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Second serve

Teil 7

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Inhaltsverzeichnis

Fynn: Ein wichtiges Mannschaftsspiel

Das Wochenende in der Klinik hatte bei mir Spuren hinterlassen und auch Dustin war die ersten Tage danach sehr verunsichert. In Gesprächen mit Chris und meiner Mutter hatte ich für uns einen Weg gefunden, die Zukunft auf mich zukommen zu lassen. Chris hatte mir deutlich gemacht, dass ich ja nichts zu verlieren hätte. Meine Situation war geregelt und wenn mein Vater sein Wort halten würde, könnte ich frei entscheiden, wie weit ich ihn an mich heranlasse. Im ersten Moment hatte mich das stark verunsichert. Wie sollte ich damit umgehen? Heute, zwei Wochen nach dem Klinikwochenende hatte ich gefühlt, dass ich keinen Druck mehr spüre. Wenn er um mich kämpfen würde, dann habe ich alle Zeit der Welt.

Am Wochenende nach dem Treffen in der Klinik bekam ich einen langen Brief von ihm. Dort schilderte er mir seine Sicht der Dinge und dass er viele Fehler gemacht habe. Alles was dort stand, waren gute Ansätze, aber ich wollte konkrete Schritte von ihm sehen. Ich habe die Tür offen gehalten und werde sie auch offen halten, solange er sich in die richtige Richtung bewegt. Dustin war sehr misstrauisch und auch nicht begeistert, als ich meinem Vater einen Brief als Antwort geschrieben hatte. Chris hatte mich darin jedoch bestärkt.

Mein kleiner Bruder begann auch langsam zu verstehen, dass es nicht damit getan war, große Versprechungen zu machen, sondern sie auch zu halten.

Das Training in der Base verlief sehr positiv. Chris verstand es wirklich hervorragend, an unseren Schwächen zu feilen. Vor allem Dustin profitierte sehr stark von der persönlichen Betreuung. Er hatte nahezu alle Defizite aufgearbeitet und sein spielerischer Stand war auf Augenhöhe zu mir. Maxi hatte ein paar Schwierigkeiten mit seinem Vater. Maxi wollte nicht ständig auf Turnieren unterwegs sein, sondern sich auch mal zu Hause ausruhen. Maxis Vater war der Meinung, dass er zu wenig aus seinen Möglichkeiten machen würde. Auch da half Chris. Er führte ein Gespräch mit beiden und konnte erfolgreich vermitteln.

Heute war Donnerstag und normales Training. Am Samstag war ein Mannschaftsspiel der U18 Junioren in der Westfalenliga angesetzt. Das war für den Verein sehr wichtig, denn sollten wir das erfolgreich bestreiten, würden wir an der Endrunde zur Deutschen Mannschaftsmeisterschaft der Junioren teilnehmen. Die fand in Hamburg statt und sollte über eine Woche gehen. Dafür würden wir schulfrei erhalten. Das war natürlich eine große Motivation für uns.

„Los, Fynn. Ein wenig mehr Druck auf den Ball und beweg dich besser.“

„Maxi, du bist zu spät im Treffpunkt. So fällst du immer nach hinten. Das ist schlecht.“

Chris gab uns richtig Druck und wir mussten hart ackern. Allerdings machte es mir auch viel Spaß. Der Erfolg sprach schließlich für sich. Innerhalb der letzten Wochen hatten wir uns alle in der Rangliste verbessert und ich hatte viel mehr Selbstvertrauen auf dem Platz.

Chris scheuchte uns und gab immer wieder Korrekturen. Dustin schien heute nicht seinen besten Tag zu haben, denn Chris brach die Übung plötzlich ab.

„Stopp. So geht das nicht. Dustin, du musst dich konzentrieren. So machst du viel zu viele Fehler. Los, noch einmal das Ganze und diesmal ohne Fehler, bitte.“

Maxi spielte den Ball erneut an und weiter ging es mit der Jagd. Jetzt klappte es besser und Chris war gleich zufrieden.

„Sehr gut. Los, weiter und genau so spielen. Jetzt nachrücken und den Volley tot machen. Super!“

Also das war der entscheidende Unterschied zu Thomas. Chris kritisierte und korrigierte genauso hart, aber er sparte dann auch nicht mit Lob.

„Pause“, rief Chris über den Platz.

Wir gingen zur Bank und nahmen unsere Getränkeflaschen. Chris korrigierte noch einmal ganz kurz etwas bei Dustin und ließ uns dann einen Moment in Ruhe. Maxi wandte sich an Dustin.

„Merkst du eigentlich, dass du mittlerweile genauso stark bist wie wir? Ich finde es klasse, wie wir zusammenarbeiten. Mir macht das Spaß. Wie ist das bei euch?“

„Auf jeden Fall, Maxi. Ich habe das Gefühl, Chris sagt mir ganz genau, was ich ändern muss. Das ist viel besser als vorher. Und Samstag werden wir eine gute Chance haben, oder?“

„Auf jeden Fall. Vor allem, weil wir vier gleichstarke Spieler haben. Für Maxi an Position eins wird es sicher sehr schwer sein, aber dann müssen wir eben unten die Punkte machen.“

Maxi grinste und Dustin gab mir seine Zustimmung durch einen schnellen Kuss. Chris kam zurück und hatte das noch mitbekommen.

„Na, das ist aber eine Motivationshilfe. Das macht Laune, oder Fynn?“

Dabei grinste er uns an. Es war immer wieder ein tolles Gefühl, wie Chris uns unterstützte.

„So, genug Zärtlichkeiten ausgetauscht. Es geht weiter. Aufschlag und Return steht an. Maxi fängt an mit Aufschlägen und ihr wechselt euch mit dem Return ab. Der Punkt wird ausgespielt. Wer die wenigsten Punkte am Schluss hat, muss den Platz abziehen.“

„War ja klar. Du denkst dir immer nur Spiele aus, bei denen du nicht mitspielst.“

Maxi meinte das natürlich nicht ernst, denn Chris brauchte uns nichts zu beweisen. Wir wussten, dass wir spielerisch besser waren, aber darum ging es ja auch nicht. Entsprechend gut gelaunt konterte Chris:

„Ok, was machst du denn, wenn ich mitspiele und nicht letzter werde?“

Jetzt wurde es interessant, denn damit hatten weder Maxi gerechnet, noch Dustin oder ich. Mir fiel etwas ein. Chris liebte sein Motorrad über alles. Da war er richtig pingelig.

„Ich wüsste da was. Wenn Chris nicht letzter wird muss Maxi einen Monat lang dein Motorrad putzen.“

Chris fing an zu grinsen.

„Ok, aber du musst es so putzen, wie ich es auch mache. Also keine halben Sachen.“

Maxi spürte, dass er aus der Nummer nicht mehr herauskam. Also stimmte er zu. Entsprechend motiviert gingen Dustin und ich natürlich an die Aufgabe. Chris spielte also mit.

Nach nur wenigen Minuten sah es für Maxi gar nicht gut aus. Chris lag vor ihm und sein großes Plus war, er hatte nicht gesagt, wie lang das Spiel gehen würde. Das wollte ich jetzt ausnutzen und erinnerte Chris daran.

„Am besten du beendest das Spiel jetzt. Dann muss Maxi abziehen und putzen.“

Chris lachte, aber das wäre nicht seine Art gewesen. Deshalb bot er an:

„Das Spiel ist zu Ende, wenn ein Spieler zuerst fünfzehn Punkte hat. Wer dann letzter ist, hat verloren.“

Damit erhöhten wir den Druck auf Maxi und so kam es wie es kommen musste, Maxi war letzter als ich meinen 15. Punkt machte. Damit war klar, Maxi musste abziehen und das Motorrad putzen.

Entsprechend schlecht gelaunt zog Maxi unter unserem Lachen den Platz ab. Damit kein falscher Eindruck entsteht. Maxi war uns nicht böse und das wussten wir auch genau, sonst hätten wir das nicht gemacht. Dafür war uns die Freundschaft schon zu wichtig geworden. Wir waren fast schon ein Dreamteam.

Leider kam Thorsten jetzt zu uns an den Platz und hatte mit Chris etwas zu besprechen. Zuvor hatte er uns allerdings alle begrüßt. Das tat hier jeder, selbst Herr Weber grüßte hier jeden von uns. Das war schon Klasse. So hatte ich immer das Gefühl, hier gern gesehen zu sein.

Nachdem Thorsten sich mit Chris abgestimmt hatte, bat er uns an der Bank zusammenzukommen.

„Hallo noch einmal. Ihr spielt ja am Samstag mit der Mannschaft und es gibt ein Problem.“

Das hörte sich nicht gut an. Hoffentlich hatte der Verband nicht seine Finger im Spiel.

„Wir müssen die Mannschaftsaufstellung noch einmal besprechen. Alex darf nicht spielen. Er hat sich eine Infektion eingefangen und ein ärztliches Verbot zu spielen. Die zweite Mannschaft spielt aber auch und zwar gegen den Abstieg. Jetzt müssen wir überlegen, wer bei euch spielen soll. Habt ihr eine Idee?“

Wir schauten uns an. Das war jetzt wirklich ein ernstes Problem. Wenn wir jemanden aus der zweiten Mannschaft nehmen würden, dann hätten sie Probleme, den Klassenerhalt zu sichern. Wenn wir aber einen ganz schwachen Spieler von der dritten nehmen würden, hätten wir kaum eine Chance auf den Titel. Ratlosigkeit war in allen Gesichtern zu erkennen, als Chris etwas in den Raum stellte.

„Es gibt doch die Gastspieler-Regelung. Wir haben doch Tim und Carlo auch bei euch gemeldet. Sie sind zwar noch U15 und sicher können sie Alex nicht ersetzen, aber sie sind auf jeden Fall besser als jeder andere aus der dritten Mannschaft. Außerdem würden sie sich für das Team zerreißen.“

„Aber dürfen sie noch bei uns spielen? Sie haben doch schon in der U15 gespielt.“

Dieser Einwand von Maxi war berechtigt. Chris reagierte direkt darauf:

„Ja, höher spielen dürfen sie noch. Allerdings haben sie sich dann fest gespielt und können in dieser Saison nicht mehr in der U 15 starten. Das macht aber nichts, weil sie ihre Serie bereits abgeschlossen haben.“

„Also ich bin dafür, dass wir beide mitnehmen. Das finde ich sinnvoller, als einen aus der dritten zu nehmen. Außerdem passen sie in unser Team.“

Das war mir persönlich sehr wichtig. Ein harmonisches Team zu haben. Die anderen hatten nichts dagegen einzuwenden und deshalb machte Thorsten noch einen weiteren Vorschlag:

„Wäre es dann nicht sinnvoll, ihr würdet morgen noch einmal mit den beiden gemeinsam trainieren? Vielleicht auch einige Doppelkonstellationen probieren? Chris, was denkst du?“

Chris nickte als er antwortete: „Auf jeden Fall macht das Sinn. Wir machen dann morgen ein Teamtraining. Das normale Programm wird gestrichen. Der Nachmittag sollte dann nur für das Team genutzt werden. Zum Abschluss gibt es für alle einen Termin beim Physio und Massage. Wer mag, kann auch in die Sauna gehen.“

Das war für meinen Freund natürlich toll. Dustin mag Sauna, während ich eher weniger davon begeistert war. Thorsten besprach sich noch kurz mit Chris über den genauen Ablauf, während wir bereits in Richtung Umkleide gingen. Maxi war nicht so begeistert über die Neuigkeiten.

„Das ist echt blöd. Ausgerechnet jetzt muss Alex krank werden. So werden unsere Chancen nicht besser.“

Das hörte sich fast so an, als ob Alex das mit Absicht machen würde. Das störte mich ganz gewaltig.

„Das macht er ja bestimmt nicht mit Absicht. Alex hätte auch bestimmt lieber gespielt. Du solltest besser erst nachdenken, bevor du so einen Schwachsinn denkst.“

Maxi schaute mich verwundert an.

„Ey, bleib locker. Ich habe das gar nicht so gemeint. Nur ist es doch wirklich blöd. Alex ist immer noch besser als Tim oder Carlo.“

„Ja“, mischte sich Dustin mit ein, „das stimmt sicher, allerdings ist es jetzt so und sie werden sich voll reinhängen. Ich finde, wir sollten ihnen zeigen, dass wir an sie glauben und das wir uns freuen, dass sie uns helfen.“

„Das ist absolut richtig, Schatz. Genau so werden wir das machen. Wir können es doch nicht ändern und jetzt müssen wir das Beste daraus machen. Ich will trotzdem gewinnen und nach Hamburg fahren. Du etwa nicht, Maxi?“

Jetzt musste auch Maxi wieder lachen. Er hatte es begriffen, dass seine Reaktion wohl nicht gut angekommen war.

„Natürlich will ich mit nach Hamburg fahren. Ich kann doch nicht verantworten, dass ihr allein über St.Pauli marschiert.“

Jetzt brachen wir alle in schallendes Gelächter aus und entsprechend lustig war es unter der Dusche. Selbst, als wir schon wieder angezogen waren, hatte Maxi einen Witz nach dem anderen erzählt und wir lachten ohne Pause.

„Maxi, hör auf jetzt. Sonst kann ich morgen nicht trainieren, weil ich Muskelkater vom Lachen habe.“

Erneut kugelten wir uns vor Lachen, aber dann kehrte Ruhe ein. Wir verließen die Umkleide und wollten schon nach Hause fahren, als uns Chris noch abfing.

„Da seid ihr ja. Ich dachte schon, ihr kommt heute gar nicht mehr heraus. Dustin und Fynn, kann ich euch beide noch einmal sprechen?“

Maxi verabschiedete sich und fuhr schon vor. Wir blieben also noch etwas, um mit Chris zu sprechen. Er ließ sich von uns den Verlauf des Klinikwochenendes berichten. Dafür hatten wir noch gar keine Zeit gehabt. Ich fand es klasse, dass er sich dafür weiterhin so interessierte. Auch, als das Thema aufkam, ob ich meinem Vater entgegenkommen sollte, hatte er eine klare Position.

„Wenn du für dich das Gefühl hast, du möchtest das, dann geh auf ihn zu. Hast du keine Lust und er hat sich nicht ausreichend bemüht, dann lass es. Du hast keine Verpflichtung deinem Vater gegenüber. Ich sehe das so, dass er die Bringschuld hat. Er muss sich dir annähern und nicht umgekehrt. Wenn du Fragen hast, melde dich jederzeit. Das gilt auch für dich Dustin. Ich bin immer ansprechbar für euch.“

„Danke, Chris. Das ist ein gutes Gefühl, dass du uns unterstützt. Mal eine Frage: Patrick hat es ja hier so gut gefallen. Ich möchte ihn vielleicht überraschen und ihm ein paar Trainerstunden ermöglichen. Hast du eine Idee, wie wir das machen könnten?“

„Klar, eine Idee habe ich. Wie wäre es denn, ihr benutzt meine Trainingsutensilien und fragt Tim und Carlo, ob sie Lust hätten, noch einmal mit Patrick auf den Platz zu gehen. Ich würde es mir auch gern einmal ansehen, ob es vernünftig wäre, wenn Patrick mit Tennis anfangen möchte.“

„Cool, das wäre klasse. Danke, Chris.“

„Dafür nicht. Dann seht mal zu, dass ihr nach Hause kommt. Ich kläre das mit Thorsten und dann könnt ihr ja morgen mal mit Tim und Carlo darüber reden.“

Damit trennten wir uns und machten uns endlich auf den Heimweg. Ich hatte Hunger und hoffentlich hatte Martina bereits etwas zu Essen vorbereitet. Dustin schien es ebenso eilig zu haben, denn wir waren zügig unterwegs.

Als wir unser Heim betraten, kam uns schon ein Duft von Essen entgegen.

„Hallo Martina, was gibt es denn schönes zu essen? Riechen tut es ja schon grandios.“

„Da seid ihr ja endlich. Maxi wartet schon ewig auf euch. Es gibt Frikadellen mit Bratkartoffeln und Salat.“

Das war natürlich ein Festessen für mich. Martinas Bratkartoffeln waren Weltklasse und fast besser als die von Mama.

Wir redeten noch ein wenig über den Tag und ich spürte die aufkommende Müdigkeit.

„Leute, seid mir nicht böse, aber ich bin echt platt. Ich gehe schon mal in unser Zimmer und ruh mich etwas aus.“

Dustin schien sich noch gut mit Maxi zu unterhalten und wollte noch nicht mitkommen. Aber er schaute unsicher zu mir. Er hatte doch wohl kein schlechtes Gewissen.

„Du kannst doch noch bleiben. Ich finde den Weg auch allein.“

Damit hatte ich alle sofort in einen heftigen Lachanfall gebracht und kurze Zeit später lag ich allein auf unserer Couch. Mir gingen doch einige Gedanken durch den Kopf und auch Zweifel kamen wieder hoch. Hatte ich das alles richtig gemacht mit meinem Vater? War es richtig gewesen, Dustin mitzunehmen? Jedenfalls wurde ich immer müder und war tatsächlich darüber eingeschlafen.

Wach wurde ich erst wieder, als ich zwei warme Hände an meiner Brust spürte. Ich öffnete die Augen und sah in die schönen Augen meines Freundes. Er hatte bereits begonnen mich auszuziehen, um mich ins Bett zu bringen.

„Na, du Schlafmütze. Kommst du jetzt freiwillig mit ins Bett? Oder muss ich dich abschleppen?“

Dieses Grinsen dabei machte mich immer wieder hilflos.

„Wie spät ist es denn schon? Irgendwie habe ich grade keine Peilung was Sache ist.“

Dustin begann zu lachen. „Das kann ich mir vorstellen, so tief wie du gepennt hast. Es ist schon halb elf.“

„Was? Echt? Boah, sorry. Ich habe so tief geschlafen. Dann lass uns rübergehen ins Schlafzimmer. Da lässt es sich doch besser weiterschlafen.“

Dustin half mir vom Sofa hoch und gemeinsam gingen wir ins Schlafzimmer. Natürlich war ich jetzt wieder wach und das nutzte Dustin auch noch aus, um ein paar nette Sachen mit mir anzustellen, bevor wir dann endgültig einschliefen.

Chris: Der Verband macht Druck

Was ich den Jungs nicht gesagt hatte, der Verband hatte einen Termin für die Anhörung festgesetzt. Außerdem hatten sie versucht, unsere Mannschaft für die Endrunde der Westfalenliga nicht zuzulassen. Da es ihnen aber nicht gelang, auch nur einen einzigen Beweis für unser angebliches Fehlverhalten zu finden, mussten sie uns am Samstag spielen lassen. Da dieses Finale auf Verbandsebene unter der Regie des Verbandes ausgetragen wurde, rechnete ich mit Schwierigkeiten. Das mussten die Jungs aber noch nicht vorher wissen. Sie würden es schon früh genug mitbekommen, sollte das eintreten, was ich befürchtete. Listen war halt ein richtiges Arschloch und hatte im Verband absolute Narrenfreiheit.

Wie gut, dass Thorsten und das gesamte Team hinter uns stand. Damit würde ich jede Unterstützung bekommen, die es brauchen würde. Ich hatte sogar bereits mit der „Westfalen Tennis“ Kontakt aufgenommen. Das war eine Fachzeitschrift, die über das Geschehen im WTV berichtete. Der Chefredakteur Frank Höfen war gleichzeitig bei uns Bundesliga Pressereferent. Da war der Weg recht kurz und somit hatte ich bereits einmal vorgefühlt, wie denn dort die Position zum Cheftrainer war.

Heute hatte ich keine Termine mehr und war auf dem Weg nach Hause. Dort wollte ich mich auf den Gegner vorbereiten und im Internet über die Aufstellung und Spieler informieren. Es gab ein Spielerportal, wo alle Spieler, die für einen Verein spielten, registriert waren.

Das erleichterte mir die Vorbereitung erheblich, und so hatte ich abends noch etwas Zeit, meine Panigale bewegen zu können.

Der Freitag stand ganz im Zeichen der Vorbereitung auf Samstag. Am Platz angekommen, holte ich zuerst meine Trainingsutensilien. Thorsten saß wie immer im Büro und ich schaute auch dort vorbei.

„Hi, Chris. Hast du Lust auf eine Fassbrause?“

Na, das war ja eine nette Begrüßung. Er bot mir eine Fassbrause an und fragte auch noch.

„Fassbrause? Nehm ich immer sofort. Hast du schon was gehört wegen morgen? Und ist das jetzt geklärt mit Tim und Carlo?“

„Ja, alles geklärt. Die beiden trainieren heute bei euch mit. Burghard fand das übrigens von dir eine gute Idee, die beiden heute mit Maxi, Dustin und Fynn trainieren zu lassen.“

Wir tauschten unsere Ideen für morgen aus und erst danach fragte mich Thorsten: „Wissen die Jungs eigentlich über die anstehende Verhandlung Bescheid? Oder dass Listen morgen versuchen wird, uns zu einer Niederlage zu verhelfen?“

„Nein, das wäre nicht klug. Sie haben eh schon Stress genug. Sie sollen einfach auf den Platz gehen und spielen. Das Beste wäre, sie würden so deutlich gewinnen, dass sich ein Eingreifen gar nicht anbieten würde. Leider fürchte ich, dass Listen nicht darauf verzichten wird.“

„Es gibt morgen übrigens ein echtes Problem. Listen wird als Oberschiedsrichter fungieren. Da können wir auch nichts dagegen tun.“

„Lass mich raten, der Verband hat das so angesetzt.“

„Jep. Warum das so ist, brauche ich nicht zu erklären, oder?“

Das würde also morgen garantiert kein Vergnügen werden. Für mich bedeutete das doppelten Stress. Das Betreuen der Spieler und sich mit Listen herumschlagen. Leider fand das Spiel nicht bei uns statt, sondern bei unserem Gegner, dem TC Kaunitz.

„Das wird aber für mich eine ganz heftige Aufgabe. Zum Einen die Spieler coachen und zusätzlich muss ich mich mit Listen herumschlagen. Nicht gerade einfach.“

„Ich weiß. Ein Vergnügen wird das bestimmt nicht, aber ich kann dich beruhigen. Ich werde ebenfalls anwesend sein und dir den Rücken frei halten. Du sollst dich um die Jungs kümmern und ich werde Listen beschäftigen.“

„Echt jetzt? Du wirst uns begleiten? Das ist klasse. Die Jungs werden sich bestimmt freuen, wenn ich ihnen das gleich erzähle.“

Thorsten lachte jetzt. Außerdem erzählte er mir, dass auch die Familien von Maxi, Carlo und Tim mitfahren würden. Da wollte ich jetzt mal mit Fynn sprechen, ob seine Mutter nicht auch mitfahren möchte.

„Wir haben uns nach langer Zeit entschlossen, wieder mit einem Bus nach Kaunitz zu fahren. Also wenn Fynns Mutter und Bruder auch mit möchten, sollen sie bitte morgen um neun hier an der Anlage sein. Die Fahrtkosten betragen pro Person fünf Euro. Getränke und Verpflegung für die Fahrt gibt es im Bus.“

Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Es würde also einen Fanbus geben. Wow! Der Verein schien es sehr wichtig zu nehmen.

„Warum habt ihr mir das nicht schon eher gesagt. Die Jungs wären bestimmt weniger angespannt, wenn sie wissen, dass sie viele Fans hinter sich haben.“

„Ja, aber wir haben das erst vorgestern Abend entschieden, weil so viele Mitglieder signalisiert hatten, die Jungs unterstützen zu wollen. Eins unserer Mitglieder hat ein Busunternehmen. Da können wir recht kurzfristig auch einen Bus bekommen.“

Wie praktisch, dachte ich. Jetzt musste ich aber zum Training, sonst gab es von den Jungs Gemecker. Ich war ein Pünktlichkeitsfanatiker. Da sollte ich mit gutem Beispiel vorangehen. Also verließ ich das Büro und ging auf unseren Trainingsplatz. Tim und Carlo waren schon dabei, sich mit Seilspringen aufzuwärmen und Fynn kam mit Dustin gerade aus der Umkleide. Nur Maxi fehlte noch.

