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Second serve

Teil 5

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Bericht in der Base und Reaktion des Verbandes

Das Turnier hatte für uns ein spektakuläres Ende genommen. Heute war Dienstag und ich hatte einen Termin in der WG mit Tim. Allerdings hatte mich Thorsten gebeten, vorher im Büro vorbeizukommen. Ich hatte meine Arbeit in meinem Beruf beendet und war gerade auf der Anlage in Halle angekommen, als mein Handy klingelte.

„Ja?“

„Hi Chris, Thorsten hier. Wann kommst du vorbei?“

„Hi Thorsten, bin schon so gut wie da. Bin gerade auf die Anlage gekommen. Gib mir noch fünf Minuten.“

„Sehr schön, bis gleich.“

Auf dem Weg in das Clubhaus kam ich an den Trainingsplätzen vorbei. Thomas und Burghard grüßten von ihren Plätzen und auch einige Spieler winkten zu mir herüber. Als ich die Treppe zum Büro hinaufging, kamen mir Maxi, Fynn und Dustin entgegen. Sie hatten ihre Taschen über der Schulter und waren auf dem Weg zum Training.

„Na, ihr drei. Das Wochenende gut überstanden?“

„Hi Chris, ja geht wieder. Gestern hatten wir ein wenig schwere Beine. Heute rocken wir wieder den Platz.“

Typisch Maxi, nahezu immer gut gelaunt, aber auch Fynn und Dustin schienen bester Laune zu sein, denn sie strahlten über ihr ganzes Gesicht. Ich wünschte ihnen viel Spaß beim Training und betrat wenige Sekunden später das Büro.

„Ah, hi Chris. Das ging ja flott. Setz dich bitte. Möchtest du einen Kaffee oder Cappuccino?“

„Hi Thorsten, Cappuccino wäre gut. Was gibt es denn sonst so Neues?“

„Gleich, zuerst müssen wir noch über letztes Wochenende reden. Ihr seid ja sehr erfolgreich gewesen. Glückwunsch noch einmal dazu.“

„Danke, ja, die Jungs haben eine super Leistung gezeigt. Auch als Team miteinander. Das war angenehmes Arbeiten mit den dreien.“

Die Wirtin des Clubhauses brachte uns die zwei Cappuccino und dann widmete sich Thorsten mir vollkommen. Er legte die Maus an die Seite.

„Ich habe heute Morgen eine Mail vom Verband erhalten. Es gibt Beschwerden über das Verhalten der Jungs. Was ist denn dort vorgefallen?“

Jetzt war ich perplex. Was hatte der Verband damit zu tun?

„Eigentlich nichts Besonderes. Nur bei einigen Leuten gab es Probleme mit der Akzeptanz von Fynn und Dustin. Allerdings war nichts vorgefallen. Lediglich bei der Siegerehrung hat Maxi ein paar deutliche Worte gefunden. Was ich nicht verstehe, was hat der Verband damit zu tun?“

„Nun, der Verband hat eine Beschwerde von einigen Spielern erhalten, dass sich Fynn und Dustin unsportlich verhalten hätten und Maxi bei der Siegerehrung einigen Leuten etwas unterstellt hätte. Der Verband hat uns nun zu einer Stellungnahme aufgefordert.“

Das durfte doch nicht wahr sein. Was für eine Frechheit. Ich fing an mich aufzuregen und wollte schon loslegen, als Thorsten die Hand hob.

„Nicht aufregen, Chris. Ich weiß ganz genau, dass sich die drei vorbildlich benommen haben. Darum geht es mir nicht. Ich will dem Verband aufzeigen, dass wir hinter den beiden stehen und es sinnlos ist, sie mit falschen Anschuldigungen zu belasten. Hier, das ist die Mail. Ich habe sie ausgedruckt. Du kannst sie lesen, aber bitte nicht aufregen. Das lohnt sich nicht.“

Was ich allerdings dort zu lesen bekam, spottete jeder Beschreibung. Das war eine Frechheit. So typisch für verkalkte Funktionäre. Nachdem ich das gelesen hatte, fragte ich Thorsten:

„Was könnte das für die Jungs für Konsequenzen haben? Kann der Verband sie für Turniere vorübergehend sperren?“

„Theoretisch ja, allerdings wird sich der Verband das sehr genau überlegen. Ich werde ihnen eine Stellungnahme schreiben, die sehr deutlich klar machen wird, dass wir uns nicht erpressen lassen. Es gibt nicht den geringsten Anlass für die Androhung von Disziplinarmaßnahmen seitens des Verbandes. Ich werde ebenfalls klar machen, dass wir auch einer öffentlichen Diskussion nicht abgeneigt sind. Das Thema Homosexualität ist ein wichtiger Punkt und sollte mehr Öffentlichkeit bekommen. Ich habe bereits mit unseren Sponsoren und Ausrüstern Kontakt aufgenommen und eine Anfrage gestellt.“

„Um was geht es dabei?“

„Ich habe eine Anfrage für Dustin und Fynn gestellt, ob unser Ausrüster bereit wäre, sie finanziell und mit Ausrüstung zu unterstützen. Ich warte noch auf eine Reaktion. Ich habe darin auch klar Stellung bezogen, dass sie jetzt ebenso die Möglichkeit hätten, für eine Gleichberechtigung zu stehen und das auch für sich zu nutzen.“

„Das bedeutet für die beiden was?“

„Wenn „Prince“ einverstanden ist, bekommen die beiden in Zukunft Schläger und Kleidung von ihnen kostenlos gestellt. Das heißt, sie müssten sich nicht mehr selbst um ihre Kleidung und Schläger kümmern. Das beinhaltet auch die Saiten der Schläger.“

„Cool. Das würde für beide eine enorme Entlastung bedeuten. Ich finde es gut, dass du mit offenen Karten spielst. Mal sehen, was dabei herauskommt. Die Leistung der beiden ist jedenfalls momentan sehr gut.“

„Ja, das sehe ich auch so. Vor allem in Anbetracht ihrer Situation ist das sehr gut, wie sie sich entwickeln. Dein Bruder hat sich auch gemeldet. Er freut sich, dass es dir gelungen ist, auch mit Tim eine Lösung gefunden zu haben. Ich habe jetzt aber eine Bitte. Kannst du bitte deine Sicht der Ereignisse schildern. Vor allem auch mit den Reaktionen der Spieler, die sich vom ausrichtenden Verein so mies benommen haben. Ich möchte das dem Verband zukommen lassen.“

„Klar, mache ich. Muss ich dabei auf irgendetwas Rücksicht nehmen?“

„Nein, du schreibst es so, wie es aus deiner Sicht gewesen ist. Alles Weitere regele ich. Und sag den Jungs davon noch nichts. Sie müssen sich damit nicht belasten. Das ist unsere Aufgabe. Sie sollen Tennis spielen und ihre familiären Dinge bearbeiten.“

„Gut. Halte ich für vernünftig. Bis wann brauchst du meinen Bericht?“

„Bis Ende der Woche wäre gut. Geht das?“

„Natürlich, das bekomme ich hin.“

„Was mir noch einfällt. Was machst du am kommenden Wochenende? Also ab Freitag.“

„Eigentlich wollte ich mal wieder mit meinem Motorrad eine Tour machen, warum fragst du?“

„Nun, wir richten hier ein großes Herrenturnier aus. Dort werden auch Vertreter unserer Sponsoren sein. Ich würde es gut finden, wenn du hier dabei wärst. Ich könnte mir vorstellen, dass sie dich kennenlernen möchten. Schließlich bist du maßgeblich an dem Erfolg der beiden beteiligt. In so wenigen Wochen eine derartige Steigerung in der Rangliste, das ist schon außergewöhnlich.“

„Ok, muss ich dann ständig anwesend sein? Und wer spielt von unseren Kids mit?“

„Nein, natürlich musst du nicht ständig anwesend sein. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass Maxi, Dustin und Fynn es gut finden würden, wenn du für sie da wärst.“

„Wie meinst du das?“

„Nun, Maxi hat mir heute gesagt, dass es ihm viel mehr Spaß macht, wenn du dabei bist. Du würdest viel besser mit ihnen umgehen. Ich weiß natürlich, dass Thomas manchmal nicht sehr feinfühlig ist. Aber er macht ein gutes Training und ist ein exzellenter Bundesliga Coach.“

Diese Andeutung machte mich ein wenig verlegen. Ich hatte ja nicht mal eine DTB-A Lizenz als Trainer. Nur eine C-Lizenz. Allerdings freute es mich vor allem, dass es den Jungs Spaß machte, mit mir auf Tour zu sein.

„Ok, ich werde schauen, was ich machen kann. Ich muss ein wenig aufpassen mit meinen Stunden. Immerhin habe sich schon wieder einige Überstunden angesammelt und ich kann ja nicht ständig auch alles an Stunden aufschreiben.“

„Mach dir darüber keine Gedanken. Dein Vertrag wird eh bald Thema werden. Wenn ich deinen Bruder richtig verstanden habe, möchte er mit dir bald ein Gespräch dazu führen. Wir möchten nämlich die gute Zusammenarbeit vertiefen und darüber müssen wir dann halt sprechen. Aber so lange schreibst du bitte alles auf, auch wenn es über die vereinbarten Stunden hinausgeht. Du wirst sie bezahlt bekommen. Mach dir da keine Sorgen.“

Das waren ja ganz neue Informationen. Mein Bruder wollte mehr mit mir zusammenarbeiten. Mal schauen, ob das gut gehen würde.

„Es wäre übrigens auch noch aus einem anderen Grund gut, wenn du am Wochenende hier sein könntest. Der Verband wird mit seinem Nachwuchskader komplett vertreten sein. Mit deinem ganz besonderen Freund Listen.“

Mist, den Typen hatte ich echt gefressen. Da wären Konflikte sicher vorprogrammiert. Das sollten die Jungs nicht allein machen müssen.

„Ich werde sicherlich hier sein. Nur kann ich noch nicht sagen, wie viel Zeit ich hier sein kann.“

„Ist ok. Dein Bruder wird auch hier sein. Er kommt mit Gilles zum Training vorbei. Sie haben vier Tage Pause. Er möchte auch mal die neuen Jungs sehen. Also von daher wäre es sicher gut, wenn du hier bist.“

„Ok, ok. Ich hab verstanden“, lachte ich.

Thorsten grinste mich an. Unsere Stimmung lockerte sich weiter und es wurde jetzt doch noch richtig lustig.

„Übrigens“, fragte mich Thorsten, „wie gut spielst du eigentlich selbst? Jan hat mal gesagt, dass du ganz gut spielen würdest. Du hättest nur mal eine schwere Verletzung gehabt und deshalb nicht mehr so viel trainieren können.“

„Naja, ich spiele nur gelegentlich so zum Spaß. Und sicherlich bin ich kein guter Spieler. Aber es macht mir Freude und ich genieße es, überhaupt wieder spielen zu können.“

Thorsten wurde neugierig und gleichzeitig auch sehr nachdenklich.

„Warum? Jan hat nie etwas erzählt. Nur mal erwähnt, dass du sehr schwere Verletzungen hattest. Er hat aber nie konkret etwas erzählt.“

„Das ist eine lange Geschichte. Wenn es dich wirklich interessiert, kann ich dir das mal erzählen, aber ich muss jetzt langsam los. Sonst bin ich zu spät bei Tim.“

„Ja, es interessiert mich schon. Wollen wir morgen mal zusammen eine Stunde Tennis spielen? Anschließend würde ich dich dann hier zum Essen einladen. Da können wir gern darüber sprechen.“

Dieses Angebot überraschte mich sehr. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass mich hier jemand zum Spielen einladen würde. Es waren immerhin alles sehr gute Spieler. Auch Thorsten gehörte dazu. Er spielte immer noch bei den Herren 40 in der Regionalliga.

„Ok, können wir machen. Aber erwarte nicht dein Spielniveau. Ich bin reiner Hobbyspieler.“

Thorsten grinste und wiegelte ab: „Mach dir keine Gedanken. Lass uns einfach etwas Spaß haben. Also, wann kannst du morgen hier sein?“

Ich überlegte einen Augenblick und sortierte meinen Terminplan.

„Lass uns um fünf Uhr sagen. Das müsste ich hinbekommen.“

„Super, passt. Also dann, bis morgen.“

Ich wollte mich schon verabschieden, aber da fiel mir ein, dass ich eigentlich gar keinen aktuellen Schläger mehr hatte. Beziehungsweise die Besaitung war schon recht alt.

„Könntest du mir vielleicht für morgen noch einen Schläger organisieren? Meine Saite ist schon über drei Monate alt. Ich habe schon ewig nicht mehr gespielt.“

„Klar, kein Problem. Welche Griffstärke hast du denn und lieber einen schweren oder einen leichten Schläger?“

„Wenn du mich so fragst, am besten einen L3 und um die 300 Gramm schwer.“

Er notierte sich das auf einem Zettel und anschließend verabschiedete ich mich dann doch. Die Zeit wurde langsam knapp.

In der WG wurde ich bereits von Martina erwartet. Sogar einen Kaffee hatte sie schon vorbereitet.

„Mensch, das ist ja ein Empfang. Danke.“

„Hi, Chris. Immer gerne. Tim wartet schon auf dich. Mir hat er noch nicht viel erzählt, er wollte unbedingt erst mit dir reden. Ab sollte es wieder um die gleichen Personen gehen, wäre ich dafür, jetzt härtere Maßnahmen zu ergreifen.“

„Warten wir mal ab, was er mir erzählt. Gibt es Auffälligkeiten bei ihm?“

„Seit etwa einer halben Woche ist er wieder aggressiver geworden. Vor allem morgens vor der Schule.“

„Ok, ich kann mir vorstellen, was bei ihm abgeht. Wann hat er dir denn etwas erzählt? Oder wie ist es dieses Mal herausgekommen?“

„Das war letzten Freitag. Er kam aus der Schule und hat mich gefragt, ob er dich noch einmal um Rat fragen könnte. Sie würden ihn in der Schule wieder bedrängen.“

„Ok, und wie haben sich Dustin und Fynn eingelebt? Wie kommen die anderen mit der Situation zurecht?“

„Die beiden sind eine Bereicherung. Sie sind sehr beliebt, auch bei den Kleinen. Ich glaube zwar nicht, dass sie schon genau wissen, dass die beiden ein Paar sind, aber Dustin und Fynn geben sich richtig Mühe, sich hier einzubringen. Sie helfen bei den Hausaufgaben und sind immer ansprechbar. Das macht Freude, mit ihnen zu arbeiten.“

Das war mal eine richtig tolle Information. Hoffentlich würde das auch so bleiben, wenn es Probleme mit dem Verband oder vielleicht in der Schule geben würde.

„Weißt du eigentlich, ob die beiden mittlerweile auch in der Schule geoutet sind? Ich werde demnächst dort ein Projekt in den achten Klassen machen.“

„Soweit ich das mitbekommen habe, nicht. Dustin ist ja auch nicht in Fynns Klasse. Von daher glaube ich nicht, dass es dort bereits bekannt ist.“

„Danke für die Infos, ich werde jetzt zu Tim gehen. Wir sehen uns bestimmt gleich noch.“

Ich bedankte mich für den Kaffee und verließ die Küche, um nach oben zu gehen. Vor Tims Tür stehend, klopfte ich an. Ich hörte ein „Herein“ und betrat das Zimmer. Tim saß an seinem Schreibtisch und zockte am PC. Allerdings brauchte ich ihm nicht zu sagen, dass er jetzt aufhören sollte, er beendete sofort das Spiel und stand auf.

„Hi, Chris“, sagte er und streckte mir seine Hand entgegen.

Ich begrüßte ihn und wir setzten uns auf sein Sofa. Anschließend erzählte er mir von den Problemen in der Schule. Es war also tatsächlich so, dass zwei der Schüler ihn wieder bedrängten.

„Was möchtest du jetzt, dass ich tun soll? Du weißt, ich kann dafür sorgen, dass sie die Schule verlassen müssen. Willst du das überhaupt?“

„Eigentlich will ich nur in Ruhe gelassen werden. Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Warum können sie nicht einfach aufhören, mich zu bedrohen.“

„Sie haben dich bedroht?“

Jetzt wurde er unruhig. Ich hatte das Gefühl, dass er mir das eigentlich gar nicht erzählen wollte. Ich bohrte auch nicht sofort nach, sondern ließ ihm einen Augenblick Zeit.

„Ja, sie drohen mir. Wenn ich wieder petzen gehe, würden sie mich fertigmachen.“

Ich erschrak. Damit hatte ich nicht gerechnet, denn eigentlich machten sie beim letzten Termin einen einsichtigen Eindruck. Allerdings gab es für mich jetzt keine Alternativen mehr. Hier waren drastischere Maßnahmen erforderlich.

„Aber es geht nur um diese beiden Typen. Die anderen lassen dich in Ruhe?“

Das bestätigte er und wir besprachen nun das weitere Vorgehen. Ich bekam von ihm die Erlaubnis, erneut mit dem Schulleiter Kontakt aufzunehmen. Ich versprach ihm, bereits am nächsten Tag mit dem Direktor zu telefonieren.

„Tim, du musst Martina aber ebenso über diese Dinge informieren. Sie kann dir auch helfen. Wichtig ist, dass du nicht damit allein bleibst. Diese Dinge sind zu ernst.“

„Ja, aber ich schäme mich schon etwas dafür. Ich will euch nicht immer damit belästigen.“

„Unsinn. Das ist unsere Aufgabe, dir hier den Rücken frei zu halten. Versprich mir bitte, in Zukunft sofort einem von uns zu berichten.“

Jetzt lächelte er sogar und versprach mir das auch. Damit war das Thema soweit geklärt und ich wollte noch wissen, wie es ihm sonst geht.

Wir führten noch ein sehr gutes Gespräch und ich spürte, er hatte Vertrauen gefunden. Er berichtete mir, dass er mittlerweile mit dem Duschen keine Probleme mehr hatte und dass sie ihn auch in Ruhe lassen würden, seitdem er nicht mehr darauf reagieren würde. Ich hatte den Eindruck, er war selbstbewusster geworden.

„Darf ich dich noch etwas fragen, Chris?“

„Natürlich, was gibt es denn?“

„Es geht um Fynn und Dustin. Du kennst sie ja besser als ich. Ich finde sie sehr nett und sie helfen uns auch oft bei den Schulsachen oder wenn es ein anderes Problem gibt. Aber was mir aufgefallen ist, man sieht sie eigentlich nie allein. Sie sind hier immer zusammen. In der Schule und auch im Verein wird schon darüber geredet.“

„Was wird geredet?“

Jetzt wurde ich neugierig. Mal sehen, was mittlerweile bekannt war.

„Naja, einige meinen, dass sie schwul sind. Sie würden ständig zusammen sein und Mädchen sind auch nicht bei ihnen zu finden. Andere haben ständig neue Freundinnen. Sie nicht.“

„Naja, du interessierst dich ja auch nicht für die Mädchen, deswegen bist du doch nicht gleich schwul, oder?“

„Stimmt, aber ich würde gern deine Meinung dazu hören. Du hast ja viel mehr mit ihnen zu tun.“

„Schau mal. Selbst wenn ich mehr wüsste, wäre es nicht klug, dir jetzt darüber etwas zu erzählen. Wenn du mir etwas anvertraust, möchtest du ja auch nicht, dass ich anderen einfach davon erzähle.“

„Hm, ok. Ja, das ist richtig. Nur, ich finde es echt nicht schön, dass hinter ihrem Rücken so viel geredet wird.“

„Hast du schon mal darüber nachgedacht, sie einfach selbst zu fragen? Du sagst doch, ihr versteht euch gut. Also, wenn du etwas von ihnen wissen möchtest, frag sie einfach.“

Jetzt schaute er mich mit großen Augen an.

„Meinst du das ernst? Sie werden bestimmt sauer werden.“

„Wenn du ihnen helfen willst und ihnen mitteilen möchtest, dass über sie geredet wird, dann solltest du ihnen das sagen. Ich bin ziemlich sicher, dass sie dir gegenüber nicht sauer sind.“

Jetzt lenkte er doch recht schnell vom Thema ab und zeigte mir noch stolz seine letzten Arbeiten aus der Schule. Die Noten waren sehr gut und ich lobte ihn auch dafür. Ich hatte das Gefühl, Tim war noch nicht fertig mit dem Thema Homosexualität. Allerdings war es jetzt nicht sinnvoll, weiter mit ihm darüber zu reden. Ich machte ihm noch einmal Mut, auf Dustin und Fynn zuzugehen und verabschiedete mich von ihm.

In der Küche traf ich erneut auf Martina, die dort mit Carlo für das Abendessen etwas vorbereitete. Ich setzte mich noch für ein paar Minuten hinzu und erfuhr so noch etwas über Carlo.

Heute würde ich mal nicht so spät nach Hause kommen. Darauf freute ich mich jetzt. Auch zu Hause in Ruhe noch eine Tasse Tee trinken, ja, das würde ich genießen. Ich verabschiedete mich von den beiden und verließ das Haus.

Fynn: Stress in der Schule und Probleme mit der Familie

Unser Teamerfolg war mittlerweile in der Schule bekannt geworden und entsprechend waren wir Gesprächsthema. Bei den meisten wurde das sehr positiv aufgenommen. Natürlich gab es auch einige Neider. Ich war neu in der Klasse und entsprechend kritisch sahen es die Wortführer. Es missfiel ihnen, dass sie nicht mehr so im Mittelpunkt standen. Traurig, aber leider wahr. Maxi hatte mich schon vorgewarnt. Ich stand mit Dustin in der großen Pause auf dem Hof und wir redeten über die Wochenplanung. In der Schule standen diese Woche auch zwei Arbeiten an und am Ende der Woche das große Turnier in Halle.

„Na, wie läuft es bei dir denn so? Wird bei dir auch so viel geredet über unseren Erfolg?“

„Ach, es geht so,“ Dustin blieb recht gelassen, „die meisten in meiner Klasse interessieren sich nicht so für Tennis. Hast du Probleme?“

„Nein, nicht wirklich. Es nervt einfach nur, dass die Klassenidioten sich wieder aufspielen. Manchmal würde ich ihnen gern mal so richtig die Meinung sagen. Allerdings macht das wohl wenig Sinn, weil sie es eh nicht schnallen.“

Für uns war die Situation in der Schule mittlerweile seltsam geworden. Hier waren wir noch nicht geoutet und wir mussten immer wieder aufpassen, nicht zu auffällig zu sein. Vor einigen Wochen war das noch der Normalzustand. Mein Gefühl sagte mir aber auch, dass ich das Versteckspiel nicht mehr lange machen wollte. Das musste ich unbedingt mit Dustin besprechen.

Wir wechselten dann auch recht schnell das Thema und sprachen über das Turnier am Wochenende. Dustin hatte bereits von Maxi ein paar Infos bekommen, die er mir jetzt weitergab.

„Maxi hat mir gesagt, dass wir vermutlich bis zum Turnier einen Trainingsgast bekommen. Thomas hat aber noch nichts Genaueres gesagt. Mal sehen, ob wir nachher beim Training etwas erfahren.“

„Momentan merke ich jedenfalls, dass ich auch mal einen Tag trainingsfrei haben möchte. So ein Turnier schlaucht mich doch ganz schön.“

„Ja, schon richtig, aber ehrlich, ich freue mich einfach nur darüber, dass es mir gerade so gut geht. Da nehme ich das gerne in Kauf, auch mal keine Lust auf Training zu haben.“

Dabei grinste er mich wieder so verführerisch an, dass ich mich zusammennehmen musste, ihn dafür nicht zu küssen. Verdammt! Das musste sich bald ändern.

Es klingelte glücklicherweise wieder zum Unterricht. Also brauchte ich mich nicht weiter zurückzunehmen.

Glücklicherweise ließen mich die Deppen in meiner Klasse im weiteren Tagesverlauf auch in Ruhe und somit endete der Schultag nur mit den Dingen, die ich noch für die Arbeiten vorzubereiten hatte.

Meinen Freund traf ich erst beim Mittagessen in der WG. Er hatte heute schon früher Schluss gehabt. Martina hatte uns wieder einmal mit einem leckeren Essen versorgt und bevor es zum Training ging, wollte ich noch bei meiner Mutter anrufen. Ich hatte sie schon einige Tage nicht mehr gesprochen.

„Hallo mein Sohn. Schön, dass du dich mal meldest. Wie geht es euch?“

„Ja, Mama. Es tut mir auch leid, dass ich mich ein paar Tage nicht gemeldet habe. Wir waren ja in Hamburg zum Turnier. Das war übrigens sehr erfolgreich. Sonst geht es uns hier richtig gut. Auch in der WG haben wir uns gut eingelebt. Wie geht es euch?“

„Hier ist alles wie immer. Patrick meint immer noch, er könnte machen was er möchte, aber sonst ist alles in Ordnung.“

Als sie das sagte, fing sie an zu lachen. Sie hatte sich schon damit abgefunden, dass Patrick es wohl spüren musste, dass es nicht so geht.

„Wie läuft es bei Papa in der Klinik?“

„Oh, das überrascht mich jetzt aber, dass gerade du nach deinem Vater fragst. Aber es läuft gut im Moment. Er hat nach deiner neuen Adresse gefragt und mir gesagt, dass er dir einen Brief schreiben möchte. Also ich hoffe, es war ok, dass ich ihm die gegeben habe.“

Allerdings war das eine interessante Neuigkeit. Mal sehen, ob es wieder nur leeres Gerede war oder ob er mir wirklich einen Brief schreiben würde.

„Klar, wobei ich Zweifel habe, dass er das auch macht. Naja, mal abwarten. Vielleicht ändert sich ja tatsächlich noch etwas.“

„Also beim letzten Besuch hat er mit Patrick über zwei Stunden alleine gesprochen und Patrick war hinterher sehr angetan.“

„Echt? Das ist ja wirklich etwas ganz Neues. Wie war das eigentlich mit dem Familientag? Wann sollte der sein?“

„Das ist das übernächste Wochenende. Hast du dir schon überlegt, ob du mitkommen möchtest?“

„Nein, Mama. Ich wollte das noch abwarten. Außerdem muss ich vorher noch mit Dustin darüber sprechen. Und eigentlich möchte ich dann mit Dustin gemeinsam dahin fahren.“

Meine Mutter schwieg an dieser Stelle für einen Moment. Sie überlegte, wie sie darauf reagieren sollte. Dann empfahl sie mir:

„Das solltet ihr euch wirklich gut überlegen. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn du erst einmal allein mit deinem Vater über dieses Thema sprichst. Ich weiß nicht, ob er schon stabil genug ist, das zu verarbeiten. Das könntet ihr immer noch machen, wenn es sich als problemlos darstellen sollte.“

„Mama, ich will nicht mehr verstecken spielen müssen. Entweder er akzeptiert das oder es hat wenig Sinn für mich, mich mit ihm auseinanderzusetzen.“

Ich fühlte sofort, wie meine Anspannung stieg und ich Herzrasen bekam. Meine Mutter hatte ein gutes Gespür dafür.

„Reg dich nicht auf. Es geht um etwas anderes. Ich finde, er sollte mehr Zeit haben, sich damit zu beschäftigen. Ich glaube, dass es dann für alle einfacher und besser gehen wird. Rede du erst einmal mit ihm über euch. Dann wirst du sicher merken, ob es Sinn macht, auch darüber zu reden.“

Ich überlegte einen Augenblick und wusste, sie hatte wieder einmal recht.

„Ja, Mama. Es stimmt schon, vielleicht wäre das der klügere Weg. Also gut. Wenn Papa mir den angekündigten Brief tatsächlich schreibt, dann fahre ich mit in die Klinik.“

„Das hört sich vernünftig an. Dann hoffe ich, dass ihr am Wochenende wieder ein tolles Turnier habt. Ich habe aber noch eine Frage, Patrick hat mich gefragt, ob du mit ihm auch mal auf den Tennisplatz gehen würdest? Er möchte zumindest mal ausprobieren, ob es ihm Spaß macht.“

„Im Ernst? Er hat gefragt, ob ich mit ihm auf den Platz gehen würde? Bislang war er doch immer froh, wenn ich so weit weg war, wie es nur ging.“

Meine Mutter musste lachen, als sie das hörte.

„Ja, er hat tatsächlich gefragt. Vielleicht hat er mittlerweile gemerkt, dass ihm sein großer Bruder doch manchmal fehlt.“

Ich ließ das erst einmal offen. Darüber musste ich nachdenken. Wir verabschiedeten uns und ich versprach ihr, mich vor dem Turnier noch einmal zu melden.

Während des Gesprächs hatte ich überhaupt nicht bemerkt, dass Dustin bereits seit Minuten bei mir saß und darauf wartete, dass wir zum Training fahren würden.

„Na, zu Hause alles in Ordnung?“, fragte er mich ein wenig besorgt.

„Doch, doch. Ich glaube, es verändert sich einiges. Warten wir mal ab. Wollen wir jetzt los?“

„Nein, noch nicht.“

Nanu? Warum das denn? Hatte ich etwas vergessen? „Aber sonst wird es mit der Zeit wieder knapp.“

Bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, umarmte er mich, gab mir einen leidenschaftlichen Kuss und sagte anschließend breit grinsend: „So, jetzt können wir los.“

„Schade, immer, wenn es anfängt Spaß zu machen, schickst du mich zum Training.“

Das löste bei uns einen heftigen Lachanfall aus und entsprechend komisch schaute Martina uns hinterher, als wir an der Küche vorbei nach draußen gingen.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis wir an der Anlage ankamen. Die Räder stellten wir vor dem Clubhaus ab und gingen in die Umkleide. Dort herrschte schon reges Treiben. Wir grüßten freundlich die anderen und zogen uns um. Mit Tasche gingen wir zu unserem Trainingsplatz. Allerdings stand zuerst das Aufwärmen auf dem Programm. Also das Sprungseil genommen und los ging es. Danach kamen noch andere Übungen, die wir eigenständig durchführten. Burghard hatte heute die Leitung des Trainings. Er hatte uns mittlerweile begrüßt und uns die erste Übung erklärt, als er noch ergänzte:

„Bevor ich das vergesse, morgen werden wir das Training etwas anders gestalten. Wir bekommen einen Trainingsgast bis zum Turnier. Maxi wird ab morgen mit euch und dem Gast trainieren. Außerdem werden Thomas und ich ab morgen mit den Vorbereitungen für das Turnier beschäftigt sein. Ihr werdet mit Jan trainieren.“

Uii, das war jetzt aber eine Überraschung: Mit einem der erfolgreichsten ATP-Coaches trainieren zu dürfen. Dustin schien ähnliche Gedanken zu haben, denn er fragte sofort nach:

„Dafür sind wir doch gar nicht gut genug. Jan wird sich über uns lustig machen. Wenn er mit uns so trainiert wie mit seinen Profis, dann werden wir das Turnier nicht spielen können.“

Burghard schaute ihn total verdutzt an und fing dann laut an zu lachen. Das kam auch sehr selten vor, das Burghard derart lachte.

„Ich bin mir sicher, dass er das wissen wird. Außerdem könnt ihr dann auch mal sehen, wo ihr noch besser werden müsst. Das wird schon gut gehen.“

Nach zwei Stunden auf dem Platz ging es noch nach einer kleinen Pause zum Fitnesstraining und anschließend zur Physio und Massage. Danach war ich einfach nur kaputt und froh, endlich wieder nach Hause fahren zu können. Auf dem Heimweg musste ich sogar zweimal anhalten, weil sich bei mir ein Wadenkrampf ankündigte. Dustin wurde unruhig, als wir das zweite Mal halten mussten. Allerdings konnte ich recht bald weiterfahren und sicher kamen wir schließlich zu Hause an. Die ersten Treppenstufen in den Keller, um dort die nassen Sachen aufzuhängen, wurden allerdings zur Qual. Da riss dann Dustin der Geduldsfaden.

„Sag mal, wie blöd bist du eigentlich? Du weißt doch genau, dass Treppen das Falsche sind, wenn man mit Krämpfen zu kämpfen hat. Gib mir sofort deine Sachen und du gehst dich stretchen. Ich glaub es ja wohl nicht.“

Ich kam mir vor wie ein alter Mann. Meine Beine machten einfach nicht mehr mit. Ich war total erschöpft und so gab ich nach. Ich übergab meine Sachen an Dustin und ging vorsichtig in unser Appartement. Nach ein paar Übungen setzte ich mich aufs Sofa und legte die Beine hoch. Als Dustin wenige Minuten später kam, hatte er eine Karaffe mit einer grünen Flüssigkeit dabei.

„Hier, das sind Elektrolyte. Die werden dir helfen. Und morgen sagst du vorher Bescheid, wenn du nicht mehr kannst. Sonst wird das nichts mit dem Turnier am Wochenende. Wenn du einen Muskelfaserriss hast, ist es zu spät.“

Jetzt kam ich mir vor wie ein kleiner Junge, der gerade von seiner Mutter gemaßregelt wurde. Klar, er hatte ja recht, aber schön war es dennoch nicht.

„Ja, Mama. Du hast wie immer recht.“

Dustin schaute mich an und plötzlich stürzte er sich auf mich und kitzelte mich gnadenlos durch. Natürlich konnte ich mich nicht wehren und nach wenigen Augenblicken bat ich um Gnade.

„So“, sagte Dustin total ernst zu mir, „das blüht dir jedes Mal, wenn du weiterhin so dumme Sachen machst.“

Danach setzte er sich neben mich und begann meine Waden zu massieren. Das war doch mal ein Anfang. So ließ es sich aushalten. Ich schloss die Augen und dieses Gefühl war gigantisch. Er hatte sogar ein Massageöl geholt. Seine warmen Hände glitten über meine Waden und ich konnte spüren, wie sich meine Muskeln entspannten.

„Soll ich weitermachen?“, fragte er mich.

„Ja, bitte. Das tut echt gut.“

„Dann zieh deine Trainingshose aus. Ich massiere dir dann die Oberschenkel auch gleich mit.“

Nachdem ich die Hose ausgezogen hatte, legte ich mich mit dem Bauch auf den Boden. Dustin begann erneut, die Waden zu kneten und arbeitete sich immer weiter nach oben vor. Er hatte wirklich Talent dafür. Allerdings hatte das auch einen anderen Effekt. In meiner Boxershort bildete sich eine heftige Erektion. Glücklicherweise lag ich auf dem Bauch. Aber es kam, wie es kommen musste. Dustin sagte plötzlich:

„So, dreh dich mal auf den Rücken. Jetzt kommt die Vorderseite dran.“

Für einen kleinen Augenblick zögerte ich, aber dann dachte ich mir, egal, er wird es schon nicht so schlimm finden. Ich drehte mich also um und es passierte nichts. Er fing einfach wieder an, mich weiter zu massieren. Immer weiter nach oben auf den Oberschenkeln und meine Erregung nahm natürlich nicht ab. Im Gegenteil, das Zelt in der Boxer war sehr deutlich sichtbar geworden. Plötzlich glitt seine Hand von unten in die Boxer und umfasste meinen steinharten Schwanz. Ich schloss die Augen und musste aufstöhnen.

Dustin gab mir einen Kuss und wir verlegten unsere Massageeinheit ins Schlafzimmer. Ich war allerdings anschließend so entspannt und müde, dass ich direkt dort für eine Stunde einschlief.

Es war unglaublich, ich hatte bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Als mich mein Freund geweckt hatte, konnte ich es kaum glauben, ich fühlte mich total gut und erholt. So wurde der Schultag recht kurzweilig abgearbeitet. Obwohl ich bis drei Uhr Unterricht hatte, fühlte ich mich seit langer Zeit immer noch richtig fit.

Als ich nach der letzten Stunde zu meinem Rad ging, sprach mich Robert an. Er war in meiner Klasse und eigentlich war er immer sehr still und distanziert zu allen Mitschülern.

„Hi Fynn, kann ich dich mal etwas fragen?“

Ich drehte mich zu ihm um.

„Klar, was gibt es denn?“

Er holte noch einmal tief Luft und holte etwas mehr aus.

„Also es ist eine persönliche Frage. Ich habe dich in der letzten Zeit immer wieder beobachtet und mir ist aufgefallen, dass du in den Pausen fast immer mit Dustin zusammen bist und nicht mit uns aus der Klasse. Ich bin ja auch eher weniger mit den Deppen aus unserer Klasse zusammen, weil ich das dumme Gerede nicht ertragen kann.“

„Cool, kann ich verstehen. Sorry, wenn ich gerade etwas ungeduldig bin, aber ich muss gleich noch zum Training. Was hast du für eine Frage?“

„Ja, kein Problem. Also, ich wollte fragen, ob wir uns nicht mal treffen können. Ich habe ein paar Probleme in Englisch. Die nächste Arbeit wird sehr wichtig für mich. Könntest du mir da vielleicht helfen? Du bist ja ziemlich gut in Englisch.“

Das überraschte mich total. Ja, ich war gut in Englisch, aber bislang hatte mich noch nie jemand um Hilfe gebeten.

