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Auf der Tour

Teil 24

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Inhaltsverzeichnis

Chris: Aufbruch nach Mailand

Meine Truppe wirkte noch etwas müde beim nachmittäglichen Training. Der Abschluss des Sparkassen Cups zeigte seine Auswirkungen. Unsere Gäste waren am Vormittag bereits verabschiedet worden.

Dustin und Fynn hatten sie zum Flughafen begleitet und die Verabschiedung empfand ich als sehr persönlich. Der Kontakt nach Monacor zur Nadal-Akadamie hatte sich vertieft. Die Jungs hatten mit Sergio und Marcelo gleichgesinnte Freunde gefunden, die vor allem auf ihrem Niveau Tennis spielen konnten.

Jetzt befand sich das Abschlusstraining in der Schlussphase und die Bälle flogen wieder in der gewohnten Geschwindigkeit über das Netz. Meine drei Jungs waren wach geworden.

Justins Familie stand noch am Platz und schaute uns zu. Sie würden im Anschluss von Justin und mir zum Bahnhof gebracht werden. Ihr Flug ging in der Nacht Richtung Montreal zurück. Aaron hatte zwar einen Gipsarm, aber alles würde gut und ohne Folgen verheilen.

Für uns ging es am morgigen Dienstag wieder auf Turnierreise. Ein ATP 250er in Mailand stand an. Anschließend dann ein Challenger Turnier in Split. Ich war neugierig, inwieweit meine Jungs die Trainingsphase verarbeitet hatten.

Die Familie Steevens hatte ich mit meinen Jungs auch schon auf die Heimreise geschickt. Dieser Abschied ist mir schwerer als sonst gefallen. Mittlerweile waren die Steevens zu Freunden geworden. Nicht mehr nur Sponsor und Unterstützer. Marc und Sabine hatten für mich wichtige Schritte vorbereitet und dafür war ich ihnen dankbar.

„So, Jungs. Zum Abschluss bitte noch eine Serie Aufschläge und Returns.“

Ich schaute zur Uhr und überlegte den zeitlichen Ablauf für mich. Heute Abend wollte ich unbedingt noch einmal in die WG. Also hatte ich mich zum Essen dort angemeldet.

Zehn Minuten später hatte ich die Jungs Bälle sammeln geschickt und erwartete sie an der Bank. Luc und Stef hatten mir Bilder geschickt, dass sie gut in Genf gelandet waren. Die wollte ich an die Jungs weiterleiten.

„Bevor ihr auslaufen und duschen geht, habe ich noch Bilder von Luc bekommen. Sie sind gut in Genf gelandet.“

Ich zeigte meinen drei Jungs die Bilder und bei Dustin und Fynn spürte ich eine gewisse Nachdenklichkeit.

„Was ist los? Habt ihr etwas auf dem Herzen?“, fragte ich.

„Hm, nicht direkt. Aber ich finde es nur immer sehr schade, wenn wir uns wieder verabschieden müssen. Ich hoffe und denke mal, dass wir uns bald wieder treffen können. Oder?“

„Ja, das verstehe ich gut. Natürlich werden wir uns erneut treffen und wieder eine schöne Zeit haben. Aber jetzt solltet ihr eure Aufmerksamkeit den neuen Aufgaben widmen.“

„Ja, wir sind voll motiviert. Vielleicht können wir in Mailand ja schon für eine Überraschung sorgen. Wir haben gut gearbeitet. Finde ich jedenfalls“, meinte Dustin.

„Allerdings“, erwiderte ich, „eure Vorbereitung war exzellent und ich glaube an eure Fähigkeiten. Denkt also nicht so viel nach, sondern fokussiert euch auf den Platz. Das wird gut werden.“

Danach verließen wir den Platz und ich packte meine Utensilien zusammen. Bevor ich ebenfalls unter die Dusche ging, schaute ich bei Thorsten vorbei.

„Hi Chris, komm rein. Sind alle für die Reise fit?“

„Hallo Thorsten, ja, alle fit. Etwas müde ist der Haufen heute gewesen. Aber das war in Ordnung.“

„Hahaha, ja, das kann ich mir vorstellen. Ich gehe davon aus, dass du nachsichtig gewesen bist. Es war eine heftige Woche und vermutlich hatten sie alle zu wenig Schlaf.“

„Davon ist auszugehen. Aber ich finde, unser Team hat wieder bewiesen, dass wir gute Arbeit machen. Alles in allem war das ein voller Erfolg, oder?“

„Vollkommen richtig. Insbesondere das Entdecken von jungen Spielern war sehr spannend. Denkst du, dass sich Simon und Mattes vorstellen könnten zu uns zu kommen?“

„Das kann ich überhaupt nicht einschätzen, da ich ihre Eltern gar nicht kenne. Aber ihre Fähigkeiten sind erstaunlich. Mit so wenig Training so eine Leistung abzurufen ist absolut bemerkenswert. Ich würde mich freuen, sollte es eine Möglichkeit geben. Wie sähe das mit der Finanzierung aus?“

„Da stimme ich dir zu. Außerdem passen sie noch zusätzlich menschlich zu den anderen in der WG. Wir haben ja den Platz von Maxi wieder zu besetzen. Das Zimmer wäre groß genug, dort beide Jungs aufzunehmen. Und wir haben uns bereits entschieden, das Kellergeschoss auszubauen, um dort weitere Spieler unterbringen zu können. Zwei weitere Zimmer sollen dort entstehen und ein neues Bad. Das Büro wird kaum genutzt und ist toter Raum, den wir besser nutzen könnten.“

„Das gefällt mir. Umso wichtiger, dass es Spieler sind, die für Martina nicht zusätzliche Probleme bereiten. Das wird sonst zu viel.“

„Ja, auch darüber haben wir nachgedacht. Wir möchten eine zusätzliche Betreuungsperson einstellen. Und wir haben da auch schon einen Plan. Aber ob das so umzusetzen geht, werden wir noch abwarten müssen. Das soll dich aber erst beschäftigen, wenn du aus Split zurück bist. Bis dahin sind wir in den Planungen sicherlich auch schon weitergekommen.“

Diese Pläne empfand ich als längst überfällig und freute mich über die Entwicklung. Thorsten gab mir die Flugtickets und bestätigte mir die Hotelbuchungen. Eine Frage hatte ich noch:

„Wie sieht das mit dem Transport zur Anlage aus? Muss ich mir einen Mietwagen nehmen oder gibt es einen Fahrdienst? Ich möchte ungern in Mailand selbst fahren müssen.“

„Hahaha, nein, keine Sorge. Bei den ATP Turnieren gibt es einen Fahrdienst. Ihr werdet bereits am Flughafen in Empfang genommen und ins Hotel gebracht. Alle weiteren Dinge kannst du nach Bedarf vor Ort klären.“

„Danke. Ich bin übrigens froh, dass ich keine Mädchen dabei habe. Sonst müsste ich die vermutlich ständig aus der Innenstadt holen. Bei den unzähligen Modeboutiquen.“

„Hahaha, der war gut. Sehr schön. Aber wer weiß, Dustin und Fynn sind vielleicht an der Stelle anders.“

„Nein, mit Mode und Klamotten haben sie es Gott sei Dank nicht. Gibt es sonst noch etwas Neues oder Wichtiges? Ich fahre gleich noch in die WG, um mit Martina etwas zu besprechen und mich von Tim und Carlo zu verabschieden. Ich habe da so ein Gefühl, dass sich da gerade etwas tut.“

„Wie meinst du das? Marco hat nichts erzählt. Gibt es neue Probleme?“

„Nein, nein. Keine Probleme. Tim ist nur auffallend fröhlich und Carlo hat sich beim Turnier auch wieder besser präsentiert.“

„Na, da bin ich gespannt, was da auf mich zukommen wird. Wenn du schon so eine Andeutung machst. Aber lassen wir uns überraschen.“

„Genau. Überraschen, das ist das passende Stichwort. Hast du noch etwas oder kann ich mich auf den Weg machen?“

„Ja, eine Sache habe ich noch. Du bekommst in den nächsten Tagen etwas für deine Wohnung geliefert. Da du mit den Jungs unterwegs bist, wird Kristin das für dich annehmen. Kolja hat für dich ein besonderes Gerät gefunden, damit du jederzeit besser für deinen Rücken arbeiten kannst.“

„Aha? Davon weiß ich ja noch gar nichts. Wer hat denn das angeleiert?“

„Hihihi, dreimal darfst du raten. Nein, Spaß beiseite. Dustin hatte sich mit Marc unterhalten und wohl angemerkt, dass es für dich immer mit Zeitaufwand verbunden wäre, zu Kolja zum Training zu gehen. Daher hat Marc entschieden, dir von Heikki eine extra auf deine Bedürfnisse gebaute Maschine zu schicken. Die soll jetzt aus der Schweiz kommen.“

Das war wieder typisch Marc und auch typisch für Dustin. Bloß nicht mit mir darüber sprechen müssen. Aber andererseits freute es mich natürlich sehr, dass Dustin sich um meine Gesundheit sorgte. Dass Marc da nicht lange überlegen würde war mir klar. Mit Sicherheit dürfte da auch Sabine ihre Finger mit im Spiel haben.

„Na, da bin ich aber mal gespannt. Hoffentlich passt das Teil überhaupt in die Wohnung. So schrecklich viel Platz habe ich nämlich nicht.“

„Hihi, du brauchst nicht zu versuchen dich da raus zuwinden. Kristin hat schon nachgemessen und einen Platz gefunden. Sie soll in das alte Büro ihres Mannes im Keller. Dort soll auch für Malte ein Gerät stehen, daher passt das prima.“

„Ich sehe schon, bevor ich irgendetwas dazu sagen kann, wird schon alles fertig sein. Aber danke, dass ihr euch um meine Gesundheit sorgt. Ich habe übrigens bei meiner Krankenkasse einen Antrag gestellt für meine Gesprächstherapie. Ich hoffe, dass es bald von dort eine Entscheidung gibt.“

„Ah, sehr gut. Aber du hast hoffentlich schon begonnen? Wir hatten doch gesagt, wir übernehmen die Kosten, solange es nicht geklärt ist.“

„Ja, ich habe bereits zwei Termine gehabt und ich glaube, dass ich den richtigen Menschen dafür gefunden habe.“

„Sehr schön. Das beruhigt mich sehr. Dann wünsche ich euch für Mailand und Split ganz viel Erfolg und kommt gesund zurück. Du meldest dich ja wie immer und berichtest über den Verlauf.“

Und dann geschah doch noch etwas Besonderes. Thorsten stand von seinem Schreibtisch auf und umarmte mich zum Abschied. Das kam nicht oft vor. Aber es gab mir ein gutes Gefühl.

Auf dem Weg in die WG gingen mir einige Gedanken durch den Kopf. Was würde mich gleich bei Tim und Carlo erwarten?

Vor dem Haus standen Fahrräder. Das war ungewöhnlich. Ich betrat den Flur und sofort konnte ich einige Stimmen von oben hören. Martina war in der Küche mit dem Abendessen beschäftigt.

„Hallo Martina, wo sind die helfenden Hände der Jungs?“

„Ah, Chris. Willkommen in unserer Hütte. Tim und Carlo haben Besuch aus der Schule und da das bislang noch nicht so häufig vorkam, habe ich sie für heute von ihren Aufgaben befreit. Und bevor du meckerst, sie hatten mich zuvor gefragt ob sie Besuch mitbringen dürften.“

„Cool, ich freue mich, dass sie mehr Freunde außerhalb der Base bekommen. Kann ich dir noch etwas zur Hand gehen? Was ist mit den drei großen Jungs? Sind die noch nicht zurück?“

„Doch, doch. Aber die sind gerade mit der Waschmaschine und dem Müll beschäftigt. Ich gehe davon aus, dass sie gleich auch noch helfen werden.“

Kaum hatte Martina es gesagt, ging die Tür auf und Justin kam herein. Martina bat uns die Kartoffeln zu pellen. Ihre Bratkartoffeln hatten fast Legendenstatus. Und für so viele Personen waren doch etliche Kartoffeln zu bearbeiten.

„Hast du Informationen, wie deine Eltern im Zug unterwegs sind?“

„Bislang ist alles planmäßig. Mama lässt dir noch einmal ihren Dank für die schönen Tage ausrichten.“

„Das ist nett, danke. Was macht Aarons Arm? Hat er noch Schmerzen?“

„Nein, wenn er sich an die Vorgaben hält ist alles gut. Aber du kennst ihn ja. Ruhig sitzen ist nicht gerade seine Stärke.“

Dabei verdrehte er leicht seine Augen. Ich musste schmunzeln.

„Allerdings, das ist wohl nicht seine Stärke. Aber er ist noch sehr jung. Die Ruhe von dir wird er ja nicht gleich haben müssen. Hahaha. Ich bin sehr froh, dass du diese Eigenschaft nicht wie Aaron hast.“

„Ich auch, hihihi. Sag mal, Chris, wann genau starten wir morgen? Und müssen wir gar nicht mehr in die Qualifikation?“

„Morgen früh geht es so gegen acht Uhr los. Ich möchte am Abend noch ein Training auf der Anlage in Mailand machen. Ihr steht mittlerweile so gut, dass keiner von euch mehr in die Qualifikation muss. Bei den 500 er Turnieren sieht das noch anders aus. Aber das soll uns nicht stören. Jetzt ist es wichtig diese gute Position zu stabilisieren, um sich langsam weiter steigern zu können. Körperlich habt ihr gut zugelegt und dürftet der hohen Belastung besser gewachsen sein.“

Selbst Justin wirkte jetzt entspannter. Ich sollte das noch einmal in der Vorbesprechung mit allen drei zum Thema machen.

Plötzlich ging die Tür auf und Carlo kam herein.

„Hallo Chris, schön dass du mal wieder bei uns bist. Ihr seid ja morgen schon wieder weg.“

„Hi Carlo, ja, ich wollte noch einmal von Martinas Bratkartoffeln verwöhnt werden. Wobei, in Mailand werden wir bestimmt gute Pasta bekommen.“

„Hahaha, ganz bestimmt. Wenn nicht dort, wo denn dann. Martina, wir haben eine Frage, könnten Tom und Kian mit uns zu Abend essen? Die anderen fahren jetzt nach Hause, aber die beiden haben zuhause niemand, der sich kümmert. Ihre Mutter ist schon zur Arbeit ins Krankenhaus.“

„Sind das Brüder?“, fragte ich.

„Ja, sie sind Zwillinge und ich finde sie nett. Sie sind heute das erste Mal hier. Aber wir haben schon einiges von dir erzählt. Sie sollten gleich wissen wer du bist.“

„Sie müssen überhaupt nicht wissen wer ich bin. Ihr seid hier ihre Gastgeber. Ich bin ja auch nur Gast. Aber ich finde es schön, dass ihr auch mal Freunde mit hierher bringt.“

Martina stimmte Carlos Bitte zu und dann verschwand er wieder.

„Wie ist denn allgemein die Situation mit Tim zurzeit?“, fragte ich.

„Das ist ein spannendes Thema im Moment. Für Carlo war die Zeit mit Raphael sehr schwierig. Aber vor einigen Tagen muss da etwas passiert sein. Tim und Carlo sind wieder ganz eng zusammen. Manchmal denke ich, ähhh, sie könnten.....“

Sie sprach nicht weiter, weil ihr bewusst wurde, dass Justin mit am Tisch saß. Ich blinzelte Justin zu und schnell hatte er begriffen was Martina meinte.

„…. ja, man könnte meinen, sie würden unser nächstes Pärchen werden“, vollendete er Martinas Satz.

Martina schaute Justin mit großen Augen an und fing dann an zu lachen.

„Oh. Es ist euch also auch schon aufgefallen. Ja, im Moment sind die Beiden wieder ganz eng befreundet. Das kommt insbesondere Tim zugute. Letzte Nacht hat Tim sogar bei Carlo geschlafen. Und das, obwohl sie ja die letzten Tage immer Besuch hatten.“

„Ja, ich finde das auch auffallend, aber es ist für beide von Vorteil. Es gab schon deutliche Spannungen. Ich glaube ja, dass sich beide durch Raphael klargeworden sind, was sie möchten. Insbesondere Tim hat für sich eine Entscheidung getroffen. Ich bin mir sicher, dass sie bald mit uns sprechen werden. Vielleicht noch nicht heute, aber warten wir mal ab. Sollte es jedenfalls so sein, dass sie mit dir sprechen, wenn ich unterwegs bin, sag ihnen, wir alle stehen zu ihnen. Auch die Jungs. Sie sollen ihre Angst ablegen und ihren Gefühlen folgen. Aber du wirst das schon regeln.“

„Habt ihr schon darüber gesprochen?“, fragte sie mich.

„Ja, sicher. Auch die Jungs haben es bemerkt, dass sich etwas getan hat. Aber wie gesagt, sie sollen sich einfach ausprobieren und diese Zeit genießen.“

Währenddessen hatten wir die Kartoffeln gepellt und Martina hatte die große Gusspfanne mit Öl und Zwiebeln bereits auf Temperatur gebracht.

Erneut ging die Tür auf. Dieses Mal mit Tim und einem mir unbekannten Jungen.

„Hi Chris, wir wollten fragen, ob wir noch helfen können. Sollen wir vielleicht schon den großen Tisch decken? Oder essen wir draußen auf der Terrasse?“

„Stellt doch bitte draußen die Bierzeltgarnituren auf. Dort ist am meisten Platz. Dann könnt ihr auch gleich mit dem Tischdecken anfangen. Hier sind genug Helfer.“

Tim wollte schon wieder gehen, aber da fiel ihm noch etwas ein.

„Chris, das ist übrigens Kian. Tom ist noch oben bei Carlo.“

Ich nickte dem Jungen zu und fragte:

„Bist du mit Tim in einer Klasse?“

„Ja, mit meinem Bruder zusammen. Und Sie sind der Trainer von Tim und Carlo?“

„Nein, ich war einige Zeit für beide verantwortlich…“

„Kian“, unterbrach mich Tim, „ Chris untertreibt wieder. Für mich ist er immer noch ein ganz wichtiger Freund. Er hilft mir immer wenn ich mal wieder in Schwierigkeiten stecke.“

„Und das kam in den letzten Monaten häufiger vor“, merkte Justin mit einem Grinsen an.

Im Gegensatz zu früher, regte sich Tim nicht auf. Im Gegenteil, er konterte:

„Stimmt, aber Chris hat mich immer wieder auf den richtigen Weg zurückgeholt und momentan funktioniert mein Navi recht gut. Also kann Chris ruhig mit euch nach Mailand fliegen.“

„Hahaha, Tim. Sehr gute Antwort“, lachte ich.

Kian stand staunend neben Tim.

Eine halbe Stunde später saßen wir alle an der großen Tafel auf der Terrasse und waren mit Essen beschäftigt. Die Zwillinge zu unterscheiden wurde uns recht einfach gemacht. Einer hatte ein blaues T-shirt an und der andere ein gelbes. Ansonsten hatten sie frappierende Ähnlichkeiten. Was mir auffiel, Tim und Carlo saßen nebeneinander und verhielten sich wieder wie ganz zu Beginn ihrer Zeit in der WG. Nur dass sie inzwischen deutlich älter waren, aber sehr vertraut und wie ein gutes Team.

„Wie kommt ihr denn gleich nach Hause?“, fragte ich die Zwillinge.

„Wir sind mit dem Fahrrad unterwegs. Und ja, wir haben funktionierendes Licht. Das hat uns Tim schon gesagt. Ohne Licht würden wir nicht fahren dürfen.“

„Na, dann ist ja alles geklärt und ich kann mich gleich beruhigt auf den Heimweg machen. Wir fliegen nämlich morgen mit Justin, Fynn und Dustin nach Mailand.“

„Ja, das hat uns Carlo schon erklärt. Das finde ich total cool. Ihr müsst schon richtig gut sein. Ich wünsche euch viel Erfolg und vielleicht treffen wir uns ja hier nochmal wieder.“

„Bestimmt, wenn ihr wiederkommen wollt. Ich werde garantiert noch häufiger hier sein.“

„Chris“, meldete sich Tim, „kann ich gleich einmal mit dir allein sprechen? Ich habe da ein persönliches Anliegen.“

„Na klar, kein Problem. Wo sollen wir hingehen? Ins Billardzimmer vielleicht?“

Tim nickte und ich war neugierig was mich erwarten würde. Vor allem hatte ich gedacht, dass Tim und Carlo gemeinsam ein Gespräch suchen würden.

Aber Carlo ging mit den beiden Gästen nach oben, während ich mit Tim nach unten ging.

Tim schloss hinter uns die Tür und ich war gespannt, was nun kommen würde.

„Ähm ja, ich bin gerade etwas aufgeregt. Ich nehme an, du hast bereits eine Ahnung was passiert ist.“

„Nein, nicht wirklich. Es sind alles nur Vermutungen. Aber ich gehe davon aus, dass auch Carlo daran beteiligt ist, oder?“

„Ja, aber wir haben Besuch und du fährst morgen weg. Wir wollten dir aber noch vorher das mitteilen. Ähm, seit Raphael bei uns war, habe ich irgendwie die Angst verloren, auch mit einem Jungen..…, naja, wie soll ich sagen, meine sexuellen Bedürfnisse zu erleben. Aber es ist mir grad echt unangenehm. Ich habe noch nie darüber direkt gesprochen.“

Tim war sehr aufgeregt und auch aufgewühlt.

„Hey, alles gut. Zuerst finde ich es gut, dass du mit Carlo wieder besser umgehen kannst. Ich möchte dir etwas entgegenkommen. Kann es sein, dass du Carlo momentan mehr magst als nur als besten Freund? Ihr habt eure ersten Erfahrungen gemacht und ihr findet das im Moment spannend und gut?“

Er nickte nur stumm. Es fiel ihm sichtlich schwer das in Worte zu fassen. Ich legte meinen Arm um ihn und beruhigte Tim.

„Hey, das ist doch erstmal etwas Schönes und ich freue mich für euch. Macht euch keinen Druck. Ihr seid hier weiterhin genauso akzeptiert wie immer. Probiert aus, was euch gefällt und lasst es einfach auf euch zukommen. Den einzigen Rat, den ich euch jetzt geben möchte, ist, sollte es jetzt häufiger vorkommen, dass entweder Carlo bei dir oder du bei Carlo schläfst, dann sprecht mit Martina offen über diese Situation. Wenn es Probleme geben sollte, redet mit Marco oder mit mir. Auch wenn ich unterwegs bin, könnt ihr mich anschreiben falls es wirklich eilig ist.“

„Danke, es tut mir einfach gut, dass ich mich auf dich verlassen kann. Es hat sich einfach ergeben und ganz ehrlich, es fühlt sich toll an mit Carlo zu kuscheln.“

„Passt schon. Ihr macht das schon. Und seid vor allem ehrlich euch selbst gegenüber und auch zu den anderen. Bei Dustin, Fynn und Justin habt ihr auf jeden Fall Verbündete. Redet mit ihnen wenn wir zurück sind.“

Dann umarmte ich ihn und wir gingen wieder nach oben.

Kurze Zeit später war ich in meiner Wohnung und beschloss, mich schnellstmöglich ins Bett zu legen. Es standen anstrengende Wochen an.

Fynn: Mailand wird spannend

Nach einer unproblematischen Anreise stand heute das erste Training in Mailand an. Die Auslosung ließ gemischte Gefühle bei uns aufkommen. Ich hatte ein wenig mehr Glück als Justin und Dustin. Mein Gegner stand in etwa auf der gleichen Ranglistenposition wie ich. Justin hatte mit der Nummer sechs der Setzliste einen eigentlich unlösbaren Brocken vor der Nase. Dustin hatte mit einem Italiener einen Lokalmatadoren und damit vermutlich auch die Zuschauer gegen sich. Chris hatte bislang noch nicht viel zu unseren Gegnern gesagt. Das wollte er heute nach dem Training machen.

Wir hatten bereits alle unsere Taschen geschultert und warteten noch auf Chris, damit wir zur Anlage fahren konnten.

„Wie habt ihr eure Schläger besaiten lassen? Hier dürfte es recht warm sein“, fragte Justin.

„Ja, ich habe ein Kilo mehr genommen. Mal sehen wie das gleich so wird. Ich denke, wir werden eh die Schläger für morgen noch neu besaiten lassen.“

„Richtig. Ich habe sogar vier unterschiedliche Härten genommen, damit ich probieren kann. Den Tipp hatte mir Sergio mal gegeben. Er macht das immer am letzten Tag vor Turnierbeginn. In Kitzbühel hatte uns Chris sogar auf die Höhenlage hingewiesen.“

Nach dem letzten Satz von Dustin bekam ich eine Gänsehaut. Nur der Begriff „Kitzbühel“ löste unschöne Erinnerungen aus. Die Bilder waren wieder vor meinen Augen.

Dustin hatte bemerkt, dass meine Gedanken gerade ganz weit weg waren. Er ließ mich aber in Ruhe.

Chris kam zu uns und dann verließen wir unser Hotel. Der Fahrdienst wartete bereits auf uns und so konnten wir direkt ins Auto steigen.

„Damit wir heute die Trainingszeit optimal nutzen können, geht ihr euch direkt aufwärmen und dann treffen wir uns an Platz zehn. Eine Information zum Ablauf. Das hier ist ein 250 er Turnier und entsprechend gibt es mehr Pressevertreter. Macht euch keinen Druck. Solltet ihr von Journalisten angesprochen werden, seid vorsichtig mit euren Antworten. Sagt nur Dinge, die euch persönlich betreffen. Wenn jemand ein richtiges Interview möchte, verweist ihn an mich. Ich werde dann mit euch das gemeinsam machen. Alles andere machen wir wie immer.“

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Mailand unser erstes 250er Turnier überhaupt war, abgesehen von der US Open Qualifikation. Und wir mussten nicht mehr in die Qualifikation. Aber da wir bereits an der Anlage angekommen waren, konnte ich nicht weiter darüber nachdenken. Ab jetzt drehte sich alles nur noch um die Abläufe im Turnier.

Erstaunlicherweise gestalteten sich die Abläufe allerdings genauso wie ich es gewohnt war. Beruhigend für mich. Auch Dustin schien schnell in den Turniermodus gewechselt zu haben, denn beim Aufwärmen konzentrierten wir uns nur noch auf uns selbst.

Der Platz zehn lag am Rande der Anlage und wurde nicht für das Turnier genutzt. Es war ein reiner Trainingsplatz. Chris erwartete uns bereits und schnell flogen die Bälle über das Netz. Die ersten Minuten hörten wir Chris eigentlich überhaupt nicht. Er ließ uns spielen. Aber plötzlich kamen die ersten Kommandos und das Tempo stieg schnell. Nach bereits einer halben Stunde floss der Schweiß in Strömen. Aber es hatte zur Folge, dass ich nur noch den Ball im Blick hatte.

„Los, spielt den Passierball aggressiver. So macht ihr keinen Punkt damit“, forderte Chris.

Mein Ehrgeiz war geweckt und plötzlich gelang mir nahezu alles. Auch Justin und Dustin feuerten ihre Bälle ins Feld als ob es Nichts wäre.

„Stopp. Bälle einsammeln und Schläger weglegen. Wir treffen uns an der Bank.“

Nanu? Schon Schluss?

Ich schaute meine Freunde an und beide waren genauso ratlos wie ich. Also sammelten wir die Bälle ein. Chris beobachtete uns ganz genau.

Als wir an der Bank ankamen, meinte Chris:

„Zum Ende war das richtig gut. Ihr müsst nur schneller auf dem Platz landen. Aber dafür machen wir ja diese Auftakteinheiten. Macht alles wie bisher. Stört euch nicht an den vielen Zuschauern. Fokussiert euch nur auf euch selbst. Ihr könnt Tennis spielen und zwar richtig gut. Habt ihr noch Fragen?“

„Wo können wir unsere Schläger abgeben. Ich denke, ich werde alle Schläger ein Kilo härter machen lassen“, fragte Justin.