„Hallo zusammen“, begrüßte ich meine Jungs.

„Hi Chris“, kam es im Chor zurück.

„Hat jemand Maxi gesehen? Oder weiß jemand etwas, dass er später kommt?“

Die Jungs schüttelten den Kopf und ich schaute zur Uhr. Gut, es waren noch drei Minuten, aber dass er noch nicht einmal auf der Anlage war, beunruhigte mich schon etwas.

„Habt ihr euch in der Schule nicht gesehen?“

Fynn erklärte mir: „Nein, Maxi war heute beurlaubt. Er hatte einen wichtigen Termin mit seinen Eltern. Ich nehme aber an, dass er gleich kommen wird.“

Das verwunderte mich schon ein wenig. Was für ein wichtiger Termin das wohl sein würde. Egal, wir mussten beginnen. Ich gab den Jungs eine kurze Anweisung und dann ging es auch schon los. Nur Fynn blieb noch einen Moment bei mir stehen. Er tat so, als ob er noch etwas in seiner Tasche suchen würde, drehte sich dann aber zu mir um.

„Chris, ich weiß, warum Maxi noch nicht da ist, aber ich wollte es nicht vor allen sagen. Seine Mutter hat eine wichtige Untersuchung in der Klinik. Es besteht der Verdacht auf Leukämie und da wollte er unbedingt dabei sein.“

„Ach du Scheiße, das ist ja richtig heftig. Hoffentlich bestätigt sich das nicht. Danke, dass du mir das gesagt hast.“

„Ja, er hat mich extra darum gebeten, es nur dir zu sagen, falls er später kommen sollte.“

Fynn nahm jetzt seinen Schläger und ging auf den Platz sich einzuschlagen. Die Jungs spielten noch im T-Feld, als ich Maxi mit seiner Tasche heran laufen sah.

„Sorry Chris, … ich habe es nicht rechtzeitig geschafft. Hat dir Fynn …“

„Alles gut, ich weiß Bescheid. Reden wir später drüber oder möchtest du mir jetzt etwas sagen?“

Er packte nebenbei seine Schläger aus und dann drehte er sich zu mir um.

„Danke, dass du nichts laut gesagt hast. Ich möchte nicht, dass alle darüber Bescheid wissen. Aber es ist keine Leukämie. Es ist zwar auch nicht harmlos, aber die Heilungschancen sind sehr gut.“

Ich drückte ihn kurz an mich und es bedurfte keiner weiteren Worte mehr. Die Erleichterung war ihm deutlich anzusehen. Jetzt konnte das Training also richtig beginnen.

Ich ließ die Jungs sich selbstständig einspielen und nach etwa zehn Minuten stellte ich die ersten Aufgaben. Heute sollte es in erster Linie um ein gutes Teambuilding gehen.

Nach einer dreiviertel Stunde hatte ich genug gesehen.

„So, stopp einmal. Tim halt mal bitte den Ball an und ihr kommt bitte alle zur Bank.“

Als alle Platz genommen hatten, wollte ich kurz auf morgen eingehen und zum Abschluss ein paar Doppelpaarungen probieren.

„So, ich habe für morgen eine Überraschung. Thorsten hat mir eben gesagt, dass wir mit einem großen Bus nach Kaunitz reisen werden. Es werden viele unserer Mitglieder und Eltern mitfahren. Fynn, fragst du deine Mutter und deinen Bruder, ob sie auch mitfahren möchten? Der Unkostenbeitrag beträgt fünf Euro pro Person.“

Dass einige Eltern mitfahren würden, wussten die Jungs schon, aber ein Bus war ihnen auch neu. Entsprechend aufgeregt waren sie jetzt und ich ließ sie einen Moment darüber reden.

„So, genug gequatscht. Hat jemand noch Fragen zu morgen? Wenn nicht, möchte ich jetzt noch ein paar Doppelpaarungen ausprobieren.“

Die Jungs hatten keine Fragen mehr und so spielten wir noch eine Stunde verschiedene Variationen durch. Es stellte sich allerdings heraus, dass nur zwei Varianten wirklich sinnvoll waren.

Als wir fertig waren, versammelte ich alle noch einmal im Clubraum. Ich hatte vor, gemeinsam mit ihnen Spaghetti zu essen und gerade Tim und Carlo noch ein wenig den Druck zu nehmen.

Wir saßen bereits am Tisch und warteten auf das Essen, als Thorsten zu uns kam.

„Na, seid ihr fit für morgen?“

Im Chor kam die Antwort: „Klar, wir hauen sie weg und fahren nach Hamburg.“

Thorsten und ich lachten. Er nahm noch für einen kleinen Moment bei uns am Tisch Platz bis das Essen kam. Mir gefiel dieses Teambuilding sehr gut. Auch Thorsten nahm sich für den Nachwuchs immer viel Zeit.

„Bevor ich das vergesse, falls wir morgen in die Endrunde kommen, werden wir in Hamburg ebenfalls mit einem Bus vertreten sein. Und Gerry hat mir versprochen, solltet ihr das Finale in Hamburg erreichen, wird er euch dorthin begleiten.“

Das war allerdings eine große Überraschung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Entsprechend euphorisch reagierten auch die Jungs. Ich musste sie recht schnell wieder einfangen.

„Hey Leute, morgen muss erst einmal gewonnen werden. Danach reden wir über Hamburg. Kaunitz ist sehr stark und ich glaube nicht, dass das Spiel mit dem Mund gewonnen wird.“

Schnell kehrte wieder Ruhe ein und erst recht, als unsere Spaghetti kamen.

Während des Essens fiel mir noch eine Sache ein.

„Bevor ich das vergesse, Fynn. Montag um drei hast du einen Termin bei Christoph. Er möchte weitere Untersuchungen machen.“

Er schaute kurz von seinem Essen auf und nickte. Dustin schien nicht so begeistert zu sein, denn sein Blick war sehr fragend. Er sagte aber nichts dazu. Der Tag endete noch mit einer kleinen Ansprache von Thorsten für morgen. Danach löste sich unsere Runde auf und ich fuhr nach Hause. Meine Arbeit war allerdings noch nicht getan. Ich wollte mich auf den morgigen Gegner vorbereiten und schaute mir die Ergebnisse der anderen Spieler an.

Am Abend hatte ich noch ein Telefonat mit Fynn. Er bestätigte mir, dass beide, Mutter und Bruder, ebenfalls mitfahren würden. Das gefiel mir sehr gut.

Der nächste Morgen begann für mich sehr früh. Ich musste um acht in Halle sein, um noch ein paar Dinge vorzubereiten. Also war frühes Aufstehen angesagt. Um richtig wach zu werden, hatte ich mir eine große Thermoskanne mit grünem Tee gekocht. Meinen Rucksack mit Laptop und medizinischen Notfallsachen hatte ich schon gepackt. Die Kanne steckte ich noch hinein und dann ging es auch schon los nach Halle.

Auf der Fahrt gingen mir noch einige unschöne Gedanken durch den Kopf. Wie würde das Spiel verlaufen? Blieb es sportlich fair oder würde Listen wirklich versuchen, uns zu benachteiligen?

Als ich aus dem Auto stieg, war der Parkplatz noch sehr leer. Lediglich Thorstens Auto stand schon dort. Ich nahm meinen Rucksack und ging ins Clubhaus. Dort hatte unsere Wirtin bereit frischen Kaffee gemacht und Thorsten begrüßte mich freundlich.

„Hi, Chris. Gut gerüstet für den großen Fight?“

„Hm, kommt drauf an welchen Fight du meinst. Für den auf dem Platz auf jeden Fall. Was außerhalb passiert, bin ich mir da nicht so sicher.“

„Das ist nicht deine Aufgabe. Dafür bin ich zuständig. Du betreust unsere Jungs. Das andere Schlachtfeld ist meine Aufgabe. Komm, lass uns noch einen Kaffee trinken, bevor hier das Leben ausbricht.“

Dabei grinste er frech. Thorsten hatte eigentlich immer gute Laune. Ich war sehr gespannt, wie er mit der Situation mit Listen umgehen würde.

Es dauerte auch nicht lange und die ersten Leute trafen auf der Anlage ein. Ein Teil kam ins Clubhaus und ein Teil blieb gleich auf dem Parkplatz. Sehr schön fand ich, dass auch einige Spieler der anderen Mannschaften mitkommen wollten. Auch einige der Mädchenmannschaften. Der absolute Hammer war, dass einige sogar Vereinsfahnen und Banner dabei hatten. Sogar ein paar Drucklufthörner waren bereits zu hören.

„Sag mal, Thorsten, wir fahren aber zu einem Tennismatch oder?“

Thorsten lachte und in diesem Moment kam Maxis Vater herein, der ebenfalls eine Fahne dabei hatte. Unglaublich was hier abging. Ich kannte das von den Bundesligaspielen, dass dort manchmal auch mit Fahnen und Tröten unterstützt wurde, aber bei einem Juniorenspiel?

„Guten Morgen, ihr zwei. Habt ihr unsere Jungs schon gesehen?“

„Hallo Stefan, nein, die Jungs waren noch nicht hier. Hast du deinen Sohn schon gesehen?“

„Nein, aber das wundert mich auch nicht. Er ist eh immer der letzte, der kommt. Hoffentlich sind Fynn und Dustin so clever und lassen sich nicht von ihm anstecken.“

„Okay, aber eigentlich ist Maxi kein Morgenmuffel.“

„Das stimmt, aber er braucht immer ewig im Bad. Er meint, er müsste der Schönste sein.“

Jetzt lachten wir alle drei und machten uns auf den Weg nach draußen. Stefan ging neben mir und ich kam draußen aus dem Staunen nicht heraus. Dort waren bereits zwanzig Menschen auf dem Parkplatz und warteten auf den Bus. Stefan nahm mich kurz an die Seite und wir sprachen über das Thema Listen. Er hatte ebenfalls bereits einige Erlebnisse mit ihm und Thorsten hatte ihn wohl schon informiert.

„Du machst einen angespannten Eindruck“, bemerkte Stefan.

„Ja, ich habe keine Lust auf Stress. Ich möchte eine faire und sportliche Partie sehen. Der bessere möge gewinnen. Der Gedanke, dass Listen sich überall einmischt, bereitet mir Sorgen.“

„Hey, aber das ist nicht deine Baustelle. Darum kümmern wir uns. Zur Not lenken wir ihn ab. Das klappt schon.“

Sein positives Denken war schon erstaunlich. Allerdings steckte das auch an. Ich musste lachen.

„Komm, vertrau auf das Können unserer Jungs. Ich sage, wir gewinnen 4:2 und fahren nach Hamburg. Egal was Listen anstellt.“

In diesem Moment kamen unsere Jungs mit den Rädern an. Alle zusammen. Das gefiel mir sehr gut. Auch Tim und Carlo hatten sie dabei. Alle im Teamanzug und bestens gelaunt. Wir begrüßten uns und da der Bus gerade auf den Parkplatz rollte, hatten wir nicht lange Gelegenheit uns noch zu unterhalten. Das würden wir dann auf der Fahrt tun können.

„Thorsten“, rief ich über den Platz, „reservierst du uns vorne bitte Plätze. Ich möchte mit den Jungs zusammen sitzen.“

Thorsten gab mir mit einem Zeichen zu verstehen, dass er verstanden hatte. Von draußen konnte ich erkennen, dass er uns die ersten drei Reihen freigehalten hatte. Die anderen Fans stiegen in den Bus und so dauerte es nicht mehr lange, dass ich nur noch mit Stefan allein draußen stand. Was mir jetzt erst einfiel, er war ohne seine Frau und Maxis Mutter gekommen.

„Sag mal Stefan, wie geht es deiner Frau? Maxi hat mir erzählt, dass sie krank ist.“

„Ja, aber es geht ihr soweit gut. Nur muss sie sich schonen. Deshalb kann sie heute nicht mitfahren.“

„Das höre ich gern, wie geht Maxi damit um?“

„Schwierig. Er spricht nicht darüber. Äußerlich steckt er das gut weg, aber ich habe so meine Zweifel. Bei der Untersuchung habe ich doch schon seine Angst gespürt. Vielleicht kannst du ja mal mit ihm sprechen. Mit mir will er darüber nicht reden.“

Ich nickte und jetzt mussten wir auch einsteigen, denn die Zeit für die Abfahrt war gekommen.

Als ich mit Stefan die Stufen in den Bus nahm, wurden die ersten Fanfaren gedrückt, der Busfahrer betätigte die Hupe und wir rollten vom Parkplatz.

Das Match begann.

Fynn: Ein tolles Erlebnis

Für mich war das schon spektakulär, was unser Verein hier aufbot. Ein ganzer Bus voller Fans, die unseretwegen die Reise nach Kaunitz unternahmen. Dustin und ich schauten uns mehrfach ungläubig an und erst, als wir tatsächlich im Bus saßen und dieser den Parkplatz verlassen hatte, konnte ich das Ganze als real einstufen.

Wir Spieler saßen mit Chris vorn in den ersten Reihen. Chris hatte darauf bestanden, damit wir etwas mehr Ruhe hatten und er uns noch auf unsere zu erwartenden Gegner einstellen konnte. Für Tim und Carlo war das natürlich noch mehr Stress. Tim fragte mich zwischendurch einmal:

„Ist das wirklich alles real, was hier passiert? Ich hab Angst, dass ich das nicht hinbekomme.“

„Bleib ruhig. Mir geht das auch so. Allerdings musst du immer daran denken, sie unterstützen uns. Wir sind die Spieler und wir können es selbst regeln. Also mach einfach alles wie immer. Dann wird es schon klappen.“

Dabei lachte ich ihn an und zum ersten Mal hatte ich bei Tim den Eindruck, seine Fröhlichkeit war ihm verloren gegangen. Immer wieder studierte er nervös die Ergebnisse unserer Gegner. Irgendwann kam Chris und setzte sich zu uns. Er schaute sich das einen Moment an und dann nahm er Tim die Unterlagen weg.

„Du musst doch mittlerweile die Ergebnisse auswendig können, so oft, wie du da schon drauf geschaut hast. Los, mach doch mal was zur Entspannung.“

Dustin schaute grinsend von seinem Laptop hoch und selbst Carlo machte sich etwas lustig über seinen Freund. Chris entschied dann:

„Tim, geh doch bitte mal nach hinten und bitte Maxi nach vorn. Ich möchte mit euch etwas besprechen.“

Tim stand auf und legte die Papiere, die Chris ihm natürlich zurückgegeben hatte, auf seinen Sitz. Dann schlängelte er sich durch den Gang nach hinten. Chris nutzte die Gelegenheit, die Papiere erneut zu nehmen und in seinen Rucksack zu stecken.

„Jungs, kümmert euch bitte ein wenig um Tim. Er ist hyper nervös. Hoffentlich macht er sich nicht zu viel Druck. Vielleicht machen wir gleich noch ein kleines Spielchen auf der Fahrt. Das lenkt ihn etwas ab.“

Dustin und ich mussten lachen.

„Kein Problem, Chris. Aber ich bin auch etwas aufgeregt. So viele Leute, die nur unseretwegen den ganzen Tag Zeit opfern. Das ist schon toll, aber erhöht auch die Erwartungshaltung.“

„Nein Fynn. Ganz und gar nicht. Alle, die hier im Bus sitzen wissen, dieses Spiel heute wird sehr schwer werden. Die beiden besten Mannschaften in Westfalen treffen aufeinander und nur einer wird gewinnen. Je lockerer ihr sein könnt, desto besser werdet ihr spielen. Und glaubt nicht, der Gegner hat keinen Druck.“

In diesem Moment kamen Tim und Maxi nach vorn und setzten sich auf ihre Plätze.

Chris gab jedem von uns eine genaue Beschreibung des zu erwartenden Gegners. Ich war beeindruckt, mit welcher Akribie sich Chris vorbereitet hatte. Es ging nun darum, ob Tim oder Carlo das Einzel spielen sollte. Chris sagte dazu:

„Ihr wisst, einer von den beiden hier muss Einzel spielen. Ich möchte, dass wir das gemeinsam besprechen, wer spielen soll. Es soll keiner allein die Verantwortung dafür tragen. Schon gar nicht Tim oder Carlo.“

Dabei schaute er uns eindringlich an und wartete auf unsere Meinungen. Maxi war der erste, der sich sicher war.

„Ich bin dafür, dass Tim Einzel spielt. Er hat in letzter Zeit die besseren Ergebnisse gehabt. Außerdem ist er schon erfahrener als Carlo. Gerade bei älteren Gegnern.“

Dustin und ich waren uns gar nicht sicher. Andererseits war es mir auch egal, wer von den beiden spielen würde. Jeder würde das Maximum geben und im Training waren sie etwa gleich gut. Dustin brachte das auch vor und Chris überlegte einen Augenblick, dann fragte er Carlo:

„Wäre das für dich in Ordnung, wenn Tim das Einzel spielt? Ich möchte eine ehrliche Antwort von dir.“

Carlo war logischerweise nicht begeistert, denn er wollte natürlich spielen und nicht nur mitfahren.

„Es ist für mich in Ordnung, aber ich würde auch gern spielen. Ich glaube nämlich, dass ich nicht schlechter bin als Tim. Zumindest im Moment nicht. Ich habe alle Spiele bei den U 15 gewonnen, genau wie Tim. Aber wenn die Mannschaft es so möchte, dann soll Tim spielen.“

Mir war diese Situation etwas unangenehm und ich fühlte, wie Hitze in meinen Kopf kam. Diese Entscheidung für oder gegen einen von beiden wollte ich nicht treffen. Mein Herz begann schneller zu schlagen und das beunruhigte mich dann doch. Hoffentlich würde es nicht zu unnötigen Spannungen führen. Chris schaute noch einmal in die Gesichter der beiden und fällte dann die Entscheidung:

„Wenn niemand Einwände hat, dann soll Tim erst einmal das Einzel spielen. Carlo, ich verstehe sehr gut, dass du genauso gern spielen würdest. Heute ist Tim dran. Das kann beim nächsten Mal schon wieder anders sein. Ich würde mir nur wünschen, du unterstützt deine Mannschaft dennoch genauso wie sonst auch.“

Carlo nickte zwar, aber die Enttäuschung war sichtbar. Ich konnte es aber auch verstehen. Er hatte sich Hoffnung gemacht, spielen zu dürfen. Für einen Moment hatte ich Sorge, Carlo könnte jetzt sauer auf Tim sein, aber innerhalb weniger Minuten war Carlo wieder die lustige Stimmungskanone, wie wir ihn kannten. So wurde die weitere Busfahrt sehr kurzweilig. Carlo machte fast eine Soloshow daraus. Er erzählte Witze oder andere lustige Geschichten. Wir mussten immer wieder herzlich lachen. Vor allem, weil er dabei auch immer wieder Thomas nachmachte und sich über seine manchmal unfreundliche Art lustig machte. Chris schaute zwar manchmal etwas skeptisch und zweifelnd zu uns, aber er sagte dazu nichts.

Als wir mit dem Bus auf den Parkplatz des Vereins fuhren, wurden wir ungläubig bestaunt. Damit hatte der Gegner definitiv nicht gerechnet. Der Busfahrer öffnete die Türen und alle Mitfahrer strömten aus dem Bus. Chris hatte uns Spieler gebeten, bei ihm zu bleiben. Also standen wir noch am Bus, als bereits alle anderen auf die Anlage gegangen waren.

„Nehmt euch eure Taschen und dann gehen wir gemeinsam los und begrüßen unseren Gegner bevor ihr euch einschlagt.“

Jetzt wurde es wirklich ernst und Dustin stand neben mir, als er mich fragte:

„Bist du eigentlich gar nicht nervös? Ich habe etwas Schiss vor dem Spiel.“

Ich musste grinsen. Das kam so cool rüber.

„Klar bin ich auch nervös, aber wir sind ja nicht allein. Chris ist dabei und wird sicher auf uns aufpassen.“

„Ok, bevor wir jetzt losgehen, gebe ich dir aber noch das hier.“

Bevor ich darüber nachdenken konnte, was er gemeint hatte, gab er mir einen Kuss. Carlo und Tim kicherten etwas verlegen. Chris lachte und Maxi gab noch einen Kommentar ab:

„Aber nicht, dass du gleich ständig mit Fynn rumturtelst. Ihr sollt Tennis spielen und nicht kuscheln.“

„Deshalb gebe ich ihm ja jetzt noch einen Kuss. Keine Sorge, wir werden uns auf die gelben Bälle konzentrieren und nicht auf andere Bälle.“

Chris bekam sofort einen Lachanfall und ich fand das auch total cool, wie Dustin das gekontert hatte. Maxi wurde jetzt sogar rot.

„So, genug Unsinn geredet. Jetzt wird es ernst Leute. Auf geht es.“

Damit machten wir uns auf den Weg ins Clubhaus. Auf der Terrasse wurden wir vom Mannschaftsführer der Gastgeber begrüßt und ins Clubhaus geleitet. Er zeigte uns zuerst die Umkleiden, wo wir unsere Taschen abstellten. Chris blieb gleich im Clubraum und sprach mit dem Mannschaftsführer. Als wir zurück kamen, hatte er bereits geklärt, auf welchen Plätzen wir uns einschlagen konnten. Chris machte die Formalitäten und füllte den Spielbericht aus.

Chris: Der Showdown beginnt

Der gegnerische Mannschaftsführer hatte uns sehr freundlich begrüßt und auch mit einigen Eltern hatte ich bereits gesprochen. Thorsten hatte sich sofort mit Herrn Listen besprochen und sich um diese Sache gekümmert.

Ich hatte jetzt den Spielbericht ausgefüllt und konnte die endgültige Aufstellung sehen. Es war genau so, wie ich es erwartet hatte. Anschließend schaute ich nach meinen Jungs. Auf dem Weg zum Platz wurde ich von einer Mutter angesprochen.

„Entschuldigen Sie bitte, aber ist das in Halle immer so, dass gleich ein ganzer Bus mitfährt?“

Ich musste schmunzeln.

„Nein, ganz sicher nicht. Ich war ebenfalls sehr überrascht über so viel Unterstützung. Aber es ist in Halle schon so, dass ein großer Rückhalt für die Jugend vorhanden ist. Deshalb macht die Arbeit mit den Kindern auch so viel Spaß, trotz des enormen Aufwandes.“

Unsere Jungs waren mittlerweile mit ihren Gegnern auf den Platz gegangen. Begonnen wurde mit den Einzeln auf Platz zwei und vier. Es herrschte zwar eine gewissen Spannung, aber die Spieler schienen sich gut zu verstehen. Es gab sogar immer wieder lockere Gespräche während des Einschlagens. Auch unsere Fans verhielten sich sportlich fair. Darauf legte ich auch sehr großen Wert. Unterstützung ja, aber bitte fair.

Thorsten kam zu mir und hatte schlechte Nachrichten mitgebracht.

„So, wir haben den ersten Versuch von Listen, uns das Leben schwer zu machen. Er behauptet, dass unsere Team Shirts nicht den Regeln entsprechen. Er hat mich darauf hingewiesen, dass wir so nicht antreten dürfen und wir diese wechseln müssen.“

Das fing ja schon gut an. Allerdings fand ich diesen Einwand sehr skurril, weil das die gleichen Hemden waren, die auch unsere Bundesligamannschaft benutzte. Dort hätte es mit Sicherheit schon Proteste gegeben, wenn diese Hemden nicht den Regeln entsprachen.

