für seine Kinder heute immer ansprechbar sein. Luc hatte ihm gezeigt, wie schnell so ein Leben auch aus der Bahn geraten kann. Sei es durch Krankheit oder die Dummheit der Eltern.

Einige Othellos später kamen die Jungs zu uns zurück. Luc und Stef schienen höchst beeindruckt zu sein von dem, was sie gesehen hatten. Luc war derjenige, der mich fragte:

„Bist du mit den Ergebnissen eigentlich zufrieden? Es ist doch nur noch Fynn im Wettbewerb.“

„Auf jeden Fall. Du darfst nicht vergessen, wir spielen hier in einem echten Grand Prix Turnier. Das ist eigentlich noch mindestens zwei Klassen zu hoch für uns. Das, was ich hier gesehen habe, beeindruckt mich sehr. Ich bin äußerst zufrieden.“

Meine Jungs hatten das natürlich verfolgt und freuten sich über meine Aussage.

„Habt ihr morgen noch Lust, erneut bei Fynn zuzuschauen? Ich würde mir das gern noch einmal ansehen, wie sich Fynn morgen auf dem Platz zeigt.“

Diese Frage von Marc erstaunte mich schon. Er hatte immer viele andere Termine und nahm sich für uns viel Zeit. Klar, er wusste von der Freundschaft seines Sohnes zu Dustin und Fynn, aber so viel Zeit für uns aufzuwenden war doch wohl ungewöhnlich. Er war immerhin einer der berühmtesten Rennfahrer der letzten Zeit.

„Klar, Papa. Das möchte ich auf jeden Fall noch sehen. Vielleicht schafft Fynn ja die Sensation.“

Luc schien das für nicht unmöglich zu halten und entsprechend positiv war auch sein Freund Stef eingestellt. Meine Jungs ließen sich davon anstecken. Also ließ ich das einfach so stehen und damit war klar, wir würden uns morgen erneut hier auf der Tribüne sehen.

Damit ging der Tag auf der Anlage für uns zu Ende und wir verabschiedeten uns von der Familie Steevens bis zum nächsten Tag. Fynn schickte ich zur Physio und Massage und die anderen beiden sollten sich noch etwas mit laufen fit halten.

Mein Tag ging mit einem längeren Telefonat mit Thorsten zu Ende. Natürlich hatte mir Marc auch das gewünschte Autogramm und sogar mit Widmung gegeben. Damit hatte ich bei Thorsten wieder etwas gut. Meine Jungs lagen schon über eine Stunde in ihren Betten, als für mich der Tag ebenfalls gegen Mitternacht zu Ende ging. Sehr nachdenklich über den Tagesverlauf schlief ich ein.

Am nächsten Morgen hatte ich mit Fynn ein langes Gespräch bevor er sich einschlagen ging. Wir hatten uns über den Gegner und die Strategie verständigt. Jetzt lag es nur noch an ihm, wie gut er sich hier präsentieren würde. Luc und Stef waren schon sehr früh am Vormittag erschienen. Sie wollten mit den anderen beiden den Tag verbringen und genau beobachten, wie sich Fynn vorbereiten würde. Marc und Sabine Steevens wollten erst zum Match dazukommen. Es war für Marc sonst einfach zu viel Presserummel um seine Person. In der Trainerbox hatten wir unsere Ruhe.

Für meine Jungs war die Anwesenheit der Familie Steevens mittlerweile nahezu normal geworden. Für mich absolut nicht. Ich war immer noch beeindruckt vom Auftreten von Marc Steevens. Ein Weltstar lief hier völlig normal auf der Anlage herum und saß bei mir in der Box. Wir redeten über Tennis und die Perspektive meiner Jungs. Warum tat er das? Er setzte sich sogar der Öffentlichkeit aus. Heute hatte mich bereits ein Pressevertreter angesprochen, woher ich Marc Steevens kennen würde und ob ich ein Interview organisieren könnte. Das lehnte ich aber kategorisch ab.

Ich saß bei Fynn am Trainingsplatz und das Einschlagen mit Dustin verlief sehr gut. Auch Dustin hatte hier viel Selbstvertrauen getankt. Maxi war mit auf dem Platz und schaute sich das Treiben auf den Nebenplätzen an. Dort spielten ein Phillip Kohlschreiber und Dustin Brown gemeinsam. Das war schon etwas Besonderes für meine Jungs.