„Richtig“, meldete sich Dustin, „das möchte ich genauso machen. Hat mir besser gefallen.“

„Gut, das machen wir gleich als erstes. Ich zeige euch wie das hier abläuft und dann könnt ihr das danach direkt selbst tun, sollte jemand einen neuen Schläger benötigen.“

Sonst hatten wir keine Fragen und Chris ging mit uns zum Saitenservice. Das war ein großes Zelt und dort arbeiteten fünfzehn Serviceleute nur an Besaitungsmaschinen. Am Eingang stand ein Tisch mit drei weiteren Mitarbeitern. Chris stellte uns vor und jeder von uns zeigte seinen Spielerpass, der dann eingescannt wurde. So konnte jeder auf seinen Namen die Schläger abgeben und alle Daten wurden gespeichert. Abgerechnet wurden die Kosten, wenn der Spieler das Turnier beendet hatte. Also entweder Turniersieger war oder verloren hatte. Für uns jedenfalls extrem praktisch.

„So, damit ist das auch geklärt und ihr habt bis morgen dann alle Schläger zurück und exakt so wie bestellt besaitet. Habt ihr jetzt noch Fragen?“

Das verneinten wir. Chris gab uns im Hotel noch die Gegneranalyse und dann war für uns eigentlich Feierabend. Aber nur eigentlich. Dustin hatte uns auf die Idee gebracht für Chris noch eine besondere Sache in Mailand zu besorgen. Das war immerhin eine Hauptstadt der Mode und des Designs. Dafür mussten wir aber irgendwie in die Stadt kommen. Ohne dass Chris etwas davon mitbekam. Während des Turnieres wäre das nahezu unmöglich. Daher hatte Justin heute Abend um etwas Ausgang gefragt.

Nur mussten wir um elf im Hotel in unseren Zimmern sein. Chris wollte sich einen ruhigen Abend im Hotel machen. Justin hatte sich schon schlau gemacht und uns ein Taxi organisiert um in die City von Mailand zu kommen.

Wir wussten, Chris trug immer eine Base Cap gegen die Sonne. Seine Haare hatten sich in den letzten Monaten sichtbar ausgedünnt. Und in dem Zusammenhang hatte er mal erwähnt, dass er gute Strohhüte liebte. Er sie aber nicht trug, weil er sich nicht traute.

Martina hatte mit uns eine Adresse in der City ausgekundschaftet. Dort gab es ein richtiges Hutgeschäft. Das sollte unser heutiges Ziel werden. Ein sportlicher Strohhut für Chris.

Wir hatten den Laden auch schnell gefunden. Schwierig wurde es nur mit der Sprache. Leider sprach die Verkäuferin nur wenig Englisch. Aber wir konnten ihr doch einigermaßen erklären was unser Anliegen war. Denn plötzlich schien sie begriffen zu haben, wonach wir suchten. Sie legte uns drei verschiedene Hüte auf den Tresen.

Ihr fragt euch jetzt, woher wussten wir die richtige Größe? Das war ganz einfach, denn Chris kam ja häufiger mit seinem Motorrad und in seinem Helm war eine Größe angegeben. Marc hatte gesagt, dass wäre auch in der Regel als Größe für Hüte zu nutzen.

Wir schauten uns die drei Modelle an, aber so richtig zufrieden waren wir noch nicht. Dann entdeckte Justin in einem Regal noch ein anderes Modell.

„Leute, kommt mal her. Ich glaube, ich habe da etwas entdeckt.“

Justin zeigte auf ein Modell und nahm es aus dem Regal. Sofort dachte ich, genau so etwas hatten wir gesucht.

Wir schauten nach der Größe, aber dieser war deutlich zu klein geraten. Ich fragte die nette Bedienung, ob dieses Modell auch in der passenden Größe zu bekommen wäre. Sie bejahte, aber der müsste dann bestellt werden und würde erst am nächsten Tag geliefert.

„Ich finde dieses Modell passt gut zu unserem Team Outfit. Oder findet ihr nicht?“

Justin hatte sich diesen Hut aufgesetzt und irgendwie gefiel mir der auch. Ich nahm ihm den Hut vom Kopf und stellte mich selbst damit vor einen Spiegel. Wir waren uns einig und orderten daher gleich vier Stück auf einmal. Mit der Abholung würden wir das schon irgendwie hinbekommen. Wir wollten dieses Modell haben. Also bestellten wir diesen Hut.

Bevor wir zurück ins Hotel fuhren, wollte Justin unbedingt noch in ein Straßencafé gehen. Gut, es war zwar noch etwas Zeit, aber ob das klug sein würde?

Jedenfalls saßen wir wenige Minuten in einem typisch italienischen Straßencafé und hatten uns etwas zu trinken bestellt.

„Wir sollten den Hut dann einfach mit der Teamkleidung aufsetzen. Und dann mal abwarten wie Chris reagiert.“

Justin war bereits einen Schritt weiter, aber der Gedanke gefiel mir gut.

Dann tauchte eine junge neue Bedienung an unserem Tisch auf. Ein Junge, etwa so alt wie wir selbst. Er fragte uns überraschend auf Deutsch:

„Entschuldigt, aber seid ihr das Team aus Deutschland beim ATP Turnier?“

„Ja, stimmt“, antwortete Justin schnell.

„Cool, das freut mich riesig, dass ihr ausgerechnet in unserem Café zu Gast seid. Ich heiße Giovanni, aber sagt einfach Giovi. Ich spiele in diesem Verein auch Tennis, aber momentan habe ich wenig Zeit, weil ich meinen Eltern im Café helfen muss. Aber mein Freund hat bereits für das Viertelfinale Karten bekommen.“

„Also dein Freund im Sinne von Partner?“, fragte ich vorsichtig nach.

„Hahaha, ja genau. Ihr müsst hier nicht vorsichtig sein. Meine Eltern wissen Bescheid und unterstützen mich und meinen Freund voll. Würdet ihr mir einen Gefallen tun und in einer unserer Eiskarten unterschreiben? Ich freue mich sehr euch mal kennenlernen zu dürfen. In der Szene habt ihr sowas wie Legendenstatus.“

Das war mir etwas unangenehm, aber er war sehr nett und natürlich unterschrieben wir ihm diese Eiskarte mit einer kleinen Widmung. Dann meinte Dustin:

„Chris bekommt doch immer ein Kontingent an Karten für das Team. Vielleicht können wir euch ja als unsere Gäste begrüßen. Kannst du uns deine Handynummer geben? Wir werden das mit Chris besprechen.“

„Wow“, staunte Giovi und freute sich wie ein Schneekönig.

Plötzlich kam eine Frau nach draußen an unseren Tisch. Sie fragte Giovi etwas auf Italienisch und Giovi erwiderte etwas. Es stellte sich heraus, dass das seine Mutter war. Als er ihr wohl erklärt hatte, dass wir aus Deutschland kommen und im Tennisturnier spielen würden, wurde sie sehr freundlich. Sie fragte ihren Sohn etwas. Als er ihr eine Antwort gegeben hatte, lachte sie.

„Mama freut sich, dass so bekannter Besuch in ihrem Café ist. Ich habe sie gefragt ob ich euch beim Turnier besuchen darf und sie hat gesagt, das wäre eine besondere Gelegenheit und wenn ihr tatsächlich Karten für uns bekommen könnt, dürfte ich auch hingehen.“

„Na“, lachte Justin, „dann sollten wir das mal versuchen. Für Dustin und Fynn sind Gleichgesinnte immer wichtig. Erst recht wenn sie auch Tennis spielen. Gib uns bitte deine Handynummer. Wir melden uns bei dir. Vielleicht kommen wir aber auch einfach mit unserem Coach vorbei für ein Eis und einen Latte Macchiato.“

„Aber wir können dir nicht versprechen wie lange wir überhaupt im Turnier sind. Das ist unser erstes richtiges 250 er Turnier auf der ATP Tour. Wir sind klare Außenseiter und haben morgen unsere erste Runde zu spielen.“

Ich wollte keine falschen Hoffnungen wecken. Giovi lachte als er antwortete:

„Hahaha, ihr seid wirklich genau so bescheiden wie man euch immer beschrieben hat. Ihr solltet wissen, dass ihr schon im Vorfeld des Turniers in unserer schwulen Szene für Aufsehen gesorgt habt. Umso schöner, dass ihr ausgerechnet in unserem Café gelandet seid.“

„Ich habe gehört“, meinte Justin grinsend, „es würde so etwas wie ein „Gayradar“ geben. Vielleicht ist da ja etwas Wahres dran.“

Wir schauten Justin an und mussten einfach alle lachen. Leider mussten wir zurück ins Hotel, denn Chris sollte ja von unserer Hutaktion noch gar nichts erfahren. Da fiel mir aber eine geniale Idee ein.

„Sag mal, Giovi, wenn wir dir für morgen bereits ein paar Karten besorgen könnten, könntest du für uns aus einem Geschäft etwas mitbringen? Wir haben für uns vier Strohhüte bestellt. Passend zu unserem Teamoutfit. Dann müssen wir nicht noch einmal extra in die Stadt. Das ist während des Turnieres besonders schwierig, ohne dass Chris etwas mitbekommt. Wir wollen unseren Coach nämlich überraschen.“

„Ach so, ich verstehe jetzt. Klar, kein Problem. Das bekomme ich hin. Solltet ihr das hinbekommen, kann ich dann meinen Freund auch mitbringen?“

„Ja sicher“, erwiderte ich, „sonst wäre das ja blöd. Ihr sollt uns doch auch als Paar unterstützen. Das wird Chris bestimmt nicht stören. Wir fragen ihn und melden uns noch heute Abend bei dir, okay?“

„Danke, das wäre mega cool. Ich freue mich euch kennengelernt zu haben. Wirklich jetzt.“

Er gab uns seine Handynummer und dann mussten wir uns auch schon verabschieden. Auf dem Rückweg war das natürlich noch Gesprächsthema und als wir am Hotel aus dem Taxi stiegen waren wir uns einig, dass wir Giovi näher kennenlernen wollten.

Chris: Es geht voran und bleibt spannend

„Los, geh aggressiver auf den Ball“, rief ich Dustin zu.

Wir hatten nur noch wenige Minuten Aufwärmzeit auf dem Platz. Die wollte ich komplett noch nutzen, bevor meine Jungs zu ihren Erstrundenspielen auf den Court gehen sollten.

Als ich die letzten Bälle gesehen hatte, holte ich meine Jungs an der Bank zusammen.

„So, Leute. Das war ein gutes Aufwärmen. Jetzt kann es richtig losgehen. Macht euch keinen Druck. Spielt einfach Tennis. Alles andere sehen wir dann. Fragen?“

Heute gab es tatsächlich keine Fragen mehr. Also schickte ich meine Truppe zum Umziehen. Ich besorgte mir im Catering Bereich einen Latte Macchiato und setzte mich für einen Moment in den Players Bereich. Dort kamen Presseleute und Zuschauer nicht hin.

Ich war angespannt. Das war ein 250 er Turnier. Das bedeutete, der Sieger erhielt 250 Punkte für die Weltrangliste. Und ein sehr üppiges Preisgeld. Damit beschäftigte ich mich aber überhaupt nicht.

Mittlerweile wusste ich wie gut meine Jungs waren. Also wäre auch hier eine Überraschung möglich. Zweite oder dritte Runde wäre ein schönes Ergebnis.

Ein wenig wunderte ich mich über die gestrige Aktion meiner Jungs. Sie waren in die Stadt gefahren und hatten in einem Café einen italienischen Jungen kennengelernt, der aus dem ausrichtenden Verein kam. Er war ebenfalls schwul und hatte die Jungs um Autogramme gebeten. Dabei kamen sie ins Gespräch und meine Jungs hatten mich gefragt, ob ich für Giovi und seinen Freund Karten für den heutigen Tag noch bekommen könnte. Das hatte ich natürlich gern organisiert. Jetzt war ich gespannt ob die beiden auch wirklich zu den Spielen kommen würden. Gerade für Dustin und Fynn waren gleichgesinnte Freunde sehr wichtig. Auch wenn es vielleicht zu Ablenkungen führen würde, der Effekt für ihre Entwicklung war positiv. Sie spürten, dass sie eben nicht mehr die Einzigen waren.

Die Verteilung der Karten hatte ich ihnen allein überlassen. Ich wollte mich ausschließlich auf die Spiele konzentrieren. Außerdem waren sie selbstständig genug um das regeln zu können.

Dass Fynn als erster auf dem Court stand, hatte aus meiner Sicht Vorteile. Er konnte seine Nervosität am schlechtesten aushalten. Entsprechend freute ich mich auf das kommende Match. Auch dass es bereits einige hundert Zuschauer an den Platz geschafft hatten freute mich. Fynn brauchte die Stimmung am Platz um auch wirklich alle Reserven mobilisieren zu können. Und das war heute ganz sicher notwendig.

Umso überraschter schaute ich nach einer halben Stunden auf den Spielstand. Fynn führte mit einem Break und spielte routiniert, als ob er nie woanders gespielt hätte.

Dustin war gerade auf die Toilette gegangen und Justin bereitete sich parallel auf sein Spiel vor. Als Dustin zurückkam und neben mir Platz nahm, spürte ich sofort seine Anspannung.

„Passt du auf, dass du dich rechtzeitig auch wieder beruhigst? Sonst bist du nicht in der Lage deine ganzen Kräfte auf den Gegner zu bündeln.“

„Ich versuche es, Chris. Aber ich finde es so mega geil was Fynn hier wieder zeigt. Er ist nicht schlechter als sein viel besser notierter Gegner. Oder sehe ich das falsch?“

„Nein, das hast du sehr gut erkannt. Aber vergiss nicht, dass kostet viel mehr Kraft auf diesem Niveau zu spielen. Er hat keine Ruhepause und muss immer Vollgas geben. Aber mir gefällt das richtig gut. Egal was noch passiert. Fynn spielt auf Augenhöhe.“

Danach lächelte Dustin und schaute wieder zu seinem Freund auf den Platz. Fynn schlug bei 5:3 im ersten Satz zum Satzgewinn auf. Mein Gefühl sagte mir, er würde heute eine gute Chance auf einen Sieg haben.

Dustin feuerte seinen Freund nach jedem Ball lautstark an. Die Mehrheit der Zuschauer hatte sich mittlerweile auf seine Seite gestellt. Der Außenseiter stand vor der großen Überraschung und fightet um jeden Punkt. Und die Gefühle zeigen, das liebten die Italiener. Fynn ging immer wieder aus sich heraus und pushte sich nach vorn.

Auch die Kommunikation mit Fynn funktionierte wie immer. Es kehrte fast so etwas wie Routine ein. Umso größer war meine Freude über den gewonnen ersten Satz. Fynn suchte von der Bank den Blickkontakt zu mir. Plötzlich fing er an zu lächeln. Er lehnte sich für einen Augenblick zurück und genoss die Situation. Aber, im Gegensatz zu früher, als er einen letzten Schluck aus der Flasche nahm, wirkte er wieder fokussiert und startete furios in den zweiten Satz. Mein Herz hüpfte vor Freude über diese mentale Leistung. Fynn spielte einfach ein Tennis Match und nicht gegen einen eigentlich übermächtigen Gegner.

Dustin musst nun leider selbst auf den Platz gehen. Es fiel ihm sichtlich schwer seinen Freund zu verlassen.

„Komm Dustin, du musst dich bereit machen. Ich werde auf Fynn weiterhin aufpassen und komme dann sofort zu dir, wenn das Match hier beendet ist.“

Heute nahm ich Dustin in den Arm bevor er mich verließ. Ich spürte seine Spannung im Körper. Aber bei der Umarmung fühlte ich auch, dass er sich wieder entspannen konnte. Mal sehen wie er in sein Spiel starten würde.

Auch im zweiten Satz gelang Fynn zum 4:3 ein Break und bei 5:4 schlug Fynn zum Matchgewinn auf. Jetzt wurde es für mich ganz unangenehm, denn alle Muskeln hatten sich angespannt und ich spielte jeden Ball im Kopf mit.

Für Dustin hatte ich überhaupt noch keine Kapazität in meinem Kopf. Erst als Justin plötzlich bei mir wieder auftauchte, wurde mir bewusst, dass Dustin schon begonnen hatte.

„Dustin schaut schon nach dir. Er ist sehr angespannt. Wie lange brauchst du hier noch?“

„Setz dich bitte. Fynn schlägt jetzt zum Matchgewinn auf. So lange muss Dustin noch warten.“

Justin wollte mir eigentlich nur sagen, dass er jetzt selbst auch spielen müsse. Dazu kam er aber gar nicht, denn Fynn führte 40:15 und hatte zwei Matchbälle.

Ich hielt die Luft an und tatsächlich spielte Fynn einen klassischen Passierball und gewann die erste Runde in Mailand.

Ich schaute in das Gesicht von Justin und dann brach es aus mir heraus. Ich umarmte Justin und freute mich einfach.

„So, jetzt hast du gesehen, dass ihr mithalten könnt. Du kannst das genauso wie Fynn, also nicht nachdenken, dass es ein ATP Turnier ist. Einfach spielen wie immer.“

„Ich werde alles versuchen. Und bis gleich am Platz.“

Dann drehte er sich um und verschwand zu seinem Spiel. Ich schaute hinunter zu Fynns Bank. Dort packte er gerade seine Tasche und bevor er den Platz verließ gab er mir noch ein Zeichen der Freude.

Ich beschloss, doch erst zum Gratulieren zu gehen und erst anschließend zu Dustin.

Fynn empfing mich vor der Umkleide. Eigentlich wie immer. Aber es war heute ein richtiges ATP Turnier.

„Endlich, Chris. Ich bin so happy. Was für ein geiles Spiel. Und weißt du was? Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht wo ich hier bin…“

Bevor er weitersprechen konnte, nahm ich ihn in den Arm und drückte ihn an mich. Es war zwar nur ein Sieg in der ersten Runde, aber für mich etwas Besonderes, denn so cool hatte ich Fynn einfach nicht erwartet.

„Ich gehe jetzt zu deinem Freund und wir treffen uns gleich dort wenn du auslaufen und duschen gewesen bist.“

„Alles klar, und nochmal danke für diese geile Erfahrung.“

Er nahm seine Tasche und verschwand in der Umkleide.

Was mich bei Dustin erwartete, überraschte mich total. Die Stimmung war hervorragend und zwar für Dustin. Er hatte bereits das Publikum hinter sich gebracht. Aber nach wenigen Minuten hatte ich auch begriffen warum. Es waren viele Jugendliche unter den Zuschauern. Es schien so zu sein, dass etliche Schulklassen einen Ausflug zu diesem Turnier gemacht hatten.

Der Spielstand sah ausgeglichen aus. Allerdings wurde mir schnell klar, Dustin musste immer sein bestes Tennis abrufen, um hier mithalten zu können. Auch in der ersten Runde waren alle Gegner schwer zu schlagen. Aber er spielte bislang jeden Punkt und nicht gegen den Gegner. Genau wie es besprochen war.

Beim nächsten Seitenwechsel gab er mir ein Zeichen, dass er mich gesehen hatte und als ich ihm signalisierte, dass sein Freund gewonnen hatte, ballte er sofort die Faust. Aber mehr auch nicht.

Für mich war wichtig, dass Dustin sein Spiel auch ohne meine Begleitung gut beginnen konnte. Hoffentlich würde er in Zukunft dort anknüpfen und auch sein Selbstbewusstsein noch weiter stärken können.

Beim Stand von 4:3 für Dustin schlug sein Gegner zum 4:4 auf. Es gab in diesem Spiel einen entscheidenden Ballwechsel. Bei 30:30 gab es eine Ralley mit über zwanzig Ballwechseln mit hohem Tempo. Diesen Punkt machte Dustin glücklich mit einem Platzfehler. Sein Ball versprang so unglücklich, dass sein Gegner am Ball vorbeischlug. Damit hatte Dustin überraschend einen Breakball.

Das Momentum stand auf Dustins Seite, denn der Gegner regte sich über diesen einen Punkt gewaltig auf und verlor dabei seine Konzentration. Das nutzte Dustin zu einem Return Winner und führte damit 5:3 im ersten Satz.

Er wirkte total fokussiert und hatte nur einmal kurz die Faust geballt. Im Gegensatz zu mir machte Dustin einen fast gelassenen Eindruck. Er spielte einfach weiter von Punkt zu Punkt. Mein Puls dagegen raste, denn so wurde ein Satzgewinn möglich und das wäre sicher ein guter Beginn in das Match.

Als Dustin dann seinen Aufschlag zu null durchbrachte, staunte ich über diese Sicherheit. Dustin zeigte überhaupt keine Nervosität mehr. Ich hatte weiterhin meine Zweifel ob er das durchhalten könnte. Es zerrte an meinen Nerven, aber als Fynn im zweiten Satz zu mir kam und mich informierte, dass auch Justin seinen ersten Satz gewonnen hatte, konnte ich mich für einen Augenblick richtig freuen.

So einen furiosen Start hatte ich überhaupt nicht erwartet. Um so größer war die Freude gerade bei Fynn.

„Mann Chris, wie geil ist das hier wieder? Wir können bereits mit den richtigen Profis mithalten. Vielleicht machen wir alle viele Punkte und verbessern uns weiter in der Rangliste. Ich habe damit noch gar nicht gerechnet.“

„Nicht nur du. Ich rechne auch jetzt noch nicht damit, aber du darfst dich ruhig freuen. Bei deiner tollen Leistung hast du dir etwas Euphorie verdient.“

Ich schaute Fynn dabei in die Augen. Er runzelte die Stirn und dann fing er an zu lachen.

„Okay, okay. Du hast ja recht. Ich sollte nicht zu weit nach vorn schauen. Noch ist kein weiteres Match gewonnen. Aber ich habe ein gutes Gefühl.“

Dann drehte er sich wieder ganz dem Spiel seines Freundes zu. Und die überwiegend jungen Zuschauer feuerten Dustin weiterhin an. Der arrivierte Gegner, ein Spanier, hatte den Fehler gemacht, Dustin zu unterschätzen. Entsprechend regte er sich auch auf. Das sollte für uns nicht von Nachteil sein.

„Ich werde jetzt zu Justin wechseln. Du bleibst ja sicher bei Dustin. Sollte etwas sein, sag Bescheid.“

Fynn nickte und erwiderte:

„In Ordnung, aber sieh zu, dass Justin mit einem Sieg vom Platz geht.“

So ein Spruch während eines Turnieres? Wow, dachte ich. Da entwickelt sich so etwas wie Routine mit der Situation. Mir gefiel das mehr als gut und gab zurück:

„Naja, ich geb mein Bestes, aber wenn ich das nicht schaffe, werde ich dann von dir gefeuert?“

„Blödmann“, kam lachend von ihm zurück.

Noch vor wenigen Wochen wäre es jetzt schwierig gewesen Fynn bei seinem Freund allein beim Spiel zu lassen. Ich konnte mit einem guten Gefühl zu Justin an den Platz gehen.

Und dort ging es mit den guten Gefühlen weiter. Justin spielte nahezu wie im Training. Entsprechend gut war der Spielstand. Allerdings half das nicht meine Anspannung zu reduzieren.

Nur die erneut gute Kommunikation mit Justin half mir, meine Spannung etwas abbauen zu können. Eine komische Situation, dass meine Jungs auf dem Platz mittlerweile weniger Stress produzierten als ich selbst. Aber letztlich sollte das ja das Ziel sein. Dann würden sie viel häufiger ihr bestes Tennis abrufen können und damit noch erfolgreicher Tennis spielen.

Und genau das passierte hier jetzt auf dem Platz. Justin fokussierte sich nur auf mich und den nächsten Punkt. Justin musste hart kämpfen, aber er machte den letzten Punkt und gewann dieses Match letztendlich verdient.

Was für ein Turnierstart!

Aufgrund der Größe des Turnieres konnte ich nicht mehr einfach zur Bank gehen und Justin dort gratulieren. Wir trafen wie immer vor der Umkleide zusammen. Justin strahlte mich an und es folgte eine innige Umarmung.

„Danke, Chris. Es ist momentan einfach nur geil so Tennis spielen zu können. Du hast wieder einmal Recht behalten, dass wir einfach nur hart arbeiten müssen und dann werden wir sehen. Wie wir gerade sehen, sehen wir viel. Viel Erfolg.“

„Hahaha, wo hast du denn den Text her? Der gefällt mir gut. Aber wirklich eine ganz tolle Leistung, Justin. Nur muss ich aber jetzt zu Dustin zurück. Sonst macht der mich einen Kopf kürzer, wenn ich nicht komme. Du kennst ja dein Programm.“

Justin nickte mit einem Lachen und gab mir zum Abschied ein „High five“.

Schnell wechselte ich wieder zu Dustin an den Platz. Was mich dort vorfand, war einfach unglaublich. Es herrschte eine Atmosphäre ähnlich der in einem Fußballstadion. Und wir waren in der ersten Runde eines ATP 250er.

Dustin hatte die Sympathien ganz deutlich auf seiner Seite. Der Gegner regte sich immer stärker auf. Insbesondere legte er sich mit den Zuschauern an. Das war in Italien ein fataler Fehler. Bei 4:4 im zweiten Satz hatte ich wieder Blickkontakt mit Dustin. Das faszinierende für mich war, dass Dustin immer wieder zwischendurch lächelte. Er konnte die Stimmung aufsaugen und genießen. Ich war begeistert und mittlerweile konnte ich mir vorstellen, dass auch Dustin in die zweite Runde einziehen würde.

Allerdings nutzte der Gegner eine kleine Unachtsamkeit in der Konzentration aus und schon lag Dustin ein Break zurück. Bei 5:6 musste ein Rebreak her. Am Publikum lag es ganz sicher nicht. Das stand wie eine Wand hinter Dustin.

Mittlerweile war auch Justin bei uns und er kam nicht allein. Er hatte zwei Jungs dabei, die in etwa gleich so alt waren wie meine Jungs. Allerdings ließ sie Justin nicht zu mir heran. Er wies ihnen zwei Plätze hinter mir zu und kam dann zu mir nach vorn. Allerdings waren meine Nerven zum Zerreißen gespannt. Dustin forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Mit klaren Zeichen gab ich ihm zu verstehen, jetzt nicht nachzudenken. Er sollte aggressiver werden und das Break erzwingen.

Justin hatte meine Hinweise noch mitbekommen. Auch Fynn wunderte sich über meinen Strategiewechsel.

Mir war aber der Gedanke wichtig, dass er ja einen Satz vorn lag. Wenn ihm das Break gelang, war alles auch in zwei Sätzen zu entscheiden, wenn das Break nicht kam, dann würde immer noch der dritte Satz gespielt werden müssen.

Als sich Dustin zum Return aufbaute, konnte ich seine Entschlossenheit erkennen. Der erste Return flog mit vollem Risiko zurück und Dustin rückte ans Netz nach. Mit viel Glück erreichte Dustin den Passierball und dieser tropfte von der Netzkante auf die andere Seite. 0:15 und der Gegner fing komplett an auszurasten. Für Dustin war dies die Gelegenheit zu einem weiteren, direkten Punkt auf 0:30 zu erhöhen.

Jetzt tobte das Publikum und man verstand für einige Sekunden sein eigenes Wort nicht mehr. Wie gesagt, erste Runde Hauptfeld, kein Finale!

Nachdem der Schiedsrichter für Ruhe gesorgt hatte, konnte weitergespielt werden. Noch zwei Punkte und es ging in den Tie-Break.

Leider schlug der Gegner nun ein As. Es folgte ein langer Ballwechsel. Dustin wartete ab und spielte dieses Mal geduldig mit. Für meine Nerven war das gar nicht gut. Aber plötzlich zog Dustin das Tempo an und rückte wieder ans Netz vor. Dieses Mal ein hervorragender Volley, der zwei Breakbälle brachte.

Was nun folgte, war ganz großes Kino. Dustin ließ sich überhaupt nicht vom Publikum beeindrucken und blieb cool. Er stellte sich einfach zum Return. Der Ball war im Spiel und Dustin baute sofort wieder Druck auf. Leider etwas zu ungeduldig. Der Ball flog ins Aus.

Meine Nerven, musste das sein? Ein Breakball blieb noch und dann fabrizierte der Gegner einen Doppelfehler. Zur Unzeit. Aber das konnten wir nicht ablehnen und es ging in den Tie-Break. Mein Puls raste.

Plötzlich hielt mir Justin eine Flasche hin. Ich schaute und musste lachen.

„Wo hast du die denn jetzt her? Das ist ja geil.“

Er reichte mir eine italienische Fassbrause und grinste frech.