„Generell gerne, allerdings habe ich nur wenig freie Zeit. Wenn du flexibel bist, könnten wir das versuchen.“

„Super, kein Problem. Ich weiß ja, dass du mit Dustin viele Turniere im Tennis spielst. Wann hast du Zeit?“

Ich musste einen Augenblick überlegen, denn am Wochenende stand ja das große Turnier in Halle an.

„Sagen wir morgen direkt nach der Schule? Da würde ich noch eine Stunde Zeit haben. Zumindest könnten wir dann schauen, was du vielleicht noch lernen musst.“

„Klasse, danke dir. Wo wollen wir uns treffen? Hier in der Schule oder bei dir? Bei mir ist vermutlich ungünstig, weil ich eine halbe Stunde mit dem Bus weg wohne.“

„Dann bei mir. Adresse kennst du? Oder warte, wir können auch zusammen zu mir fahren. Kannst du morgen mit dem Rad kommen?“

„Klar, hoffentlich regnet es nicht. Aber kein Problem. Also nochmal danke und dann bis morgen.“

Er gab mir die Hand und ich fuhr nach Hause. Auf dem Heimweg musste ich doch noch einmal darüber nachdenken. Mir wurde bewusst, dass ich durch das viele Training und die Beziehung zu Dustin so gut wie keine Kontakte in meiner Klasse hatte. Gut, bei den meisten Typen aus meiner Klasse war das auch kein Verlust, aber Robert schien nett zu sein. Ich hatte allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm mehr ins Gespräch zu kommen. Ich betrat unsere WG und wurde entsprechend von Dustin bereits erwartet.

„Du kommst spät heute. Wir müssen schon gleich wieder los. War was Besonderes in der Schule?“

Erst danach gab er mir zur Begrüßung einen Kuss.

„Ja, sorry. Robert, ein Klassenkamerad hatte mich angesprochen. Er hat mich gefragt, ob ich ihm in Englisch helfen könnte. Wir schreiben da nächste Woche eine Arbeit und die ist für ihn sehr wichtig.“

„Oh, ganz was Neues. Bislang haben sie dich doch alle mehr oder weniger ignoriert.“

„Nein, das stimmt so nicht. Ich wollte auch nicht unbedingt mit den meisten was zu tun haben. Und Robert war bislang ebenso eher zurückhaltend den anderen gegenüber. Also habe ich zugesagt. Er kommt morgen nach Schule mit hier her. Das stört dich doch nicht, oder?“

Er lächelte.

„Nein, überhaupt nicht. Aber du solltest Martina Bescheid sagen, dass wir Besuch bekommen zum Lernen. Sie kann dann dafür sorgen, dass wir Ruhe haben. Passt mir auch ganz gut, dann kann ich noch für Mathe ein wenig was tun.“

Wir holten jetzt schnell unsere Taschen und machten uns direkt auf den Weg zum Training. Manchmal verfluchte ich diesen Stress. Allerdings war mir das vorher klar gewesen, dass es sehr anstrengend werden würde.

Heute sollten wir auch noch mit Jan trainieren. Da wollten wir auf jeden Fall rechtzeitig dort sein. Als wir eintrafen, stand Maxi schon auf der Terrasse und wartete auf uns.

„Hi Maxi, bist du schon lange da?“, fragte Dustin.

„Hallo ihr beiden. Ja, ich bin schon eine Stunde hier. Heute hatte ich ja nicht so lange Schule. Übrigens, Jan ist schon auf dem Platz und unser Gast auch. Ihr dürft dreimal raten, wer mit uns trainieren wird. Dann wird auch klar, warum wir bei Jan trainieren sollen.“

Jetzt hatte er wieder sein typisches Grinsen im Gesicht. Ich hatte eine Ahnung.

„Sag jetzt nicht, er hat Gilles Simon mitgebracht. Dann können wir uns gleich eingraben. Ich bin von gestern noch angeschlagen.“

„Doch genau das. Und wieso bist du angeschlagen? Wir wollen doch am Wochenende das Turnier rocken.“

Ich erklärte ihm schnell, was gestern vorgefallen war und gleichzeitig machten wir uns auf den Weg in die Umkleide. Wir unterhielten uns weiter über das kommende Training. Dustin blieb die ganze Zeit verdächtig still. Ich konnte sofort erkennen, dass er sehr angespannt war.

Einige Minuten später kamen wir an unserem Trainingsplatz an. Jan war bereits mit Gilles mitten im Training. Wir stellten unsere Taschen ab und warteten bis Jan das Training plötzlich unterbrach und zu uns an die Bank kam.

„Hi. Ihr seid Dustin, Fynn und Maxi, richtig?“

Wir nickten und er gab uns die Hand. Dann rief er Gilles zu uns hinzu.

Die folgende Konversation fand auf Englisch statt. Auch die weiteren Gespräche mit Gilles führten wir in Englisch. Ich gebe sie aber hier in Deutsch wieder.

So langsam stieg meine Nervosität doch etwas an. Immerhin war Gilles die Nummer dreizehn in der Weltrangliste. Gilles begrüßte uns sehr freundlich und Jan machte uns bekannt. Anschließend gab er uns die ersten Anweisungen und los ging das Training. Zuerst machten wir drei uns vernünftig warm und erst dann gingen wir wieder auf den Platz. Jan hatte bereits eine Übung aufgebaut und teilte uns die Aufgaben zu. Gilles spielte sehr gut für uns mit. Das hieß, er nahm sich sehr zurück und immer wieder munterte er uns auf, einfach weiter zu spielen. So merkten wir eigentlich gar nicht, dass das Tempo immer höher wurde. Jan hatte es sehr gut verstanden, uns langsam an die Geschwindigkeit zu gewöhnen.

„Ok, kurze Pause“, rief Jan plötzlich.

Wir hatten gar nicht bemerkt, dass wir bereits zwanzig Minuten voll im Training waren. Ich war entsprechend durstig und nahm einen großen Schluck Wasser. Dustin schaute besorgt.

„Was machen die Beine? Hast du noch Probleme von gestern?“

„Nein, es ist alles ok.“

Jan allerdings stutzte jetzt und fragte nach: „Was für Probleme hattest du gestern?“

Ich erklärte, was passiert war und er nickte dabei.

„Ok, vielleicht solltest du bei Christoph vorbei gehen. Er soll mal ein Blutbild von dir machen. Dann wissen wir, ob du vielleicht bestimmte ergänzende Mittel benötigst. Wenn du heute erneut Probleme bekommen solltest, sagst du bitte direkt Bescheid. Und keine Angst, es hat nichts mit deinem Trainingszustand zu tun. Also sag wirklich rechtzeitig Bescheid.“

Er nahm sein Handy aus der Tasche und kurze Zeit später hatte er für mich einen Termin bei unserem Teamarzt gemacht. Ich sollte gleich nach dem Training dort vorbeikommen.

Das Training verlief richtig gut weiter. Wir lernten allerdings auch, was es tatsächlich heißt, ein Weltklassespieler zu sein. Manchmal schlugen Dustin, Maxi und ich richtig gute Bälle, bekamen die aber schneller um die Ohren zurückgespielt als erwartet. Das beeindruckende daran war die Leichtigkeit, mit der Gilles sich über den Platz bewegte. Nach einer weiteren dreiviertel Stunde kam ich an meine Grenzen. Meine Beine wollten einfach nicht mehr schneller laufen. Maxi hingegen konnte immer noch zulegen und auch Dustin hielt noch gut mit. Bei einer erneuten Pause an der Bank musste ich passen.

„Sorry, aber ich bin platt. Ich spüre meine Beine kaum noch und möchte aufhören.“

Jan schaute mich fragend an, aber lächelte.

„Ist ok. Dafür, dass du gestern schwere Krämpfe hattest, war das richtig gut. Du gehst dich jetzt bitte dehnen und auslaufen. Anschließend gehst du bei Christoph vorbei und lässt dich untersuchen. Bevor du das machst, möchte ich aber schnell einmal deinen Puls haben.“

Ich nickte und nahm mir den Puls. Der Wert war immer noch sehr hoch. Über 165. Jan hatte sich mittlerweile den anderen wieder zugewandt. Eines wusste ich jetzt. Sollte ich jemals das Niveau eines Profispielers erreichen wollen, hatte ich noch sehr viel Arbeit vor mir. Ich teilte Jan den Wert mit und er nahm sofort noch einmal Kontakt mit unserem Teamarzt auf.

Eine knappe Stunde später saß ich bei Christoph Engel, unserem Teamarzt, in der Praxis. Er hatte sich von mir die Sachlage erklären lassen und mich gründlich untersucht. Jetzt nahm er mir noch Blut ab und dann schaute er sich die anderen Ergebnisse an.

„So, Fynn. Jetzt wollen wir mal schauen, was deine Werte sagen. Das Ergebnis der Blutuntersuchung wird bis morgen dauern. Die anderen Werte sind gut, bis auf einen Wert. Der fällt deutlich auf.“

Jetzt wurde ich doch etwas nervös. „Heißt das etwas Gutes oder etwas Schlechtes?“

Er schaute mich an und auf seiner Stirn bildeten sich Falten.

„Ich bin mir gerade überhaupt nicht sicher, was das bedeuten soll. Deine Blutsättigung ist sehr gut und alle Werte sind toll, aber du hast vermutlich einen Belastungspuls von über 180 gehabt. Das ist eindeutig zu viel. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dir sagen, du musst mehr an deiner Kondition arbeiten, aber dafür sind die anderen Werte zu gut. Wir warten die Blutuntersuchung mal ab und dann sehen wir weiter. Kreislaufprobleme hast du nicht?“

„Nein, ist mir jedenfalls noch nie aufgefallen. Auch bei den harten Matches ist alles gut gewesen. Nur eben die Krämpfe gestern waren heftig. Ich hatte als Kind schon mal eine Zeit, wo ich nachts ab und zu Wadenkrämpfe bekam.“

Er hörte mir aufmerksam zu und gab mir ein Rezept mit. Dazu bekam ich von ihm noch eine Erklärung:

„Das ist ein Mineralpräparat, das recht hoch dosiert ist. Bitte genau an die Anweisung halten. Nur morgens und abends eine Tablette nehmen. Morgen möchte ich dich hier wieder sehen, bis dahin sind die Ergebnisse da. Du spielst am Wochenende mit, oder?“

„Ja, auf jeden Fall. Oder darf ich jetzt nicht?“

„Doch, doch. Bislang spricht nichts dagegen. Kannst du morgen direkt nach Schule herkommen?“

Jetzt hatte ich ein Problem. Ich hatte mich doch mit Robert zum Lernen verabredet.

„Ich habe mich mit einem Klassenkameraden zum Lernen verabredet. Ginge es vielleicht abends?“

Er schüttelte den Kopf und bat mich dann: „Bring ihn doch mit und ihr lernt anschließend. Das wird hier nicht lange dauern. Er kann so lange vorne warten.“

So verblieben wir und ich verabschiedete mich von ihm. Etwas nachdenklich verließ ich die Praxis und fuhr zur Anlage zurück. Dustin und Maxi wollten dort auf mich warten.

Chris: Zurück zu den Anfängen

Nachdem ich im Laufe des Vormittags mit Tims Schulleiter telefoniert und die weiteren Maßnahmen abgestimmt hatte, fuhr ich nach der Arbeit jetzt nach Halle. Thorsten wollte mit mir eine Stunde Tennis spielen. Er hatte mich auch zum Essen eingeladen. Das war schon etwas ungewöhnlich, denn eigentlich war er ja sozusagen mein Chef. Es herrschte zwar ein sehr persönliches Klima, aber er trug in vielen Dingen die Verantwortung, insbesondere was die Organisation betraf.

Heute war ein anstrengender Tag im Beruf und ich hatte mich entschieden, die Panigale zu nehmen. Ich wollte den Kopf frei bekommen, bevor ich zum Tennis gehen würde. Ich wählte ein paar kleinere Nebenstraßen und konnte dort die Kurven genießen. Es war immer wieder erstaunlich, wie schnell ich dadurch entspannen konnte.

Als ich den Motor auf dem Parkplatz vom Club abstellte, hörte ich die Auspuffanlage knacken und knistern. Das war bei den Ducatis Marken typisch. Ich nahm den Helm ab und ging mit meinem Rucksack in die Umkleide. Die Kombi war immer etwas schwierig auszuziehen und nahm Zeit in Anspruch. Als ich mir mein Tennisoutfit angezogen hatte, ging ich ins Clubhaus und bestellte mir noch eine Fassbrause. Ich nahm die Flasche und setzte mich für einen Moment auf die Terrasse. Von dort konnte ich die gesamte Anlage überblicken. Nur die Tribünenplätze für die Bundesliga waren nicht einsehbar. Auf den Trainingsplätzen war reger Betrieb. Ansonsten war noch nicht viel los. Die meisten normalen Mitglieder kamen erst später zum Spielen.

„Hallo Chris“, hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme sagen.

Ich drehte mich um und vor mir stand Carlo mit seiner Tennistasche.

„Carlo, wie geht es dir? Ich habe dich schon ein paar Tage nicht gesehen.“

„Danke, es ist alles bestens. Naja, die Schule nervt.“

Dabei grinste er in seiner typischen Art.

„Ok, das beruhigt mich. Dann ist ja wirklich alles im grünen Bereich.“

Dabei lachten wir beide. Er schaute mich allerdings etwas neugierig an.

„Sag mal, spielst du auch Tennis? Du siehst so sportlich aus?“

„Ja, zumindest will ich es mal versuchen. Thorsten hat mich überredet, mit ihm auf den Platz zu gehen.“

„Cool, dann mal viel Spaß. Wir sehen uns bestimmt noch. Ich muss jetzt zum Training.“

Flugs hatte er sich umgedreht und verschwand Richtung Trainingsplätze. Für einen Moment hatte ich Zweifel, ob ich wirklich mit Thorsten auf den Platz gehen sollte. Schließlich hatte ich seit über zwanzig Jahren nur noch zum Spaß gespielt.

Allerdings hatte ich keine Gelegenheit mehr, darüber länger nachzudenken, denn Thorsten kam bereits mit einer großen Tasche bepackt auf die Terrasse.

„Hallo Chris, wie war dein Tag?“, lächelnd gab er mir die Hand.

„Hi Thorsten, danke der Nachfrage. Ich bin zufrieden.“

Er öffnete seine Tasche und holte einen neuen Schläger hervor, den er mir gab.

„Hier, das ist dein Schläger. Probier ihn mal aus. Ich könnte mir vorstellen, dass er für dich ganz gut passt.“

Ich schaute mir das Gerät an und stellte fest: „Das ist fast derselbe Schläger, den ich gespielt habe. Nur vermutlich ein neues Modell.“

Thorsten grinste.

„Cool, Prince ist unser Hauptsponsor und Ausrüster. Das passt ja gut. Dann sollte die Umstellung kein Problem werden. So, ich geh mich schnell umziehen und dann starten wir.“

Hoffentlich würden mich Dustin, Fynn oder Maxi nicht entdecken. Denn dann würden sie sich dieses Schauspiel ganz sicher nicht entgehen lassen wollen. Thorsten kam bald zurück und wir gingen in Richtung Platz zehn. Ein hinterer Platz.

„Wie lange hast du jetzt nicht mehr gespielt?“, fragte mich Thorsten, als er die Balldose mit einem lauten Zischen öffnete.

„Puh, bestimmt ein Jahr nicht mehr.“

Er nahm die Bälle und dann gingen wir ins T-Feld und spielten uns dort vorsichtig die Bälle zu. Ich fühlte mich ein wenig unsicher, aber das Gefühl für den Ball kam schnell zurück. Somit konnten wir lange Ballwechsel spielen. Nach etwa zehn Minuten fragte mich Thorsten:

„Wollen wir an die Grundlinie gehen? Bislang sieht das bei dir gar nicht so schlecht aus.“

„Meinetwegen. Allerdings erwarte nicht zu viel. Ich habe keine Ahnung, wo die Bälle hin fliegen werden.“

Thorsten lachte und wir gingen jeweils an die Grundlinie. Das Spiel entwickelte sich. Thorsten spielte mir die Bälle sehr präzise zu und ich gewann immer mehr Sicherheit. Allerdings nur, so lange ich nicht viel laufen musste. Mir fehlte etwas das Timing. Sehr geduldig spielte Thorsten mir die Bälle zu und das Tempo steigerte sich stetig,

„Lass uns bitte eine Getränkepause machen“, bat ich nach einer Viertelstunde.

Er stoppte den Ball und wir gingen zur Bank.

„Also erzähl du mir noch einmal, du würdest nicht gut spielen. Deine Technik sieht gut aus und in so kurzer Zeit spielst du jedes Tempo mit. Das ist klasse.“

Außer Atem und mit der Wasserflasche in der Hand, japste ich.

„Unsinn, du spielst mir den Ball zu und schonst mich. Wenn du richtig spielen würdest, schaue ich nur hinterher. Aber es macht trotzdem wieder Spaß.“

„Rede nicht so negativ von dir. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir machen ein paar Aufschläge und spielen dann einen Satz. Ich verspreche dir, ich werde richtig spielen. Ich werde zwar vermutlich gewinnen, aber du wirst nicht untergehen. Ganz sicher nicht.“

„Das halte ich doch gar nicht mehr durch, ich bin überhaupt nicht im Training. Wenn ich mehr Pausen machen kann, können wir das ja versuchen.“

Er schlug ein und ich machte einige Aufschläge. Ich traute meiner Schulter nicht. Aber erstaunlicherweise schmerzte sie nicht. Also versuchte ich weiterhin, den Ball locker rein zu spielen.

Der anschließende Satz entwickelte sich zu einem kleinen Fight. Thorsten spielte deutlich schneller, aber ich hatte meinen Rhythmus gefunden und konnte eine Zeitlang mithalten. Immer wieder spielte er mich aus, aber für meine Verhältnisse konnte ich sogar den einen oder anderen guten Ball spielen.

Was mir natürlich nicht aufgefallen war, weil ich so konzentriert war, Maxi, Fynn und Dustin standen staunend am Zaun. Erst als es mir gelang, einen guten Stop zu spielen und Thorsten nicht mehr an den Ball kam, bemerkte ich sie. Sie klatschten anerkennend Beifall.

„Hey, ich dachte, ihr seid beim Training und habt besseres zu tun, als einem Dilettanten zuzusehen“, rief ich ihnen außer Atem zu.

Das nutzten sie, um geschlossen an unsere Bank heranzutreten. „Also wenn das immer so beeindruckend ist, wie ein Dilettant unseren Thorsten über den Platz schickt, dann schaue ich gern weiter zu.“

Das kam natürlich von Maxi mit dem breitesten Grinsen, was man sich vorstellen konnte. Es herrschte eine gelöste Stimmung und was mich wunderte, Fynn war der einzige, der schon umgezogen war.

„Jaja, schon klar. Was ist mit dir, Fynn? Warum bist du schon in zivil?“

Dustin erklärte mir: „Dein Bruder hat ihn vor Ende des Trainings zum Arzt geschickt.“

„Ok, sprechen wir später drüber. Nur ganz kurz, kannst du am Wochenende spielen?“

„Jaja, der Arzt meint, es sei nichts Gravierendes. Er hat mir noch Blut abgenommen und jetzt warten wir auf die Ergebnisse.“

„Ok, wir sehen uns dann übermorgen wieder. Wir müssen weiter spielen, sonst wird Thorsten kalt. Also bis übermorgen dann.“

Die Jungs blieben aber trotzdem noch einen Moment an unserem Platz stehen und verabschiedeten sich dann mit einem kurzen Gruß. Ich war froh, dass sie nicht mehr den Schluss des Satzes mitbekommen hatten, denn meine Kraft ließ deutlich nach und meine Fehlerquote stieg rasant an. Ich war unzufrieden.

„Lass uns Schluss machen“, sagte ich nach dem Ende des Satzes, „ich bin platt und es macht wenig Sinn weiterzuspielen.“

Thorsten war einverstanden, lobte mich allerdings für mein Spiel.

„Dafür, dass du schon so lange nicht mehr gespielt hast, war das doch sehr ordentlich. Was ich aber mal fragen wollte, hast du eigentlich eine Trainerlizenz?“

Ich wusste, dass diese Frage irgendwann kommen musste. Eigentlich wollte ich darüber nicht sprechen, denn ich stand auf dem Standpunkt, die Lizenz war gerade im Freizeitsportbereich nicht wirklich ausschlaggebend. Dort waren für mich andere Qualitäten gefordert als ausschließlich die sportliche.

„Ja, ich habe eine DTB-C-Lizenz. Aber ich habe seit Jahren nicht mehr als Trainer auf dem Platz gestanden.“

„Ok, ich wollte es auch nur mal wissen. Dann lass uns Schluss machen und duschen gehen. Passt auch ganz gut, ich habe nämlich für 19 Uhr einen Tisch bestellt.“

Damit verließen wir den Platz. Wir unterhielten uns noch über unser Spiel und interessanterweise hatte es mir wieder richtig Spaß gemacht. Auf dem Weg zum Parkplatz fragte mich Thorsten:

„Warum hast du eigentlich so lange nicht gespielt? Du hast mal angedeutet, dass du Probleme beim Spielen hattest.“

„Ja, das ist richtig. Ich habe zum Schluss bei jedem Schlag Schmerzen gehabt und mein Neurologe hatte mir eindringlich klar gemacht, dass ich aufhören sollte.“

Er nickte.

„Und wie war es heute? Hast du Schmerzen gehabt?“

„Nein, noch nicht, aber da werden bestimmt morgen genug vorhanden sein.“

Ich musste lachen, denn ich wusste ganz genau, dass mir mein Körper morgen eine Antwort geben würde.

Ich fuhr hinter Thorsten her und bemerkte schnell, wo es hingehen würde. Er hatte einen Tisch im Sportpark Hotel bestellt. Das war ein sehr exklusives Haus mit einem Sternerestaurant. Auf dem Parkplatz standen entsprechend viele teure Fahrzeuge. Mir war das immer zu viel des Guten. Ich brauchte dies nicht. Aber nun gut, Thorsten hatte mich eingeladen, und somit ließ ich mich gern auch einmal verwöhnen.

Nach dem wirklich exzellenten Mahl saßen wir am Tisch und hatten uns einen Espresso bestellt. Wir sprachen noch über die Jungs und die weiteren Planungen. Das kommende Turnier wurde auch besprochen und wann ich dort sein würde.

„So, jetzt möchte ich aber doch noch wissen, was Jan mal damit gemeint hatte, dass du früher auch ein sehr guter Spieler gewesen bist. Warum hast du nicht weiter gemacht?“

Ich musste tief Luft holen, denn das war ein sehr schwieriges Thema für mich.

„Du bist wirklich hartnäckig. Ich wollte das eigentlich nicht mehr auspacken. Aber nun gut. Du hast gefragt, also sollst du eine Antwort bekommen. Aber es bleibt hier am Tisch. Ich möchte nicht, dass die Jungs davon erfahren. Zumindest möchte ich bestimmen, was sie davon wann erfahren.“

„Natürlich, du wirst schon wissen, was du ihnen erzählen möchtest.“

„Also, ich habe genau wie Jan auch, mit sechs Jahren mit Tennis angefangen. Unser Vater war ebenfalls ein guter Spieler für damalige Verhältnisse. Das war Anfang der 70 er Jahre. Tennis war zu diesem Zeitpunkt längst noch nicht der Breitensport wie heute.“

„Ja, das hatte Jan erzählt. Euer Vater hatte euch die ersten Jahre auch trainiert, oder nicht?“

„Richtig, bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr hatte ich keine Trainerstunden bei einem Trainer. Jan und ich waren eigentlich gleich talentiert, hat mein Vater jedenfalls immer gesagt. Allerdings habe ich nicht so bedenkenlos sein können wie Jan. Ich war viel zu nett und weniger ehrgeizig. Gut, ich habe es auch immerhin mit achtzehn bis zur Verbandsliga geschafft, was damals die vierthöchste Klasse in Deutschland war. Jan hatte mit sechzehn aber bereits Oberliga gespielt.“

„Ja, das wusste ich bereits, aber was war der Grund, warum du mit Leistungssport aufhören musstest?“

Ich hatte ein gutes Gefühl bei Thorsten, deshalb wollte ich ihm die ganze Geschichte erzählen.

„Ich bin ständig mit Jan verglichen worden. Mein Vater wollte immer, dass ich ebenso erfolgreich würde wie er. Allerdings war ich eben anders. Heute kenne ich den Grund dafür, aber damals wusste ich das noch nicht. Jedenfalls waren mir echte Freundschaften wichtiger als der Erfolg. Ich habe mich schon damals für die Schwächeren eingesetzt. Es war mir egal, ob einer viel Geld hatte oder nicht. Der Mensch war für mich wichtig. Leider wurde das nicht gesehen, auch in der Schule auf dem Gymnasium nicht. Dazu kam ein großes persönliches Problem, welches ich damals nicht wahrhaben wollte.“

Thorsten hörte aufmerksam zu und stellte kaum Fragen. Er ließ mich erzählen.

„Mit achtzehn hatte ich dann meinen ersten Kontakt mit Alkohol. Heute kaum vorstellbar, dass ein Jugendlicher erst mit achtzehn anfängt Alkohol zu konsumieren. Leider hatte der Alkohol eine fatale Wirkung bei mir. Ich bemerkte, wenn ich etwas getrunken hatte, konnte ich besser lernen, konnte meine Ängste überwinden, verdrängte meine Probleme. Das funktionierte bis zu einem bestimmten Punkt sehr gut. Meine Leistungen waren besser geworden. Ob es daran lag oder an meiner damaligen Freundin, ich kann es heute nicht mehr sagen.“

Ich nahm einen Schluck vom Espresso, bevor ich fortfuhr. Thorsten war sehr still, als ich ihm das bittere Ende erzählte.

„An einem Nachmittag wollte ich mit Sabine, so hieß meine Freundin, nach Löhne in den Tennisclub fahren. Wir wollten dort ein Eis essen. Ich hatte bereits den großen Führerschein und ein schweres Motorrad. Sie hatte noch ein Moped, wollte aber unbedingt selbst fahren. Allerdings hatte ich keine Lust auf sie zu warten und fuhr also schon vor. Tja, und dann sollte nichts mehr so sein, wie es war.“

Obwohl das ganze Geschehen mittlerweile dreißig Jahre zurücklag, wühlte es mich erneut auf. Ich musste einen Moment innehalten.

„Jedenfalls wartete ich dann im Club auf Sabine. Aber sie kam nicht. Damals gab es noch keine Handys, aber ich wusste, dass ihr Moped öfter mal den Geist aufgab. Also fuhr ich zurück, um zu schauen, wo sie stehengeblieben war. Es war leider anders. Als ich auf die Kreuzung zu kam, wo ich hätte abbiegen müssen, stand dort ein Streifenwagen. Die Straße war gesperrt worden. Ich hielt an und fragte den Beamten, was der Grund sei. Ich war damals bereits bei der freiwilligen Feuerwehr und hatte gedacht, vielleicht würde sie deshalb nicht durchkommen.“

Ich konnte es nicht verhindern, aber mein Hals wurde immer enger, je mehr ich erzählte. Thorsten bemerkte das.

„Ich ahne schlimmes. Möchtest du noch etwas trinken?“

„Ja, danke. Eine Fassbrause wäre jetzt gut.“

Er musste lachen.

„Das scheint wohl das neue Getränk zu werden. Mittlerweile muss Martina in der WG auch immer eine Kiste davon einkaufen.“

„Ist ja auch lecker“, grinste ich zurück.

Er bestellte uns zwei Flaschen.

„Was geschah dann?“

„Nun, er sagte mir, dass es einen Unfall gegeben habe und der Hubschrauber gelandet sei. Als ich ihm dann von meiner Freundin mit dem Moped erzählte, wurde er unruhig. Er fragte nach Details und ließ mich dann mit meinem Motorrad bis zur Unfallstelle fahren, bat aber darum, mich bei den Beamten vor Ort zu melden. Jetzt wurde ich doch nervös. Als ich dort eintraf, stand ein 40 Tonnen LKW auf der Straße und der Rettungshubschrauber auf dem Feld neben der Straße.“

Unsere Getränke kamen und ich nahm einen großen Schluck.

„Tja, und als ich dann auf den LKW zuging und mir ein Beamter entgegen kam, sah ich ihr Moped zerfetzt im Graben liegen. Erst jetzt konnte ich die Plane unter dem LKW sehen. Da wusste ich, sie war tot.“

Ich brauchte einen Moment, um mich wieder zu fangen. Dieses Bild wühlte mich unheimlich auf. Auch nach über dreißig Jahren noch. Thorsten schwieg.

„Danach begann für mich ein Albtraum. Ich machte mir Vorwürfe und fing an, mich komplett zurückzuziehen. Ich habe jahrelang mit niemandem über dieses Erlebnis gesprochen. Ich habe es mit Alkohol ertränkt. Ich habe nicht mehr am Leben teilgenommen. Nur nach außen war ich immer noch der nette Junge. Innerlich war ich tot.“

Ich brauchte eine Pause. Es war doch viel heftiger, als ich es gedacht hatte. Thorsten drängte aber auch nicht. Er ließ mir genug Zeit und stellte auch keine tieferen Fragen.

„Tja, und dann kam der 13. Oktober 1990. Das sollte der Tag werden, der mein Leben komplett neu ausrichten würde.“

Jetzt schaute er mich mit geweiteten Augen an.

„Warum? Das war doch fünf Jahre nach diesem tödlichen Unfall.“

„Ja, weil ich an diesem Tag die Chance bekommen habe, komplett neu zu beginnen. Wobei ich eigentlich auch keine wirkliche Wahl hatte. Entweder sterben oder neu beginnen und kämpfen.“

Ich machte eine Pause und dann berichtete ich ihm, was passiert war.

„Ich habe an diesem Abend einen schweren Autounfall verursacht. Ich bin mit ungefähr 90 Stundenkilometern unter einen stehenden Kettenbagger gefahren. Die Kameraden aus Löhne haben über 45 Minuten gebraucht, mich aus dem Trümmerhaufen noch lebend zu retten.“

„Krass. Wie schwer warst du verletzt?“

„Ziemlich schwer. Ich habe erst nach sechs Wochen Koma das Bewusstsein wiedererlangt. Leider hat mein Körper nicht mehr das gemacht, was mein Kopf wollte. Ich musste sprechen, laufen, die ganze Motorik, neu erlernen. Ich habe zwei Jahre im Rollstuhl gesessen.“

Thorsten saß mir vollkommen sprachlos gegenüber und schüttelte leicht seinen Kopf.

„Und du hast danach wieder Tennis spielen können? Wow.“

„Ja, aber es war ein sehr langer und sehr harter Weg. Ich habe diese Chance aber genutzt und mein Leben komplett neu sortiert. Ich habe Therapien gemacht, seit dem Tag keinen Alkohol mehr getrunken und viele Probleme aufgearbeitet. Und ich habe einen neuen Beruf begonnen.“

„Jetzt verstehe ich auch, warum du so großen Wert auf den Umgang untereinander legst. Gerade bei den Kids. Meine Güte, davon hat Jan nie etwas erzählt. Deshalb hast du anschließend nur noch zur eigenen Freude Tennis gespielt.“

„Ja, ich war mir bewusst, mein Körper hatte schwerste Verletzungen davongetragen und ich war einfach nur glücklich, überhaupt wieder laufen zu können. 24 Operationen habe ich bis heute durchstehen müssen. Es ist mir nicht mehr wichtig, ob ich gewinne oder nicht. Es gibt wahrlich wichtigere Dinge, als im Sport Erfolg zu haben.“

„Das ist absolut richtig. Kommt daher auch dein Einsatz für Fynn und Dustin? Sie haben auch viele negative Dinge erlebt. Es ist auffallend, wie schnell es dir gelungen ist, das Vertrauen der beiden zu gewinnen.“

„Naja, vielleicht schon, aber es ist auch noch etwas anderes.“

Thorsten überlegte einen Augenblick und er stellte dann die entscheidende Frage:

„Warum hast du überhaupt mit dem Leben so große Probleme gehabt. Jan war wohl nicht gerade immer nett zu dir. Aber ihr hattet doch eigentlich eine tolle Familie.“

Ich überlegte einen Moment, aber es wurde Zeit, dass es auf den Tisch kam.

„Nun, auch wenn es mir schwer fällt, aber ich bin viele Jahre vor mir selbst geflüchtet. Ich habe mir nicht eingestehen können, dass ich anders bin.“

„Wie meinst du das?“

„Weißt du, Sabine war eigentlich etwas anderes. Sie war meine beste Freundin, aber wir hatten keine Beziehung im eigentlichen Sinne. Ich hatte sie als Alibibeziehung vorgeschoben. Eigentlich war mir schon damals bewusst, dass ich schwul bin. Ich habe allerdings noch zwanzig Jahre gebraucht, das zu akzeptieren.“

Thorsten stellte sein Glas auf den Tisch und schaute mich absolut sprachlos an. Dann fing er an zu lachen. Sehr plötzlich verstummte er allerdings wieder.

„Sorry, es war nicht gegen dich. Ich habe nur jetzt gerade erst begriffen, was für ein Glück wir eigentlich haben, dass du in unserem Team mitarbeitest. Außerdem ist das bislang keinem aufgefallen. Ich bin absolut überrascht und beeindruckt zugleich. Wie geht es dir heute damit? Wie haben deine Eltern darauf reagiert?“

Dieses Gespräch wurde noch sehr intensiv und es war bereits fast Mitternacht, als wir das Lokal verließen. Ich fühlte mich total kaputt und ausgebrannt, aber auch erleichtert. Vielleicht würde es nun einfacher werden, hier gute Arbeit zu leisten.

„Ich möchte mich bei dir für das Vertrauen bedanken. Heute kann ich nachvollziehen, was bei dir alles schiefgelaufen ist. Ich sehe auch deinen Bruder mit etwas anderen Augen. Vor allem, was du mir aus eurer Kindheit berichtet hast, lässt mich nachdenklich werden. Denn eines ist heute klar. Er muss irgendwann eine Veränderung durchlaufen haben. Heute ist Jan jedenfalls nicht so extrem …, wie soll ich das ausdrücken, unsozial. Im Gegenteil, er kümmert sich sowohl um die Mitarbeiter, als auch um die Spieler sehr verantwortungsbewusst.“

Das war sicher richtig, aber damals hatte mir das nicht geholfen.

„Du hast heute sicher recht, aber damals war er anders. Und um das noch klar zu sagen, ich habe als Jugendlicher mehrfach darüber nachgedacht, meinem Leben ein Ende zu setzen, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, von ihm ständig drangsaliert zu werden.“

„Dazu kann ich nur meinen Hut vor dir ziehen, dass du ihm überhaupt eine Chance gegeben hast, sich zu verändern. Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage gewesen wäre. Wir haben ihn ja nur so kennengelernt, wie er heute ist. Von diesen Dingen haben wir nichts gewusst.“

„Es wäre auch gut, wenn du das für dich behalten würdest. Ich möchte nämlich nicht, dass unsere momentan recht ordentliche Beziehung darunter leidet.“

„Selbstverständlich, du kannst sicher sein. Auch alles, was du mir von dir erzählt hast, wird nicht im Team bekannt werden, solange du nicht selbst darüber reden möchtest.“

„Danke, dann würde ich sagen, bis spätestens übermorgen zum Turnier. Ich werde im Laufe des Nachmittags hier auflaufen.“

Wir trennten uns und ich setzte meinen Helm auf und fuhr erschöpft, aber auch erleichtert nach Hause.

Dustin: Wiedergutmachung

Ich war sehr überrascht, als Maxi mir die Information überbrachte, dass Chris mit Thorsten auf einem hinteren Platz Tennis spielen würde. Fynn war gerade vom Arzt zurückgekommen und somit wollten wir uns das anschauen. Maxi hatte nur angeregt, wir sollten vielleicht nicht so direkt an den Platz gehen. Wir standen also etwas abseits vom Platz, konnten das Geschehen aber gut beobachten.

„Hat Chris euch mal erzählt, dass er auch selbst so gut spielen kann?“, fragte Maxi.

