zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Auf der Tour

Teil 21

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ich möchte allen Lesern an dieser Stelle für ihre Geduld danken. Dieser Teil hat deutlich länger gedauert als sonst. Aber es hatte dafür mehrere Gründe. Zum einen ist durch die Corona Entwicklung ein erheblich höherer Zeitaufwand in meiner Arbeit nötig und zum Anderen habe ich immer wieder ein paar neue Ideen in meinem Kopf gehabt, die ich in diesem Teil noch unterbringen wollte. Jetzt wünsche ich allen Lesern eine schöne Zeit um Weihnachten herum. Bleibt alle gesund und lasst euch die Stimmung nicht durch das Virus verderben. Wir müssen noch einmal alles zusammenhalten und daran glauben, dass das Jahr 2021 für alle ein besseres Jahr werden wird.

Clas

Chris: Ich sollte Marc immer ernst nehmen

Der Jetlag nagte noch an meinem Wohlbefinden als ich gegen Mittag wach wurde. Ein frischer grüner Tee sollte mir guttun.

Ich hatte noch keinen Hunger und nahm meinen Tee mit nach draußen auf die Terrasse. Den Laptop hatte ich mir schon zuvor dort hingestellt. Mir fehlte komplett die Wochenplanung in meinem Kopf. Daher wollte ich in meinen Kalender schauen und mir einen Überblick verschaffen.

Dort stand ein Gespräch mit Thorsten für den Nachmittag. Ich hatte also noch genug Zeit, in Ruhe den Tee zu trinken und anschließend eine Dusche zu nehmen.

Training hatte ich heute und morgen nicht angesetzt. Ab nächster Woche hatten Dustin und Fynn zwei Wochen Ferien und Urlaub mit den Eltern.

Meiner Vermieterin hatte ich noch mitgeteilt, dass ich aus Amerika zurück bin und mich bei ihr für die Versorgung meiner Blumen bedankt.

Entsprechend besser gelaunt und nicht mehr ganz so müde rollte ich auf den Parkplatz am Tennisclub.

Als ich die Treppe zum Clubhaus hochging, kamen mir Tim und Carlo mit ihren Tennistaschen entgegen.

„Hallo Chris, schön, dass ihr wieder zurück seid. Dann ist es nicht mehr so langweilig in der WG.“

Was mich überraschte, beide hatten ihre Taschen abgestellt und mich mit einer festen Umarmung begrüßt. Erst danach gingen sie zu Marco zum Training. Ein schönes Gefühl für mich zur Begrüßung.

Thorsten erwartete mich auf der Terrasse. Als er mich gesehen hatte, stand er auf und kam auf mich zu.

„Hallo Chris. Schön, dass ihr wieder heil zurück seid. Möchtest du eine Latte Macchiato oder eine Fassbrause?“

„Hallo Thorsten, danke für die freundliche Begrüßung. Ja, ich freue mich auch wieder zu Hause zu sein. Ein Othello wäre mir jetzt recht.“

Thorsten bestellte zwei Othello und wir setzten uns nach draußen an den Tisch.

Thorsten gab mir einen kurzen Überblick über die Situation in Halle und dann kam doch noch eine Überraschung auf mich zu. Thorsten meinte:

„Wir sollten noch einen Moment warten mit deinem Bericht. Wir haben heute einen Gast bei uns und der möchte ganz bestimmt deinen Ausführungen auch lauschen können.“

Ok, wenn Thorsten so geheimnisvoll tat, konnte ich mich auf fast alles vorbereiten. Und das war auch gut so. Plötzlich tauchte von einem der unteren Plätze eine mir gut bekannte Person auf.

„Boah, Thorsten. Was ist das denn für eine Überraschung. Marc ist wieder zu Gast.“

Marc stellte seine Tasche ab und begrüßte mich mit einer herzlichen Umarmung.