„Naja, wir haben ja geahnt, dass du wieder einiges an Nervennahrung benötigst. Deshalb hatte Fynn schon vorher im Internet geschaut, ob es so etwas auch in Italien gibt. Und tatsächlich, auch hier gibt es Fassbrause. Wenn auch nur eine begrenzte Auswahl, aber immerhin.“

„Cool, aber jetzt müssen wir uns ganz dem Tie-Break widmen. Dustin braucht uns.“

Allerdings nur noch ein wenig, denn sein Gegner hatte vollständig den Faden verloren und so gewann Dustin den Tie-Break mit 7:1. Unfassbar. Alle Jungs waren in der zweiten Runde eines ATP 250er Turnieres. Natürlich herrschte große Freude und Euphorie als wir alle mit Dustin vor der Umkleide zusammentrafen. Nachdem wir alle gratuliert hatten, meldete sich Fynn zu Wort.

„Chris, darf ich dir jetzt Giovanni und Franco vorstellen. Das sind die beiden Jungs aus dem Café in der Stadt.“

Sie gaben mir freundlich, aber sehr schüchtern ihre Hand.

„Wie hat es euch gefallen?“, fragte ich die beiden.

„Mega cool. Vielen Dank für die Möglichkeit. Es ist total klasse, dass wir so nahe dabei sein durften. Und ich möchte erwähnen, wie nett Ihre Jungs sind. Total normal geblieben. Das war ein mega Tag bislang.“

„Danke, das will ich doch sehr hoffen. Meine Jungs haben mir schon ein wenig von euch erzählt. Aber heute hatte ich noch keine Gelegenheit, mich mit euch zu beschäftigen. Wollen wir vielleicht noch etwas trinken gehen? Ich lade euch ein. Heute ist ein besonderer Tag.“

Justin: Was für ein Start in Mailand

Was war eigentlich hier passiert? Wir waren alle drei relativ glatt in die zweite Runde eingezogen. Bei einem ATP 250 er Turnier. Entsprechend gelöst war unsere Stimmung als wir mit Chris und unseren beiden neuen italienischen Freunden im Players Bereich bei einer Cola saßen.

„Damit wir den Tag tennistechnisch abschließen können, möchte ich gleich mit euch noch den morgigen Tag besprechen. Eine Frage an euch beide, möchtet ihr morgen erneut zuschauen? Dann werde ich euch einen Pass besorgen, der für das gesamte Turnier gelten würde.“

„Ernsthaft? Geil!“, antwortete Giovi ungläubig.

„Ja, meine Jungs haben mir signalisiert, dass sie sich das wünschen würden. Ihr müsst wissen, dass gleichgesinnte Sportler für Dustin und Fynn immer sehr wichtig sind.“

„Nicht nur für die beiden. Ich finde es auch klasse. Auch wenn ich nicht schwul bin. Es muss sich aber schnellstens die Situation verändern. Wir wollen ohne Angst an den Turnieren teilnehmen können. Egal wo sie stattfinden.“

Mir war dieses Statement wichtig, gerade auch für Chris.

„Danke, Justin. Du hast Recht. Also soll ich für euch beide einen Gäste Pass besorgen?“

Die beiden nickten.

Chris stand danach auf und verließ unseren Tisch, um bei der Turnierleitung diesen Pass zu besorgen. Er hatte sich die Ausweise der beiden geben lassen und somit waren wir ein paar Minuten allein.

„Wo habt ihr eigentlich die Hüte deponiert?“, fragte Fynn jetzt.

„Hahaha, gute Frage“, lachte Franco, „die haben wir für euch am Eingang abgegeben. Das Paket ist auf euren Namen reserviert.“

„Na, wenn das mal gut geht. Ich würde mich nicht wundern, wenn Chris gleich mit diesem Paket zurückkommt. Er ist ja verantwortlich für das Breakpoint-Team.“

Und tatsächlich, Chris kam mit einem Karton zurück und stellte diesen auf unseren Tisch.

„Schaut mal, das ist für uns abgegeben worden. Habt ihr eine Ahnung was das sein könnte?“

„Ja“, kam sofort von uns allen.

Das Gesicht von Chris war es uns wert, ihn einmal etwas auf den Arm zu nehmen.

Chris schüttelte seinen Kopf und dann machte er das Paket auf. Er blickte hinein und bekam große Augen. Vorsichtig holte er einen der Hüte heraus und hielt ihn uns hin.

„Wie findest du das Modell?“, fragte ich.

„Klasse. Wirklich sehr schön und eine tolle Ergänzung zum Teamoutfit. Das gefällt mir richtig gut.“

„Setz mal auf“, meinte Fynn lachend.

Chris setzte den Hut auf und sah richtig flott damit aus. Überhaupt nicht überzogen.

„Wenn dir das gefällt, werden wir unsere Hüte auch tragen bei kommenden offiziellen Veranstaltungen. Wir haben nämlich gleich vier davon geordert und uns von Giovi mitbringen lassen.“

Chris lachte und zwinkerte Dustin zu. Allerdings meinte Chris dann:

„Da sind aber sechs drin. Für wen sind denn die anderen zwei noch?“

Jetzt staunte ich allerdings auch. Ich wusste auch nur von vier Hüten. Allerdings grinste Fynn schon wieder verräterisch.

„Naja, unsere beiden Kuriere“, dabei zeigte er auf Giovi und Franco, „würden sich bestimmt freuen, wenn sie die als Erinnerung behalten könnten. Deshalb habe ich gesagt, sie sollen sechs davon mitbringen.“

Chris schien diese Idee zu gefallen. Er reichte gleich zwei davon an die beiden weiter und dann verteilte er auch die anderen an uns.

„Ich weiß nicht woher ihr das wieder gewusst habt. Ich mag schöne Strohhüte sehr. Leider traue ich mich nicht sie zu tragen. Aber das wissen nur sehr wenige von meinen Freunden.“

„Das verraten wir auch nicht. Du würdest deine Informanten ja auch nicht preisgeben. Es soll ein Geschenk an dich sein und wie wir finden, passen sie - wie du auch festgestellt hast - wunderbar zu unseren Teamanzügen.“

Da machte es bei Chris „klick“. Ich glaube, er konnte sich vorstellen, dass Sabine uns den Tipp gegeben hatte.

Ab sofort hatte jeder von uns seinen Hut auf und war dadurch auch gegen die Sonne geschützt.

Dadurch hatten wir für einen Moment unsere Gegneranalyse vergessen. Chris natürlich nicht, er fragte unsere beiden Gäste:

„Wollt ihr zu der Besprechung noch bleiben oder lieber schon nach Hause fahren? Heute wird es schwierig sein, dass ihr noch Zeit zusammen haben könnt. Wir haben morgen einen sehr anstrengenden Tag vor uns.“

Wir einigten uns darauf, dass sie uns morgen wieder begleiten würden und verabschiedeten uns für heute. Ich spürte jetzt auch langsam meine müden Beine.

„So, Jungs. Noch einmal vielen Dank für diese gelungene Überraschung. Ich habe die Idee, wir sollten den Hut hier immer tragen, wenn wir unsere Teamkleidung tragen. Zum Beispiel heute Abend beim Essen im Hotel.“

Wir freuten uns sehr über diesen Vorschlag. Es war eine Bestätigung, dass wir den richtigen Geschmack von Chris getroffen hatten. Außerdem entschied sich Chris auch deswegen, die Analyse unserer Gegner erst im Hotel machen zu wollen.

„Lasst uns aufbrechen. Wir können einen ruhigen Abend im Hotel gut gebrauchen.“

Wenige Minuten später hatten wir unsere Taschen im Shuttle verstaut und wurden ins Hotel gebracht. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten und interessanterweise sprachen wir nicht während dieser Zeit. Erst als wir das Hotel betraten, drehte sich Chris zu uns um.

„Leute, bringt eure Sachen auf das Zimmer und die nassen Sachen kommen in die Hotelwäsche. Damit ihr die morgen wieder zurück bekommen könnt. Anschließend treffen wir uns oben im Dachgartenrestaurant. Dort werden wir zu Abend essen und die Analyse für morgen machen. Ich nehme an, Dustin und Fynn möchten sich heute früh zurückziehen.“

Dabei hatte Chris ein Lächeln im Gesicht. Dustin und Fynn bekamen eine leichte Rotfärbung. Ich wusste Bescheid und konnte mir ein Grinsen auch nicht verkneifen. Aber es war auch vollkommen in Ordnung. Ich würde es vermutlich genauso machen, hätte ich denn eine Freundin dabei.

Das Dachrestaurant war eine fantastische Sache. Von dort konnte man über einen großen Teil Mailands hinweg schauen. Ich hatte mir ein Pasta Gericht ausgewählt und meine Freunde zuvor noch einen großen Salat.

„Was ist mir dir? Heute keinen Salat?“, fragte mich Chris.

„Ich weiß nicht. Eigentlich sollte ich, aber irgendwie habe ich nicht ganz so großen Appetit.“

„Was? Bist du krank?“, kam natürlich sofort von Fynn.

War ja klar. Ich konnte sonst immer essen. Aber Chris bot an:

„Wollen wir uns einen Salatteller teilen?“

Das hätte ich mich nicht so direkt getraut zu fragen. Daher stimmte ich zu und Chris gab die Bestellung auf.

„Bevor gleich das Essen kommt, möchte ich nur kurz auf die morgige Situation eingehen. Dustin und Justin beginnen bereits um elf am Vormittag. Justin ist als drittes Spiel auf dem Center zwei angesetzt. Das könnte also dauern. Daher würde ich gern mit Justin erst morgen die Analyse machen. Mit Dustin und Fynn dann gleich nach dem Essen. Vor dem Essen möchte ich aber zu den heutigen Spielen noch etwas sagen. Ich bin total begeistert wie gut ihr mittlerweile einfach Tennis spielen könnt ohne sich zu sehr mit der Situation zu beschäftigen. Dadurch könnt ihr auch das abrufen, was ihr wirklich könnt. Das Resultat hat man heute gesehen. Ganz starke Leistung. Bitte behaltet das auch künftig bei. Es würde mein Nervenkostüm entlasten. Es sollte zum Alltag werden. Aber macht euch keinen zusätzlichen Druck. Macht einfach genauso weiter. Gerade in den kritischen Situationen habt ihr euer bestes Tennis gezeigt und euch befreit. Das hat mir mächtig imponiert."

„Das hat aber auch einen ganz gravierenden Grund“, erwiderte Dustin, „du hast uns darauf vorbereitet und ich habe das Gefühl, von dir verstanden zu sein. Das gibt mir viel Sicherheit und ich brauche auch nur den Ball ins Feld zu spielen. Keine anderen Gedanken stören mich dabei, weil du uns davon abschirmst.“

„Und weil du dich um alles andere ständig kümmerst. So ist es für uns leichter. Aber du musst auch mal runterfahren können. Wir gehen nach dem Match in die Umkleide und haben im Prinzip Feierabend. Du hast eigentlich nie Feierabend. Das ist für dich nicht gesund. Deshalb schlage ich mal für heute vor, du machst heute Abend nur etwas für dich. Wir bleiben ganz brav im Hotel.“

Na klar. Fynn hatte doch nur das eine noch im Sinn. Entsprechend reagierte Chris auf diesen Spruch mit Lachen.

„Hahaha, ja sicher. Vielen Dank für diese großzügige und uneigennützige Entscheidung. Ich nehme das Angebot an, aber auf meine Art. Justin und ich machen uns einen netten Abend und ihr vergnügt euch hier. Aber wenn ihr morgen nicht fit seid, dann streiche ich euch solche Vergnügungsabende. Wir sind zum Arbeiten hier.“

Dabei zwinkerte er mir zu und mittlerweile konnten auch Fynn und Dustin über diesen Text lachen.

Chris machte die Besprechung wie immer. Als ob es morgen ein Turnier wie jedes andere sei und der Gegner kein Weltklassespieler. Fynn musste gegen die Nummer 130 spielen. Ein Österreicher. Allerdings mit einem russischen Namen. Jurij Rodionov.

Dustin hatte es etwas einfacher, wenn man von einfach überhaupt sprechen sollte. Sein Gegner stand etwas weiter unten in der Rangliste. Auf Position 180. Dafür war das aber ein Italiener. Paolo Lorenzi. Mittlerweile schon 39 Jahre alt und spielte nur noch die kleineren Turniere. Mal sehen wie sich das für Dustin darstellen würde.

Zu meinem Gegner machte Chris keine Angaben. Er wollte das erst im Laufe des morgigen Tages machen. Das war mir sehr recht. Ich wollte heute mal den Kopf abschalten und mit Chris in ein schönes Café gehen. Einfach nicht über Tennis sprechen. So war zumindest mein Plan.

Entsprechend saß ich mit Chris eine Stunde später in einem schönen Mailänder Straßencafé mit einer Cola. Die Abendsonne schien warm auf unsere neuen Hüte. Chris nahm einen Schluck von seiner Apfelschorle und fragte mich:

„Wie geht es Aaron? Macht sein Arm Fortschritte?“

„Mama meint, dass er viel zu viel damit macht und dadurch der Heilungsprozess immer wieder unterbrochen wird. Der Arzt hat ihm jetzt klar gesagt, dass er den Arm zwei Wochen komplett schonen muss, sonst würde eine weitere Operation nötig werden. Hoffentlich wird er jetzt vernünftig.“

„Hmm, hat er denn keine Schmerzen? Das muss doch auch weh tun, wenn er den Arm nicht schont.“

„Ja, schon. Allerdings wohl immer erst hinterher. So lange er Schmerzen hat, passt er auf. Ich habe es ihm jetzt auch einmal klar gesagt, weil mich Mama gebeten hatte. Aber ich bin zu weit weg.“

Chris überlegte einen Moment, dann kam wieder so eine typische Aussage:

„Vielleicht muss er auch wieder an die kurze Leine genommen werden. Manchmal hilft das, wenn Kinder meinen, die Eltern können einem nichts mehr sagen. Den Bewegungsspielraum ganz klein machen. Sie müssen für jede Kleinigkeit fragen. Das hilft oft, wenn sie lernen müssen, dass sie noch lange nicht alles selbst entscheiden können. Meist reicht das für zwei Stunden, weil sie dann schon derart genervt sind, dass ein Lerneffekt eintritt.“

„Im Ernst? Ich kann das ja meinen Eltern mal vorschlagen. Aber das erfordert doch auch von meinen Eltern konsequentes Handeln.“

„Das erfordert es doch eh immer in der Erziehung. Ich bin immer konsequent in meinen Entscheidungen. Sonst würde es mit euch auch nicht klappen.“

Das ließ mich stutzen. Chris war überhaupt nicht streng mit uns.

Natürlich bemerkte er meine Verwunderung, aber er lächelte nur. Erst als ich anmerkte:

„Aber du bist doch überhaupt nicht streng mit uns.“

„Konsequent ist ja auch nicht gleich streng. Ich treffe mit euch nur konsequente Absprachen. Klar und deutlich. Und ihr seid so vernünftig, dass ich gar nicht streng werden muss. Aber sei dir sicher, sollte es erforderlich werden, kann ich auch streng sein. Das bereitet mir zwar überhaupt keine Freude, aber wenn es sein muss, kann ich das auch.“

„Also sind wir deiner Meinung nach selbst dafür verantwortlich, dass es uns so gut geht? Das meinst du doch nicht ernst. Ohne deine Betreuung und vor allem deine Freundschaft würden wir niemals dort sein wo wir heute stehen.“

„Ihr würdet woanders stehen, sicherlich. Allerdings würde niemand von euch sich schlecht benehmen oder sonst Probleme machen. Ich gebe euch doch nur eine Richtung vor, um sich im Tennis zu entwickeln. So lange ihr noch nicht erwachsen seid, habe ich auch eine erzieherische Verantwortung, aber bald werdet ihr eure eigenen Wege suchen und sicher auch finden.“

„Aber du bist doch nicht weg, nur weil wir volljährig sind. Das will ich zumindest hoffen.“

„Hahaha, nein. Wenn ihr weiterhin vom alten Drachen begleitet werden möchtet, dann setzen wir das fort. Allerdings werde ich mich immer weiter aus eurem Privatleben zurückziehen und euch nur noch als Ratgeber zur Verfügung stehen.“

„Das heißt also, sollte ich dich als Ratgeber weiter um mich haben wollen, würdest du mich begleiten. Dann bin ich beruhigt. Ich möchte nämlich überhaupt noch nicht allein für alles verantwortlich sein.“

„Das wirst du aber sein müssen, dennoch kann ich dich weiterhin beraten und du kannst dann entscheiden wie du es machen möchtest. Ich werde mir dann nur überlegen, ob es für mich noch weiter sinnvoll ist, dich oder euch zu begleiten.“

Dieses Gespräch machte mich unruhig. Chris spürte das und er fing an zu lachen.

„Hahaha, Justin. Mach es dir doch nicht so schwer. Wenn du so weitermachst wie bisher und wir uns so gut ergänzen, dann wird sich doch überhaupt nicht viel ändern. Nur wirst du die alleinige Entscheidung treffen, ob du meinem Rat folgen wirst oder nicht. Heute kann ich euch noch vorschreiben, dass ihr zum Beispiel schon um elf im Bett seid. Dann wird das ein Vorschlag werden und ihr entscheidet allein, ob ihr das tut oder nicht. Wenn ihr das nicht macht, dann müsst ihr auch ganz allein die Konsequenzen tragen. Und wenn ich spüre, dass wir mit unseren Vorstellungen zu weit auseinander liegen, dann werde ich mich aus dieser Aufgabe zurückziehen. Weil es dann für niemanden mehr Sinn macht. Aber wenn ihr weiterhin so gut mitarbeitet, dann gibt es doch gar keinen Grund etwas zu verändern.“

Ich hatte große Probleme mich mit dieser Situation zu beschäftigen. Chris war wichtig für mich und noch konnte ich mir nicht vorstellen, dass wir nicht mehr gut harmonieren würden.

Bevor ich noch länger darüber nachdenken konnte, wechselte Chris einfach das Thema.

„Hast du dir schon einmal Gedanken über die Zukunft gemacht, solltest du keine Profikarriere machen? Was würde dich sonst beruflich interessieren?“

„Da gibt es eigentlich nur zwei Dinge, die mich wirklich interessieren würden. Entweder Sport oder etwas mit Computern zu machen. Aber zuerst würde ich mein Abitur nachholen.“

Chris nickte und erwiderte:

„Aber momentan geht dein Fokus schon komplett auf Tennis, oder?“

„Ja, sicher. Ich finde, es läuft gut im Moment. Auch wenn ich weiß, dass immer schnell etwas passieren kann. Ganz ehrlich, ich habe gedacht, dass es für uns nicht so schnell gehen würde, in diese Turnierebene zu kommen. Aber das kann gerne so weitergehen.“

Chris zwinkerte mir zu und bestellte noch eine Runde Getränke.

Es wurde ein schöner, entspannter Abend. Als ich gegen elf im Bett lag, fühlte ich mich gut. Solche Gespräche könnten ruhig häufiger stattfinden.

Am nächsten Morgen hatte ich beste Laune.

„Guten Morgen, Chris. Bin ich heute der erste beim Frühstück?“

„Hallo Justin. Ja, aber Dustin und Fynn sind schon wach. Sie sollten jeden Moment hier auftauchen.“

Chris hatte den Satz gerade ausgesprochen, da betraten die beiden den Frühstücksraum.

Wir wurden mit einer lockeren Umarmung begrüßt. Also war auch dort die Laune entspannt und positiv. Das waren gute Voraussetzungen für einen weiteren, erfolgreichen Turniertag.

„Wie war eure Nachtruhe? Betonung liegt auf 'ruhe' “, lachte Chris als sich Dustin und Fynn mit frischen Brötchen versorgt hatten.

„Sehr schön. Ich glaube, wir sind bestens vorbereitet und werden den Gegnern nichts schenken“, grinste Fynn.

„Sehr gut“, antwortete Chris, „genau so sollte es sein. Auch wir hatten einen schönen, erholsamen Abend. Kommen Giovi und Franco schon heute Vormittag oder haben sie heute erst noch Schule?“

„Sie werden erst nach der Schule können. Aber das wollten sie dann auch machen. Ich befürchte nur, dass Fynn und ich dann schon fertig gespielt haben. Aber dafür könnten wir uns dann während Justins Match um sie kümmern.“

„Dann planen wir das mal so. Das würde ich auch gut finden, denn während Justins Spiel möchte ich mich darum nicht kümmern müssen. Dann haben wir das ja auch geklärt. Nach dem Frühstück fahren wir auch direkt auf die Anlage zum Einschlagen. Ihr könnt pünktlich um elf starten. Justin wird warten müssen bis alle vorherigen Spiele beendet sind.“

„Eine Frage haben wir aber noch. Das ist uns gestern Abend eingefallen. Dürfen wir Doppel spielen? Das wäre doch eine gute Gelegenheit Spielpraxis zu bekommen.“

„Wenn ihr das möchtet, dann natürlich. Für Justin wird das jetzt leider etwas schwierig noch einen Partner zu bekommen. Aber ich kann mich beim Veranstalter mal erkundigen.“

„Brauchst du nicht“, meinte Fynn, „wir haben gesehen, dass Mika Niemo hier auch gemeldet hat. Wir können gleich mal versuchen, ihn auf der Anlage zu finden. Dann fragen wir zuerst ihn, ob er mit Justin spielen würde.“

„Cool“, freute ich mich, „das würde bestimmt lustig werden. Außerdem würden wir wieder etwas für unsere Akzeptanz tun. Obwohl, wir sollten das vorher erst mit ihm besprechen.“

Chris nickte und dann widmete er sich ausschließlich dem Frühstück. Für mich immer wieder faszinierend wie es Chris gelang, sich nur auf das Essen zu konzentrieren. Er ließ das Thema Tennis und Turnier komplett außen vor. Dustin bekam jedoch heute damit ein Problem. Irgendetwas schien ihn zu beschäftigen, obwohl Fynn immer wieder versuchte ihn abzulenken und das Ende des Frühstücks zu erreichen.

Allerdings hatte Chris das bereits bemerkt, denn als er sein letztes Brötchen gegessen hatte und sich frischen Tee eingeschenkt hatte, fragte er:

„Was macht dich denn so unruhig, dass du kaum abwarten kannst es anzusprechen? Habe ich etwas verpasst?“

Das wiederum überraschte Dustin dermaßen, dass er für einen Augenblick sprachlos war.

„Wie schaffst du es nur immer wieder zu bemerken, wenn einer von uns sich mit etwas beschäftigt?“, fragte daher Fynn.

„Weil ich euch lange genug kenne und wir immer ganz eng beieinander sind. Also, Dustin, was beschäftigt dich?“

„Ganz ehrlich, ich habe etwas Schiss vor den Zuschauern. Ich muss gegen den Local Hero spielen und das auch noch auf einem großen Platz mit vielen Zuschauern. Ich hoffe, dass ich mich nur auf mich konzentrieren kann, aber …“

„Stopp! Warum willst du jetzt deine Linie verlassen? Spiel dein Spiel und spiele immer nur den nächsten Punkt. Spiele nicht den Gegner und nicht die Zuschauer. Das haben wir doch sonst auch nicht gemacht.“

„Ich will meine Linie gar nicht verlassen, aber ich weiß nicht ob mir das gelingt.“

Chris beobachtete Dustin und seine Körpersprache genau, bevor er ihm erklärte:

„Du bist aufgeregt und angespannt. Das ist auch vollkommen in Ordnung. Und es ist wieder eine neue Situation. Zweite Runde in einem ATP 250 er. Das kann ich verstehen, aber was du dir da gerade in deinem Kopf zurechtlegst, ist nicht gut. Also, mach einfach genau das, was du immer tust. Geh auf den Platz und spiele einfach Tennis. Wenn du das hinbekommst, dann kann doch überhaupt nichts passieren.“

Dann setzte sich Chris tatsächlich neben Dustin und legte ihm seinen Arm um die Schulter. So musste das früher häufiger gewesen sein. Fynn und Dustin hatten mir von der Anfangszeit erzählt und wie oft Chris wie ein Vater zu Dustin war. Und auch jetzt verfehlte Chris nicht den Effekt. Dustin lehnte sich zurück und besonders schön empfand ich Chris Reaktion. Er schwieg einfach und ließ Dustin genug Zeit sich zu beruhigen. Erst danach ging es zurück auf die Zimmer, um die Taschen zu holen.

Chris: Auch im Doppel geht es voran

Beim Frühstück wurde ich daran erinnert, dass meine Jungs doch noch sehr jung waren. Dustin fiel ein wenig in sein altes Verhalten zurück. Ich war nicht als Trainer, sondern als Freund gefragt. Aber es beruhigte mich, dass sie diese Dinge noch beschäftigten und doch nicht schon so cool waren wie die alten Hasen.

Aber auf der Anlage kehrte schnell wieder die Routine ein, die ich gewohnt war. Fynn und Dustin schlugen sich gut ein und mein Gefühl sagte mir, dass beide ein gutes Match spielen konnten.

Justin kümmerte sich um seine Freunde und blieb ständig in ihrer Nähe. Gerade für Fynn war das wichtig. Er hatte so die Möglichkeit seine Nervosität abzubauen. Dustin gegenüber wollte er cool sein, aber für mich war schnell klar, dass er genauso aufgeregt war wie sein Freund.

Interessant war eine Nachricht aus Genf. Marc hatte mir geschrieben und uns viel Spaß im Turnier gewünscht. Dazu kam ein Bild aus ihrem Garten und Sabine winkte uns zu. Das wollte ich meinen Jungs nicht vorenthalten und holte sie daher nach dem Einschlagen zusammen.

„Hier, Leute. Schaut einmal was uns Marc aus der Schweiz geschickt hat.“

Sofort hatte ich ihre Aufmerksamkeit und ich gab ihnen mein Handy. In diesem Moment kam eine weitere Nachricht an. Sie war von Thorsten. Das konnte ich am Klingelton hören. Meine Jungs gaben mir das Telefon zurück und Dustin meinte:

„Marc ist immer noch bestens informiert und mit seinen Gedanken bei uns. Das ist echt toll. Und ich werde alles versuchen, dass wir uns gut entwickeln.“

„Sehr gut“, bestätigte ich Dustin, „genau darum geht es. Um nichts Anderes.“

Währenddessen schaute ich nach der Nachricht von Thorsten. Er hatte mir ein Foto geschickt, dass auf dem Parkplatz in Halle gemacht wurde. Dort standen Tim und Carlo vor den Fahnenmasten und zeigten nach oben.

Das zweite Bild ließ mich lachen. Es zeigte einen Masten mit einer großen Regenbogenflagge.

Der Kommentar von Thorsten war auch lustig.

„Jetzt kennen alle unsere Haltung und das ist auch gut so. Tim hat sofort mit Gerry gesprochen und um Erlaubnis gefragt. Gerry fand diese Idee klasse und kümmerte sich persönlich darum. Eine tolle Geste.“

Ich hielt diese Neuigkeit für wichtig und zeigte auch diese meinen Jungs.

„Hey, das ist ja bei uns auf dem Parkplatz. Dann hat Tim wohl echt mit Gerry gesprochen.“

„Er hat wohl nicht nur mit ihm gesprochen, sondern Gerry hat es auch genehmigt“, ergänzte Dustin seinen Freund.

Für mich war das eigentlich keine große Überraschung, dass Gerry das erlaubt hat. Ich glaube eher, dass nur niemand vorher auf diese Idee gekommen war und Tim damit offene Türen eingerannt hatte. Umso schöner empfand ich diese Geste. Der Haller Tennisclub bezog hier auch klar Stellung und zeigte allen anderen Tennisvereinen, dass Toleranz im Sport etwas ganz Wichtiges sei.

Die letzten Minuten, bevor Dustin und Fynn auf ihre Plätze gingen, ließ ich sie allein. Sie blieben auch nicht in der Umkleide, sondern gingen mit ihren Taschen an einen anderen Außenplatz. Dort konnten sie ungestört sitzen und auf ihren Start warten. Da sie in der ersten Runde spielten, war ihre Anfangszeit genau festgelegt. Ich hatte mich dieses Mal entschieden wieder bei Dustin von Beginn an zu sein. Justin würde mich bei Fynn vertreten und sollte dort etwas Wichtiges passieren, würde ich von ihm informiert werden.

Ich hatte frühzeitig meinen Platz in der Coaching Box eingenommen und wartete nun auf die beiden Spieler. Was für ein Spiel würde ich zu sehen bekommen? Ich war doch angespannter, als ich es erwartet hatte. Es dauerte auch nicht mehr lange und beide Spieler betraten den Court. Sofort hatte mich Dustin erspäht und nickte mir zu.