Fynn und ich schauten uns fragend an und kopfschüttelnd antwortete Fynn: „Nein, er hat zwar mal gesagt, dass er früher zum Spaß gespielt hätte, aber sonst wüsste ich davon nichts.“

„Also, die Technik hat er und das sieht wirklich sehr ordentlich aus, oder findet ihr nicht?“

„Doch, da hast du sicher recht. Kommt, lasst uns mal mit beiden reden.“

Wir gingen die wenigen Meter zum Platz, als Thorsten und Chris gerade auf der Bank saßen. Wir flachsten ein wenig und ich war wirklich beeindruckt von dem, was ich bei Chris sah. Nach wenigen Minuten verabschiedeten wir uns aber wieder und machten uns, nachdem ich geduscht hatte, auf den Heimweg. Unterwegs redeten wir nicht viel. Ich war müde und auch Fynn schien irgendwelchen Gedanken nachzuhängen. Zu Hause angekommen, packten wir unsere Taschen aus und hängten die nassen Sachen im Keller auf. Endlich hatten wir Zeit für uns und um eine Kleinigkeit zu essen.

Martina war schon gegangen, sie hatte heute ihren freien Abend und so machten wir uns selbst eine Kleinigkeit. Von oben kam leise Musik herunter und Fynn und ich hatten uns gerade mit Maxi in der Küche zum Essen hingesetzt, als Carlo hereinkam.

„Hi, habt ihr vorhin Chris gesehen? Er hatte mit Thorsten gespielt. Wusstet ihr das?“

Wir schauten uns an und Maxi fing sofort an zu lachen und erwiderte: „Nein, aber gesehen haben wir es auch und es sah verdammt gut aus.“

„Echt? Das ist ja cool. Vielleicht spielt er ja auch mal mit uns. Das würde bestimmt lustig werden.“

„Auf jeden Fall würde das lustig werden. Nur glaube ich kaum, dass er das machen wird. Er hat es uns ja auch nicht gesagt, dass er selbst noch spielt. Dafür wird er bestimmt Gründe haben. Auch vorhin sah es so aus, dass es ihm nicht so angenehm war, als wir am Platz auftauchten.“

„Du hast es auch bemerkt, Fynn? Mal abwarten. Vielleicht können wir ja am Wochenende mal mit ihm reden, warum er das so geheim hält.“

Wir redeten noch ein wenig über das kommende Turnier. Carlo und Tim spielten nicht in unserer Klasse. Sie hatten in der B-Klasse gemeldet. Dort wurde nicht um Geld und Ranglistenpunkte gespielt, aber es war dennoch eine gute Gelegenheit, im Rahmen eines großen Turniers zu spielen.

Nach dem Essen verabschiedete sich Maxi in sein Zimmer und wir gingen zu uns. Ich war jetzt allerdings neugierig, was Fynn beim Arzt erreicht hatte. Er berichtete und ich war beruhigt. Es schien nichts Ernstes zu sein und das beruhigte mich.

„Sag mal, Schatz. Stand bei dir nicht noch ein Besuch in der Klinik deines Vaters an? Hast du mit ihm mittlerweile schon gesprochen?“

Ich setzte mich zu meinem Freund auf das Sofa.

„Nein, gesprochen noch nicht. Ich habe einen Brief von ihm bekommen und mit meiner Mutter darüber gesprochen. Ich habe noch keine Entscheidung getroffen. Ich möchte mit dir vorher noch sprechen.“

„Ok, aber warum denn? Es ist doch allein deine Entscheidung. Ich werde kaum das Recht haben, darauf Einfluss zu nehmen.“

„Doch, ich will, dass du mich begleitest, sollte ich mich entscheiden hinzufahren.“

Oha, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.

„Dir ist aber klar, was das dann bedeutet?“

„Ja, absolut. Entweder er akzeptiert dich als meinen Freund oder er kann mir gestohlen bleiben. Meine Mama meinte allerdings, ich sollte ihm vorher die Chance geben, darüber nachzudenken. Sie hat vorgeschlagen, ihm einen Brief zu schreiben oder mit ihm zu telefonieren und ihm diese Bedingung vorher anzukündigen. Er kann dann entscheiden, ob er das will oder nicht. Was denkst du darüber?“

Nach einem Augenblick des Nachdenkens antwortete ich: „Ja, das ist sicher ein guter Vorschlag deiner Mutter. Ich finde, du solltest nicht einfach so hinfahren und gleich mit dem Baseballschläger zuschlagen. Er hat ja anscheinend bereits über einige Dinge nachgedacht.“

Er schaute mich an: „Würdest du denn mitkommen, sollte er bereit sein, uns zu empfangen.“

„Natürlich würde ich mitkommen. Aber lass uns das angehen, wenn du das vorher geklärt hast. Jetzt habe ich noch ein anderes Anliegen.“

„Ja?“

Sein Blick zeigte Verwunderung und Neugier.

„Ich würde mich gerne mal bei Chris für seine Hilfe und stets vorbehaltlose Unterstützung bedanken und würde ihm gern ein Geschenk machen.“

Er legte seinen Arm um mich und es schien so, dass er selbst auch schon diesen Gedanken hatte.

„Ja, das ist eine gute Idee. Das wäre schon lange mal fällig. Was er schon alles für uns getan hat. Ich habe vor ein paar Tagen bereits mal daran gedacht, aber es ist mir wieder aus dem Kopf gefallen. Es war einfach zu viel los. Hast du denn schon eine Idee?“

„Ja, habe ich. Tim hat er ja auch in der Schule geholfen und ich hatte die Idee, wir laden ihn zum Essen ein und geben ihm dann noch ein kleines Geschenk.“

„Also du meinst, wir kochen und er kommt dann zum Essen? Meinst du Tim macht mit?“

„Genau. Ja, mit Tim habe ich schon gesprochen. Er ist einverstanden. Nur über das Geschenk bin ich mir noch nicht im Klaren. Hast du da vielleicht eine Idee?“

„Jetzt wo du es so ansprichst, vielleicht habe ich eine Idee. Was hältst du von ein paar Trainerstunden? Wir könnten ihm ein paar Stunden geben. Dann ist er recht schnell wieder im Spiel und wer weiß, vielleicht spielt er ja dann sogar bei uns in einer Mannschaft.“

„Wie willst du das bezahlen? Training ist teuer.“

„Blödmann, WIR geben ihm die Stunden und wir können ja mal mit Thorsten sprechen. Vielleicht hat er ja eine Idee dazu, ob einer unserer Coaches auch die eine oder andere Stunde geben würde. Und als Abschluss spielen wir mit Chris irgendwo bei einem Turnier dann Doppel.“

„Ja, das ist eine coole Idee. So machen wir das. Wir können ja morgen mal bei Thorsten fragen. Sonst am Wochenende beim Turnier.“

Damit war unser Abend auch schon fast zu Ende. Wir schauten noch eine halbe Stunde fern und gingen dann müde ins Bett. Im Bett erzählte mir Fynn noch von dem Plan mit Robert und dem Termin beim Teamarzt.

Fynn: Ergebnisse

Am nächsten Morgen spürte ich eine steigende Nervosität, je näher der Schulschluss rückte. Der Gedanke, dass mit meinem Körper etwas nicht in Ordnung sein könnte, belastete mich. Vor allem die Ungewissheit belastete mich. Heute hatte mich Dustin bereits mehrfach beruhigen müssen. Die letzte Stunde war angebrochen und ich saß wie auf heißen Kohlen. Immer wieder schaute ich zur Uhr. Endlich Schluss. Ich packte meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg zu meinem Rad. Robert begleitete mich.

„Wir müssen gleich noch beim Arzt vorbei. Ich bekomme dort die Untersuchungsergebnisse. Es wird aber nicht lange dauern.“

Robert nahm das gelassen hin und erwiderte: „Ja, kein Problem. Ich warte solange dann vor der Praxis. Hast du denn Probleme?“

„Nein, nicht wirklich, aber ich bekomme in letzter Zeit häufiger Muskelkrämpfe und mein Trainer hat mich zu unserem Teamarzt geschickt. Gestern haben sie Blut abgenommen und ich bekomme heute die Ergebnisse.“

Mittlerweile waren wir unterwegs und fuhren nebeneinander auf einem gut ausgebauten Radweg.

„Wo hast du eigentlich Dustin heute gelassen? Sonst seid ihr doch ständig zusammen.“

„Er ist bereits nach Hause gefahren. Dustin hatte heute eine Stunde weniger als ich. Warum fragst du?“

„Naja, ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, aber …“

Er zögerte, überlegte wie er sich ausdrücken sollte.

„Ja?“

„Also, es ist mir etwas unangenehm, aber wenn ich dir das jetzt erkläre, habe ich Schiss, dass du sauer wirst und ich mir die Hilfe in Englisch dann woanders suchen muss.“

Dabei machte er nicht den Eindruck, als ob das lustig gemeint war.

„Unsinn, schieß los. Ich werde dich schon nicht auffressen.“

Allerdings hatte ich jetzt plötzlich die Eingebung, er könnte doch auf das Thema „schwul“ zu sprechen kommen.

„Also gut. Ich möchte aber vorab sagen, dass ich es blöd finde, wie über euch zurzeit geredet wird. Deshalb würde ich es am liebsten mit dir besprechen.“

„Meine Güte“, sagte ich mittlerweile etwas genervt, „mach es doch nicht so spannend.“

„Na schön. Momentan wird in der Klasse darüber geredet, ob Dustin vielleicht dein Freund ist und ihr schwul seid.“

Er schaute mich dabei sehr angespannt und sogar ängstlich an. Ich hielt mein Rad an und als er neben mir zum Stehen kam, schaute ich ihm in die Augen.

„Und wenn es so wäre? Wäre das ein Problem?“

Vollkommen sprachlos und überrascht schaute er mich an.

„Ähh, für mich auf keinen Fall. Es gibt sicher ein paar Leute, die das als gefundenes Fressen finden würden. Denen stinkt das nämlich, dass du immer die Erlaubnis hast, bei Turnieren im Unterricht zu fehlen.“

Ich nickte und überlegte einen Augenblick. Robert hatte den Mut gehabt, direkt zu fragen und machte den Eindruck, dass er ehrlich war.

„Gut, lass uns erst zu meinem Arzt fahren. Wir reden dann bei uns darüber weiter. Und ja, es stimmt. Dustin und ich sind zusammen. Wir sind schwul.“

Er lächelte jetzt und seine Reaktion fand ich toll.

„Cool, freut mich für euch. Und danke für dein Vertrauen. Wie gesagt, für mich absolut in Ordnung.“

Zehn Minuten später saß ich bei Christoph wieder in der Praxis. Er hatte mich schon erwartet und ich brauchte nicht lange zu warten.

„Hallo Fynn, hat das mit deinem Klassenkameraden nicht geklappt?“

„Doch, er wollte aber lieber draußen auf mich warten.“

„Ach so, na gut. Dann will ich auch nicht lange herumreden. Deine Ergebnisse sind da und es ist schon eine klare Tendenz erkennbar. Du hast momentan ein recht auffälliges Blutbild. Es führt dazu, dass dein Stoffwechsel nicht optimal ist. Dadurch kann dein Körper die Mineralien nicht ausreichend aufnehmen. Du bekommst jetzt zusätzlich Mineralien und wir werden in den kommenden Wochen weitere Untersuchungen machen, um die Ursache zu finden. Vor allem dem hohen Puls und den Blutdruckwerten müssen wir auf den Grund gehen.“

„Kann das ein ernstes Problem sein? Wird mich das beim Training einschränken?“

„Im Moment ist das noch kein großes Problem. Wenn es nicht schlimmer wird, bekommen wir das gut unter Kontrolle. Also, du trainierst erst einmal genau so weiter und kannst auch Turniere spielen. Ich möchte dich aber jetzt einmal die Woche hier zur Kontrolle der Werte sehen. Außerdem möchte ich dich bitten, dieses kleine Messgerät zu tragen, wenn du beim Training bist. Es zeichnet alle wichtigen Werte auf. Dann kann ich genau sehen, wie sich dein Kreislauf verhält.“

Er gab mir einen kleinen Kasten mit einem Klettgurt. Diesen sollte ich beim Training um die Brust machen. Er gab mir noch ein Rezept für weitere Tabletten mit und damit war dieser Termin eigentlich beendet. Ich hatte aber noch eine Frage:

„Wie sieht das bei diesen Tabletten aus, stehen die auf der Dopingliste? Oder kann ich sie ohne Probleme zu bekommen einnehmen?“

Er fing an zu lachen und klopfte mir auf die Schulter.

„Gute Frage. Ich finde das gut, dass du daran denkst, aber keine Sorge. Es ist nur ein Nahrungsergänzungsmittel. Es ist absolut erlaubt. Sonst würde ich es dir entweder auch sagen oder erst gar nicht verschreiben. Wenn es medizinisch notwendig wäre, würdest du ein ärztliches Attest von mir bekommen. Damit wäre es dann auch in Ordnung.“

Ich bedankte mich für die Erklärung und bekam noch einen neuen Termin in der nächsten Woche, dann verließ ich die Praxis wieder. Robert wartete an unseren Rädern auf mich.

„Na, alles in Ordnung? Ich hoffe, es gibt keine ernsten Probleme für dich?“

„Danke, nein. Es ist alles soweit ok. Ich soll nur regelmäßig zur Kontrolle kommen, damit herausgefunden werden kann, was die Ursache ist. Bislang gibt es keinen Grund zur Besorgnis.“

Ich schloss mein Rad auf und nach weiteren zehn Minuten Fahrt, kamen wir an unserer WG an. Die Räder stellten wir in die Garage und betraten unten die Wohnung. Es roch nach Essen und da fiel mir ein, ich hatte vergessen, Martina Bescheid zu geben, dass Robert heute nach der Schule mitkommen würde. Sie war bereits in der Küche und bereitete das Essen vor. Dustin kam aus unserer Wohnung und grinste mich an. Als ich die Küche betrat, begrüßte mich Martina.

„Hallo Fynn. Habt ihr Hunger mitgebracht? Ihr könnt euch gleich hinsetzen.“

Irritiert ging mein Blick auf den Tisch. Dort war für drei Personen gedeckt. Robert stand auch schon in der Tür und wollte sich vorstellen, als Martina ihm zuvor kam.

„Hallo, du musst Robert sein. Dustin hat dich schon angekündigt. Also setzt euch. Geht jetzt los.“

Sie stellte die leckeren Sachen auf den Tisch und ich setzte mich neben meinen Freund, Robert saß uns gegenüber und ich gab meinem Freund einen Kuss zur Begrüßung. Das wiederum führte bei Dustin dazu, dass er mich entgeistert ansah. Ich fing an zu lachen und auch Robert grinste.

„Keine Panik Schatz, Robert hat herausgefunden, dass wir zusammen sind. Also können wir uns auch offen zeigen.“

Spontan klatschte Martina Beifall.

„Wurde auch langsam mal Zeit. Ist doch traurig, dass es heutzutage immer noch ein Tabu ist. Ihr seid jung und gerade da sollte man eigentlich meinen, dass Homosexualität als etwas Normales gesehen wird.“

Robert erzählte von den Geschehnissen aus der Schule und Dustin und mir wurde bewusst, es wäre das Beste, ab sofort offen damit umzugehen. Wer damit nicht klarkam, musste damit leben. Robert bestätigte uns darin. Er war der Meinung, dass der größte Teil der Klasse damit gut umgehen würde. Es störte sie eigentlich nur, dass wir uns nicht offen zeigen würden. Ein paar aus unserer Klasse hatten das Gefühl, ich würde sie meiden.

„Wie soll ich denn jetzt damit umgehen?“, fragte ich Robert.

„Am besten verhaltet ihr euch so, wie ihr das sonst zu Hause auch macht. Letztlich haben es die meisten eh schon geahnt. Ich bin mir sicher, die Klasse wird Dustin genauso akzeptieren wie dich. Du musst nur endlich aufhören, dich vor uns zu verstecken.“

Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet. Ich hatte meine Klasse wohl unterschätzt. Mal sehen, ob Robert Recht behalten würde.

Mit dieser neuen Lage wurde das Lernen mit Robert ein voller Erfolg. Ich konnte ihm viele Fragen erklären und er fühlte sich anschließend viel besser vorbereitet für die Arbeit.

Nachdem er sich verabschiedet und angekündigt hatte, sollte die Arbeit erfolgreich verlaufen, wollte er uns zu einem schönen Abend einladen, stand ich allein am Fenster und schaute nach draußen. Es war bereits dämmrig geworden. Da fiel mir ein, ich musste heute noch fünf Kilometer laufen laut Trainingsplan. Große Lust hatte ich allerdings nicht. Egal, es half ja nichts. Ich zog mich schnell um und wollte schon los, als mein Freund zurück kam.

„Was hast du denn noch vor? Heute ist doch trainingsfrei.“

„Für dich vielleicht, ich muss noch laufen gehen.“

„Oha, warte bitte. Ich komme mit. Dann macht es bestimmt mehr Spaß.“

Das freute mich natürlich umso mehr, denn ich wusste mittlerweile, dass Dustin die Streckenläufe nicht sonderlich mochte. Ein paar Minuten später liefen wir wortlos nebeneinander durch den Wald. Es gab dort verschiedene Strecken, die unterschiedlich lang waren. Wir kannten sie mittlerweile alle.

Auf einer Lichtung machten wir unsere Übungen gemeinsam und eine kleine Pause.

„Hast du dich schon entschieden, wie das mit deinem Vater weitergehen soll?“

„Ja, ich habe vor, ihm einen Brief zu schreiben und ihm darin ein paar Dinge mitzuteilen. Auch was uns betrifft. Dann kann er entscheiden, ob er bereit ist, sich zu verändern und uns zu akzeptieren oder nicht.“

„Das ist eine gute Entscheidung. Und ich verspreche dir, sollte er sich für dich entscheiden, dann werde ich dich in die Klinik begleiten.“

Dabei lächelte er mich an. Es war ein gutes Gefühl zu spüren, dass mir mein Freund den Rücken stärkt und meine Entscheidungen respektiert. Ich umarmte ihn zum Dank und gab ihm einen Kuss.

„Du schmeckst salzig“, sagte ich lachend.

„Ach ja, und du riechst nach Schweiß.“

Jetzt mussten wir beide laut lachen und es dauerte einen Augenblick bis wir weiterlaufen konnten.

Der nächste Tag war der letzte vor dem großen Turnier auf der eigenen Anlage. Wir hatten entschieden, uns erst nach dem Turnier in der Schule zu outen. Den Stress wollten wir nicht vor dem Turnier haben. Robert hatte ich das an diesem Morgen auch erklärt.

Nachmittags stand also noch ein Abschlusstraining an. Thomas hatte uns wieder mit Maxi und Gilles zusammengetan. Jan leitete das Training. Für uns war es heute nicht so anstrengend. Es ging mehr um Matchpraxis. Jeder von uns durfte einen Satz gegen Gilles spielen. Parallel spielten die beiden anderen gegeneinander.

Nach dem Training sollte bereits die Auslosung stattfinden. Da wollten wir dabei sein. Jan hatte uns aber noch zu einer Besprechung gebeten, die im Büro stattfinden sollte. Dort saßen wir bereits frisch geduscht und warteten auf Jan und Thorsten.

„Hast du eine Ahnung, worum es gehen wird? Haben wir irgendetwas angestellt?“, fragte Dustin mich ein wenig angespannt.

„Nein, aber ich habe kein schlechtes Gewissen. Also warten wir mal ab, was kommt.“

In diesem Moment kam Thorsten mit Jan herein. Thorsten hatte seine Mappe dabei und Jan einen Laptop.

„So“, begann Thorsten, „ich möchte mit euch nur ganz kurz etwas organisatorisches besprechen. Ich habe mit unserem Hauptsponsor gesprochen, Prince wird euch ab sofort komplett ausrüsten. Sowohl mit Kleidung, als auch mit Schlägern und Saiten. Ihr müsst also nichts mehr aus eigener Tasche finanzieren. Dieser Vertrag geht erst einmal über ein Jahr. In diesem Jahr werden auch alle Reisekosten übernommen. Ihr könnt euch also auf den Sport konzentrieren.“

Das war jetzt aber eine riesige Überraschung. Damit hatte ich absolut nicht gerechnet.

„Und was müssen wir dafür tun?“, fragte Dustin misstrauisch.

Thorsten lachte.

„Keine Angst, ihr müsst keine schlimmen Sachen machen. Lediglich möchte Prince, dass ihr die Sachen bei Turnieren und Training auch tragt. Dass ihr euch entsprechend unseren Regeln verhaltet, ist eh klar und muss nicht extra erwähnt werden. Die möglichen Preisgelder werden wie bisher verteilt. Also ab einer Höhe von 500 Euro geht es in die Teamkasse, alles was darunter bleibt, könnt ihr behalten. Das gilt auch weiterhin für ein Jahr. Sollte sich abzeichnen, dass ihr innerhalb des Jahres deutlich mehr Gelder gewinnt, setzen wir uns erneut zusammen und besprechen das. Habt ihr dazu Fragen?“

Wir schauten uns an und schüttelten den Kopf, obwohl mir doch noch etwas einfiel.

„Wie bekommen wir die Sachen? Ich gehe mal davon aus, dass wir bereits bei unserem Turnier die Sachen tragen und benutzen sollen.“

„Gut mitgedacht. Das erklärt euch Jan gleich. Sonst noch Fragen?“

„Ja, ich habe noch etwas. Am übernächsten Wochenende habe ich vermutlich einen Termin in der Klinik, in der mein Vater zurzeit ist. Ich möchte deshalb an diesem Wochenende kein Turnier einplanen. Das gilt auch für Dustin. Er soll mich begleiten, sollte ich dort hinfahren.“

Thorsten machte sich eine Notiz und antwortete: „Kein Problem. Ich finde das eine gute Idee. Sagst du mir bitte Bescheid, wenn das entschieden ist. Wir werden also erst einmal keine Anmeldungen für das Wochenende machen. –Jan, ich bin soweit durch mit meinen Sachen. Du kannst weiter machen.“

„Gut, also ich habe auch nur Kleinigkeiten. Am kommenden Turnier wird auch der WTV mit seinem gesamten Kader teilnehmen. Herr Listen wird natürlich auch hier sein. Genau wie einige andere Landesverbände auch. Ich möchte euch bitten, verhaltet euch so wie immer. Wenn es Probleme mit Listen geben sollte, möchte ich sofort eine Information haben. Was ich nicht möchte, dass ihr mit ihm in einen Konflikt geht. Lasst euch nicht provozieren. Das wird unsere Aufgabe dann werden. Ich werde das gesamte Turnier anwesend sein und auch als Coach aktiv sein. Gilles wird ebenfalls als Trainingspartner zur Verfügung stehen. Den genauen Ablaufplan bekommt ihr morgen nachdem die Auslosung war. Ich werde den gleich noch mit Thorsten, Thomas und Burghard erstellen. Habt ihr noch Fragen?“

„Warum denkst du, wird es mit Listen Probleme geben? Dustin hat doch nichts mehr mit ihm zu tun?“

„Genau deshalb. Er wird euch immer wieder provozieren. Er hat Probleme mit Menschen, die nicht das machen, was er für richtig hält. Also sollte etwas vorfallen, dann kommt bitte zu Thorsten oder mir. Dann sehen wir weiter.“

„Du magst ihn auch nicht, oder?“, fragte Dustin jetzt.

„Nein, ich habe auch schon einige Dinge mit ihm erlebt. Er ist halt ein Arschloch. Denkt nur an den eigenen Vorteil und wie er gut dastehen kann. Ich hasse solche Leute, die auch noch in verantwortlicher Funktion sind. Viel schlimmer ist allerdings, dass es die Funktionäre im Verband immer noch nicht geschnallt haben.“

Damit hatte Jan sicher recht. Das hatte ich auch bis heute nicht verstanden, denn der WTV hatte schon längere Zeit keinen guten Spieler mehr hervorgebracht. Thorsten beendete das Gespräch und dann gingen wir mit Jan noch unsere neuen Sachen abholen. Wir bekamen wirklich alles neu. Von genügend neuen Schlägern bis hin zu Schweißbändern. Überall war das Logo des Herstellers gut sichtbar. Auf den Trainingsanzügen und Schutzkleidung war das Team-Logo aufgedruckt. Wir hatten allerdings das Problem, dass wir das nicht alles transportieren konnten.

Jan hatte eine Lösung dafür parat.

„Nehmt die Schläger und das mit, was ihr jetzt transportieren könnt. Den Rest holt ihr im Laufe der nächsten Tage. Hier kommt niemand ohne Schlüssel rein. Meldet euch bei uns, wenn ihr hier rein möchtet.“

„Super, danke.“

Wir nahmen uns für die ersten Spiele Sachen mit und bedankten uns noch einmal für diese tolle Unterstützung. Das entlastete erheblich unsere Finanzen. Wir mussten uns nichts mehr selbst kaufen.

Chris: Ein Turnier mit neuen Perspektiven

Heute war der erste Turniertag. Ich hatte sogar Teamkleidung dafür bekommen. So langsam hatte ich wirklich das Gefühl dazuzugehören. Und was ich erstaunlich fand, es gefiel mir sogar. Hätte ich mir nie vorstellen können, ein Teil des Teams zu sein, das von meinem Bruder geleitet wurde.

Zuerst führte mich mein Weg ins Turnierbüro. Dort saß Thorsten mit drei weiteren Leuten aus der Turnierleitung und sie studierten die Spielpläne. Ich begrüßte sie alle der Reihe nach und Thorsten griff aus einem Regal hinter sich eine Mappe.

„Hier, das ist für dich. Das Tablet ist ab sofort dein Arbeitsgerät. Damit bist du immer mit den aktuellsten Plänen versorgt. Und für die Zukunft kannst du immer und überall auf die gesamte Datenbank des Teams zugreifen.“

Das war sehr praktisch. Allerdings war ich doch verwundert, denn ich war ja nur ein Teilzeitmitarbeiter. Egal, für das Turnier würde das sehr praktisch sein. Ich nahm die Mappe und das Tablet und wollte schon wieder gehen, denn das Büro war voll mit Leuten. Die ersten Trainer wollten die Turnierinformationen haben und einige fragten nach Trainingsplätzen und Zeiten.

„Chris, warte bitte einen Augenblick. Ich habe da noch eine Sache.“

„Ok, am besten, ich gehe erst einmal nach draußen. Hier ist es etwas eng geworden.“

Ich ging schnell in den Clubraum und holte mir etwas zu trinken. Das hieß, ich wollte mir etwas zu trinken holen, musste aber feststellen, dass ich meine Brieftasche zu Hause vergessen hatte. Toll, der Tag fing ja gut an.

Ein paar Minuten später stand ich erneut im Büro. Es war gerade etwas leerer geworden.

„So, Chris. Jetzt habe ich etwas Luft. Komm bitte mal kurz mit.“

Wir verließen das Büro und ich folgte ihm in einen Raum, der eigentlich sonst für die Geschäftsstelle genutzt wurde. Es standen dort einige Taschen mit Zetteln daran. Auf einer Tasche stand mein Name. Thorsten nahm die Tasche und reichte sie mir.

„Hier, da ist alles drin was du brauchst. Ein Ausweis mit dem du überall reinkommst und eine Karte für Spesen. Du brauchst also nur die Karte an der Theke abzugeben und es wird damit auf das Teamkonto gebucht. Außerdem sind hier noch Unterlagen drin, die dir Informationen zu den Spielern geben. Also du kannst auch den Jungs etwas davon geben. Dann können sie sich auch selbst auf den Gegner ein wenig vorbereiten.“

„Cool, danke. Das ist ja richtig professionell. Ich habe da noch eine Frage. Kann ich wohl heute einen Deckel machen? Ich habe meine Brieftasche in der Eile zu Hause vergessen.“

Thorsten lachte auf.

„Kannst du sicherlich machen, aber brauchst du eigentlich nicht. Du kannst alles über die Spesenkarte abrechnen.“

„Ok, danke. Gibt es sonst noch etwas?“

„Ja, eine Sache habe ich noch. Es geht um Tim, Alex und Carlo. Sie spielen in der B-Klasse mit. Allerdings ist Burghard mit Maxi und Lennart beschäftigt. Es wäre gut, wenn du auch mal ein Auge auf die drei hättest.“

„Klar, kein Ding. Dann werde ich jetzt mal den Turnierplan studieren und mit den Jungs ihre Gegner und ersten Spiele vorbereiten.“

Er gab mir die Hand und verschwand wieder im Büro. Jetzt wollte ich mir aber endlich etwas zu trinken besorgen. Ich bestellte mir eine Fassbrause und gab der Wirtin meine Karte. Sie verbuchte es und ich ging nach draußen. Dort begegneten mir Maxi, Dustin und Fynn. Wie immer im Dreierpack.

„Hallo Chris“, begrüßte mich Fynn.

Ich gab den drei Jungs die Hand.

„Hast du schon die Auslosung gesehen?“, fragte mich Maxi.

„Klar, aber ich habe noch nicht genau geschaut, wann ihr gegen wen spielen müsst. Soweit bin ich noch nicht gekommen.“

„Ich darf gleich gegen Marius Schnittker spielen. Die Nummer eins im WTV.“

Ich schaute Maxi an und sah sein Grinsen. Genau wie Dustin und Fynn schien er sich auf das Match zu freuen. Mir gefiel das zwar nicht, aber das wollte ich jetzt nicht zeigen.

„Ihr scheint euch ja sicher zu sein, dass Maxi ihn gleich nach Hause schicken wird.“

„Genau das ist der Plan. Fynn hat auch eine lösbare Aufgabe. Steffen Huber aus Kaiserslautern ist sein Gegner. Ich spiele gegen jemand aus Niedersachsen. Den kenne ich aber überhaupt nicht. Kolja Kleemann heißt er. Sagt dir das etwas?“

„Nein, Dustin. Kenne ich auch noch nicht. Aber ich habe von Thorsten Unterlagen bekommen. Ich werde gleich mal nachschauen. Wisst ihr schon, wann ihr dran seid?“

Maxi hatte wie so oft den Überblick.

„Ich muss wohl gleich als erster ran. Dustin spielt das dritte Match auf Platz vier und Fynn hat das zweite Match auf dem Center Court.“

„Center Court? Wow, gleich das volle Programm. Da wollte Thorsten dem Lokalmatador wohl gleich etwas Gutes tun.“

Fynn schien das gar nicht so recht zu sein, denn er rollte die Augen und Dustin schlug ihm auf die Schultern.

„Klar, er ist ja auch eine Augenweide. In jeglicher Hinsicht.“

Jetzt schaute ich Maxi an und wir brachen in schallendes Gelächter aus. Fynn wurde knallrot und Dustin hatte erst gar nicht begriffen, warum wir so lachen mussten. Erst, als Maxi ihm das erklärt hatte, fing auch er an zu lachen.

„Aber es stimmt doch, was ich gesagt habe.“

„Ja“, lachte ich immer noch, „aber ob die anderen ihn auch mit deinen Augen so sehen, wage ich zu bezweifeln.“

Jetzt setzte Fynn noch einen oben drauf.

„Das will ich sogar hoffen. Schließlich bin ich Dustins Freund und nicht mehr zu haben.“

Wir lagen uns fast Tränen lachend in den Armen und es dauerte einen Augenblick, bis wir uns wieder beruhigt hatten.

Ich hatte währenddessen überhaupt nicht bemerkt, dass wir von einer kleinen Gruppe Spieler beobachtet wurden. Erst, als ich sie ansah, drehten sie sich weg und gingen in eine andere Richtung. Sie hatten alle Trainingsanzüge des WTV an. Ich bekam eine Ahnung, dass wir hier noch die eine oder andere Situation bekommen würden, die nicht ohne Probleme ablaufen sollte.

Maxi begann sich aufzuwärmen und mit den Vorbereitungen für sein Match. Er war als erster von unseren Jungs dran. Allerdings hatte ich unsere jüngeren Spieler noch nicht begrüßt. Das musste ich unbedingt machen. Ich gab Maxi ein Zeichen, dass wir unmittelbar vor dem Match noch über den Gegner sprechen würden.

Fynn und Dustin gingen sich einmal umschauen und ich suchte Tim, Carlo und Alex. Wie nicht anders zu erwarten, fand ich sie an der Ballwand. Dort hatten sie sich wieder irgendein neues Spiel ausgedacht und tobten herum. Da konnte man einfach erkennen, dass sie noch deutlich jünger waren. Ich fand es gut.

„Hi Chris“, begrüßte mich Tim strahlend. „Bist du das ganze Turnier bei uns?“

„Hallo Jungs. Ja, ich werde das ganze Turnier hier sein. Allerdings nicht nur für euch, sondern für alle. Wann geht es für euch los?“

Carlo antwortete: „Wir haben noch etwas Zeit. Unsere Konkurrenz beginnt erst ab 17 Uhr.“

„Ah, ich verstehe und deshalb testet ihr noch mal schnell, ob die Wand stabil ist.“

Für einen Augenblick stutzten sie, brachen dann aber in schallendes Gelächter aus. Carlo erwiderte: „Wow, der war gut. Ja, irgendeiner muss ja dafür sorgen, dass sie geprüft wird.“

„Stimmt, es gibt kein besseres Testteam als euch. Dann mal viel Spaß noch. Ich muss jetzt mit Maxi das Match vorbereiten.“

„Wo spielt er denn?“, wollte Tim jetzt wissen.

„Auf Platz vier gegen Schnittker.“

„Cool, wir kommen auch gleich.“

Damit verließ ich unseren „Kindergarten“ und traf Maxi beim Seilspringen. Er unterbrach das Aufwärmen für ein kurzes Strategiegespräch. Da er den Gegner kannte, brauchten wir nicht lange zu reden. Somit konnte er sich schnell wieder auf sein Aufwärmen konzentrieren.

Ich beobachtete derweil seinen Gegner. Listen sprach wie immer sehr eindringlich auf ihn ein und machte klare Vorgaben, wie er zu spielen hatte. Ich staunte immer wieder darüber, dass sich die Spieler derart bevormunden ließen. Mal sehen, ob es Maxi gelingen würde, den Spitzenspieler des Verbandes gleich in der ersten Runde auszuschalten. Freuen würde es mich schon. Allerdings hatte ich kein Problem damit, sollte es Marius mit sportlichen Mitteln schaffen zu gewinnen, ihm auch zu gratulieren. Ich stellte mich wie immer in eine Ecke des Platzes und wartete auf die beiden Spieler.

Auffallend war auch, dass sich die Spieler des WTV auf mehrere Stellen am Platz verteilten. Listen stand schon hinter der Bank, als die Spieler eintrafen. Während des Einschlagens hatte ich noch Gelegenheit kurz mit Maxi zu sprechen.

„Lass dich nicht von den anderen beeindrucken und schon gar nicht provozieren. Du bist der bessere Spieler und hast die Möglichkeiten, ihm seine Grenzen aufzuzeigen.“

„Ja, aber es nervt einfach, wenn du weißt, dass sich Listen wie immer nicht an die Regeln halten wird.“

„Bleib ruhig. Ich werde es mir genau ansehen und sollte er tatsächlich den Fehler erneut machen, sich nicht an die Regeln zu halten, wird er hier sein blaues Wunder erleben. Konzentriere du dich nur auf dein Spiel und alles andere ist mein Job.“

Er lächelte mich an und da wusste ich, er würde sich auf mich verlassen. Genau das sollte er auch tun. Seine Aufgabe war es Tennis zu spielen, alles andere lag bei mir.

Ich spürte bereits eine leicht steigende Anspannung bei mir, als Dustin und Fynn zu mir kamen. Sie stellten sich neben mich und erstaunlicherweise zeigten sie ganz offen, dass sie ein Paar waren.

Das Match begann und Maxi zeigte gleich, wo es lang ging. Sein Gegner lag schnell mit 3:0 zurück und Listen war schon beim zweiten Seitenwechsel mit dem Spieler verbotenerweise im Gespräch. Unfassbar mit welcher Dreistigkeit sich Listen nicht an die Regeln hielt. Als das Spiel wieder begonnen hatte, ging ich zu Listen.

„Entschuldigung, Sie wissen, dass es nicht erlaubt ist zu coachen. Also wäre es nett, wenn Sie sich auch wie alle anderen daran halten würden.“

„Ich weiß, was erlaubt ist und was nicht. Das müssen Sie mir nicht erklären.“

Das kam in einer Art rüber, dass mir sofort klar wurde, hier würde es heute zu Konflikten kommen. Ich ging nur etwa zwei Meter weg, um genau zu verfolgen, was beim nächsten Seitenwechsel passierte. Es dauerte aber gar nicht bis zum Seitenwechsel, denn Listen mischte sich immer wieder in das Spiel ein.