„Hallo Rückkehrer. Bist du gut angekommen? Geht es dir gut?“

„Danke, Marc. Ja, mir geht es gut. Du hast heute mal selbst gespielt?“

„Ja, Thorsten hat mir eine Trainerstunde bei Lennart besorgt und wir hatten viel Spaß. Ich springe gerade unter die Dusche und dann möchte ich gern deinen Ausführungen lauschen.“

Ich setzte mich wieder zu Thorsten, der wieder dieses vielsagende Lächeln im Gesicht hatte. Ich mochte diese Situationen überhaupt nicht, aber Thorsten würde mir eh nichts sagen. Das kannte ich schon.

„Sag mal, war der Besuch von Marc schon länger geplant? Ich kann mich gar nicht daran erinnern. Oder ist etwas vorgefallen?“

„Nein, alles gut. Marc hatte mich während eurer USA Reise kontaktiert und mit mir ein paar Dinge besprochen. Da es einen Punkt gibt, den er nur persönlich klären konnte, ist er hergekommen. Sei unbesorgt, er wird es dir gleich erklären.“

„Ist er eigentlich allein hier oder Luc und Stef auch?“

„Nein, Luc und Stef sind auch hier. Aber keine Sorge, ich habe sie schon zu Fynns Eltern geschickt. Sie werden dort mit den beiden Zeit verbringen.“

„Das ist gut, danke. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, ihr habt irgendetwas vorbereitet von dem ich noch gar nichts mitbekommen habe.“

Thorsten hatte uns nach dem Othello eine Runde Fassbrause geordert, da Marc sicher gleich aus der Dusche kommen würde. Ich hatte gerade mit Thorsten über die Woche nach Fynn und Dustins Urlaub gesprochen. Dort sollten uns Rafael, Sergio und Marcelo für eine Woche besuchen und trainieren. Der Sparkassen Cup sollte dann den Abschluss des Besuchs darstellen. Da tauchte Marc wieder auf der Terrasse auf. Er setzte sich zu uns an den Tisch.

Für mich war es immer noch erstaunlich, dass Marc von einigen Kindern um ein Autogramm gebeten wurde. Eigentlich sollte das hier nicht mehr sein. Er war schließlich schon häufiger unser Gast und es war hier auch kein Geheimnis mehr, dass er sich für das Team engagierte.

„So, Chris“, begann Marc, „jetzt bin ich aber neugierig auf deinen ausführlichen Bericht.“

Dann lehnte er sich zurück und ich klappte meinen Laptop auf.

Obwohl ich nicht zu ausführlich sein wollte, hatte mein Bericht doch über eine halbe Stunde gedauert. Marc schien beeindruckt zu sein. Er meinte:

„Wow, das hört sich richtig gut an. War diese schnelle Entwicklung so zu erwarten? Ich hatte gedacht, das würde viel länger dauern. Wie soll es nun weitergehen?“

Ich hatte die Frage erwartet.

„Nein, dieses Tempo hat niemand vorhergesehen. Und ich rechne auch immer mit Rückschlägen. Das kann nicht so schnell weitergehen. Wir werden jetzt auch mehr bremsen. Dustin und Fynn müssen nach den Herbstferien auch mehr Zeit für die Schule haben. Wir werden deutlich weniger unterwegs sein. Es kommt eine längere Trainingsphase und dann schauen wir mal. So eine Turnierserie kostet enorm Kraft. Jetzt sollen sie wieder Kraft aufbauen und dann entscheiden wir gemeinsam wie es weitergehen kann.“

„Sehr gut. Das hört sich vernünftig an. Gerade für Maxi ist es jetzt wichtig auch einmal zur Ruhe zu kommen und den Verlust des Vaters verarbeiten zu können. Und ich möchte dich fragen, wie ist die Situation bei dir? Macht dir Kitzbühel und alles was dazu gehörte, manchmal noch Probleme?“

Irgendwie hatte ich auch dieses Thema erwartet, aber dieses Mal wollte ich anders damit umgehen.