Es war noch früh am Morgen und dennoch waren bestimmt schon einige Hundert Zuschauer anwesend. Das lag vermutlich an seinem Gegner, einem Italiener. Und sofort bekam dieser Unterstützung als die ersten Bälle gespielt wurden. Der Schiedsrichter stellte beide Kontrahenten vor und was mich dann doch erstaunte, Dustin bekam auch einiges an Beifall. Das war in Italien nicht unbedingt üblich, wenn man gegen einen Lokalmatadoren spielen musste.

Als das Spiel begann und Dustin gleich voll gegen hielt, gingen die Zuschauer mit. Lorenzi wirkte überrascht und nicht gut vorbereitet auf Dustins Spiel. Somit konnte Dustin seinen Aufschlag ohne große Probleme halten und bis zum 4:4 blieb Dustin eher defensiv. Aber jetzt war der Zeitpunkt gekommen, ab dem Dustin offensiver und aggressiver agieren sollte. Lorenzi schlug auf und ich gab Dustin einige Zeichen, um offensiver und riskanter zu returnieren.

Und das tat Dustin auch sehr eindrucksvoll. Er haute dem Italiener zwei Returns um die Ohren, so dass es schnell 0:30 stand. Das Publikum hatte noch gar nicht begriffen was passierte, als Dustin den Breakpoint verwandelte und mit 5:4 zum Seitenwechsel ging.

Lorenzi wirkte verwirrt. Jedenfalls schaute Dustin zu mir hoch und blies einmal seine Backen auf. Aber danach setzte er sich auf die Bank und konnte die Schultern locker machen. Das gefiel mir gut.

Noch besser war der Start in das nächste Aufschlagspiel. Dustin serviert extrem hart und spielte überhaupt nicht zögerlich. Damit zog er seinem Gegner den Zahn und der erste Satz ging an Dustin.

Was für eine Entwicklung von Dustin. Er hatte begriffen und verinnerlicht, dass er die Spiele im Kopf entscheiden würde. Nicht die Schläge waren entscheidend, denn da gab es kaum noch Unterschiede.

Gleich zu Beginn des zweiten Satzes legte Dustin nach. Kein Verschnaufen, kein Nachlassen in der Konzentration, wie es sonst früher häufig vorkam. So schaffte er wieder ein Break und lag bei der ersten Wechselpause mit 2:1 in Führung.

Die Zuschauer versuchten zwar den Lokalmatadoren zu unterstützen, aber viele der jungen Zuschauer, die scheinbar aus einer Schule kamen, unterstützten Dustin.

Von Justin hatte ich den Spielstand bei Fynn erhalten. Er hatte mich über Whatsapp informiert. Leider entwickelte sich das Match dort nicht so positiv. Rodionov war heute für Fynn noch nicht zu besiegen. Aber das war überhaupt kein Beinbruch. Ich war nur gespannt auf Fynns Analyse zu diesem Spiel.

Sein Freund ging jedenfalls weiter vorwärts und hatte seinen Widersacher im zweiten Satz sicher im Griff. Ein vollkommen verdienter Sieg in zwei Sätzen war die Konsequenz.

Besonders schön für Dustin, im letzten Spiel tauchten Giovi und Franco in meiner Box auf. Sie bekamen auf diese Weise noch die letzten Bälle mit und konnten mit Dustin und mir jubeln.

Und dieses Mal jubelte ich wirklich laut mit. Meine Freude war riesengroß. Nicht nur über den Sieg, sondern über die Art und Weise wie Dustin hier aufgetreten war. Sehr beeindruckend.

Dustin hatte schnell seine Tasche gepackt und verließ den Platz während ich noch mit den beiden italienischen Jungs sprach.

„Das gibt bestimmt noch eine Reaktion in der Presse. Lorenzi ist in Mailand ein kleiner Lokalheld. Dass Dustin ihn geschlagen hat, wird sicherlich eine Reaktion geben“, lachte Giovi.

„Dann ist das halt so. Dustin hat verdient gewonnen und ich freue mich für ihn. Die harte Arbeit fängt an sich auszuzahlen. Immerhin steht er in der dritten Runde in einem ATP Turnier“, erwiderte ich lachend.

„Und jetzt solltest du ihm gratulieren. Er wartet bestimmt auf dich“, forderte mich Franco auf zu Dustin zu gehen.

Mit einer herzlichen und ehrlichen Umarmung wurde ich von Dustin in Empfang genommen.

„Danke, Chris. Das fühlt sich mega geil an. Ich kann wirklich mithalten. Du hast uns gut vorbereitet und ich freue mich so tierisch über diesen Erfolg. Vielen Dank.“

„Sehr gerne, Dustin. Das war ein vollkommen verdienter Sieg. Aber jetzt musst du für Fynn etwas Aufbauarbeit leisten. Er hat sein Spiel verloren. Obwohl Justin klar gesagt hat, dass er nicht schlecht gespielt hat. Also geht gemeinsam Auslaufen und zur Massage. Ich werde mit Justin jetzt die Matchvorbereitung machen und dafür sorgen, dass er noch eine Kleinigkeit isst. Wir essen dann gemeinsam zu Mittag. Was meinst du, laden wir Giovi und Franco zum Essen ein?“

„Schade, dass Fynn verloren hat. Dann gewinnen wir halt im Doppel ein weiteres Match. Bis dahin ist ja noch etwas Zeit und ich kann Fynn wieder aufbauen. Wenn du Giovi und Franco zum Essen einladen würdest, wäre das eine tolle Geste. Aber das ist deine Entscheidung. Ich fände es gut.“

Da war er wieder, der Dustin wie ich ihn kenne. Umso klarer war meine Entscheidung. Ein gemeinsames Mittagessen war angesagt.

Justins Spielvorbereitung verlief recht klar und simpel. Er musste mit hohem Risiko spielen, da sein Gegner keinen Ball verloren geben würde. Lange Ballwechsel würden zu viel Kraft kosten. Das würde Justin vielleicht einen Satz durchhalten, aber kein komplettes Match. Jedenfalls noch nicht auf diesem Niveau.

Justin gefiel meine Strategie natürlich sehr. Nicht abwarten, sondern auf Angriff nach vorn spielen. Auch auf die Gefahr, dass es schnell vorbei sein könnte.

Ich hatte den Spielplan im Auge und konnte daher abschätzen, dass es etwa noch eine Stunde dauern würde. Justin schickte ich zuerst eine Kleinigkeit essen. Erst danach sollte er sich aufwärmen.

Ich schlenderte über die Anlage und schaute mir einige andere Matches an. Dabei stellte ich überrascht fest, dass hier nicht mehr schneller gespielt wurde. Das sollten meine Jungs genauso gut können. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dazuzugehören.

Nach etwa einer Viertelstunde hatte ich Dustin und Fynn gefunden. Sie standen bei Mika Niemo am Platz und schauten bei seinem Match zu. Franco und Giovi waren auch bei ihnen.

„Ah, hi Chris. Ist bei Justin alles in Ordnung oder ist er auch so aufgeregt wie ich es war?“

„Hahaha, sehr schön gefragt, Dustin. Aber ich denke, er ist genauso angespannt wie du, nur zeigt er das nicht so deutlich. Aber ich kenne ihn mittlerweile gut genug, um zu wissen wie gestresst er doch ist. Wie steht es bei Mika?“

Dustin schien beruhigt zu sein. Er brauchte diese Bestätigung, nicht als Einziger nervös gewesen zu sein. Fynn hatte sich bereits mehr mit dem Spiel von Mika beschäftigt. Er meinte:

„Mika führt im zweiten Satz. Den ersten Durchgang hat er leider im Tiebreak verloren. Dennoch glaube ich, dass er gewinnen wird. Er bewegt sich deutlich besser und wirkt viel fitter.“

„Das freut mich. Habt ihr eigentlich schon mit ihm über das Doppel gesprochen?“

„Ja, sicher doch. Das haben wir heute noch vor den Spielen gemacht. Er will mit Justin spielen. Mika wollte die Anmeldung übernehmen.“

Fynn wirkte aufgeräumt, trotz seiner Niederlage. Das beruhigte mich. Er scherzte sogar ein wenig mit Giovi.

„Wollt ihr noch das Match zu Ende schauen oder wollen wir gemeinsam zu Mittag essen?“

Dustin hatte Lust das Spiel noch zu Ende zu schauen. Allerdings hatte ich dazu etwas anzumerken:

„Ihr könnt natürlich noch etwas bei Mika schauen, aber dann seid ihr mit Sicherheit nicht pünktlich bei Justin am Platz. Zumindest nicht, wenn ihr vorher das Mittagessen einnehmen wollt.“

„Ihr könnt ruhig essen gehen. Giovi und ich werden euch dann nachher berichten“, meinte Franco freundlich.

„Das ist nett von euch, aber ich wollte euch mit zum Essen nehmen. Ich lade euch ein. Habt ihr Lust?“

Überrascht über mein Angebot schauten sie zu Dustin und Fynn.

„Hey, ihr könnt ruhig für euch entscheiden. Da müsst ihr die Jungs nicht fragend anschauen. Also was ist? Kommt ihr mit?“

„Ähm, da sagen wir nicht nein. Vielen Dank, Chris.“

„Wir können bestimmt gute Dolmetscher gebrauchen und außerdem wisst ihr doch bestimmt, was hier besonders lecker ist. Hahaha.“

Die beiden waren nette Jungs und ich wusste, dass solche Kontakte für meine Jungs von großer Bedeutung waren. Selbst Justin profitierte davon und ich war gut beraten, das zu unterstützen.

Justin hatte jetzt natürlich keine Zeit, um mit uns ein komplettes Essen einzunehmen, dennoch kam er noch kurz zu uns und setzte sich an den Tisch.

„Bevor wir gleich unser Essen erhalten, wie geht es dir und fühlst du dich gut vorbereitet?“

„Es geht mir gut, ein wenig aufgeregt, aber ich weiß was ich kann und dass du mich gut eingestellt hast. Ich habe jedenfalls keine Angst auf den Platz zu gehen. Was herauskommt, sehen wir im Anschluss.“

„Sehr gut. Du hast mir gut zugehört. Dann sehen wir uns gleich an deinem Platz. Dort werden weniger Zuschauer sein. Es ist kein Zuschauerplatz. Daher werde ich an der gewohnten Stelle sitzen. Wenn du möchtest, kannst du dich ruhig in Ruhe vorbereiten.“

Das war für Justin ein wichtiges Signal. Ich wusste, dass es ihm wichtig war mit seinen Freunden zusammen zu sein, aber vor dem Spiel war die Ruhe für ihn genauso wichtig. Entsprechend schnell verabschiedete er sich von uns. Allerdings nicht ohne sich von uns eine passende Aufmunterung abzuholen.

Justin hatte uns schon einige Minuten verlassen und unser Essen stand auf dem Tisch, als Dustin mich fragte:

„Wie gelingt es dir immer so cool zu bleiben. Direkt vor dem Match von Justin sitzt du noch mit uns am Tisch als ob der Tag bereits vorbei sei. Obwohl ich ja schon gespielt habe, bin ich vor Justins Spiel wieder aufgeregt.“

„Wer sagt dir, dass ich nicht aufgeregt bin? Aber es hilft weder euch noch Justin, wenn ich wie ein aufgescheuchtes Huhn umherlaufe.“

Damit hatte Dustin nicht gerechnet und Fynn erst recht nicht. Aber er reagierte als erster.

„Ja, ja, ich habe es begriffen. Und natürlich hast du wieder recht. Aber es fällt mir schon schwer, mich nur auf mich und mein Spiel zu konzentrieren. Was glaubst du, wird Justin eine Chance haben? Und sag jetzt bitte nicht, er hat immer eine Chance so lange das Spiel noch nicht gespielt ist.“

„Hahaha, okay. Ausnahmsweise. Aber dann sage ich ganz klar, ja, er hat eine Chance, die sogar recht groß ist. Ich glaube, dass Justin gewinnen kann. Aber ob das auch gelingt werden wir sehen. Ich werde ihn jedenfalls wie immer unterstützen. Was ist mit euch?“

Das hatten sie von mir jetzt nicht erwartet und entsprechend erstaunt schauten sie mich an. Allerdings kam dann ein klares „Ja, sicher doch“ von ihnen.

Mit diesem kleinen Intermezzo hatte ich viel Druck aus der Situation genommen. Sie wurden wieder lockerer und scherzten sogar ein wenig mit Giovi und Franco.

Das Essen hatte eine tolle Qualität. Wir waren schließlich in einem Tennisclub und nicht in einem Restaurant. Der Veranstalter machte einen hervorragenden Job.

Allerdings wurde es jetzt für mich Zeit an Justins Platz zu gehen.

„Wollt ihr mitkommen oder noch etwas hier sitzen? Hier habt ihr eure Ruhe. Aber ich nehme euch auch gerne mit zum Platz.“

„Chris, du kannst echt komische Fragen stellen. Natürlich kommen wir mit an den Platz. Wir sind immer nur gemeinsam zu bekommen. Also, auf geht es und lasst uns kämpfen.“

„Gut gebrüllt, Löwe, ähh Fynn.“

Dann standen wir lachend vom Tisch auf und verließen den Spielerbereich.

Eine halbe Stunde später lag mein Puls gefühlt bei hundertachtzig und jeder Muskel war angespannt. Was war passiert?

Justin hatte den Start komplett verschlafen und lag 0:4 zurück. Sein kommendes Aufschlagspiel war die letzte Chance noch in diesen Satz zu kommen. Und genau diese Chance konnte Justin jetzt mit einem guten Service für sich nutzen. Bei 1:4 wurden die Seiten gewechselt und Justin schaute offen zu mir. Schnell wurde mir klar, jetzt war er im Spiel gelandet und würde sich zerreißen, um noch zu gewinnen.

Fynn kam zu mir und meinte:

„Ich glaube, jetzt sollte der Gegner einen Helm aufsetzen. Justin hat gemerkt, dass er gepennt hat.“

Ich schaute ihn an und musste einfach lachen. Trotz meiner Anspannung.

„Hahaha, ja. Das könnte allerdings nötig werden. Guter Spruch, Fynn.“

Und Justin stellte sich schon aggressiv zum Return. Jede Faser seines Körpers war angespannt und als der Aufschlag kam, zuckte Justin mit den Armen und ein Geschoss von Return schlug auf der anderen Seite ein. Ein direkter Winner und jetzt könnte es wirklich gefährlich für den Gegner werden.

Ich wusste, Justin kochte innerlich und würde seine Wut auf den Ball projizieren.

Ich ging ebenfalls mehr in die Offensive und coachte ihn aktiver. Justin kam mit einer enormen Energieleistung noch einmal auf ein 3:4 heran, aber dann fand sein Gegner wieder in sein Spiel zurück und der erste Satz ging 4:6 verloren. Der zweite Satz war schnell erzählt. Auf diesem Niveau entschieden Kleinigkeiten über Sieg oder Niederlage. Justin spielte gut, aber gut reichte bei der ATP noch nicht. Jedenfalls heute noch nicht. Allerdings gab es für mich keinen Grund unzufrieden zu sein, bis auf den verschlafenen Start in das Match.

„Hört mal zu, Jungs. Ich gehe jetzt zu Justin und werde direkt mit ihm die Nachbesprechung machen. Allerdings soll dann der Fokus direkt auf das noch kommende Doppel gelegt werden. Also baut ihn dann wieder auf und lenkt ihn ab. Vielleicht schaut ihr auch nach Mika und könnt mit ihm die Doppelvorbereitung machen.“

„Alles klar, Chris. Ich finde, er hat ab dem 1:4 richtig gut gespielt. Oder siehst du das anders?“, fragte Dustin.

„Genau so sehe ich das auch. Also die Trauben hängen hier noch höher. Wir müssen noch einiges mehr tun, um hier gewinnen zu können. Mithalten geht jetzt schon, aber für das Siegen reicht das noch nicht.“

Justin: Schlechtes Einzel und gutes Doppel

Ich war enttäuscht als ich vor der Umkleide auf Chris wartete. Ein Einzel einfach verschenkt. So schlecht war ich schon lange nicht mehr in ein Spiel gestartet. Das war auf diesem Niveau nicht mehr auszugleichen.

Innerlich hatte ich mich bereits auf die Kritik von Chris schon eingestellt. Aber als ich ihn dann auf mich zukommen sah, wurde ich trotzdem noch unruhig.

„Na, wie geht es dir jetzt? Bist du sehr enttäuscht oder mehr verärgert?“

Ich staunte über Chris Gelassenheit.

„Beides, einfach zu blöd so schlecht zu starten. Ich kann dir vor allem gar nicht sagen warum. Ich bin da etwas ratlos. Später konnte ich gut mitspielen, aber gewinnen war heute nicht wirklich möglich, oder?“

Chris nickte nur und meinte:

„Ja, so gewinnst du nicht mehr. Dafür ist die Leistungsdichte zu hoch. Aber spielerisch bist du dran. Jetzt müssen wir euch noch stabiler und konstanter machen. Erneut wurde deutlich, wie wichtig hier der Kopf ist. Du solltest jetzt aber nicht zu lange nachdenken. Wir reden später im Hotel noch einmal in Ruhe über das Match. Jetzt versuchst du bitte, deine Konzentration auf das Doppel zu legen. Zeig dir selbst, dass du es besser kannst. Ich glaube auch weiterhin an deine Fähigkeiten. Es ist ein Spiel verloren worden, aber ganz sicher nicht die Schlacht.“

Dann hielt er mir seine Hand hin und ich schlug ein.

„Danke Chris. Es tut mir gut, dass du nicht so bist wie mein Vater. Der hätte mich jetzt so was von rund gemacht….“

„Stopp, Justin. Dein Vater ist nicht hier und ich bin nicht dein Vater. Denke bitte ab sofort wieder nur positiv. Das Spiel ist gelaufen, aber ein neues steht vor der Tür. Jetzt zählt das Doppel mit Mika. Mach dich frisch und dann gehst du mit Dustin und Fynn auf die Suche nach Mika. Ich möchte noch zwei gute Doppel sehen. Da geht noch was.“

Es war immer wieder erstaunlich wie schnell Chris von einer Niederlage nach vorn schauen konnte. Aber damit half er mir, meine Gedanken nur noch auf die nächste Aufgabe zu bündeln.

Dustin und Fynn hatten nach Dustins Sieg verständlicherweise gute Laune. Mika hatte sein Erstrundenspiel gewonnen und empfing mich ebenfalls gut gelaunt.

„Hallo Justin“, kam er mir entgegen als ich zu den dreien stieß, „bist du noch fit für unser Doppel? Oder muss ich mir Sorgen machen?“

„Hi Mika, nein, ich bin fit und motiviert. Wobei ich mich über meinen verschlafenen Start im Einzel schon noch etwas ärgere.“

„Das kann ich verstehen“, erwiderte Mika, „da war mehr drin. Ich habe etwas mehr Glück gehabt und im dritten Satz gewinnen können.“

„Hey Leute“, ging jetzt Dustin dazwischen, „Chris wird sauer sein wenn er mitbekommt, dass ihr immer noch über ein verlorenes Match sinniert. Ihr wollt und sollt jetzt das Doppel gewinnen. Also redet über den kommenden Gegner und nicht über den bereits Gespielten.“

Mika wirkte verunsichert über diese direkte Kritik von Dustin. Ich fand es gut, denn er hatte absolut Recht. Wir mussten nach vorn schauen. Mika nahm mich am Arm und wir gingen ein paar Meter abseits, um unsere Taktik zu besprechen. Allerdings schien ihn Dustins Aussage noch mehr zu beschäftigen.

„Dustin hat ja gut reden. Er hat gewonnen und steht auch in der zweiten Runde, aber du hättest doch bestimmt auch gern gewonnen. Warum greift er dich so an? Ihr seid doch Freunde.“

„Ach, das passt schon. Eigentlich sagt er ja das Richtige. Die Analyse habe ich mit Chris gemacht und dann muss ich das Spiel abhaken und es einfach im nächsten Match besser machen. Und genau das hat Dustin noch mal in meinem Kopf wach gerufen, bzw. er hat es dir in das Gedächtnis gerufen. Dustin will nicht, dass du dich zu sehr mit negativen Gedanken beschäftigst.“

„Kann er das denn selbst, auch so schnell nach einer ärgerlichen Niederlage?“

„Ja, Mika. Wir müssen das können oder zumindest müssen wir das schnellstens lernen. Das ist die einzige Lösung mit Niederlagen umzugehen. Die richtigen Schlüsse daraus ziehen und dann direkt auf das nächste Spiel schauen. Das schafft ganz viel mentale Freiheit. Chris hat uns das genau erklärt. Theoretisch habe ich das auch begriffen und möchte das machen, aber in der Praxis ist das viel schwieriger. Dabei hilft uns Chris aber sehr. Deshalb sind wir überhaupt schon da wo wir gerade stehen. Ohne Chris wäre das nicht möglich gewesen. Daher kann ich ihm auch total vertrauen. So, jetzt lass uns mal über unser Doppel reden.“

Mika hatte wirklich mehr Probleme, mit den bereits passierten Dingen umzugehen. Allerdings hatte er auch keinen Coach dabei, der ihm dabei half. Dennoch gelang es uns, eine gute Strategie zu finden. Ich war gespannt wie gut wir auf dem Platz harmonieren würden. Motiviert war ich bis in die Haarspitzen und eine Stunde später beim Einschlagen hatte ich mein Einzel komplett aus dem Kopf. Ich fühlte mich gut und locker. Ich war so mit dem Ball beschäftigt, dass ich fast erschrak als plötzlich Chris Stimme über den Platz schallte.

„Stopp, haltet mal den Ball an und kommt an die Bank.“

Er schlug Mika zur Begrüßung ab und gab uns noch die letzten Informationen.

„Euer Gegner ist eine machbare Aufgabe. Spielt offensiv und lasst euch nicht von eurem Weg abbringen. Sie werden versuchen, euch ihr Spiel aufzuzwingen. Lasst das nicht zu. Ihr seid offensiv so stark, dass ihr nicht zurückgehen müsst. Volle Attacke ist das Motto.“

„Sehr schön“, antwortete ich mit einem Lachen, „volle Attacke kann ich gut. Vielleicht sollten sie Helme aufsetzen.“

„Hahaha, Justin. Das ist genau die richtige Haltung. Locker und dennoch konzentriert. Genau so möchte ich das sehen. Los, geht auf den Platz und haut sie weg.“

Er hielt uns seine Hand hin und wir schlugen ab. Danach gingen Mika und ich zum Platz und warteten dort auf unsere Gegner.

Es dauerte noch ein paar Minuten bis der Schiedsrichter mit unseren Gegnern kam. Dann führte er uns gemeinsam auf den Platz und wir machten die letzten Vorbereitungen, um danach mit der fünfminütigen Einschlagzeit zu beginnen.

Erstaunlich schnell hatten wir uns auf dem Platz gefunden. Wer aufschlug, machte die Ansagen über die Spielzüge. Unser Gegner hatte vermutlich den Fehler gemacht uns zu unterschätzen. Wir führten schnell mit 5:2 und saßen auf der Bank, als mir Chris ein paar Zeichen gab. Er wollte, dass ich häufiger nach außen serviere, damit Mika vorne schnell dazwischen gehen konnte. Ich nickte ihm zu. Mika hatte das natürlich auch mitbekommen, dass ich mit Chris kommunizierte. Er fragte:

„Was meint Chris? Was hat er dir gesagt?“

Nachdem ich ihm das erklärt hatte, schaute er mich fragend und staunend an.

„Das könnt ihr ohne zu reden? Wow, diese Sprache muss cool sein. Damit seid ihr deutlich im Vorteil, da das coachen damit für Chris immer möglich ist.“

Das „Time“ des Schiedsrichters unterbrach unsere kurze Unterhaltung und ich musste nun zum Satzgewinn aufschlagen. Ich wollte Chris direkt zeigen, dass ich ihn verstanden hatte und servierte nach außen. Damit hatten wir mit Mikas Volleypunkte schnell 30:0 und es folgte noch ein Ass. Damit drei Satzbälle.

Komisch für mich war, dass ich das Gefühl hatte, schon Ewigkeiten bei einem ATP 250er zu spielen. Es lief einfach.

Ein guter Volley von Mika und ich konnte den ersten Satzball mit einem Smash verwandeln.

Mika klatschte mich ab und auch Chris stand applaudierend an seinem Platz. Das lief ganz hervorragend und ich hatte nicht einmal an mein verlorenes Einzel gedacht.

In der Satzpause besprach ich mich mit Mika über unser weiteres Spiel. Wir wollten genau so weiterspielen und unser Gegner hatte keine echten Chancen gegen uns zu gewinnen. Auch der zweite Satz ging an uns und wir hatten die zweite Runde im Doppel erreicht.

Erst als ich nach dem Auslaufen unter der Dusche stand, spürte ich meine schweren Beine und dass ich wohl doch einiges getan hatte. Chris hatte mir noch aufgetragen zu Platz zehn zu kommen, da Dustin und Fynn dort noch ihr Doppel spielen würden. Das schien deutlich spannender und enger zuzugehen.

Ich hatte mich beeilt und es sollte sich lohnen, denn das Match war im dritten Satz bei 3:3 und Chris stand an seinem angestammten Platz. Mika war auch schon am Court und besonders spannend war wo Giovi und Franco standen. Sie hatten sich mit einigen italienischen Jugendlichen zusammen an den Platz gesetzt. Diese Gruppe machte für Dustin und Fynn richtig Stimmung. Das stellte mich allerdings vor die Frage, mich mit Mika zu Chris zu stellen oder zu unseren neuen italienischen Freunden. Ich entschied mich zu Mika zu gehen.

„Hier ist ja richtig Stimmung“, grinste ich.

„Oh ja, und das tut Dustin und Fynn auch gut. Sie lagen schon 0:3 im dritten Satz zurück. Jetzt läuft es wieder besser. Mal schauen wie es weitergeht.“

„Oha, das ist stark. Kommst du mit zu Chris? Da bekommen wir die besten Informationen über den aktuellen Verlauf.“

„Stört ihn das jetzt nicht? Es geht in die entscheidende Phase des Spieles. Ich möchte keinen Stress auslösen.“

„Komm, ich weiß genau was wir machen dürfen und was wir lassen sollten. Ich möchte jetzt aber mit Chris kurz sprechen.“

Mika kam mit mir und so erhielten wir einen guten Überblick über das Match. Chris wirkte zwar angespannt, aber auch zufrieden über das Spiel.

„Also siehst du das 0:3 als Konzentrationsloch und nicht als Problem der Fitness?“, fragte ich nach.

„Genau, Justin. Ein typischer Fehler, der im Kopf entsteht. Da müssen wir an der Schraube noch drehen. Aber das ist kein Problem. Das passiert auch noch richtigen Weltklassespielern. Jetzt läuft es aber wieder und auch die Art und Weise von Fynn und Dustin gefällt mir sehr gut. Sie reden viel miteinander, auch wenn ein Fehler passiert. Kein Gemecker, nur der Fokus auf den nächsten Punkt. Das ist schon klasse.“

Meine Freunde hatten ihren Aufschlag zum 4:3 gewonnen und Chris nutzte die Wechselpause, um Fynn ein paar Signale zu geben. Ich deutete sie so, dass sie ab jetzt wieder offensiver returnieren sollten. Sie lagen wieder vorn und hatten deutlich weniger Druck als der Gegner. Vielleicht würden sie ja jetzt einbrechen oder einen Augenblick unaufmerksam sein. Das würde vermutlich schon ausreichen, um zu gewinnen.

Der erste Return von Fynn war grandios und führte zu einem leichten Volleypunkt von Dustin. Jetzt musste Dustin returnieren und schlug hart zurück. Leider fehlte etwas die Präzision und der Gegner glich zum 15:15 aus.

So ging das bis zum 40:40 und immer wieder gelang es Dustin nicht, einen zwingenden Return zu spielen. Aber Fynn blieb ruhig. Dustin wirkte angespannter und wurde unzufrieden. Ich konnte es an seiner Körperhaltung erkennen. Aber Chris hatte es auch bemerkt. Jetzt geschah etwas Außergewöhnliches.