Die absolute Frechheit war dann, als er einen Ball einfach ausgab. Sein Spieler tat genau das, was von ihm verlangt wurde und gab den Ball aus. Maxi regte sich immer mehr auf und das Spiel drohte zu kippen. Ich beschloss jetzt, zum Angriff überzugehen.

„Herr Listen, wenn Sie sich jetzt nicht sofort aus den Match heraushalten, werden ich den Oberschiedsrichter holen und dafür sorgen lassen, dass Sie den Platz verlassen müssen. Ist das klar?“

Ich war richtig wütend und ließ ihn das auch spüren. Mit einem hämischen Grinsen drehte er sich wortlos um. Natürlich machte er unbeeindruckt weiter. Ich beruhigte Maxi immer wieder und schickte Fynn los, Antonius zu holen. Antonius Luig war der Oberschiedsrichter und hatte sehr genaue Vorstellungen von sportlicher Fairness. Wir kannten uns schon über zwanzig Jahre. Es dauerte auch nicht lange und Antonius kam mit Fynn an den Platz. Natürlich begrüßte er mich nicht, denn er war ja neutral. Also beobachtete er einige Minuten das Geschehen. Maxi wurde immer unruhiger, weil nichts passierte. Er hatte schwer mit seinen Nerven zu kämpfen. Der erste Satz stand vor der Entscheidung und beim Stand von 6:5 für Maxi, machte Listen den entscheidenden Fehler. Er redete erneut auf Marius ein. Antonius ging ruhig auf Listen zu.

„Herr Listen, ich verwarne Ihren Spieler jetzt wegen unerlaubten Coachings. Außerdem verweise ich Sie vom Platz. Bitte entfernen Sie sich vom Zaun.“

Es gab noch eine kleine Diskussion und dann wurde Antonius sehr bestimmt.

„Entweder Sie halten sich jetzt sofort an die Anweisungen oder ich werde Ihren Spieler disqualifizieren. Das ist ganz allein Ihre Verantwortung.“

Das zeigte Wirkung. Sowohl bei Listen, als auch bei seinem Spieler. Denn Marius verlor völlig den Faden und Maxi gewann den Satz mit 7:5 und den zweiten Satz mit deutlich mit 6:1. Damit war der beste Spieler vom WTV bereits aus dem Turnier.

Viel besser noch gefiel mir allerdings, mit welcher Bestimmtheit Antonius durchgegriffen hatte.

Nach dem Match stand ich mit Fynn und Dustin zusammen, um auch ihr Match vorzubereiten. Allerdings kam Maxi einige Minuten nach seinem Match zu uns.

„Glückwunsch“, sagte Fynn zu Maxi und umarmte ihn sogar. Maxi erwiderte die Umarmung und bedankte sich für die Unterstützung. Das fand ich eine ganz tolle Geste von ihm.

„Boah, Chris. Dieser Listen geht echt gar nicht. So was ist Cheftrainer in einem Verband. Das kann nicht sein.“

„Ruhig, Maxi. Du hast ja recht, aber wir werden es nicht ändern. Ich werde gleich noch einmal mit dem Antonius sprechen. Hoffentlich wird es in diesem Turnier keine weiteren Probleme mehr geben.“

Fynn gab einen bissigen Kommentar ab: „Das glaubst du doch nicht wirklich. Der Typ ist so dumm, der merkt es nicht mal, dass er im Unrecht ist. Vielleicht sollte man dem Verband mal einen Bericht schicken.“

Ich schaute Fynn an und fand, das war keine schlechte Idee.

„Du bringst mich damit auf eine Idee. Genau das werden wir auch machen. Ich werde mit Antonius und Thorsten mal sprechen. Das kann so nicht weitergehen.“

Der weitere Verlauf des ersten Turniertages war weniger aufregend. Unsere großen Jungs gewannen alle ihre Erstrundenspiele. Ich hatte also jetzt ein wenig Zeit, mich mal mit Thorsten und Antonius zu unterhalten.

Eine Sache war mir noch aufgefallen. Die WTV Spieler mieden Dustin und Fynn ganz offensichtlich. Allerdings waren sie auch die einzigen Spieler, die sich so abweisend verhielten. Alle anderen Spieler hatten sich recht schnell daran gewöhnt, dass die beiden ein Paar waren. Und dass sie eines waren, zeigten sie auch sehr deutlich. Sie hatten ihre Angst und Zurückhaltung aufgegeben. Das gefiel mir viel besser als die guten Spielergebnisse.

Carlo kam mir mit seiner Tasche über der Schulter entgegen.

„Kommst du gleich auch mal bei mir vorbei? Ich muss jetzt spielen.“

„Natürlich komme ich vorbei. Bist du gut drauf?“

„Ja, ich hoffe nur, dass mein Gegner nicht so stark ist. Ich kenne ihn überhaupt nicht.“

„Das wirst du sicher gleich merken. Außerdem sieh es doch positiv. Sollte er richtig gut sein, dann bekommst du ein gutes Match und kannst etwas lernen. Also setz dich nicht unter Druck. Bleib entspannt und locker.“

„Das sagst du so einfach, aber du hast ja recht. Ich schau mal was passiert. Ach, da fällt mir ein, Thorsten hat mich gebeten, dir auszurichten, dass du bitte mal im Büro vorbeikommst.“

Fünf Minuten später betrat ich das Büro, was jetzt als Turnierbüro fungierte. Thorsten saß hinter dem Schreibtisch und vor ihm stand eine Reihe von Spielern, die entweder Ergebnisse abliefern oder Informationen über den weiteren Ablauf haben wollten. Burghard saß neben ihm und unterstützte ihn. Ich hielt mich daher im Hintergrund. Als es nach einigen Minuten ruhiger wurde, widmete sich Thorsten mir.

„Hi Chris. Schön, dass du hergekommen bist. Läuft ja gut für unsere Jungs.“

„Ja, die Ergebnisse sind gut. Leider habe ich noch nicht alle sehen können.“

„Ich weiß, allerdings wird das ab morgen wieder besser sein. Tut mir leid, wenn du heute etwas Stress hattest. Morgen sind alle Coaches wieder an Bord.“

Das freute mich, denn ich hatte schon manchmal das Gefühl, nicht allen Spielern gerecht werden zu können.

„Was anderes, es hat eine Beschwerde gegen dich gegeben.“

Er sagte das mit einer ernsten Miene und das irritierte mich. Mir war keine Situation bewusst, in der ich mich nicht korrekt verhalten hätte.

„So? Was habe ich denn verbrochen?“

Er überlegte einen Augenblick.

„Du hast dem geheiligten Cheftrainer des WTV die Arbeit vermiest und dafür gesorgt, dass er schlechte Laune hat.“

Diese Aussage führte bei uns allen zu einem Lachanfall. Und sogar Antonius lachte mit uns.

„Ich würde sagen, dann habe ich ja ein gutes Werk getan. Schlechte Laune tut ihm mal gut. Sonst verbreitet er die ja immer.“

„Hey Chris“, grinste mich Burghard an, „du hast ja richtig Humor.“

Thorsten stand von seinem Platz auf und kam um den Tisch herum nach vorn. Er legte Antonius und mir einen Arm um die Schulter und führte uns nach draußen.

„So, wir müssen noch einmal über diese Sache mit Listen sprechen. Ich bin nicht länger bereit, dem tatenlos zuzusehen. Antonius hat mir schon berichtet. Ich glaube wir sollten jetzt dem Verband mal etwas Druck machen.“

„Ich bin sofort deiner Meinung, aber wie stellst du dir das vor? Die Holzköpfe beim Verband merken doch eh nichts.“

Thorsten fing an zu lächeln und auch Antonius zeigte sich amüsiert ob meiner Aussage.

„Naja“, begann Thorsten, „wir sind Veranstalter und damit haben wir auch die Pflicht, für die korrekte Einhaltung der Regeln zu sorgen. Da haben wir auch das Recht, in Absprache mit dem Oberschiedsrichter Strafen zu verhängen. Ich habe die Idee, bei der nächsten Entgleisung von Listen, ihn von diesem Turnier auszuschließen. Die Betreuung seiner Spieler muss dann einer seiner Assistenten übernehmen. Vielleicht wachen die Funktionäre dann ja auf und melden sich mal bei uns. Letztlich werden sich auch die Eltern der Spieler fragen müssen, wofür sie so viel Geld bezahlen.“

Wir redeten noch eine Weile über die Vorfälle und ich wurde eigentlich immer wütender als ruhiger. Thorsten spürte das deutlich.

„Kommt, lasst uns das für heute beenden. Morgen ist ein neuer Tag und Antonius wird ein Auge auf ihn haben. Heute sind noch ein paar Spiele zu machen und dann ist Feierabend. Ich schlage vor, wir essen gemeinsam zu Abend. Dann können wir schauen, wie es morgen weitergeht und wer von unseren Jungs noch dabei ist.“

Ich hielt das für eine gute Idee und somit verabredeten sich Thorsten und ich später zum Essen. Da Antonius offizieller Oberschiedsrichter war, wäre es nicht geschickt gewesen, sich mit ihm zum Essen zu treffen. Wir wollten nicht den Eindruck erwecken, dass er nicht neutral ist.

Ich verließ die beiden, um mir noch ein paar Bälle von Carlo und Tim anzusehen. Dabei musste ich über die gesamte Anlage laufen, da sie auf den hintersten Plätzen spielten. Unterwegs konnte ich immer wieder mit einigen Spielern sprechen und stellte fest, die meisten der anderen Teilnehmer hatten bereits von dem Disput mit Listen und mir gehört. Als ich am Platz dreizehn ankam, standen Fynn und Dustin zusammen bei Carlo am Zaun.

„Hi, ihr beiden. Wie läuft es bei Carlo?“

„Gut, er führt klar und spielt auch sehr gut. Leider scheint es bei Tim nicht so gut zu laufen. Er hat den ersten Satz bereits verloren.“

„Oh, ok. Ich geh dann mal zuerst dahin. Ihr bleibt hier?“

„Ja, machen wir“, grinste mich Dustin an.

„Aber schaut euch das Spiel an und beschäftigt euch nicht nur mit euch.“

Mittlerweile nahmen sie diese Sprüche sehr locker. Das freute mich ungemein, denn es zeigte ihr deutlich gestärktes Selbstvertrauen. Ich ging zu Tim an die Bank und verschaffte mir einen Überblick.

Er spielte gar nicht so schlecht, wie Fynn eben gemeint hat. Er war nur unkonzentriert. Ich stellte mich an die Bank und wir sprachen kurz beim Seitenwechsel miteinander. Ich hielt mich natürlich an das Verbot zu coachen, aber ich wollte ihm das Gefühl vermitteln, er steht nicht mehr allein da. Nach zwei weiteren Spielen stand es im zweiten Satz 3:2 für Tim und an seiner ganzen Körpersprache konnte ich erkennen, dass er sich sicherer fühlte. Er gewann den zweiten Satz und spielte im Champions-Tiebreak des dritten Satzes perfektes Tennis. Zum Schluss war es ein ungefährdeter Sieg. Ich gratulierte Tim nach dem Matchball.

„Danke, Chris. Ich weiß auch nicht, warum ich im ersten Satz so schlecht gespielt habe.“

„Naja, vielleicht brauchtest du erst den Tritt in den Hintern. Als ich dann zugeschaut habe, hast du ja wieder gut gespielt.“

Wir mussten lachen über diese Bemerkung, die ich natürlich nicht so ganz ernst gemeint hatte.

„Vielleicht hast du recht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich allein bin und alles selbst entscheiden muss.“

Er wirkte sehr nachdenklich bei diesem Satz. Ich konnte es mir sogar gut vorstellen, was er damit gemeint haben könnte.

„Ja, Tim. Das kann ich mir sogar gut vorstellen. Allerdings sehe ich das nicht als ein Problem auf dem Platz, sondern eher allgemein. Du musst dich mehr nur auf das Spiel konzentrieren. Solange du auf dem Platz noch mit anderen Dingen beschäftigt bist, ist es unmöglich eine gute Leistung zu bringen. Ich kann verstehen, dass viel bei dir los ist, aber auf dem Platz ist das nicht gut.“

Er schaute mich an und ich wusste sofort, dass er mich verstanden hatte. Er nahm seine Tasche, hängte sie sich über die Schulter und wir verließen gemeinsam den Platz. Carlo war auch bereits fertig und damit waren für heute die letzten Matches unserer Spieler beendet. Wortlos gingen wir nebeneinander in Richtung Clubhaus. Plötzlich blieb Tim stehen und stellte seine Tasche ab.

„Was denkst du wirklich über mich? Glaubst du, dass ich das hier schaffe? Manchmal habe ich Angst davor, es nicht zu schaffen.“

Ich legte meine Hand auf seine Schulter.

„Ich glaube, du bist ein Spieler mit großem Talent. Allerdings bist du noch sehr jung und befindest dich in einer schwierigen Lebensphase. In der Pubertät sind viele Dinge instabil und verändern sich. Dadurch bist du verunsichert. Vielleicht solltest du einfach mehr mit uns reden. Sag uns doch einfach, was dich bewegt und dich verunsichert. Du musst mit deinen dreizehn Jahren nicht alle Entscheidungen allein verantworten. Nur, wenn du uns nicht teilhaben lässt, können wir dich auch nicht unterstützen.“

Er schaute mich mit seinen hellen Augen an und ich wusste, dass es bei ihm arbeitete.

„Aber …, Burghard verlangt von uns immer Eigenständigkeit. Wenn ich euch immer frage, dann bin ich ja nicht eigenständig.“

„Ah, jetzt verstehe ich dich. Schau mal, es ist doch so. Wenn du mich etwas fragst oder mir etwas erzählst, dann bekommst du doch nur meine Meinung dazu. Entscheiden musst du doch immer noch selbst, was du tust. Ich gebe dir Hinweise, um dir eine bessere Entscheidung zu ermöglichen. Erst wenn wir glauben, es wird für dich gefährlich, werden wir direkt eingreifen. Solange kannst du frei entscheiden.“

„Heißt das, du bist nicht unzufrieden mit mir?“

Ich musste schmunzeln. Hier wurde mir sehr deutlich, wie sehr er noch Hilfen brauchte. Allerdings war das für mich auch vollkommen in Ordnung. Vielleicht sollten wir ihm nicht zu viele Freiheiten geben. Er fühlte sich vielleicht überfordert damit.

„Nein, Tim. Ich bin überhaupt nicht unzufrieden mit dir. Vielleicht wünsche ich mir mehr Kommunikation mit dir, aber deine Leistungen sind absolut in Ordnung.“

Jetzt nahm er seine Tasche wieder auf und lächelte.

„Ok, das habe ich verstanden. Danke für deine Hilfe, auch eben auf dem Platz. Es fühlt sich gut an, wenn du da bist.“

Na, das tat auch mir gut. So ein Lob von einem Spieler freute mich sehr. Er ging in die Umkleide und wollte duschen gehen.

„Tim - erst auslaufen und dehnen, dann kannst du duschen gehen.“

„Ja, stimmt. Danke, du hast natürlich recht.“

Carlo kam gerade aus der Umkleide und wollte anscheinend das gleiche tun.

„Na, wie war es bei dir, Carlo?“, fragte ich ihn.

„Locker gewonnen. Morgen wird es allerdings hart. Aber egal. Ich geh jetzt auslaufen. Sehen wir uns morgen wieder?“

„Klar, ich bin morgen auch hier. Warte doch einen Augenblick auf Tim, dann könnt ihr zusammen los.“

Carlo wartete auf Tim und sie machten sich gemeinsam auf den Weg.

Fynn: Interessante Kontakte

Unser erster Turniertag verlief erfolgreich, allerdings auch nicht ganz stressfrei. Die Situation mit Listen und Maxi war unangenehm und wir waren uns sicher, das war noch nicht das letzte Kapitel.

Dustin und ich hatten die erste Runde klar gewonnen und wir waren gerade dabei uns auszulaufen. Es befanden sich noch etliche andere Spieler im Wettbewerb und entsprechend viele andere Spieler taten es uns gleich.

Etwa eine halbe Stunde später waren wir mit Maxi beim Physio angekommen und wurden dort mit einer Massage zum Abschluss behandelt. Die Massage war einfach toll. Ich fühlte mich anschließend immer richtig leicht.

Als wir die Physio verließen, war es bereits dunkel. Jetzt kam bei mir Hunger auf.

„Leute, ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich habe Hunger. Kommt ihr mit etwas essen?“

Dustin freute sich, dass ich den gleichen Gedanken hatte und gab mir zur Bestätigung einen Kuss. Maxi war auch nicht abgeneigt, hatte aber ein Problem erkannt.

„Sicher habe ich auch Hunger, aber ich glaube nicht, dass wir vom Büffet im Club noch etwas bekommen. Schaut mal auf die Uhr.“

Da hatte er allerdings recht. Gut, dann mussten wir uns in der WG wohl etwas zu essen machen. Wir wollten uns bereits mit den Rädern auf den Weg machen, als wir auf dem Parkplatz von einem anderen Spieler angesprochen wurden.

„Hi, na wo wollt ihr denn noch hin?“

Es hörte sich freundlich an. Also blieben wir einen Moment stehen und Maxi erwiderte:

„Endlich nach Hause. Der Tag war anstrengend. Morgen geht’s ja schon wieder früh weiter.“

„Ah, ihr wohnt hier in Halle. Also spielt ihr für den ausrichtenden Verein.“

„Richtig“, antwortete Dustin, „und jetzt haben wir Hunger und wollen nach Hause.“

Was mir mittlerweile aufgefallen war, unser Gesprächspartner war schon Mitte zwanzig und wir standen vor einem Wohnmobil. Sein Name war Markus Westphal und er kam aus Hamburg. Wir sprachen noch ein wenig über Tennis und das Turnier. Er lobte unseren Verein für die sehr gute Organisation und nach ein paar Minuten verabredeten wir uns für den nächsten Tag zum gemeinsamen Frühstück im Club. Zuvor wollten wir uns gemeinsam einschlagen. Mir gefiel das sehr gut. Endlich hatten wir auch einmal Kontakt zu anderen Spielern aus anderen Verbänden.

Auf dem Rückweg sprachen wir nicht mehr viel, denn die Müdigkeit brach doch durch. In der WG angekommen, hatten wir Glück. Martina war noch da und war bereit, uns noch etwas zu Essen zu machen. Wir halfen natürlich mit und somit hatten wir schnell noch ein paar Nudeln mit Soße gemacht.

Martina verabschiedete sich von uns bis zum nächsten Tag. Wir erklärten ihr allerdings, dass es wohl wieder spät werden könnte. Sie würde dann vermutlich schon Feierabend haben.

Maxi kam dann noch für einen Moment mit zu uns und wir saßen gemütlich bei uns im Wohnzimmer mit einer kalten Fassbrause, als er uns fragte:

„Wie habt ihr das eigentlich mitbekommen mit dem Problem mit Listen?“

„Chris hat uns davon berichtet und auch Carlo hatte es mitbekommen. Der Typ geht mir einfach nur auf den Sack. Irgendwann schieße ich ihm mal einen Ball auf die Zwölf.“

In der Stimme meines Freundes war heftige Wut spürbar. Dustin schien sich richtig über Listen zu ärgern. So hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt.

„Coole Idee“, grinste Maxi, „da bin ich dabei. Der Typ ist echt ätzend. Das Schlimme ist ja, dass die anderen Spieler gar keine Wahl haben, sich zu wehren. Es sei denn, sie machen es wie Dustin und verlassen den Verbandskader.“

Ich gab meinem Freund einen Kuss zur Beruhigung und äußerte meine Meinung, dass wir uns da auf Chris und Thorsten verlassen sollten. Sie würden schon die richtigen Schritte unternehmen.

„Kommt, für heute will ich nicht mehr darüber sprechen. Ich würde viel lieber jetzt ins Bett gehen, damit wir morgen nicht schlecht aussehen.“

Maxi bekam schon wieder sein typisches Grinsen und ich wusste sofort, er würde uns erneut einen seiner Sprüche geben.

„Komm, du willst doch nur mit deinem Freund noch etwas Spaß haben. Gib es zu.“

Ich schaute Dustin an und wir hatten die gleiche Idee. Er legte seinen Arm um mich und nachdem er mich erneut geküsst hatte, erwiderte er darauf:

„Stimmt, ein wenig Spaß könnte ich noch gebrauchen. Sonst kann ich nicht einschlafen und du müsstest dann am Morgen meine schlechte Laune aushalten, weil ich nicht ausgeschlafen bin.“

Maxi gab sich geschlagen und wir beendeten den Tag. Wir wollten am nächsten Morgen gemeinsam zur Anlage fahren und entsprechend früh stellten wir den Wecker. Dustin und ich kuschelten uns in unser Bett, doch wir waren leider zu müde, so dass wir einfach schnell einschliefen.

Irgendetwas verlief am folgenden Morgen anders. Ich hatte keinen Wecker gehört und dennoch wachte ich auf. Mein Freund grinste mich aus zwanzig Zentimetern Entfernung an.

„Na, du Schlafmütze. Habe ich dich endlich wach bekommen.“

„Hmgrr“, grummelte ich vor mich hin.

Ich war einfach ein Morgenmuffel. Dustin gab mir einen Kuss und wir blieben doch noch einen Moment eng aneinander gekuschelt liegen. Plötzlich klopfte es an unserer Tür. Bevor ich reagieren konnte hatte Dustin schon „Herein“ gerufen.

Wir konnten hören wie sich die Eingangstür öffnete und sich zwei Stimmen näherten. Dustin hatte sich schon aus dem Bett bewegt und wollte die Schlafzimmertür öffnen, da stürmten zwei Personen mit lautem Getöse herein. Ich erschrak und Dustin lag sofort auf dem Rücken und erst dann konnte ich erkennen, dass Tim und Carlo hereingestürmt waren. Sie lachten sich halb tot, als sie Dustin auf dem Boden sahen. Mir war es etwas unangenehm, weil ich nur mit Boxershorts bekleidet im Bett lag.

„Guten Morgen ihr Schlafmützen. Beeilt euch mal, sonst bekommen wir kein Frühstück mehr.“

Carlo war schon voll in seinem Element. Ich schaute zur Uhr und musste leider feststellen, dass sie recht hatten.

„Oh Scheiße, Dustin. Wir müssen uns echt beeilen. Wir haben wohl die Zeit vergessen.“

Dustin war mittlerweile wieder vom Boden aufgestanden und schaute die beiden Jungs an.

„Boah, geht das nicht etwas weniger heftig? Ich bekomme ja fast einen Herzanfall.“

Carlo grinste ihn frech an, nur Tim schien es jetzt doch etwas unangenehm zu sein, da er jetzt erst realisierte, dass wir noch gar nicht angezogen waren.

„Sonst kommt ihr ja nicht aus dem Bett. So gewinnt ihr heute kein Spiel. Los, macht mal hin. Wir wollen mit euch zum Frühstück.“

Typisch Carlo, immer einen frechen Spruch auf Lager.

„Wieso habt ihr heute keine Schule? Seid ihr auch befreit worden, wegen des Turnieres?“

„Gut kombiniert“, antwortete Carlo.

Tim war immer noch schweigsam und ich hatte das Gefühl, es wurde ihm immer unangenehmer. Ich schlug meine Decke an die Seite und schwang mich aus dem Bett.

„So, ihr könnt jetzt draußen warten. Wir beeilen uns und dann treffen wir uns gleich.“

Tim zog Carlo am Arm aus unserem Schlafzimmer und war sichtlich froh, dass er gehen konnte.

„Schatz, ich glaube Tim war das gerade mega peinlich. Während Carlo wohl seinen Spaß hatte.“

„Ist es dir also auch aufgefallen? Vielleicht ist er das von zu Hause nicht gewohnt. Mal sehen, vielleicht ergibt sich noch eine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Ich fand es jedenfalls lustig.“

„Ja, wir sind ja auch selbst schuld, wenn wir uns zu lange vergnügen.“

Ich gab ihm als Zustimmung einen Kuss und anschließend beeilten wir uns, uns anzuziehen. Schnell noch unsere Tasche genommen und dann ging es auch schon nach draußen zu den Rädern.

Auf der Anlage herrschte bereits reges Treiben. Überall waren Spieler, die sich aufwärmten oder Trainer, die mit ihren Spielern sprachen. Auch Jan stand schon auf der Terrasse und sprach mit einem anderen Trainer. Er hatte uns dennoch gesehen und grüßte freundlich. Maxi meldete uns drei bei der Turnierleitung an und wir brachten unsere Taschen in die Umkleide. Dort waren auch schon viele Spieler, die sich vorbereiteten. Wir hatten noch ein wenig Zeit, und entsprechend machten wir uns nach dem gemeinsamen Frühstück auf einen Rundgang über die Anlage. Chris konnten wir noch nicht ausmachen. Vielleicht kam er auch erst später. In mir machte sich schlagartig Ablehnung und Wut breit, als ich Listen sah. Er sprach mit einem seiner Spieler. Wie schon oft gesehen, redete er pausenlos auf den Jungen ein. Wir gingen wortlos an ihnen vorbei. Allerdings bildete ich mir ein, dass Listen uns mit seinen Augen verfolgte, als wir an ihm vorbei gingen.

„Boah“, regte sich Dustin auch gleich wieder auf, „hoffentlich begegnet mir der Typ nicht ständig. Dann weiß ich nicht, wie ich damit umgehe.“

Es war nicht gut für unsere Konzentration, sich über Listen aufzuregen.

„Schatz, wir sollten uns nur auf unseren nächsten Gegner konzentrieren. Dieses Arschloch ist es doch nicht wert und außerdem werden wir ihn nicht mehr ändern.“

Dustin drehte sich zu mir um und ich wusste sofort, wie wütend er schon wieder war. Listen war mittlerweile ein rotes Tuch für ihn geworden. Dustin holte tief Luft und schloss für einen Augenblick seine Augen.

„Ja, du hast ja recht. Ich habe es mir auch schon so oft gesagt, dass ich mich nicht mehr über den Typen aufregen will, aber wenn ich ihn dann sehe, regt es mich doch wieder so auf.“

Ich legte meine Arme um ihn und unsere Stirn berührte sich. Sofort spürte ich, wie sich mein Freund entspannte und wieder lächelte.

„Weißt du, wenn du nicht immer auf mich aufpassen würdest, hätte ich vielleicht schon etwas Unkluges gemacht. Ist mir schon fast peinlich.“

„Was ist dir peinlich?“

Wir erschraken. Jan stand plötzlich neben uns und hatte wohl die letzten Worte von Dustin mitbekommen.

„Hast du uns erschreckt. Guten Morgen.“

„Moin Jungs. Was ist also los bei euch? Seid ihr fit?“

Wir mussten schmunzeln. Dustin schien es mir überlassen zu wollen, mit Jan das Gespräch zu führen.

„Ja, fit sind wir. Allerdings regen wir uns immer wieder über Listen auf. Ich kann einfach nicht begreifen, wie so ein ätzender Typ über Jahre beim Verband arbeiten kann.“

„Ach“, seufzte Jan, „das ist ein unendliches Thema. Ich fürchte, es muss erst die gesamte Riege des Vorstandes beim WTV auf einmal mit dem Flugzeug abstürzen, bevor sich dort etwas ändert. Also regt euch nicht auf, allerdings lasst euch auch nichts gefallen. Ich habe schon von gestern gehört. Heute wird das nicht wieder passieren. Das verspreche ich euch.“

Wir standen mittlerweile auf dem Rasen an Platz vier und Antonius kam zu uns. Er hatte wohl alle Plätze begutachtet und war auf dem Rückweg in das Turnierbüro.

„Guten Morgen zusammen“, begrüßte er uns.

Freundlich gab er jedem von uns die Hand. Ich mochte ihn. Er war wirklich immer fair und für die Spieler aufgetreten. Er hat auch schon mal vermittelt, wenn es zu Streitigkeiten kam. So einen Oberschiedsrichter zu haben, gab mir ein gutes Gefühl.

„Guten Morgen, Antonius“, sagte Jan. „Hast du alle Plätze kontrolliert? Ich gehe davon aus, dass alles gut ist und wir starten können.“

Er lächelte und gab zur Antwort: „Ja, wie immer in Halle, alles bestens. Wie ist die Stimmung bei euch, Jungs?“

„Eigentlich ganz gut, bis auf eine Kleinigkeit, die uns einfach nervt.“

Dabei blickte ich ganz bewusst zu Listen herüber und Antonius hatte sofort verstanden.

„Ach, das ist es doch nicht wert. Spart eure Energie für euer Spiel. Das ist unsere Baustelle, nicht eure. Sollte er heute wieder so eine Show wie gestern abziehen, werde ich ihm zeigen, wo es lang geht. Ich habe keine Lust mehr, mich damit herumzuärgern. Damit ihr schon einmal Bescheid wisst. Ich habe den Bericht von gestern bereits fertig und sobald noch eine Kleinigkeit von Listen kommt, werde ich den auch an den DTB abschicken. Dann wird es unangenehm für ihn.“

Jetzt meldete sich Dustin und fragte: „Was hat das denn für Konsequenzen? Es wird doch eh nichts ändern.“

„Du hast recht, er wird sich nicht mehr ändern, aber der DTB wird ein Interesse haben, dass das Image nicht noch schlechter wird. Und wenn die eigenen Landesverbände sich nicht an die Vorgaben vom DTB halten, dann werden die reagieren. Damit das für euch klarer wird: Listen ist nicht besonders beliebt beim DTB. Eigentlich warten die nur darauf, dass sie endlich beim WTV ein paar Leute abservieren können.“

Das war ja eine sehr interessante Neuigkeit. Das gefiel mir. Dustin wohl auch, denn er sagte sarkastisch: „Dann sollen sie nicht mehr so lange damit warten. Besser heute als morgen.“

Das führte zu Gelächter bei Jan und Antonius. Antonius versprach uns, ein Auge auf Listen zu behalten und sofort zu reagieren, sollte es noch einmal zu einem Regelverstoß kommen. Er ging anschließen wieder weiter Richtung Turnierbüro. Wir schauten ihm hinterher und Jan ergänzte:

„Also wenn es einer hinbekommt, Listen und den Verband zu maßregeln, dann Antonius.“

„Wie lange kennst du ihn schon? Er scheint schon sehr lange dabei zu sein.“

„Ja, Dustin. Ich kenne ihn schon dreißig Jahre. Damals noch als Spieler. Ich habe ihn nie ungerecht erlebt. Deshalb ist er auch überall beliebt und anerkannt. Es gibt kaum Spieler, die seine Anweisungen nicht respektieren.“

„Das heißt, du glaubst daran, wenn er sagt, dass er dem DTB einen Bericht schreibt?“

„Absolut, darauf könnt ihr euch verlassen. Jetzt lasst uns aber mal schauen, dass wir uns auf eure Matches vorbereiten. Ich möchte euch in fünfzehn Minuten spielbereit auf Platz dreizehn sehen. Maxi kommt auch und dann machen wir uns mit Gilles warm. Außerdem müssen wir noch darüber sprechen, wer Doppel spielen möchte.“

Dustin und ich schauten uns an. Damit hatten wir jetzt nicht gerechnet, aber das war eine nette Geste und da wollten wir natürlich nicht nein sagen. Wir trennten uns, damit wir unsere Sachen holen konnten. Bevor wir gingen, gab Jan uns noch einen Rat:

„Und hört auf, euch über Listen aufzuregen, damit tut ihr ihm noch einen Gefallen. Also konzentriert euch nur auf euch.“

Wortlos gingen wir unsere Taschen holen. Meine Gedanken kreisten um die Worte, die Jan uns mitgegeben hatte. Er war freundlich, aber sehr bestimmt. Er gab klare Anweisungen, ohne dass ich das Gefühl hatte, einen Befehl erhalten zu haben. In der Umkleide trafen wir Maxi.

„Da seid ihr ja endlich. Jan hat schon nach euch gesucht.“

„Er hat uns bereits gefunden. Keine Sorge, wir gehen schon nicht verloren.“

Maxi grinste und schwieg. Allerdings konnte ich anhand seines Gesichtsausdrucks ahnen, was ihm gerade durch den Kopf ging.

„Los, packen wir es an. Rocken wir das Turnier heute.“

Ich schaute Dustin verwundert an. Hatte er das gerade gesagt? Das war sonst eher Maxis Art. Egal, mir gefiel das gut. Ich zeigte ihm den Daumen und fast hätte ich ihm noch einen Kuss gegeben, aber in Anbetracht der vollen Umkleide hatte ich doch keinen Mut dazu. Dustin sah das anders und gab mir den Kuss. Wieder eine Überraschung. Mein Freund entwickelte sich schnell. Auch Maxi hatte damit wohl nicht gerechnet, denn er schaute mich nur wortlos an. Anschließend machten wir uns auf den Weg zu Platz dreizehn.

Dort wartete Jan mit Gilles und Chris bereits auf uns. Damit war die Frage nach Chris bereits geklärt. Wir begrüßten ihn noch herzlich und anschließend scheuchte uns Jan über den Platz. Innerhalb von wenigen Minuten waren wir durchgeschwitzt und hatten Betriebstemperatur. Jan gab schnelle und direkte Kommandos, die Gilles sofort umsetzte und wir bald Probleme hatten, den Ball im Spiel zu lassen.

„Ok, das reicht zum Warmmachen. Bitte einmal zusammenkommen.“

Ich war Jan dankbar, dass er uns nicht weiter forderte. Sonst wären wir schon kaputt, bevor es losgehen würde. Gilles war noch nicht einmal verschwitzt. Für ihn war das vermutlich nicht anstrengend gewesen.

Wir standen alle am Netz, als Jan begann, uns für den Tag einzustellen.

„So, ihr seid jetzt fit für den Tag und ich wünsche euch viel Erfolg. Chris und ich werden uns über den Tag verteilt um euch kümmern. Gilles wird ebenfalls unterstützen.“

Nach diesem Satz schauten wir uns doch sehr erstaunt an. Ein Weltklassespieler war sich nicht zu schade, bei einem kleinen Turnier als Coach zu fungieren. Allerdings schien das für ihn eine alltägliche Sache zu sein, denn auf Englisch sprach er zu uns:

„Damit das für euch klar wird. Ich werde euch unterstützen, wo ich kann. Also sprecht mich an, wenn ihr Fragen habt oder einen Rat möchtet. Ihr seid gut und könnt hier weit kommen.“

Wir nickten und gaben sogar Applaus. Das war für uns neu. Allerdings stand noch eine Frage offen im Raum. Dustin stellte sie sehr vorsichtig.

„Wie ist das mit Doppel? Sollen wir auch für das Doppel melden, oder lieber nur Einzel spielen?“

Jetzt schaltete sich Chris ein.

„Natürlich könnt ihr Doppel spielen. Es ist unser Turnier und ich bin mir sicher, dass es alle gern sehen würden, wenn unsere Leute so viel wie möglich auf dem Platz stehen.“

Jan bat uns darum, den Platz für diese Besprechung zu räumen. Er wollte mit Gilles noch etwas trainieren. Also gingen wir auf den Rasen vor dem Platz, um das weiter zu diskutieren, wer mit wem spielen sollte. Maxi fing an, einen Vorschlag zu machen:

„Dustin und Fynn dürften klar sein, ich würde gern auch spielen, aber ich habe noch keinen Partner, der in Frage käme. Spielen wir alle in einer Konkurrenz oder auch mit B-Klasse?“

„Es gibt nur eine Doppelkonkurrenz, da nicht so viele Anmeldungen kommen werden“, erwiderte Chris.

„Vielleicht spiele ich dann mit Tim. Er hat gut gearbeitet in den letzten Wochen. Was meinst du Chris?“

Chris überlegte einen Moment und schüttelte den Kopf. Das erstaunte mich jetzt.

„Nein, Maxi. Das halte ich für ungünstig für dich. Du solltest mit einem guten Spieler an deiner Seite spielen. Ich habe eigentlich eher gedacht, du spielst mit Dustin. Die beiden sollen nicht ständig zusammen spielen. Es ist gut für die Entwicklung eines Spielers, wenn er auch mit unterschiedlichen Partnern Doppel spielt.“

„Und mit wem soll Fynn spielen? Er soll auch eine Chance haben, weit zu kommen.“

„Natürlich, Dustin. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Dein Freund wird einen guten Partner bekommen. Warte ab. Ich habe auch schon eine Idee. Vertrau mir einfach.“

Bei allen anderen hätte ich jetzt protestiert, aber mein Gefühl sagte mir, Chris hatte schon einen guten Plan im Kopf und deshalb stimmte ich zu. Es machte mir allerdings ein komisches Gefühl, dass ich nicht mit meinem Freund Doppel spielen sollte.