„Ist nicht wahr. Der Typ tickt doch nicht richtig. Hat er denn recht?“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe es ihm auch klar gesagt, dass das selbst in der Bundesliga akzeptiert wird. Wir lassen es so, wie es ist.“

„Und kann er etwas dagegen tun?“

„Nun, er kann es im Spielbericht vermerken. Ich habe aber eben schon mit dem Verantwortlichen aus Kaunitz gesprochen. Die finden unsere Hemden sogar schick und haben überhaupt kein Problem damit. Also selbst wenn Listen das einträgt, Kaunitz wird diesen Protest nicht unterschreiben. Also von daher lassen wir alles so wie es ist.“

„Hoffentlich fängt er jetzt nicht an, unsere Jungs damit zu belästigen.“

„Wenn er das macht, kann er was erleben. Das ist nämlich für einen Oberschiedsrichter untersagt. Er kann diese Dinge mit mir klären, aber nicht mit den Spielern. Ich glaube nicht, dass er diesen Fehler begehen wird. Das würde nämlich für ihn bedeuten, dass wir ihn in Zukunft als Oberschiedsrichter ablehnen könnten. Ich glaube nicht, dass er das möchte.“

Dabei grinste Thorsten richtig fies. Ich hatte den Eindruck, Thorstens Ehrgeiz war geweckt und er hatte als Ziel, Listen richtig vor die Wand laufen zu lassen. Ich machte mich jetzt auf den Weg zu Tim. Dort wollte ich den ersten Satz auf der Bank sitzen. Bei Teamwettbewerben war das Coachen erlaubt und da Dustin bei Fynn sitzen würde, bot sich das an. Sollte es bei dem anderen Spiel Probleme geben, würde ich sicher von Thorsten informiert werden. Tim hatte sich bereits fertig eingeschlagen und das Spiel sollte beginnen. Ich nahm auf der Bank Platz und Tim hielt mir die Hand hin zum Abschlagen.

„So, Tim. Auf ein gutes Spiel und mach dir keinen Druck. Du kannst das.“

Er lächelte mich an und dann begann das Match. Ich lehnte mich auf der Bank zurück und beobachtete die ersten Spiele. Tim startete sehr verhalten und es wurde das erwartete Match. Lange Ballwechsel und wenige Fehler. So stand es nach einer halben Stunde erst 3:2 für Tims Gegner. Allerdings hatte bisher niemand seinen Aufschlag abgegeben.

„Bleib weiter ruhig und geduldig. Du hast genug Kondition das länger durchzuhalten.“

Tim nickte nur und trank aus seiner Flasche. Unsere Fans feuerten ihn bei jedem gewonnenen Punkt an. Immer wieder brandete Applaus auf. Auch vom anderen Platz konnte ich das vernehmen. Thorsten gab mir immer wieder den Zwischenstand von dort. Allerdings hatte Fynn seinen Gegner vollkommen im Griff und führte mit 5:3.

Einige Spiele später stand es bei Tim 6:5 für seinen Gegner. Also immer noch alles in der Reihe und ohne Aufschlagverlust. Jetzt tauchte Thorsten bei mir auf und berichtete:

„Chris, bei Fynn gibt es ein Problem. Er hat etwas mit seinem Kreislauf. Dustin meint, dass das schon häufiger auftrat. Er sagt, dass er sogar bei Christoph deswegen schon war. Weißt du darüber etwas?“

Das beunruhigte mich jetzt allerdings, denn so extrem, dass er vielleicht nicht weiter spielen konnte, war es bislang nicht aufgetreten.

„Ja, aber es gibt bislang keine klare Diagnose dazu. Wie geht es ihm denn? Kann er weiterspielen?“

„Das ist ja das Problem. Dustin sitzt auf der Bank und möchte, dass Fynn eine Auszeit nimmt. Listen hat ihm das aber verboten. Ich bin gerade für ein paar Minuten weg gewesen, da hat Listen das sofort für sich genutzt.“

„Ok, was soll ich machen? Soll ich jetzt direkt rüber gehen oder erst wenn der Satz hier zu Ende ist?“

Thorsten war sich auch nicht sicher. Ich fragte daher: „Wie steht es denn drüben? Hat Fynn den ersten Satz bereits gewonnen?“

„Ja, 6:3 hat er gewonnen, liegt jetzt aber 0:2 zurück.“

Tim spielte währenddessen weiter und hatte zum 6:6 ausgeglichen und somit musste der Tie-Break entscheiden. Ich feuerte ihn immer wieder an oder musste ihn auch mal beruhigen, wenn seine Ungeduld durchbrach. Dennoch pushten die Zuschauer ihn immer weiter nach vorn. Beim Satzball stand Dustin plötzlich an meiner Bank. Er war sehr aufgeregt und hatte große Mühe, mich nicht während des Ballwechsels anzusprechen. Dann verwandelte Tim den Satzball und die Zuschauer tobten vor Freude. Dustin zog mich am Arm von der Bank.

„Chris, du musst Fynn sagen, dass er sich behandeln lassen soll. Er kann kaum noch laufen und liegt 0:4 zurück. Auf mich hört er aber nicht, er sagt, Listen hätte ihm verboten den Platz zu verlassen.“

Jetzt platzte mir der Kragen. „Ich komme.“

Gemeinsam liefen wir auf den anderen Platz und mir reichten ein paar Ballwechsel, um zu begreifen, dass Fynn ein ernstes Problem hatte. Beim Spielstand von 15:40 und 0:4 unterbrach ich das Match, holte Fynn an die Bank und befahl ihm, sich zu setzen. Bevor ich auch nur einen Satz mit ihm sprechen konnte, tauchte Listen an der Bank auf.

„Das geht so aber nicht. Einfach das Match unterbrechen. Das gibt einen Strafpunkt und es steht damit 5:0.“

Es interessierte ihn überhaupt nicht, dass Fynn akute gesundheitliche Probleme hatte und machte dann allerdings den Fehler, dass er uns unterstellte, Fynn würde nur simulieren. Diesen Fehler wird er so schnell nicht wieder machen. Denn jetzt hatte er meine Schmerzgrenze überschritten.

„Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind? Nur weil Sie ein Angestellter des Verbandes sind, glauben Sie, sie könnten hier alle Regeln so auslegen, wie es Ihnen gefällt? Und das bei einem nicht einmal erwachsenen Spielern? Wie armselig ist das denn bitte? Es gibt eine Wettspielordnung in der alles klar geregelt ist und ich kenne diese nahezu auswendig. Sie als verantwortlicher Cheftrainer des Verbandes sollten das Wohl der Spieler immer im Vordergrund stehen haben. Davon sind sie Lichtjahre entfernt. Sie machen sich die eigenen Regeln. Allerdings haben Sie jetzt einen entscheidenden Fehler begangen. Sie verweigern einem Jugendspieler medizinische Betreuung. Das wird für Sie Konsequenzen haben. Das verspreche ich Ihnen. Sie werden bis auf weiteres keinerlei Verantwortung mehr haben. Ich werde sie vor den Rechtsausschuss bringen, wegen Verletzung der obersten Richtlinie. Nämlich dem Wohl der Spieler alles andere unterzuordnen.“

Bevor ich weiter reden konnte, kam Thorsten hinzu und stellte sich zwischen uns. Ich war so außer mir vor Wut, dass er womöglich Sorge hatte, ich könnte ihm an den Hals gehen. Thorsten übernahm diesen Teil und ich widmete mich wieder Fynn und seinen Problemen.

Interessanterweise hatte sich sein Gegner neben ihm auf die Bank gesetzt und kümmerte sich um ihn.

Ich überprüfte Fynns Puls und seine Reflexe. Er hatte sich etwas gefangen, aber ich konnte keine eindeutige Diagnose stellen. Vielleicht war es auch die mentale Belastung, die in den letzten Wochen oder sogar Jahren auf ihn einwirkte, die jetzt Wirkung zeigte. Ich musste eine Entscheidung treffen. Das Spiel abbrechen und Fynn nicht weiterspielen lassen, oder noch einen Versuch zu unternehmen. Dass ich Fynn nicht zu fragen brauchte, war mir klar. Er würde freiwillig jetzt niemals aufhören. Da mischte sich sein Gegner ein.

„Ich würde gern einen Vorschlag machen. Unabhängig von unserem unfähigen Oberschiedsrichter. Fynn soll sich für einen Moment im Clubhaus behandeln lassen und versuchen das Problem zu lösen. Ich habe kein Problem damit, dass es vielleicht sogar gegen die Regeln wäre.“

Thorsten hatte Listen mittlerweile zum Schweigen gebracht und ihm eindeutig klargemacht, dass jeder weitere Versuch, hier Einfluss zu nehmen, die Konsequenzen nur noch größer machen würde. Ich führte Fynn mit Hilfe von Dustin vom Platz in die Umkleide. Dort legte ich ihn auf die Bank und ein kaltes Handtuch unter seinen Nacken. Das zeigte Wirkung. Er wurde sehr schnell wieder klar und somit war mir der Zusammenhang deutlich geworden. Meine Entscheidung, ihn spielen zu lassen oder nicht, wurde dadurch nicht einfacher. Dustin war ebenfalls sehr unruhig und wich seinem Freund verständlicherweise nicht von der Seite.

Ich hatte mich entschieden.

„Fynn, dein Einzel ist beendet. Du gehst nicht wieder auf den Platz. Ich finde es wichtiger, dich im Doppel wieder einsetzen zu können. Darüber möchte ich jetzt auch nicht mit dir diskutieren. Das Risiko, dass du Schaden nehmen könntest, ist zu hoch.“

Danach drehte ich mich um, gab Dustin die Anweisung bei seinem jetzt sehr niedergeschlagenen Freund zu bleiben, bis ich zurück sei.

Mein Weg führte zielstrebig zurück auf den Platz. Dort wartete sein Gegner weiterhin ruhig auf Fynn.

„Das Spiel ist zu Ende. Fynn wird nicht wieder auf den Platz zurückkehren. Vielleicht im Doppel. Erst muss sich sein Kreislauf stabilisieren. Ich gratuliere dir zum Sieg und zu deinem äußerst fairen Verhalten.“

Er schien sogar etwas enttäuscht zu sein und entsprechend war seine Antwort.

„Ich finde es sehr schade, dass Fynn nicht weiterspielen kann. So zu gewinnen ist total blöd.“

Ich redete noch ein paar Sätze mit ihm und in dem ganzen Trubel war mir Tims Match entgangen. Carlo kam zu mir und vermeldete:

„Tim hat gewonnen und gesagt, dass Listen einfach ein Arschloch ist. Du solltest dich nicht zu sehr aufregen.“

Das war doch nicht zu glauben. Da spielte der Junge eines der bislang wichtigsten Matches und hatte noch solche Dinge im Kopf. Ich musste einfach nur lachen.

Wenige Augenblicke später war ich mit Carlo, Tim, Dustin und Thorsten bei uns in der Umkleide und wir berieten über das weitere Vorgehen. Thorsten hatte bereits mit der Geschäftsstelle des Verbandes in Kamen telefoniert und angekündigt, dass er einen längeren Bericht einreichen würde und Listen heute nicht weiter als Oberschiedsrichter akzeptiert würde.

Damit war das Problem zumindest für heute gelöst. Aber es wurde Zeit, dass die Verhandlung beim Verband stattfinden würde, damit dieses Kapitel abgeschlossen werden konnte.

„So Jungs, das Match muss weiter gehen. Dustin und Maxi sind jetzt dran. Dustin, du musst dich bitte nur auf dein Match konzentrieren. Dafür versprechen wir dir, dass Fynn zu dir an den Platz kommt, sobald er sich etwas erholt hat.“

Ich scheuchte die Truppe aus der Umkleide, damit die beiden nächsten Einzel gespielt werden konnten. Was mir imponierte, der Jugendwart aus Kaunitz hatte sich bei mir mehrfach nach Fynns Befinden erkundigt. So sollte das sein. Sportlich fairer Wettkampf. Dass ein Funktionär eine gute Stimmung kaputtmachen konnte, war sehr enttäuschend. Eigentlich sollten die Funktionäre für die Belange der Spieler da sein, nun gut.

„Hast du eine Ahnung, warum bei Fynn dieses Problem aufgetreten ist? Eigentlich ist er doch top fit.“

Thorsten stand mit mir noch auf der Terrasse. Die Jungs waren bereits wieder auf den Platz gegangen, um sich mit dem Gegner einzuschlagen.

„Ich habe eine Ahnung. Er hatte ja neulich schon einmal so ein Problem und bei der Untersuchung tauchten sehr hohe Puls und Blutdruckwerte auf. Körperlich ist er fit, ich vermute, es ist eine psychosomatische Störung.“

Thorsten schaute mich zweifelnd an.

„Folgen seiner Kindheit?“

„Ich befürchte es, ja. Ich werde mit ihm darüber sprechen, wenn wir zu Hause sind. Ich bin sicher, wir wissen noch zu wenig über die wirklichen Vorgänge, als er jünger war. Es treten diese Symptome ja auch nur dann auf, wenn er sich in stressigen Situationen befindet. Schauen wir mal. Jetzt müssen die anderen noch Punkte machen. Für Dustin wird es nicht einfacher.“

Thorsten nickte mir mit einem Lächeln zu.

„Ja, da könntest du richtig liegen. Umso wichtiger, dass Fynn bald bei ihm am Platz sein kann.“

„Keine Sorge, Fynn wird sicherlich gleich dort sein. Ich möchte ihn eigentlich auch allein coachen lassen. Ich setze mich bei Maxi auf die Bank. Das nimmt Dustin den Druck. Fynn weiß genau, wann er mir Bescheid sagen muss, wenn er mich braucht.“

„Gefällt mir. Ich gehe schon mal zu den Jungs. Du gehst noch einmal bei Fynn schauen?“

„Richtig. Ich komme dann sofort nach.“

Wir trennten uns und ich ging wieder in die Umkleide zu Fynn. Überraschenderweise saßen Tim und Carlo bei ihm und sie machten schon wieder Scherze. Jetzt konnte ich auch endlich Tim zu seinem Sieg gratulieren.

„Klasse, Tim. Du hast ein sehr gutes Match gespielt.“

„Danke, aber es ist schade, dass Fynn aufgeben musste. Wie wird das weitergehen? Muss Carlo jetzt für ihn Doppel spielen?“

Fynn wurde gleich unruhig und das wollte ich vermeiden.

„Eigentlich gehe ich erst einmal davon aus, dass Fynn im Doppel wieder spielen kann. Oder Fynn?“

„Ja, ich will auf jeden Fall Doppel spielen.“

„So hört sich das doch schon wieder besser an. Fynn, möchtest du bei Dustin auf die Bank? Dann gehe ich zu Maxi.“

Er freute sich, dass ich ihm das anbot. Entsprechend schnell stand er von der Bank auf und nahm den Eisbeutel für seinen Nacken mit.

„Aber leg dir den nicht die ganze Zeit auf den Nacken. Sonst kannst du dich nicht mehr bewegen.“

Er zeigte mir nur noch mit dem Daumen, dass er verstanden hatte und schon war er raus. Carlo und Tim blieben mit mir noch einen Moment zurück.

„Was ist eigentlich bei Fynn passiert? Ich war ja noch auf dem Platz.“

„Er hat wieder Kreislaufprobleme bekommen. Sein Blutdruck war vermutlich wieder extrem hoch.“

„Aber er ist doch topfit. Wie kann das sein?“

„Stimmt, Carlo. Allerdings gibt es auch noch andere Ursachen dafür. Vielleicht ist es auch nichts Körperliches. Das werden wir in den nächsten Tagen noch weiter untersuchen. So, jetzt müssen wir aber Maxi und Dustin unterstützen. Kommt ihr mit?“

Natürlich kamen sie mit und ich setzte mich bei Maxi auf die Bank. Recht schnell hatte ich mir einen Überblick über den Verlauf gemacht und war mir sehr sicher, dass Maxi das recht souverän gewinnen würde. Deshalb blieb ich recht ruhig auf der Bank und wir sprachen bei den Seitenwechseln eher entspannt über das Spiel. Die Fans spürten auch, dass hier nichts anbrennen würde. So kam es auch und Maxi gewann sein Spiel in zwei Sätzen. Somit stand es jetzt 2:1 für uns. Anhand der Stimmung vom Nebenplatz, konnte ich mir vorstellen, dass es Dustin deutlich schwerer hatte.

Ich hatte Maxi bereits gratuliert und ging jetzt direkt zu Dustin an den Platz. Fynn saß angespannt auf der Bank und wippte ständig mit dem Fuß. Der Spielstand war sehr eng. Dustin hatte den ersten Satz 5:7 verloren. Er führte jetzt aber mit einem Break vor 4:3 und schlug selbst auf zum möglichen 5:3.

Immer wieder nahm er Blickkontakt zu Fynn auf. Dieser feuerte ihn mit Gesten oder Applaus an. Auch unsere Fans bejubelten lautstark jeden gemachten Punkt. Beim Seitenwechsel nach dem 5:4 für Dustin saß er auf der Bank und Fynn redete mit ihm. Plötzlich drehte er seinen Kopf zu Fynn und dieser grinste ihn an. Irgendetwas war passiert. Fynn musste ihm irgendetwas Außergewöhnliches gesagt haben. Jedenfalls hatte ich keinerlei Gründe, mich zu Fynn auf die Bank zu setzen. Er hatte alles gut unter Kontrolle. Als Dustin den Satz mit 6:4 gewonnen hatte, sprang Fynn von der Bank auf und ballte die Fäuste. Dustin lief zur Bank und sie umarmten sich. Jetzt gab es eine zweiminütige Satzpause. Ich beschloss, kurz an die Bank zu gehen und mich zu erkundigen, ob alles in Ordnung ist.

„Los, jetzt machst du ihn fertig. Du hast das Spiel unter Kontrolle.“

Dustin nickte nur und die beiden hatten Blickkontakt. Für mich war deutlich, Fynn war sehr zufrieden und freute sich für seinen Freund. Am liebsten hätte er ihn jetzt umarmt. Er traute sich nicht. Bevor Dustin wieder auf den Platz ging, näherte er sich Fynn und gab ihm ein ganz vorsichtiges Küsschen auf die Wange. Endlich! Er hatte Fynns Angst einfach ausgehebelt. Dustin lachte, als er auf seiner Seite des Platzes stand. Selbst die Zuschauer nahmen es mit einem wohlwollenden Lachen zur Kenntnis.

Der Champions Tie-Break war eine klare Angelegenheit. Als ob Dustin den Turbo gezündet hätte, spielte er seinen Gegner an die Wand und gewann deutlich. Jetzt brach bei allen Jubel aus. Carlo, Tim und auch ich liefen auf den Platz und gratulierten Dustin zu diesem wichtigen Sieg. Fynn strahlte über sein ganzes Gesicht als ihm Dustin entgegen kam. Dustin machte keinerlei Anstalten, seinen Freund nicht angemessen zu umarmen und dann gab er Fynn einen richtigen Kuss auf dem Platz.

Thorsten hatte sich, von mir unbemerkt, neben mich gestellt und stieß mich an.

„Man, ich dachte schon, die beiden hätten heute Kontaktverbot. Das wurde jetzt aber auch mal Zeit.“

Ich drehte meinen Kopf zu ihm und sah ein befreites Lachen von Thorsten. Ich musste einfach mit ihm lachen. Dieser Spruch kam so gut rüber. Carlo zog währenddessen den Platz für Dustin ab. Ich gab Tim noch die Information, dass wir uns in zehn Minuten zur Teambesprechung treffen würden. Die Doppel mussten aufgestellt werden. Wir führten jetzt mit 3:1 und ein Doppel musste gewonnen werden. Dann hätten wir das Finale in Hamburg erreicht.

Fynn: Doppel will ich um jeden Preis spielen

Wir Spieler hatten uns bereits zusammengefunden und warteten jetzt auf Chris und Thorsten. Dustin versuchte mich immer wieder zu fragen, ob ich auch wirklich wieder fit bin. Ich wollte auf jeden Fall spielen, auch wenn ich überhaupt keine Ahnung hatte, weshalb diese Probleme aufgetreten waren.

Maxi schien auch sehr besorgt zu sein, denn er fragte mich: „Fühlst du dich gut genug für das Doppel? Wenn du dir nicht ganz sicher bist, lass Carlo spielen. Es hilft uns nichts, wenn du aufgeben musst.“

Diese Sache nervte mich. Entsprechend gereizt reagierte ich leider.

„Leute, ich bin fit und werde spielen. Punkt.“

In diesem Moment kam Chris zu uns. Er war allein, ohne Thorsten, gekommen und sah recht angespannt aus. Er gab mir ein Zeichen und sagte: „Kommst du bitte kurz mit mir mit.“

Verdammt, er wird mir doch jetzt nicht erzählen wollen, dass ich nicht spielen darf. Das kann nicht sein. Ich fühle mich wieder richtig gut.

Nach ein paar Metern blieben wir stehen und Chris schaute mich eindringlich an.

„Dass du spielen willst, kann ich verstehen. Wir haben aber eine Entscheidung zu treffen, die deiner Gesundheit zu Gute kommt. Ich möchte jetzt wissen, ob du spielen kannst. Hast du noch irgendwelche Probleme? Dann sag es bitte ehrlich.“

Ich war ärgerlich, allerdings begriff ich, dass Chris auch die Verantwortung trug. Wenn ich ihm etwas Falsches sagen würde, wäre das Vertrauen sicher zerstört. Jetzt wurde ich unsicher.

„Ich fühle mich jetzt gut. Deshalb möchte ich auch spielen, aber du hast recht. Du musst das entscheiden und ich werde mich dem unterordnen. Es tut mir leid, wenn das so geklungen hat, dass ich auf jeden Fall spiele.“

„Was machen wir, wenn es erneut auftritt? Wenn es dir erneut schlecht wird? Du bist dir bewusst, dass da der Sieg der ganzen Mannschaft dran hängt?“

Ich nickte, aber wurde immer nachdenklicher.

„Chris, ich fühle mich jetzt gut. Ob es wieder auftritt, weiß ich leider nicht. Ich würde auch gern wissen, was die Ursache dafür ist. Was meinst du denn? Soll ich nicht spielen?“

Er schaute mich jetzt wieder freundlicher an.

„So gefällst du mir wieder viel besser. Ich hatte das Gefühl, dass du ein wenig die Realität aus den Augen verloren hattest. Ich freue mich, dass du es jetzt so sehen kannst. Deshalb lasse ich dich spielen, weil ich weiß, dass du alles für die Mannschaft tun würdest. Und weil ich weiß, dass du unter normalen Umständen deutlich besser bist als Carlo.“

Ich freute mich jetzt wirklich über diese Bestätigung. Wortlos folgte ich Chris wieder zu den anderen, die bereits schon ungeduldig auf uns warteten. Dustin schaute mich fragend an und erst als ich ihm beruhigend zunickte, wusste er, dass wir zusammen spielen würden. Chris machte es ihnen deutlich.

„Nachdem ich erneut mit Fynn gesprochen habe und den Eindruck gewinnen konnte, ich kann das verantworten, wird er mit Dustin das erste Doppel spielen. Das zweite Doppel möchte ich mit Maxi und Carlo spielen lassen. Das hat zwei Gründe. Der erste und für mich entscheidende Grund, Kaunitz rechnet nicht mit dieser Aufstellung und Carlo spielt ein gutes Doppel. Der zweite Grund ist die gute Trainingsleistung von Carlo. Tim, du bist genauso gut wie Carlo und deshalb soll Carlo die Chance bekommen, ebenfalls ein Match spielen zu können. Es ist keine Entscheidung gegen dich, sondern für Carlo. Wenn du dagegen etwas sagen möchtest, dann tue es bitte jetzt. Dann können wir darüber reden.“

Ich war doch überrascht über diese Entscheidung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Carlo anscheinend auch nicht, denn er freute sich sichtbar darüber. Tim schien nicht groß enttäuscht, aber das konnte auch täuschen. Er reagierte jedenfalls erst mit einer kleinen Verzögerung.