Chris gab an Fynn Impulse mehr mit Dustin zu sprechen und deutlich die Führung auf dem Platz zu übernehmen. So klare Ansagen machte Chris nur noch selten. Fynn schaute zu uns, aber nickte und zwinkerte Chris zurück. Unglaublich. Aber Chris zeigte ihm nur den Daumen hoch. Fynn ging erneut zu seinem Freund und sie flüsterten etwas. Dann stellten sie sich in Position und Fynn gelang erneut ein sensationeller Punkt. Nun war wieder Dustin mit dem Return an der Reihe und jetzt blieb Fynn an der Grundlinie stehen. Er hatte Dustin zuvor etwas gesagt. Dustin spielte einen weichen Return vor die Füße des heranstürmenden Aufschlägers. Darauf hatte Fynn gewartet und sprang förmlich in die Flugbahn des Balles. Ein sehr harter Flugball folgte und mit einem lauten „Yes“ war das Break geschafft. 5:3 für uns!

Chris ballte seine Fäuste und freute sich auch äußerlich sehr. Das war ungewöhnlich in so einer Situation. Dennoch schien es für Dustin genau das Signal gewesen zu sein, denn er schlug sehr gut zum Sieg auf. Das Doppel ging mit 6:3 im dritten Satz für Dustin und Fynn aus. Chris jubelte nach dem Matchball und umarmte mich freudestrahlend.

„Meine Güte war das wieder ein Nervenkrimi. Ich werde langsam zu alt für solche Spiele. Aber mega cool wie die beiden Jungs das umgesetzt haben. Los, lasst uns zu ihnen gehen und gratulieren. Und dann schnell zurück ins Hotel. Morgen wird wieder anstrengend.“

„Sollen Dustin und Fynn nicht mehr zur Physio gehen?“, fragte ich überrascht.

„Warum?“, fragte Chris, „Ach so. Wir machen alles wie immer. Aber danach dann so schnell wie möglich ins Hotel. Ich möchte auch mal runterfahren.“

Ich hatte eine Idee wie es uns gelingen könnte, dass Chris etwas Erholung bekommen würde. Dafür bräuchte ich aber die Unterstützung von Giovi. Heute würde das zeitlich nicht mehr klappen, aber morgen hatten wir auf jeden Fall früher Schluss, denn alle unsere Matches waren eher angesetzt. Selbst die Doppel sollten um sechzehn Uhr beendet sein.

Chris: Überraschung im Hotel und auf dem Platz

Der Tag war anstrengend. Entsprechend platt fiel ich auf meine Couch in meinem Zimmer. Meine Jungs hatten gute Laune, die sicher auch berechtigt war. Wieder hatten sie mit einer überzeugenden Leistung meine Anerkennung verdient. Auch wenn solche Tage für mich extrem anstrengend waren, motivierte es mich so weiterzuarbeiten.

Heute hatte ich mir ein heißes Bad gegönnt und meinen Jungs freie Hand gelassen, ihren Abend zu gestalten.

Natürlich hatten sie sich mit mir abgesprochen. Daher war ich einverstanden, dass sie noch etwas Zeit mit Giovi und Franco verbringen konnten. Allerdings hatte ich halb elf als Ruhezeit angesagt. Am nächsten Morgen standen die nächsten Matches an. Um acht war Frühstück und direkt im Anschluss wollte ich zum Einschlagen aufbrechen.

Das heiße Bad konnte ich in vollen Zügen genießen. Allein der Gedanke heute keinerlei Programm mehr zu haben und mich nur mit mir beschäftigen zu können, half mir, meinen Akku wieder aufladen zu können.

Die laue Abendluft lud ein, um mit dem Laptop in den Hotelgarten zu gehen und dort noch einen Ipanema zu trinken. Ich konnte immer noch nicht verstehen, das viele den Rum vermissten. Für mich war das ohne Alkohol viel schmackhafter.

Gerade war ich dabei meine Emails zu sortieren, als mir auffiel, dass Marc mir auch etwas geschrieben hatte.

Zuerst öffnete ich aber den Umschlag, der mir vorhin von der Rezeption übergeben wurde als wir zurückkehrten.

Als ich das Couvert öffnete und den Brief in Händen hielt, stutzte ich. Oben rechts war ein Cavallino Rampante abgebildet und der Briefkopf signalisierte mir, dieser Brief kam wirklich aus Maranello. Das weckte natürlich meine Neugier. Er war in Englisch verfasst und als ich die letzten Zeilen gelesen hatte, schlug mein Herz deutlich schneller.

Daher öffnete ich als nächstes die Mail von Marc. Ich hatte den Verdacht, dass beides direkt in Verbindung stehen könnte.

Als ich seine Nachricht gelesen hatte, musste ich lachend den Kopf schütteln. Das war wieder eine ganz typische Marc Steevens Aktion.

Er hatte seine Verbindungen nach Maranello genutzt und für uns eine Werksführung organisiert. Da Maranello war nur wenig mehr als zwei Autostunden von Mailand entfernt war, fand Marc es eine gute Idee, uns dort etwas Sightseeing anzubieten. Dafür brauchten wir dann den offiziellen Brief als Einladung und Eintrittskarte. Marc musste mal wieder sehr genau den Turnierplan kennen, denn er hatte den Termin so gelegt, dass wir entweder vor dem Viertelfinale einen freien Tag hätten oder eben bereits ausgeschieden sein würden. Wie machte er das nur immer wieder?

Egal, mir war das natürlich sehr recht. Eine Werksbesichtigung bei Ferrari mit einer persönlichen Führung war ein besonderes Highlight. Dafür würde ich alle anderen planbaren Dinge umlegen, um das zu machen. Allerdings wollte ich das meinen Jungs noch nicht mitteilen. Sie sollten sich ausschließlich auf Tennis konzentrieren. Immerhin war Dustin in der dritten Runde, was bei diesem Turnier bereits das Achtelfinale war, und wir hatten beide Doppel noch im Rennen. Ein großartiger Erfolg.

Diese Überraschung war Marc jedenfalls erneut gelungen und die Freude meinerseits groß. Allerdings stand noch ein anstrengender Tag bevor mit einem Achtelfinale im Einzel und zwei Doppel. Aber wie schon gesagt, dieses Bonbon durfte ich den Jungs noch nicht geben, damit sie sich heute erneut nur auf Tennis konzentrieren konnten.

Dustin und Fynn wirkten beim Frühstück außergewöhnlich locker, während Justin mehr in sich gekehrt war. Ich ließ sie aber bis zum Ende des Frühstücks gewähren, ohne mit ihnen über den Tag zu sprechen. Erst, nachdem alle mit Essen fertig waren, ging ich auf die Spiele ein.

„Machen wir die Vorbesprechung gleich hier oder fahren wir zuerst auf die Anlage?“, fragte mich Dustin.

„Was für eine komische Frage, Dustin. Du möchtest doch immer gleich die Informationen von mir. Also warum sollte ich das jetzt ändern?“

Und jetzt geschah etwas Besonderes. Fynn fing an zu lachen und auch Justin grinste breit. Dustin regte sich aber nicht auf, sondern meinte lachend:

„Jaja Fynn. Ihr habt gewonnen. Ich hätte es mir denken können. Chris hat meine Vorlieben halt im Kopf.“

„Aber nur die das Tennis betreffend“, antwortete ich spontan und augenzwinkernd.

Für eine Sekunde herrschte absolute Stille am Tisch, aber dann brach lautes Gelächter aus. Auch Dustin bekam sich kaum wieder unter Kontrolle.

„Man, Chris. Du kannst einen aber auch erschrecken. Ich hatte schon Angst, dass Fynn und ich wieder einmal unanständig laut waren.“

„Dann wäre Justin mit Sicherheit nicht mehr so nett beim Frühstück gewesen und ich sicherlich auch nicht. Also ist alles im grünen Bereich. Justin, wir besprechen dein Doppel dann später auch mit Mika gemeinsam.“

Justin hatte Interesse angemeldet bei der Vorbesprechung dabei zu sein, daher hatte ich Dustin gefragt und er war einverstanden, dies noch am Tisch zu besprechen.

„Lass uns mal schauen wie unser Plan aussehen könnte. Hast du dir schon Gedanken gemacht?“, fragte ich Dustin.

„Ja, natürlich habe ich mir bereits einige Dinge überlegt. Ich weiß zum Beispiel, dass er ein Linkshänder ist und ich daher an die andere Rotation denken muss. Außerdem schlägt er recht glatt auf. Da sollte ich gut blocken können und den Ball so früh wie möglich nehmen. Dann kann ich ihn vielleicht schnell unter Druck setzen.“

„Ja, das halte ich für eine gute Idee und würde es absolut unterstützen. Du solltest nicht vorsichtig und abwartend spielen. Gehe offensiv in die Ballwechsel und zeige ihm von Beginn an, dass du Tennis spielen kannst. Du bist zwar klarer Außenseiter, aber es gibt keinen Grund sich zu verstecken.“

„Kann ich auch etwas dazu sagen?“, fragte plötzlich Fynn.

„Na klar, was ist dir aufgefallen? Ich nehme an, du hast dir ein Spiel von ihm schon angeschaut.“

„Genau, ich habe im Internet ein Video gesehen. Und dort fiel mir auf, dass er keinen besonders stabilen Volley spielte. Vielleicht kann Dustin ihn auch mal ans Netz holen und dann zu Fehlern zwingen. Damit würde der Druck auf den Gegner steigen.“

Genau diesen Gedanken hatte ich in meiner Strategie als zentralen Punkt. Fynn hatte gut beobachtet. Daher bestärkte ich Dustin in diesem Plan und eine Sache war mir noch sehr wichtig.

„Dustin, du hast hier schon viel mehr erreicht, als wir alle erwarten durften. Also denke nicht zuviel über die Situation nach, sondern spiele einfach ein Spiel in Mailand. Spielerisch bist du auf Augenhöhe und ich wünsche mir, dass du den Zuschauern zeigst, dass du Freude an diesem Spiel hast.“

Mit einem Lächeln im Gesicht meinte er dazu:

„Das bekomme ich hin, denn das ist ja auch wirklich so. Ich habe viel Spaß beim Tennis. Dank deiner Ruhe und deiner Geduld mit uns.“

Darauf konnte ich nicht mehr antworten. Es berührte mich. Außerdem war das ein gutes Schlusswort unserer Vorbesprechung. Ab jetzt richtete sich die Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf der Anlage rund um den Platz.

Und was uns dort erwartete, überraschte mich allerdings. Heute war viel mehr los auf der Anlage. Bereits am frühen Morgen wuselten viele Schüler über die Anlage. Entsprechend war die Geräuschkulisse.

Überrascht wurde ich, als plötzlich Giovi und Franco bei uns am Einschlagplatz auftauchten.

„Hey ihr beiden, habt ihr heute keine Schule?“

„Hallo Chris“, begrüßten mich die beiden, „nein, heute ist Kids Day und da machen viele Schulen einen Ausflug hierher. Unsere Klasse ist auch hier, aber die wissen natürlich nicht, dass wir euch persönlich kennen.“

„Nicht nur kennen, wir sind befreundet“, rief Fynn vom Platz als er gerade einen Ball ins Netz geschossen hatte.

„Hey, nicht mit den Zuschauern quatschen und den Ball ins Netz nageln. Erst gut spielen, dann mit den Freunden reden.“

Mittlerweile war so eine Frotzelei mit Fynn kein Problem mehr. Auch hier wurde die Entwicklung meiner Jungs mehr als deutlich. Ein gutes Gefühl.

Durch diese gute Stimmung beim Aufwärmen, kamen auch immer Zuschauer an unseren Platz. Für Mika war das anscheinend ungewohnt, denn je länger das Einschlagen dauerte und immer mehr junge Zuschauer am Platz standen, desto größer wurde die Fehlerquote bei ihm.

„Hey, Mika. Du musst dich mehr auf die gelben Filzkugeln konzentrieren. Mit den Fans kannst du dich später beschäftigen.“

Leider nahm Mika meinen lockeren Spruch zu wörtlich und es drohte die gute Stimmung etwas zu kippen.

Mika wirkte sehr angespannt und auch wenn es eigentlich nicht meine Baustelle war, musste ich jetzt gegensteuern um die Laune meiner Jungs nicht kaputt zu machen.

„Mika, kommst du bitte mal zu mir“, rief ich über den Platz.

Die anderen drei spielten einfach ihr Pensum weiter, während Mika zu mir kam.

„Was ist denn heute mit dir los? Du bist doch sonst immer die Ruhe selbst.“

Er schaute mich etwas ratlos an.

„Ich weiß es auch nicht, Chris. Eigentlich ist es bislang richtig gut für mich gelaufen. Mein nächster Gegner ist für mich kein Unbekannter. Daher weiß ich wie ich spielen muss, aber so viele Zuschauer beim Einschlagen bin ich nicht gewohnt. Es macht mich nervös, plötzlich im Mittelpunkt zu stehen.“

„Aber du stehst doch gar nicht allein im Mittelpunkt. Du trainierst mit meinen Jungs und ich befürchte, die jungen Fans sind ihretwegen hier. Also wenn irgendjemand einen Grund hat, nervös zu werden, dann Dustin. Aber nicht du.“

Mika schien plötzlich begriffen zu haben, dass ich ganz locker war und überhaupt keine ernsthafte Kritik geäußert hatte. Er erwiderte:

„Okay, also einfach auf die Murmel hauen, ein Lächeln im Gesicht haben und sich über ein geiles Turnier mit guten Freunden freuen? Meinst du, so wäre es besser?“

„Hahaha, sehr gut. So gefällt mir das wieder viel besser. Du hast es begriffen. Genieße einfach den Tag und spiele Tennis. Dann wird das schon klappen. Und für meine Jungs wird es einfacher, sich zu präsentieren.“

Danach ging er wieder auf den Platz und die letzten zwanzig Minuten sahen wieder viel lockerer und geschmeidiger aus. Damit konnte ich das Aufwärmen mit einem guten Gefühl für alle beenden und mich mit Justin und Mika zur Doppelbesprechung begeben. Dustin und Fynn wollten sich um unsere neuen italienischen Freunde kümmern. Allerdings sollte Dustin jetzt nicht noch irgendein Unsinn machen. Er sollte schließlich gleich auf den Platz gehen.

Als ich dann eine Stunde später bei Dustin am Platz saß und dem Spiel mit wachsender Begeisterung folgte, bahnte sich eine erneute Überraschung an. Dustin konnte immer besser seine Trainingsleistungen in das Match transferieren. Dadurch stand sein Gegner immer häufiger unter massivem Druck und konnte nur schwer sein eigenes Spiel aufbauen.

Dustin führte mit einem Break 5:4 im ersten Satz und schlug nun auf. Meine Hilfestellungen begrenzten sich eigentlich nur auf die psychische Begleitung. Dustin hatte unsere Strategie bestens umgesetzt und zeigte eine überragende Leistung. Allerdings erwartete ich jederzeit einen Rückfall in das alte Verhalten. Vor allem, wenn das Spiel nicht mehr so glatt laufen würde.

Und genau das passierte in diesem Aufschlagspiel. Der sogenannte schwere Arm meldete sich bei Dustin zurück. Er produzierte zwei Doppelfehler und damit stieg der Druck enorm. Vor allem wirkte er anschließend verunsichert und schaute fragend zu mir. Jetzt war ich gefordert.

Mit klaren Signalen und Gesten forderte ich Dustin auf, ruhig zu bleiben und einfach sein Spiel zu spielen. Er nickte zwar, dennoch wirkte er verunsichert. Aber jetzt kam das Publikum zum Tragen. Giovi und Franco hatten sich zu ihren Klassenkameraden gesetzt und spornten die jetzt an, Dustin lautstark zu unterstützen.

Das taten sie auch, und nicht nur das, innerhalb weniger Minuten hatte sich das Publikum auf Dustins Seite geschlagen. Für Dustin war das enorm wichtig. Er konnte zwar sein Aufschlagspiel nicht mehr halten, aber danach zündete er den Turbo und schoss Returns von einem anderen Stern ins Feld. Als ob er sich das von Justin abgeschaut hätte.

Darauf war sein Gegner nicht vorbereitet. Dustin holte sich das Break und anschließend das eigene Service zum Satzgewinn.

Mit einem lauten „Yes“ sprintete Dustin dann zu seinem Stuhl.

Er schüttelte seinen Kopf und fing an zu lachen. Kaum zu glauben, aber er tippte sich dann an den Kopf und zeigte auf mich. Als ob er es jetzt begriffen hatte. Mal schauen wie er den zweiten Satz spielen würde.

Und was wir dann geboten bekamen, haute mich fast von meinem Stuhl. Dustin zerlegte seinen Gegner nach Belieben. Und das in einem ATP 250 in der dritten Runde. Mir ging mein Herz auf. Dustin hatte sich von allen Ängsten befreit und spielte einfach nur Tennis. Ein Traum ging für mich in Erfüllung. Und es bewies mir, wie gut die Jungs sein können.

Als Dustin seinen ersten Matchball verwandelt hatte, hielt es Fynn nicht mehr am Zaun. Er stürmte Richtung Bank, aber natürlich wurde er nicht zu seinem Freund gelassen. Das musste warten bis Dustin noch etliche Autogramme geschrieben hatte. Erst danach konnte er den Platz verlassen und sich von seinem Freund den Siegerkuss abholen. Ein wunderschönes Bild, das sich da zeigte. Keine Angst mehr, in der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie ein Paar sind.

Justin blieb die ganze Zeit neben mir und fragte mich plötzlich:

„Was ist da am Ende des ersten Satzes passiert? Warum muss er erst den Zitterarm bekommen, um dann so zu explodieren? Das macht mir etwas Angst, weil mir das mit Sicherheit auch passieren kann.“

„Das ist dir ja auch schon passiert und wird euch auch weiterhin passieren. Das ist eben menschlich. Unsere Aufgabe ist es, euch zu vermitteln dass es zum Tennis dazugehört und keine Bedrohung ist, wenn man richtig damit umzugehen lernt.“

Das Gesicht von Justin war herrlich. Seine Antwort allerdings auch.

„Also kann ich beruhigt in unser Doppel gehen, du wirst uns schon passend in den Hintern treten.“

Dann ging er einfach Richtung Umkleide. Ich folgte ihm mit einem Lächeln im Gesicht. So viel Freude hatte ich schon lange nicht mehr mit meinen Jungs.

Seine Aussage war natürlich nicht so ganz ernst gemeint. Dennoch konnte ich mich darauf verlassen, dass Justin mit vollem Einsatz auf den Platz gehen würde.

Dustin stand eine angemessene Pause zu und daher wurde das Doppel von Justin und Mika früher angesetzt. Mir kam das sehr gelegen. Dadurch konnte ich beide Spiele komplett begleiten und musste nicht hin und her wechseln.

Ich überlegte für einen Moment in die Umkleide zu gehen, um Dustin zu seinem Sieg zu gratulieren. Tat es aber nicht. Warum sollte ich unsere Abläufe ändern, nur weil Dustin eine starke Leistung gezeigt hatte?

Ich bewegte mich daher schon zum Platz auf dem gleich das Doppel mit Mika und Justin stattfinden würde. Noch war der Court leer und ich hatte die freie Auswahl, mir den richtigen Sitzplatz zu suchen.

Aus meinem Rucksack nahm ich mir meine Trinkflasche und gönnte mir eine Erfrischung.

Es dauerte nicht mehr lange und einige der Schülergruppen kamen zu diesem Court. Erstaunlich, denn auf den größeren Showcourts fanden Spiele mit deutlich bekannteren Spielern statt.

Aber als dann Giovi mit seinem Freund Franco zu mir kamen, wurde mir schnell klar, warum plötzlich meine Jungs hier im Mittelpunkt standen. Giovi fragte mich:

„Meine Freunde aus meiner Klasse haben mich gefragt, ob du mit ihnen vielleicht ein Foto machen würdest. Es wäre eine schöne Erinnerung für den Klassenraum. Ich glaube nämlich, dass ihr hier noch etwas ganz Besonderes erreichen werdet.“

Vollkommen überrascht schaute ich ihn an und musste lachen.

„Okeee, ich hoffe, dass es eine positive Überraschung sein wird. Aber natürlich können wir später ein Gruppenfoto machen. Aber mit den Jungs gemeinsam. Ich bin ja für euch gar nicht interessant“

„Warum das denn? Wenn wir das Fynn und Dustin erzählen, dann kannst du dich auf ein größeres Donnerwetter vorbereiten. So, wie sie uns das erklärt haben, bist du einer der wichtigsten Menschen für sie. Und Justin hat auch großen Respekt vor dir. Du bist viel mehr als nur ein Coach. So viel haben wir auch schon mitbekommen.“

Das berührte mich und meine Gedanken gingen für einen kurzen Augenblick zurück an die Anfangszeit als ich meine Jungs kennengelernt hatte. Aber schnell konnte ich zurück in die Gegenwart wechseln. Die Spieler betraten den Platz und eine neue Aufgabe wartete auf uns.

Natürlich hatte ich Giovi und Franco versprochen mit ihnen das Foto zu machen. Es war auch eine Form der Anerkennung unserer Arbeit.

Das Doppel selbst war schnell erzählt, denn sowohl Justin als auch Mika hatten einen Sahnetag erwischt. Sie schlugen enorm variabel auf und leisteten sich keine Konzentrationsschwächen. Das Match endete in einem glatten Zweisatzsieg und mit lautem Jubel wurde der Sieg von den jungen Zuschauern begleitet.

Dustin und Fynn, die während des Spieles zu mir gekommen waren, standen noch neben mir als ich Giovi bereits auf uns zukommen sah.

„Ihr braucht nicht wegzulaufen, wir müssen uns noch zu einem Gruppenfoto stellen. Giovis Klasse möchte mit euch ein Foto machen.“

„Sie wollen mit uns ein Foto machen?, grinste mich Fynn mit einem erhoben drohenden Zeigefinger an.

„Jaja, schon gut. Ich habe es begriffen und komme auch mit. Wisst ihr schon wo es gemacht werden soll?“

„Ja“, erwiderte Dustin, „unten auf dem Platz. Mit Justin und auch Mika. Wir haben sogar extra eine Erlaubnis dafür bekommen. Cool, oder?“

Das wunderte mich allerdings schon. Eigentlich waren die Courts für so eine Aktion während des Spielbetriebs gesperrt.

„Allerdings. Wer hat das denn eingefädelt?“, fragte ich nach.

„Giovi hat im Turnierbüro gefragt und wir haben die Erlaubnis bekommen“, erklärte mir Fynn.

Also gingen wir hinunter auf den Platz. Dort konnte ich Justin und Mika auch gratulieren. Die Bilder waren schnell geschossen und ich nutzte die verbliebene Zeit, um mit Dustin und Fynn über das kommende Match zu sprechen.

„Irgendwie bin ich jetzt noch angespannter“, meinte Fynn.

„Warum das denn? Weil Justin und Mika gewonnen haben? Ihr sollt euch nur auf euch konzentrieren, vollkommen unabhängig von den anderen. Das hat sich in keinster Weise verändert.“

„Ja, das ist sicher so, aber ich möchte ein genauso gutes Ergebnis abliefern.“

„Das weiß ich. Warum sollten sich die Bedingungen verändert haben? Ihr spielt euer Match und dann schauen wir was passiert. Das klappt schon. Also einfach auf den Platz gehen und den nächsten Punkt spielen.“

In Fynns Kopf rotierten die Gedanken und auch die Emotionen. Seine Körpersprache war für mich kein Geheimnis mehr. Also entschied ich mich, ihn mit Dustin abzulenken. Dustin bekam den Auftrag für uns ein Eis zu organisieren und erst danach sollten sie sich vorbereiten.

Mit Eis konnte ich sie wirklich immer einfangen. Und genau das passierte auch heute wieder. Das Doppel, welches wir im Anschluss zu sehen bekamen, war eindrucksvoll und der Sieg war nie in Gefahr. Damit hatten wir unser Tagesprogramm abgearbeitet. Und zwar sehr erfolgreich.

Jetzt konnte ich mich mit dem freien Tag beschäftigen. Aufgrund eines Festes konnte am nächsten Tag nicht gespielt werden. Das war zwar ungewöhnlich, aber mir sehr recht. Ein Tag Erholung für meine gestressten Nerven und für die Jungs zur körperlichen Regeneration.

Einige Zeit später hatte ich meine Jungs um mich geschart. Giovi und Franco waren auch noch dabei, aber sie wollten gleich nach Hause fahren. Sie hatten noch Schulsachen zu erledigen. Da sie direkt aus der Schule auf die Anlage gekommen waren, hatten sie dafür noch keine Zeit gehabt. Dustin und Fynn fanden das zwar bedauerlich, aber es gab keine Kommentare, denn sie wussten ganz genau, dass Schule für die beiden Vorrang hatte. Wir verabschiedeten die beiden also mit einer herzlichen Umarmung.

„Denkt dran. Übermorgen seid ihr hier wieder gern gesehen. Meine Jungs würden sich sicher freuen.“

„Danke, Chris“, erwiderte Giovi, „ wir sind mit Sicherheit nach der Schule wieder hier. Vielleicht haben wir ja Glück und sehen euch noch auf dem Platz. Was macht ihr morgen? Vermutlich lange schlafen und relaxen, oder?“

„Hahaha“, lachte Dustin, „das dürfte während eines Turnieres wohl nicht passieren. Wir müssen sicher morgen auch noch trainieren. Sonst ist die Muskulatur schnell hart und wir können dann übermorgen nicht richtig laufen. Vielleicht lässt uns Chris aber etwas länger schlafen.“

Dabei schauten mich Fynn und Dustin besonders erwartungsfroh an.

„Naja, eine Stunde mehr Schlaf ist schon drin, aber ich habe mit euch einen Ausflug vor. Wir werden uns etwas anschauen und dafür benötigen wir den ganzen Tag. Erst gegen Abend werden wir noch ein kleines Training machen.“

Jetzt hatte ich sie neugierig gemacht und Justin fragte natürlich sofort nach:

„Aber du willst nicht mit uns shoppen gehen in Mailand? Mit Mode habe ich echt überhaupt nichts am Hut.“

„Hahaha“, kam sofort von Fynn, „ das würde Chris niemals mit uns machen. Dafür würde er keine Zeit opfern. Wir dürften sicher shoppen, aber er würde da niemals mitkommen. Schon gar nicht einen ganzen Tag lang. Stimmt doch, Chris, oder?“

„Richtig, Fynn. Das werdet ihr nicht erleben. Wir machen etwas anderes. Viel spannender und sicher auch interessanter. Frühstück ist um neun. Danach brechen wir direkt auf und werden am späten Nachmittag wieder in Mailand sein. Mehr verrate ich noch nicht. Aber noch ein anderes Thema: wo wollen wir zu Abend essen? Hier oder im Hotel?“

„Hotel“, kam spontan und gleichzeitig von allen drei Jungs.

Damit war das auch geklärt. Mika war in einem anderen Hotel untergebracht. Daher verabschiedeten wir uns von ihm für heute.

Der Shuttleservice brachte uns zügig ins Hotel. Dort gönnte ich mir eine Dusche und zog mir frische Sachen an.

Fynn: Ein lustiger Abend

Das war erneut ein guter Tag für uns. Dustin hatte sein Einzel gewonnen und wir waren noch im Doppel im Rennen. Das war viel mehr als ich mir erträumt hatte.

Chris hatte uns gebeten in einer halben Stunde zum gemeinsamen Abendessen zu kommen. Chris hatte sich ganz schnell ins sein Zimmer zurückgezogen und uns nur noch die Essenszeit mitgeteilt.

Ich hatte das Gefühl, dass Chris erneut am Limit war. Er hatte sich den ganzen Tag um uns gekümmert. Ohne wirkliche Pause. Wir dagegen konnten nach unseren Matches immer runterfahren und uns erholen. Chris hatte oft direkt das nächste Match vor sich.

Dustin uns ich packten unsere Taschen aus und gaben die benutzte Wäsche in die Hotelwäsche. Anschließend bereitete ich gleich meine Sachen für den übernächsten Tag vor. Dabei fragte ich Dustin:

„Schatz, sollten wir vielleicht alle Schläger für übermorgen noch besaiten lassen? Es soll ja deutlich feuchter werden und Chris hat uns doch erklärt, dass man sich auf die äußeren Umstände einstellen sollte.“

„Wie willst du das regeln? Der Saitenservice ist auf der Anlage. Da kommen wir heute nicht mehr hin. Und ich möchte nicht, dass Chris jetzt unseretwegen das heute noch organisieren muss. Aber grundsätzlich ist das keine schlechte Idee. Wir sollten Justin auch fragen, wie er das sieht.“

Dann kam Dustin zu mir und ich spürte seinen Atem neben mir. Ich bekam eine Gänsehaut als er mir einen Kuss in den Nacken gab.