Wir lösten unsere Besprechung auf und machten uns für unser erstes Match am Tag fertig. Dustin und ich hatten das Glück, keinen Gegner aus dem WTV zu haben. Da hatten wir erst einmal Ruhe vor Listen. Allerdings traf es diesmal Tim in der B-Klasse.

Bevor Tim auf den Platz ging, erzählte er mir noch, dass er mit Carlo für das Doppel gemeldet hat. Das würde bestimmt lustig werden. Vor dem Einzel hatte er etwas Angst, weil eben Listen mit Sicherheit am Platz stehen würde.

„Kein Problem, Tim“, sagte ich, „einer von uns wird dich unterstützen. Ich werde mich darum kümmern.“

„Danke, Fynn. Ich habe gerade kein gutes Gefühl dabei. Listen ist für mich eine linke Bazille.“

„Das stimmt. Vielleicht solltest du dich gegen Grippe impfen lassen, dann bist du immun.“

Er schaute mich an, fing furchtbar an zu lachen und damit hatte ich ihm die Angst genommen. Wir klatschten uns ab und Tim ging auf den Platz. Ich nahm meine Tasche und ging in Richtung Turnierleitung. Ich hatte noch keine genaue Startzeit.

Es wurde langsam hektisch und ich versuchte, mich auf mein Match vorzubereiten. Allerdings kamen mir immer wieder Gedanken dazwischen. Diese Gedanken hatten leider gar nichts mit Tennis zu tun. Ich musste über meinen kleinen Bruder nachdenken und über meine Familie. Zum ersten Mal hätte ich mir gewünscht, mein Bruder würde mich bei einem Turnier mal besuchen und sich ein Match ansehen. Genau wie meine Mutter, sie hatte in den letzten Jahren kein Match mehr gesehen. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet jetzt diese Gedanken bekam. Ich saß allein auf einer Bank und hing den Gedanken nach. Da spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Ich zuckte zusammen.

„Sorry, Fynn. Ich wollte dich nicht erschrecken, aber du machst einen nachdenklichen, abwesenden Eindruck.“

Es war Chris, der sich zu mir auf die Bank gesetzt hatte.

„Ja, du hast wie immer recht. Es stimmt. Ich muss gerade über meine Familie nachdenken. Kannst du mir vielleicht erklären, warum ich gerade jetzt an meinen Bruder denken muss? Ich habe eben sogar gedacht, dass ich mir wünsche, er würde mal ein Match beobachten und mich sogar vielleicht unterstützen.“

Chris hörte aufmerksam zu und lächelte dabei.

„War er früher mal dabei? Oder wie war das bei euch?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Eigentlich nicht. Immer nur, wenn er mitkommen musste, weil er nicht allein sein sollte. Er wurde also von unseren Eltern gezwungen. Deshalb ist er dann nie mehr mitgekommen. Er hat es immer als Strafe angesehen, seinem großen Bruder zusehen zu müssen.“

„Hm, kann es vielleicht sein, dass dir dein Bruder sogar manchmal fehlt? Du hast neulich schon einmal von deinem Bruder erzählt. Das war im Zusammenhang mit dem Besuch bei deinem Vater. Wie stehst du heute zu deinem Bruder?“

Das war eine schwierige Frage. Ich spürte allerdings, wie sich mein Magen meldete. Bislang hatte ich wenig Zeit, mich damit zu beschäftigen. Immer stand meine Situation im Tennis und in der Schule im Vordergrund. Da konnte ich mich mit Patrick nicht beschäftigen.

„Ganz ehrlich, Chris, ich weiß es gerade nicht. Er hat mich oft genervt und geärgert, war immer Papas Liebling und wurde verwöhnt. Ich war eigentlich froh, dass ich ihn nicht mehr jeden Tag ertragen muss. Nur, jetzt merke ich zum ersten Mal, dass er mir doch auch fehlt. Wie kann das sein?“

Chris legte seinen Arm auf meine Schulter und blieb ganz ruhig.

„Das ist vollkommen normal. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn er dir vollkommen egal wäre. Ich mache dir einen Vorschlag. Lass uns doch nach diesem Turnier einmal in Ruhe darüber sprechen, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn du Patrick mal zu einem Besuch einladen würdest. Ich vermute nämlich, dass du ihm genauso fehlen wirst. Du hast noch lange nicht alles verarbeitet, was bei euch vorgefallen ist. Du hast nur noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Ich finde es übrigens gut, dass du mir das erzählst.“

„Also du meinst, ich muss mir keine Sorgen machen?“

„Richtig, versuche dich auf dein Spiel zu konzentrieren, aber ich weiß sehr wohl, dass das bei dir schwer werden wird, sollten diese Gedanken immer stärker werden. Allerdings ist es kein Grund zur Sorge. Dann werden wir einen Weg finden, damit umzugehen. Wichtig ist nur, dass du nicht versuchst, allein damit klarzukommen. Das würde für dich zu echten Problemen führen.“

Es war schon klasse, wie Chris es wieder in wenigen Minuten geschafft hatte, mir meine Zweifel zu nehmen. Jetzt war ich mir sicher geworden. Das nächste Wochenende werde ich in die Klinik zu meinem Vater fahren und ich werde mich mit Patrick treffen.

„Was mir gerade einfällt. Kennst du zufällig einen Markus Westphal aus Hamburg?“

Chris schaute mich fragend an, überlegte einen Augenblick.

„Nein, ich kenne nur einen Michael Westphal aus Hamburg. Warum fragst du?“

Ich erzählte ihm von der Begegnung auf dem Parkplatz und dass er einen netten Eindruck auf mich gemacht hatte. Ich wollte ihn fragen, ob er mit mir Doppel spielen würde. Chris war einverstanden, allerdings hatte ich das Gefühl, er verschwieg mir etwas. Wir trennten uns und ich bedankte mich noch einmal für das gute Gespräch. Er ging zu Dustin, der mittlerweile auf den Platz gegangen war. Ich wollte mal schauen, ob ich Markus finden würde. Deshalb schaute ich bei Thorsten im Turnierbüro vorbei. Dort hing eine Liste mit Spielern aus, die Doppel spielen wollten, aber noch keinen festen Partner hatten. Markus stand auf der Liste. Thorsten gab mir einen Tipp, wo ich ihn finden konnte.

Tatsächlich traf ich ihn an seinem Wohnmobil auf dem Parkplatz.

„Hallo Markus.“

„Ah, hi Fynn. Wie läuft es bei euch?“

„Danke, bislang ganz gut. Sag mal, hast du schon einen Partner fürs Doppel gefunden?“

Sein Blick war herrlich. Er war total überrascht.

„Nein, leider noch nicht. Warum fragst du? Hast du jemanden im Kopf? Ich kenne hier kaum Leute.“

„Ja, ich würde gern mit dir spielen.“

„Bitte? Ich dachte du spielst bestimmt mit deinem Freund Dustin. Warum machst du das nicht?“

„Weil der mit Maxi, einem anderen aus unserem Team spielt. Unser Coach meinte, wir sollten nicht ständig zusammen spielen.“

Markus lachte und freute sich aber auch über meine Anfrage.

„Cool, ja gerne. Darauf freue ich mich dann. Wer gibt die Meldung beim Turnierleiter ab?“

„Kann ich machen. Ich muss eh noch einmal dort vorbei. Wann spielst du Einzel heute?“

Er schaute zur Uhr und antwortete: „In etwa einer Stunde. Ich wollte mich gleich einlaufen und vorbereiten.“

„Ok, dann gib mir doch bitte mal deine Handynummer. Ich schreib dich an, wenn ich weiß, wann wir Doppel spielen sollen.“

„Coole Idee.“

Wir tauschten unsere Nummern aus und ich machte mich wieder auf den Weg ins Turnierbüro. Thorsten war erfreut, dass ich jemanden gefunden hatte, der nicht aus unserem Team war. Er wollte auch Chris und Jan informieren. Also brauchte ich mich nicht weiter darum zu kümmern.

Chris: Stress, der auch Freude machen kann

Ich hatte mich entschieden, Tims Match zu beobachten. Er sollte das Gefühl bekommen, sich mit Listen nicht allein auseinandersetzen zu müssen. Ich hatte zwar keine große Lust, wieder mit diesem Deppen auf Konfrontation gehen zu müssen, aber es half ja nichts.

Es dauerte natürlich auch nicht lange, bis er wieder gegen jede Regel seinen Spieler unterstützte. Tim führte haushoch und hatte das Spiel komplett im Griff. Da fing Listen an, sich in die Entscheidungen der Spieler einzumischen. Er zweifelte immer wieder Tims Entscheidungen an. Selbst, als sich die Spieler eigentlich schon einig waren und weiter spielen wollten, zwang er seinen Spieler dazu, seine Entscheidung anzunehmen. Jetzt platze mir endgültig der Kragen. Ich ging zu Tim an den Zaun, der mittlerweile doch recht genervt war.

„Reg dich nicht weiter auf, ich werde jetzt Antonius holen und dafür sorgen, dass hier ein Schiedsrichter kommt oder Listen den Platz verlässt. Ich bin gleich wieder da.“

Tim nickte mir zu und ich machte mich sehr zügig auf den Weg ins Turnierbüro. Unterwegs lief mir Antonius über den Weg. Ich erklärte ihm die Lage und er kam sofort mit mir zum Platz. Von dort hatte sich Listen aber entfernt. Er schien genau gewusst zu haben, dass es jetzt eng werden könnte.

„Sorry“, sagte ich, „eben war er die ganze Zeit hier und hat sich bei jeder knappen Entscheidung eingemischt. Ich habe einfach keinen Bock mehr auf diesen Kerl.“

Antonius lächelte und erwiderte: „Ich glaube es dir sofort. Wir kennen ihn mittlerweile und ich werde mich noch einen Moment dort hinten hinter die Hecke stellen. Er wird sicher gleich zurück kommen.“

Antonius beobachtete noch einige Augenblicke das Spiel der beiden und ich hatte sogar das Gefühl, dass es Tims Gegner etwas unangenehm war. Wenn Listen nicht anwesend war, hatten sie beim Seitenwechsel sogar miteinander gesprochen. Kaum war Antonius nicht mehr sichtbar, tauchte Listen wieder auf und das Spiel begann von vorn. Tim war genervt und bei mir stieg die Wut deutlich an. Aber bevor ich noch etwas Unkluges tun konnte, ging Antonius ganz ruhig, aber bestimmt zur Bank. Er sprach nur drei Sätze mit Listen, ging dann auf den Platz und brach das Match ab. Er disqualifizierte Tims Gegner. Damit hatte Listen nicht gerechnet. Er regte sich tierisch auf und beschimpfte Antonius und auch Tim. Das war endgültig zu viel für mich.

„Es reicht jetzt. Wenn Sie nicht sofort Tim in Ruhe lassen, werde ich dafür sorgen, dass sie so schnell nicht mehr auf Turnieren auftauchen können. Sie merken ja nicht mal, dass Ihre eigenen Spieler schon keinen Bock mehr auf Sie haben. So einen unsportlichen Trainer habe ich schon ganz lange nicht mehr gesehen.“

Da ich recht erregt und laut wurde, bekamen immer mehr Leute diese Situation mit. Innerhalb weniger Minuten standen bestimmt zwanzig Leute an unserem Platz. Auch Jan war mittlerweile angekommen und hatte sich zu mir gestellt. Er schaute sich das Ganze für einige Minuten an und ging dann auf Listen zu.

„Herr Listen, ich als Ausrichter und Gastgeber erteile Ihnen hiermit ab sofort ein Platzverbot. Das heißt, Sie werden umgehend die Anlage verlassen. Dass ich einen Bericht an den Verband schreiben werde, brauche ich nicht extra zu sagen. Sie kennen das ja schon. Nur, eines sage ich Ihnen jetzt sehr deutlich, wir sehen uns vor dem Verbandsschiedsgericht wieder. Ich habe einfach keine Lust mehr, dass Leute wie Sie unseren Sport kaputt machen.“

Jan stand direkt vor ihm und blieb, ohne einen Zentimeter zurückzuweichen, stehen. Es ging sogar so weit, dass er Listen bis zum Ausgang begleitete. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber alle umstehenden Personen spendeten spontan Beifall, als Listen die Anlage verlassen musste. Tim und ich standen noch mit seinem Gegner am Netz. Dem war das so peinlich, dass er sich mehrfach bei Tim entschuldigte.

„Schau mal, du musst dich nicht für das Verhalten deines Trainers entschuldigen. Du solltest vielleicht darüber nachdenken, dir einen anderen Trainer zu suchen.“

Ich hatte mich mittlerweile wieder etwas beruhigt und verließ danach mit Tim den Platz. Auf dem Weg zum Clubhaus wurden wir genau beobachtet. Allerdings bekamen wir nicht eine negative Reaktion zu spüren. Anscheinend waren die meisten anderen froh darüber, dass Listen endlich mal gezeigt wurde, wo der Hammer hängt.

Leider hatte ich keine große Gelegenheit mehr, mir Gedanken darüber zu machen, denn Dustin und Fynn waren mittlerweile auch auf dem Platz. Maxi stand schon bei Dustin, also gab ich ihm nur kurz eine Info über das Geschehen. Ich ging zu Fynn und schaute mir sein Match an. Maxi wollte bei Dustin bleiben, bis er selbst auf den Platz musste.

Nach einiger Zeit erschien plötzlich Gilles bei mir. Er schaute sich Fynns Spiel an und wir diskutierten sogar etwas über das Match. Fynn hatte es zwar nicht leicht, aber spielte seinen Stil konsequent weiter und kam in keiner Situation ernsthaft in Bedrängnis. Ich brauchte gar nicht viel machen, nur ab und zu hatte ich Blickkontakt und gab ihm Sicherheit. Gilles gefiel das außerordentlich gut, dass Fynn sein Spiel so ruhig führte. Es dauerte auch nicht mehr lange und Fynn hatte seinen Matchball verwandelt. Gilles gab mir die Hand und gratulierte mir.

„Glückwunsch, Fynn hat gut gespielt und verdient gewonnen. Du machst gute Arbeit.“

Ich war verwirrt. Warum gratulierte er mir? Fynn hatte doch gespielt und gewonnen. Mein Anteil daran war nicht sonderlich hoch, wie ich fand.

„Danke, aber ich bin ja nicht wirklich sein Trainer. Das ist doch Thomas. Ich habe nicht viel zu dieser Leistung beigetragen.“

Gilles schaute mich an und begann zu lächeln.

„Du solltest nicht immer deine Leistungen so niedrig ansetzen. Thorsten hat mir von den beiden ein bisschen mehr erzählt und ich bin mir sicher, ohne deine Unterstützung wäre keiner der beiden jetzt dort, wo sie sind. Du hast immer die richtigen Dinge zur rechten Zeit getan. Das macht Eindruck. Auch dein Bruder hat mittlerweile erkannt, dass du in bestimmten Bereichen extrem gut hinschaust und analysierst. Du bist ein guter Jugendtrainer. Du kümmerst dich nicht nur um das Tennis, sondern auch um den Menschen. Das ist das, was dich auszeichnet und was du um Welten besser machst als alle anderen.“

Ich war sprachlos. So ein Lob von einem der weltbesten Tennisspieler zu bekommen, tat richtig gut. Bevor ich antworten konnte, war er zu Fynn gegangen und hatte ihm gratuliert. Danach ging er einfach wortlos weg. Als ich bei Fynn ankam, um zu gratulieren, grinste er mich bereits an.

„Danke für deine Hilfe Chris. So macht Tennis Spaß.“

Er umarmte mich und ich wusste gerade überhaupt nicht, was hier passierte. Ich hatte doch nichts anderes getan, als das Spiel zu beobachten und ihm Sicherheit zu geben.

Ich konnte jedoch nicht lange darüber nachdenken, denn ich hatte noch Dustin und Maxi zu betreuen. Allerdings war Dustins Platz bereits leer. Das Spiel war beendet. Maxi konnte ich ebenfalls nicht sofort finden. Also schaute ich über die gesamte Anlage und fand Maxi auf Platz zwei. Er schlug sich mit seinem Gegner noch ein. Ich nahm auf einer Bank an der Seite Platz. Bevor ich allerdings meinen Gedanken nachgehen konnte, setzte sich Tim zu mir auf die Bank.

„Wieso darf so ein Trainer eigentlich noch beim Verband arbeiten. Sollten diese Leute für alle anderen nicht Vorbilder sein? So macht Tennis doch keinen Spaß. Ich will sportlich gewinnen.“

Ich schaute zu ihm herüber und konnte in seinen Augen Unverständnis und Ratlosigkeit erkennen.

„Tja, das ist eine gute und berechtigte Frage. Ich weiß es nicht. Wenn ich jetzt gehässig wäre, würde ich sagen, in keinem Verein oder Team würde er lange als Trainer arbeiten. Vielleicht ist das der Grund. Der Verband ist so groß, dass sie oft gar nicht wissen, was die Leute dort machen. Das soll keine Entschuldigung sein, aber mir fällt nichts anderes dazu ein. Mir macht das so auch keinen Spaß und genau das finde ich so bedrohlich. Ein einziger Trainer hat so viel Macht über seine Spieler, dass sie gegen ihren Willen unsportliche Dinge tun.“

„Du bist meinem Gegner nicht böse? Ich meine, er hat schließlich die Befehle ausgeführt.“

„Nein, ich habe gemerkt, dass er sich selbst geschämt hat, als es vorbei war. Ich habe ihm nur den Rat gegeben, sich einen anderen Trainer zu suchen.“

„Es ist ätzend, gegen solche Gegner spielen zu müssen. Wie soll ich mich dagegen wehren?“

„Das ist nicht deine Aufgabe. Deine Aufgabe besteht darin, uns sofort zu informieren. Lass dich nicht provozieren. Wir werden darauf reagieren. In diesem Fall den Oberschiedsrichter holen oder eben selbst handeln. Du mit deinen dreizehn Jahren musst dich damit nicht beschäftigen. Allerdings möchte ich dir sagen, dass ich es sehr schön gefunden habe, wie du reagiert hast. Je weniger Spieler nachgeben, desto weniger hat Listen die Möglichkeit, seine Macht auszuweiten.“

„Ja, das stimmt, aber es ist nicht einfach. Vorhin habe ich echt Angst gehabt. So wie er sich da aufführt, bekomme ich Angst vor ihm. Ich kann mich nicht wehren und er hat die Macht.“

„Falsch, Tim. Er hat nicht die Macht. Er glaubt nur, dass er die Macht hat. Wenn sich alle Spieler einig wären, dass sie so etwas nicht wollen, dann würde niemand mehr bei ihm trainieren und der Verband dürfte ihn nicht weiter beschäftigen.“

Tim schwieg nachdenklich. Ich konnte ihm anmerken, dass dieses Erlebnis bei ihm Eindruck hinterlassen hatte. Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter und er fragte mich:

„Findest du es eigentlich richtig, dass sich Dustin und Fynn jetzt öffentlich als Paar zeigen? Manchmal finde ich es unklug. Listen wartet doch nur auf solche Situationen, sie dann anzugreifen.“

„Ja, ich freue mich sehr darüber, dass sie zu sich stehen können und dabei glücklich sind. Und es ist unsere Aufgabe, sie dabei zu unterstützen. Wenn die Mehrheit sie unterstützt, dann kann Homosexualität sehr schnell als etwas Normales angesehen werden. Denn genau das ist sie ja auch. Etwas Normales, was sich niemand aussuchen kann.“

Tim hörte sehr aufmerksam zu und seine Reaktion freute mich sehr.

„Weißt du eigentlich, wie sehr du uns allen geholfen hast, die beiden so zu akzeptieren. Niemand hatte uns darauf vorbereitet. Ich kannte nur die vielen Vorurteile, jetzt weiß ich, dass es meine Freunde sind. Und eines verspreche ich, Freunde werden unterstützt.“

Ich musste lachen. Das kam so niedlich rüber. Aber er meinte es ernst und ich war sehr froh darüber.

„Danke, Tim. Dustin und Fynn werden sicher sehr dankbar sein. Vielleicht sagst du ihnen das auch mal genau so, wie du mir das jetzt gesagt hast.“

Er grinste mich mit blitzenden Augen an.

„Das habe ich schon getan und der Listen soll aufpassen, dass er nicht untergeht. Der Widerstand wird größer werden.“

„Klasse Tim, du bist gut. Ich freue mich, dass wir uns so gut verstehen.“

Er stand auf und ich gab ihm die Hand. Es fühlte sich toll an. Ein dreizehnjähriger Junge kämpfte für seine Freunde. Respekt!

Ich hatte leider immer noch keine Gelegenheit, mal ein paar Minuten in Ruhe über Dinge nachzudenken, denn jetzt stand das Match von Maxi an. Allerdings hatte der Vorfall mit Listen immer noch Nachwirkungen. Ich bekam mit, dass unter den Spielern darüber geredet wurde. Vor allem wie Jan ihn dann einfach ausgeschlossen hatte. Das hatte gewaltigen Eindruck gemacht. Ich war nun sehr gespannt, wie der Verband darauf reagieren würde.

Als ich bei Maxi endlich ankam, waren Dustin und Fynn bereits mit einem anderen Spieler in einer intensiven Diskussion. Ich stellte mich zu ihnen und Fynn stellte mir den anderen jungen Mann vor.

„Hi Chris, das ist Markus Westphal. Wir werden zusammen Doppel spielen.“

Ich gab ihm die Hand, stellte mich kurz vor und schaute mir sein Gesicht an. Diese Ähnlichkeit war verblüffend. Konnte das sein? Gut, die Jungs konnten es nicht wissen, aber bei mir kamen Erinnerungen hoch.

Die Jungs sprachen immer noch über den Rauswurf von Listen. Markus empfand so etwas wie Genugtuung, wie er sagte.

„Sorry, wenn ich jetzt nachfrage, aber warum freust du dich über diese Aktion. Du hast mit dem WTV doch gar nichts zu tun.“

Markus lächelte und seine Antwort war vielsagend:

„Nicht direkt, aber mit Verbänden habe ich bereits meine Erlebnisse gehabt. Vor allem früher, als ich noch Jugendlicher war, bin ich immer mit der Vergangenheit konfrontiert worden. Oft bin ich mit dem Namen in Verbindung gebracht worden.“

Dustin und Fynn schauten ihn ratlos an. Sie konnten es nicht wissen. Also war jetzt ein wenig geschichtliche Aufklärung über das deutsche Tennis angesagt.

„Michael Westphal war einer der besten deutschen Nachwuchsspieler in den Jahren ´85 bis ´90. Er hatte einige sehr gute Auftritte auch für das Davis Cup Team. Legendär war das Spiel gegen Tomas Smid 1985. Es dauerte fünfeinhalb Stunden und damals war Smid einer der besten Spieler der Welt.“

Markus schien sich zu freuen, dass ich mich daran erinnern konnte. Allerdings spürte ich auch seine Vorsicht.

„Warum bist du so schweigsam? Du hast doch nicht nur den Namen von ihm. Entschuldige bitte, aber als ich dich vorhin gesehen habe, war mir sofort klar, du musst mit Michael verwandt sein. Soweit ich weiß, hatte Michael aber keine Kinder. Also, wie bist du mit ihm verwandt?“

Markus schien überrascht. Dustin und Fynn waren sprachlos, als sie merkten, dass ich gut informiert war.

„Ja, es stimmt. Michael war mein Onkel. Ich habe ihn aber nicht mehr richtig kennengelernt. Mein Vater hat mir alles erst später von ihm erzählt.“

Fynn stutzte und fragte: „Warum war er dein Onkel? So alt kann er doch noch nicht sein.“

Verdammt, das wurde jetzt ein heikles Thema. Ich entschloss mich, sofort mit offenen Karten zu spielen und ihnen die Wahrheit zu sagen.

„Michael lebt nicht mehr. Er starb 1991. Leider.“

Das Spiel von Maxi lief im Hintergrund, allerdings war ich von Markus so fasziniert, dass ich nur hin und wieder das Spiel verfolgte. Maxi war gut gestartet und hatte bislang alles gut im Griff.

Markus seufzte und Fynn reagierte schnell.

„Das tut mir leid. Dann ist er aber nicht so alt geworden. Du bist jetzt 23 oder?“

Markus nickte und das ließ den Schluss zu, er hatte seinen Onkel tatsächlich nicht mehr wirklich kennengelernt.

„Darf ich fragen, warum er so früh gestorben ist?“, fragte Dustin sichtlich betroffen.

Markus schaute mich an und ich nickte ihm zu.

„Er starb an AIDS. Das war damals noch sehr unerforscht und eigentlich eine Krankheit, die den Schwulen und Junkies angehängt wurde.“

Das schlug bei den Jungs ein wie eine Bombe. Damit hatten sie nicht gerechnet. Es wurde damals auch nicht öffentlich darüber gesprochen. Nur hinter vorgehaltener Hand. Erst Jahre später wurden die Details bekannt. Was Markus nicht so bedacht hatte, war die Tatsache, dass Dustin und Fynn ebenfalls schwul sind. Dennoch nahmen sie es recht locker auf.

„Ok“, sagte Fynn, „das macht ihn für uns umso sympathischer. Wie du ja weißt, sind wir auch schwul und damit potentiell gefährdet.“

Sein Lachen dabei verriet, wie locker er das gemeint hatte. Markus reagierte ebenfalls toll und schlug sofort die von Fynn ausgestreckte Hand ab. Ich hatte ein gutes Gefühl bei Markus. Wir sprachen noch eine ganze Weile über diese Zeiten und Fynn und Dustin hörten sehr interessiert zu. Schließlich war das lange vor ihrer Zeit gewesen.

Maxi hatte mittlerweile den ersten Satz gewonnen und ich war sehr zufrieden mit dem was ich bislang gesehen hatte. Mir wurde wieder sehr deutlich, Maxi war einfach schon sehr weit in seiner Entwicklung. Er hatte bereits eine eigene Persönlichkeit auf dem Platz entwickelt. Das Selbstvertrauen brachte ihm zusätzliche Vorteile. Ich hatte keine Bedenken, dass er das Spiel gewinnen würde.

Wir waren so vertieft in unser Gespräch, dass ich gar nicht mitbekommen hatte, dass Thomas zu uns gekommen war. Er begrüßte ebenfalls Markus und stellte sich vor. Dann fragte er mich:

„Sag mal Chris, Thorsten hat mir gesagt, dass du auch selbst ganz ordentliches Tennis spielen kannst. Wir haben ein Problem in der Doppelkonkurrenz. Dort ist ein Spieler kurzfristig ausgefallen. Thorsten fragt, ob du nicht einspringen kannst. Sonst müsste der andere Spieler aufgeben und kann gar nicht spielen.“

Das war natürlich für Fynn und Dustin ein gefundenes Fressen. Sie redeten sofort auf mich ein, dass ich das machen sollte und es bestimmt lustig sein würde. Mir behagte das überhaupt nicht. Ich war definitiv nicht im Training und körperlich überhaupt nicht fit. Markus hielt sich zurück, aber Fynn argumentierte:

„Chris, Du sagst uns immer, man wird nur besser, wenn man sich Gegner sucht, von denen man etwas lernen kann. Jetzt könntest du auch etwas lernen. Gut, du bist schon etwas …, sagen wir mal, …älter, aber du kannst dich doch nur verbessern.“

Fynn blieb äußerlich total ernst, aber an seinen Augen konnte ich erkennen, dass er sich innerlich köstlich amüsierte. Wenn ich jetzt abgelehnt hätte, wäre meine ganze Argumentation in Frage gestellt worden. Das wollte ich natürlich nicht, aber ich hatte noch ein sehr gutes Argument.

„Also, selbst wenn ich jetzt 'ja' sagen würde, gibt es noch das Problem, dass ich keine Sachen, geschweige denn Schläger hier habe. Also wird das wohl nicht gehen.“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, Thomas war darauf vorbereitet und auch dieses Gespräch kam mir sehr konstruiert vor.

„Kein Problem. Sachen haben wir hier genug und zwei Schläger werden wir für dich auch noch finden. Also du spielst?“

Was sollte ich jetzt noch sagen? Kneifen wäre feige gewesen, also sagte ich zu. Dustin und Fynn freuten sich wie die Schneekönige und ich hatte bereits eine Ahnung, dass das nicht lange im Team geheim bleiben würde.

„Kommst du bitte gleich ins Turnierbüro. Dann können wir dich mit Sachen ausrüsten. Vor allem die Schuhe müssen ja passen.“

„Jaja, schon gut. Ich komme sobald Maxi fertig ist.“

Thomas lächelte zufrieden und Dustin und Fynn strahlten. Fynn war derjenige, der Markus erklärte:

„Also nicht, dass du denkst, Chris kann gar nichts. Er spielt nämlich recht gut. Nur will er das nicht glauben. Dafür, dass er so selten spielt, sieht das richtig gut aus.“

Mir gefiel das alles überhaupt nicht. Allerdings wussten die beiden ja auch nicht den wahren Grund, warum ich mit dem Turniersport aufgehört hatte. Jetzt wurde mir bewusst, dass ich das bald nachholen musste. Maxi gewann erwartungsgemäß sein Match und das bedeutete, ich hatte mich bei Thorsten zu melden.

Natürlich begleiteten mich Dustin und Maxi. Das wollten sie sich nicht entgehen lassen. Also betraten wir zu dritt das Turnierbüro. Thorsten wartete bereits auf mich.

„Ah, endlich. Da bist du ja. Dein Partner wartet schon auf dich. Er möchte sich mit dir noch etwas einschlagen. Gehst du bitte mit Thomas mit. Er wird dich komplett einkleiden.“

Bevor ich noch fragen konnte, wer eigentlich mein Partner wäre, nahm mich Thomas mit nach draußen. Wenige Minuten später sah ich äußerlich genauso aus wie die Profispieler. Wohl fühlte ich mich allerdings gerade nicht. Ich mochte es einfach nicht, so auffällig gekleidet zu sein. Vor allem, wenn die Leistung der Optik nicht angepasst war. Dustin und Fynn sahen das natürlich anders. Sie hatten ihre helle Freude daran, mich jetzt gleich auf dem Platz sehen zu können. Thomas war sofort wieder verschwunden und hatte mir natürlich nicht verraten, wer eigentlich mein Partner sein würde. So langsam kam mir das merkwürdig vor. Alle schienen etwas zu wissen, nur ich nicht. Ich nahm meine Tasche und sah, dass auch bereits genug Getränke darin lagen. Es war alles vorbereitet. Nur ich nicht.

Wenige Minuten später kam ich am vorgesehenen Platz an und dann wusste ich, was für ein Spiel hier mit mir getrieben wurde. Gilles Simon stand am Netz und grinste mich an. Es wurde mir klar, dass das eine Aktion von meinem Bruder war. Alle hatte er eingeweiht, nur seinen kleinen Bruder nicht. Also gut, spielte ich eben mit Gilles ein Doppel. Irgendwie tat er mir leid, denn meine Fähigkeiten waren recht begrenzt, im Gegensatz zu ihm.

Dustin und Fynn strahlten um die Wette und waren bester Laune, als ich zu Gilles auf den Platz ging, um mich einzuschlagen. Wir spielten uns ein paar Bälle zu und erstaunlicherweise bekam ich bald wieder ein Gefühl für den Ball. Gilles lobte mich immer wieder und auch die Jungs feuerten mich an. Maxi war mittlerweile auch an unserem Platz angekommen. Die drei Jungs freuten sich. Jetzt tauchte mein Bruder auch noch auf und holte uns am Netz zusammen.

„Wie ich sehe, hast du dich mit Gilles schon gut angefreundet. Das sah doch schon ganz ordentlich aus. Ihr müsst übrigens auf Platz eins spielen. Die Turnierleitung hat gesagt, dass Gilles auf dem Center Court spielen muss.“

„Sehr witzig“, sagte ich mit einem gequälten Lächeln.

Jan grinste und gab Fynn noch eine Anweisung.

„So, ihr macht den Platz noch wieder in Ordnung. Also einmal abziehen und Linien säubern. Wir gehen schon mal auf Platz eins. Der Gegner wartet dort bereits.“

Ich hatte es geahnt. Dieser Tag würde ein sehr interessantes Ende finden. Jetzt war es jedenfalls zu spät, um noch zu kneifen.

Als wir auf dem Center Court eintrafen, waren unsere Gegner genauso überrascht und vielleicht sogar entsetzt, wie ich es vor einigen Minuten auch war. Sie hatten realisiert, dass sie tatsächlich gegen die Nummer dreizehn in der Welt spielen sollten. Wir begrüßten uns und dann versuchte ich, so wenig wie möglich etwas anders zu machen als sonst. Ich versuchte mich zu konzentrieren.

Beim Einschlagen war Gilles total entspannt und locker. Er machte einen lustigen Spruch nach dem anderen und es wurde viel auf dem Platz gelacht. Unsere Gegner nahmen das auch sehr locker auf. Ich sollte die Wahl übernehmen, bei der festgelegt wird, wer mit dem Aufschlag beginnen darf. Leider verlor ich diese Wahl und der Gegner begann mit dem Aufschlag. Jetzt wurde es also ernst und erstaunlicherweise war ich kaum noch nervös. Wir nahmen unsere Positionen auf dem Platz ein und ich als Linkshänder, spielte auf der linken Seite unserer Hälfte.

Mein Fokus lag voll auf dem Ball. Ich hatte mir vorgenommen, den Ball erst einmal nur ins Feld zurück zu spielen. Es wurde ein verrücktes Match, denn innerhalb kürzester Zeit waren zahlreiche Zuschauer an unseren Platz geeilt. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass Gilles Simon auf dem Platz stand.

Gilles übernahm natürlich das Kommando, aber er ließ mich jeden Ball spielen, der auch für mich bestimmt war. Das hieß, er „klaute“ keine Bälle. Allerdings, kam er an den Ball, machte er auch recht schnell den Punkt. Im Gegensatz dazu lag meine Fehlerquote auf einem noch erträglichen Niveau. Es wurde aber besser, als ich gedacht hatte. Nach einer halben Stunde war ich vollkommen in das Match eingetaucht und konnte alles ausblenden, was außerhalb stattfand. Nur bei den Seitenwechseln registrierte ich die Zuschauer. Gilles und ich redeten viel auf dem Platz und im zweiten Satz begann er plötzlich, Ansagen zu machen. Wohin ich aufschlagen sollte, wann er vorn dazwischen gehen würde. Ich versuchte, so gut es ging seine Anweisungen umzusetzen und nach etwa 90 Minuten hatten wir unseren ersten Matchball, den Gilles sicher verwandelte. - Gewonnen!

Bevor ich unsere Bank erreicht hatte, standen schon Maxi, Dustin, Fynn, Carlo, Alex und Tim bei uns auf dem Platz und jubelten und gratulierten. Selbst Jan stand am Zaun und gratulierte mir.

„Respekt, kleiner Bruder. Du hast noch nicht viel verlernt. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell wieder in das Spiel findest. Tja, jetzt müsst ihr wohl noch weiter spielen. Ihr habt ja gewonnen.“

Dabei musste er lachen und auch Gilles war gut drauf. Allerdings war jetzt der folgende Schritt für mich, unsere Jungs wieder auf ihre nächsten Gegner einzustellen. Ich brauchte ja nur Doppel zu spielen, sie mussten aber auch noch Einzel spielen. Der Zeitplan war entsprechend knapp bemessen und ihre Pausen waren zwischen den Matches nur kurz.

Erst gegen halb vier kam ich dazu, mir etwas zu essen zu bestellen. Ich saß im Clubhaus, wartete auf mein Essen und wollte die Ergebnisse sortieren. Wir hatten lediglich Alex und Carlo im Einzel verloren. Alle anderen waren noch im Wettbewerb. Maxi, Fynn und Dustin hatten ihr zweites Einzel durch eine sehr starke Leistung gewonnen. Sie brauchten heute nur noch ein Doppel zu spielen. Tim musste noch sein zweites Einzel spielen und ich auch noch mein zweites Doppel. So langsam wurde der erste Turniertag für uns etwas ruhiger. Auf dem Tisch lag mein Laptop, womit ich mir die Zeitpläne und Tableaus ansehen konnte. Als nächster war Tim an der Reihe und Fynn mit Markus im Doppel.

Markus war überhaupt so ein Thema. Ein sehr netter junger Mann, der ziemlich untertrieben hatte, als er von seinen Fähigkeiten sprach. Jan hatte herausgefunden, dass er zwar für Hamburg nur in der Regionalliga gemeldet war, aber bereits in der deutschen Rangliste auf Position 15 stand. Und so spielte er auch. Im Einzel zählte er für mich mittlerweile zu den Favoriten. Für Fynn war es natürlich ein großer Vorteil, so einen erfahrenen Doppelpartner zu haben.