„Schade, ich hätte gern gespielt. Es ist aber für mich eine verständliche Entscheidung. An Carlos Stelle würde ich auch hoffen zu spielen. Du hast auch recht, Carlo ist nicht schlechter als ich.“

„Danke für dein Verständnis. Ich hoffe, du wirst deine Freunde voll unterstützen.“

„Klar, was hast du denn gedacht. Wir sind doch nun einmal fünf Leute und wenn Alex nicht ausgefallen wäre, würden wir ja erst gar nicht dabei gewesen sein.“

Boah, das war echt klasse von Tim. Ich weiß nicht, ob ich so gut damit klargekommen wäre. Jedenfalls war unsere Entscheidung gefallen und Chris bat uns darum, dass wir uns schon aufwärmen sollten. Die Doppel würden gleich beginnen. Maxis Vater kam noch zu uns und wünschte uns allen viel Erfolg. Dustin und ich zogen uns ein wenig zurück. Ich wollte mit ihm noch ein paar Dinge besprechen.

„Bist du wirklich fit?“, fragte mich mein Freund vorsichtig.

„Ja, wirklich. Ich würde nicht spielen, wenn ich mich nicht gut fühlen würde. Leider habe ich keine Ahnung, was die Ursache dafür ist. Hoffentlich tritt das nicht wieder auf.“

Als ob Dustin einen Schalter umgelegt hatte, lachte er plötzlich und fing an, mit mir herumzualbern.

„Komm, lass das bitte. Was soll Chris von uns denken? Wir sollten uns konzentrieren. Was denkst du, wie werden die ihre Doppel aufstellen?“

„Keine Ahnung, vielleicht setzen sie auch neue Spieler ein. Wenn sie mit den vier Spielern spielen, werden sie eins und drei und zwei und vier spielen. Sie müssen ja beide Doppel gewinnen, um noch eine Chance zu haben.“

„Was ist eigentlich, wenn es 3:3 steht? Zählen dann die Sätze und Spiele?“

„Richtig“, sagte Chris plötzlich.

Wir erschraken, weil wir überhaupt nicht bemerkt hatten, dass er zu uns gekommen war. Chris lachte sich halb tot, als er unsere überraschten Gesichter sah.

„Leute, ihr müsst auf den Platz. Ihr spielt gegen die eins und die drei. Also Maxis und Dustins Gegner. Los, auf geht es. Macht sie fertig“

Wir nahmen unsere Schlägertaschen und gingen auf den Platz. Unser Gegner wartete bereits auf uns. Sie begrüßten uns freundlich. Es herrschte eine angenehme Spannung. Maxis Gegner fragte mich sogar nach meinem Befinden. Ich hatte den Eindruck, er hatte das ehrlich gemeint. Weshalb überhaupt so ein Schwachkopf wie Listen hier sein musste war mir schleierhaft. Wir hatten mit den Gegnern noch nicht eine schwierige Situation gehabt.

Was ich noch mitbekam, war ein kurzes Gespräch zwischen Thorsten und Chris. Sie verständigten sich darüber, dass Thorsten bei Maxi und Carlo auf der Bank sitzen sollte und Chris bei uns. Mir gefiel das gut. Chris kannte uns sehr gut und ich vertraute ihm total. Es gab mir Sicherheit und meine Nervosität ging doch etwas zurück.

Dustin und ich standen an der Bank und Dustin ging zur Seitenwahl. Wir hatten die Wahl verloren und der Gegner wählte den Aufschlag. Mein Freund fragte mich, ob ich eine bestimmte Seite bevorzugen würde und dann sollte das Match beginnen. Chris kam zu uns und wir schlugen uns gegenseitig noch einmal ab und Dustin umarmte mich noch einmal und gab mir einen flüchtigen Kuss. Das führte bei unserem Gegner erst zu Erstaunen und dann zu Heiterkeit. Maxis Gegner meinte scherzhaft:

„Hey, das ist unfair. So eine Motivation ist unlauterer Wettbewerb. Ich kann meinen Partner ja nicht einfach mit einem Kuss motivieren.“

Chris fing an zu lachen und auch Dustin kringelte sich. Ich nahm das als Anlass zu erwidern:

„Warum denn nicht? Du kannst ihn doch genauso küssen. Oder mag er dich etwa nicht?“

Die Stimmung wurde dadurch sehr locker und entspannt. Und das, obwohl es allen bewusst war, dass es um die Entscheidung ging. Die gegnerischen Spieler waren sehr faire Sportler. Wir hatten bislang nicht eine strittige Entscheidung und umso klarer wurde die Überflüssigkeit von Listen. Das Spiel begann.

Die ersten Spiele verliefen normal und jeder gewann seinen Aufschlag. Bei 2:2 im ersten Satz hatten wir die ersten Breakchancen. Leider machte ich einen recht leichten Fehler und wir erhielten keine weitere Chance. Bei 5:4 im ersten Satz saßen wir mit Chris auf der Bank und ich wusste, dass es jetzt auf meinen Aufschlag ankommen würde. Chris beruhigte uns immer wieder. Es war schon klasse, wie ruhig er selbst dabei blieb. Das übertrug sich jetzt auch auf mich. Leider hatte Dustin seine Nerven nicht so gut im Griff. Er machte vorn am Netz zwei relativ einfache Fehler und somit stand es 0:30. Nachdem ich gut aufgeschlagen hatte, machten wir den Punkt und es stand 15:30. Chris feuerte Dustin immer wieder lautstark an. Jetzt machte ich leider einen total überflüssigen Konzentrationsfehler. Damit stand es 15:40 und wir mussten zwei Breakbälle abwehren. Einen konnte Dustin am Netz abwehren, aber den zweiten verschlug ich und somit war der erste Satz weg. Richtig verärgert stürmte ich zur Bank. Unser Gegner freute sich natürlich und die Stimmung unserer Fans war auch nicht mehr ganz so euphorisch. Wie wir hörten, lagen Maxi und Carlo auch deutlich zurück.

„Boah, ist das scheiße. Ich bin echt zu blöd. Warum spiele ich nicht den einfachen Ball?“

Chris schaute mir in die Augen und ich wollte am liebsten niemanden sehen. Ich nahm mein Handtuch und warf es mir über den Kopf.

„Fynn, hör auf dich zu ärgern. Wo ist das Problem? Wir haben immer noch den zweiten Satz vor uns und können gewinnen. Also reg dich ab. Ihr müsst ruhiger spielen. Lasst dem Gegner mehr Chancen, auch Fehler zu machen. Und ihr müsst zwingender aufschlagen. Variiert mehr. Damit sie sich nicht so gut vorbereiten können. Mal ein Kickaufschlag oder ein Slice nach außen.“

Plötzlich nahm Chris mein Handtuch weg und grinste mich an.

„Los, verstecken hilft dir nicht. Außerdem gibt es keinen Grund sich zu verstecken. Die Jungs spielen gut, also los. Auf geht es. Der zweite Satz ist unser.“

Ich muss ziemlich blöd geschaut haben, denn Dustin fing an zu lachen. Er kriegte sich gar nicht wieder ein. Ich verstand überhaupt nicht, wie er in dieser Situation so lachen konnte. Plötzlich spürte ich Dustins Lippen auf meinem Mund und anschließend flüsterte er mir ins Ohr:

„Schatz, Chris hat recht. Wir gewinnen den zweiten Satz und dann den Tie-Break im dritten Satz. Los!“

Chris: Ein spannendes Finale furioso

Fynn war gefrustet und niedergeschlagen. Ich musste jetzt ganz schnell schauen, dass der Verlust des Satzes aus dem Kopf kam. Dustin half dabei wunderbar. Er hatte mittlerweile immer häufiger seinem Freund offen die Zuneigung gezeigt. Auch auf dem Platz. Das tollste daran war, dass unser Gegner so locker damit umgegangen war. So machte Tennis wirklich Spaß. Leider lagen wir zurück und ein 3:3 würde es zu einem Glücksspiel machen, wer in das Finale kommen würde.

„Los, ihr müsst aufhören zu denken. Spielt eure Stärken aus und nutzt euren Kopf. Da seid ihr stark. Es ist doch noch nicht entschieden. Der letzte Punkt entscheidet über Sieg und Niederlage und nicht der erste Satz.“

Das war natürlich eine Floskel, aber ich wollte ihnen den selbstgemachten Druck nehmen. Anschließend gab ich noch konkrete Spielzüge vor. Das war sonst nicht meine Art, aber damit wollte ich die Verantwortung von Fynns Schultern nehmen. Fynn schaute mich an und plötzlich veränderten sich seine Augen.

„Chris, du glaubst immer noch an uns, oder?“

„Hey, was für eine Frage? Warum sollte ich das nicht mehr tun. Wir spielen ein Tennismatch. Mehr nicht. Ich werde immer an euch glauben.“

Fynn stand auf und was er anschließend sagte, hinterließ bei mir großen Respekt.

„Danke, dann werden wir jetzt zeigen, dass wir das auch verdient haben. Los, Dustin, jetzt wird Rock´n´Roll gespielt.“

Dustin schaute mich fragend an, gleichzeitig zog ihn Fynn wieder auf den Platz und der zweite Satz begann. Erst habe ich das für einen Scherz gehalten, aber Fynn fing an, Entscheidungen auf dem Platz zu treffen. Er gab Dustin ganz klare Anweisungen über Spielzüge und Strategien. Mit einer enormen Dynamik schlugen beide die Bälle ins Feld des Gegners. Unsere Jungs machten sofort ein Break und es stand schnell 3:0 für uns. Sie spielten sich in einen Rausch und meine Aufgabe war nur noch, anfeuern und loben. Alles weitere übernahm Fynn. Dustin ließ sich von seinem Freund führen und anleiten. Ein tolles Team. Das fiel auch Maxis Vater auf, der mittlerweile zu mir an die Bank gekommen war. Leise unterhielten wir uns.

„Sag mal, was hast du mit den beiden angestellt? Die sind ja wie gedopt.“

„Keine Ahnung, ich habe ihnen nur gesagt, dass es nur ein Spiel ist und ich immer an sie glauben werde.“

Er lachte und dann gab er mir die Information, dass Maxi und Carlo keine realistische Chance auf einen Sieg hatten. Das lag aber nicht an Carlo. Das sagte er mir ganz deutlich. Der Gegner war einfach ein extrem gutes Doppel.

Aufgrund der Bewegung und der Unruhe bei den Zuschauern konnte ich mir denken, dass das andere Doppel soeben zu Ende gegangen war.

Beim Spielstand von 4:1 kam Maxi zu uns an die Bank und bestätigte mir ihre Niederlage.

„Sorry, Chris. Das war nicht zu gewinnen. Die waren echt gut. Carlo hat aber sehr gut gespielt. An ihm lag es garantiert nicht, dass wir verloren haben.“

Ich nickte ihm zu, denn gerade kamen Fynn und Dustin zum Seitenwechsel auf die Bank.

„Leute, das ist geiles Tennis, was ihr spielt. Kann ich bitte davon noch etwas mehr sehen.“

Es war herzerfrischend, wie die beiden auf dem Platz jetzt agierten. Keine Spur von Zweifeln und Angst. Dustin kam zur Bank und er musste sein Grinsen unterdrücken. Fynn war total euphorisch und pumpte sich regelrecht auf.

„Los, den Satz geben wir nicht mehr aus der Hand. Dustin, du machst das großartig. Weiter so!“

Und dann gab er seinem Freund ganz offen einen Kuss. Auf der Bank sitzend. Ich war total beeindruckt. Ich schlug beide ab und weiter ging die wilde Jagd auf dem Platz. Die nächsten Spiele waren schnell gespielt und unsere Jungs hatten den zweiten Satz mit 6:3 gewonnen. Der Champions-Tiebreak musste über Sieg oder Niederlage entscheiden. Fynn war vollkommen im Tunnel und als der Gegner kurz den Platz verließ, um sich neu zu sammeln, begann Fynn, sich immer mehr zu pushen. Es wurde mir langsam unheimlich, wie er sich auf dem Platz aufbaute. Seinen Freund hatte er immer ganz nah bei sich und ich ließ sie laufen. Warum sollte ich mich jetzt einmischen. Ich hatte Blickkontakt, das war ausreichend. Ich hatte jetzt ein gutes Gefühl. Wenn unsere Jungs nicht einbrachen, würden sie das jetzt gewinnen.

Und sie ließen auch nichts mehr anbrennen. Nach weiteren fünf Minuten stand es im Tie-Break 9:5 und es gab den ersten Matchball. Fynn musste aufschlagen und er konzentrierte sich sehr lange. Es lag eine große Spannung in der Luft. Er warf den Ball hoch, schlug zu und der Gegner erreichte den Ball nicht. Vorbei! Die Jungs hatten gewonnen. Fynn ließ seinen Schläger fallen, brüllte seine ganze Anspannung heraus. Dustin lief auf ihn zu und was nun folgte, hätte Hollywood nicht besser inszenieren können. Sie umarmten sich und Dustin küsste seinen Freund. Ohrenbetäubender Jubel kam von den Zuschauern und auch der Gegner blieb sehr fair. Er wartete noch auf die beiden. Es war so üblich, dass man sich nach dem Match am Netz die Hand gab. Meine Jungs waren noch mit Küssen beschäftigt. Ich entschuldigte mich beim Gegner für dieses Fehlverhalten. Dann kamen sie doch noch zum Netz. Fynn strahlte und auch Dustin war sichtlich erleichtert. Erst nach dem Handshake fielen auch Carlo und Maxi unseren Jungs um den Hals. Sie tanzten über den Platz und riefen immer wieder:

„Hamburg, wir fahren nach Hamburg.“

Der Trainer der Kaunitzer kam zu mir und gratulierte sehr fair. Überhaupt verlief das gesamte Spiel unglaublich harmonisch. Außer dem Verhalten von Listen gab es keine Probleme. Plötzlich tauchte Thorsten mit einer großen Flasche Sekt auf und spritzte uns alle nass. Ich konnte gerade noch flüchten, aber die Jungs wurden richtig geduscht.

Erst, als sich alles etwas beruhigt hatte und Dustin und Fynn duschen waren, stand ich mit Thorsten und Stefan auf der Terrasse und wir unterhielten uns über das gerade erlebte Match.

„Was ist da eigentlich nach dem ersten Satz passiert? So eine Wendung ist krass.“

Ich schaute Stefan an und musste grinsen.

„Ja, da hast du wohl recht. Ich weiß es auch noch nicht so genau, aber ich glaube, Fynn konnte plötzlich zulassen, dass ich ihm total vertrauen würde. Das hat enorme Kräfte freigesetzt. Ich hoffe nur, er kann sich das erhalten. So kann er in Zukunft viel mehr aus sich herausholen.“

„In der Tat. Das war beeindruckend“, ergänzte Thorsten.

Er war jetzt auch schon wieder einen Schritt weiter, denn er fragte uns:

„Wollen wir eigentlich hier essen oder lieber zu Hause noch etwas feiern?“

Wir schauten uns an und da wir ja alle im Bus gekommen waren, wäre es wohl nicht so klug, jetzt hier noch lange zu bleiben. Also sagte ich Thorsten, er solle in Halle schon mal was vorbestellen. Dort würden wir mit den Jungs gemeinsam essen und noch etwas feiern.

Also ging ich in die Umkleide zu den Jungs, um ihnen unsere Pläne mitzuteilen. Dort herrschte eine ausgelassene Stimmung und insbesondere Carlo entwickelte sich, wie zu erwarten war, zu einem Entertainer. Er hatte wohl schon in voller Montur unter der Dusche gestanden und auch Tim war sehr ausgelassen. Maxi hatte eine Sektflasche in der Hand und ließ die auch kreisen. Tim und Carlo sollten auch davon nehmen, da schritt ich aber doch jetzt ein.

„Maxi, es reicht mit dem Sekt. Wir sind bei einem Jugendspiel. Und Tim und Carlo bekommen keinen Alkohol mehr.“

Er schaute mich zwar als Spielverderber an, aber an diesem Punkt ließ ich nicht mehr mit mir diskutieren. Er gab mir die noch halbvolle Flasche und ich stellte sie an die Seite. Dustin begann sich anzuziehen und auch Fynn kam gerade aus der Dusche. Er lachte und strahlte.

„Chris, ich muss mich entschuldigen. Ich wollte nicht deine Autorität untergraben auf dem Platz. Aber ...“

„Stopp. Hör auf. Du hast alles richtig gemacht. Es ist doch toll, wenn ihr das allein hinbekommt und ich nur unterstützen muss.“

„Du bist nicht sauer?“

„Nein. Auch wenn ihr verloren hättet, nicht. Diese Leistung war toll. Da spielt für mich das Ergebnis nur eine Randrolle. Was anderes, der Bus wartet auf euch und wir möchten in Halle noch mit euch etwas feiern. Beeilt ihr euch etwas?“

Fynn legte sein Handtuch auf die Bank und nackt wie er war, gab er seinem Freund einen Kuss. Das erstaunte mich dann doch sehr. Aber es gab keine Reaktion der anderen und auch bei ihm gab es keine körperliche Reaktion. Dustin hingegen war doch verwundert. Ich verließ die Umkleide und wartete draußen bei den anderen auf unsere Jungs. Carlo musste sich ja auch noch einmal komplett umziehen.

Erfreulicherweise war jetzt auch Fynns Mutter mit Patrick zu uns gekommen. Sie sah richtig mitgenommen aus. Patrick war hingegen total aufgedreht und wollte unbedingt Fynn gratulieren.

„Sie sehen aber auch mitgenommen aus. War es so schlimm?“

Bevor sie antworten konnte, drängelte Patrick. Er wollte unbedingt zu seinem Bruder. Ich schickte ihn in die Umkleide.

„So, jetzt können wir einen Moment in Ruhe sprechen.“

Frau Grehl musste lachen, denn auch ihr war Patrick auf die Nerven gegangen.

„Wie schaffen Sie das nur, immer so gelassen zu bleiben. Selbst auf dem Platz habe ich Sie immer fröhlich und gut gelaunt gesehen.“

„Ach, das täuscht. Ich bin mindestens genauso angespannt wie die Jungs. Ich versuche es nur zu verstecken, denn den Jungs hilft es ja nicht, wenn ich auch nervös bin. Aber heute haben alle wirklich eine ganz große Teamleistung gezeigt.“

„Sie sind also zufrieden? Auch mit Fynn?“

„Absolut, warum haben Sie Zweifel?“

„Er musste doch sein Einzel aufgeben. Warum eigentlich? Er wollte es mir nicht sagen und war sehr aggressiv, als ich ihn gefragt hatte.“

„Ja, er war sehr enttäuscht darüber. Allerdings wissen wir immer noch nicht so genau, was für eine Ursache das hatte. Er hatte akute Kreislaufprobleme. Das hatten wir schon einmal und unsere Ärzte sind dabei, dies ganz genau zu untersuchen. Leider haben wir noch keine Ursache dafür.“

„Davon hat er mir noch gar nichts erzählt. Ist das ein ernstes Problem? Kann er dadurch vielleicht nicht mehr spielen?“

„Wir gehen erst einmal davon aus, dass es nichts Gravierendes ist. Körperlich haben wir noch keine Auffälligkeiten gefunden. Ich habe eine Vermutung, allerdings muss ich das erst noch genauer abklären. Machen Sie sich keine Gedanken. Wenn es etwas Konkretes geben sollte, werden wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen, falls es Fynn nicht tun sollte.“

In diesem Moment kam die Rasselbande aus der Umkleide. Patrick alberte mit Tim und Carlo herum und Fynn, Dustin und Maxi strahlten um die Wette.

„So, Jungs. Genug rumgetobt. Geht bitte zum Bus. Wir wollen gleich abfahren. Und schaut bitte, dass ihr nichts vergessen habt.“

Jeder hatte seine Tasche über der Schulter und wir machten uns auch auf den Weg zum Bus. Auf dem Parkplatz herrschte schon eine ausgelassene Stimmung und als wir den Bus betraten, brach Jubel aus. Die Leute applaudierten und alle wollten eine Ansprache hören. Thorsten ließ sich dann das Mikrofon geben. Er wartete aber noch, bis die Jungs ihre Plätze eingenommen hatten und der Fahrer den Bus in Bewegung gesetzt hatte.

„Liebe Freunde, zuerst einmal möchte ich euch für diese unglaubliche Unterstützung danken. Das war ein tolles Erlebnis. Eigentlich kenne ich das nur von der Bundesligamannschaft. Ich glaube, unsere Jungs waren auch sehr beeindruckt.“

Jetzt schaute er zu Maxi und Fynn, die beide anerkennend nickten und den Daumen hoch hielten.

„Ich möchte mich im Namen des Vereines und der Mannschaft bedanken und vielleicht schaffen wir es ja auch, für Hamburg einen Bus zu chartern, sollten wir dort zum Schluss noch dabei sein.“

Jubel brauste auf und Thorsten musste seine Ansprache erneut kurz unterbrechen. Als wieder Ruhe eingekehrt war, fuhr er fort:

„Wir haben uns entschieden, direkt zurück zu fahren und in Halle noch ein wenig zu feiern. Wer also Lust und Zeit hat, ist herzlich eingeladen, mit uns den Sieg noch ein wenig zu feiern.“

Danach setzte er sich zu uns in die vorderen Reihen und Carlo und Tim waren immer noch nicht müde und alberten herum. Thorsten schickte sie mal nach hinten zu Patrick. Das gab uns vorn ein wenig Ruhe. Dustin, Fynn und Maxi dösten schon ein wenig. Sie waren sichtlich müde vom Match. Das niedliche daran war, dass Dustin seinen Kopf bei Fynn an die Schulter gelehnt hatte und beide schon fast eingeschlafen waren. Thorsten machte schnell ein paar Fotos von den beiden.

„So, Chris. Jetzt lass uns beide doch einmal über das Thema Verband und Listen sprechen. In der nächsten Woche ist die Verhandlung angesetzt. Ich habe gedacht, dass wir mit Christian dorthin fahren. Dustin und Fynn sollten wir nicht mitnehmen. Ich glaube, dass das für beide eine unnötige Belastung ist. Was denkst du?“

„Eigentlich sollten sie mitfahren. Ich finde, die Funktionäre sollten die Jungs sehen. Vielleicht möchten sie ja auch selbst etwas zu den Vorwürfen sagen und mal deutlich machen, was sie von gewissen Personen halten.“

„Kann ich verstehen, allerdings habe ich Zweifel, ob das bei dieser Verhandlung sinnvoll wäre. Es geht ja um den Vorwurf gegen uns als Turnierleitung und Verein. Das müssen sie sich nicht antun. Aber wenn sie darauf bestehen, können sie gern mitfahren. Kannst du das klären?“

„Sicher, ich finde nur, wir sollten darüber nachdenken, auch die Presse einmal zu dem Thema zu informieren. Ich erlebe immer mehr Toleranz gegenüber den beiden. Auch heute waren viele der Zuschauer sehr positiv gegenüber unserem schwulen Paar. Oder findest du nicht?“

„Doch, das ist mir auch aufgefallen. Aber die Presse sollte erst von uns informiert werden, wenn das Verfahren erfolgreich beendet ist.“

Wir einigten uns darauf und die weitere Rückfahrt verbrachten wir damit, unseren Fans Rede und Antwort zu stehen. Für die Jungs hatte das den Vorteil, sie konnten sich etwas ausruhen.

Die Fahrt verlief ohne Zwischenfälle und mit lautem Hupen traf der Bus wieder in Halle auf dem Parkplatz ein.