Nach einer halben Stunde beendete ich das Einschlagen und zog mich mit Fynn etwas zurück. Ich spürte den ansteigenden Druck bei ihm sehr deutlich. Dustin ließ ich noch zu ihm, aber Maxi sollte mit Luc und Stef über die Anlage laufen. Erst kurz vor dem Match trafen wir wieder in der Trainerbox zusammen. Lucs Eltern kamen wie versprochen pünktlich zum Beginn des Matches. Allerdings ließen sie mich in Ruhe meine Arbeit machen und hielten sich merklich zurück. Ich hatte das Gefühl, dass es an dem Spielverlauf lag. Für mich war es aber überhaupt nicht enttäuschend, dass Fynn keine Chance auf einen Sieg hatte. Fynn spielte seine Möglichkeit aus und musste einfach anerkennen, dass seine Fähigkeiten noch nicht ausreichend waren, um hier im Hauptfeld mitspielen zu können. Dustin war zwar etwas traurig über die deutliche Niederlage, aber nachdem ich ihm meine Sichtweise erklärt hatte und Fynn ebenfalls nicht enttäuscht in die Umkleide kam, stieg seine Laune wieder spürbar an. Nach einem kurzen Gespräch mit Fynn über das Match ließ ich die beiden etwas allein.

Luc, Stef und Maxi waren wieder auf der Anlage unterwegs und nutzten die Möglichkeit, bei den Profis zuzuschauen. Das schien die Jungs doch sehr zu interessieren, wie sich die etablierten Spieler auf ein solches Turnier vorbereiteten.

Mir gab das erneut die Gelegenheit, mich mit Lucs Eltern zu unterhalten. Sie hatten sich die ganze Zeit zurückgehalten und das wunderte mich schon etwas.

„Hatte das eigentlich einen besonderen Grund, weshalb Sie heute während des Spieles so schweigsam waren?“

Wir waren mittlerweile auf dem Weg ins Clubhaus und leider störten uns immer wieder Autogrammjäger. Marc blieb dabei immer nett und freundlich und erfüllte nahezu alle Wünsche. Erst als wir das Clubhaus betraten und den Spielerbereich erreicht hatten, bekamen wir mehr Ruhe.

„Meine Güte, heute waren die Kids aber anstrengend. Müssen Sie immer so viele Autogrammwünsche erfüllen?“, fragte ich verwundert.

Marc lachte und gab eine vielsagende Antwort:

„Nun ja, heute war Kindertag und da war das leider zu erwarten. Wir hatten allerdings auch nicht daran gedacht. Sonst hätten wir uns vermutlich schon früher abgesetzt und Sie lieber in einem anderen Rahmen zu einem Gespräch getroffen.“

„Oh“, sagte ich, „gibt es einen besonderen Grund?“

Für uns war das Abenteuer München jetzt eigentlich beendet und ich würde die Familie Steevens vermutlich nicht so schnell wiedersehen. Allerdings hatte ich diesen Gedanken wohl ohne Luc und Stef gemacht. Und Lucs Mutter wusste schon davon, denn sie hatte ein vielsagendes Lächeln im Gesicht.

„Ja, es gibt einen besonderen Grund. Dieser Grund ist unser Luc. Er hat uns noch einiges mehr von Dustins Geschichte erzählt und dass es in der Tennisszene anscheinend noch sehr schwierig ist, offen über Homosexualität zu sprechen. Deshalb würden wir uns gern mit Ihnen einmal zusammensetzen und über eine mögliche Zusammenarbeit unterhalten. Luc möchte gern einmal nach Halle kommen und dort mit Stef Fynn und Dustin besuchen. Luc möchte dort einmal mit den beiden etwas Tennis spielen und wir würden gern die Base anschauen und mit Ihnen und Ihrem Bruder vielleicht einmal über die Zukunft für Dustin, Fynn und Maxi sprechen.“

Moment einmal, war das jetzt so etwas wie eine Anfrage für eine Unterstützung für das Projekt „Profitennis“? Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Entsprechend sprachlos saß ich den beiden gegenüber. Marc fing an zu grinsen und half mir etwas auf die Sprünge:

„Keine Panik, wir wollen auf keinen Fall Einfluss auf die sportliche Arbeit nehmen. Allerdings kenne ich meinen Luc sehr gut. Er hat sich tiefer mit Dustin und Fynn angefreundet und mich um Rat gefragt. Er möchte nämlich, dass die beiden eine faire Chance bekommen, im Profitennis Fuß zu fassen. Da musste ich ihm versprechen, das mit Ihnen zu besprechen. Hätten Sie überhaupt Interesse, diese Gedanken einmal zu erörtern?“

„Heißt das, Sie wären eventuell daran interessiert die drei Jungs zu unterstützen?“

„Ja, genau das soll das heißen. Ich denke, der Weg in den Profisport ist sehr hart und wie Sie ja auch sagten sehr kostenintensiv. Außerdem ist es schwer, als schwules Paar in der Öffentlichkeit zu sein. Das haben wir bei unseren ältesten Kindern erlebt. Ich würde bereit sein, die Jungs auf diesem Wege zu beraten und zu unterstützen. Die Details können wir in Halle besprechen. Haben Sie Interesse an diesem Gespräch?“