Mein Essen stand schon auf dem Tisch und ich genoss für einen Moment die Möglichkeit, in Ruhe essen zu können. Leider dauerte es nicht lange, bis Tim zu mir kam.

„Chris, sorry, dass ich dich beim Essen störe, aber ich muss jetzt spielen. Kommst du mit an den Platz?“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich war der einzige Trainer unseres Teams. Immer kamen die Jungs zuerst zu mir. Einerseits freute mich das, aber es bedeutete natürlich auch Stress für mich.

„Ich komme, sobald ich gegessen habe. Du musst dich ja noch einschlagen. Weißt du wo die anderen sind?“

Tim lachte mich an und seine Antwort war so typisch für ihn.

„Ja sicher, Maxi ist mit seinen Eltern weg. Alex und Carlo sind bei Thomas und Dustin und Fynn knutschen rum.“

„Hahaha, das ist gut. Du bist echt lustig. Gut gesagt.“

Er lachte laut mit mir und ich schickte ihn auf den Platz. Tim war ein toller Junge und mir schon ein wenig mehr ans Herz gewachsen.

Antonius hatte mir noch zwischendurch mitgeteilt, dass er seinen Bericht an den Verband geschrieben hätte, ich ihn mir aber noch durchlesen sollte, bevor er ihn abschicken würde. Dabei gab er mir noch die Information, dass Listen alle seine Spieler vom Turnier zurückgezogen hatte. Das würde für die Spieler auch noch negative Konsequenzen haben. Dafür gab es festgelegte Strafen. Ich war mir sicher, dieser Konflikt war noch nicht zu Ende.

Eine knappe halbe Stunde später stand ich bei Tim am Platz und schaute mir sein Spiel an. Er hatte einen Gegner, der zwei Klassen besser war als er. Dennoch versuchte Tim alles, was in seiner Macht stand. Er gab nicht auf und spielte einfach weiter. Das imponierte mir sehr. Er versuchte auch Bälle zu spielen, die sehr schwierig waren. Er probierte viel aus und hatte dennoch keine Chance.

„Tim spielt gut. Er lässt sich nicht entmutigen und probiert viel aus. So habe ich ihn noch nie auf dem Platz erlebt. Vor allem regt er sich nicht mehr auf. Wie hast du das hinbekommen?“

Ich drehte mich um und Burghard stand vor mir.

„Oh, hi Burghard. Hast du mal das Turnierbüro verlassen können?“

Er lächelte.

„Ja, es wurde mal Zeit. Ich habe bisher noch kein einziges Match gesehen. Aber dass Tim sich so positiv entwickelt, habe ich nicht erwartet. Das ist auffallend und ganz allein dein Verdienst. Wir hatten ihn ja schon fast aufgegeben.“

Das Lob tat mir gut, aber es war dennoch eine Teamleistung. Alle mussten bei derartigen Problemen mitziehen. Das sagte ich Burghard auch. Tim verlor sein Match und im Gegensatz zu früher, gratulierte er seinem Gegner freundlich und fair. Ich klatschte ihn an der Bank ab.

„Gutes Match, Tim. Du hast alles versucht und viel ausprobiert. Das hat mir wirklich gut gefallen.“

Er lächelte mich an und ein leises „Danke“ war zu hören. Wir sprachen noch ein wenig über das Spiel, aber sehr schnell hakte er das ab und war schon wieder bei meinem nächsten Doppel.

„Und, wirst du mit Gilles das nächste Spiel gewinnen?“, fragte er mich mit einem Grinsen.

„Mal sehen, wie gut Gilles mich aus dem Spiel nehmen kann. Vielleicht haben wir dann eine Chance.“

„So ein Unsinn. Du hast doch vorhin gut gespielt und viele gute Bälle gespielt. Also, wir gewinnen natürlich das nächste Match.“

Nanu? Wo kam denn das her? Ich drehte mich um und Gilles stand mit einem breiten Grinsen vor mir.

Tim lachte sich halb tot, weil ich wohl sehr komisch geguckt haben musste. Jedenfalls war das für meine Laune sehr gut. Ich hatte einfach Spaß, obwohl es auch Stress war.

Was mir ebenfalls positiv aufgefallen war: Fynn und Dustin waren oft mit anderen Spielern zusammen zu sehen gewesen und sie hatten sich offen als Paar gezeigt. Es hatte sich mittlerweile bei den meisten Spielern herumgesprochen. Ganz offensichtlich waren sie akzeptiert. Zumindest hier bei unserem Turnier.

Mal abwarten, wie sich das Ganze hier noch entwickeln würde. Gilles nahm mich jedenfalls mit zum Warmmachen und unser letztes Doppel für heute stand an. Sollten wir das tatsächlich gewinnen und Dustin und Maxi ihr Doppel, dann würden wir morgen gegeneinander spielen müssen.

Unser Spiel entwickelte sich schnell zu einem kleinen Krimi. Ich war leider nicht so fit, wie ich gehofft hatte. Mir fehlte das Training und im zweiten Satz ließ meine Konzentration nach. Dustin und Maxi hatten ihr Doppel bereits gewonnen und unterstützten uns genau wie die anderen aus unserem Team.

Gilles war einfach toll. Er lamentierte nicht lange herum, wenn ich wieder mal einen Ball aufgrund fehlender Beweglichkeit nicht erreichte. Er spielte einfach weiter und baute mich immer wieder auf. So mussten wir also in den dritten Satz. Champions-Tiebreak. Das war im Doppel noch mehr ein Glücksspiel. Wir hatten heute das Glück auf unserer Seite und Gilles beendete das Match mit einem Ass.

Unser Team jubelte und ich war einfach nur kaputt. Wie konnte man nach zwei Doppeln nur so fertig sein, fragte ich mich. Ich war einfach zu alt für diese Dinge. Allerdings sahen die Jungs das anders. Sie zogen unseren Platz ab, ohne dass irgendjemand etwas sagen musste und Maxi stand freudestrahlend vor mir an der Bank.

„Danke, Chris. Ihr habt uns den Gefallen getan, dass wir morgen gegen Gilles spielen dürfen. Das wird bestimmt lustig.“

„Na, ob das lustig für mich wird, möchte ich bezweifeln. Mir wird morgen bestimmt alles weh tun. Ich bin einfach zu alt für solche Spielereien.“

Das sahen die Jungs natürlich auch wieder anders. Sie freuten sich jedenfalls über unser gutes Abschneiden insgesamt. Mal sehen, was der neue Tag bringen würde. Wir Coaches waren jedenfalls sehr zufrieden und morgen sollte es also zum internen Duell kommen.

Dustin: Ein aufregender Tag kam auf uns zu

Der sportliche Tag ging mit einem Sieg von Gilles und Chris zu Ende und das bedeutete, Maxi und ich müssten morgen gegen sie spielen. Einerseits freute ich mich darauf, gegen einen Weltklassespieler antreten zu dürfen, andererseits spürte ich den Druck gewinnen zu wollen. Chris war zwar nicht im Training und spielte sehr wenig Tennis, aber er war unser Coach. Das heißt, eigentlich war er unser Betreuer, denn Training auf dem Platz hatten wir noch nie bei ihm.

Abends saßen wir in unserer WG gemeinsam zusammen und ließen den Tag noch einmal Revue passieren. Zentrale Themen waren der Ausschluss von Listen und natürlich das Doppel von Chris und Gilles. Auch die Jungs von oben saßen bei uns im gemeinsamen Wohnzimmer.

Carlo war natürlich derjenige, der fast als Alleinunterhalter fungierte. Woher er diese Energie noch hatte, war uns ein Rätsel. Wir waren alle müde und wollten eigentlich nur etwas entspannen.

„Das war echt cool, wie Jan den Listen abserviert hat, oder?“, redete er munter drauf los.

„Ja, und das Gesicht von Listen war krass. Der hatte damit überhaupt nicht gerechnet. Ich bin mal gespannt, was jetzt wohl passiert. Ob Halle vom Verband eine Strafe bekommt?“

„Warum das denn, Tim? Wir sind Ausrichter und können Teilnehmer ausschließen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. Außerdem war das schon lange überfällig.“

Maxi ballte die Faust, als er das sagte und selbst Tim stimmte jetzt mit einem „Stimmt, das Arschloch soll mal bleiben wo der Pfeffer wächst.“ zu.

Das wiederum führte zu einem allgemeinen Lachanfall. So trocken wie Tim das gesagt hatte, war es klasse und ich spürte so etwas wie Genugtuung. Endlich hatte jemand Listen mal in die Schranken verwiesen. Wir redeten noch eine Weile über diese Situation und waren uns einig: Das einzig Negative an dieser Sache war, dass der Verband daraufhin alle Spieler vom Turnier zurückgezogen hatte. Was konnten denn die Spieler für das unsportliche Verhalten ihres Trainers? Sie waren erneut die Leidtragenden. Fynn saß die ganze Zeit neben mir und hielt sich sehr zurück in dieser Diskussion. Allerdings wechselte er plötzlich das Thema.

„Wie ist das eigentlich morgen mit eurem Doppel gegen Chris? Seid ihr nervös? Ich würde nämlich nicht unbedingt gern gegen Chris spielen wollen.“

Jetzt schauten alle Augen auf Fynn. Auch ich war überrascht.

„Warum das denn? Warum möchtest du nicht gern gegen Chris spielen? Das wird doch bestimmt Spaß machen“, fragte Tim.

„Ganz einfach, weil ich eigentlich nicht gegen ihn gewinnen möchte. Er hat immer für uns Zeit und kümmert sich viel mehr als alle anderen Trainer um uns. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, gegen ihn zu gewinnen.“

Das hatte ich von Fynn nicht erwartet, denn eigentlich konnte er immer sehr gut die Dinge auf dem Platz von den Dingen außerhalb trennen.

„Ach was, das macht Chris bestimmt nichts aus. Er wird das sicher sportlich sehen. Außerdem haben wir auch noch nicht gewonnen und übrigens spielt Chris gar nicht so schlecht. Und mit Gilles als Partner sowieso nicht.“

Maxi nickte und ergänzte: „Ja, und ich freue mich auch darauf, gegen Gilles spielen zu dürfen. Er ist ein Weltklassespieler. So oft werden wir nicht die Gelegenheit bekommen. Und wenn ich ihn schlagen kann, wäre das nicht das Schlechteste.“

„Wenn du ihn schlagen könntest. Ich glaube nämlich, dass wird nicht so einfach werden. Chris hat sich bestimmt irgendetwas ausgedacht für morgen. Ich werde mir das auf jeden Fall anschauen.“

Carlo grinste dabei frech und wir mussten zustimmen, denn so gut kannten wir Chris mittlerweile auch. Wenn er etwas machte, dann auch richtig. Unsere Runde löste sich langsam danach auf und ich bemerkte erst meine Müdigkeit, als ich mit Fynn bei uns in der Wohnung war.

„Boah, ich bin echt kaputt jetzt“, sagte ich als Fynn ins Bad ging.

„Rate mal, wer noch. Und morgen geht das so weiter. Aber ich vermute, Chris wird ähnliche Probleme haben. Er ist doch längst nicht so trainiert wie wir. Ich bin mal gespannt, wie es ihm morgen geht, wenn wir uns zum Frühstück treffen.“

„Hihi, ja, da hast du vermutlich recht. Vielleicht kann er morgen auch gar nicht spielen. Dann hätten wir kampflos gewonnen.“

Das hatte ich natürlich nicht ernst gemeint, aber Fynn hatte das anders verstanden. Als er wieder aus dem Bad herauskam, widersprach er vehement:

„Das fänd ich sehr schade, außerdem würde es bedeuten, dass er Schmerzen hätte. Sonst würde er sicher nicht aufgeben. Das willst du doch auch nicht, oder?“

„Nein, nein. Das war auch nur Spaß, ich will schon spielen.“

Jetzt ging ich ins Bad und machte mich fertig für die Nacht. Als ich nach wenigen Minuten zurück kam, wunderte ich mich über meinen Freund. Der lag bereits im Bett. Ich folgte ihm und wir sprachen noch einige Minuten über den abgelaufenen Tag. Dabei wurde mir erneut bewusst, was für ein Glück ich gehabt hatte, sowohl Fynn als Freund und Partner, als auch mit Chris einen väterlichen Freund gefunden zu haben. Wir verdankten ihm schon ziemlich viel. Wir lagen für einen Moment schweigend nebeneinander, als Fynn meine Hand nahm und sie sich auf seinen Bauch legte.

„Komm Schatz, jetzt lass uns noch etwas kuscheln. Morgen haben wir auch nicht viel mehr Zeit dafür.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und das Einschlafen wurde ein schönes Erlebnis mit meinem Freund.

Heute standen Achtel- und Viertelfinale auf dem Programm. Sowohl im Einzel, als auch im Doppel. Meine Anspannung stieg jetzt doch deutlich an. Immerhin waren Maxi, Fynn und ich noch im Wettbewerb. Von unseren jüngeren Spielern war leider keiner mehr dabei. Allerdings hatten dennoch alle gute Leistungen gezeigt.

Deshalb waren wir auch die einzigen, die sich schon um halb acht auf den Weg zur Anlage gemacht hatten. Chris hatte uns zum gemeinsamen Teamfrühstück gebeten. Das gefiel mir sehr gut. Auch wenn wir dadurch noch früher aufstehen mussten. Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit hatte mir immer gefehlt. Wir waren ein Team und das zeigten wir auch so oft wie möglich nach außen.

Wir drei waren auf dem Weg zur Anlage und jeder von uns befand sich noch in der Aufwachphase. Entsprechend wenig redeten wir auf der Fahrt. Erst, als wir den Clubraum betraten und feststellen konnten, dass bereits einige andere Spieler schon beim Frühstück saßen, wurden wir langsam wacher. Unsere Wirtin hatte sogar extra einen Tisch für unser Team reserviert und gedeckt. Auf einem kleinen Schild stand tatsächlich „Reserviert für das Break-Point-Team“.

Damit hatten wir nicht gerechnet. Allerdings schauten wir uns angesichts der Anzahl der Gedecke auf dem Tisch doch etwas verwundert an.

„Hat von euch einer eine Idee, für wen diese ganzen Teller sind?“

Maxi schüttelte ratlos den Kopf und auch Fynn schien etwas verwirrt. Nichts desto weniger begrüßten wir die anderen Spieler und Trainer und stellten uns am Buffet an. Das war wieder einmal außerordentlich reichhaltig bestückt. Ich nahm mir Brötchen und einen Orangensaft, dazu verschiedene Aufschnitte. Anschließend setzte ich mich an den Tisch und wartete auf Maxi und Fynn. Doch bevor sie an den Tisch kamen, betraten Chris und Thorsten den Raum. Er winkte mir sofort zu und Thorsten begrüßte die Wirtin. Dann stellten sie sich auch am Buffet an.

Maxi und Fynn hatten sich mittlerweile ihre Sachen ausgesucht und saßen mit mir am Tisch. Thorsten und Chris sprachen noch mit anderen Trainern und kamen anschließend auch an unseren Tisch.

„Guten Morgen zusammen. Alle fit und gut gelaunt?“, fragte Thorsten.

Wir nickten wortlos, weil wir alle mit Essen beschäftigt waren. Was mich aber stutzig machte war, dass Chris verdächtig still heute Morgen war. Er hatte sich auch sehr langsam oder besser gesagt vorsichtig an unseren Tisch gesetzt. Es sah so aus, als ob er Probleme hätte, sich richtig bewegen zu können.

Wenige Minuten später betraten Gilles und Jan den Raum. Sofort war überall im Raum ein leises Gemurmel zu hören. Für die anderen war es immer noch etwas Besonderes, dass Gilles unter uns weilte. Für mich war Gilles mittlerweile ein netter Kerl geworden, der sehr normal mit uns umging. Es schien auch selbstverständlich für ihn zu sein, dass er mit uns zusammen frühstückte. Jan hatte wohl schon mit ihm ein paar Dinge besprochen, denn er ging direkt ins Turnierbüro und kam von dort mit einem Stapel Papier zurück an unseren Tisch. Während des Essens wurde wenig gesprochen. Das kam Fynn sehr entgegen, denn er war ein Spätstarter. Daran hatte ich mich mittlerweile gewöhnt.

„Wie geht es dir heute Morgen?“ fragte Jan seinen Bruder.

Chris schaute ihn mit einem leicht gequälten Blick an und antwortete: „Eigentlich ganz gut, aber mein Körper streikt. Mir tut jede Bewegung weh. Vor allem die Wirbel schmerzen in den Rücken.“

Jan nickte und auch Thorsten registrierte das mit Sorge. Maxi hingegen fragte direkt: „Kannst du denn spielen oder fällt das Doppel aus?“

Mir war diese Frage in dieser Situation höchst unangenehm. Chris blieb aber locker und konterte: „Vermutlich wäre es für Gilles einfacher, allein gegen euch zu spielen, von daher werdet ihr also nicht kampflos gewinnen. Irgendwie werde ich es schon auf den Platz schaffen.“

Gilles grinste und setzte noch einen drauf: „Zur Not kommst du mit Rollstuhl auf den Platz, wirfst den Ball ein und ich mache den Rest. Für die beiden reicht das immer noch.“

Es wurde laut gelacht, jedoch war Chris der einzige, dem nicht nach Lachen zumute war. Das irritierte mich sehr. Auch Jan hatte seinen Bruder genau beobachtet. Als wir alle mit dem Frühstück fertig waren, erklärte Jan uns den Ablauf. Von Thomas war noch nichts zu sehen, was ich eigentlich schade fand, denn dieses gemeinsame Frühstück hatte mir sehr gefallen.

Der Plan sah also vor, dass wir zuerst unsere Einzel spielten und anschließend ein Doppel. Dann hatten wir Mittagspause und am Nachmittag dann die zweite Partie.

Wir drei brachten unsere Teller weg und anschließend hatten wir noch eine Viertelstunde bis zum Aufwärmen.

Merkwürdigerweise waren Jan und Chris direkt verschwunden. Wir hatten keine Ahnung, wo sie hingegangen waren. Sie waren einfach wie vom Erdboden verschluckt. Auch Thorsten konnte oder wollte uns nichts sagen. Das fanden wir seltsam. Gilles holte uns dann bald zum Aufwärmen ab. Das war echt klasse. Er trainierte mit uns und nach einer halben Stunde war ich top fit. Auch Fynn und Maxi wurden immer lebendiger. Von Chris war allerdings immer noch nichts zu sehen. Deshalb fragte ich Gilles:

„Weißt du, was mit Chris los ist? Sonst ist er immer bei uns und kümmert sich. So langsam mache ich mir doch Sorgen.“

Gilles lächelte und seine Antwort ließ uns erahnen, dass er doch mehr körperliche Probleme hatte, als er zugeben wollte.

„Er ist bei Christoph und anschließend noch zur Massage. Er hat große Rückenprobleme.“

Mist. Das hatte ich befürchtet. Die Spiele gestern waren doch eine zu große Belastung für ihn gewesen. Allerdings konnte ich das nicht einordnen. Er hatte bis zuletzt sehr gut gespielt. Und so anstrengend sind zwei Doppel auch nicht. Es musste also noch etwas anderes sein. Und dass Jan sich persönlich kümmerte, ließ den Schluss zu, dass er wohl genau wusste, was das Problem war. Egal, darum konnten wir uns leider nicht kümmern, denn wir mussten zu unseren Spielen auf den Platz.

Wir hatten von Jan und dem mittlerweile angekommenen Thomas eine kurze Einstellung auf unsere Gegner bekommen. Chris war immer noch nicht zurück. Fynn schien das doch zu beunruhigen.

„Hast du eine Idee, warum Chris noch nicht zurück ist? Er würde uns sonst nicht allein auf den Platz gehen lassen. Irgendetwas stimmt nicht.“

„Ja, sehe ich auch so. Es bringt aber nichts, dass wir uns jetzt den Kopf machen. Er wird sicher gleich zurück sein. Lass uns auf unser Spiel konzentrieren. Schließlich wollen wir im Finale spielen.“

„Wollen sicher, aber Finale ist bei der Besetzung eher unwahrscheinlich.“

Das war wieder Fynn. Eher zurückhaltend. Maxi hingegen wollte am liebsten schon über den möglichen Finalgegner sprechen. Wir gingen mit unseren Gegnern zeitgleich auf den Platz. Es war für mich ein komisches Gefühl, dass Chris nicht bei uns war. Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass wir vor den Matches miteinander gesprochen hatten. Mein Gegner zwang mich allerdings jetzt, mich nur noch auf mein Spiel zu konzentrieren.

Chris: Alter schützt vor Torheit nicht

Der Morgen nach meinem Doppeleinsatz war ganz übel. Ich hatte ernsthafte Probleme, mich richtig bewegen zu können. Überall taten mir Muskeln weh. Das größte Problem war jedoch meine Wirbelsäule. Ich wusste, würde ich so in mein Auto einsteigen, könnte ich nicht wieder aussteigen. Also nahm ich die Panigale.

Heile angekommen, suchte ich sofort Thorsten auf. So konnte ich unmöglich spielen. Ich betrat am frühen Morgen den Clubraum, in der Hoffnung Thorsten wäre schon da. Leider hatte ich Pech. Mir lief nur mein Bruder über den Weg.

„Hi Chris, schon so früh unterwegs?“

„Guten Morgen, Jan. Ja, ich hatte gehofft, dass ich Thorsten schon antreffe. Ich kann unmöglich spielen. Mein Rücken macht nicht mit. Ich habe überhaupt kein Gefühl mehr in der Hand.“

Erstaunlicherweise fing er nicht an zu lästern, sondern überlegte einen Augenblick und nahm dann sein Handy. Er sprach sehr leise, so bekam ich nicht genau mit, was er mit wem besprach. Als er sein Handy wegsteckte, lächelte er.

„Nach dem Frühstück kommst du gleich mit mir mit. Dann schaut sich Christoph das mal an und Kolja soll dich auch gleich im Anschluss mal vornehmen. Das wäre doch gelacht, wenn wir den alten Mann nicht wieder fit bekämen.“

Kolja war einer der Physiotherapeuten. Er sollte mich behandeln und mir eine Massage geben. Entsprechend unangenehm war das Frühstück für mich. Ich konnte mich kaum bewegen, wollte aber den Jungs keinen Grund zu Besorgnis liefern. Christoph hatte mir ein spezielles elektrolytisches Getränk gemischt und mir gegen die Schmerzen eine Spritze gegeben. Dann schickte er mich zu Kolja, wo ich jetzt auf der Pritsche lag und von ihm bereits seit zehn Minuten durchgeknetet wurde.

„Sag mal Chris, du hast an der Wirbelsäule einige Narben und ich kann fühlen, dass hier im Lendenwirbelbereich etwas anders ist. Hast du mal eine Rückenverletzung gehabt?“

„Hm jo, zwei mehrfach gebrochene Wirbel. Ein Autounfall.“

Koljas Hände zuckten zurück. Er schien überrascht zu sein. Dann tasteten seine Hände genau an der Stelle die Wirbelsäule ab und er gab Entwarnung.

„Ok, also die beschädigten Wirbel stehen alle stabil an der richtigen Stelle. Allerdings sind die Wirbel darüber etwas verschoben.“

„Hmmm, da sind auch zwei Fixateure aus Titan in den Wirbeln verschraubt. Die Wirbel können eigentlich nur erneut brechen.“

„Ah, jetzt verstehe ich auch die schweren Verhärtungen. Gut, das bekommen wir wieder hin. Allerdings solltest du mit Tennis echt vorsichtig sein.“

„Ach ne, ich spiele ja auch genau deswegen kaum noch. Ich habe akzeptiert, dass es keinen Sinn macht, weiter zu spielen. Dieses Doppel war eine spontane Idee von Jan und Thorsten.“

„Ich weiß, also pass auf, wir machen folgendes. Ich werde dir die Wirbelblockaden lösen und du kannst heute spielen. Es ist ja auch nur Doppel, allerdings solltest du keine weiteren Turniere mehr spielen.“

„Danke, das hatte ich auch nicht vor. Beschwer dich bei Jan.“

Das führte zu einem Lachanfall bei uns beiden. Er drückte dabei allerdings weiter und so hatte ich gar nicht mitbekommen, dass er die Wirbel mit einem Ruck gerichtet hatte. Nur die spürbare Entspannung konnte ich sofort fühlen. Das war eine enorme Erleichterung.

„Oh, das war gut. Danke, jetzt ist es schon viel besser. Bitte weitermachen.“

Er musste lachen und massierte mich noch einmal komplett durch. Als ich von der Pritsche aufstand, fühlte ich mich wie neugeboren. Kolja hatte sehr gute Arbeit geleistet.

„Danke für die Hilfe. Ich glaube ich komme häufiger vorbei. Das tat richtig gut.“

„Du bist doch ein Teil unseres Teams, hat dir keiner gesagt, dass jeder mit uns sprechen kann, wenn er Probleme hat? Warum kommst du nicht regelmäßig bei mir vorbei?“

„Nein, das habe ich nicht gewusst. Wann hast du denn noch Zeit dafür?“

Wir gingen jetzt nach vorn in den Empfangsbereich und er schaute im Computer nach. Wir machten zwei weitere Termine aus und die weiteren sollte ich mit ihm absprechen, wenn für mich klar war, wann ich in Halle sein würde.

Erst jetzt konnte ich mich wieder mit dem aktuellen Geschehen beschäftigen. Mir wurde bewusst, dass die Jungs vermutlich schon auf dem Platz sein würden. Hoffentlich hatte sie Thomas oder Burghard heute auf ihre Gegner vorbereitet. Ich hatte ein schlechtes Gewissen.

Als ich bei Maxi am Platz ankam, traf ich seine Eltern. Sie begrüßten mich herzlich und gaben mir eine kurze Übersicht über das Spiel. Maxi spielte gut und er konnte mithalten. Es war eine offene Partie. Ich erklärte, dass ich erst einmal einen Rundgang machen würde und dann wieder zurück käme.

Meine nächste Station war bei Fynn. Er hatte eine weitaus härtere Nuss zu knacken als bisher. Er schien auch aus irgendeinem Grund verunsichert zu sein, denn er schaute sich praktisch nach jedem Ballwechsel um. Ich beschloss deshalb, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Seine Gesichtszüge entspannten sich zusehends, als er mich erkannt hatte. Wie immer stand ich jetzt in einer Ecke des Platzes am Zaun. Es dauerte aber noch ein Aufschlagspiel, bis er auf meine Seite des Platzes wechselte und mit mir sprechen konnte.

„Wo warst du plötzlich? Ist was passiert? Wir mussten jetzt ohne Vorbesprechung auf den Platz. Das fand ich blöd. Außerdem haben wir uns Sorgen gemacht.“

Ich hatte es befürchtet. Keiner hatte die Jungs vorbereitet. Das musste ich bei der nächsten Gelegenheit im Team ansprechen. Ich hatte Thorsten informiert, dass ich zu Christoph und Kolja gehen würde, dann müsste es eigentlich klar sein, dass jemand anderes die Vorgespräche macht.

Nachdem ich Fynn das ganz kurz erklärt hatte, war er zufrieden. Ich versprach ihm, nach seinem Spiel alles ausführlich zu erklären. Ich schaute mir noch einige Spiele an und stellte fest, für Fynn schien es eine große Befreiung gewesen zu sein, dass ich wieder zurück war. Er spielte viel ruhiger und strategischer als vorher. Allerdings war der Spielstand weiterhin sehr knapp. Ich gab ihm kurz ein Zeichen, dass ich noch bei Dustin vorbei gehen würde und dann zurückkommen würde.

Erstaunt stellte ich fest, dass bei Dustin deutlich mehr Zuschauer waren als bei den anderen Matches. Außerdem stand Gilles mit Jan dort am Platz. Tim und Carlo hatte ich auch schon gesehen. Ich stellte mich zu Jan und Gilles und erkundigte mich nach dem Spielverlauf.

„Hi Chris. Wieder zurück? Was hat Kolja gesagt?“

„Hi Jan, ja er hat mir die Wirbel neu sortiert und mich sehr gut massiert. Es geht jetzt viel besser. Allerdings hat er mich ermahnt, keine weiteren Turniere zu spielen. Das war ja nichts Neues für mich. Wie sieht es bei Dustin aus?“

Jan lächelte bei meiner Bemerkung zu den Turnieren.

„Ich habe nicht gewusst, dass dich deine Verletzungen immer noch so behindern. Dann hätte ich mir das überlegt mit dem Doppel. Wirst du denn gleich spielen können?“

„Ich denke schon. Die Jungs wären schwer enttäuscht und sie wissen ja auch nicht, was ich damals erlebt hatte. Jetzt sag mir aber bitte etwas über das Spiel hier.“

„Gut, reden wir später drüber. Dustin spielt sensationell gut. Obwohl sein Gegner viel besser eingeschätzt worden ist, hält er sehr gut mit und agiert sehr selbstbewusst. Allerdings hat er schon dreimal beim Seitenwechsel nach dir gefragt. Ich musste ihn beruhigen, aber vielleicht gehst du einfach mal zur Bank und sprichst kurz mit ihm. Ich habe das Gefühl, dass er gewinnen kann.“

Wow, das wäre eine große Überraschung. Damit hatte ich nicht gerechnet. Einige Augenblicke später war wieder ein Seitenwechsel und ich stand hinter Dustins Bank. Als er auf die Bank zuging erkannte er mich. Sofort kam ein Lächeln in sein Gesicht.

„Endlich, ich habe dich überall gesucht. Wo warst du so lange?“

„Ganz ruhig, spiel du dein Spiel weiter und ich erkläre es euch später. Es ist alles in Ordnung.“

Er wollte jetzt tatsächlich mit mir diskutieren, da half nur noch eine klare Ansage.

„Hör jetzt auf, du sollst dich auf dein Spiel konzentrieren und nicht mit mir diskutieren. Ich erkläre es euch später. Punkt.“

Das hatte er jetzt verstanden. Ich blieb noch für ein paar Punkte an der Bank und ging wieder zurück zu Jan und Gilles.

„Bleibt ihr hier? Ich gehe dann zu Fynn. Dort ist es auch sehr eng.“

„Ist ok. Bis gleich.“

Ich verließ die beiden und ging zurück zu Fynn. Dort hatte er mittlerweile den ersten Satz im Tie-break gewonnen. Der zweite Satz wurde seltsamerweise eine schnelle Angelegenheit. Fynn spielte seinen Gegner förmlich an die Wand und gewann verdient glatt in zwei Sätzen.

„Respekt, das war eine klasse Leistung. Warum hast du dich so schwer getan im ersten Satz?“, fragte ich ihn, als er nach dem Handshake zur Bank kam. Er zuckte nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung, aber eines weiß ich genau. Du hast mir gefehlt. Ich wusste nicht, was los war und habe nicht frei gespielt. Als du am Ende des ersten Satzes gekommen bist, habe ich mich viel besser gefühlt. Der zweite Satz war echt geil. So gut habe ich schon ganz lange nicht mehr gespielt. Weißt du vielleicht, wie es bei Maxi und Dustin aussieht?“

„Natürlich weiß ich das. Maxi war ausgeglichen, aber spielt gut. Bei Dustin hat Jan mit Gilles das Coaching übernommen und sie sind total begeistert was dort passiert. Vielleicht gewinnt er gegen die Nummer eins der Setzliste. Das wäre ne kleine Sensation.“

„Was, echt? Wie geil ist das denn. Ich geh sofort dort hin. Das muss ich mir ansehen.“

„Nix, erst ziehst du den Platz ab und wechselst deine Klamotten. Sonst bist du morgen krank.“

„Jaja, schon klar. Keine Sorge. Ich weiß mittlerweile, dass es nicht gut ist, mit dir darüber zu diskutieren.“

Dabei grinste er mich frech an. Ich holte zum Schein mit der Hand aus, als ob ich ihm eine Ohrfeige verpassen wollte. Sofort zuckte er zurück und lachte. Er holte sich die Abziehmatte und ich ging zurück zu Jan und Gilles.

Dort herrschte eine tolle Stimmung am Platz. Jeder Punkt von Dustin wurde bejubelt und er feuerte sich immer wieder selbst an. So hatte ich Dustin noch nie erlebt. Er kämpfte um jeden Punkt und war total im Tunnel. Es dauerte noch einige Minuten, bis es zum entscheidenden Match-Tiebreak im dritten Satz kam. Es bahnte sich wirklich eine kleine Sensation an. Fynn war auch mittlerweile an der Bank und das gab für Dustin noch einen zusätzlichen Schub. Er gewann tatsächlich gegen den hohen Favoriten. Als der Matchball gespielt war, stürmte Fynn sofort auf den Platz und umarmte seinen Freund. Alle Zuschauer applaudierten und Jan, Gilles und ich schauten uns anerkennend an. Dustin stand mit Fynn gemeinsam im Viertelfinale. Wenn Maxi nun auch noch gewinnen würde, waren drei der letzten acht Spieler aus Halle. Das war ein großer Erfolg. Und tatsächlich gewann Maxi auch sein Spiel.

Nachdem sich die Aufregung ein wenig gelegt hatte und unsere Jungs sich beruhigt hatten, bat uns Jan zu einer gemeinsamen Besprechung. Also die drei Jungs und mich. Wir wollten über den weiteren Verlauf reden. Das dauerte nicht so lange, denn er lobte die Leistung der Jungs und zum Schluss fragte er in die Runde:

„So, da wir ja jetzt alle zusammen sind, möchte ich euch etwas fragen. Ihr seid in den letzten Wochen viel zusammen unterwegs gewesen und habt sehr gute Ergebnisse und Entwicklungen gezeigt. Chris war euch dabei sicher eine Hilfe …“

Dustin unterbrach ihn.

„Das kannst du laut sagen. Chris war mehr als nur eine Hilfe. Er hat den größten Anteil daran.“

Ohje, was hatte das jetzt zu bedeuten? Mir war es ein wenig unangenehm, aber gut. Es freute mich natürlich auch, dass ich mal von meinem Bruder Anerkennung bekam.

„Ist schon gut, Dustin. Ich weiß, was er gerade für euch beide getan hat. Ich möchte jetzt aber auf etwas anderes hinaus. Könntet ihr euch vorstellen, in Zukunft Chris als Trainer zu akzeptieren?“

Was war das denn jetzt? Genauso überrascht wie ich, schauten sich die drei Jungs an. Maxi fragte als erster nach:

„Wie meinst du das? Er ist doch schon als Trainer mit uns unterwegs und zwar sehr erfolgreich.“

Jan fing an zu grinsen.

„Ja, da hast du sicher recht. Ich meine das aber jetzt so, dass er mit euch hier in der Base auch als Trainer auf dem Platz arbeiten könnte, wenn ihr damit einverstanden seid. Er soll euer persönlicher Coach werden. Ich weiß, dass er noch einen Beruf hat und den vermutlich auch nicht aufgeben wird, …“, dabei schaute er mich an und ich wusste, er hatte noch etwas im Schilde. „ … aber ich möchte, dass Chris mit euch verantwortlich arbeiten soll. Wie das dann gehen kann, werden wir sehen. Ihr müsst ja auch nicht ständig und rund um die Uhr betreut werden. Nur glauben wir, dass es euch viel mehr bringen wird, wenn er fest mit euch arbeitet.“

Sehr interessant, darüber hatte Jan mit mir noch nicht gesprochen. Auch die Jungs waren entsprechend überrascht. Zum Abschluss sagte Jan noch: „Ihr müsst das nicht jetzt hier entscheiden. Ich habe das mit Chris auch überhaupt noch nicht besprochen. Allerdings macht es keinen Sinn, sich damit zu beschäftigen, wenn ihr das gar nicht wollt. Ich möchte euch deshalb bitten, mir bis zum Sonntag eure Meinung mitzuteilen. Ich werde danach nämlich wieder auf der Tour sein. Bis dahin will ich das aber geklärt haben.“

Damit löste sich unsere kleine Versammlung auf und die Jungs verließen den Raum. Ich blieb mit Jan allein zurück.