„Grundsätzlich nein, aber in bestimmten Situationen bewegt es mich doch mehr als ich mir erhofft habe. Dann tauchen diese Bilder wieder in meinem Kopf auf. In New York hatte ich ein ganz übles Erlebnis. Jan hat mir geraten, doch mit einem Spezialisten Kontakt aufzunehmen. Vielleicht sollte ich das wirklich tun. Ich hatte gedacht, es würde für mich als Therapeuten einfacher werden. Das ist wohl ein Irrtum und das muss ich mir eingestehen.“

Thorsten nickte und auch Marc beobachtete mich genau. Thorsten griff meine Gedanken auf:

„Vernünftige Gedanken. Suche dir bitte den Menschen aus mit dem du arbeiten möchtest. Wenn deine Krankenkasse das nicht oder nur teilweise übernehmen sollte, werden wir das machen. Du kannst dir die beste Begleitung suchen, die du möchtest. Wir brauchen dich in bester Verfassung und das langfristig.“

„Richtig“, ergänzte Marc, „du bist jetzt bereit für eine therapeutische Aufarbeitung. Mach das bitte. Wenn du da Kontakte benötigst, melde dich bitte.“

„Danke. Ich habe wirklich gedacht, ich bekomme es mit Hilfe von Zeit und dem Alltag in den Griff. Jetzt muss ich aber akzeptieren, dass dem nicht so ist.“

„Hey“, ging Marc sofort dazwischen, „es ist doch toll, dass du es jetzt spürst. Also mach es. Zu einem früheren Zeitpunkt hätte es wahrscheinlich gar nicht funktioniert. Also, ran an die Gedanken und tu etwas für dich.“

Ich nickte stumm und schaute nachdenklich in den Himmel. Starke Emotionen machten sich in meiner Brust breit. Auch Angst vor dem erneuten Erleben.

Thorsten spürte das und wechselte das Thema.

„Marc hat dir ja gesagt, mach es einfach und wir sind immer für dich da. Du musst jetzt die Hilfe suchen und auch annehmen. Dann wird es von Erfolg gekrönt sein. Hast du ja immer selbst zu den Jungs gesagt.“

Da musste ich schmunzeln.

Thorsten fragte jetzt:

„So Marc. Nun ist glaube ich der Zeitpunkt gekommen, um die Katze aus dem Sack zu holen und den wahren Grund eures Besuches zu erklären.“

Marc lachte und antwortete:

„Ich weiß nicht was du hast. Mein wichtigster Punkt war die Information zu den Jungs. Allerdings habe ich da noch ein privates Anliegen. Du erinnerst dich an deinen letzten Besuch bei uns?“

„Ja, sicher. An solch ein tolles Erlebnis erinnert man sich immer gern. Warum?“

„Nun ja, ich habe dir ja gesagt, dass ich noch eine Sache offen habe mit Luc. Du erinnerst dich auch daran?“

„Auch das, ja. Du möchtest mit ihm, genau wie mit Lukas und Mick, einmal bei den 24h auf der Nordschleife fahren. Und du wirst das ganz sicher auch machen, wenn Sabine dazu ihre Zustimmung geben sollte.“

„Jaja, das musste jetzt kommen. Aber du hast schon recht. Ohne Sabines OK wäre das nicht möglich. Aber stell dir vor, sie hat jetzt zugestimmt. Wir dürfen fahren.“

„Cool, das freut mich. Da wäre ich gern dabei. Das möchte ich mir gerne anschauen. Wann soll das starten?“

„Das trifft sich gut, dass du dabei sein möchtest. Gestartet wird kommenden Samstag um 16 Uhr auf der Zielgeraden des Nürburgrings.“

„Ah ja, so langsam wird es mir klar. Du bist hier, weil du fragen wolltest ob ich mitkommen würde.“

„Hm, ja. Das auch. Thorsten hat gemeint, es sollte jeder vom Team, der möchte, mitfahren dürfen und uns dort unterstützen. Also auch die Jungs werden an die Strecke kommen.“

„Geil, gute Aktion. Darauf freue ich mich sehr. Mal wieder richtige Racing Luft schnuppern.“

„Prima, wir beide würden dann morgen nach dem Frühstück aufbrechen. Meine Jungs fahren später los, da sie mit deinen Jungs gemeinsam kommen werden.“