Leise hörte ich seine Stimme:

„Ich vermisse Zeit nur für uns. Diese Turniere sind echt heftig. Allerdings sind wir gerade mega gut unterwegs. Oder hättest du gedacht, dass wir jetzt schon auf der ATP Tour spielen können?“

„Ja, mir geht es auch auf den Sack, dass wir so wenig Zeit für die schönen Dinge neben dem Platz haben, aber andererseits sind unsere Ergebnisse auch der Beweis, dass wir vieles schon besser machen können als vor einem Jahr. Und dass du bei einem 250 er Turnier im Viertelfinale stehst, gleicht einer Sensation. Ich habe aber auch ein wenig Angst, dass wir in Zukunft ständig schon solche Leistungen zeigen müssen.“

Dustin schüttelte seinen Kopf. Dabei legte er seine Hand an meine Hüfte.

Sofort spürte ich meine Männlichkeit hart werden. Wie gut, dass wir in unserem Hotelzimmer waren.

„Hihihi, ich glaube, du hast da auch eine Verhärtung. Wir müssen uns noch etwas gedulden. Aber heute Abend nehmen wir uns Zeit für uns. Und ich möchte Chris vertrauen. Er wird uns genau sagen, wenn wir nicht mehr auf dem richtigen Weg sind. Heute genieße ich die Situation. Das einzige was mich etwas beunruhigt, ist Chris Zustand. Er wirkte am Abend sehr müde und ausgelaugt. Hoffentlich kann er sich morgen von diesem Stress etwas erholen. Weißt du eigentlich was wir morgen machen? Chris wollte mir noch nichts Näheres dazu sagen.“

„Nein, ich habe keinen Plan. Allerdings wird Chris sich genauestens überlegt haben, warum er uns noch nicht in sein Vorhaben eingeweiht hat. Mein Gefühl sagt mir, dass er es selbst noch nicht so lange wusste. Ich vermute, dass es eine kurzfristige Gelegenheit ist. Aber wir sollten uns bis morgen gedulden. Ich kenne Chris lange genug, er wird uns nicht mehr verraten. Erst morgen früh oder gar erst auf dem Wege dorthin.“

Plötzlich klopfte es an unserer Tür. Ich öffnete und Justin stand vor mir.

„Kommt ihr? Es ist Zeit zum Essen zu gehen.“

Krass, wie schnell diese halbe Stunde vergangen war. Natürlich gingen wir mit Justin hinunter zum Essen. Chris saß natürlich schon am Tisch und wartete auf uns.

„Nehmt Platz. Wie geht es euch? Was machen die Beine?“, empfing uns Chris gut gelaunt wie immer.

Und jetzt überraschte mich Justins Antwort doch.

„Die Beine sind tot. Ehrlich jetzt. Dabei habe ich ja nur ein Doppel gespielt. Aber die Waden sind richtig hart und schwer geworden. Ansonsten geht es mir gut.“

Chris schaute zu uns, sagte aber noch nichts. Mein Schatz meinte:

„Ja, das Gefühl kenne ich. Heute ist es noch ganz in Ordnung bei mir. Aber gestern habe ich auch Beine wie Blei gehabt. Umso erstaunter bin ich dann immer am nächsten Morgen. Da ist das häufig wie weggezaubert.“

Plötzlich fing Justin richtig heftig an zu lachen. Ich hatte keinen Plan warum. Chris schaute genauso verwundert und ich hatte schon Sorge, Dustin würde das persönlich nehmen. Allerdings meinte er dieses Mal nur:

„Was für einen Witz hast du dir denn jetzt erzählt?“

Justin wurde rot und zögerte, aber dann deutete er an.

„Naja, ich habe gerade gedacht wie weggezaubert und Bilder dabei vor Augen gehabt wie Fynn… also… naja…“

„Hahaha, das ist gut. Justin. Richtig gut. Jetzt habe ich es begriffen. Mega cool“, fing Chris jetzt auch an zu lachen.

Dustin und ich hatten gerade gar keinen Plan.

„Leute“, half uns Chris auf die Sprünge, „was für ein Kopfkino wohl mit weggezaubert sein mag? Bei euch beiden. Na, klingelt es jetzt?“

Natürlich klickte es jetzt. Dustin und ich schauten uns etwas pikiert an, aber eigentlich hatten sie ja recht.

„Okay, okay, jajaja. Das stimmt. Dustin kann einiges wegzaubern wenn wir alleine sind, aber ich bin da auch nicht so schlecht, oder?“

Dabei schaute ich meinen Schatz an und Dustin zögerte nicht, mir einen Kuss als Bestätigung zu geben.

„Leute“, meinte Chris, „lasst uns das Thema wechseln und wieder zu den schweren Beinen kommen. Das ist doch ganz normal. Ihr seid mittlerweile so gut trainiert, dass euer Körper das gut kompensieren kann, wenn genug Erholungszeit möglich ist. Morgen ist ja spielfrei und von daher sehe ich keine Probleme. Wenn wir morgen zurück sind, geht ihr noch einmal zur Physio und holt euch eine Massage. Ich gehe davon aus, dass eure Schulter- und Nackenmuskulatur das gut gebrauchen kann. Ich werde übrigens dann auch mitgehen und mich etwas verwöhnen lassen.“

Schulter- und Nackenmuskulatur? Jetzt hatte mich Chris neugierig gemacht, aber ich wusste genau, dass das zu seinem Plan gehörte und er uns jetzt noch keine weiteren Informationen geben würde.

„Was hast du morgen vor? Irgendetwas hast du doch schon wieder vorbereitet“, fragte Justin leider doch noch.

Chris schaute Justin an und schüttelte sofort seinen Kopf.

„Wenn ich jetzt dazu etwas hätte sagen wollen, dann hätte ich euch das bereits erklärt. Will ich aber nicht. Ich liebe Überraschungen und ganz ehrlich, so hundertprozentig weiß ich das auch nicht, was morgen passiert.“

Dann fing er an richtig zu lachen und ließ uns im Unklaren. Hatte ich auch nicht anders erwartet.

Als das Essen serviert wurde, standen solche Gespräche hinten an. Ich kannte Chris lange genug um zu wissen, dass wir uns jetzt mit anderen Dingen beschäftigen sollten. Aber zuerst stand ein sehr gutes und leckeres Abendessen an.

Als wir alle das Essen beendet hatten, fragte Chris:

„Möchte jemand noch mit mir einen Kaffee trinken oder wollt ihr lieber auf eure Zimmer?“

„Milchkaffee“, erwiderte Justin.

Dustin hatte sofort gesagt:

„Zimmer“

Chris zwinkerte uns zu und meinte aber mit einem erhobenen Zeigefinger:

„Ist in Ordnung, viel Spaß. Allerdings möchte ich morgen weder einen von euch übermüdet noch mit irgendwelchen Wehwehchen sehen. Zischt ab.“

Das ließen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und gingen nach oben auf unser Zimmer.

Auf dem Flur vor unserem Zimmer fragte mich Dustin:

„Ob Chris weiß, warum wir keinen Kaffee mehr wollten? Irgendwie schon komisch, denn…“

„Hey, Schatz“, ging ich dazwischen, „natürlich weiß er genau, dass wir Spaß miteinander haben wollen und dass wir nicht brav auf dem Sofa sitzen werden. Aber genau darauf habe ich jetzt Bock. Also komm mit.“

Ich zog meinen Freund am Arm hinter mir her und als die Tür geschlossen war, dauerte es nicht lange und wir lagen ohne störende Klamotten in unserem Bett.

Dieser Abend verlief einfach wunderbar, war lustvoll und total entspannend und als wir später einschliefen, hatte ich nicht nur einmal meinen Saft heftigst entladen. Es war ein absolut wunderbares Gefühl, vollkommen zufrieden und glücklich, ganz eng an meinen Freund angekuschelt gemeinsam einschlafen zu können.

Chris: Marc hat wieder das volle Programm angekreuzt

Ein spielfreier Tag während eines Turnieres war eigentlich nur bei den Grand Slam Turnieren üblich. Aber heute war es hier in Mailand auch so und ich hatte das Glück, dass Marc darüber genau informiert war. Thorsten sei Dank.

Heute würden wir also nach dem Frühstück Richtung Maranello aufbrechen. Das waren ungefähr zwei Stunden Fahrt. Und da Marc mir geschrieben hatte, dass ich mich nicht um einen Leihwagen bemühen müsste, war ich neugierig, was uns heute der Tag an Überraschungen bringen würde. Denn dass es Überraschungen geben würde, davon war ich überzeugt. So gut kannte ich Marc mittlerweile.

Das Einzige was ich erfahren hatte, wir sollten uns um halb elf am Eingangsempfang in Maranello melden. Daher hatte ich meine Jungs schon auf sieben Uhr zum Frühstück gebeten. Entsprechend klein waren noch die Augen als meine Jungs am Tisch mit ihrem Essen beschäftigt waren.

Allerdings hatte es für mich bereits die erste Überraschung gegeben, denn ich hatte an der Rezeption einen DIN A 4 Umschlag erhalten, der die Papiere und Schlüssel für den Leihwagen beinhaltete.

„Sag mal, warum müssen wir eigentlich mitten in der Nacht aufbrechen? Das ist ja noch früher als wir normalerweise ein Turnier spielen müssten“, stöhnte Justin.

Interessanterweise waren Dustin und Fynn gar nicht so verschlafen. Sie wirkten sogar recht frisch für diese frühe Uhrzeit.

„Weil wir um halb elf einen Termin haben und ich äußerst ungerne dort zu spät komme. Ich komme generell ungern zu spät, aber hier will ich auf keinen Fall zu spät kommen.“

„Du machst es ja wieder mega spannend. Aber wo geht es denn nun hin?“, fragte Dustin.

„Ja, es wird wirklich ein besonderer Ausflug. Es geht nach Maranello.“

Stille am Tisch.

Die drei Jungs schauten sich fragend an, aber Fynn hatte es als Erster begriffen.

„Maranello? Warte mal, ja klar, jetzt habe ich es. Ferrari? Ist das Ferrari Werk nicht in Maranello?“

„Echt jetzt? Wie geil“, sprudelte Justin jetzt hellwach hervor, „wir fahren ins Ferrari Werk? Lass mich raten, wenn das nicht wieder Marc eingetütet hat, dann fresse ich einen Besen.“

Das kam so trocken rüber, dass ich mich fast an meinem Kaffee verschluckt hatte.

„Hahaha, sehr gut kombiniert. Genauso verhält es sich. Marc hat es mal wieder geschafft, mich zu überraschen.“

„Und uns auch“, freute sich Justin.

„Dann habe ich ja nochmal Glück gehabt, dass ich euch so früh zum Frühstück beordert habe.“

„Aber wie kommen wir dorthin? Wir haben kein Auto hier“, bemerkte Dustin.

Fynn war schon einen Schritt weiter.

„Schatz, denk doch mal nach. Wie lange kennen wir Chris? Wenn er uns sagt, dass wir nach Maranello fahren, dann hat er das mit Sicherheit schon geklärt. Aber er will es uns noch nicht sagen.“

„Danke, Fynn. Fast richtig. Aber bis vor zehn Minuten hatte auch ich noch keine Ahnung, was für ein Transportmittel Marc organisiert hat. Allerdings habe ich jetzt diesen Umschlag erhalten und darin sind die Papiere und der Schlüssel für den Leihwagen, wobei ich aber noch nicht dazu gekommen bin zu schauen, womit wir die Anreise machen. Ist aber auch eigentlich egal. Hauptsache sicher und bequem da hin.“

Vor einigen Monaten hätte ich solche Dinge nicht sagen dürfen. Dustin hätte sofort Probleme bekommen, ruhig zu bleiben. Heute verstand er meinen Humor viel besser und konterte sogar darauf.

„Schau doch mal nach. Vielleicht hat uns Marc über Karl ja einen Ami Van organisiert. Da könnten wir sogar noch zwei Stunden fehlenden Schlaf nachholen.“

Ich nahm mir also den Umschlag und öffnete ihn. Ich griff hinein und der KFZ-Schein und ein Schlüssel kamen zu Tage. Außerdem ein Schriftstück. Dieses Papier hatte sofort meine volle Aufmerksamkeit genommen, weil es einen Briefkopf aus Maranello mit dem Cavallino Rampante zeigte. Und mit einem zweiten Blick konnte ich dieses Symbol auch auf dem Schlüssel erkennen. Dies ließ meinen Puls sofort ansteigen: Ein Ferrari als Transportmittel? Wie sollte das denn gehen? Wir waren vier Personen und Marc war doch bewusst, dass von meinen Jungs noch niemand ein Auto fahren durfte.

Nachdem ich das Schriftstück gelesen hatte wurde deutlich, dass wir tatsächlich mit einem Ferrari anreisen sollten und gebeten wurden, unsere Ausweise dabei zu haben. Diese Info gab ich an meine Jungs weiter und wollte dann auch nicht mehr länger warten. Meine Neugier wuchs von Minute zu Minute.

Ich schickte die Jungs nach oben, damit sie ihre Sachen holen konnten. Das ließ mir Zeit, um mich um unser Transportmittel zu kümmern. Ich fragte an der Rezeption, wo das Auto geparkt wäre. Bis zu diesem Zeitpunkt waren wir wie ganz normale Hotelgäste angesehen und behandelt worden, nun aber bekam ich plötzlich ein Gefühl, dass uns jetzt besondere Beachtung zuteil wurde. Als ob wir VIPs seien. Das mochte ich zwar überhaupt nicht, aber als ich nun in Begleitung des Hotelmanagers das Haus verließ, um zum Auto zu gelangen, begann mein Kopfkino heftig zu starten.

Der Manager führte mich in eine benachbarte Tiefgarage und dort stand das Objekt - ein rosso corse farbener Ferrari Roma. Ein bildschönes 2+2 Coupe. Das war fahrende Kunst und auch natürlich entsprechend wertvoll. Es hatte Kennzeichen aus Maranello, was bedeutete, dass es sich um ein echtes Werksauto handelte.

Ich bedankte mich für die Begleitung und öffnete die Tür. Danach war ich mit dem Auto allein. Ehrfurchtsvoll suchte ich ein Zündschloss. Dann fiel mir ein, Keyless go gab es auch bei Ferrari. Ich aktivierte die Zündung und sofort standen meine Haare stramm und alle Sinne im Alarmzustand. Was für eine Geräuschkulisse.

Behutsam rollte ich aus der Tiefgarage und hatte mich schnell im Innenraum orientiert. Nichts Ungewöhnliches in der Bedienung. Wie gut, dass ich doch schon mit Marcs Kunstwerken Erfahrungen sammeln durfte.

Der Achtzylinder fauchte beim kleinsten Gasstoß. Also konnte ich bis zum Hotel nur rollen. Aber mir wurde jetzt sofort bewusst, diese Anfahrt nach Maranello würde ein ganz besonderes Erlebnis werden.

Mit einem kleinen Gasstoß stellte ich den Motor vor dem Eingang von unserem Hotel ab. Als ich die Tür öffnete kamen meine Jungs bereits aus der Tür. Mit großen Augen und Begeisterung umkreisten sie das Kunstwerk.

„Typisch Marc Steevens. Immer wieder gut für eine Überraschung. Allerdings ist das eine mega coole Aktion“, freute sich Fynn und gab seinem Freund einen Kuss.

„Ich gehe davon aus, dass Dustin und Fynn hinten ihre Ruhe haben wollen. Damit kann ich vorne sitzen und die Fahrt in vollen Zügen genießen. Hinten dürfte bestimmt nicht so viel Platz sein.“

Justin machte sich einen Spaß auf Kosten der anderen beiden Jungs. Vor drei Monaten hätte ich jetzt Herzklopfen bekommen wegen der möglichen Reaktion. Heute konterte Dustin:

„Justins Scharfsinn überzeugt wieder einmal, aber ich glaube, Marc wird sich genauestens überlegt haben, welches Auto er uns besorgt. Daher, lasst uns einsteigen und diesen Ausflug genießen. Ich bin schon sehr gespannt, was uns alles erwarten wird.“

Mit einem Blick in den Fond des Fahrzeuges musste ich feststellen, das sah für einen 2+2 Sitzer recht komfortabel aus. Dustin und Fynn nahmen in zwei bequemen Einzelledersitzen Platz. Innerlich musste ich ein wenig grinsen, denn der große Getriebetunnel trennte die beiden deutlich. Also großes Kuscheln dürfte schwierig werden.

Allerdings musste ich nun noch die Adresse in das moderne Navigationssystem eingeben. Es war alles in Englisch beschriftet. Aber nach kürzester Zeit war das Ziel einprogrammiert und gestartet.

Der Stadtverkehr durch Mailand war wie erwartet eine Katastrophe und sehr stressig für mich. Aber Justin machte einen guten Job als mein Navigator. Er übernahm die Überwachung der Anzeigen, so dass ich mich gänzlich auf den chaotischen Verkehr konzentrieren konnte.

Als wir einige Zeit später auf der Autostrada Richtung Maranello waren, wurde diese Fahrt auch für mich ein Genuss. Natürlich gab es auf den italienischen Autobahnen ein Speedlimit. Dennoch musste ich hin und wieder den über sechshundert Pferden mal etwas Auslauf geben. Diese Beschleunigung war atemberaubend und immer wieder schnellte mein Puls nach oben. Das war einfach Freude pur.

So kam mir die Fahrt überhaupt nicht langweilig vor, trotz des Tempolimits von 130 km/h. Irgendwann tauchten Hinweisschilder zum Ort Parma auf. Justin kam dann auf die Idee:

„Wenn wir auf dem Rückweg keine Zeit im Nacken haben, können wir dann mal in Parma nach einem echten Parmaschinken Ausschau halten?“

Ich blickte zu ihm hinüber und musste grinsen.

„Genau denselben Gedanken hatte ich auch gerade. Das machen wir. Vielleicht bekommen wir ja in Maranello einen Hinweis wo man dort am besten einkauft. Es ist ja nicht weit von dort.“

Plötzlich tauchte im Rückspiegel ein Fahrzeug der Carabinieri auf. Sie hatten es anscheinend recht eilig, obwohl sie ohne Sondersignale unterwegs waren. Aber als sie direkt hinter uns waren, verlangsamten sie ihre Geschwindigkeit wieder und folgten uns über mehrere Kilometer. Das machte mich etwas unruhig, vor allem aber machte das Fahrzeug Eindruck auf mich, denn es war einer der vier Lamborghini Hurracan, die das Werk den Carabinieri für Geschwindigkeitskontrollen auf den Autobahnen zur Verfügung stellte. Das wurde einmal in Deutschland in einer TV Sendung berichtet. Daher wusste ich davon.

Bevor ich lange weiter nachdenken konnte, ertönte in unserem Rücken die Sondersignalanlage und das Blaulicht wurde eingeschaltet. Der Fahrer überholte uns zügig und setzt sich aber genau vor uns. Ich hatte mich etwas erschrocken, aber eigentlich konnte ich entspannt bleiben, da ich mich korrekt an das Speedlimit gehalten hatte. Ich folgte also den Zeichen der Polizisten, ihnen zu folgen. Wenige Minuten später bogen wir auf einen Rastplatz der E35. Hier befanden wir uns im Umland des Ferrari Werkes. Und es gab immer noch eine alte Rivalität zwischen Lamborghini Piloten und den Ferraristi.

Ich ließ mein Fenster hinunter und erwartete den Polizisten, der gerade aus seinem Wagen stieg.

Ich hatte die Hoffnung, wir könnten uns in Englisch verständigen, da mein Italienisch eher nicht vorhanden war. Natürlich sprach er mich auf Italienisch an, ich hatte schließlich eine italienische Zulassung am Auto.

Aber er war sehr freundlich und als ich ihm sagte, dass wir aus Deutschland kommen würden, sprach er sogar Deutsch mit mir.

„Vielen Dank für ihr Bemühen, mit uns in Deutsch zu sprechen. Darf ich fragen was wir falsch gemacht haben? Ich bin jedenfalls nicht zu schnell gefahren.“

Der Polizist fing an zu lachen und seine Kollegin war währenddessen bereits einmal um unseren Roma herumgelaufen und hatte Bilder gemacht.

„Genau das hat uns misstrauisch sein lassen. Kaum ein Ferrari oder Lamborghini würde hier auf der E35 ihre Geschwindigkeit fahren. Wir hatten eher die Befürchtung, dass es sich um einen gestohlenen Ferrari handeln könnte. Doch er hat ein Kennzeichen vom Werk. Davon fahren in dieser Gegend nicht viele herum. Wir sind noch zu weit weg von Maranello.“

Ich erklärte ihnen dann den Zusammenhang und dann lächelten beide mit der Frage:

„Haben Sie denn der bella macchina schon einmal freien Lauf gelassen?“

„Nein, natürlich nicht. Das wäre viel zu teuer und außerdem möchte ich erneut in dieses schöne Land kommen dürfen.“

Meine Jungs wurden nun langsam unruhig, auch weil uns ein wenig die Zeit davon lief.

„Chris, ich will ja nicht drängeln, aber schau bitte mal zur Uhr“, gab mir Justin einen Hinweis.

„Wann müssen Sie denn im Werk sein?“, fragte die Polizistin.

„Um halb elf“ erwiderte ich.

Die beiden schauten sich an und meinten dann:

„Das schaffen wir. Sie fahren einfach hinter uns her bis Sie die Autobahn verlassen müssen. Dann sollte es kein Problem mehr sein, pünktlich anzukommen.“

Ok, dachte ich, wenn sie das so vorschlagen. Warum nicht. Allerdings hatte ich nicht gedacht, dass wir wenige Minuten hinter ihrem Lamboghini herfuhren und auf dem Tacho Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h standen. Aber das machte natürlich Laune und die Sondersignale der Carabinieri machten uns den Weg frei.

Es schien also doch etwas an den Gerüchten dran zu sein, dass man in der Heimat von Ferrari und Lamborghini mit einem Ferrari doch nicht zu langsam unterwegs sein sollte.

Als wir bald an unsere Ausfahrt gelangten, winkten die Polizisten noch einmal aus dem Fenster und wir gelangten sehr pünktlich zum Werkstor von Ferrari.

Gut gelaunt parkte ich den Roma und als ich ausstieg, meinte Fynn:

„Also so eine Situation in Deutschland? Kaum vorstellbar, oder?“

„Hahaha, nein. Ganz bestimmt nicht, aber das hat Laune gemacht. Da konnte ich mal erahnen, zu was dieses Kunstwerk in der Lage ist. So, habt ihr eure Ausweise griffbereit? Wir sollten uns zügig anmelden. Es ist kurz vor halb elf.“

Zu viert ging es nun zum Eingang des Werksgeländes. Es wurde durch ein großes, verschlossenes Eisentor abgesperrt.

„Wie kommen wir jetzt dort hinein?“, fragte mich Justin.

Ich hatte ehrlicherweise keine Ahnung, aber ich kam auf eine Idee. Wir hatten einen Werksferrari dabei. Also beschloss ich, mit dem Auto vor das Tor zu fahren und abzuwarten was passieren würde. Ich hatte noch keine drei Sekunden mit dem Roma vor dem Tor gestanden, da öffnete sich dieses automatisch. Also die Jungs wieder einsteigen lassen und den Schildern zur Anmeldung gefolgt.

In der Anmeldung wurden wir freundlich begrüßt. Nachdem ich mich ausgewiesen hatte, sollten wir einen Moment warten. Man brachte uns einen Kaffee und bat uns in der Besucher Lounge zu warten.

Einige Minuten später betrat ein Mann in einem eleganten Anzug die Lounge und begrüßte uns in akzentfreiem Deutsch.

„Herzlich willkommen bei der Scuderia Ferrari. Mein Name ist Michael Leiters. Marc Steevens hat uns von euch berichtet und gemeint, ihr seid ein exzellentes Nachwuchsteam im Tennis aus Deutschland. Daher hat er uns gebeten euch ein wenig das Werk zu zeigen. Er hat gemeint, ihr spielt in Mailand gerade ein Turnier?“

„Ja“, erwiderte ich und gab ihm die Hand zur Begrüßung, „wir spielen in Mailand zurzeit ein ATP 250er Tennisturnier. Meine Jungs, Justin, Dustin und Fynn, sind dort noch im Wettbewerb.“

„Ihr seht noch sehr jung aus. Wie alt seid ihr, wenn ich fragen darf?“

„Sechzehn bzw. siebzehn“, antwortete Justin.

Sofort stutzte unser Gastgeber. Er hatte den Akzent von Justin bemerkt.

„Du bist kein Deutscher, ich tippe vom Akzent her auf Kanada.“

„Wow, das hat noch keiner sofort herausgehört“, staunte Justin.

Ich überlegte bereits woher ich den Namen unseres Gastgebers kannte. Aber dann konnte ich mich an einen Beitrag im Fernsehen erinnern, in dem die Entwicklung des Porsche SUVs Taican erklärt wurde. Dort tauchte dieser Name auf. Ich fragte daher:

„Ich wundere mich gerade, Sie waren bei der Entwicklung des Taican von Porsche beteiligt. Wie kommen Sie jetzt zu Ferrari?“

„Oh“, stutzte er, „Sie sind richtig gut informiert. Ja, das stimmt. Ich war einige Jahre bei Porsche in der SUV Entwicklung tätig. Marc Steevens hatte also nicht übertrieben. Er hat Sie als sehr fachkundig angekündigt. Ich bin jetzt der Leiter der technologischen Entwicklung bei Ferrari. Da ich Deutscher bin, vereinfacht das die Kommunikation hier.“

Wow, ein so wichtiger, leitender Mitarbeiter wird uns durch das Werk führen. Da hat Marc aber wieder mal das große Kino ausgepackt.

Aus Sicherheitsgründen bekamen wir noch Schutzbrillen und dann ging es auch schon los. Für mich war das ein Fest. Ich durfte die komplette Produktion von den ersten Blechen bis hin zur Endmontage beobachten. Dazu bekamen wir exzellente Erläuterungen von Herrn Leiters. Das dauerte über zwei Stunden und als wir am Ende in der Endkontrolle standen, durften wir erleben wie ein SF 90 die Produktion verließ und auf eigenen Rädern in die Auslieferung ging.

Herr Leiters fragte uns dann:

„Wie hat es euch gefallen? Marc Steevens hat mir in einer Email geschrieben, dass Sie bereits Rennsporterfahrungen haben. Ist das korrekt?“

Jetzt sollte ich aufpassen was ich antworten würde. Aber leider waren meine Jungs schneller. Justin meinte:

„Ja, hat er. Er ist mit Marc gemeinsam das letzte 24h Rennen auf der Nordschleife gefahren und ist unter den ersten zehn im Gesamtklassement ins Ziel gekommen. Das ist eine doch eine sehr gute Leistung.“

Herr Leiters schaute mich erstaunt an und fing an zu lachen.

„Na, da hat Marc Steevens aber untertrieben. Er sprach von ersten Erfahrungen auf einer Rennstrecke. Aber dann sind Sie ja schon eher ein Gentleman Driver. Respekt. Ich denke, dann können wir gleich nach dem Mittagessen noch eine andere Abteilung besichtigen und erfahren.“

Nun war es zu spät zum Protestieren. Justin hatte es gesagt und ich musste jetzt sehen wie ich aus dieser Nummer wieder herauskam.

Herr Leiters führte uns in den Besucherbereich in der Kantine. Dort konnten wir uns am exzellenten Buffet bedienen. Herr Leiters verabschiedete sich von uns, aber nicht ohne uns mitzuteilen, dass wir in einer Dreiviertelstunde hier von einem anderen Mitarbeiter abgeholt würden.

„Musste das unbedingt sein, dass du ihm von diesem Ereignis erzählst? Wer weiß was wir jetzt wieder geboten bekommen. Nicht dass ich noch in Fiorano ein paar Runden drehen muss um zu beweisen, dass ich wirklich gefahren bin.“

„Uns musst du gar nichts mehr beweisen. Aber wenn du die Möglichkeit bekommst, einen echten Competizione Ferrari zu fahren, würdest du doch nicht nein sagen, oder?“

Dustin grinste nach dieser Bemerkung. Natürlich hatte er recht. Das würde ich sicher machen, aber ob mein Rücken das auch gut überstehen würde, da war ich mir gar nicht so sicher.