„Auf jeden Fall. Wir müssen dafür nur einen Termin finden, denn unser Turnierplan ist eng gestrickt. Ihr Zeitplan wird vermutlich auch nicht so viele Lücken haben. Haben Sie denn schon eine Idee?“

„Ja, in vier Wochen wird Luc wieder nach München fahren, um hier bei Karl Geiger in den Ferien zu arbeiten. Wir würden das so einrichten, dass wir einen Abstecher nach Halle machen, um das vor Ort mit Ihnen und ihrem Team zu besprechen. Es gibt nur eine Bedingung für diese Aktion.“

„Und die wäre?“

„Ich möchte nicht, dass diese Aktion vorher in der Presse steht. Also bitte ich Sie um Diskretion und Verschwiegenheit. Bitte sprechen Sie nur mit den Personen, die absolut notwendig sind.“

„Selbstverständlich.“

Ich gab ihm meine Handynummer und die Kontaktdaten der Base in Halle und dann tauchten plötzlich meine Jungs mit Luc und Stef auf. Sofort kam Luc zu seinem Vater und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Marc lächelte nur und nickte. Das ließ Luc erstrahlen und freudig mir die Hand geben. Er sagte nur:

„Ich freue mich auf Halle. Das wird bestimmt sehr interessant.“

Dann nahm er seinen Freund in den Arm und gab Stef einen Kuss.

„Chris, wie lange sind wir noch hier? Fahren wir heute noch zurück oder erst morgen?“, fragte Dustin.

Ich schaute zur Uhr und natürlich würden wir erst am nächsten Tag zurück nach Hause fahren.

„Morgen früh geht es nach Hause. Also der Abend ist noch frei. Ich nehme mal an, ihr wollt den noch gemeinsam verbringen.“

Meine Jungs nickten vielsagend mit einem Grinsen im Gesicht. Sie hatten sich das redlich verdient. Die Leistung stimmte in jeglicher Form und somit war das für mich eine leichte Entscheidung.

„Wie sieht das mit Auslaufen, Physio und Massage aus?“, fragte ich Fynn.

„Mache ich natürlich noch vorher. Wir müssen ja eh noch ins Hotel unsere Taschen wegbringen.“

„Ist in Ordnung. Aber ihr seid um elf im Hotel. Und Luc hat die Verantwortung. Was er sagt, wird gemacht. Ich möchte nicht einen von euch bei der Polizei abholen müssen. Und nehmt den Shuttelservice. Ich komme schon irgendwie ins Hotel.“

Das hatte ich mit einem Augenzwinkern gesagt und schon waren die fünf aus dem Raum verschwunden.

„Sie können mit uns ins Hotel fahren. Wie wäre es denn, wenn wir vorher gemeinsam essen fahren? Dann könnten wir noch etwas über die Zukunft sprechen.“


An diesem Abend begann etwas überraschend ein neues Kapitel für die Karriere meiner drei Jungs. Deshalb möchte ich an dieser Stelle die Geschichte „Second Serve“ beenden. Die Zukunft wird sicherlich sehr spannend verlaufen und viele neue Abenteuer beinhalten. Das werde ich in einer anderen Geschichte erzählen.

Nachwort

Liebe Leser,

ich möchte mich an dieser Stelle für alle Feedbacks bedanken, die ich erhalten habe. Sie haben mich immer wieder motiviert, weiter zu schreiben. Allerdings ist jetzt ein Punkt erreicht, wo ich diese Geschichte offen enden lassen möchte. Ich verspreche aber, die Zukunft unserer drei Freunde Fynn, Dustin und Maxi weiter zu beleuchten. Die Karriere wird ja jetzt erst richtig beginnen und mit Marc Steevens vielleicht sogar einen weiteren Unterstützer erhalten.

Bedanken möchte ich mich insbesondere bei Mo aus Hamburg. Er ist bei allen Teilen immer mit viel Engagement behilflich gewesen, mir meine Fehler und Ungereimtheiten auszubessern. Er hat mit mir sehr viele Ideen ausgetauscht und manchmal auch ausgeredet. Wir sind zu einem richtig guten Team geworden und ich freue mich natürlich sehr, dass er mich auch in Zukunft wieder unterstützen wird, denn dieses wird sicherlich nicht meine letzte Geschichte gewesen sein.

Außerdem erwähnen möchte ich Joachim, Fiete und den Idefix. Ihr habt mit eurem Vorablesen dafür gesorgt, dass meine Geschichte keine Logikfehler aufweist. Vielen Dank für eure Unterstützung!

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