„Ähm ok, aber warum wollen wir schon morgen fahren? Das Rennen beginnt am Samstag. Gut, ab Donnerstagabend beginnt die Qualifikation, aber warum schon morgen?“

„Nun ja, ich möchte dich von Beginn an dabei haben. Du kannst uns nämlich richtig unterstützen mit deiner Erfahrung. Gerade für Luc wirst du ein wichtiger Ansprechpartner sein. Vor allem wenn ich im Auto sitze.“

„Hmm, wenn du meinst. Ich gehe davon aus, dass du mit Thorsten schon abgeklärt hast wie das mit meinem Training gehen wird.“

Marc schaute Thorsten an und als dieser anfing zu lachen, habe ich sofort gewusst, dass sich die beiden abgesprochen hatten, und ich eine wichtige Information noch nicht hatte.

Thorsten erwiderte:

„Kein Problem, da ja alle am Ring sein werden, ist auch keiner da, mit dem du Training machen müsstest. Das geht also. Jan hat dich also bis Montag freigestellt, um Marc zu unterstützen.“

„Cool, ich freue mich auf das Wochenende. Und wie ich bereits sagte: Toll, mal wieder Rennluft schnuppern können. Wenn ich nicht schon so alt und rostig wäre, würde ich mir sogar wünschen, ein paar Runden selbst zu fahren. Hihihi.“

Marc schaute mich dabei mit einem Blick an, der mir klarwerden ließ, diesen Satz hätte ich besser nicht gesagt.

„Das hört sich gut an. Wir brechen also morgen nach dem Frühstück auf. Dann sind wir zur Sitzprobe und ein paar technischen Checks rechtzeitig an der Strecke.“

„Könnt ihr für Gerry Weber ein Zimmer im Ringhotel buchen?“ fragte Thorsten, „ Ich glaube, wir können ihm nicht zumuten, im Fahrerlager in den Teambussen zu schlafen.“

Jetzt wurde ich aber hellhörig. Wenn Gerry Weber persönlich dort hinfahren wollte, musste etwas Außergewöhnliches anstehen. Marc gab diese Bitte direkt per Telefon an Sabine weiter.

Nachdem die organisatorischen Dinge geklärt waren, hatte ich die Idee mit Marc in meine Wohnung zu fahren. Dort hätte er seine Ruhe und würde nicht ständig um Autogramme gebeten werden. Auch hatten wir den Abend noch Zeit und den könnten wir bei mir in Ruhe im Garten verbringen.

Allerdings hatte ich mir keine Gedanken über das Abendessen gemacht. Und ein weiterer Punkt war mir nicht bewusst gewesen. Das zeigte sich, als Marc und ich bei mir auf der Terrasse saßen und eine kalte Fassbrause tranken.

„Wie hast du es eigentlich geschafft, dass Sabine sich nicht mehr gegen den Renneinsatz von Luc wehrt?“

„Ich habe dafür gar nichts getan. Zumindest nicht bewusst. Aber schon beim letzten Versuch tauchte sie ja plötzlich an der Strecke auf und hat die Familie zusammengehalten. Wir haben immer wieder über das Thema geredet und ich habe ihre Ängste ernst genommen. Als sie gespürt hat, dass es auch für Luc ein besonderes Erlebnis wäre und er sich das sehr wünscht, hatte sie ihren Widerstand aufgegeben. Allerdings musste ich mit ihr einen Deal machen.“

„Ah ja, und der wäre?“ und zog eine Augenbraue hoch.

Da musste Marc lachen.

„Du hast mir gerade den Hinweis gegeben, der mir immer gefehlt hat. Stef hat in letzter Zeit auch sehr oft seine Augenbraue genauso hochgezogen wie du. Hahaha, das ist echt gut.“

„Mir ist noch nie aufgefallen, dass ich das überhaupt mache. Aber welchen Deal hast du nun mit ihr ausgehandelt?“

„Hm, naja. Also schlag mich jetzt nicht, aber du bist ein wichtiger Teil dieses Abkommens. Sie meint, du bist derjenige, der mich bremsen könnte, sollte mein Ehrgeiz wieder zu groß werden. Also war es Bedingung, dass du bereits vom ersten Tag an mit an der Strecke sein musst. Ich habe ihr das zugesagt, denn du hast selbst mal gesagt, dass dich das Rennen fasziniert und du früher sogar einmal selbst als Pilot mitgefahren bist.“

Aha, da lief der Hase lang. Aber damit konnte ich gut leben. Allerdings hatte ich Zweifel, ob es mir tatsächlich gelingen würde, Marc während eines Rennens davon zu überzeugen, langsamer zu fahren. Mal abwarten.