Das Mittagessen hatte mir exzellent geschmeckt und Fynn hatte uns von Patrick und seinen Problemen mit den Eltern berichtet. Dabei musste ich einige Male schmunzeln. Auch Fynn grinste dabei das ein oder andere Mal. Justin konnte ebenfalls einige Dinge von seinem kleinen Bruder berichten, die uns erheiterten. Aber ich hatte ja auch ein paar Geschichten von ihnen selbst zu berichten. Das führte wiederum schnell zu Protest.

„Ach, das ist jetzt unfair, wenn ich von euren Missgeschicken erzähle, aber ihr könnt über eure Geschwister ablästern? Nenene, das sehe ich anders. Ich habe ja auch kein Geheimnis aus meinen weniger schönen Experimenten gemacht. Gleiches Recht für alle.“

Nachdem ich das erwähnt hatte, herrschte schnell wieder eine gelöste Stimmung und es wurde viel gelacht über die alten Geschichten.

Dadurch hatte ich die Zeit nicht mehr im Auge behalten und war entsprechend erstaunt, als ein Ferrari Mitarbeiter zu uns an den Tisch kam. Er hatte natürlich ein klassisches rotes Polohemd mit dem Cavallino rampante auf der Brust an.

Er bat uns ihm zu folgen, damit die Werksbesichtigung fortgesetzt werden könnte. Also brachten wir unser Geschirr weg und verließen die Kantine.

Als wir das große Produktionsgebäude verlassen hatten, befürchtete ich genau das was ich zuvor schon geäußert hatte. Wir überquerten die Straße und gingen durch ein kleines Tor an dem ein Sicherheitszugang montiert war. Der Mitarbeiter schob seine Karte hinein und erst danach konnten wir das Gelände betreten.

Wir konnten uns gut in Englisch unterhalten und schnell realisierte ich, dass wir uns auf dem Gelände der firmeneigenen Teststrecke Fiorano befanden. Fynn hatte es auch bemerkt und meinte:

„Ich glaube, dass hier ist die Teststrecke. Bin mal gespannt was wir hier zu sehen bekommen.“

Er hatte es gerade ausgesprochen, als ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte. Ohne Zweifel eins der älteren Formel 1 Saugmotoren Zehnzylinder Triebwerke. Sofort bekam ich eine Gänsehaut von diesem Geräusch. Einfach phänomenal was für einen Sound diese Aggregate fabrizierten. Marc hatte damit fünf seiner sieben WM Titel errungen. Alle für die Scuderia Ferrari.

Bevor wir wieder in ein Gebäude gehen konnten, hörten wir wie ein Fahrzeug auf die Strecke fuhr. Es war eindeutig ein Formel 1 Rennwagen aus der Zeit der Zehnzylinder Saugmotoren.

Unsere Begleitung blieb äußerlich gelassen, für mich war das der absolute Alarmzustand all meiner Sinne. Wir wurden zielstrebig in die Garagen geführt und was wir dort zu sehen bekamen, raubte mir für Sekunden den Atem. Dort stand ein weiterer Ferrari Formel 1. Ein F2002. Auch ein echtes Weltmeisterauto. In der Box nebenan standen zwei SF90 competizione. Das eine Fahrzeug könnte sogar unser Wettbewerbsfahrzeug von den 24h am Nürburgring sein. Um den F2002 standen zehn Mechaniker und schraubten an dem Wagen. Einige wechselten die Reifen, ein Ingenieur stand mit dem Laptop am Cockpit und sprach etwas mit dem Piloten.

Meine Jungs waren fasziniert von der Szenerie und standen sprachlos neben mir. Ich schaute mich um und war etwas irritiert. Der Pilot in dem 2002 passte irgendwie nicht zu dem Wagen. Er hatte einen aktuellen Helm auf mit einem aktuellen Fahreranzug.

In der Garage der beiden SF90 waren weniger Mechaniker beschäftigt, aber ich konnte ein deutlich lauter werdendes Zehnzylinder Kreischen hören. Dann schoss die rote Göttin auch schon über die Start und Zielgerade. Ich musste mir tatsächlich die Ohren zuhalten. So infernalisch kreischte der Motor.

Plötzlich tippte mir jemand von hinten auf die Schulter und hielt jedem von uns einen Kopfhörer hin. Dankbar setzte ich diesen auf. Wenige Augenblicke später hörte ich eine Stimme auf Englisch in meinem Kopfhörer. Sie begrüßte uns mit unseren korrekten Namen und einem italienischen Akzent. Für einen Moment hatte ich gedacht, es könnte sich um Mattia Binotto handeln. Das wäre der aktuelle Formel 1 Teamchef der Scuderia Ferrari.

Ich drehte mich um und versuchte herauszufinden woher diese Stimme kam. Dann hatte ich vorn auf der anderen Seite der Boxengasse eine Art Kommandostand entdeckt. Und tatsächlich, dort stand, uns zugewandt, Mattia Binotto. Er winkte uns zu und kam dann über die Boxenstraße zu uns.

Es folgte eine herzliche Begrüßung. Als ob wir uns schon lange persönlich kennen würden. Dann meinte er zu uns:

„Willkommen bei uns in Fiorano. Ich habe liebe Grüße von Marc auszurichten und von ihm die Bitte erhalten, euch hier in Fiorano etwas zu beschäftigen und ein paar schöne Dinge zu zeigen. Dieser Bitte komme ich gerne nach und werde versuchen, euch zu begeistern.“

In diesem Moment rollte der Formel 1 Renner zurück an die Boxen. Es handelte sich um einen F2002. Ebenfalls ein Weltmeisterauto. Ich war irritiert über den Piloten. Vom Helmdesign musste das Charles Le Clerc sein, einer der aktuellen Piloten der Scuderia. Dann dürfte der andere Pilot vermutlich Carlos Sainz sein. Jetzt passte für mich auch wieder das ganze Bild zusammen.

Dustin stand plötzlich neben mir und fragte ehrfürchtig:

„Ist das wirklich eines der Autos mit denen Marc Weltmeister geworden ist?“

Interessanterweise antwortete Mattia sofort und zwar auf Deutsch:

„Ja, das ist korrekt. Das sind beides originale Fahrzeuge mit denen Marc damals gefahren ist und auch den Titel gewonnen hat. Die Mechaniker haben jeweils das Getriebe überarbeitet und daher müssen sie auch bewegt und getestet werden. Und ihr dürft dabei sein. Marc hatte darum gebeten, das vielleicht mit eurem Besuch zu koordinieren. Da es beide ja seine Fahrzeuge sind, haben wir ihm diesen Wunsch gerne erfüllt. Wollen wir uns das mal genauer ansehen?“

Ich fühlte mich wie in einem falschen Film. Hier ging gerade ein Traum in Erfüllung. Der F2002 stand mittlerweile ohne Piloten in der Box und die Crew überprüfte die Flüssigkeitsstände. Natürlich hatten alle Handschuhe an. Meine Jungs standen genauso ehrfürchtig vor dem Wagen wie ich. Das Lenkrad lag auf dem Seitenkasten und Mattia zeigte und erklärte uns das Cockpit.

Eigentlich schon recht modern. Aber das Lenkrad hatte viel weniger Knöpfe als die aktuellen F1 Lenkräder. Mattia nahm es vom Seitenkasten und drückte es mir in die Hand.

„Wenn du es ohne Fehler montieren kannst, darfst du im Anschluss als Belohnung einmal Platz nehmen.“

Dabei lachte er und machte eine auffordernde Handbewegung. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Mein Ehrgeiz war geweckt und ich wusste, dass es einen Trick gab. Man musste einen Federring ziehen und erst dann rastete das Lenkrad auch richtig ein.

Nach dem hörbaren „Klick“ nahm ich das Lenkrad kurz in beide Hände und drehte es in beide Richtungen. Ich hatte das Gefühl, dass es richtig saß. Mattia ging an das Cockpit und überprüfte den Sitz. Er nickte und meinte dann:

„Das sitzt passend. Wenn du möchtest, darfst du einmal in Marcs Cockpit steigen.“

Ich nahm das Lenkrad wieder ab, denn mit montiertem Steuer wäre ein Einsteigen unmöglich. Danach stieg ich über die Seitenkästen hinein und ließ mich in die Sitzschale gleiten. Sofort spürte ich, da würde ich niemals mit fahren können. Ich war viel zu breit für diesen Sitz. Es drückte und zwickte überall. Meine Jungs hatten ihre Handys gezückt und machten lachend Bilder. Natürlich schickten sie auch an Marc Bilder.

Es war dennoch ein tolles Gefühl, einmal in einer Legende der Formel 1 gesessen zu haben.

Als ich wieder neben dem Auto stand, wurde der andere Bolide gestartet. Ein ohrenbetäubendes Kreischen lag in der Luft und ich war dankbar, dass Charles Le Clerc schnell aus der Box rollte. Das reduzierte den Lärm schnell.

„Mit den Bildern wirst du bei Marc bestimmt ganz viel Anerkennung bekommen“, grinste Fynn und gab Dustin einen Kuss.

Carlos Sainz machte sich nun bereit den F2004 auch aus der Box wieder auf die Strecke zu bringen. Allein der Startvorgang war schon beeindruckend. Sofort brüllte der Zehnzylinder auf und nachdem Carlos Sainz den Wagen auf die Strecke gefahren hatte, herrschte für wenige Augenblicke angenehme Ruhe.

Aber ich konnte das Kreischen des anderen Boliden schon wieder näherkommen hören. Dann knallte Charles LeClerc über die Zielgeraden und sofort standen meine Nackenhaare hoch. Eine unfassbare Frequenz.

Mattia nahm uns mit nach vorn zum Kommandostand und erklärte uns die Daten auf den Monitoren. Ich empfand das mega spannend, da ich die Hochdrehzahlsaugmotoren sehr vermisste. Der Sound der modernen Formel 1 Fahrzeuge war dagegen einfach emotionslos.

Die beiden alten F1 Renner drehten noch jeder zehn Runden und dann rollten sie wieder zurück an die Boxen. Sofort wurden die Heckverkleidungen abgenommen und die Räder demontiert. Es kamen schmale Motorradreifen auf die Radträger. So wurde das Auto viel schmaler und konnte gut in den Transportern verladen werden.

Planen wurden hervorgeholt und die Autos abgedeckt und verladen.

Das war ein beeindruckendes Erlebnis und meine Jungs zeigten mir gerade ihre gemachten Bilder und natürlich hatte sich Marc schon gemeldet mit einem Smilie und einem Daumen hoch.

Plötzlich vibrierte mein Telefon. Ich schaute auf das Display und musste lachen.

„Hallo Marc, du kannst es aber auch nicht lassen mit den verrückten Sachen.“

„Hallo Chris. Wie ich sehen konnte, hat sich Mattia für euch Zeit genommen und ihr durftet den Sound meiner alten Autos genießen. Das ist schon geil, oder?“

„Ja, allerdings. Das ist mega geil und gar kein Vergleich zu den modernen Formel 1 Wagen.“

„Okay, freut mich zu hören, dass die Autos fehlerfrei laufen. Hast du schon deinen Anzug bekommen?“

Anzug? Was sollte ich mit einem Anzug?

„Äh, nein. Aber was soll ich jetzt mit einem Anzug?“

In diesem Moment tippte mir Dustin auf die Schulter und hielt mir einen Rennoverall hin. In einem Ferrarirot und vom Aussehen her, dem aktuellen Design der Formel 1 nachempfunden. Ich konnte sofort erkennen, dass der aber einige Nummern größer war als die der aktuellen Piloten.

„Hier, du sollst den anziehen. Hat Mattia gesagt.“

„Aha. Und warum? Verstehe ich gerade nicht.“ Und zuckte mit den Schultern.

Allerdings hatte ich es noch nicht ganz ausgesprochen, da stand Mattia erneut neben mir.

„Du darfst ohne Schutzanzug nicht auf der Strecke fahren. Das ist Vorschrift. Marc meinte, ich sollte dich mal mit dem SF 90 Competizione ein paar Runden drehen lassen. Vielleicht können wir dir doch noch etwas Feinschliff zugutekommen lassen.“

„Ahja, sehr interessant. Marc ist echt verrückt. Ich bin kein Rennfahrer. Ich habe …“

„Gar nicht lange rumgemeckert. Hier ist dein Fahrlehrer. Dann einsteigen und losfahren. Die Zeit rennt.“

Fahrlehrer war gut. Charles LeClerc stand lachend neben mir und machte mir bereits die Tür vom SF 90 auf.

„Ich werde mit dir zuerst ein paar flotte Runden fahren und dir die Strecke erklären. Danach darfst du fahren, und ich werde dir Hinweise geben wie du dich verbessern kannst.“

„Hahaha“, lachte Dustin, „unser Chris bekommt eine Fahrstunde. Wie geil. Das müssen wir aufnehmen und für Thorsten aufbewahren.“

Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte mich Charles schon ins Auto gebeten. Die Tür war bereits geschlossen und ich legte den Gurt an. Dann startete Charles das Triebwerk und wir rollten auf die Strecke. Nach einer Einrollrunde gab er Gas. Und nicht zaghaft, sondern richtig. Bei den Bremspunkten blieb mir einige Male die Luft weg, so heftig verzögerte das Auto.

Ich hatte ja dieses Auto auf der Nordschleife bewegt, aber so eine Verzögerung war mir nicht in der Erinnerung geblieben. Nach weiteren fünf sehr schnellen Runden verlangsamte er das Tempo und gab mir zu jeder Kurve und jedem Bremspunkt ein paar Hinweise. Nach zehn Runden rollten wir erneut an die Boxen.

Jetzt wurden die Plätze getauscht und ich musste wirklich, mit Charles auf dem Beifahrersitz, ein paar Runden fahren. Das machte mich nervös.

Allerdings schon zwei Runden später hatte ich nur noch die Strecke und das Auto im Kopf. Charles sagte noch gar nichts, sondern er ließ mich einfach fahren. Erst nach der dritten Runde meinte er:

„Du kannst vor der Kurve eins deutlich später bremsen. Und versuche die Breite der Strecke besser auszunutzen. Sei nicht so vorsichtig, gib dem Pferd ruhig die Sporen.“

Eigentlich hatte ich gedacht, ich sei schon recht flott unterwegs. Also die Arschbacken zusammengekniffen und noch ein paar Runden gedreht. Nach der dritten zusätzlichen Runde zeigte mir Charles den Daumen hoch. Er schien also zufrieden zu sein. Daher drehte ich noch drei weitere Runden und erst dann bog ich wieder in die Boxen ab.

Ich stellte den Motor ab und musste tief durchatmen. Erst jetzt spürte ich meine Arme und leider auch meinen Rücken. Charles nickte und lachte.

„Marc hat nicht übertrieben. Für dein Alter und als reiner Hobbypilot bist du wirklich flott unterwegs. Ich bin gespannt wie viel schneller du im Laufe der Runden geworden bist. Aber mit Sicherheit zwei Sekunden pro Runde.“

Meine Jungs erwarteten mich in der Box und öffneten mir sogar die Tür. Ich hatte mich bereits abgeschnallt und stieg aus dem Rennschalensitz. Leider schmerzte der Rücken doch ein wenig mehr. Aber das war es mir heute wert gewesen. Was für ein Erlebnis.

Dustin beobachtete mich allerdings genauestens. Jede meiner Bewegungen wurde von ihm gescannt. Aber heute blieb er ruhig. Im Gegenteil. Als wir uns die Rundenverläufe auf dem Laptop anschauten, lobte er mich.

„Für einen alten Drachen bist du verdammt gut unterwegs gewesen. Mein lieber Schwan. In deiner besten Runde warst du nur zwei Sekunden langsamer als Charles.“

„Das ist aber auf so einer kurzen Runde eine Ewigkeit. Aber ist mir auch ziemlich egal. Es hat mir mega viel Freude gemacht. Und es zeigt wieder, Marc ist schon ein wenig crazy. Wer sonst würde auf so eine verrückte Idee kommen und das dann auch noch machen?“

Die einzige negative Begleiterscheinung hatte ich dann am Abend im Hotel. Selbst nach einem heißen Bad und einigen Übungen schmerzte der Rücken noch. Aber heute war es mir das wert gewesen und ich würde morgen halt ein wenig vorsichtiger sein und mich schonen.

Dieses Erlebnis würde ich mit Sicherheit nie vergessen. Auch meine Jungs freuten sich für mich und obwohl sie am nächsten Tag wieder auf den Platz mussten, saßen wir noch bis halb elf am Abend zusammen.

Fynn: Mein Schatz im Viertelfinale und Chris sichtlich beeindruckt

Den gestrigen Tag werden wir mit Sicherheit nicht vergessen. Marc hatte wieder das ganz große Kino ausgepackt und uns mit einem spannenden Tag belohnt. Chris hatte diesen Tag sichtlich genossen und stellenweise hatte ich etwas Sorge ob er an seinen angeschlagenen Körper denken würde. Aber heute schien er guter Dinge zu sein. Beim Frühstück hatte er uns noch gesagt, dass er den auf dem Rückweg eingekauften Parmaschinken im Kühlhaus des Hotels eingelagert hat.

Ich war sehr gespannt ob meine Familie sich auch über diese Delikatesse freuen würde. Noch mehr freuen würde ich mich allerdings über einen weiteren Sieg meines Freundes. Dustin hatte mich gestern noch auf unser Preisgeld hingewiesen. Bei diesem Turnier hatten wir unser bislang größtes Preisgeld erspielt. Für das Viertelfinale bekam Dustin bereits über 18 000 Dollar und im Doppel lagen wir auch schon bei 7 000 Dollar, allerdings pro Paar. Also hatte ich 3500 plus meine Prämie aus dem Einzel von 9 000 Dollar. Das war viel Geld für mich. Klar, das würde ich nicht ausbezahlt bekommen, aber damit sollte vielleicht auch ein Großteil für den Führerschein und später vielleicht auch ein Auto drin sein. Spielte aber heute noch keine Rolle. Ich wollte im Doppel noch eine Runde weiter kommen. Sollte Dustin sogar ins Halbfinale einziehen, wäre das eine Sensation.

Beim Einsteigen in das Shuttle zur Anlage fiel mir allerdings doch etwas auf. Chris Bewegungen waren deutlich verlangsamt. Dustin hatte es natürlich auch bemerkt und seine Mimik sprach Bände. Er machte sich Sorgen.

Wir saßen zu dritt auf der Rückbank während Chris vorne saß. Justin schien bester Laune zu sein, Dustin wirkte sehr angespannt.

„Wie hast du den geilen Tag gestern verkraftet?“, fragte Justin unbedarft.

Chris drehte langsam seinen Kopf nach hinten als er erwiderte:

„Erstaunlich gut. Aber ich würde lügen wenn ich sage, es tut nichts weh. Diese Querbeschleunigungen sind schon nicht so gut für meinen Rücken. Aber, es war einfach mega cool. Marc ist ein verrückter Kerl. Halbe Sachen macht er halt nicht.“

„Aber du auch nicht. Du hättest auch langsamer fahren können oder erst gar nicht mit Le Clerc ins Auto steigen sollen“, kritisierte Dustin leicht genervt.

Ich empfand das unglücklich von ihm. Für Chris war dieser Tag ein herausragendes Erlebnis und Chris setzte sich zu jeder Zeit bedingungslos für unsere Entwicklung ein. Da sollte niemand jetzt mit Kritik kommen. Nur weil er gestern vielleicht einmal nicht nur vernünftig gewesen ist. Justin schien einen ähnlichen Gedanken zu haben, aber im Gegensatz zu mir, machte er eine klare Aussage Dustin gegenüber.

„Ich glaube, keiner von uns sollte sich anmaßen Chris zu kritisieren. So eine Gelegenheit würde ich auch immer voll ausnutzen. Egal was passiert. Und du solltest mal darüber nachdenken ob wir auch immer nur Sachen machen, die vernünftig sind. Emotionen sind auch wichtig. Und noch etwas, Chris sitzt gesund mit uns im Auto. Er hat es also nicht übertrieben. Du solltest nicht immer gleich Panik schieben. Chris ist Herr seiner Sinne und kann uns voll belastbar betreuen.“

„Und selbst wenn er eingeschränkt gewesen wäre, hätte ich es richtig gefunden, dass er das gemacht hat. Und jetzt schauen wir mal was der Tag für uns an Überraschungen parat hat. Das Breakpoint Team wird wie immer geschlossen auftreten und damit erfolgreich sein.“

Das musste ich einfach mal loswerden. Chris war immer rund um die Uhr für uns im Einsatz. Und Dustin musste lernen, dass er nicht allein wäre, auch wenn Chris mal nicht zu einhundert Prozent fit wäre.

Chris reagierte auch nicht weiter auf das Gesagte. Dustin blickte nach draußen und ich wusste, er würde sich jetzt nur über sich selbst ärgern. Wieder hatte seine Angst über seinen Verstand gesiegt. Das nervte ihn immer sehr.

Die Folge war ein recht angespanntes Schweigen im Auto. Chris wirkte überhaupt nicht mehr so locker wie sonst. Hoffentlich machte er sich keine Vorwürfe, dass er den gestrigen Tag in vollen Zügen genossen hatte.

Eine halbe Stunde später standen wir bereits auf dem Trainingsplatz und schlugen uns ein. Chris stand wie immer in einer Ecke des Platzes und beobachtete uns. Bislang kamen kaum Ansagen oder Korrekturen. Obwohl ich genau wusste, dass jetzt alles in Ordnung war, kamen mir Zweifel. Das führte zu Konzentrationsfehlern, die Chris natürlich sofort bemerkte.

„Fynn, du kommst bitte mal zu mir“, schallte es schon aus der Ecke.

Ich ging also aus dem Ballwechsel und musste einmal über den Platz gehen, um zu Chris zu gelangen. Ich dachte, ich würde wissen was jetzt kommen würde, daher wollte ich schon etwas sagen, bevor Chris meckern konnte. Aber zu früh gefreut. Chris war schneller.

„Ich will nichts hören. Du bist gerade auf dem Weg zurück in die Vergangenheit. Lass das sofort sein. Schau nach vorn. Was ist dein Problem? Weil dein Freund mich eben im Auto kritisiert hat, fängst du an darüber nachzudenken. Du hast doch ne Meise! Wie lange kennen wir uns jetzt? Wenn ich etwas zu meckern habe, melde ich mich. So wie jetzt gerade. Mann, mach den Kopf frei und spiel einfach Tennis. Es ist alles gut. Der alte Drache muss nur ein wenig seine müden Gräten sortieren. Alles ist gut. Selbst Dustin spielt gerade einfach nur Tennis. Und wenn er das kann, dann kannst du das auch.“

Ich schaute ihn sprachlos an. Plötzlich fing Chris an zu lachen und bekam sich überhaupt nicht wieder ein. Das führte dazu, dass auch Justin und Dustin jetzt den Ball anhielten und zu uns kamen. Chris lachte sich immer noch kaputt. Justin schaute nur einen Moment und meinte dann:

„Ich glaube, Chris hat gerade ganz viel Spaß mit uns. Dann lasst uns auch Spaß haben.“

Was passierte jetzt? Justin begann einfach mich zu kitzeln. Einfach so - und dann begann ein kleiner Tumult auf dem Trainingsplatz. Nach wenigen Minuten sahen wir alle nicht mehr ganz sauber aus, da wir uns auch auf dem Boden gewälzt hatten. Aber Spaß hatten wir alle vier und siehe da, Chris hatte wieder sein Ziel erreicht. Die Stimmung war gut und gelöst. Krass!

Entsprechend gut verliefen die letzten Minuten des Warmspielens. Dustin haute uns wirklich nahezu jeden Ball um die Ohren. Und ich war beruhigt. Wenn er so auf den Platz gehen würde, war es egal welches Ergebnis herauskommen würde.

Vom zeitlichen Verlauf her spielten Justin und Mika parallel zu Dustins Einzel. Das war schade, aber nicht zu ändern. Chris hatte sich bereits entschieden, Dustins Match zu begleiten. Aber ich wollte auch das Doppel von Justin und Mika verfolgen. Blöde Situation. Ich wollte das mit meinem Freund klären und dafür nutzte ich die Zeit vor dem Spiel. Wir standen etwas abseits des Trubels.

„Ich würde gern auch etwas vom Doppel sehen. Immerhin könnte der Sieger unser nächster Gegner sein. Wäre das für dich ein Problem, wenn ich mal an den anderen Platz gehe?“

Dustin blickte mich an und plötzlich grinste er und erwiderte:

„Wenn Chris bei meinem Spiel bleibt, kann ich gut damit leben. Aber ich möchte dich schon gern auch bei meinem Spiel sehen.“

„Aber klar doch. Es ist halt blöd, dass wieder alles parallel angesetzt ist.“

Er gab mir einen Kuss und dann musste er sich auch schon fertig machen um auf seinen Platz zu gehen.

Auf dem Weg zum Platz hörte ich plötzlich zwei mir bekannte Stimmen.

„Hey Fynn, wohin so schnell?“

Ich drehte mich um und schaute in das lachende Gesicht von Giovi. Sein Freund Franco neben ihm.

„Hallo ihr beiden. Das ist ja toll, dass ihr heute schon so früh kommen konntet. Hoffentlich habt ihr nicht dafür die Schule geschwänzt, hahaha“.

Es folgte eine herzliche Umarmung und dann ging es auch gleich nur noch um das kommende Spiel von Dustin.

„Denkst du, dass Dustin heute noch eine Überraschung schaffen kann? Das wäre dann das Erreichen eines Halbfinales in einem echten ATP Turnier.“

„Möglich ist alles. Sagt Chris jedenfalls. Aber es müssen viele Dinge auch zusammenkommen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt und möchte jetzt auch an den Platz gehen. Chris wird schon dort sein und auf mich warten.“

Wir hatten einen zügigen Schritt eingelegt als mich Franco fragte:

„Wo ist denn Justin? Schaut er bei Dustin nicht zu?“

„Nein, er muss sein Doppel mit Mika parallel spielen. Da möchte ich eigentlich auch zwischendurch mal hingehen.“

„Das ist ja auch für Chris dann richtig schwierig. Er kann ja nicht beide Spiele gleichzeitig betreuen.“

„Richtig. Das ist großer Stress für ihn. Deshalb bitte ich euch, stört ihn nicht wenn er am Platz steht. Er braucht seine ganze Konzentration für die Matches. Danach könnt ihr ihn alles fragen.“

Sie hatten Verständnis dafür und zeigten das auch bei der Begrüßung. Chris freute sich über ihr Erscheinen und ließ das mit einer herzlichen Umarmung erkennen. Danach zogen wir uns aber zwei Meter von Chris zurück.

Dustin hatte beim Betreten des Courts schon Kontakt zu Chris aufgenommen. Erst danach kam der Blickkontakt zu mir. Mit einem Augenzwinkern. Wie cool.

„Dustin scheint gut drauf zu sein. Mal ganz locker dir zugezwinkert. Cool!“, merkte Giovi lachend an.

„Ja, ich bin auch überrascht, aber freut mich auch sehr. Ein gutes Zeichen.“

Dann begann das Einschlagen.

Obwohl ich genau wusste, wie der Ablauf sein würde, stieg meine Anspannung von Minute zu Minute. Immer wieder schaute ich zu Chris. Er saß auf seinem Stuhl, äußerlich die Ruhe selbst, hatte bereits das Ipad für die Matchstatistik in der Hand und plötzlich gab er mir ein Zeichen.

„Was gibt es denn, Chris? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“

„Könntest du bitte zum Saitenservice gehen und für Dustin dort noch zwei Rackets abholen? Die waren eben noch nicht fertig, sollten aber jetzt zum Abholen dort liegen.“

„Klar, mache ich. Sonst noch etwas?“

„Nein, alles gut. Danke dir. Ich möchte jetzt nur ungern noch den Platz wieder verlassen.“

„Kein Problem, ich weiß ja, wie wichtig du für Dustin gerade zu Beginn eines Matches bist. Ich mach mich auf den Weg, bis gleich.“

Unterwegs konnte ich auf einigen Plätzen schauen. Dort standen schon große Namen auf der Anzeigetafel. Von daher hatten wir wohl richtig Glück mit der Auslosung. Denn Dustin hatte den „einfachsten“ Gegner für ein Viertelfinale. Wobei ich mir für diesen Gedanken eigentlich eine Ohrfeige geben müsste. In einem Viertelfinale eines ATP Turniers standen nur Weltklassespieler, und da war halt gar kein Gegner mehr einfach.