Die anschließende Feier wurde ein großes Ereignis und unsere Truppe ausgiebig gelobt. Nach dem gemeinsamen Essen wurde doch noch das ein oder andere Getränk konsumiert. Ich blieb natürlich nüchtern, weil ich fahren musste. Leider hatte Maxi wohl noch nicht das passende Maß gefunden und war nach einigen Drinks ziemlich angeschlagen. Fynn und Dustin hatten sich sehr zurückgehalten und ich glaube sogar, dass sie gar keinen Alkohol getrunken hatten. Maxi musste sogar von seinem Vater in die WG gebracht werden. Er nahm gleichzeitig auch Dustin und Fynn mit. Damit war dieser sehr erfolgreiche Tag zu Ende gegangen. Maxi würde sicher morgen ein wenig zu leiden haben. Aber das musste auch mal sein dürfen. Umso erfreulicher fand ich das vorbildliche Verhalten der anderen Jungs. Tim musste ich zwar einmal einen Cocktail wegnehmen, aber das war alles im Rahmen geblieben. Darüber wollte ich kein großes Wort verlieren.

Fynn: Ein toller Tag geht zu Ende

Oh man, was für eine Siegesfeier. Die Stimmung war toll und auch Mama war begeistert. Sie hatte sich viel mit Maxis Vater unterhalten und Patrick hatte seinen Spaß mit Tim und Carlo. Leider hatte Maxi zu viele der leckeren Cocktails gehabt. Entsprechend war jetzt sein Zustand. Bevor Maxis Vater uns nach Hause brachte, verabschiedeten ich mich von meiner Mutter und meinem Bruder.

„Wir müssen uns jetzt verabschieden. Passt gut auf Maxi auf. Er hat wohl etwas zu viel getrunken.“ Dabei schmunzelte meine Mama und Patrick grinste. Ich fand das zwar etwas unpassend, aber nun gut.

„Klar, und noch mal vielen Dank, dass ihr mitgekommen seid. Das hat mich wirklich sehr gefreut.“

Ich umarmte meine Mutter und auch Patrick nahm mich in den Arm. Das kam nicht mehr so häufig vor. Patrick ging schon zum Auto, während Mama noch einen Augenblick bei mir stehen blieb.

„Ich möchte, dass du dich beim Arzt gründlich untersuchen lässt. Ich will wissen, warum du mit dem Kreislauf Probleme bekommen hast. Das macht mir große Sorgen.“

Ich wurde nachdenklich, denn mir machte das genauso Sorgen. Ich hatte keine Ahnung, was die Ursache sein könnte.

„Mama, ich war deswegen schon zweimal beim Arzt. Ich bin gesund. Wir müssen schauen, ob es vielleicht doch eine Ursache hat.“

Meine Mama wurde jetzt sehr bestimmt und ich war froh, dass Chris zu uns kam.

„Es wird eine Ursache geben, mein Sohn. Ich will, dass du das ernst nimmst. Hast du das verstanden?“

„Ja, Mama. Das ist ja nicht schwer zu begreifen.“

„Frau Grehl, seien Sie sicher, wir werden uns das sehr genau ansehen. Wir haben ein genauso großes Interesse daran wie Sie. Ich werde dafür sorgen, dass Fynn weiterhin beobachtet wird. Sollte es einen Grund geben, werden wir ihn finden. Das verspreche ich Ihnen. Allerdings sollten wir jetzt die Jungs nach Hause entlassen. Maxi muss dringend ins Bett.“

Jetzt mussten wir alle lachen und ich verabschiedete mich von meiner Mutter mit einer herzlichen Umarmung. Dann ging es zu Friehes Auto. Dustin saß bereits hinten und ich stieg zu ihm ein. Maxi wurde von Chris vorne angeschnallt und dann fuhren wir los. Vorher bat uns Chris aber noch:

„Jungs, passt auf Maxi bitte auf. Und morgen ist Erholung angesagt. Erst am Montag ist wieder Training. Also macht euch noch einen schönen Abend. Zumindest ihr beide.“

Er schloss die Tür mit einem Grinsen und Dustin begann sofort damit, denn er gab mir einen Kuss.

„Heute werde ich nicht mehr alt“, flüsterte ich meinem Freund ins Ohr.

Er schmiegte sich an mich und Maxi war schon nach den ersten Metern eingeschlafen. An der WG angekommen, hob ihn sein Vater aus dem Auto und wir schlossen ihm die Türen auf. Er legte Maxi ins Bett, zog seinem Sohn noch die Sachen aus und stellte ihm für alle Fälle einen Eimer an sein Bett. Dann bat er uns noch:

„Wenn etwas sein sollte, ruft mich bitte an. Dann komme ich vorbei und schau nach dem Rechten. Aber ich denke, morgen wird er wieder fit sein.“

„Klar, machen wir. Vielen Dank fürs Mitnehmen und einen schönen Abend noch.“

Dann verließ er unsere WG und fuhr nach Hause.

„Komm Schatz, jetzt machen wir uns noch einen ruhigen Abend, legen die Beine hoch und …“

Weiter kam ich nicht, weil Dustin mich in unser Appartement gezogen hatte und wir auf dem Sofa gelandet waren. Er kuschelte sich ganz eng an mich. Natürlich sprachen wir noch über den Tag. Wir waren uns einig, dass es ein tolles Erlebnis war und wir froh waren, Teil dieses Teams zu sein.

„Ich möchte gar nicht wissen was passiert, sollten wir aus Hamburg als Meister zurückkommen.“

„Stimmt“, antwortete ich spontan, „aber Maxi sollten wir dann den Alkohol verbieten. Wenn er jetzt schon so abstürzt, dann wird das bestimmt noch schlimmer.“

Dustin musste lachen, aber wir beide hatten auch ganz schlechte Erinnerungen an Alkohol. Entsprechend ablehnend stand ich dem Zeug gegenüber.

„Ich verstehe sowieso nicht, wie man dem so viel abgewinnen kann. Ich brauche das Zeug eigentlich nicht. Papa hat mir ja vorgemacht, was passieren kann.“

Dustin schwieg jetzt und verließ kurz unser Wohnzimmer. Als er zurück kam, brachte er ein Tablett mit. Dort stand eine Kanne Tee und zwei Tassen drauf. Allerdings noch mit zwei Stücken Kuchen. Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab und goss mir von dem Tee ein. Dann setzte er sich neben mich und es wurde sehr gemütlich. Sogar an leise Musik hatte er gedacht. Er verwöhnte mich mit vielen Kleinigkeiten und es machte mir sehr viel Spaß, diese Gelegenheit zu genießen.

Allerdings hatte ich keine Ahnung, was wohl der Grund dafür sein könnte, mich so zu verwöhnen. Fragen wollte ich aber auch nicht. Es war einfach zu schön, um es jetzt mit einer entsprechenden Frage zu beenden. Irgendwann gab er mir einen zärtlichen Kuss und fragte mich:

„Wollen wir nicht langsam mal ins Bett gehen? Ich möchte mich etwas ausruhen.“

Das Leuchten in seinen Augen verriet mir allerdings etwas anderes. So ein Schelm, dachte ich. Allerdings hatte ich auch Lust bekommen und ließ mich nicht lange bitten. Zuvor schauten wir aber noch einmal bei Maxi vorbei. Er schlief tief und fest und wir konnten uns beruhigt zurückziehen.

Als wir unser Schlafzimmer betraten, traf mich fast der Schlag. Überall standen Duftstäbchen und sogar ein paar Kerzen brannten. Vollkommen sprachlos ließ ich mich von meinem Freund ausziehen. Wann hatte er das denn alles gemacht? Wir waren doch den ganzen Tag gemeinsam unterwegs.

Dustin bemerkte mein Erstaunen und lächelte nur. Immer wieder massierte er meine müden Beine und seine Hände wanderten immer weiter nach oben. Es war wunderschön. Plötzlich legte er seine Hand um meine mittlerweile steinharte Männlichkeit. Ich zuckte zusammen. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass er so zielstrebig sein würde.

Seine Latte zeigte allerdings, dass seine Erregung kein bisschen geringer war, als bei mir. Ich ließ mich treiben und erst als er ganz leise sagte:

„Ich möchte, dass du mit mir schläfst.“

Sofort wurde ich mir bewusst, dass heute ein ganz besonderer Tag war. Aber ich war emotional nicht mehr in der Lage zu sprechen, sondern nickte nur. Er lächelte mich an und holte alles dafür aus seinem Nachttisch. Er war perfekt vorbereitet. Wieso, war mir jetzt egal geworden. Ich wollte ihn genauso glücklich machen und sehen, wie ich es in diesem Moment gerade war. Und so wurde es ein total intensives erstes Mal. Ich war vollkommen erschöpft danach, aber wunschlos glücklich. Dustin löschte die Kerzen und dann kuschelten wir uns, ohne noch Worte zu verlieren, aneinander und schliefen schnell ein.

Als ich meine Augen aufschlug, sah in das lachende Gesicht meines Freundes. Er war anscheinend bereits bester Laune und fit wie ein Turnschuh. Im Gegensatz zu mir. Bei jeder Bewegung spürte ich meine Muskeln. Wie konnte das nur sein, dass Dustin keine Probleme vom gestrigen Tag verspürte, während ich wie ein alter Mann aus dem Bett stieg.

Er realisierte meine Schwierigkeiten sofort und ließ mich deshalb in Ruhe ins Bad gehen. Eine heiße Dusche sollte meine Lebensgeister zurückbringen. Das gelang auch zufriedenstellend. Allerdings gingen mir doch ein paar Gedanken durch den Kopf, die mich verwirrten. War das wirklich passiert gestern Abend? Und war es richtig gewesen? Eines war mir vollkommen klar, es war wunderschön gewesen und ich wusste nun, dass ich mit Dustin einen ganz besonderen Freund hatte. Sollte ich mit ihm darüber sprechen? Oder besser nicht?

Ich öffnete die Badezimmertür und schaute in unser Schlafzimmer. Dustin hatte es bereits aufgeräumt und war nicht mehr anwesend. So beeilte ich mich mit dem Anziehen. Als ich das Wohnzimmer betrat, traute ich meinen Augen nicht. Dort hatte Dustin gesessen und sprang jetzt förmlich auf und bat mich, mich zu setzen.

„Hallo Schatz, wie geht es dir heute Morgen? Ich habe für uns ein bisschen Frühstück gemacht.“

Ein bisschen Frühstück? Hatte er Pillen genommen? Was dort zu sehen war, war gigantisch. Ich musste wohl sehr komisch ausgesehen haben, denn Dustin fing an zu lachen, nahm meine Hand und drückte mich auf die Couch. Er schenkte uns heißen Kakao ein, und verwöhnte mich nach Strich und Faden. Ich vergaß meinen Muskelkater und wir ließen es uns richtig gut gehen.

Wie er mir erst später erklärte, hatte er Martina um Hilfe bei den ganzen Vorbereitungen gebeten. Das erstaunte mich doch und bei dem Gedanken an den gestrigen Abend bekam ich ein komisches Gefühl.

„Sag mal, hat sie auch den gestrigen Abend vorbereitet? Wir waren doch den ganzen Tag unterwegs. Wie hast du das sonst hinbekommen?“

Dustin lächelte und da wusste ich, sie hatte ihre Finger da im Spiel.

„Hast du ihr alles erzählt? Also, auch, dass du …“

Jetzt fing er an zu lachen. Richtig laut und bekam sich gar nicht mehr ein.

„Nein, nein, ich habe ihr natürlich nicht gesagt, dass ich mit dir endlich schlafen möchte. Nur, dass ich mit dir einen stimmungsvollen Abend verbringen möchte.“

Puh, das beruhigte mich sehr. Es wäre mir höchst unangenehm gewesen. Erst jetzt konnte ich mich vollständig entspannen. Entsprechend spät kamen wir aus unserem Appartement. Wir räumten alles in der Küche auf und stellten die benutzten Sachen in die Spülmaschine. Von oben konnten wir Musik hören. Also waren Carlo und Tim vermutlich auch schon wach. Von Maxi hatten wir noch nichts gesehen, obwohl es bereits halb zwölf war. Er hatte wohl doch mehr Probleme mit dem Verarbeiten des Alkohols.

„Sag mal, hast du überhaupt keinen Muskelkater? Mir tut jede Bewegung weh.“

Dustin schüttelte seinen Kopf und grinsend antwortete er: „Du bist ja schon älter. Vielleicht liegt es daran.“

„Sehr witzig. Irgendwie ist das doch nicht normal. Ich muss das mal mit Chris und Christian besprechen. Vielleicht ist ja doch etwas mit mir nicht in Ordnung.“

Dustin zuckte zusammen, als ich das sagte. Er spürte, dass es mir zu schaffen machte, sagte aber nichts dazu. Er schlug lediglich einen Spaziergang vor. Das würde meine müden Knochen wieder geschmeidig machen. Meinte er zumindest.

Allgemein hatte der Sonntag für mich einen erholsamen Zweck. Alles, was wir taten war, unsere Zweisamkeit zu pflegen. Kein Gedanke an Training oder Tennis. Das tat mir unheimlich gut. Chris hatte es ja auch so gefordert. Also hatte ich nicht mal ein schlechtes Gewissen.

Am Nachtmittag, wir waren gerade draußen unterwegs, klingelte mein Handy. Ich sah auf das Display. Mein Vater!

Ich zeigte Dustin das Display und er nickte.

„Ja?“

„Hallo Fynn, ich habe von deiner Mama gehört, dass ihr gestern gewonnen habt und möchte dir auch ganz herzlich gratulieren. Ihr habt wohl eine tolle Leistung gezeigt, hat sie mir berichtet.“

Dieses Gespräch entwickelte sich sehr harmonisch und als wir uns verabschiedet hatten, musste ich zugeben, dass ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr so ein Gespräch mit meinem Vater geführt hatte. Es war nichts außergewöhnliches, aber es drehte sich um mich und nicht um ihn. Das machte mich nachdenklich.

Chris: Neue Erkenntnisse

Meine Trainingsarbeit zeigte deutliche Fortschritte bei den Jungs. Insbesondere Dustin hatte in den beiden Wochen nach dem Mannschaftssieg in Kaunitz deutlich an Selbstbewusstsein zugelegt. Er trainierte sehr fleißig und es kam auch immer wieder zu sehr positiven Gesprächen. Für Dustin schien der Wechsel in der Trainingsarbeit sehr positiv zu sein.

Maxi hatte seinen Alkoholabsturz gut überstanden und danach wieder normal den Trainingsbetrieb aufgenommen. Daher sah ich keinen Grund, dass noch einmal zum Thema zu machen. Tim und Carlo hatten begonnen, ihr Spiel umzustellen. Thomas bemühte sich, ihnen mehr Aggressivität zu geben. Also offensiver zu spielen.

Mein Sorgenkind war Fynn. Er hatte immer wieder leichte Kreislaufprobleme und selbst eine Langzeitüberwachung brachte keine exakte Diagnose. Es blieb rätselhaft. Ich hatte von Beginn an die Vermutung, dass es sich dabei um eine psychosomatische Erscheinung handeln würde. Seit er in der Klinik bei seinem Vater war, trat das Problem weniger stark auf. Ich vermutete aber für die kommende Woche wieder auftretende Probleme. Die Verhandlung beim Verband stand bevor und der Verband bestand darauf, dass Fynn und Dustin vor dem Ausschuss aussagen mussten. Das wollten wir eigentlich um jeden Preis verhindern.

Heute war Dienstag und ich war auf dem Weg nach Halle. Die Panigale musste unbedingt gereinigt werden, und da ich ja die Wette gegen Maxi gewonnen hatte, musste er mal wieder Hand anlegen. Da war ich auch unerbittlich. Wettschulden waren Ehrenschulden und er musste die auch ableisten. Das hatte immer zur Erheiterung beigetragen, denn die anderen nutzten das für ihre Schadenfreude. Maxi ertrug das aber sehr gelassen und gab sich auch Mühe, meine Maschine zu reinigen.

Außerdem hatte er jetzt mit dem Führerschein begonnen. Er war der älteste der Jungs und ich war der Meinung, dass würde Fynn auch gut tun. Da würden die Finanzen aber eine Rolle spielen. Seine Mutter hatte Zustimmung signalisiert und wollte das auch mit dem Vater besprechen, der weiterhin in der Therapie war, sich aber regelmäßig bei seinem ältesten Sohn meldete. Diese wieder auflebenden Kontakte taten Fynn sichtbar gut.

Ich rollte nahezu mit Leerlaufdrehzahl auf den Parkplatz. Dennoch dauerte es keine Minute bis Tim und Carlo schon an der Maschine standen. Sie hatten einen Narren an dem Gerät gefressen. Ich hatte Tim auch schon einmal auf ihr Platz nehmen lassen.

„Hi Chris, hast du wieder Arbeit für Maxi mitgebracht?“

Tim lachte mich an und ging um die Maschine. Carlo folgte ihm wie ein Schatten.

„Ja, du siehst ja, wie sie aussieht. Da muss Maxi mal etwas Liebe reinstecken, damit sie wieder vorzeigbar wird.“

Carlo verstand das nicht so wirklich, denn sie war keineswegs dreckig oder eingesaut. Aber für mich musste sie sauber sein und da störte mich schon der Staub. Tim lachte sich scheckig und in diesem Moment kam Maxi mit Dustin und Fynn angefahren. Sie hielten kurz bei uns an.

„Hi Chris“, begrüßte mich Fynn, „hast du wieder Arbeit für Maxi dabei?“

Ich machte eine Handbewegung auf das Bike und erwiderte:

„Schau dir das Elend doch mal an. Maxi muss dringend Hand anlegen.“

Ich hatte das natürlich mit ihm zuvor abgesprochen, denn es sollte ja auch Spaß machen. Dafür brachte ich das Bike dann zu ihnen in die WG und konnte in der Zeit immer mit den Jungs auch über andere Dinge sprechen. Heute hatte ich mich sogar zum Abendessen angemeldet. Martina hatte mich gebeten, etwas mehr Zeit mitzubringen.

Maxi rollte mit den Augen und spielte das Spiel mit.

„So, wenn ihr nicht noch zusätzlich Konditionstraining machen wollt, dann seht zu, dass ihr fertig werdet.“

Damit löste ich die Versammlung auf dem Parkplatz auf und ging mit den Jungs in die Umkleide. Ich musste meine Motorradsachen gegen Tennisbekleidung tauschen. Dafür hatten alle Trainer auch einen eigenen Schrank. So konnte ich immer Sachen tauschen ohne alles mitnehmen zu müssen. Gerade die Schläger wären problematisch auf dem Motorrad.

Die Jungs schickte ich zum Aufwärmen und ich machte einen Umweg über das Büro. Thorsten saß wie immer hinter dem PC und organisierte wieder etwas.

„Hi Chris, komm rein. Ich hab hier was für dich.“

„Hallo Thorsten, etwa einen großen Scheck?“

Thorsten schaute irritiert hinter dem Monitor hervor und erst als er mein Grinsen sah, fing er an zu lachen.

„Scherzkeks“

„Ok, was hast du für mich?“

Er gab mir einen Umschlag. Nachdem ich die Papiere entnommen hatte, konnte ich lesen, um was es sich handelte. Es war die Stellungnahme zu den Vorgängen im Turnier gegen Listen. Ich konnte alles so bestätigen und er wollte diese Aussage noch für die Anhörung ergänzen.

„Mal ehrlich, denkst du, dass wir etwas verändern werden im Verband?“

„Nicht sofort, nein. Dafür ist der Verband viel zu verkalkt und senil. Ich will gar nicht behaupten, dass es dort Seilschaften gibt, die eher an die Mafia erinnern, aber so eingefahrene Muster sind schwer zu verändern. Es müsste eine jüngere Mannschaft übernehmen. Dann vielleicht. Also müssen wir die Holzköpfe abservieren und sie zwingen, sie durch Jüngere zu ersetzen. Das wird dauern, aber irgendwann muss damit begonnen werden. Bislang hatten die meisten ja Schiss davor. Listen hat die Vereine ja eingeschüchtert und ihnen alles vorgeschrieben.“

Ich konnte seine Entschlossenheit spüren. Mir gefiel das und ich war genauso entschlossen, den Leuten beim Verband mal die Augen zu öffnen.

„Wann müssen wir eigentlich am Freitag los? Kann ich das Training noch machen oder wird das zu knapp?“

„Nein, wir müssen schon um halb eins losfahren. Du solltest also das Training anders organisieren. Wobei wir noch klären sollten, ob wir die Jungs mitnehmen oder nicht.“

„Ja, ich weiß. Ich würde sie gern hier lassen. Aber von Fynn und Maxi weiß ich, dass sie auf jeden Fall mitkommen möchten. Sie möchten selbst aussagen. Dustin war sich noch nicht sicher. Was denkst du denn dazu?“

„Ganz ehrlich, wenn sie mit möchten, nehmen wir sie mit. Es betrifft sie persönlich und da sollten sie auch die Gelegenheit haben, ihre Sichtweise zu schildern.“

„Ok, dann machen wir das auch so. Kann ich mit leben. Vielleicht hast du auch recht. Ich werde sie gleich fragen und dann sage ich dir anschließend Bescheid.“

Thorsten nickte und ich verließ das Büro in Richtung Trainingsplatz.

Meine Truppe spielte bereits im T-Feld und Maxi spielte gegen Dustin und Fynn. Ich entschloss mich, auf Maxis Seite mitzuspielen. Im T-Feld konnte ich ohne Probleme mit den Jungs mithalten. Natürlich war das für Dustin und Fynn wieder eine Gelegenheit, einen Wettkampf zu fordern. Maxi war wie immer sofort dabei. Da wollte ich auch nicht der Spielverderber sein.

Einige Minuten später hatten Maxi und ich verloren und mussten nach dem Training den Platz abziehen. Damit hatte ich keine Probleme. Wir hatten verloren und damit gehörte das für mich dazu. Ich scheuchte die Jungs nun an die Grundlinie und die nächsten neunzig Minuten wurden sehr anstrengend für meine Gruppe.

Nach dem Techniktraining sollte es noch ein Match geben. Ich erklärte kurz die Regeln. Nach jedem Aufschlagspiel wurde der Verlierer ausgewechselt. Wer zuerst zehn Spiele gewonnen hatte, war der Sieger. Parallel dazu hatte ich die Kamera aufgebaut, um Bewegungsstudien machen zu können. Wir hatten sogar eine Highspeedkamera für Zeitlupenaufnahmen.

Heute war Fynn nicht zu schlagen und selbst Maxi musste das anerkennen.

„Wow, Fynn. Wenn du immer so gut spielst, habe ich es in Zukunft schwer, noch weiter zu gewinnen. Cool.“

Dustin freute sich über das Lob und gab seinem Freund einen Kuss zur Belohnung. Fynn grinste dabei und erklärte:

„Naja, wenn man immer so eine schöne Belohnung bekommt, ist die Motivation umso größer.“

Maxi überlegte einen Augenblick und machte dann einen kleinen Fehler. Er unterschätzte das mittlerweile gewachsene Selbstvertrauen von Dustin. Maxi sagte:

„Naja, wenn ich gewinne, bekomme ich ja keinen Kuss. Das ist unlauterer Wettbewerb.“

Dustin nahm das als Steilvorlage.

„Wenn du darauf bestehst, bekommst du natürlich auch einen Siegerkuss. Aber hier und sofort.“

Maxi willigte ein und damit wurde noch eine Runde fällig. Ich wollte keine Spaßbremse sein und ließ sie machen. Natürlich gewann jetzt Maxi und Dustin gab ihm den Siegerkuss. Mit einem knallroten Gesicht zog Maxi den Platz anschließend ab. Wir hatten unseren Spaß und lachten uns über dieses Bild halb tot.

„Du hast es doch so gewollt. Hast du ernsthaft geglaubt, Dustin und Fynn würden sich das entgehen lassen?“

Maxi zeigte uns den Mittelfinger, allerdings mit einem Grinsen im Gesicht. Er nahm es mit Humor und genau das war unsere Stärke geworden. Der Zusammenhalt in der Gruppe. Wir waren ein gutes Team geworden, in dem jeder dem anderen half.