Dass ich mir keine Gedanken über meinen Besuch gemacht hatte, zeigte in dem Moment Auswirkungen, als Malte wohl Marcs Ferrari SF90 vor der Tür gesehen hatte. Er kam mit Marvin um die Ecke geschossen und rief:

„Boah, Chris. Bist du unter die Millionäre gekommen? Da steht ein SF90 im Carport. Kannst du uns…“

Weiter kam er nicht, denn jetzt erkannten beide, dass Marc bei mir auf der Terrasse saß. Die beiden erstarrten förmlich. Ich erwiderte lachend:

„Ach so, darf ich euch meinen Gast und Freund vorstellen, Marc Steevens.“

Fast ehrfürchtig kamen sie uns näher und gaben Marc die Hand.

„Hi, ihr beiden. Verratet ihr mir auch eure Namen? Das würde die Unterhaltung erheblich vereinfachen“, lachte Marc.

Die beiden stellten sich vor und Marc ließ sich von ihnen noch ein paar Dinge erzählen und bevor sie wieder nach oben gingen, fragte mich Malte:

„Hast du vielleicht bald noch einmal Zeit für uns? Wir haben da noch ein paar Fragen.“

„Aber sicher doch. Allerdings erst nach dem Wochenende. Ich werde mit Marc morgen bis zum Sonntag unterwegs sein.“

„Kein Problem. Es ist nicht mehr so dringend wie beim letzten Mal. Ich beneide dich um die Mitfahrt in dem geilen Ferrari von Marc“, antwortete Marvin.

„Ja“, stimmte ich zu, „das wird mir sicherlich auch große Freude bereiten. Es ist immerhin eines der schnellsten Straßenfahrzeuge der Welt. Diese Gelegenheit werde ich genießen.“

Natürlich fragten die beiden Marc nach einem Autogramm als sie uns wieder verließen. Mit einem Lachen bekamen sie eine Unterschrift auf ihr T-shirt.

Beide hatten auf mich einen viel besseren Eindruck gemacht als vor meiner USA Reise. Sie wirkten locker und offen. Ihre Frage nach einem Gespräch freute mich.

Jetzt hatte ich allerdings immer noch das Problem, dass ich nichts für das Abendessen vorbereitet hatte.

„Hast du einen Wunsch für unser Abendessen? Ich habe nichts vorbereitet, da ich nicht mit deinem Besuch gerechnet habe.“

„Kein Problem“, antwortete Marc, „lass uns doch im Sportparkhotel essen. Oder bekommen wir spontan keinen Tisch?“

„Ich denke, da bekommen wir immer einen Tisch. Ich rufe aber vorsichtshalber dort an und frage.“

Es war kein Problem und so starteten wir direkt dorthin. Was mir noch eingefallen war. Ich musste meine neue Panigale noch abholen. Am besten noch bevor ich wieder unterwegs sein würde.

Nach dem Essen hatte ich das mit Marc so besprochen, dass ich am frühen Morgen nach Melle fahren würde und die Motorräder tausche. Anschließend würden wir gemeinsam im Sportpark frühstücken. Erst danach würden wir zum Nürburgring aufbrechen.

Fynn: Eine Überraschung macht die Runde

Ich stand total aufgeregt in der Box und suchte die ganze Zeit nach Chris. Er war der einzige, der noch nicht in der Box war. Da kam Marc auf mich und Dustin zu.