Beim Saitenservice bekam ich auch direkt die Schläger überreicht und konnte sofort zurück zum Platz von Dustin.

Als ich bei Chris ankam, stand 2:2 auf dem Scoreboard. Schien ein schnelles Spiel zu sein mit glatten Aufschlagspielen.

„Kannst du die Schläger auf den Platz bringen? Am besten gibst du sie einem der Ballkinder, die legen sie dann zu Dustin an die Bank.“

Sofort machte ich mich auf den Weg. Und unten am Platz klappte das auch sofort. Ich konnte die Schläger einem der Ballkinder übergeben und die legten sie an Dustins Bank. Damit war mein Schatz gut versorgt und konnte wieder voll angreifen.

Aber es hatte auch einen anderen Nebeneffekt. Auf dem Weg zurück musste ich mehrere Autogramme geben. Das war immer noch eine für mich ungewohnte Situation. Sogar Fotos wollten die Fans mit mir machen. Meist waren es Jugendliche oder Kinder, aber auf einmal stand ein Mann vor mir.

„Sorry, Fynn. Ich möchte dich nicht lange aufhalten, aber können wir vielleicht später ein Gespräch machen? Vielleicht auch mit eurem Coach?“

Ich war total überrascht und wusste auch überhaupt nicht, wer da jetzt gerade vor mir stand. Deshalb erinnerte ich mich an Chris Worte.

„Äh, kannst du bitte dazu meinen Coach befragen. Der organisiert das und kennt unsere Zeitpläne besser. Bitte nicht böse sein, aber das möchte ich nicht ohne Chris entscheiden.“

Und mein Gegenüber war auch gar nicht beleidigt. Im Gegenteil:

„Sehr gern. Ich werde mich bei ihm melden und dann vereinbaren wir das. Ich kann dich übrigens gut verstehen. Ich hätte mir früher auch so einen Coach gewünscht, der mich mehr vor der Presse bewahrt hätte. Daher mach dir keinen Stress und genieße das Spiel von deinem Freund. Vielleicht gelingt euch ja noch eine weitere große Überraschung.“

Dann verabschiedete er sich und wir gingen wieder getrennte Wege. Eigentlich ein sehr netter Typ, auch wenn ich immer noch keinen Plan hatte, wer das gewesen ist.

Aber jetzt wäre ein denkbar schlechter Zeitpunkt, mit Chris darüber zu sprechen. Das musste bis nach den Spielen warten.

Das Spiel war ausgeglichen und entsprechend angespannt saß Chris auf seinem Platz. Heute hatte ich das Gefühl, dass Chris sich nicht so unter Kontrolle hatte wie sonst. Er zeigte nach unnötigen Fehlern auch mal äußerlich Reaktionen. Das kam sonst nur äußerst selten vor.

Die Zuschauer waren wieder auf Dustins Seite. Sie feuerten meinen Freund lautstark an und auch als der erste Satz im Tie-Break verloren ging, standen sie hinter Dustin.

Dustin hatte gerade in der Satzpause den Platz verlassen und Chris war natürlich auch weg. Das ließ sich Chris nicht nehmen, jetzt mit Dustin ein paar Worte zu sprechen.

Kurze Zeit später saß Chris wieder auf seinem Platz. Seine Miene war wie immer undefinierbar.

Aber bereits nach zwei Spielen im zweiten Satz holte mich Chris an seinen Platz. Das hieß meistens nichts Gutes.

„Pass auf Fynn, wir müssen gleich eine Entscheidung treffen. Dustin hat Probleme mit seinem Arm. Er sagt, dass er keine Kraft mehr im Arm hat. Ich würde sagen, er ist einfach überspielt. Die Muskulatur macht zu und das macht wenig Sinn weiterzuspielen. Ich möchte eigentlich, dass er aufhört. Auch euer Doppel sollte nicht mehr gespielt werden.“

„Das ist blöd. Aber das war auch zu erwarten, dass wir mal an unsere Grenzen stoßen. Worauf wartest du noch mit deiner Entscheidung?“

„Auf deine Zustimmung. Immerhin nehme ich dir damit auch eine Chance auf ein gutes Doppel.“

„Mach das, bevor Dustin sich noch ernsthaft wehtut. Du weißt ganz sicher was du machst. Und ganz ehrlich, du musst uns nicht fragen bei so einer Entscheidung. Ich weiß mittlerweile, dass du immer unsere Gesundheit im Auge hast. Ich vertraue dir total. Beende das Spiel und ziehe auch das Doppel zurück. Es wird nicht unser letztes ATP Turnier gewesen sein. Hoffe ich zumindest.“

Was dann geschah, berührte mich wirklich sehr. Chris stand von seinem Platz auf und umarmte mich ganz fest. Leise sagte er zu mir:

„Geh schon runter und tröste deinen Freund. Ich werde jetzt das Spiel beenden, da braucht er deinen Zuspruch.“

Chris machte daraufhin zu Dustin eindeutige Zeichen. Und ohne zu diskutieren akzeptierte Dustin diese Entscheidung. Er ging zum Schiedsrichter und gab das Spiel auf. Wow, dachte ich. Entweder war es schon so schlimm oder Dustin hatte das gleiche Vertrauen in Chris Entscheidungen wie ich.

Natürlich würde er enttäuscht sein, genau wie ich, aber es war uns klar, dass Chris uns schützen will und unsere Gesundheit über allem stand. Deshalb konnte ich das heute auch gut akzeptieren.

Als ich bei Dustin ankam und er mit seiner Tasche den Platz verließ, konnte ich ihn das erste Mal wieder umarmen.

„Sorry, Fynn. Es ging einfach nicht mehr. Mein Akku scheint komplett leer zu sein und der Arm wollte einfach nicht mehr.“

„Hey, dann ist das eben so. Chris hatte uns doch oft genug erklärt, dass wir noch nicht da sein können wo die älteren Spieler sind. Und heute bekommst du von deinem Körper klar die Grenzen gezeigt. Aber dafür lieben wir doch unseren Chris. Er entscheidet konsequent für unsere Gesundheit. Und jetzt will ich dir einen Kuss geben.“

Dustin stellte seine Tasche ab und es folgte eine lange Umarmung mit einem tollen Kuss.

Chris: Körperlich noch nicht fertig entwickelt, aber im Kopf zwei Schritte weiter

Diese Entscheidung war richtig und nur konsequent. Das Besondere heute war, dass Dustin sie ohne zu zögern akzeptiert hatte. Dies zeigte seine mentale Entwicklung recht deutlich. Er war viel weiter als noch vor wenigen Wochen. Fynn akzeptierte meine Entscheidung ebenso ohne wenn und aber. Es war in ihren Köpfen angekommen, dass sie noch nicht so weit sein konnten und wir mit derartigen Rückschlägen rechnen mussten, wobei das natürlich überhaupt keine Rückschläge im Sinne von Fehlern oder Verhalten waren.

Dies hatte zur Folge, dass nur noch Justin mit Mika im Doppel spielen musste. Das Doppel hatte parallel zu Dustins Einzel begonnen und so konnte ich sogar noch den letzten Teil des Matches verfolgen.

Was ich da zu sehen bekam, erfreute mein Herz. Sie spielten ein exzellentes Doppel und ich konnte nicht erkennen, dass sie noch nie zusammen in einem richtigen Turnier gespielt hatten. Sehr harmonisch und gut abgestimmt. Justins Unbekümmertheit und Mikas ruhige Art ergänzten sich hervorragend und damit gelang ihnen die große Überraschung. Sie erreichten in einem ATP Turnier das Halbfinale.

Und obwohl ich Dustin und Fynn gesagt hatte, dass sie sich Zeit nehmen sollten, standen sie nach dem Matchball am Platz und nahmen ihre Freunde in Empfang,

Was Justin und Mika noch nicht wussten war, dass das Halbfinale im Doppel noch heute gespielt werden sollte, weil die Möglichkeit bestand, dass ein Spieler aus den anderen Doppel auch das Finale im Einzel erreichen könnte. Dadurch hätte man den Zeitablauf entschärft: das Finale des Doppels fände bereits morgen statt, um das Finale im Einzel wie vorgesehen am Sonntag spielen zu können.

Das sollte für Mika und Justin kein Nachteil sein. Sie waren ja nur noch in der Doppelkonkurrenz im Wettbewerb. Daher gab ich ihnen nur den Hinweis:

„Geht bitte auslaufen und dann direkt zu Physio. Lasst euch eine Massage geben und dann treffen wir uns zum Essen im Catering Bereich. Nicht dass ihr einen Hungerast bekommt.“

Justin nickte nur, aber er hatte natürlich auch bemerkt, dass Dustin und Fynn nicht mehr in die Vorbereitung für ihr Doppel gingen.

„Was ist mit Dustin? Ich habe mitbekommen, du hast sein Spiel abgebrochen. Muss er länger pausieren?“

„Ganz ruhig, Justin. Er hat einfach muskuläre Probleme mit seinem Arm bekommen. Es ging ihm sozusagen der Sprit aus. Dann macht es keinen Sinn weiter zu spielen. Man riskiert nur eine schwere Muskelverletzung ohne Chancen auf einen Sieg. Das habe ich verhindert. Jetzt hat er genug Pause, bis es in Split weitergehen wird.“

„Ah ja, also ist jetzt das eingetreten was du uns immer wieder gesagt hattest. Irgendwann werden wir an unsere Grenzen stoßen.“

„Genau das! Also kein Grund nervös zu werden. Es war bis hierher ein ganz tolles und erfolgreiches Turnier von euch. Das wird uns jetzt nicht zurückwerfen. Ganz im Gegenteil, es wird euch im Kopf stärker machen. Sowohl Dustin als auch Fynn haben sofort verstanden, dass es richtig war jetzt aufzuhören. Und für euch beide geht es ja noch weiter und ich bin gespannt was ihr gleich wieder zeigen werdet. Für mich seid ihr hier richtig gefährlich für die etablierten Doppel. Mal schauen was noch geht.“

Dabei musste ich schmunzeln, denn ich freute mich über meine Jungs und war hoch zufrieden mit dem hier Erreichten.

Etwas später saß ich mit Dustin und Fynn beim Doppel von Justin und Mika. Und ich bekam genau das zu sehen, was sie bislang ausgezeichnet hatte. Ein geschlossenes Team mit eigenen Ideen und dem Willen sich gut zu präsentieren. Sie konnten jederzeit dem deutlich höher eingestuften Gegner Paroli auf Augenhöhe bieten.

Die Sympathien der Zuschauer waren deutlich auf ihrer Seite. Leider reichte es in diesem Match nicht mehr für eine weitere Überraschung. Sie verloren ihr Doppel, allerdings mit einer guten Leistung. Sie hatten sich nichts vorzuwerfen. Aber an dieser Stelle war das Turnier in Mailand sportlich für uns zu Ende.

Dennoch hielt ich es für sinnvoll erst am nächsten Tag nach Split weiterzureisen und sich bei einem gemeinsamen Abend mit Giovi und Franco von ihnen zu verabschieden. Auch hier hatten wir neue Kontakte geknüpft und Gleichgesinnte gefunden.

Es gab jetzt aber zum Abschluss des Turnieres doch noch eine Sache zu erledigen. Fynn hatte mir von einer Interviewanfrage von einem italienischen Journalisten berichtet. Fynn hatte ihn daraufhin an mich verwiesen und ich war schon überrascht, wer dieser Gesprächspartner war. Es handelte sich dabei um Andrea Gaudenzi. Das war ein früherer italienischer Weltklassespieler, der mittlerweile Vorsitzender der ATP war. Einer der höchsten Funktionäre im Herrentennis. Wir hatten uns auf der Anlage im Playersbereich verabredet. Dort hatten Presseleute keinen Zutritt und wir konnten uns ungestört unterhalten. Meine Jungs hatte ich gebeten, etwas früher dort zu erscheinen damit ich sie kurz über das kommende Gespräch informieren konnte.

Zu meiner Überraschung waren meine Jungs bereits am vereinbarten Treffpunkt.

„Nanu, bin ich heute echt mal der Letzte? Aber umso besser, dann kann ich direkt loslegen und euch mal kurz erklären warum sich Andrea für euch interessiert.“

„Du kennst den Mann also bereits?“, fragte Dustin.

„Ja, Andrea Gaudenzi ist ein ehemaliger Weltklassespieler. Er ist mittlerweile aber Vorsitzender der ATP. Also einer der höchsten Funktionäre im professionellen Herrentennis.“

Das führte bei den drei Jungs doch zu leichter Unruhe.

„Und warum interessiert sich ausgerechnet so ein Funktionär für uns? Was haben wir mit der ATP zu tun?“

Eine typische Dustin Frage, wenn er sich angegriffen fühlte.

„Ich glaube, das wird er uns gleich genauestens erklären. Ich finde seine Gedanken jedenfalls sehr gut und möchte, dass ihr euch mit ihm unterhaltet.“

„Unser Chris ist uns mal wieder deutlich voraus. Wir sollten ihm wie immer vertrauen und mal abwarten was sich gleich entwickeln wird.“

Justin hatte es begriffen und natürlich bemerkten auch Dustin und Fynn, dass sie wieder in ihr altes Verhalten gefallen waren. Aber bevor sie etwas sagen konnten, kam Andrea Gaudenzi zu uns. Er begrüßte zuerst meine Jungs und fragte mich dann:

„Hast du ihnen schon etwas erzählt? Oder sind sie noch total ahnungslos?“

„Beides“, antwortete ich lachend.

Andrea hatte meinen Scherz verstanden und schmunzelte.

„Okay, dann wollen wir uns mal ein gemütliches Plätzchen suchen. Folgt mir bitte.“

Er ging vor und ich staunte. Er ging einfach in einen Bereich, der nur für Schiedsrichter und Turnierleitung reserviert war. Aber wir folgten ihm und bald kamen wir in einen Raum mit einer schönen Sitzecke. Dort sollten wir uns niederlassen. Er fragte noch nach unseren Getränkewünschen und dann nahm er auch Platz.

„Bevor ihr euch komische Gedanken macht, ich bin einfach an eurer Entwicklung interessiert. Wir bei der ATP müssen noch viel lernen was homosexuelle Spieler betrifft. Es ist mir vollkommen bewusst, dass ihr mit Sicherheit nicht allein seid. Es wird viel mehr Spieler geben. Aber ihr seid die Ersten, die den Mut hatten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und gegen die alten und unverbesserlichen Funktionäre zu opponieren. Das imponiert mir. Wir, als ATP, müssen uns mit dieser Sache auseinandersetzen. Homosexualität muss auch in der öffentlichen Darstellung in den Medien als etwas Normales dargestellt werden, Ich möchte das Herrentennis dafür öffnen. Gerade bei den Spielern seid ihr schon so etwas wie Legenden. Euer Breakpoint Team mit Jan an der Spitze ist ein weltweit sehr anerkanntes Team. Mich würde eure Meinung interessieren, was ihr persönlich verändern möchtet. Was glaubt ihr, kann die ATP für homosexuelle Spieler mehr tun?“

Dustin schaute seinen Freund an. Ich konnte Unsicherheit erkennen. Sie waren ein wenig überrumpelt. Daher wollte ich den Anfang machen und meine Gedanken dazu äußern.

„Zu allererst möchte ich dazu sagen, dass es ein gutes Signal ist, wenn von der ATP eine Initiative ausgeht. Es muss deutlich werden, dass jeder Spieler nur aufgrund seiner Leistung seinen Status bekommt. Es darf überhaupt keine Rolle spielen welche sexuelle Orientierung er hat. Bei den Frauen ist das doch auch schon seit Jahren kein großes Thema mehr. Seit Martina Navratilova gab es immer wieder Spielerinnen, die mit einer Partnerin zusammen waren. Auch in der absoluten Weltspitze. Das muss auch bei den Herren in der ATP möglich sein. Die Spieler müssen das Gefühl bekommen, sie werden aufgrund ihrer Leistung akzeptiert. Alles andere darf keine Rolle spielen. Manchmal entsteht für mich das Gefühl vogelfrei zu sein. Auch was den Umgang mit den Medien betrifft. Was manche Veranstalter uns gegenüber gezeigt haben, war unterirdisch. Aber es gab auch Turnierausschüsse, die uns unterstützt haben und wo wir gerne gespielt haben. Vielleicht muss auch mal ein schwuler Funktionär dort mitarbeiten. Erst dadurch werden andere Blickwinkel möglich. Seht alle Spieler nur als Spieler, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Gewaltandrohung, Beleidigungen und Diskriminierungen gegen Spieler müssen schärfer geahndet werden. Egal was die Ursache dafür ist. Gewalt hat in meinen Augen im Sport nichts, aber auch gar nichts zu suchen.“

In diesem Augenblick spürte ich einen Klos im Hals. Die Bilder aus Kitzbühel tauchten vor meinen Augen auf. Ich bekam eine Gänsehaut und auch Wut kam hoch.

„Chris hat Recht“, sprang mir jetzt Fynn zur Seite, „wenn er sich damals nicht so konsequent für uns eingesetzt hätte und uns motiviert hätte, unsere Gefühle nicht zu verdrängen, wären wir heute ganz sicher nicht hier. Heute weiß ich, erst durch die Beziehung zu Dustin habe ich so gut werden können. Chris hat uns gezeigt wie stark uns diese Freundschaft macht. Auch auf dem Platz und vor allem im Kopf. Je mehr wir uns den Menschen zeigen, wer wir sind, desto größer wird die Akzeptanz. Die Hohlköpfe, die Homophoben, die können wir nicht ändern. Aber die Menschen, die einfach unsicher sind, die können wir überzeugen mit Normalität und vor allem mit Leistung auf dem Platz. Wenn die ATP jetzt auch anfängt, offen damit umzugehen und die homosexuellen Spieler genauso unterstützt und sich vor sie stellt, wenn Anfeindungen und/oder Beleidigungen konsequent sanktioniert werden, dann fänden wir das gut und richtig. Wenn die ATP dazu Ideen brauchen sollte, dann helfen wir gerne. Aber viel wichtiger ist in meinen Augen, bereits bei den Jugendlichen in den Vereinen für Akzeptanz zu werben. Ich habe einfach Glück gehabt, dass Jan damals seinen Bruder zu uns geschickt hatte und wir dadurch die Chance bekamen, zu uns stehen zu dürfen und echte Unterstützung zu erfahren.“

„Ich finde“, ergänzte Justin, „es muss der Charakter entscheiden. Nichts anderes zählt. Und eines muss ich hier ganz klar sagen, Dustin und Fynn sind meine besten Freunde. Chris ist für mich Ersatzvater und er hat uns viel beigebracht. Nicht nur auf dem Platz. Er begleitet uns im Leben und coacht uns auch dort. Unabhängig davon, wie schwierig die Dinge manchmal waren, hat er sich dem gestellt und wir haben sie gemeinsam gelöst. Wir haben inzwischen schon viele neue gleichgesinnte Freunde gefunden, aber die meisten trauen sich noch nicht sich zu outen, insbesondere auch, weil sich die Sponsoren meist nicht klar und deutlich zur Homosexualität äußern. Das haben wir schon ganz oft gehört.“

Andrea Gaudenzi hatte gut zugehört. Er fragte nach:

„Darf ich fragen wie das für dich war, als du mitbekommen hast, dass Dustin und Fynn ein Paar sind?“

„Es war zuerst einmal überraschend. Aber da ich ja auch erst später hinzugekommen bin, war das für mich normal. Vor allem als ich gesehen hatte, wie Chris und das Team damit umgehen. Und manchmal war es auch lustig. Gerade wenn wir mal gemeinsam unterwegs waren. Es gab schon komische Situationen, die mir aber gezeigt hatten, dass ich mich auf Dustin und Fynn total verlassen kann. Wir sind ganz enge Freunde geworden. Auch außerhalb des Platzes würde ich immer für sie einstehen. Genau wie Chris.“

„Das heißt also, es war nie für dich peinlich mit zwei homosexuellen Jungs zusammen zu trainieren oder zu leben?“

„Nein, peinlich war meistens eher das Auftreten der Funktionäre oder der homophoben Idioten.“

„Allerdings“ kam spontan von Dustin und Fynn. Ich musste schmunzeln.

„Wie du siehst, meine Jungs sind sich da ziemlich einig. Und ich muss sagen, durch ihre offene Art haben sie bereits viele Kontakte zu noch nicht geouteten Spielern bekommen. Auch in der Nadal Akademie haben wir einige Dinge dazu angestoßen. Es müssen alle bereit sein, an diesen Punkten zu arbeiten und uns zu öffnen. Dann wird man das überwinden können und niemand muss mehr Angst haben, homosexuell zu sein. Ich habe ja schließlich auch sehr lange gebraucht zu meiner Homosexualität zu stehen und offen damit umzugehen.“

„Also ist das kein Gerücht, dass du schwul bist?“, fragte Andrea nach.

„Nein, hahaha, das stimmt. Und ich glaube, es hat uns noch stärker gemacht. Mir hat es gezeigt, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten und füreinander da zu sein.“

Ich konnte Verwunderung und auch Anerkennung für unsere offenen Worte erkennen. Es arbeitete in seinem Kopf.

„Ich würde gerne mit euch noch ein weiteres Mal zusammenkommen dürfen und das Thema vertiefen. Ich werde im Vorstand der ATP über diese Dinge sprechen. Ich würde euch gerne beteiligen und als Ratgeber einbeziehen.“

„Dann melde dich bei uns. Wir spielen ja weiterhin auf der Tour und außerdem kannst du Chris ja auch per Mail erreichen und so erfragen wo wir gerade spielen.“

Jetzt wurde es doch noch eine lockere Gesprächsrunde. Gaudenzi erkundigte sich nach der WG und wie die Nachwuchsförderung bei uns aussehen würde. Spontan hatte ich ihn dann zu den nächsten Gerry Weber open eingeladen. Diese Einladung nahm er direkt an und hatte sich den Termin auch notiert. Ich war gespannt, ob das Lippenbekenntnisse waren oder ob er wirklich gewillt war, an dieser Sache etwas zu verändern.

Meine Jungs waren jedenfalls nach diesem Gespräch zufrieden. Sie empfanden es positiv, und hatten vor allem das Gefühl, von Gaudenzi ernst genommen worden zu sein.

Das folgende gemeinsame Abendessen hatte ich aus dem Hotel verlegt. Und zwar in eine Pizzeria im Ort. Natürlich hatten Giovi und Franco da ihre Expertise im Spiel. Ich hatte es meinen Jungs überlassen, die Lokalität auszusuchen. Außerdem war dieses Turnier auch finanziell ein enormer Erfolg. Damit sie das auch besser einschätzen konnten, hatte ich die Preisgeldschecks mitgenommen und wollte jedem seinen Scheck auch einmal persönlich zeigen, bevor ich die wieder zu meinen Unterlagen nahm, um sie später bei Thorsten abliefern zu können. Ich war mir sehr sicher, dass dieses Projekt, nämlich auf die ATP-Tour zu kommen, noch lange nicht zu Ende war.

Giovi hatte ein Restaurant gewählt, dass in unmittelbarer Nähe zum elterlichen Eiscafé lag. Also war mir klar, dass wir unser Abenteuer Mailand dort ausklingen lassen würden.

„Bevor wir uns etwas aussuchen, möchte ich Giovi und Franco sagen, dass ihr eingeladen seid. Ich möchte mich bei euch für die Unterstützung bedanken und vielleicht sehen wir uns ja im nächsten Jahr wieder. Wir werden sehr wahrscheinlich auch im nächsten Jahr hier wieder spielen. Es hat mir jedenfalls gut gefallen und empfand es als ein gut organisiertes Turnier.“

Giovi schaute seinen Freund an und eine gewisse Unsicherheit wurde sichtbar.

„Ihr müsst nichts sagen“, erklärte Fynn lachend, „solche Entscheidungen von Chris sind nicht verhandelbar. Das haben wir mittlerweile begriffen und ihr solltet es einfach annehmen und genießen. Wir würden uns freuen, wenn wir euch vielleicht mal bei uns in Halle begrüßen dürften. Ansonsten freue ich mich euch kennengelernt zu haben. Wir werden in Kontakt bleiben.“

„Vielen Dank“, erwiderte Giovi, „wir müssen uns bei euch bedanken. Sonst hätten wir nicht so viel von den Spielen gesehen, und Gleichgesinnte kennenzulernen ist immer etwas Besonderes. Eine Bitte haben wir aber doch noch. Könnt ihr vielleicht auf unseren beiden Strohhüten noch unterschreiben? Es wäre eine tolle Erinnerung.“

„Na klar“, lachte ich, „das bekommen wir hin. Vielleicht machen wir das gleich zum Abschluss beim Eisessen in eurem Café.“

Das Abendessen entwickelte sich sehr lustig. Die Stimmung war bestens obwohl das Turnier jetzt für uns beendet war.

Ein kleines Highlight hatte ich jetzt im Café vorbereitet. Jeder hatte seinen Eisbecher vor sich stehen. Ich griff in meine Tasche und holte drei Umschläge hervor.

Nachdem ich die Namen noch einmal sortiert hatte, legte ich jedem seinen Umschlag mit dem Preisgeldscheck auf den Tisch.

„Was ist das denn?“, fragte Dustin.

„Schaut doch einfach mal nach. Dann werdet ihr es wissen“, erwiderte ich.

Justin war der erste, der seinen Scheck in Händen hatte. Er las was dort stand, aber anhand seiner Augen konnte ich erkennen, dass er die Zahlen nicht begriff. Auch Dustin und Fynn staunten ungläubig. Fynn fragte:

„Was soll das? Das ist nicht dein Ernst mit den Zahlen?“

„Warum? Ich habe damit nichts zu tun. Das sind eure Preisgeldschecks für dieses Turnier in Mailand. Ich möchte, dass ihr einmal das Teil in der Hand habt und euch bewusst wird, was es für einen Unterschied macht, ob Future, Challenger oder ATP 250 er Turnier. Damit ihr nicht auf komische Ideen kommt, stecke ich die Umschläge gleich wieder ein und ihr bekommt euren Teil aufs Konto. Ich denke, das kommt eurem Führerschein zugute. Vielleicht wird ja auch ein erstes eigenes Fahrzeug geplant.“

„Wir müssten mal für den Führerschein auch Zeit haben“, erwiderte Fynn mit einem Augenzwinkern.

„Theorie lerne ich schon seit einiger Zeit, das geht gut auch online, aber Fahrstunden und dann eine Prüfung machen, wird bei unserem Zeitplan schwierig.“

„Ich wusste davon gar nichts, dass ihr das in der konkreten Planung habt. Wenn ich das nicht weiß, kann ich euch auch nicht ausreichend Turnierpause einräumen. Aber ihr habt schon recht. Während der Turnierphase wird das echt schwierig. Lasst uns das aber mal gemeinsam besprechen, wenn wir aus Split zurück sind.

Der nächste Turnierplan ist ja noch in der Entstehung. Da finden wir bestimmt eine Lösung. Außerdem kann ich dann häufiger auch mal Beifahrer sein und muss nicht ständig den Chauffeur spielen.“

Während ich mit meinen Jungs das besprach, waren Franco und Giovi kurz aufgestanden und hatten die beiden Strohhüte geholt. Jetzt sollten wir dort unterschreiben und das sollte ein guter Abschluss des Mailänder Abenteuers werden.

Nachdem wir alle unterschrieben hatten, kam der Moment des Abschieds. Für Dustin und Fynn war es doch emotionaler als erwartet. Aber sie hatten wieder gleichgesinnte und nahezu gleichaltrige Freunde kennengelernt. Ich war mir sicher, dieser Kontakt würde aufrechterhalten werden.

Auch die Abreise am nächsten Morgen lief ohne Probleme. Wir mussten eine Zwischenlandung in München machen, bevor wir nach Split weiterfliegen konnten.

Das Turnier fiel in die Kategorie Challenger und sofort waren alle drei Jungs gesetzt. Ich war sehr gespannt wie dieses Turnier verlaufen würde. Hier zählten wir jedenfalls mit zu den Favoriten. Das würde zumindest bei den Medien die Aufmerksamkeit erhöhen.

Im Flugzeug waren alle drei schnell eingeschlafen. Dieser Turniertakt war anstrengend und das zeigte sich dann hier auch.

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