Eine Stunde später stand ich vor der WG und nahm meinen Helm ab. Maxi wartete schon auf mich, um die Panigale zu reinigen. Er stand mit einem Eimer klarem Wasser und weichem Schwamm bereit. Ich ließ den Schlüssel stecken und erklärte ihm, was er insbesondere zu tun hatte.

„Wenn du fertig bist, schließt du sie bitte ab und bringst mir den Schlüssel. Ok?“

„Geht klar. Bis gleich dann.“

Ich ging um das Haus in den Garten und wurde dort von Tim, Carlo und Martina empfangen. Dustin und Fynn waren noch bei den Schulaufgaben.

„Hi Chris, schön, dass du dir Zeit genommen hast. Willst du vor dem Essen noch Gespräche führen oder erst danach?“

„Ich würde gerne vor bzw. beim Kochen mit dir ein paar Dinge besprechen. Nach dem Essen dann mit den Jungs.“

„Ok, dann komm mit in die Küche. Wir können direkt loslegen.“

Sie hatte natürlich schon alles vorbereitet und wir brauchten nur noch ein paar Kleinigkeiten fertig zu machen. Allerdings mussten wir den Salat noch komplett anrichten. Beim Tomaten- und Paprikaschneiden fragte sie mich:

„Hast du eine Idee, warum die Jungs unbedingt nach Kamen mitfahren möchten? Ich habe Sorge, dass sich Fynn wieder sehr aufregen wird und das bekommt seiner Gesundheit überhaupt nicht.“

„Wie kommst du darauf? Ist er hier auch auffällig geworden?“

Sie berichtete mir von einer Situation vor einigen Tagen. Dustin kam später aus der Schule nach Hause als gewöhnlich und hatte auch nichts gesagt, dass er später kommen würde. Fynn war sofort in Sorge und regte sich sehr darüber auf. Als Dustin endlich da war, hatte er ihm Vorwürfe gemacht und sich regelrecht in Rage geredet und dabei traten erneut Kreislaufprobleme auf. Ich war sehr erstaunt, dass es so direkt auftrat.

„Ich habe es fast befürchtet. Seine Probleme sind mit großer Sicherheit keiner rein medizinischen Ursache zuzuordnen. Es wird eine andere Ursache haben. Auf deine Frage, ob er mitfahren sollte, kann ich nur antworten, es wäre besser nicht mitzufahren. Allerdings wird er Dustin niemals allein fahren lassen und für mich wird es schwer werden, beide zu überzeugen, dass sie besser hierbleiben sollten.“

„Du kannst es doch einfach entscheiden. Dann müssen sie sich damit abfinden.“

„Ich könnte, aber das will und werde ich nicht tun. Es geht um ihre Situation und sie sind alt genug, um das entscheiden zu können.“

„Auch auf die Gefahr hin, dass er einen erneuten Kollaps erleidet?“

„Ja. Sei dir sicher, ich werde mit den dreien das gleich ausführlich besprechen, aber ich finde es auch nicht verkehrt, wenn sie mitfahren würden. Abgesehen von Fynns Problemen.“

„Du riskierst dafür seine Gesundheit?“

Jetzt fühlte ich mich angegriffen und auch falsch verstanden.

„Nein, ganz sicher nicht. Es gibt für mich momentan keine Diagnose und wenn ich ihm auf Verdacht etwas untersagen würde, hätte das Folgen für sein Selbstbewusstsein. Wir müssen das stärken und nicht schwächen. Und dass du mir unterstellst, ich würde seine Gesundheit bewusst gefährden, finde ich absurd.“

Sie schwieg einen Moment. Ich hatte das Gefühl, sie hatte mir eine Information vorenthalten. Aber sie schien sich nicht sicher zu sein, ob sie mir das sagen durfte. Ich ließ das so stehen und wartete ab. Als sie das Salatdressing abschmeckte, holte sie tief Luft.

„Weißt du Chris, ich mache mir Sorgen. Ich weiß auch, dass du garantiert das Beste für die Jungs willst. Ich habe jedenfalls noch keinen Trainer hier erlebt, der sich so um seine Spieler kümmert wie du. Gut, du hast ja auch eine spezielle Ausbildung. Ich glaube, dass Fynn früher stärker misshandelt wurde, als er bislang erzählt hat. Dustin hat vor ein paar Tagen von den Albträumen erzählt, die Fynn seit Wochen plagen. Manchmal sei er richtig ängstlich einzuschlafen. Das ist doch nicht normal.“

Das war der Hinweis auf den ich so lange gewartet hatte. Und es ging genau in die Richtung, die ich vermutet hatte.

„Hat Dustin etwas zu den Albträumen gesagt. Also zu den Inhalten?“

Martina schüttelte den Kopf.

„Nein, ich glaube sogar, er war erschrocken darüber, dass ihm das so raus gerutscht war.“

„Ja, kann ich mir sogar vorstellen. Danke, dass du mir davon erzählst. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein. Wenn Fynn sich unter Druck gesetzt fühlt, kann das auch negativ werden.“

Wir sprachen noch weiter über die ein oder andere Situation, aber mir wurde immer deutlicher, dass er mehr erlebt hatte, als wir bislang wussten. Vor allem belastete ihn das alles viel stärker als vermutet. Nur wie kam ich an ihn heran. Bislang hatte er immer versucht, das zu kaschieren.

Wir hatten unsere Vorbereitungen beendet und Martina deckte bereits den Tisch. Ich sollte die Jungs holen. Ich klopfte bei Fynn und Dustin, betrat ihr Wohnzimmer und staunte. Fynn saß immer noch bei seinen Schulsachen, während Dustin sich mit dem Tablet vergnügte.

„Kommt ihr bitte zum Essen?“

„Hi Chris, sofort. Ich muss das gerade noch fertig schreiben. Fünf Minuten bitte.“

„Alles klar. Ihr kommt dann bitte.“

Ich wollte wieder gehen, aber Dustin meldete sich.

„Warte bitte. Ich habe da auch noch eine Frage zu einer Schulaufgabe. Für SoWi.“

Er zeigte mir einen Text. Dort ging es um eine Familie, die Probleme mit ihrem Sohn hatte. Die Schüler sollten einen Lösungsvorschlag schreiben und das begründen. Was ich von Dustin zu lesen bekam, war sehr interessant und ich bestätigte ihm seine Idee als möglichen Lösungsversuch. Das beruhigte ihn sofort und er lächelte zufrieden. Fynn war mittlerweile auch fertig geworden und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zum Essen. Dort gab mir Maxi meinen Schlüssel zurück und wir setzten uns an den Tisch.

„Man, ist das wieder lecker.“

Carlo grinste und leckte den Löffel sauber. Dustin lachte und auch Fynn stimmte nickend zu. Nur Tim machte nicht so den begeisterten Eindruck. Er moserte an dem Dressing für den Salat herum.

Martina reagierte sehr gut, indem sie vorschlug: „Wenn du möchtest, mach du doch das Dressing das nächste Mal.“

Tim verdrehte die Augen, aber stimmte dann zu. Ich nahm das zum Anlass, mich erneut einzuladen, denn es war immer sehr angenehm, mit der Truppe gemeinsam zu essen.

„Ich komme gern und mache den Schiedsrichter. - So, nach diesem Festessen müssen wir ein paar Dinge besprechen. Freitag geht es ja nach Kamen in die Höhle des Löwen.“

„Können wir nach oben gehen?“, fragte Carlo dazwischen.

Martina schickte die beiden nach oben und begann den Tisch abzuräumen. Wir halfen natürlich dabei und erst als die Küche fertig war, schlug ich vor, unten in das Büro zu gehen. Dort hatte ich einen Zugang zum Internet und konnte auf die Sachen von Thorsten zugreifen.

„So, jetzt setzt euch bitte. Wir müssen über die Anhörung am Freitag sprechen.“

Beide schauten mich neugierig, aber auch angespannt an.

„Die Anhörung ist am Freitag in Kamen. Wir fahren hier bereits um halb eins los, damit wir rechtzeitig in Kamen sind. Zuerst möchte ich klären, wer von euch mitfahren möchte.“

Eigentlich eine rhetorische Frage und entsprechend war die Reaktion.

„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir uns das entgehen lassen. Ich will Listen ins Gesicht sagen, wie unfair er ist und dass ich erwarte, dass das Konsequenzen für ihn hat.“

Fynn begann sofort sich aufzuregen. Dustin holte ihn aber wieder herunter und schnell beruhigte er sich wieder. Maxi grinste, als er sagte:

„Da ich das genauso sehe, aber Sorge habe, dass Fynn Listen dort eine runterhaut, fahre ich mit.“

Fynn streckte ihm die Zunge raus und damit war die Stimmung wieder locker. Ich nutzte das, um ihnen den Standpunkt des Teams und auch die Bedenken zu präsentieren. Sie hörten mir erstaunlich ruhig zu und ließen mich auch bis zu Ende ausreden. Erst danach meldete sich Fynn zu Wort.

„Dustin und ich fahren dennoch mit. Wir sind direkt beteiligt und betroffen. Ich will dem Kerl dort sagen, was ich von ihm halte und dass er in Zukunft einen Bogen um mich herum machen soll.“

Dustin war verdächtig still. Er schien noch zu überlegen, aber was er dann von sich gab, überraschte mich total.

„Ich würde sogar hierbleiben, wenn ihr das wirklich für besser haltet, aber ich habe ein persönliches Interesse, dort auszusagen. Es gibt nämlich ein paar Dinge, die noch gar nicht zur Sprache gekommen sind.“

Selbst Fynn war darauf nicht vorbereitet und schaute seinen Freund mit großen Augen an.

„Dann mal heraus damit. Du machst mich neugierig“, sagte ich.

„Das liegt schon etwas zurück. Das passierte, als ich noch beim Verband gespielt habe. Listen hat uns immer nur mit Drohungen und Druck beim Training motiviert. Angst war sein Mittel, die Spieler zur Leistung zu zwingen. Einmal hat er mich sogar mit einem Ball ganz bewusst abgeschossen, als ich nicht sofort das gemacht habe, was er gesagt hatte. Und ich war nicht der einzige, dem das widerfahren ist. Damals hatten wir alle Angst, dass wir nicht mehr spielen konnten. Deshalb hat keiner etwas gesagt. Die beim Verband hätten uns ja auch eh nicht geglaubt.“

Das hatte gesessen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das würde die Lage deutlich verändern. Hier lag ja möglicherweise auch der Tatbestand der Körperverletzung vor. Das musste geklärt werden.

„Puh, kannst du dich daran erinnern, wer da vielleicht noch Opfer gewesen ist? Ich würde gern diese Spieler auch dazu befragen. Denn damit haben wir hier ein ganz anderes Kaliber aufgemacht. Wenn wir das beweisen können, wird die Zeit beim Verband für ihn abgelaufen sein. Allerdings wäre das nur sinnvoll, wenn die verantwortlichen Funktionäre auch gehen müssten.“

Dustin schien sich gut vorbereitet zu haben, denn er nickte mir zu und erklärte:

„Ja, ich kann mich an zwei Situationen genau erinnern und wer daran beteiligt war. Ich schreibe dir das auf. Dann kannst du ja schauen, ob du sie ausfindig machen kannst. Ich weiß noch bei einem der beiden auch den Verein, für den er gespielt hatte.“

„Sehr gut. Bitte gib mir das bis morgen beim Training. Dann können wir das noch vorbereiten für Freitag. Also ich sehe schon, ihr seid entschlossen am Freitag mitfahren zu wollen. Ich habe aber an Fynn eine Bitte. Sobald du merkst, dass dich das sehr aufregt, sagst du Bescheid. Ich möchte nicht, dass du dort vielleicht im Krankenhaus landest, weil dein Kreislauf nicht mitmacht.“

„Was hat das denn damit zu tun? Ich spiele dort ja kein Turnier. Das wird schon nicht so anstrengend sein.“

„Schau mal Fynn, ich glaube mittlerweile, dass dein Problem mit dem Blutdruck keine körperliche Ursache hat. Lass uns darüber gleich noch einmal in Ruhe sprechen. Versprichst du mir bitte, dass du dich sofort meldest, wenn es Probleme gibt?“

Er nickte nachdenklich, aber Dustin unterstützte mich.

„Ich werde auf ihn aufpassen, aber du musst verstehen, dass wir jetzt die Chance haben, Listen endlich loszuwerden. Diese Möglichkeit möchten wir nicht verstreichen lassen.“

„Ich verstehe das, aber ob wir sofort eine Veränderung erreichen, wage ich zu bezweifeln. Das würde im Verband eine riesige Welle auslösen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Verband dazu bereit ist. Aber warten wir es ab.“

„Heißt das, Listen kann so weiter machen, wie er will, wenn der Verband das möchte?“

Maxi konnte das nicht glauben.

„Wenn es um die Handlungsweisen bei den Turnieren geht, kann der Verband theoretisch Listen den Rücken stärken. Kein Spieler wird ja gezwungen, beim Verband zu bleiben. Was den Vorwurf mit dem Verhalten beim Training betrifft, da wird es anders sein. Hier besteht der Verdacht einer Straftat. Allerdings müsste das mit einer Anzeige gegen Listen und den Verband verfolgt werden.“

„Warum machen wir das nicht? Oder muss das Dustin allein tun?“

„Nicht Dustin allein, aber nur die Personen, die es betroffen hat. Danach können wir natürlich Dustin unterstützen, sowohl rechtlich, als auch moralisch.“

Dieses Gespräch entwickelte sich noch sehr interessant und ich bekam noch einige Detailinformationen, die ich direkt an Thorsten per Email weitergab. Ich war sehr gespannt, was er mir am nächsten Tag dazu sagen würde. Zum Ende unserer Gesprächsrunde wurde klar, alle drei würden mitfahren und damit brauchten wir einen der Team Busse. Christian, unser Rechtsexperte sollte ja auch mitfahren. Damit waren wir sechs Personen.

Ich löste die Runde auf und Maxi verabschiedete sich in sein Zimmer. Wir würden am nächsten Tag beim Training erneut über den weiteren Verlauf reden.

Mit Fynn wollte ich noch einmal wegen seiner psychosomatischen Probleme sprechen. Und zwar erst einmal ohne Dustin. Allerdings war es auch schon recht spät geworden. Vielleicht wäre es sinnvoller, dieses Gespräch erst am nächsten Tag zu machen. So einigten wir uns auch darauf und lösten unsere Runde komplett auf. Ich verabschiedete mich noch von Martina und verließ die WG. Auf der Rückfahrt genoss ich die laue Abendluft und beschloss, noch eine Extraschleife zu fahren. Die Panigale machte einfach zu viel Spaß, um nur direkt nach Hause zu fahren.

Fynn: Anfrage von Papa

Der nächste Tag begann schon mal schlecht. Dustin und ich hatten verschlafen. Unser Wecker hatte den Geist aufgegeben und entsprechend spät wachten wir auf. Also fiel das Frühstück aus und die Fahrt zur Schule verlief entsprechend hektisch. Glücklicherweise hatten unsere Lehrer gute Laune und sahen über unsere Verspätung hinweg.

Nach der Schule musste ich mich beeilen, denn ich hatte eine Menge an Schulaufgaben zu machen. Dustin ging es ähnlich. Training war auch noch und da wollten wir auf jeden Fall pünktlich sein. Einmal zu spät am Tag sollte reichen.

Wir radelten also zügig nach Hause und wurden bereits von Martina erwartet. Das war einfach toll. Sie hatte immer gute Laune und den Laden richtig im Griff. Heute lag ein Brief an meinem Platz. Ich schaute auf den Absender und zum ersten Mal seit ganz langer Zeit hatte ich keine Angst, diesen Brief zu öffnen. Er war von meinem Vater. Ich hatte meinem Freund den Absender gezeigt und Dustin schaute mir aufmerksam beim Lesen zu. Als ich fertig war, faltete ich den Brief wieder zusammen.

„Und?“, fragte Dustin.

„Ja, alles gut. Er hat mir mal einen wirklich netten Brief geschrieben. Lass uns aber erst essen, das Essen wird kalt und das wäre echt schade. So wie das duftet.“

Martina lachte, erwiderte aber: „Komm, du hast nur Hunger und das Raubtier will gefüttert werden.“

Jetzt mussten wir aber lachen. Das Essen verlief weiterhin lustig. Als wir fertig waren, fragte mich Dustin: „Also, was steht in dem Brief?“

Ich gab ihm diesen zum lesen. Das verwunderte ihn, dass ich ihm so einfach diesen Brief gab. Er nahm ihn, und nachdem er fertig war, schaute er mich an und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Was ist?“

„Also ist das derselbe Vater, mit dem du so viele schlimme Dinge erlebt hast?“

„Ja, hab ich auch gedacht, aber ich freue mich auch darüber. Er fragt nach mir und nach meinem Befinden. Von sich erzählt er nicht viel. Nur, dass er sich viel besser fühlt. Dafür fragt er sogar nach dir. Und dass er zum Ende sogar fragt, ob er uns besuchen darf, das ist doch echt toll, oder?“

„Du glaubst, dass er das ehrlich meint?“

„Ja, er hat sich verändert. So etwas hätte er früher niemals geschrieben. Ich nehme ihm das ab. Wärst du einverstanden, wenn er uns besuchen würde?“

Dabei schaute ich auch zu Martina, die sich mit uns freute. Sie nickte, als ich die Frage an Dustin stellte. Das interpretierte ich als Zustimmung von ihr. Dustin zögerte noch einen Augenblick.

„Also wenn du das möchtest und diese Anfrage für ehrlich empfindest, dann würde ich das toll finden. Möchtest du denn überhaupt, dass ich dabei bin?“

„Hallo? Natürlich bist du dann dabei. Du bist mein Freund. Damit wird sich Papa abfinden müssen. Aber er hat doch nach dir gefragt, also denke ich mal, will er dich auch besuchen.“

Mein Freund lächelte und gab mir einen Kuss als Bestätigung. Martina hörte uns in Ruhe zu und bestätigte dann meinen Wunsch.

„Du solltest deinen Vater hierher einladen. Da bist du immer auf der sicheren Seite. Hier kann nichts schiefgehen, aber ich glaube, dass er das ehrlich meint. Also hoffentlich geht das weiter in die richtige Richtung. Ich freue mich für euch.“

„Danke, Martina. Kannst du uns heute ausnahmsweise erlauben, dass wir direkt an die Schulaufgaben gehen können. Wir schaffen das sonst nicht pünktlich zum Training.“

Sie fing sofort an zu lachen und sagte nur: „Also, wer so lieb fragt, dem werde ich diese Ausnahme nicht abschlagen. Los, macht euch vom Acker.“

„Danke und bis später.“

Schon waren wir mit unseren Taschen bei uns verschwunden und begannen sofort mit den Schularbeiten. Heute hatten wir beide so viel zu tun, dass nicht einmal Zeit für ein wenig Kuscheln blieb. Als wir unsere Sachen wegräumten, hatten wir nur noch zwanzig Minuten bis zum Trainingsbeginn. Also ganz eilig die Sporttaschen genommen und los ging es.

Wir fuhren sehr schnell mit den Rädern, dennoch wurde es knapp. Wir beeilten uns mit dem Umziehen und liefen zum Platz.

„Hi Chris, sind wir zu spät?“

Wir stellten unsere Taschen vor der Bank ab und begrüßten Chris.

„Nein, grad so pünktlich, aber ist halt doch manchmal etwas knapp mit der Schule.“

„Oh ja“, erwiderte Dustin, „heute ganz besonders. So viele Aufgaben hatte ich schon lange nicht mehr zu machen. Weißt du wo Maxi ist?“

„Ja, Maxi kommt heute nicht zum Training. Er ist mit seinen Eltern in eine Klinik gefahren. Dort soll seine Mutter behandelt werden. Ab Morgen ist er wieder dabei.“

„Ah, ok. Chris, ich habe mal eine Frage.“

„Schieß los, Fynn.“

„Könntest du dir vorstellen, dass mein Bruder hier auch mal ein richtiges Training machen könnte? Er hat Lust bekommen, ebenfalls mit Tennis anzufangen. Ich habe ihm aber gesagt, dass man vielleicht erst einmal schauen sollte, ob er überhaupt ausreichend Talent hat.“

„Klar, das geht bestimmt. Am besten sprichst du mal mit Burghard. Er koordiniert das Training. Er kann dazu sicher viel mehr sagen.“

„Gut, mache ich nach unserem Training. Also du findest das in Ordnung?“

„Natürlich. Wenn er Spaß am Tennis findet. Wir beide müssen nach dem Training noch etwas besprechen. Geh am besten noch vorher mal bei Burghard vorbei.“

„Ja, ich weiß. Könntest du Patrick denn trainieren. Er hat sich das gewünscht.“

„Das kann ich nicht versprechen. Sprich mit Burghard.“

Das hatte ich fast erwartet. Gut, ich wusste auch, dass Chris nicht einfach so etwas entscheiden kann. Da gab es klare Regeln. Also würde ich Burghard später fragen, ob Chris Patrick trainieren könnte. Wenn das nicht klappen würde, hatte ich es wenigstens versucht. Allerdings wollte ich Chris noch den Brief von meinem Papa zeigen. Er sollte mir seinen Eindruck dazu sagen. Bevor ich auf den Platz zum Warmmachen ging, holte ich den Brief aus der Tasche und gab ihn Chris.

„Oh, der ist von deinem Vater? Ich soll den lesen?“

„Ja, bitte. Ich möchte deine Meinung dazu hören. Kannst du den gleich lesen?“

Er nickte und während Dustin und ich auf den Platz gingen, holte Chris den Brief heraus. Ich konnte erkennen, wie er den Brief las und dabei immer wieder erstaunt oder erfreut schaute. Als er fertig war, faltete er den Brief wieder sorgfältig zusammen und schob ihn in den Umschlag zurück. Er sagte zwar direkt nichts dazu, aber als wir uns die erste Aufgabe auf dem Platz abholten, sagte Chris:

„Netter Brief. Gefällt mir. Reden wir nach dem Training auch drüber. Ok?“

Er lächelte dabei. Das gefiel mir. Mein Eindruck schien nicht zu täuschen. Mein Vater meinte es wohl tatsächlich ernst. Das tat mir sehr gut.

Die Trainingseinheit ging wie im Flug vorbei. Heute hatte es großen Spaß gemacht. Auch Dustin war sehr gelöst. Chris gab zum Abschluss noch ein letztes Kommando.

„So, alle Bälle einsammeln und den Platz abziehen. Genug für heute. Fynn, wir treffen uns nach dem Duschen im Clubhaus.“

Dustin gab ihm noch die Liste mit den Daten von den damaligen Spielern und dann ging es unter die Dusche.

Eine halbe Stunde später saß ich mit Chris allein im Besprechungsraum. Er wollte mit mir allein sprechen, ohne meinen Freund. Das fand ich merkwürdig, aber für Dustin war das kein Problem. Er wollte schon nach Hause fahren und dort noch ein paar Sachen erledigen.

Chris: Ein richtungsweisendes Gespräch

Ich hatte uns beiden eine kalte Fassbrause besorgt und damit saßen wir in der Sitzgruppe. Mein Plan war heute, Fynn auf den Zusammenhang einer psychischen Belastung und körperlichen Symptomen hinzuweisen und ihn dazu zu bringen, mir mehr aus seiner Kindheit zu erzählen.