„Sorry, dass ich nicht vorher mit dir gesprochen habe, aber mach dir mal bitte Gedanken, ob du dir das vorstellen kannst, mit den Jungs auch auf dem Platz zu arbeiten. Du musst ja nicht viel selbst spielen. Ich weiß, dass du das nicht mehr darfst. Aber ich glaube, dass es für die Jungs das Beste wäre, sie hätten eine Bezugsperson und das sollst du werden. Außerhalb des Platzes bist du das für Dustin und Fynn ja eh schon geworden.“

„Ja, ich hätte es schon gut gefunden, wenn du mir von deinen Plänen vorher etwas gesagt hättest. Ich fühle mich gerade etwas überfahren.“

„Kann ich verstehen, aber ich habe es mit Thorsten besprochen und wir möchten das geklärt haben, bevor ich wieder weg fliege.“

„Ok, ich denke darüber nach. So, wie ich euch mittlerweile kenne, soll ich mich erst einmal grundsätzlich entscheiden und die Details klären wir dann später.“

Jan lächelte und ich wusste Bescheid. Das hatte ich mittlerweile begriffen, wie das hier ablief. Wir trennten uns, weil ich mich jetzt mit Gilles auf mein Doppel vorbereiten musste. Es würde sicher noch eine halbe Stunde dauern, weil den Jungs eine Pause zustand. Dennoch wollte ich mich gut warmmachen und testen, ob es denn wirklich gehen würde.

Gilles stand bei Thomas und sie unterhielten sich über das nächste Turnier, was Gilles auf der ATP Tour spielen würde. Ich stellte mich zu ihnen und Gilles fragte mich, ob ich bereit wäre, dass wir uns aufwärmen würden. Ich nickte und danach ging ich mich umziehen.

Thomas hatte uns einen Platz reserviert und dort machten wir uns warm. Erstaunlicherweise merkte ich kaum noch etwas von den Problemen heute Morgen.

Gilles war wie immer sehr gut drauf und hatte immer einen Spruch auf Lager, wenn mir der Ball nicht gelang. Nach etwa zwanzig Minuten beendeten wir unsere Einheit und sprachen noch einmal unsere Strategie durch. Ich wusste natürlich über die Stärken und Schwächen von Maxi und Dustin Bescheid. Andererseits wollte ich das nicht ausnutzen.

Gilles musste noch einige Autogramme schreiben und ich verabschiedete mich von ihm, weil ich mal nach den Jungs schauen wollte. Wie nicht anders zu erwarten war, saßen sie alle drei gemeinsam auf einer Bank und unterhielten sich wohl über das kommende Match. Sie bemerkten mich und sofort hatten sie das Thema gewechselt. Innerlich musste ich grinsen.

„Na, was für geheimnisvolle Dinge habt ihr besprochen? Wie wollt ihr Gilles aus dem Spiel nehmen?“

Dustin grinste mich an und das so provozierend, da wusste ich schon, was kommen würde.

„Hi Chris, aber klar doch. Gilles ist nur das kleinere Übel. Du weißt doch genau, wo wir Schwächen haben. Also müssten wir dich zuerst ausschalten, bevor du Gilles alles erzählt hast.“

Fynn und Maxi fanden das natürlich total lustig und lachten sich halb tot.

„Das fällt dir aber zu spät ein. Ich habe Gilles schon aufgeklärt.“

In diesem Moment kam die Durchsage der Turnierleitung, dass wir auf Platz zwei spielen sollten. Fynn hatte noch etwas Zeit, weil Markus noch mit seinem Einzel beschäftigt war.

Nachdem wir alle unsere Taschen und Schläger geholt hatten, betraten wir den Platz. Natürlich hatten alle Anwesenden mitbekommen, dass Gilles wieder spielen würde. Entsprechend viele Zuschauer waren bereits am Platz. Jetzt konnte ich doch eine gewisse Anspannung und Unsicherheit bei den beiden Jungs erkennen. Sie waren definitiv nervös. Allerdings war ich auch nicht komplett locker. Meine größte Sorge war allerdings mein Rücken. Würde er halten?

Die ersten Spiele verliefen ausgeglichen. Gilles hielt sich weiterhin an die Absprachen und spielte keineswegs allein. Er ließ auch die Jungs mitspielen und machte kaum direkte Punkte. Deshalb war es kein Wunder, dass es bald 4:4 im ersten Satz stand. Was mir noch sehr gut gefallen hatte, Fynn hielt sich sehr zurück. Klar, er feuerte seinen Freund an, aber er gab keine Tipps.

Ich hatte jetzt Aufschlag und mein Rücken fühlte sich gut an. Ich beschloss also, nun mit etwas mehr Risiko aufzuschlagen. Nicht mehr Geschwindigkeit, sondern mehr Schnitt und mehr Kick. Das war eine deutlich höhere Belastung für den Rücken, aber er hielt und ich stürmte wie immer nach dem ersten Aufschlag nach vorn ans Netz und spielte den ersten Volley Maxi vor die Füße. Er hatte Probleme den Ball flach zu halten und so konnte Gilles sofort dazwischen gehen und den Punkt machen. Dieses Aufschlagspiel war das erste, welches wir glatt gewinnen konnten. Bei 5:4 wurden die Seiten gewechselt und Dustin hatte nun Aufschlag.

Ich stand vorn an der T-Linie und Gilles spielte den Return. Leider traf er den Ball nicht ganz sauber und Dustin stürmte dem Ball entgegen, konnte aber den flatternden Ball nicht mehr ausreichend drücken. Ich sah den Ball noch auf mich zu fliegen, konnte mich noch zur Seite drehen, spürte dann jedoch den Aufprall auf der Schläfe.

Es wurde ganz schnell dunkel und still um mich.

Langsam hörte ich wie von entfernt Stimmen und öffnete vorsichtig die Augen. Ich lag noch immer auf dem Platz. Allerdings war ich nicht allein. Bei mir hockten Maxi und Kolja. Kolja? Wo kam der denn jetzt so schnell her.

„Was ist denn passiert?“, fragte ich etwas desorientiert.

Langsam richtete ich mich auf. Ein böser Schmerz im Kopf verhinderte aber jede schnelle Bewegung.

„Ruhig Chris“, vernahm ich von Kolja.

„Maxi, hilfst du Chris beim Aufstehen. Und dann setzt du ihn auf die Bank.“

Ich vernahm das immer noch, als ob mein Kopf in Watte gepackt war. Erst, als ich auf der Bank saß und wieder scharf sehen konnte, erkannte ich die ganzen Leute um mich herum.

„Kann mir einer ne Alcaselzer geben? Ich fühle mich wie nach drei Tagen durchsaufen.“

„Ha, so kenne ich Chris. Er wird wieder normal.“

Irgendwie hatte ich noch immer leichte Probleme, dem zu folgen. Allerdings wurde meine Wahrnehmung langsam besser. Thorsten stand vor mir und auch Kolja erkannte ich, denn der hielt mir nämlich ein Kühlpack an den Kopf. Maxi saß neben mir und stützte mich noch etwas. Ich wollte von der Bank aufstehen. Allerdings waren meine Beine noch nicht voll funktionsfähig. Der erste Versuch scheiterte entsprechend kläglich.

„Ruhig, Chris. Bleib noch einen Moment sitzen. Dein Kopf muss sich neu orientieren. Wir haben alle Zeit der Welt. Kannst du mich bitte mal anschauen?“

Kolja stand vor mir und hielt mir seinen Zeigefinger vor meine Augen. Ich sollte mit den Augen seinem Finger folgen. Jetzt hatte ich es begriffen. Von diesem Moment an ging alles sehr viel schneller.

„Ok, ok. Ich bin wieder unter den Lebenden. Kann mir einer sagen, was genau passiert ist?“

Dabei sah ich mich um und konnte weder Fynn noch Dustin sehen. Tim, Maxi und Carlo standen um mich herum.

„Du hast unglücklich einen Ball an die Schläfe bekommen und bist anschließend bewusstlos gewesen. Das sah auch nicht gut aus. Aber ich bin froh, dass es dir anscheinend wieder besser geht.“

„Danke Maxi, so langsam bekomme ich wieder alles auf die Reihe.“

Mir wurde auch bewusst, dass wir ja mitten in einem Match waren und ich nicht ewig auf der Bank sitzen konnte. Also stand ich jetzt auf. Das klappte auch wieder ganz gut, nur war mir immer noch leicht schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen. Bei jeder Bewegung hatte ich ein Dröhnen im Kopf.

Gilles stand mir gegenüber und mir wurde jetzt doch klar, so konnte ich nicht weiterspielen. Das ärgerte mich sehr. Aufgeben war für mich die letzte Option, aber es wäre absolut unvernünftig gewesen, weiter zu spielen.

„Sorry, Gilles. Ich kann so nicht weiterspielen. Die Jungs haben wohl gewonnen. Tut mir sehr leid, aber es geht einfach nicht.“

Er schaute mich an und fing einfach an zu lachen. Das irritierte mich total. Aber als er mir erklärte: „Das ist doch gar kein Problem. Wir hatten eben echt große Sorgen, dass dir etwas Ernstes zugestoßen sei. Ich hatte den Jungs schon gesagt, dass das Spiel zu Ende ist. Es wäre unverantwortlich weiter zu spielen“, hatte ich verstanden, warum er lachte.

„Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Kann mir einer sagen, warum Dustin und Fynn nicht hier sind? Wo sind sie?“

Jetzt schaltete sich Thorsten ein und ich konnte bei allen ein ernstes Gesicht erkennen.

„Ich habe sie weggeschickt. Dustin war vollkommen panisch und aufgelöst, als er bemerkt hatte, was ihm passiert war. Er wollte sich überhaupt nicht beruhigen. Da habe ich Fynn gebeten, mit ihm ein wenig spazieren zu gehen. Darum kümmere ich mich gleich. Du warst momentan erst einmal wichtiger.“

Ich nickte vorsichtig und konnte mir sehr gut vorstellen, was bei Dustin im Inneren jetzt los war.

„Danke, Thorsten. Ich glaube, es ist aber besser, wenn ich selbst zu den beiden gehe. Weißt du wo sie jetzt sind?“

„Schau mal auf den Spielplatz, ich vermute, dass sie dort sitzen.“

Ich packte meine Sachen in die Tasche und wollte noch den Platz abziehen, aber Maxi hielt mich davon ab.

„Lass mal, Chris. Ich mache das. Kümmere du dich mal um Dustin. Er macht sich große Vorwürfe und so kann ich kein Halbfinale mit ihm spielen.“

„Danke, ja, ich kann mir vorstellen, was jetzt bei ihm los ist. Ich gehe mal schauen, dass ich ihn wieder aufgebaut bekomme. Er hat keine Schuld. Es war einfach Pech. Das passiert halt mal.“

Maxi lächelte und ich konnte auch seine Erleichterung spüren, dass mir nicht mehr zugestoßen war. Ich nahm meine Tasche und verließ mit Gilles den Platz. Auf dem Weg in die Umkleide bedankte ich mich noch bei ihm für das bis dahin sehr lustige Doppel.

Ich zog mir trockene und saubere Sachen an und machte mich etwas frisch. Dabei konnte ich auch eine leichte Schwellung am linken Auge erkennen.

Ein paar Minuten später stand ich auf dem Spielplatz und sah, wie die beiden Jungs oben auf dem Klettergerüst standen. Fynn hatte Dustin fest im Arm und sie redeten miteinander. Als ich näher kam, konnte ich sofort erkennen, dass Dustin ziemlich fertig war. Auch Fynn war nicht in bester Verfassung. Beide waren mitgenommen.

„Hey, ihr beiden. Kommt ihr bitte mal runter. Ich möchte noch nicht zu euch heraufklettern.“

Sie schauten sich an und Fynn nickte seinem Freund zu. Sie kamen herunter und schon bald saßen wir auf einer Bank neben dem Spielplatz. Beide waren zuerst einmal froh, dass es mir wieder besser ging und Dustin war immer noch bemüht, mir erklären zu wollen, dass er das nicht gewollt hatte.

„Hör mal, Dustin. Du hörst jetzt bitte auf, dich ständig zu entschuldigen. Ich weiß, dass es ein dummer Zufall war. Du hast mich nicht absichtlich getroffen. Das kann beim Tennis halt mal passieren. Also hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Ich mache es doch auch nicht. Du musst gleich noch ein Doppel spielen. Vom Einzel ganz zu schweigen. Ich will, dass du mit Maxi ins Finale kommst.“

Er umarmte mich ganz fest und ich streichelte ihm beruhigend über den Rücken. Es fiel ihm spürbar schwer, wieder zur Normalität zurückzukehren. Dabei half ihm sein Freund sicher und es tat ihm gut, dass er spüren konnte, dass ich nicht sauer auf ihn war. Mir war klar, er würde heute sicher noch ein paar Mal daran denken, aber morgen sollte wieder alles normal sein.

„So, ich möchte, dass ihr beide in zehn Minuten wieder spielbereit seid und dann weiter Gas gebt. Ihr könnt hier noch weit kommen und alles liegt bei euch.“

Dustin schaute mich an und sein Blick verriet mir sehr viel.

„Danke, Chris. Es tut mir wirklich unglaublich leid, dass das passiert ist. Ich bin echt froh, dass nicht mehr passiert ist.“

„Ja, bin ich auch“, grinste ich ihn frech an.

Das führte dazu, dass auch Dustin wieder lachen konnte. Ich verabschiedete mich erst einmal von ihnen. Sie sollte noch ein paar Minuten allein zur Ruhe kommen.

Der weitere Verlauf des Tages ist schnell erzählt. Maxi und Dustin gewannen ihr Doppel und somit standen drei Haller Spieler sowohl im Einzel als auch im Doppel im Halbfinale. Das war ein sehr großer Erfolg bis hier hin. Vielleicht kam ja auch noch mehr.

Meine Heimfahrt war problemlos, da sich die Schwellung deutlich zurückgebildet hatte. Also alles halb so wild. Jetzt mussten wir nur sehen, dass sich die Jungs nicht noch zu sehr damit beschäftigten.

Fynn: Finale für einen von uns ist möglich

Das war eine böse Überraschung mit dem unglücklichen Treffer von Dustin bei Chris. Dustin war total aufgelöst und in völliger Panik, nachdem Chris bewusstlos auf dem Platz zusammengesackt war. Ich hatte einiges zu tun, um ihn zu beruhigen. Aber nachdem Chris persönlich bei uns erschien und deutlich klar sagte, dass sich Dustin keine Vorwürfe machen sollte, normalisierte sich sein Zustand wieder.

Selbst abends in der WG, als wir wieder zu Hause waren, konnte ich seine Unruhe noch fühlen. Alle anderen halfen mir, indem sie sich um Dustin kümmerten. Sie lenkten ihn ab und was ich ganz besonders schön gefunden habe, war der Anruf von Chris. Er hatte sich erneut bei Dustin gemeldet und ihm Mut gemacht, am nächsten Tag genauso weiterzuspielen.

Das zeigte mir, wie viel Glück wir hatten, so ein Team hinter uns zu wissen. Die Nacht wurde leider recht kurz, weil ich mit Dustin noch lange wach lag und wir viel über diesen Tag gesprochen hatten.

Heute waren Viertelfinale und Halbfinale angesetzt. Die Finals sollten dann am morgigen Sonntag gespielt werden. Wir hatten noch Dustin, Maxi und mich in der Einzel- und Maxi und Dustin sowie Markus und mich in der Doppelkonkurrenz im Wettbewerb. Das war ein riesiger Erfolg. Umso bitterer natürlich, dass ausgerechnet Chris das Opfer wurde und den Erfolg vermutlich nicht miterleben würde.

Wir waren am Samstag bereits wieder auf der Anlage und hatten uns zurückgemeldet. Thorsten hatte uns alle freundlich begrüßt und uns von Chris ausrichten lassen, dass sein Auge schon viel besser sei. Das beruhigte insbesondere Dustin.

Unsere WG trat erneut als Team auf. Sogar Tim, Carlo und Alex waren zur Unterstützung gekommen. Das war schon klasse, und mir wurde bewusst, dass wir mittlerweile vollkommen akzeptiert waren. Es waren Freunde für uns geworden.

Leider hatte die Auslosung zur Folge, dass Maxi nun gegen Markus spielen musste. Ich war in der anderen Hälfte und somit brauchte ich nicht gegen einen von den dreien zu spielen. Erst im Finale wäre ein Aufeinandertreffen möglich. Allerdings konnte niemand von uns realistisch damit rechnen. Es waren noch einige sehr gute Spieler dabei. Mein nächster Gegner war immerhin die Nummer 45 in Deutschland.

Ich hatte mir aber ganz fest vorgenommen, alles genauso weiter zu machen, wie wir das bislang getan hatten. Also nichts zu ändern. Als wir drei auf den Platz gingen, wir spielten alle parallel, fehlte uns dennoch Chris. Allerdings war mir schon klar, dass er sich zu Hause ausruhen wollte und sein Auge schonen musste.

Wir standen zu dritt beieinander und wollten uns gegenseitig viel Glück wünschen, als Tim, Carlo und Alex hinzukamen, alle die Hände in die Mitte des gebildeten Kreises hielten und Maxi dann den Spruch brachte:

„So, Jungs. Alle für Chris. Wir wollen morgen einen von uns im Finale haben. Auf geht´s.“

Wir klatschten uns alle gegenseitig ab und dann ging es auf den Platz. Während des Einschlagens hatte ich bemerkt, dass wirklich alle Trainer und Physios anwesend waren. Für morgen hatte sich sogar Gerry Weber angekündigt. Wieder gingen meine Gedanken zu Chris. Es war wirklich zu blöd, dass das ausgerechnet bei diesem Turnier passiert war. Egal, ich musste jetzt versuchen, mein Spiel zu gewinnen.

Dustin und ich gingen die letzten Meter noch gemeinsam und ich wünsche ihm viel Erfolg. Sein Gesicht wirkte angespannt und verunsichert. Hoffentlich würde er die gestrigen Vorfälle ausblenden können.

Mein Viertelfinale verlief wie erwartet sehr zäh. Mein Gegner brachte jeden Ball zurück, tat aber nichts, um den Ballwechsel zu beenden. Entsprechend lang wurden die Ballwechsel und meine Konzentration und Disziplin gefordert. Allerdings hatte ich nicht das Gefühl, das Match verlieren zu können. So hatte ich erst nach über zweieinhalb Stunden meinen ersten Matchball, den ich auch verwandeln konnte. Damit hatte ich das Halbfinale erreicht. Erschöpft, aber glücklich saß ich nach dem Handshake auf der Bank.

Thomas kam zu mir und gratulierte.

„Glückwunsch, Fynn. Das war richtig gut und diszipliniert gespielt. Respekt! Leider war der Gegner für Dustin zu stark. Dustin konnte das nicht gewinnen. Er hat sich aber gut gehalten und braucht nicht enttäuscht zu sein. Vielleicht kannst du ihn ja ein bisschen aufbauen. Er schaut noch bei Maxi zu. Das ist nämlich ein sehr hochklassiges Spiel gegen Markus.“

Ich schaute zu ihm auf und lächelte.

„Ja, das glaube ich sofort. Denkst du, Maxi kann das gewinnen?“

Er wiegte seinen Kopf.

„Vielleicht, er ist jedenfalls nicht chancenlos. Wenn alles normal läuft, gehen sie gleich in den dritten Satz. Maxi führte im zweiten Satz 4:1 bevor ich zu dir ging.“

Ich sprang von der Bank auf und wollte sofort hinüber laufen, da fiel mir ein, ich musste den Platz noch abziehen.

„Lass mal“, sagte Thomas, „dass kannst du auch gleich noch machen. Los, geh schon.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und war sofort zu Maxis Platz gelaufen. Es stimmte, sie mussten einen Champions-Tiebreak spielen. Dustin stand direkt hinter Maxis Bank. Was mich allerdings wunderte, warum er nicht einmal an meinem Platz war, als er mit seinem Spiel fertig war. Ich lief zu ihm und legte ihm meine Arme um den Hals.

„Hier versteckst du dich also. Und ich dachte schon, du bist geflüchtet.“

Danach gab ich ihm einen Kuss und er schaute mich verwundert an.

„Fynn, wo kommst du denn her? Bist du schon fertig?“

„Ja, und ich bin etwas enttäuscht, dass du nicht bei mir geschaut hast.“

„Ich wollte dich nicht ablenken, nach meiner bösen Niederlage. Ich habe einfach nicht das gespielt, was ich mir vorgenommen hatte.“

„Schhhh …, darüber reden wir später. Jetzt bringen wir Maxi zum Sieg. Mein Gefühl sagt mir, dass er das schafft.“

Ich drehte ihn wieder nach vorn zum Platz und blieb hinter ihm stehen. Maxi hatte ich noch mitteilen können, dass ich gewonnen hatte. Das schien eine extra Portion Energie freigesetzt zu haben, denn er gewann den Tie-break mit 10:4. Damit hatte Maxi ebenfalls das Halbfinale erreicht. Er hatte Markus besiegt und damit auch viele Ranglistenpunkte bekommen. Markus war nicht nur ein guter Verlierer. Im Gegenteil, er lobte sowohl Maxi, als auch mich. Ein wirklich netter Typ. Als er vom Platz ging, blieb er noch kurz bei uns stehen.

„Glückwunsch, Fynn. Schön, dass du gewonnen hast. Gestern war ja ein blöder Tag für euch. Die Sache mit Chris ist echt dumm gelaufen.“

Dabei schaute er Dustin genau an. Er erkannte Dustins Enttäuschung.

„Hey, mach dir keine Vorwürfe. Das ist auch schon anderen passiert. Chris wird dir keine Vorwürfe machen. Außerdem wird es morgen bestimmt schon wieder viel besser sein.“

Dustin lächelte gequält. Markus zwinkerte mir zu und sagte dann:

„Fynn, du musst dich um deinen Freund kümmern. Bau ihn wieder auf. Du wirst das sicher schaffen, dass er bald wieder lachen kann.“

Dann ging er zur Umkleide. Wir blieben ziemlich sprachlos zurück, währenddessen Maxi sich totlachte.

„Was hast du denn?“

„Nichts, hihi, aber euer Gesicht ist klasse. Markus hat es wohl geschnallt, dass ihr ein Paar seid.“

„Das weiß er schon lange, aber ich werde mir Mühe geben. Kommst du mit, Dustin?“

Dustin grinste endlich wieder und wir gingen gemeinsam Richtung Clubhaus.

Dort waren nur noch wenige Spieler anwesend und entsprechend ruhiger war es dort. Wir setzten uns an einen Tisch und es dauerte nicht lange, bis alle aus unserem Team bei uns saßen. Es war sozusagen ein Spielermeeting. Tim und Carlo hatten wie immer den Schalk im Nacken und das lenkte uns alle ein wenig ab. Mir tat das ebenso gut wie Dustin. Wir konnten einfach abschalten und den Kopf frei machen. Dadurch bekamen wir aber überhaupt nicht mit, dass sich draußen ein Unwetter zusammenbraute. Erst, als plötzlich viele Personen ins Clubhaus stürmten, wurde uns bewusst, dass es bereits wie aus Eimern schüttete. Es blitzte und donnerte am laufenden Band und Sturmböen fegten über die Terrasse.

„Boah, krass. Schaut mal, was da an Wasser herunter kommt.“

Dustin und ich schauten aus dem Fenster und Carlo hatte recht. Unmengen an Wasser stürzten vom Himmel. Es dauerte nur wenige Minuten, bis alle Plätze komplett unter Wasser standen. Doch genau so schnell, wie es gekommen war, verschwand das Unwetter wieder. Als es nicht mehr regnete und wir nach draußen gingen, um uns einen Überblick zu verschaffen, staunten wir. Alle Plätze waren komplett unbespielbar und selbst auf einigen Rasenflächen stand noch Wasser.

„Wow, das sieht aber böse aus. So wird heute kein Spiel mehr stattfinden können. Was meint ihr?“

Wir standen alle auf der Terrasse und Dustin hatte sicher recht mit dem, was er gesagt hatte.

„Ja, sieht wohl sehr nach Abbruch aus. Wie gut, dass wir morgen noch etwas Luft haben. Hoffentlich entscheiden sie sich schnell zu einer Verschiebung. Jetzt hier Stunden zu warten, habe ich keine große Lust.“

Maxi sah dabei etwas genervt aus. Ich musste ihm zustimmen, denn lange Wartezeiten waren für die Konzentration sicher nicht gut. Vor allem, wenn es eigentlich sinnlos war zu warten, weil es Stunden dauern würde, bis die Plätze wieder bespielbar sein würden.

„Tja, aber wir müssen wohl abwarten, was Thorsten entscheidet. Ich gehe mal zu ihm und frage, wie er die Lage sieht.“

Ich verließ die Terrasse in Richtung Büro und überall waren große Pfützen. Im Büro saßen Antonius und Thorsten und redeten angeregt über die Lage. Ich wollte nicht stören und hatte mich schon wieder umgedreht, als Thorsten mich ansprach.

„Fynn, warte bitte. Was denkst du zur Lage? Sollen wir warten oder direkt auf morgen verlegen?“

Ich drehte mich erneut um und stand in der Tür zum Büro.

„Ganz ehrlich. Auf morgen verschieben. Es wird Stunden dauern, bis wir auf den Plätzen wieder spielen können. Außerdem weiß keiner, ob es bis dahin nicht noch ein Gewitter gibt.“

„Ok, Antonius und ich machen eine Runde über die Anlage und wir schauen mal, wie es aussieht. Wir werden dann entscheiden. Kannst du das den anderen bitte ausrichten?“

„Klar, mache ich. Bis gleich.“

Ich ging zurück und unterrichtete alle anderen. Auch Markus stand mittlerweile bei uns. Er war zu seinem Wohnmobil gelaufen, weil er sicher sein wollte, dass alle Luken verschlossen waren. Wir redeten noch ein wenig über Chris und den unglücklichen Abschuss von gestern, als uns Markus fragte: „Was macht ihr denn heute, sollte es auf morgen verschoben werden? Habt ihr vielleicht Lust ins Kino zu gehen oder sonst irgendwas zu machen?“

Wir schauten uns an und ich hatte ehrlicherweise keine große Lust, noch einmal loszuziehen. Dustin auch nicht, aber Maxi wäre wohl nicht abgeneigt. In diesem Moment betraten Thorsten und Antonius die Terrasse. Thorsten bat um Ruhe.

„So, liebe Tennisfreunde und Spieler. Wir haben uns einen Überblick verschafft und es sieht wirklich so aus, dass heute nicht mehr gespielt werden kann. Wir verschieben die Halbfinals auf morgen Vormittag zehn Uhr. Beginnend mit den Doppel und anschließend die Einzel. Am Nachtmittag werden die Finals stattfinden. Bis dahin wünsche ich allen einen guten Heimweg und bis morgen.“

Es begann sofort ein allgemeines Gewusel und Gemurmel und alle suchten ihre Taschen und Siebensachen zusammen. Wir hatten es ja nicht sonderlich weit nach Hause. Maxi hatte sich mit Markus für einen Kinobesuch entschieden, während wir anderen schnell nach Hause fuhren. Ich wollte einfach abschalten und den freien Nachmittag und Abend in Ruhe genießen.

Martina hatte heute natürlich frei, weil wir ja eigentlich alle noch mit dem Turnier beschäftigt waren. Dustin und ich packten unsere Taschen aus und hingen die nassen Klamotten zum Trocknen auf.

Wir machten uns gerade in der Küche etwas zu essen, als Carlo und Tim herunter kamen.

„Könnten wir bei euch essen? Wir helfen auch beim Kochen.“

Dustin und ich schauten uns grinsend an und wie man sich vorstellen kann, wurde es jetzt lustig in unserer Küche. Die beiden hatten allerdings Talent beim Kochen. So hatten wir schnell ein paar Nudeln gemacht und eine Sahnesoße. Nach dem Essen räumten wir noch die Küche auf und dann hatte Carlo die Idee, eine Runde „Siedler“ zu spielen.

Warum nicht, dachte ich. Das hatte ich früher immer gern gespielt. Dustin fand die Idee auch gut und so spielten wir seit langer Zeit mal wieder ein Brettspiel.

Während des Spiels klingelte plötzlich Dustins Handy. Er nahm das Gespräch an und nach seinem Gesicht zu urteilen vermutete ich anfangs, dass es ein unangenehmes Gespräch war. Aber als ein paar Worte gewechselt waren, entspannte er sich zusehends. Und wie ich schnell bemerken konnte, war Chris am anderen Ende der Leitung. Sie sprachen über den Verlauf des Tages und Chris schien es wieder gut zu gehen. Er beruhigte Dustin immer wieder und wollte zum Schluss noch mit mir sprechen.

„Hi Chris, wie ich mitbekommen habe, ist dein Auge wieder fast in Ordnung.“

„Ja, Fynn. Es sieht schon wieder viel besser aus und das Wichtigste ist, ich kann wieder normal sehen. Also, was ich dir sagen wollte, deine Mutter hat mich angerufen und sich bei mir erkundigt, wie es euch geht und ob alles in Ordnung ist. Sie hat mir von Patrick erzählt und dass es mit ihm ein paar Probleme gibt. Das soll euch aber nicht beunruhigen. Es ist alles im normalen Rahmen. Ich habe ihr von euch erzählt und dass ich sehr zufrieden mit euch bin. Wann willst du dich eigentlich entscheiden, ob du mit in die Klinik fährst?“

„Also, eigentlich haben wir uns schon entschieden. Wenn sich mein Vater auf meinen Brief positiv äußert und er akzeptiert, dass Dustin mein Freund ist, dann werden Dustin und ich ihn besuchen.“

„Das finde ich einen guten Ansatz und unterstütze das auch. Du solltest mit deiner Mutter dann noch mal darüber sprechen, wie ihr das genau machen wollt.“

„Klar, das habe ich vor. Sag mal, kommst du morgen vielleicht zum Halbfinale und Finale? Ich, nein, wir würden uns alle sehr freuen.“

Chris begann zu lachen.

„Natürlich komme ich. Was hast du denn gedacht? Ich wäre auch heute gekommen, wenn mein Auge schon besser gewesen wäre. Das lasse ich mir doch nicht entgehen.“

„Cool, da freuen wir uns echt drüber. Dann bis morgen und mach dir noch einen gemütlichen Abend.“

„Danke, ihr euch auch und bleibt anständig.“

„Wir sind immer anständig.“

Damit beendete ich das Gespräch und sah in drei grinsende Gesichter. Carlo war natürlich derjenige, der einen Spruch dazu bringen musste.

„Na, ob ihr heute Abend auch anständig seid, möchte ich bezweifeln.“

Vor einigen Wochen wäre Dustin jetzt vermutlich in Panik geraten, heute konterte er:

„Natürlich sind wir anständig. Anständig lange im Bett.“

Das führte zu einem Lachanfall bei uns allen. Meine Güte, war das cool. Mein Freund wurde immer lockerer und ich freute mich schon auf die Nacht.

Wir spielten noch einige Zeit weiter, aber irgendwann wurden wir doch müde und entschieden uns, früh schlafen zu gehen. Carlo und Tim verabschiedeten sich nach oben und ich zog mich mit meinem Freund zurück in unser Appartement. Diese Nacht sollte uns gehören.

Chris: Finaltag mit Überraschung

Ich hatte am Samstagabend mit Dustin und Fynn telefoniert. Damit wollte ich vor allem Dustin zeigen, dass er sich nicht zu viele Gedanken machen sollte. Es war halt ein unglücklicher Umstand gewesen. Das passierte eben beim Tennis. Für mich ein weiterer Beweis, dass ich vielleicht einfach zu alt und untrainiert war. Früher hätte ich vermutlich besser und anders reagieren können.

Heute war Sonntag und Finaltag. Aufgrund des Unwetters waren die Halbfinals auf heute verschoben worden. Das gefiel mir gut, denn ich konnte auf diese Weise beides noch verfolgen. Denn dass ich nach Halle fahren würde, war mir vollkommen klar. Dass einer unserer Jungs vielleicht das Finale erreichen würde, wäre ein großer Erfolg und das wollte ich mir nicht entgehen lassen. Selbst wenn sie im Halbfinale ausscheiden würden, hatten alle eine wirklich gute Leistung gezeigt.

Nach dem Frühstück machte ich mich auf den Weg nach Halle. Heute nahm ich doch lieber das Auto. Unter dem Helm war die Schwellung noch deutlich spürbar. Auf dem Weg zur Anlage klingelte mein Handy. Über die Freisprechanlage nahm ich das Gespräch an. Es war Fynns Mutter.

„Guten Morgen. Ich wollte mit Patrick eigentlich nach Halle fahren und bei Fynn zuschauen. Er hat immerhin ein Halbfinale erreicht und das ist doch schon etwas Besonderes. Aber ich wollte vorher doch lieber fragen, ob wir das überhaupt machen sollten. Nicht, dass es für ihn zu aufregend ist.“

„Guten Morgen, das finde ich hervorragend. Vor allem, dass Patrick auch mit möchte, gefällt mir sehr gut. Machen Sie das bitte. Ich glaube, Fynn und Dustin würden sich beide sehr freuen. Und ich mich auch, denn es wäre ein gutes Signal auch für die anderen aus dem Team, dass Sie sich bemühen, wieder eine normale Familie zu werden. Ich freue mich.“

„Danke, dann sehen wir uns gleich. Was meinen Sie, sollen wir schon vor dem Spiel ankommen oder erst, wenn er auf dem Platz ist?“

Ich überlegte einen Augenblick, ob es nicht besser wäre, erst während des Spieles zu erscheinen. Ich vermittelte ihr meine Gedanken und so verblieben wir, dass wir uns dann in Halle treffen würden.

Als ich auf dem Parkplatz aus dem Wagen stieg, staunte ich nicht schlecht. Obwohl es erst halb zehn war, war der Parkplatz schon gut gefüllt. Ich ging auf die Anlage und konnte den Platzwart bereits bei der Arbeit sehen. Die Plätze sahen gut aus und es sollte keine Probleme geben, das Turnier heute gut zu Ende zu bringen.

„Ah, guten Morgen, Chris. Wie geht es deinem Auge? Kannst du wieder normal sehen?“

„Hi Thomas. Danke, alles wieder gut. Es hat mir halt nur gezeigt, dass ich für solche Spielereien doch schon zu alt bin.“

Thomas lachte zwar, aber er schob auch gleich hinterher: „Quatsch, du spielst für einen reinen Freizeitspieler immer noch sehr gutes Tennis. Vor allem hast du eine sehr saubere Technik. Außerdem fanden wir das alle sehr mutig, einfach auf den Platz zu gehen und den Spaß mitzumachen.“

„Ja, lustig war es schon, aber mein Körper zeigt mir sehr deutliche Grenzen auf. Sind die Jungs eigentlich schon da?“

„Natürlich. Sie spielen sich bereits warm. Maxi und Dustin spielen miteinander und halt dich fest, sogar Tim ist schon da und will die beiden unterstützen. Das Carlo da ist, wundert ja keinen, aber Tim?“

Ich musste schmunzeln, denn das hatte ich schon erwartet. Tim war eigentlich ein super netter Junge und Dustin und Fynn hatten mir das auch bereits des öfteren bestätigt.

„Manchmal ist es halt einfach gut, wenn man Vorkommnisse offen bespricht und den Jungs auch zuhört, was sie zu sagen haben. So, jetzt will ich aber erst einmal einen Cappuccino trinken. Wir sehen uns sicher gleich noch.“

Ich hatte einfach am frühen Morgen keine Lust, Probleme zu diskutieren. Es war Sonntag und heute wollte ich keine Dinge aus dem Job haben, heute wollte ich die Jungs unterstützen und vielleicht einen Titel feiern.

Im Clubhaus hatte ich an der Theke Platz genommen und vor mir stand meine Tasse. Ich hing ein wenig meinen Gedanken nach und hatte gar nicht bemerkt, dass sich Markus neben mich gesetzt hatte.

„Hallo Chris, schön, dass es dir wieder gut geht. Dustin hat gestern schwer daran zu knabbern gehabt. Aber Fynn hat ihn anscheinend gut wieder aufgebaut. Heute Morgen strahlten beide um die Wette, als sie ankamen. Ich möchte nicht wissen, was Fynn gemacht hat.“

„Hi Markus. Ja, ich kann es mir gut vorstellen. Allerdings muss Dustin auch lernen, mit so etwas umzugehen. Es war unglücklich, aber er hat doch keine Schuld daran. Es war Pech. Was denkst du, kann er heute im Doppel mit Maxi wieder gut spielen?“

„Bestimmt, vor einigen Minuten haben wir schon ein paar Bälle gespielt und da war er sehr gelöst und gut drauf. Wer weiß, vielleicht kommen sie ja ins Finale.“

Ich musste erneut lachen, denn auch Markus hatte genau dieses schelmische Lachen wie sein Onkel früher. Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten, bis uns Jan unterbrach, der mit Gilles hereinkam. Sie wollten heute noch einmal trainieren, bevor es morgen wieder auf die Tour zurück ging.

„Na, ihr beiden. Schon am frühen Morgen in Fachgesprächen?“, begrüßte uns Jan.