„Also, bevor du dir unnötig Gedanken machst. Ich möchte mit dir über dich und deine momentane Situation sprechen. Viele Dinge entwickeln sich ja sehr positiv. Sogar dein Vater scheint zu spüren, dass du ihm als Sohn sehr wichtig bist. Den Brief habe ich als ehrlich empfunden. Seine Bitte, dich besuchen zu dürfen, halte ich für eine echte Bitte. Du kannst also auch ehrlich nein sagen, solltest du dich noch nicht bereit dazu fühlen.“

Er saß mir doch angespannt gegenüber und hatte seine Arme vor der Brust gekreuzt. Jetzt lehnte er sich etwas zurück und die Arme fielen neben ihm auf das Sofa.

„Du bist also auch der Meinung, ich sollte ihn einladen. Das würde ich auch machen, aber nur wenn ich Dustin dabei habe. Allein möchte ich das noch nicht.“

„Du musst gar nichts. Er hat dich gefragt, du kannst also bestimmen, ob oder wann und wie. Dass Dustin dabei ist, halte ich für selbstverständlich. Er ist dein Freund und Partner. Er gehört dazu. Außerdem hat dein Vater ja ausdrücklich nach Dustin gefragt. Martina ist auch noch da. Du bestimmst die Regeln.“

Er schloss für einen Augenblick seine Augen und nickte. Atmete tief ein und erwiderte:

„Gut, das habe ich verstanden. Ich werde mit Dustin darüber sprechen und dich informieren.“

„Das mach du mal und du musst mich nicht informieren, aber wenn du das möchtest, werde ich dich weiter beraten und begleiten.“

Jetzt lächelte er richtig.

„Danke, aber deswegen wolltest du doch nicht mit mir allein sprechen, oder?“

„Richtig. Es geht um deine Kreislaufprobleme und die dazugehörigen Begleiterscheinungen. Christoph hat mir erneut bestätigt, dass er keine medizinischen Ursachen finden kann. Also körperlich scheinst du gesund zu sein.“

Er kniff die Augen zusammen und ahnte, dass ich bereits eine Vermutung hatte.

„Aber?“

„Ja, es gibt ein 'Aber'. Ich glaube, dass es zwischen deinen Auffälligkeiten und Stress einen Zusammenhang gibt. Du hast die Probleme immer in einem Moment der Anstrengung bekommen. Sowohl körperlich als auch mental. Außerdem erlebst du zurzeit eine enorme Wandlung deiner gesamten Situation. Alles hat sich für dich verändert und du musst viele Dinge neu verarbeiten. Das verlangt dem Körper eine Menge Kraft ab.“

Er hörte mir aufmerksam, aber schweigend und fast regungslos zu.

„Du bist für mich eigentlich kein allzu großes Rätsel. Dein Körper zeigt dir gerade Grenzen auf. Er kann nicht mehr leisten, als es momentan der Fall ist. Du siehst oft nur die körperlichen Anstrengungen, aber das ist zu wenig.“

„Ok, das stimmt schon, dass ich Veränderungen erlebe. Aber bei Dustin hat sich doch auch vieles verändert. Warum hat er diese Probleme nicht?“

„Woher weißt du, dass er keine Probleme hat? Sein Körper reagiert momentan nicht so auffällig wie deiner. Außerdem zeigt es doch nur, dass du dich damit auseinandersetzt. Du arbeitest an der Situation, schaust genauer hin und erlebst viele Dinge bewusster. Auch deine Ängste sind dir präsent und du läufst nicht mehr weg oder verdrängst alles.“

„Also, wenn ich wieder alles wegschiebe, würde ich wieder normal funktionieren?“

„Nein, Fynn. Ganz sicher nicht. Du würdest irgendwann ganz schlimme Probleme bekommen. Du machst schon alles richtig und musst nicht an dir zweifeln. Es braucht Zeit, deine Baustellen abzuarbeiten. Dabei reagiert der Körper auch manchmal mit Symptomen, die auf eine Erkrankung hindeuten könnten. Manchmal ist es auch die Erinnerung an vergangene Erlebnisse und Ängste, die jetzt unkontrollierbar auftauchen. Leider ist es oft so, dass gerade bei den Jungs so etwas als Schwäche empfunden wird. Angst ist aber ein lebensnotwendiges Gefühl. Ohne Angst wären wir vermutlich schon ganz lange tot.“

Jetzt musste er sogar lachen. Ich hatte das ganz bewusst so übertrieben dargestellt. Ich wollte, dass er seine Ängste nicht weiter verschweigt. Vielleicht würde es ihm leichter fallen, darüber mit mir zu sprechen. Für einen Moment hatte er sich total entspannt und begann, das zu verarbeiten und dabei schien er auch zu begreifen, worauf ich hinaus wollte.

„Ich verstehe. Aber heißt das, Gedanken haben Einfluss auf den Körper? Der Körper reagiert auf Gedanken und wenn es viele schlechte Gedanken sind, kann man krank werden?“

„Genau. Das ist im Prinzip der Zusammenhang. Das muss nicht so sein, aber es kann so sein. Deshalb arbeite ich in meinem Beruf ja auch so viel mit Gesprächen. Ich versuche, den Kindern Mut zu machen, ihre Ängste und Erinnerungen zu erzählen. Leider ist das sehr schwierig und benötigt viel Zeit. Nur, man muss erst einmal den Anfang haben. Warum spürt man bei Angst bestimmte Reaktionen des Körpers? Kennst du das?“

Er überlegte einen Augenblick.

„Ja. Manchmal bekommt man Herzrasen, ohne dass man sich bewegt. Oder nasse Hände.“

„Sehr gut. Genau das meine ich. Gedanken und Wahrnehmungen haben Einfluss auf unseren Organismus.“

Jetzt musste er schlucken. Er hatte es begriffen, dass ich ihn im Prinzip durchschaut hatte.

„Also kann es auch sein, dass man nach Jahren plötzlich Erinnerungen bekommt, die man bislang nie als Bedrohung gesehen hat?“

Oha, jetzt wurde es interessant. Ich musste den richtigen Moment abpassen, dass er sich nicht zu viel zumuten würde.

„Ja, es kann schon sein, dass diese Art der Bewältigung erst Jahre später beginnt. Dafür aber umso stärker.“

„Auch wenn sich eigentlich nichts verändert hat? Einfach so?“

Ich überlegte, sollte ich bereits jetzt schon konkret danach fragen oder ihm noch mehr Raum lassen.

„Hast du eine konkrete Situation vor Augen oder wie kommst du zu dieser Frage?“

Seine Reaktion war mehr als eindeutig. Er wurde unruhig und fast panisch. Als ob er sich ertappt fühlte.

„Beruhige dich wieder. Du musst mir gar nichts erzählen, wenn du noch nicht bereit dazu bist. Hier bist du sicher. Niemand wird mitbekommen, was hier passiert. Ich werde dich beschützen.“

Er schloss für einen Augenblick die Augen und ein Zucken ging durch seinen Körper. Er hatte eine Entscheidung gefällt.

„Chris, ich wollte dir etwas erzählen, aber ich habe Angst. Angst vor den Folgen.“

„Es ist in Ordnung, dass du Angst hast. Vielleicht kann ich dir die Angst aber auch nehmen, wenn du mir sagst, vor welchen Folgen du Angst hast.“

„Also, naja, gestern hast du ja mitbekommen, dass Dustin Sachen erzählt hat, die schon Jahre zurückliegen. Jetzt kann das aber noch Folgen haben. Ich will eigentlich nicht, dass es noch Folgen hat, sollte ich dir davon erzählen, was ich erlebt habe. Ich möchte ...“

Seine Stimme wurde immer unsicherer und er verkrampfte immer mehr. Ich hatte Sorge, dass er vielleicht sogar kollabieren könnte. Ich setzte mich neben ihn und nahm in den Arm. Er beruhigte sich wieder etwas und ich ließ ihm Zeit zu überlegen, ob er weiter erzählen mochte oder nicht. Er sollte bestimmen, in welchen Tempo und was er berichten wollte.

Er schwieg, aber es arbeitete in ihm. Ich baute ihm eine Brücke.

„Du musst heute nicht weiter erzählen, wenn es zu heftig ist. Ich habe aber eine Vermutung, was deine Angst vor den Folgen betrifft. Darf ich die mal nennen?“

Äußerlich blieb er ruhig, aber ich konnte seine Verkrampfung spüren. Er atmete schwer und nicht gleichmäßig. Dann nickte er.

„Deine Erinnerungen betreffen deinen Vater. Wenn du jetzt davon erzählst, hast du Angst, die gerade begonnene Annäherung könnte nicht mehr weiter gehen. Es könnte sogar Folgen für deinen Vater haben.“

Weiter zu erzählen wäre sinnlos gewesen. Seine Reaktion war eindeutig. Er sprang auf und wollte hinauslaufen. Seine Erinnerungen waren zu stark. Ich musste kräftig zupacken, damit er sitzen blieb. Er wehrte sich zuerst, fiel aber dann zurück und ließ sich in meine Arme fallen.

Es dauerte einige Minuten bis er sich gefangen hatte. Ich brach an dieser Stelle das Gespräch ab. Es war genug. Ich wusste auch so, dass meine Vermutungen korrekt waren. Seine Symptome hatten nichts mit dem körperlichen Zustand zu tun.

„Fynn, für heute ist es genug. Lass dir Zeit. Ich möchte dir aber versprechen, alles, was du mir erzählst, wird nur dann Folgen für deinen Vater haben, wenn du das auch möchtest. Du bestimmst, was wir damit machen sollen. Aber rede mit uns darüber. Mit mir oder mit Martina. Wir werden dir zuhören.“

Er nickte und ein leises „Danke“ folgte.

Ich blieb weiter neben ihm sitzen und nachdem er sich gefangen hatte, fragte er mich:

„Ist es dann auch normal, dass ich erst jetzt davon träume? Es ist Jahre her und nie hat mich das verfolgt, aber jetzt träume ich fast jede Nacht davon. Das ist schlimm.“

„Ja, das ist absolut normal. Albträume kommen oft erst viel später und man kann dadurch den Zusammenhang nicht finden. Also, wenn du magst, schreib sie auf. Das hilft dir, sie loszuwerden. Du kannst sie ja nicht immer gleich jemandem erzählen. Aber dort gehen sie nicht verloren und du bist sie los.“

Das erzählte ich bewusst etwas leger und er fand das auch komisch und begann zu schmunzeln. Er erwiderte das sogar etwas spaßig:

„Coole Idee, aber ob das wohl hilft? Ich werde das probieren, aber darf ich dir davon auch erzählen?“

„Klar! Jederzeit. Komm auf mich zu und erzähle mir darüber. Willst du heute noch etwas erzählen oder ist es genug?“

Er war erschöpft und wir beschlossen gemeinsam, noch vor dem Freitag erneut zusammenzukommen, damit er mir von seinen Träumen erzählen konnte. Dann beendeten wir unser Gespräch. Ich überlegte, ob ich ihn so allein nach Hause fahren lassen konnte. Ich fragte ihn, ob ich ihn begleiten sollte, aber er fuhr lieber allein. Da er sich beruhigt hatte, ließ ich ihn fahren.

Bevor ich allerdings nach Hause fuhr, telefonierte ich noch mit Martina und gab ihr nur die Info, Fynn nicht weiter zu befragen. Sollte er erzählen, gut, aber wenn nicht, dann war es auch in Ordnung. Ich wusste jetzt, wo wir ansetzen mussten und das half mir enorm weiter.

Ich machte mir schnell noch einige Notizen und fuhr danach ebenfalls nach Hause. Jetzt war ich nur darauf gespannt, was Fynn wohl mit seinem Vater erlebt hatte, wobei ich nicht das Gefühl hatte, dass da ein Missbrauch gewesen war. Dazu passte Fynns Verhalten nicht. Ich vermutete eher Gewalt und Zwang.

Zu Hause machte ich mir einen heißen Tee und setzte mich sehr nachdenklich auf die Terrasse. Hoffentlich würden wir jetzt die Chance bekommen, allen in der Familie zu helfen.

Der Mittwoch verlief ruhig und normal. Die Jungs hatten normales Training und ich thematisierte Fynns Situation auch nicht. Am heutigen Donnerstag wollte er sich erneut mit mir hinsetzen und über das Erlebte sprechen. Ich hatte es ihm freigestellt, ob er Dustin hinzunehmen wollte oder nicht. Allerdings hatte er mir schon vor dem Training signalisiert, dass er heute noch ohne Dustin mit mir sprechen möchte.

Wir saßen nach dem Training erneut im Besprechungszimmer und diesmal hatte Fynn zwei Flaschen Fassbrause mitgebracht. Eine tolle Geste, wie ich fand.

„Hey, das ist ja nett, danke. Und Prost.“

„Ja, Prost Chris. Das hast du dir verdient. Bevor wir weitermachen, wollte ich dir auch mal sagen, dass wir sehr dankbar für deine Hilfe sind. Ohne dich wären wir nicht da, wo wir sind.“

Es freute mich wirklich, dass er meine Hilfe anerkannte.

„So, genug geschleimt. Lass uns anfangen.“

Er verstand den Spaß sofort und lachte. Anschließend setzten wir uns in die Sitzgruppe. Fynns Gemütslage veränderte sich deutlich. Er überlegte, wie er das Gespräch beginnen könnte und war sehr unsicher.

„Worüber denkst du gerade nach?“

„Ach, weißt du, ich habe in den letzten Tagen gemerkt, dass ich Dustin einiges von mir noch nicht erzählt habe und das stört mich. Ich weiß eigentlich auch nicht viel von seiner Vergangenheit. Wir sprechen immer nur vom Heute und dem, was noch kommen wird.“

„Ja, das ist sicher auch durchaus für eine gewisse Zeit in Ordnung. Wenn die Zeit dafür kommt, werdet ihr auch darüber reden. Du hast ja hier schon damit begonnen. Wenn du dir sicher bist, dann wirst du Dustin das ebenso mitteilen.“

„Also findest du das nicht schlimm, dass ich Dustin heute wieder nicht dabei haben wollte?“

„Nein, es ist in Ordnung. Du hast deine Gründe und das ist gut so. Wenn du ihn dabei haben möchtest, bringst du ihn mit.“

Er nickte nur und dann begann er einfach, mir von den Dingen zu erzählen, die sein Vater früher mit ihm gemacht hatte. Von der Zeit, wo sie eine glückliche Familie waren und viel Spaß gemeinsam hatten. Er berichtete chronologisch und irgendwann kippte die Stimmung. Sein Vater bekam einen besseren Job in der Firma und hatte weniger Zeit für ihn und Patrick. Wobei Fynn mir erzählte, dass er oft das Gefühl hatte, der kleine Bruder würde bevorzugt. Dadurch entstand auch eine Rivalität, die nicht immer gut war. Es kam immer häufiger zu Streit zwischen den beiden Jungs. Und dann kam der entscheidende Punkt. Fynn erzählte mir von den ersten Alkoholentgleisungen und dass sein Vater begann, ihn auch zu schlagen.

Fynn musste funktionieren, sonst gab es Stress. Das führte immer mehr dazu, dass sich Fynn zurückzog und sein eigenes Ding machte. Aber auch dazu, dass er anfing sich Schuldgefühle zu machen. Er sei verantwortlich dafür, dass sein Vater trank.

An dieser Stelle wurde es immer schwieriger für ihn, aus dieser Zeit zu berichten.

„Sollen wir mal eine Pause machen?“

Er nickte wortlos und schaute mit einem leeren Blick durch das Fenster.

„Komm, wir holen uns eine neue Fassbrause und dann schauen wir mal, wie es weitergeht.“

Ich zog ihn von der Couch hoch und wir verließen gemeinsam den Raum. An der Theke bestellte ich zwei Fassbrause und Burghard kam zu uns.

„Na, ihr beiden. Alles ok bei euch?“

„Ja, danke. Alles im Griff.“

Burghard fragte mich dann, ob ich mit Patrick ein Probetraining machen möchte oder ob mir das zu viel wäre.

„Ich finde es besser, wenn das Probetraining einer von euch machen würde. Dadurch bekommt er eine andere Meinung über sein Talent. Wenn es dann sinnvoll erscheint, dass ich sein Training machen soll, dann reden wir darüber. Aber er soll ja sicher in einer Gruppe trainieren, da wäre vielleicht einer von euch dann besser.“

So sollte es dann auch geschehen und Fynn und ich gingen wieder zurück in den Besprechungsraum.

„Hast du dich etwas erholt? Oder sollen wir für heute Schluss machen?“

„Nein, es geht schon. Ich möchte das endlich loswerden. Weißt du, manchmal habe ich abends Angst einzuschlafen. Ich denke dann an die Albträume und fürchte mich, dass Dustin davon etwas bemerkt. Er hat doch selbst schon so viel erlebt.“

„Ja, kann ich mir vorstellen, dass das nicht einfach ist. Allerdings solltest du dir klarmachen, Dustin hat es schon längst bemerkt und er weiß von deinen Träumen. Er traut sich nur nicht, mit dir zu reden.“

Er erschrak, denn er wollte seinem Freund keinen zusätzlichen Kummer bereiten.

„Scheiße, ich wollte das nicht. Was soll ich denn machen? Ich kann es doch nicht beeinflussen.“

„Ganz ruhig, Fynn. Wichtig ist jetzt, dass du aufhörst, es zu verheimlichen. Sei ehrlich zu deinem Freund und sprecht darüber. Er wird dich verstehen und dir Sicherheit geben. Deine Träume werden sich ändern, sobald du deine Situation verändert hast und wieder Ruhe eingekehrt ist. Das kann noch dauern, aber die Träume werden seltener werden. Glaub mir. Das, was du erlebst, haben schon ganz viele erlebt. Ich weiß wovon ich da spreche.“

„Aber du hast es doch bestimmt nicht selbst erlebt. Du kennst es von deiner Arbeit. Ich träume seit Wochen immer denselben Albtraum. Das macht mich fertig.“

Für mich war jetzt der Punkt gekommen, Dustin und auch mich selbst in diese Situation zu bringen.

„Ja, das zermürbt einen. Ich weiß das sehr genau. Aber je mehr du darüber erzählst und auch deinem Vater davon berichtest, desto mehr Druck geht von deiner Seele. Das hilft. Und falls du dich fragst, warum kommen die Träume erst jetzt und nicht schon damals, das ist normal. Du hast erst jetzt angefangen, dich mit der Situation zu beschäftigen. Vorher hast du nur verdrängt, um überleben zu können. Jetzt möchtest du wieder Spaß haben am Leben. Da gehört die Vergangenheitsbewältigung dazu.“

„Du redest darüber, als ob du auch so etwas erlebt hast, aber du hast doch immer nur anderen geholfen.“

„Warum bist du dir da so sicher? Ich bin auch nur ein Mensch wie du.“

Seine Augen weiteten sich und er lächelte plötzlich. Dann fixierte er mich ganz genau.

„Chris, ich möchte für heute Schluss machen, aber ich möchte dich um etwas bitten.“

„Ja, schieß los.“

„Können wir das nächste Gespräch bei uns in der WG machen und mit Dustin zusammen. Vielleicht hast du ja recht und es wird uns beiden helfen, darüber zu reden.“

„Natürlich können wir das machen. Ich schlage vor, wir machen Freitag gemeinsam einen neuen Termin aus. Ist das in Ordnung?“

„Hört sich vernünftig an und danke für deine Zeit.“

Er wollte sich schon verabschieden, als ihm noch etwas einfiel.

„Wenn mein Papa mich besucht. Würdest du bitte dabei sein? Ich möchte, dass du uns unterstützt. Dustin hat darum gebeten.“

„Also, zuerst einmal, er wird euch besuchen, also dich und Dustin. Dann wird er euretwegen kommen und wissen, dass ihr in der WG Regeln habt. Martina wird immer anwesend sein, wenn er kommt. Sollte sich bis dahin abzeichnen, dass es wirklich sinnvoll ist, dass ich auch dabei sein sollte, dann werde ich euch unterstützen.“

„Danke. Ich habe einfach immer noch Angst vor ihm.“

„Ja, das glaube ich dir. Aber Angst ist ein wichtiges Gefühl. Ich finde es übrigens ganz großartig, dass du heute klar sagst, du hast Angst.“

Er lächelte jetzt sogar, umarmte mich zum Abschied und ich gab ihm noch mit auf den Weg:

„Sprich mit Dustin über unsere Gespräche. Lass ihn teilhaben, dann kann er dich besser verstehen.“

„Ja, das habe ich heute begriffen. Danke dir.“

Fynn: Was ist Chris für ein Mensch?

Das war zwar wieder ein sehr anstrengender Tag, aber ich spürte einfach, dass diese Gespräche mich nach vorn brachten. Er konnte mir jedes Mal etwas Neues erklären und gab mir das Gefühl von Normalität. Das tat gut.

Auf dem Rückweg entspannte ich mich immer mehr. Ich freute mich auf einen Abend mit meinem Freund. Allerdings stellte ich mir auch die Frage, warum Chris uns derart intensiv half. Kein anderer Trainer hatte sich bisher so um mich gekümmert. Und ich wiederum hatte bislang nicht viel von ihm als Person erfahren.

Bei den anderen Trainern interessierte mich das eigentlich auch nicht. Zu ihnen hatte ich keine persönliche Beziehung aufgebaut. Das war bei Chris anders.

Ich betrat die WG und hatte großen Hunger. Dustin hatte schon auf mich gewartet.

„Hallo Schatz, ihr habt aber wieder lange gemacht. Ich habe auf dich mit dem Essen gewartet. Jetzt habe ich aber richtig Hunger.“

Dann bekam ich einen Begrüßungskuss und wir machten uns auf in die Küche. Die anderen hatten uns genug übrig gelassen, so dass wir nicht mehr viel in der Küche tun mussten. Wir saßen uns am Tisch gegenüber und Dustin erzählte mir, was abends in der WG passiert war. Als er fertig war, schaute er mich fragend an. Er hatte mich bisher nie nach den Inhalten gefragt, die ich mit Chris besprochen hatte. Leider hatte ich bislang auch nicht den Mut, ihm alles zu erzählen. Heute wollte ich das ändern. Chris hatte mich zu dieser Entscheidung gebracht. Dustin sollte ab jetzt teilhaben und vielleicht auch selbst davon profitieren.

„Kommst du mit in unsere Wohnung? Ich möchte dir etwas erzählen.“

Jetzt schaute er mich aus seinen leuchtenden Augen an und erwiderte: „Klar doch, aber du weißt, dass du mir nichts erzählen musst.“

Ich wusste, dass er das sagen würde.

„Ich will es aber endlich. Chris hat doch recht, wenn er sagt, du bist mein Partner und Freund. Es kann doch nicht sein, dass wir nicht über alles reden.“

Er lächelte und zog mich am Arm wortlos in unser kleines Reich. Zuvor hatte er noch einen Tee aufgesetzt, den er jetzt noch aus der Küche holte und auf einem Tablett brachte. Er stellte das Tablett auf unseren kleinen Couchtisch. Diesen kurzen Moment hatte ich genutzt, mich zu sammeln und begann, ihm von dem Verlauf unserer Gespräche zu berichten. Ich erzählte ihm alles, auch die Sorgen und Ängste, ihn damit unnötig zu belasten. Er hörte mir sehr aufmerksam zu, unterbrach mich nicht einmal und als ich fertig war, umarmte er mich einfach und sagte:

„Chris ist eine coole Socke. Er hat es wieder mal geschafft, uns zu helfen und es so aussehen zu lassen, als ob wir das gemacht hätten.“

„Hä? Wie meinst du das denn jetzt?“

Er begann zu lachen. „Du hast es wohl noch nicht bemerkt. Immer, wenn er wollte, dass wir etwas ändern oder tun, dann hat er mit uns geredet, uns etwas erklärt und überzeugt. Er hat bislang nie gesagt, ihr müsst das oder das tun. Wenn wir das dann getan haben, hat es immer so ausgesehen, dass wir es getan haben, weil wir es wollten. Und mir hat es unheimlich geholfen, wieder an mich zu glauben und zu denken, ich kann Dinge verändern.“

„Ja, und? Ist das denn nicht so?“

„Nein, nicht wirklich. Sei doch mal ehrlich. Hätten wir irgendetwas von dem erreicht ohne seine Hilfe und seine Ideen? Ich wäre jedenfalls nicht hier und nicht dein Freund und Partner. Und ich würde heute nicht hier wohnen und ohne Angst mit dir zusammen sein können. Und du wärst heute nicht der Fynn, der mir gegenüber sitzt. Oder siehst du das anders?“

Was sollte das jetzt? War das ein Vorwurf, dass wir eigentlich nichts allein getan hatten? Ich war verwirrt.

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Man, Fynn. Ich will damit sagen, dass wir unheimliches Glück haben, so einen Menschen wie Chris zu kennen und sogar als Freund zu haben. Das ist er nämlich für mich geworden, nicht nur unser Trainer. Wir sollten uns mal langsam bei ihm für seine Hilfe bedanken. Bislang haben wir immer nur genommen.“

Jetzt hatte ich es auch begriffen und fing an zu lachen.

„Warum lachst du?“, fragte mich Dustin etwas ärgerlich.

„Weil ich das toll finde, wie du das gesagt hast. Ich habe es noch nie so gesehen, aber jetzt spüre ich das. Du hast absolut recht. Wir haben zwar alles gemacht und uns verändert. Aber ohne seine Anleitungen wären wir da nie hingekommen. Weißt du, was ich mich eben auf dem Rückweg gefragt habe?“

Jetzt war er derjenige, der ratlos schaute und den Kopf schüttelte. Ich zögerte einen Augenblick, aber mit einem Lächeln fragte ich:

„Was wissen wir eigentlich von Chris? Was ist er für ein Mensch? Was hat er bislang erlebt? Manchmal denke ich, dass seine Ideen und Wissen nicht nur aus seinem Beruf kommen. Das ist oft so realistisch und aus dem Leben, dass ich glaube, er hat auch mehr erlebt, als wir denken. Warum haben wir ihn noch nie danach gefragt?“

Für einen Moment herrschte Stille in unserem Wohnzimmer, nur die Musik lief ganz leise im Hintergrund. Dustin schaute mich mit großen Augen an.

„Er ist unser Trainer. Wir können doch nicht einfach nach seinem Privatleben fragen. Das gibt bestimmt Stress.“

„Bei allen anderen Trainern stimmt das sicher. Aber da würde ich auch gar nicht fragen wollen. Bei Chris ist das anders. Er ist für mich viel mehr als ein Coach. Dustin, Chris ist unser Freund und ich glaube sogar, er würde uns viele Fragen beantworten, wenn wir fragen würden. Du fragst mich doch auch alles, was du wissen möchtest, weil wir Freunde sind. Auch wenn du mich jetzt noch nicht nach den Gesprächen befragt hast.“

Dabei mussten wir beide lachen. Die Stimmung löste sich schlagartig und Dustin umarmte mich fest und wir küssten uns.

Als wir uns wieder etwas gesammelt hatten, schien Dustin begriffen zu haben, was ich sagen wollte.

„Was schlägst du vor? Was hast du dir überlegt?“

„Wir sollten ihn einfach mal einladen. Ohne ein Problem von uns besprechen zu wollen. Einfach nur, um zu reden oder etwas Schönes gemeinsam zu machen.“

„Cool, ich weiß auch schon was.“

Jetzt war ich aber neugierig. Das hatte ich nicht erwartet, denn mir fiel dazu überhaupt nichts ein.

„Wir sollten mit ihm Tennis spielen. Er sagte doch einmal, dass er früher sogar ganz gut gewesen ist. Weißt du eigentlich, warum er nicht mehr gespielt hat? Das Doppel neulich sah sehr gut aus. Er kann also spielen. Ich glaube, dass es ihm viel Spaß gemacht hatte.“

„Das stimmt. Das Gefühl hatte ich auch. Wie stellst du dir das vor? Wir können doch nicht einfach beim Training fragen, ob er mit uns mal spielen möchte.“

„Beim Training nicht, aber er ist doch oft hier, oder wenn wir mal bei einem Turnier sind. Da könnten wir fragen. Ich würde gern mehr über den Menschen Chris erfahren. Ich habe von Thorsten einmal mitbekommen, wie er zu Thomas sagte, dass es schon erstaunlich ist, wie Chris das alles hinbekommt.“

Ich wurde nachdenklich. Auf was spielte mein Freund jetzt an. Gut, manchmal hatte ich ja auch schon gedacht, wo er dieses ganze Wissen her hatte und wieso er das so toll erklären konnte. Vielleicht hatte Dustin recht und es wäre wirklich an der Zeit, Chris auch einmal eine Freude zu machen. Als Freund und nicht als Trainer. Wir berieten noch etwas und waren uns einig, darüber auch mit Maxi zu sprechen. Er hatte auch viel von Chris profitiert und er war für uns ein Freund geworden. Also warum sollte er nicht daran beteiligt sein?

Unser Plan war, mit Maxi morgen nach der Verhandlung einen Plan auszuarbeiten. Hoffentlich würde die Verhandlung ein gutes Ergebnis bringen. Chris hatte ja immer gesagt, es würde für uns nichts zu verlieren geben. Wir hätten nichts zu befürchten. Dennoch war mir nie ganz wohl dabei. Allerdings wollte ich dem Arschloch Listen endlich gern den Garaus machen.

Als wir den Tee ausgetrunken hatten, machten wir uns auf, ins Bett zu gehen. Es war jedenfalls wieder spät geworden.

Chris: Kamen, ein Verband wird sich verändern müssen.

Heute stand also der Termin in Kamen an und Thorsten hatte mich gebeten, doch früher zu kommen. Er wollte, dass ich mit ihm und Christian die Strategie festlegen würde. Ich hatte heute keine anderen festen Termine in meinem anderen Beruf und somit ging das.

Das Wetter lud zu einer Runde mit der Panigale ein. Ich überlegte, was ich mitnehmen musste und ob das alles in den Rucksack gehen würde. Ich entschloss mich, dass Tablet mitzunehmen und nicht die ganzen Stapel mit Papieren. Also den Rucksack genommen und auf in den Kampf.

Während der Fahrt hatte ich für mich geklärt, dass Listen dieses Mal nicht ungeschoren davon kommen würde. Ich hatte die Aussagen zweier ehemaliger Spieler bekommen, die die Schilderung von Dustin bestätigten. Allein damit wäre er schon nicht mehr tragbar. Gut, die Funktionäre würden das sicher anders sehen, aber dieses Mal wollte ich nicht einfach klein beigeben. Meine Wut auf den Verband wurde von Woche zu Woche größer.

Ich war sehr flott unterwegs und fuhr mich richtiggehend in einen Rausch. Entsprechend dynamisch bog ich auf das Vereinsgelände. - Ein unangenehmer Nebeneffekt war dabei, dass ich nicht zu überhören war. Als ich ins Büro kam, wurde ich entsprechend empfangen. Thorsten und Christian grinsten mich an und Thorsten kommentierte:

„Für dein Spielzeug brauchst du eigentlich einen Waffenschein. Bist wohl schon in Angriffslaune.“

„Absolut richtig. Heute wird sich Listen den Karnickelfangschuss abholen. Die Flinte ist geladen und das Ziel abgesteckt.“

Die beiden kringelten sich vor Lachen. Mir war eigentlich nicht besonders lustig zumute, aber schmunzeln musste ich dennoch.

„Was lässt dich so sicher sein? Hast du noch mehr Informationen als wir?“, fragte Christian.

„Hast du die Mail nicht bekommen? Ich habe zwei Aussagen erhalten von ehemaligen Spielern des Verbandes. Sie bestätigen die Aussage von Dustin. Und das haben sie mir schriftlich per Mail geschickt.“

Christian schüttelte den Kopf und schaute zu Thorsten. Der wiederum grinste etwas verlegen.

„Sorry, das habe ich verpennt. Chris hatte sie mir geschickt und ich wollte sie an dich weiterleiten. Habe ich dann wohl doch nicht gemacht.“

Ich holte schnell mein Tablet hervor und ließ Christian die Mails lesen.

„Ok, das erklärt deine Angriffslust. Ich glaube, heute wird ein Festtag für das Tennis in Westfalen.“

„Jetzt fehlt im Anschluss nur noch eine angemessene Mitteilung in der Presse.“

„Verlass dich drauf. Das wird kommen, denn Frank wird uns begleiten und berichten.“

Oha, dachte ich. Frank Höfen war unser Pressereferent für die Bundesliga und gleichzeitig Chefredakteur in einer Tenniszeitschrift. Jetzt fehlten nur noch die Jungs. Wir hatten noch etwas Zeit und Thorsten erklärte uns die geplante Strategie.

„Also das eigentliche Thema ist ja eine Anhörung gegen uns. Man wirft uns ja unlauteren Wettbewerb vor. Wir hätten die Spieler des Verbandes, nach dem Verweis von Listen, disqualifiziert. Außerdem wird Dustin und Fynn verbandsschädigendes Verhalten vorgeworfen. Wir werden das sehr schnell entkräften können und dann werde ich dem Ausschussvorsitzenden unsere Vorwürfe gegen Listen auf den Tisch legen. Damit dürfte die Verhandlung gegen uns wohl beendet sein. Allerdings wird es dann sicher einen neuen Termin für diese Vorwürfe geben.“

„Können die Jungs heute eigentlich auch ihren Standpunkt darlegen?“, fragte ich Christian.

„Auf jeden Fall. Sie sollen den Vorgang aus ihrer Wahrnehmung heraus schildern. Vor allem die Anfeindungen und Unsportlichkeiten von Listen.“

„Thorsten, kannst du fahren? Ich würde gern mit Chris und den Jungs noch ein paar Dinge besprechen.“

„Klar, kein Problem. Jetzt fehlen nur noch die Jungs. Dann kann es losgehen.“

Die kamen auch bald und wir konnten aufbrechen in die Höhle des Löwen. Auf der Fahrt waren die Jungs zuerst noch recht entspannt und neugierig. Einige Fragen hatten sie doch noch und die meisten konnte Christian ihnen beantworten. Als wir nach einer guten Stunde Fahrt die Autobahn verließen, war es verdächtig still im Auto. Die Jungs redeten kaum noch miteinander und ich konnte mir gut vorstellen, dass bei ihnen die Anspannung groß war. Selbst Thorsten war die Lockerheit abhanden gekommen. Wir sprachen nicht mehr viel. Erst als wir direkt vor dem Eingang der Geschäftsstelle standen, holte uns Christian noch einmal zusammen.

„So, Leute. Wir gehen jetzt da rein und zeigen diesen verkalkten Typen, was wir von ihnen halten. Ganz wichtig, gerade für euch, Jungs: Jeder sagt die Wahrheit. Wenn jemand etwas nicht beantworten möchte oder kann, soll er das ebenso sagen. Wir sind hier nicht bei einem Gerichtsverfahren, aber es soll der Wahrheitsfindung dienen.“

Die Jungs nickten gedankenverloren. Christian gab dann noch die letzte Anweisung mit auf den Weg, dass jeder vom Ausschuss befragt würde. Damit sollte verhindert werden, dass durcheinander geredet wird. Überraschenderweise sagte Dustin dann zum Abschluss:

„Leute, wir zeigen denen, dass wir uns nicht mehr länger einschüchtern lassen, auf geht es.“

Dann hielt er seine Hand nach vorn und wir legten jeder eine Hand darauf und riefen: „Let´s go!“

Im Foyer meldete uns Thorsten an. Die Empfangsdame schickte uns in die erste Etage und dort betraten wir einen großen Raum, der sonst für Versammlungen oder Tagungen genutzt wurde. Als wir uns umsahen, bemerkten wir, dass Listen bereits anwesend war und sich mit einem anderen Funktionär beriet. Thorsten gab ein allgemeines „Guten Tag“ in den Raum das nur widerwillig beantwortet wurde.

„Gute Umgangsformen sind etwas anderes. Kann der nicht mal Guten Tag sagen?“, fragte mich ein sichtlich genervter Dustin.

Ich zwinkerte ihm zu, um einerseits zuzustimmen, aber auch um die Spannung etwas aufzulockern.

Wir nahmen unsere Plätze ein. Jede Partei hatte ein Schild vor seinen Plätzen. Pünktlich öffnete sich eine Seitentür und drei Personen betraten den Saal. Zwei davon waren mir nicht bekannt, sahen aber wichtig aus. Die dritte Person war mir hingegen gut bekannt und löste bei mir Verwunderung aus. Antonius! Das war jetzt eine Überraschung, aber damit stiegen unsere Aktien gerade mal um einhundert Prozent. Entgegen des Verhaltens von Listen, kamen alle drei Personen zu uns und begrüßten uns per Handschlag. Auch die Jungs wurden nicht ausgelassen. So gehörte sich das.

Wir nahmen jetzt wieder Platz und nach eine kurzen Begrüßung wurde es ernst. Zuerst wurden die Punkte verlesen, die hier verhandelt werden sollten. Interessanterweise tauchte auch das Thema von Dustin auf. Es wurde sehr „amtsdeutsch“ umschrieben. So wurde nicht eindeutig, was genau vorgefallen war, aber es stand auf der Tagesordnung. Nachdem der Verhandlungsführer damit fertig war, stellte er die Frage, ob noch jemand etwas vorab zu der Sache sagen mochte und dann begann die Anhörung. Da wir ja sozusagen als Angeklagte hier waren, wurde Listen zuerst gebeten, seine Sichtweise zu schildern.

Was mich daran sofort aufregte, er stellte das so dar, als ob wir uns unsportlich verhalten hätten und nicht er. Dass er ständig die Regeln verletzt hatte, erwähnte er natürlich mit keinem Wort. Anschließend kam dann die Frage auf, warum alle Spieler des Verbandes, nachdem Listen von der Anlage verwiesen wurde, das Turnier verlassen hätten.

Listen behauptete allen Ernstes, wir, also die Turnierleitung, hätten sie disqualifiziert. Das ging mir echt der Hut hoch, aber ich musste mich ja zurückhalten.

Als er geendet hatte, und das Protokoll soweit alles notiert hatte, wurden Dustin und Fynn als betroffene Spieler befragt. Sie gaben ihre Wahrnehmungen und Erinnerung wieder. Bei Fynn spürte ich sofort die aufsteigende Wut. Der Vorsitzende fragte dann:

„Also aus deiner Sicht hat Herr Listen die Regelverletzungen begangen und nicht ihr. Er hat deiner Aussage nach, ständig in das Spielgeschehen eingegriffen und sogar Entscheidungen von außen getroffen. Ist das korrekt?“

„Ja, das ist korrekt. Und nicht nur einmal. Eigentlich bei jedem Match, bei dem Spieler seines Teams beteiligt waren. Außerdem hatte er eine Wortwahl, die schon beleidigend war.“

Das führte dazu, dass Listen sofort dagegen wetterte und uns der Lüge bezichtigte.

Interessant, dass er sofort darauf reagieren konnte, während wir ihn ausreden lassen mussten. Das war aber die Steilvorlage für Christian.

„Entschuldigen Sie Herr Listen, aber auch für Sie gelten die gleichen Regeln. Herr Bosse, würden Sie bitte Herrn Listen darauf hinweisen, dass alle die gleichen Regeln haben und er sich hier zu benehmen hat.“

Das tat Herr Bosse dann auch. Komischerweise verhielt sich Listen danach außergewöhnlich ruhig. Anschließend wurde Thorsten als Turnierleiter befragt und Thorsten gab ein Statement ab, dass selbst für Herrn Bosse, als Vorsitzender des Ausschusses, Neuland war. Thorsten hatte nämlich zwei Aussagen von betroffenen Spielern vorliegen, die eindeutig belegten, dass Listen seine Spieler gezwungen hatte, das Turnier zu verlassen. Diese Aussagen lagen schriftlich vor, mit Unterschrift.

Nachdem dieser Punkt zur Kenntnis genommen wurde, legte Christian nach. Er berichtete von den verbalen Entgleisungen gegenüber Fynn und Dustin. Die Diskriminierungen gegenüber ihrer Homosexualität und deren Folgen. Er endete mit der Frage:

„Warum ein Verband, der sich öffentlich für die Gleichbehandlung von Minderheiten an die Fahnen heftet, immer noch leitende Angestellte hat, die genau diese Vorgaben missachten, ist mir bis heute ein Rätsel. Diese Frage sollte sich der Verband einmal stellen. Dass dieser Sachverhalt noch nicht in der Öffentlichkeit gelandet ist, begründet sich in der Angstherrschaft von Herrn Listen. Kein Spieler wagt es, sich dagegen zu wehren, weil er sofort mit Bestrafung und Druck zu rechnen hat. Ist das die so hoch gelobte Jugendförderung?“

Christian legte direkt nach dieser Aussage einige Papiere auf den Tisch des Vorsitzenden.

„Diese Aussagen von ehemaligen Spielern des Verbandes belegen das eindeutig. Außerdem sitzt hier mit Dustin ein weiterer Spieler, der Opfer von Herrn Listens Trainertätigkeit wurde. Sie können ihn gern dazu befragen. Er wird diese Aussagen bestätigen. Des weiteren frage ich Sie, gelten für Verbandsfunktionäre eigentlich andere Regeln bei Turnieren, als für andere Trainer? Warum hält sich Herr Listen nie an das sogenannte Coachingverbot? Warum musste Antonius ihn denn wohl des Turnieres verweisen? Warum haben die Spieler im Verband Angst und als Folge dessen, keinen Erfolg auf Bundesebene oder gar International? Kein Spieler des WTV hat in den letzten Jahren einen größeren Erfolg vorzuweisen. Lediglich privat organisierte Teams und Akademien hatten erfolgreich Spieler entwickelt. Dass der Verband sich damit gerühmt hat, dass diese Spieler aus dem Bereich des WTV kamen, ist dann eigentlich der Gipfel.“

Er redete ruhig, aber sehr bestimmt. Da spürte ich die Erfahrung mit solchen Situationen. Listen wurde immer unruhiger und blasser im Gesicht, je mehr Christian berichtete. Nachdem Christian geendet hatte, herrschte einen Moment Stille. Herr Bosse befragte Antonius, der genau diese Schilderung bestätigte und zum Abschluss der Beweisaufnahme befragte er noch Dustin und Fynn. Die Jungs schlugen sich sehr wacker, auch, als Herr Bosse sie nach ihrer Homosexualität befragte. Ich wollte noch etwas hinzufügen:

„Wissen Sie, was mich an Herrn Listen allgemein stört, das ist die Tatsache, dass er wissentlich die Abhängigkeit seiner Spieler ausnutzt. Er macht sie sich gefügig, indem er sie einschüchtert. Dustin wurde Opfer seiner Wutausbrüche. Listen hat ihn mit Bällen beschossen und auch getroffen. Anschließend hat er sich noch über ihn lustig gemacht. Da war Dustin dreizehn. Ich stelle mir die Frage, ob das so korrekt ist und sich ein Verband solche leitende Angestellte erlauben kann? Ich persönlich habe mit Herrn Listen abgeschlossen und erst im Break-Point-Team gelernt, was es heißt, auch als Trainer unterstützt zu werden. Für alle Spieler des Verbandes kann ich nur hoffen, dass sich sehr bald etwas verändert. Und um das klar zu sagen, wir haben mit den Spielern des Verbandes keinerlei negative Erfahrungen gemacht. Im Gegenteil, sie haben uns in unserer Wahrnehmung bestätigt. Traurig genug, dass sie sich nicht dagegen wehren können. Denn eigentlich ist der Verband für den Schutz seiner Spieler zuständig. Vielleicht sollten Sie sich darüber Gedanken machen, anstatt hier Zeit zu verschwenden für einen Sachverhalt, der eigentlich eindeutig ist. Zum Abschluss möchte ich noch etwas hinzufügen. Es sollte für einen Verband das Talent eines Spielers entscheidend sein und nicht seine sexuelle Orientierung, ob er gefördert wird oder nicht.“

Ich schaute in die Gesichter der Anwesenden und erkannte vor allem bei Antonius so etwas wie Respekt und Anerkennung. Bei Listen war es eher die nackte Wut und Panik. Er spürte jetzt, dass er sich mit den falschen angelegt hatte. Herr Bosse bat um Unterbrechung, um über die neuen Fakten zu beraten. In einer halben Stunde sollten wir uns hier wieder einfinden.

Vor dem Gebäude tauten auch Thorsten und die Jungs wieder auf. Thorsten kam zu mir und sagte: „Mensch Chris, das war ganz großes Kino. Ich habe Listen beobachtet, dem geht der Arsch auf Grundeis. Ich glaube, diese Geschichte hat sich der Verband anders vorgestellt.“

„Ach, ich habe schon lange die Hoffnung begraben, dass sich diese Holzköpfe bewegen. Sie feiern lieber sich selbst. Aber vielleicht wird sich ja langfristig etwas verändern. Ich sehe meine Aufgabe darin, unsere Jungs zu unterstützen. Mehr nicht.“

Ich konnte beobachten wie die Jungs zusammen standen und etwas diskutierten. Christian ging zu ihnen, nachdem Maxi ihn angesprochen hatte. Christian nickte nach kurzer Zeit und die Jungs schienen sich einig zu sein. Fynn kam zu uns herüber und hatte die anderen beiden im Schlepptau.

„Chris, das was du zum Schluss gesagt hast, war toll. Ich hoffe, wir können damit diese Kapitel abschließen. Wir möchten uns schon mal bei dir bedanken. Du hast uns gezeigt, wie es richtig geht und dass man als Team nur stark ist, wenn man auch als Team arbeitet. Danke.“

Antonius kam aus dem Haus und bat uns wieder hereinzukommen. So nahmen wir wieder auf unseren Sitzen Platz und Herr Bosse gab das Ergebnis ihrer Beratungen bekannt.

„Aufgrund der neuen Sachlage und nachvollziehbaren Argumentation von Seiten der Beschuldigten, werden wir alle Punkte fallenlassen und die neue Sachlage in einem weiteren Anhörungsverfahren behandeln. Für heute schließe ich die Verhandlung, die Kosten des Verfahrens trägt der Verband. Sie erhalten eine erneute Einladung, sobald der neue Termin festgelegt wurde. Bis auf weiteres wird Herr Listen von allen Turnieren bis zur Klärung der Sachlage ausgeschlossen. Gegen diese Entscheidung kann schriftlich Widerspruch eingelegt werden. Damit ist das Verfahren beendet. Ich wünsche allen Beteiligten einen guten Heimweg.“

Das war doch noch eine Überraschung zum Abschluss. Listen konnte bis auf weiteres nicht mehr an Turnieren teilnehmen. Das war ein großer Teilerfolg. Vielleicht würde der Verband ja jetzt doch anfangen nachzudenken.

Wir verließen den Saal und machten uns auf den Heimweg. Im Auto brach es dann aus den Jungs heraus. Sie freuten sich über dieses Ende und die Stimmung war sehr gelöst. Thorsten hatte ein ständiges Grinsen im Gesicht und auch mir ging es gut mit diesem Ergebnis. Plötzlich hatte Thorsten eine Idee und fragte:

„Leute, was haltet ihr von einem gemeinsamen Abendessen im Club? Ich lade euch ein. Das haben wir uns verdient. Was meint ihr dazu?“

Ein eindeutiges und lautes „Ja“ schallte durch den Innenraum. Thorsten lachte, telefonierte mit unserer Wirtin und kündigte unsere Rückkehr an.

Dieses Essen hatte schon etwas Besonderes, denn auch Thorsten war jetzt sehr gelöst und scherzte immer wieder über den Verband. Den Jungs war deutlich anzusehen, wie sehr dieser Tag an ihren Nerven gezerrt hatte. Hoffentlich würde die Zukunft weiterhin einen positiven Verlauf haben.

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