Gilles schüttelte uns beiden die Hand und erkundigte sich zuerst nach meinem Auge. Auch Jan war beruhigt, dass bei mir alles wieder in Ordnung war. Wir diskutierten noch einige Minuten über die Chancen der Jungs und Jan war der Meinung, dass Fynn sogar eine Finalchance hätte. Für Maxi war es sehr schwer im Halbfinale zu gewinnen. Allerdings im Tennis ist vieles möglich.

Es wurde Zeit, dass ich den Jungs auch guten Morgen sagen würde. Es wurde zuerst Doppel gespielt. Das gab mir etwas mehr Zeit, denn für die Doppel brauchte ich keine Analyse der Gegner zu machen. Auf dem Weg zu Dustin und Maxi traf ich Maxis Eltern. Wir begrüßten uns und Maxis Vater wollte von mir eine Prognose haben.

„Oh, ganz schwierig. Ich sage es mal so, ich glaube, dass wir ein Doppel und ein Einzel im Finale haben werden, aber fragen Sie mich nicht, wer von unseren Jungs.“

Herr Friehe lächelte und gab zur Antwort: „Ja, das wäre sicher auch eine tolle Sache. Ich sage, wir bekommen ein Haller Finale im Einzel. Maxi gegen Fynn.“

„Hm, ok. Wäre natürlich super toll, aber ein Finalist würde auch schon klasse sein. Warten wir ab. Im Doppel sehe ich Maxi und Dustin ein wenig in der Außenseiterposition. Fynn und Markus sind sehr stark.“

Ich wollte jetzt aber unbedingt zu den Jungs und bat Herrn Friehe um Verständnis. Einen Platz weiter fand ich unsere drei Jungs. Wie nicht anders zu erwarten, waren Tim und Carlo auch dabei. Als sie mich erspäht hatten, war die Freude bei allen groß. Es dauerte einen Moment, bis ich alle begrüßt hatte.

„Was denkst du, Chris? Wie wird es ausgehen? Schaffen wir einen Haller Triumph?“

„Also da brauche ich nicht zu überlegen, Fynn. Der Triumph ist doch schon da. Wir haben zwei Leute im Einzelhalbfinale und drei im Doppelhalbfinale. Viel mehr geht doch gar nicht. Also macht einfach ein gutes Match. Ihr habt alle keinen Druck. Geht raus und habt Spaß.“

Die Jungs begriffen sofort, dass es mir nicht wichtig war, wer gewinnt und wer verliert. Sie sollten jetzt einfach nur spielen und schauen, was heraus kommen würde. Ich war mir bewusst, jeder hatte das Talent, hier zu gewinnen.

Jetzt wurde Maxi mutig und schlug mir eine Wette vor.

„Ich sage, wir haben ein Haller Finale im Einzel. Wenn ich nicht Recht habe, lade ich euch zum Eis ein. Was sagst du?“

Hm, typisch Maxi, er musste immer noch einen drauf setzen. Ok, er wollte es so, also provozierte ich ein wenig.

„Da halte ich gegen. Ich sage, einer im Doppel, einer im Einzel, und mindestens ein Titel geht nach Halle. Wenn ich unrecht habe, lade ich euch abends zu einer Partie Billard ein.“

„Deal“, sagte Maxi und damit wurde es auch Zeit, die Jungs sich fertig machen zu lassen. Die Halbfinalspiele sollten beginnen. Ich ging zurück zur Familie Friehe und Herr Friehe lud mich zu einem Kaffee ein.

„Sag mal, Chris, ich möchte dir das „Du“ anbieten. Unter Sportlern ist das eigentlich auch üblich. Ich heiße Stefan.“

„Finde ich gut. Gefällt mir.“

Wir redeten noch ein wenig über die Jungs und ich konnte heraushören, dass Stefan gut Bescheid wusste. Maxi schien einen guten Draht zu seinen Eltern zu haben. Das freute mich sehr. Es wurde ein kurzweiliges Gespräch, bis wir uns aufmachten, an den Platz zu gehen. Was sehr praktisch war, beide Spiele wurden nebeneinander gespielt. So konnten wir auf beiden Plätzen schauen. Einige Zuschauer waren bereits auch anwesend und die Stimmung war hervorragend.

Irgendwann während des ersten Satzes wurde es etwas unruhig auf der Terrasse, denn Gerry Weber war eingetroffen. Das war überraschend früh. Normalerweise kam er erst zur Siegerehrung. Ich ließ mich davon aber nicht ablenken und verfolgte die Partien sehr konzentriert. Das Ergebnis ließ sich sehen. Wir hatten ein Doppel im Finale und ich hatte mit meiner Prognose nicht recht. Fynn und Markus verloren ihr Halbfinale, während Maxi und Dustin sehr knapp und überraschend gewannen. Herr Friehe freute sich über den Sieg. Ich musste ihm zustimmen, denn eigentlich waren Fynn und Markus für mich die Favoriten. Umso anerkennender waren meine Glückwünsche für Maxi und Dustin. Immerhin lag ich insofern richtig, dass ein Doppel schon mal im Finale war.

Jetzt standen die Halbfinals im Einzel an. Da ein Doppel nicht so anstrengend war, sollten die Einzel im direkten Anschluss stattfinden. Ich schaute zwischendurch immer wieder nach Fynns Mutter, aber sie war noch nicht angekommen. Ich nutzte die Zeit, beiden Jungs eine kurze Übersicht über ihre Gegner zu geben. Die Anspannung war jetzt deutlich gestiegen und ich ließ sie schnell in Ruhe. Sie sollten sich konzentrieren.

Diese beiden Halbfinals erreichten ein absolut herausragendes Niveau mit grandiosen Ballwechseln. Einfach nur toll anzusehen. Es war allerdings so, dass Fynn zwar den ersten Satz gewann, Maxi aber leider verloren hatte.

Zu diesem Zeitpunkt kam Fynns Mutter mit seinem Bruder auf die Anlage. Ich grüßte sie nur kurz aus der Entfernung, weil die Spiele sehr spannend waren. Patrick schien sehr interessiert, denn er ging direkt zu seinem Bruder an den Platz. Ich konnte gut beobachten, wie er sich schnell mit Carlo und Tim bekannt machte. Das war ein gutes Zeichen.

Fynns Mutter kam zu mir und begrüßte mich sehr freundlich.

„Hallo zusammen. Wie ich sehe, sind die Spiele bereits in vollem Gange. Wie ist die Stimmung?“

„Bestens, bestens. Es ist absolut spannend. Fynn hat gerade den ersten Satz gewonnen. Maxi leider nicht.“

Thomas und Thorsten begrüßten sie ebenfalls, nur mein Bruder stand mit Gerry und Gilles auf der Terrasse und schaute von dort zu. Ich konnte aber beobachten, dass auch Gerry sehr aufmerksam die Spiele verfolgte und nicht mit Applaus sparte.

Immer wieder brandete lauter Beifall nach den Ballwechseln auf. Wir bekamen hochklassiges Tennis auf beiden Plätzen zu sehen. Vom Ergebnis her war es so, dass Maxi aus meiner Sicht durch ein paar zu ungeduldige und zu spektakuläre Bälle sein Match verlor, währen Fynn sehr clever und ruhig zu Ende spielte und gewann. Dennoch war ich nicht unzufrieden. Auch Thomas und Thorsten machten einen zufriedenen Eindruck.

Familie Friehe ging zu ihrem Sohn und ich wollte Maxi Zeit geben, während ich mit Fynns Mutter zu Fynn an den Platz ging. Besonders freute ich mich über Fynns Reaktion, als sein Bruder ihm gratulierte. Er umarmte Patrick offen auf dem Platz. Er hob ihn sogar ein wenig hoch und das war schon für mich etwas verwunderlich. Noch stärker war seine Reaktion, als ich auf ihn zukam. Seine Mutter konnte er noch nicht entdecken, weil sie hinter mir ging.

„Hey Chris, was sagst du dazu? Finale!“

Dabei umarmte er mich und war sehr erleichtert. Als er sich von mir wieder gelöst hatte, bemerkte er seine Mutter.

„Mama, du bist auch hier. Das ist ja eine Überraschung. Wie geil ist das denn?“

Jetzt war die Freude noch größer und ich ließ die drei einen Moment allein. Ich würde sicher noch Gelegenheit haben, mit Fynn zu sprechen. Ich verließ den Platz und wollte mir eine kalte Fassbrause gönnen, da lief mir Maxi im Clubhaus über den Weg. Er war schon ein wenig enttäuscht.

„Hey, mach nicht so ein Gesicht. Halbfinale ist doch auch toll. Du hast etwas Pech gehabt und ein paar unglückliche Bälle gespielt. Komm, ich lade dich zu einer Fassbrause ein.“

Ich gab ihm die Flasche und wir prosteten uns zu.

„Danke, Chris. Ich hätte trotzdem gern im Finale gegen Fynn gespielt. - Sag mal, habe ich das richtig gesehen? Fynns Mutter und Bruder sind auch hergekommen?“

„Ja, das freut mich auch sehr. Vor allem, wie er seinen Bruder begrüßt hat. Das hättest du sehen müssen. - Du gewinnst dafür das Doppelfinale. Ich bin mir recht sicher, dass du mit Dustin ein ganz starkes Team bist.“

„Danke, vielleicht hast du ja recht. Was denkst du, soll ich vor dem Finale noch etwas essen oder erst danach?“

„Also ein paar Spaghetti machen Sinn. Nicht, dass du einen Hungerast bekommst.“

„Ok, dann bestelle ich mir Spaghetti. Glaubst du, Fynn kann gewinnen?“

„Auf jeden Fall. Wer ins Finale gekommen ist, kann auch gewinnen. Es wird aber sicher ein ganz hartes Match.“

Immer wieder beobachtete ich Fynn mit seiner Familie. Sie waren in sehr intensive Gespräche vertieft und auch Patrick war dabei. Selbst mit Dustin schien er sehr gut klar zu kommen. Ich wollte sie jetzt nicht stören. Fynn sollte jede Minute mit seiner Mutter genießen. Egal, ob ein Finale noch anstand oder nicht. Er hatte ja auch noch etwas mehr Zeit, denn das Doppelfinale wurde zuerst gespielt.

Auch Fynn hatte sich Nudeln bestellt und aß etwas. Das freute mich, denn ich musste ihn nicht mehr ständig an bestimmte Dinge erinnern.

Tja, ich musste generell feststellen, dass sich unser Team hier ganz hervorragend präsentierte. Jan und Thorsten waren ebenfalls sehr zufrieden und hatten mir bereits mehrfach gesagt, wie sehr sie zufrieden sind. Thorsten hatte mich noch darüber informiert, dass wir uns in der kommenden Woche über meine weitere Arbeit unterhalten sollten. Der Termin sollte am Dienstagabend sein. Bis dahin hatte ich also noch Zeit über das Angebot nachzudenken und mir Gedanken zu machen, ob und wie das gehen könnte.

Irgendwie musste ich allerdings auch feststellen, dass das Ganze sehr stressig für mich war. Solange ich in der Aktion war, bemerkte ich das gar nicht, aber wenn ich abends nach Hause kam, war ich immer vollkommen kaputt und ausgebrannt. Es machte mir aber auch unheimlich viel Spaß, auf diese Weise meinen Beruf mit dem Hobby verbinden zu können.

Fynn saß mit seiner Mutter allein am Tisch und bevor ich mir Gedanken machen konnte, wo Patrick war, stand dieser mit Tim und Carlo vor mir. Patrick begrüßte mich und sofort wusste ich, dass die drei etwas vor hatten.

„Na, ihr drei. Was habt ihr denn jetzt vor?“

Diese Frage war insbesondere an Carlo gerichtet. Carlo konnte ich mittlerweile am Gesicht ablesen, wenn er etwas im Schilde führte.

„Äh, ja also … Wir möchten fragen, ob wir Patrick mal ein paar Bälle zuspielen dürfen? Er möchte gern mal ausprobieren, wie das geht.“

Patrick stand schüchtern neben ihm und irgendwie war das nicht mehr der Patrick, den ich bei ihm zu Hause kennengelernt hatte.

„Ok, könnt ihr gern machen, aber geht bitte auf einen hinteren Platz und achtet ein wenig auf den Platz. Nicht, dass ihr etwas kaputt macht.“

„Danke. Nein, wir passen schon auf. Los, Patrick. Komm mit.“

Und schon waren die drei verschwunden. Ich nutzte jetzt den Moment, um endlich Fynns Mutter zu begrüßen. Sie saß mit Fynn noch am Tisch und Fynn schien ihr etwas zu erklären.

„Hallo, störe ich?“, fragte ich, als ich an den Tisch trat.

„Hi, Chris. Nein setz dich doch bitte. Meine Mutter und Patrick sind ganz überraschend hergekommen. Ist das nicht klasse?“

Ich lächelte seine Mutter an und setzte mich zu ihnen an den Tisch.

„Ja, das freut mich wirklich. Allerdings wusste ich bereits, dass sie hier sind. Ich habe sie vorhin schon gesehen. Patrick war eben schon bei mir.“

„Echt, er war bei Ihnen? Das ist aber erstaunlich, weil er vor Ihnen großen Respekt hat.“

Fynn fing an zu lachen und ich stutzte auch etwas.

„Mama, warum hat er ausgerechnet vor Chris Respekt. Er hat doch sonst vor niemandem Respekt.“

Jetzt begann Fynns Mutter von den Dingen zu Hause zu berichten und schnell wurde mir klar, warum Patrick vor mir Respekt hatte. Er hatte bemerkt, dass ich mich um seinen Bruder mehr gekümmert hatte als ihr Vater in den letzten Jahren. Er hatte vermutlich verstanden, dass Fynn für sich den richtigen Schritt gemacht hatte. Das führte zu neuen Schwierigkeiten zu Hause, wie mir die Mutter später auch noch genauer berichtete.

Ich schaute zur Uhr, denn das Doppel Finale stand an.

„Ich muss jetzt zum Doppelfinale. Kommt ihr mit oder wollt ihr noch etwas zusammen reden?“

Diese Frage war natürlich rein rhetorisch, denn Fynn würde niemals das Finale seines Freundes verpassen wollen. So machten wir uns zu dritt auf den Weg zum Platz. Auf dem Weg dorthin fiel Fynn plötzlich auf, dass sein Bruder gar nicht da war.

„Weißt du, wo Patrick ist? Nicht, dass er hier Blödsinn macht.“

Ich legte meine Hand auf seine Schulter.

„Keine Sorge, ich weiß wo er ist. Carlo und Tim sind mit ihm ein paar Bälle schlagen. Ich bin mal gespannt, wie lange das wohl ohne Chaos gut geht.“

„Soll ich nicht besser mal nach ihm schauen. Nicht, dass er etwas kaputt macht“, fragte Fynns Mutter etwas besorgt.

„Nein, lassen Sie ihn ruhig machen. Carlo und Tim sind mit ihm. Das klappt schon.“

Fynn war mittlerweile zu seinem Freund an den Platz gegangen, denn er wollte ihm unbedingt vor dem Match noch etwas sagen. Wobei sagen der falsche Begriff ist. Er gab ihm einen Kuss und das vor allen Leuten. Das wunderte seine Mutter doch sehr. Ich erklärte ihr die Veränderungen bei den beiden in den letzten Tagen. Sie freute sich sehr über diese Entwicklung.

Das Spiel begann und ich stand mit Fynns Mutter etwas abseits des Platzes, als plötzlich Thorsten zu uns kam und die Mutter begrüßte. Das Besondere daran war, dass er nicht allein kam, sondern mit Gerry Weber gemeinsam. Er stellte ihr Gerry vor und es dauerte nicht lange, bis Gerry zu mir sagte:

„Chris, ich möchte dir sagen, dass es eine tolle Leistung ist, was du in der kurzen Zeit mit den beiden erreicht hast. Großen Respekt. Thorsten hat mir viel von euch erzählt und ich bin mir sicher, wir haben die richtige Entscheidung getroffen.“

Dieses Lob tat mir schon gut. Ich freute mich über diese Anerkennung von höchster Stelle. Anschließend sahen wir ein hochklassiges Doppelfinale mit grandiosen Ballwechseln. Es wurde das erwartet gute Match.

Erstaunlicherweise kamen Carlo, Tim und Patrick erst im zweiten Satz zu uns zurück. Sie hatten über eine Stunde mit Patrick auf dem Platz verbracht. Patrick war total verschwitzt, aber er strahlte über sein ganzes Gesicht. Das hatte ich so noch nie bei ihm gesehen. Allerdings hatten ihm Tim und Carlo wohl vorher schon gesagt, dass während des Finales am Platz Ruhe herrschen musste. Somit hielt er sich mit seinen Erzählungen sehr zurück.

Fynn war eh die ganze Zeit direkt bei seinem Freund am Platz.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde das Doppel im dritten Satz im Champions Tie-Break entschieden. Die Stimmung war auf ihrem Höhepunkt und Dustin wurde immer wieder von allen heimischen Zuschauern angefeuert. Auch von Maxis Eltern, die mittlerweile bei uns standen und sich mit Fynns Mutter unterhalten hatten. Es kam der Matchball und Maxi verwandelte diesen mit einem Volley. Dustin und Maxi hatten das Doppelfinale gewonnen.

Während des lauten Beifalls aller Zuschauer, war Fynn bereits seinem Freund vor Freude um den Hals gefallen und natürlich bekam Dustin seinen Siegerkuss. Erst einige Augenblicke später gingen wir zu den beiden, um zu gratulieren. Auch Patrick gratulierte dem Freund seines Bruders sehr herzlich. Das sah schon schön aus. Auch Carlo und Tim ließen sich das nicht nehmen und hier wurde wieder unser Teamgeist sehr deutlich. Da wusste ich erneut, dass ich hier im richtigen Team war. So machte das Spaß.

Jetzt wurde es aber für Fynn langsam ernst und ich wollte unbedingt mit ihm noch über seinen Gegner sprechen. Mittlerweile hatten alle den Platz verlassen und Fynn war mit seinem Freund und Maxi in der Umkleide verschwunden. Dort ging ich hin und wollte Fynn mitnehmen.

„Fynn, kannst du dich von deinem Freund für ein paar Minuten lösen? Ich möchte mit dir noch über deinen Gegner sprechen.“

Maxi hatte natürlich wieder sein breitestes Grinsen drauf und musste sich sehr beherrschen, nicht einen Spruch abzulassen.

„Ungern Chris, aber klar. - Spaß beiseite, ich komme.“

So verließen wir beide die Umkleide und gingen ein paar Schritte auf den Parkplatz. Dort hatten wir unsere Ruhe.

„So, du solltest dich jetzt die letzten Minuten vor dem Finale etwas zurückziehen.

Konzentriere dich ab jetzt auf das Match. Vor allem bleib ruhig. Dein Gegner wird von Beginn an versuchen, dich unter Druck zu setzen. Lass dich nicht provozieren und bleib deiner Linie treu. Du hast die Chance zu gewinnen. Glaub an dich und deine Fähigkeiten. Du hast nichts zu verlieren.“

Dabei schaute er mich mit großen Augen an und als ich ihm meinen Arm auf die Schulter legte und zum Abschluss sagte:

„Fynn, ich weiß, was du kannst. Ich glaube an dich und du wirst ein tolles Match zeigen. Wer dann gewinnt, ist mir vollkommen egal. Du kannst stolz auf deine Leistung sein. Hab einfach Spaß und mach es deinem Freund nach.“

Er schien sehr bewegt zu sein. Es arbeitete in ihm. Er musste ein paar Mal tief durchatmen.

„Du hast recht, aber es ist momentan echt heftig. Ich hätte nie gedacht, dass Mama und Patrick kommen würden. Du hast es doch gewusst, oder?“

„Ja, ich habe es gewusst und befürwortet, als deine Mutter mich gefragt hatte, ob sie kommen sollten.“

„Danke. Das ist für mich etwas ganz Besonderes.“

Er war sehr emotional und ich wollte aber jetzt die Fokussierung auf das Match.

„Das freut mich. Jetzt geh noch ein wenig Laufen und versuche, nur an das Match zu denken. Wir werden dir alle die Daumen drücken und habe Spaß.“

Ich schubste ihn leicht an und dann trennten wir uns mit einem Augenzwinkern. Die letzten Minuten vor dem Spiel sollte er allein sein. Dustin hatte ich gebeten, ihn ebenfalls in Ruhe zu lassen. Als ich zurück auf die Anlage kam, stand Dustin bereits am Eingang und wartete auf mich.

„Na, hast du dich wieder etwas beruhigt nach dem Finale? Es war ja doch sehr spannend.“

„Ja, geht so, aber jetzt bin ich fast noch aufgeregter als bei meinem Spiel. Wie geht es Fynn? Glaubst du, er hat eine Chance?“

„Natürlich hat er eine Chance. Solange der Matchball nicht gespielt ist, gibt es immer eine Chance. Er ist angespannt und aufgeregt. Vor allem der Besuch seiner Mutter und Patrick hat ihn tief bewegt. Er freut sich tierisch darüber.“

„Ja, das hat er mir eben auch schon gesagt. Ich kann es verstehen. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn meine Familie wieder zu mir halten würde.“

Jetzt wurde er sehr melancholisch und meine Aufgabe war es jetzt, dafür zu sorgen, dass er nur noch mit dem Finale beschäftigt war.

„Komm, geh schon mal an den Platz. Fynn möchte dich dort sehen, wenn er auf den Platz kommt. Ich komm gleich nach.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen und schon war er in Richtung Platz verschwunden. Ich ging noch einmal bei Fynns Mutter vorbei, die mit Thorsten auf der Terrasse stand. Patrick war mittlerweile auch wieder da.

„Na, wieder einigermaßen trocken? Ihr habt ja lange auf dem Platz ausgehalten. Wie hat es dir gefallen?“

Patrick strahlte.

„Es war cool. Aber ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig und anstrengend ist. Jetzt begreife ich langsam, wie viel Training bei Fynn erforderlich sein muss, dass er so gut geworden ist.“

Aus diesem Satz klang Anerkennung für seinen Bruder. Seine Mutter hatte es vernommen und sie schaute mich verwundert, aber mit einem Lächeln, an.

„Aber es hat dir Spaß gemacht, das ist doch toll.“

„Ja, unbedingt. Dank der Hilfe von Carlo und Tim habe ich sogar einige Bälle gut getroffen.“

Thorsten hatte die ganze Zeit unser Gespräch still verfolgt, jetzt gab er mir ein Zeichen, ich sollte ihm ins Büro folgen. Eigentlich hatte ich darauf jetzt überhaupt keinen Bock, aber nun gut. Er wird seine Gründe dafür haben. Lustlos, aber auch gespannt, folgte ich ihm.

„Setz dich bitte einen Augenblick, es wird nicht so lange dauern. Wir werden das Finale nicht verpassen.“

„Also, das muss jetzt aber sehr wichtig sein, wenn du noch vor dem Finale mit mir sprechen möchtest. Was habe ich verbrochen?“

Er fing an zu lachen und es dauerte einen Moment, bis er sich wieder beruhigt hatte.

„Die Jungs haben wirklich recht. Du bist schon ein Klasse Typ. Nein, keine Sorge. Du hast alles richtig gemacht. Der Verband hat sich gemeldet und uns um eine Stellungnahme zum Vorfall mit Listen aufgefordert. Sie haben vor dem Sportgericht Protest eingelegt, gegen den Ausschluss von Listen und den Spielern des Verbandes. Sie glauben …“

„Moment“, unterbrach ich ihn, „wieso den Spielern des Verbandes? Die hätten doch spielen können, wenn Listen sie nicht aus dem Turnier genommen hätte.“

„Ruhig, Chris. Ja, du hast natürlich recht, aber sie haben es so dargestellt, dass wir auch die Spieler ausgeschlossen hätten. Das hat Listen zumindest behauptet.“

„Boah, diese linke Bazille. Unglaublich. Und jetzt? Jetzt glauben die Funktionärsfuzzis bestimmt ihm und wir stehen blöd da.“

„Reg dich ab. Ich habe schon mit Antonius gesprochen. Er wird eine schriftliche Stellungnahme abgeben und sehr deutlich machen, wie sich Listen hier aufgeführt hat. Schlimmstenfalls müssen wir jetzt zu einer Verhandlung nach Kamen. Wenn das passieren sollte, möchte ich, dass du mit Christian und den beiden Jungs dorthin fährst. Christian ist als Manager und Rechtsexperte unsere Vertretung und ihr als Beteiligte. Ich möchte, dass ihr dem neuen Jugendwart des WTV aufzeigt, wie Listen sich aufführt. Bekommst du das hin, dass die Jungs mitfahren würden?“

Ich überlegte, ob das wirklich der richtige Ansatz wäre und sie das überstehen würden. Allerdings wäre es eine gute Möglichkeit, vor dem Rechtsausschuss und dem neuen Jugendwart die tatsächlichen Zustände zu erklären.

„Ich werde es mit ihnen besprechen, sollte das tatsächlich passieren. Aber ich sage von vornherein, ich werde sie nicht beeinflussen in dem, was sie sagen.“

Thorsten lächelte, nein, er grinste fast.

„Genau das ist auch mein Gedanke. Sie sollen dem neuen Jugendwart genau so gegenübertreten, wie sie das empfinden. Sie haben gegenüber dem Verband keinerlei Verpflichtungen. Und wir werden sie total dabei unterstützen.“

Dieser Gedanke gefiel mir. Ich sagte meine Unterstützung zu und damit verließen wir das Büro und widmeten uns endlich dem Finale.

„Wo warst du?“, fragte mich ein sichtlich aufgeregter Dustin, als ich am Platz ankam.

„Ich hatte mit Thorsten etwas Dringendes zu besprechen, warum bist du so aufgeregt? Ist die Welt schon untergegangen?“

Er schaute mich richtig böse an.

„Nein, aber Fynn sucht dich nach jedem Ball und liegt schon 0:3 zurück.“

Das verstand ich nun überhaupt nicht. Wieso konnte er nicht ohne mich spielen? Ich schaute mir die nächsten Ballwechsel an und es stimmte. Fynn war extrem unruhig und verunsichert. Seine Fehlerquote war sehr hoch. Beim Spielstand von 1:3 kam er zu mir an den Zaun.

„Chris, ich habe ein Problem. Ich bekomme ganz schlecht Luft und mein Asthmaspray ist alle. Ich habe es nicht vergessen, aber es ist leer. Was soll ich machen?“

Das war natürlich jetzt ein ernstes Problem. Allerdings.

Warum hatte er Dustin nicht zu mir geschickt, fragte ich mich jetzt. Egal, eine Lösung musste her. Da fiel mir die Mutter ein. Sie würde mit Sicherheit für den Notfall immer ein Spray dabei haben. Ich lief sofort zu ihr auf der anderen Seite des Platzes. Sie hatte natürlich ein Spray in der Tasche, gab es mir und ich lief umgehend wieder zur Bank.

Ich hielt das Spray an der Bank hoch, so dass er sehen konnte, ich hatte Ersatz besorgt. Er lächelte von seiner Position auf dem Platz und nickte mit dem Kopf. Ich blieb bis zum Seitenwechsel in der Nähe der Bank. Sichtlich erleichtert, beruhigte sich sein Spiel schlagartig. Ich verließ meine Position und ging wieder zu den anderen. Insbesondere Dustin empfing mich aufgeregt.

„Was war denn los? Hat er ein Problem?“

„Alles gut. Ich denke, er wird jetzt normal weiter spielen. Keine Ahnung, warum er dich nicht losgeschickt hat. Reden wir später drüber. Jetzt wollen wir das Spiel genießen.“

Dabei drehte ich Dustin um und wir stellten uns zu Fynns Mutter und seinem Bruder. Was mir gut gefiel, Thorsten und Jan gesellten sich mit Gilles ebenfalls zu uns. Lustig war nun, dass Patrick Jan immer wieder anschaute und überlegte, woher er ihn kennen könnte. Jan war oft auf Eurosport zu sehen. Entweder bei den Matches von Gilles als Coach oder bei Interviews. Patrick wusste ja nicht, dass wir Brüder waren und er hier sozusagen der Chef.

Das Match wurde noch sehr spannend und auch hochklassig. Er spielte gegen die Nummer 39 in Deutschland. Ein sehr erfahrener Bundesligaspieler. Davor zeigte Fynn wenig Respekt und begann jetzt, zum Ende des ersten Satzes, sein Spiel aufzuziehen und damit dem Gegner das Heft aus der Hand zu nehmen. Der Spielverlauf kippte und auch unter den Zuschauern wurde die Stimmung besser und lauter. Selbst Gerry Weber ging begeistert mit. Es wurde ein hochklassiges Match. Einem Finale würdig und je länger es dauerte, desto sicherer war ich mir, dass Fynn gewinnen würde. Fynns Mutter war sehr aufgeregt, als es im zweiten Satz 5:3 stand und Fynn zum Matchgewinn aufschlug.

Nach jedem Punkt brandete lauter Beifall und Jubel auf. Dustin feuerte seinen Freund euphorisch an und Fynn pumpte sich regelrecht auf. Dann kam der Matchball, den Fynn sicher verwandelte. Ein lautes „YES“ schallte über den Platz und Fynn ballte die Fäuste und jubelte.

Jetzt war auch für Dustin kein Halten mehr. Er rannte zu seinem Freund und sie führten einen Veitstanz auf, der sich sehen lassen konnte. Applaus und Pfiffe des Jubels und der Freude schallten über die Anlage.

Ganz langsam beruhigte sich alles wieder und wir konnten Fynn endlich auch gratulieren. Er war am Ziel seiner Wünsche, ein großes Herrenturnier gewonnen zu haben. Für mich war es nur der erste Schritt in die Zukunft.

Ich war jetzt sehr gespannt auf die Siegerehrung, denn auch sein Freund würde ja einen Siegerpokal erhalten. Jan war äußerst zufrieden und erstaunlicherweise gratulierte er auch mir zu dem Erfolg.

„Ihr habt gute Arbeit geleistet. Du machst dich langsam bei uns.“ Dabei lachte Jan mich an und klopfte mir auf die Schulter.

Die Vorbereitungen für die Siegerehrung waren abgeschlossen und die Sponsorenvertreter hatten bereits neben Gerry Weber Aufstellung genommen. Alle Finalteilnehmer des Doppels und des Einzels standen an der Bank des Platzes. Die Presse war ebenfalls zahlreich vertreten.

Dann trat Thorsten ans Mikrofon. Er bedankte sich bei den Sponsoren, Helfern und natürlich den Spielern für die guten Leistungen. Er erwähnte auch den Zwischenfall mit Listen, allerdings nur beiläufig. Nachdem er geendet hatte, überreichte er den Pokal an die Zweiten des Doppels. Dann übernahm Thomas und er übergab nach einer kurzen Rede den Siegerpokal an Dustin und Maxi. Der Applaus wurde hörbar lauter als zuvor.

Jetzt wurde es allerdings spannend, denn Jan übernahm das Mikrophon und hielt eine Ansprache.

„Liebe Spieler, liebe Eltern, liebe Betreuer, ich möchte mich an dieser Stelle bei allen Helfern und Sponsoren bedanken für die hervorragende Arbeit. Dass ich als Cheftrainer hier in Halle zufrieden bin, wenn drei Haller Spieler einen Titel erreichen, dürfte selbstredend sein. Ich gratuliere allen Siegern und Platzierten und möchte nun das Mikrophon weitergeben an den Mann, der das hier erst alles ermöglicht hat. Gerry Weber.“

Beifall kam auf und Gerry trat nach vorn. Er übernahm das Mikro und was nun kam, erstaunte mich doch erheblich.

„Liebe Tennisfreunde, ich möchte die Gelegenheit nehmen und an dieser Stelle dem Organisationsteam um Thorsten herum einen großen Dank auszusprechen. Ihr habt erneut dafür gesorgt, dass wir großes Tennis sehen konnten und in diesem Jahr sogar mit Gilles Simon einen Weltklassespieler als Teilnehmer im Doppel hatten. Dafür auch dir lieber Gilles vielen Dank. Wie mir Thorsten berichtete hat es leider auch einen negativen Aspekt gegeben, den Herr Listen vom WTV ausgelöst und auch zu verantworten hat. Wir als Verein werden uns vor unsere Spieler stellen, denn sie haben nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht. Wenn es uns nicht gelingt, Verbandsfunktionäre davon zu überzeugen, dass Fairness und Respekt eines der wichtigsten Dinge überhaupt ist, sollten wir uns die Frage stellen, was läuft hier falsch.“

Bevor er weitersprechen konnte, kam spontaner Beifall auf. Gerry wartete einen Augenblick bevor er fortfuhr:

„Ich möchte an dieser Stelle insbesondere einmal den Coach und, ja ich sage es mal so, den Freund von Fynn, Dustin und Maxi erwähnen. Chris, was dir hier in den letzten Wochen gelungen ist, steht für Toleranz und Engagement. Dafür möchte ich dir auch sehr herzlich im Namen des Teams danken. Ich würde mich sehr freuen, wenn es deinem Bruder gelingen würde, dich auch als festes Mitglied unseres Teams einzubinden.“

Alle Augen waren nun auf Jan und mich gerichtet. Erst jetzt schienen auch Fynns Mutter und Patrick begriffen zu haben, wer Jan ist. Patrick wurde unruhig und Fynn musste ihn deutlich zur Ruhe ermahnen.

Gerry übergab dann den Pokal und den Scheck an den Zweitplatzierten und anschließend bat er Fynn nach vorn. Er übergab den großen Pokal und den Scheck an einen sichtlich bewegten Fynn. Dustin stand mit seinem Pokal ebenfalls noch vorn und dann sprachen Gerry und Fynn ein paar leise Worte, die wir nicht hören konnten. Gerry übergab das Mikro an Fynn, nachdem der Siegerapplaus verebbt war.

„Tja, was soll ich jetzt noch sagen. Eigentlich bin ich nur sehr glücklich und stolz hier stehen zu dürfen. Und dann auch noch mit meinem Freund Dustin gemeinsam. Vielen Dank dafür, dass ich hier spielen und trainieren darf. Bevor ich zu viel Unsinn rede, möchte ich aber Chris danken. Er ist derjenige, der Dustin und mir die Freude am Tennis zurückgegeben und unser Leben positiv verändert hat. Er hat es einfach gemacht, ohne überhaupt offiziell ein Trainer zu sein. Er hat nicht gefragt, sondern er hat sich uns angenommen und sich für uns eingesetzt. Auch bei seinem Bruder. Das Break-Point-Team hat uns eine Chance gegeben, hier zu leben und zu lernen. Dass ich mit meinem Freund gemeinsam besser werden und hier trainieren kann, ist einfach wundervoll. Und wenn ich jetzt noch einen Wunsch äußern darf, dann sollte Chris offiziell unser Trainer werden. Jan, vielleicht kannst du deinen Bruder dazu überreden. Das würde uns sicher mehr als sehr freuen. Vielen Dank an dieser Stelle auch meiner Mutter, dass sie heute hier hergekommen ist. Alle die mich kennen, wissen, was das für mich bedeutet. Mehr möchte ich jetzt nicht sagen. Vielen Dank!“

Lauter Beifall kam auf und Dustin umarmte seinen Freund auf offener Szene und küsste ihn. Das führte zu Lachanfällen und Beifall von allen Seiten.

Ich stand etwas konsterniert, aber auch sehr zufrieden neben Fynns Mutter, als die Jungs zu mir kamen und mich umarmten. Und dann kam Maxi zu mir und grinste.

„Chris, was machen wir jetzt mit unserer Wette. Eigentlich haben wir ja beide recht gehabt.“

„Ganz einfach“, sagte ich, „ich lade euch zum Billard ein und du sorgst für das Eis.“

Damit ging der offizielle Teil dieses Turnieres zu Ende. Natürlich wurde noch im Clubhaus gefeiert und mit allen Beteiligten gemeinsam zu Abend gegessen. Thorsten hatte uns eingeladen, den Erfolg gebührend zu feiern. Für mich war das ein bleibendes Erlebnis, auch mit dem Gedanken an die Zukunft. Sollte ich das Angebot tatsächlich annehmen und mich beruflich verändern? Meinen jetzigen Beruf würde ich sicher nicht vollkommen aufgeben wollen, aber mein Arbeitgeber hatte signalisiert, meine Stelle zu reduzieren. So könnte es jedenfalls gehen. Mal sehen, wie die Zukunft sich entwickeln würde. Heute jedenfalls war ich glücklich und stolz auf die Jungs und es wurde noch ein lustiger Abend.

Für die nächste Woche standen wichtige Gespräche an. Mal schauen, was sich da ergeben würde.

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