„Hallo ihr beiden. Ihr seht so suchend aus. Was fehlt euch?“

„Hallo Marc, du hast ja wieder einmal das große Kino ausgepackt. Aber wo ist Chris? Alle sind hier, aber er nicht. Warum?“

„Weil er gerade bei Heikki zur Massage ist. Er soll in bestmöglicher Verfassung ins Auto steigen.“

„Wann hast du ihm gesagt, dass er auch fahren wird? Uns hatte er noch gar nichts davon erzählt.“

„Ja, er konnte auch nichts darüber sagen. Auf der Fahrt hierher habe ich mit Chris darüber gesprochen. Nach dem ersten Schreck konnte er sich das sogar vorstellen. Er meint zwar, dass er viel zu langsam sei, aber das sehe ich anders.“

Dustin und ich schauten uns an, denn wir wollten auf gar keinen Fall, dass sich Chris wehtun würde und für uns als Coach ausfällt.

Marc reagierte auch sofort auf unsere skeptischen Gesichter.

„Keine Sorge. Wir passen gut auf ihn auf. Außerdem ist Heikki aus der Schweiz mitgekommen. Also eine bessere Versorgung für Chris Rücken gibt es nicht. Und Sabine wird mich vierteilen, sollte etwas passieren. Also alles ganz ruhig weg.“

„Nicht nur Sabine wird dich vierteilen. Wir auch. Wir brauchen Chris nämlich auch noch.“

Dustins Stimmung schien gerade etwas zu kippen. Er war dabei wieder in sein altes Verhalten zu fallen.

Just in diesem Augenblick tauchte Chris in der Box auf. Als er uns gesehen hatte, kam er lächelnd auf uns zu und umarmte uns zur Begrüßung. Das war für Dustin sehr wichtig.

„Hallo Jungs. Seid ihr gut hergekommen?“

„Ja, Mama und Papa haben uns heile hergefahren. Schau mal, da vorne sind die anderen.“

Ich zeigte auf die Gruppe mit Mama und Papa. Patrick war natürlich schon fast mit der Nase im Rennauto von Tom, Mick und Lukas. Maxi und Justin schauten sich indes in der Box um. Mir brannte allerdings noch eine Frage an Chris auf der Seele.

„Bist du dir wirklich sicher, dass du in dieser Rakete fahren willst? Ich habe etwas Sorge, ob das für deine Gesundheit gut ist.“

Chris schaute mich ungläubig an, dann schloss er für einen Moment seine Augen und atmete tief aus:

„Du hörst dich genauso an wie meine Mutter. Aber danke für deine Besorgnis. Und ob ich mir sicher bin, kann ich dir nicht sagen. Marc ist sich jedenfalls sicherer als ich.“

Viel länger konnten wir nicht miteinander sprechen. Nicholas Todt, der Teamchef, kam mit Marc zu uns und meinte zu Chris:

„Bist du soweit die ersten Funktionstests zu fahren? Dann mach dich bitte bereit. Marc soll dir beim Anschnallen helfen. Er erklärt dir auch noch einmal alles Wichtige im Auto.“

Chris holte sich seinen Helm und die Handschuhe. Dann wurde es ernst. Marc schnallte ihn fest und sie redeten noch miteinander. Was genau, konnte ich nicht mehr verstehen, denn der mittlerweile gestartete Motor war infernalisch laut.

Chris verließ die Box nach dem Signal vom Kommandostand ohne zu ruckeln. Das war schon einmal ein guter Start. Marc schaute hinter dem Auto her und zeigte uns den Daumen hoch. Danach kam er zu Dustin und mir.

„Sehr professioneller Beginn. Als ob Chris nie etwas anderes gemacht hätte als mit einem fast 900 PS Rennboliden aus der Box zu fahren. Richtig cool. So wie ich es erwartet hatte.“

„Ja“, antwortete Dustin, „sah gut aus. Ich hoffe, er kommt gleich ohne Probleme wieder zurück in die Box. Ich bin jetzt schon total aufgeregt.“

Marc fing an zu lachen und meinte:

„Fynn, kümmer dich um deinen Freund und vielleicht hilft die Kuschelstrategie gegen die Aufregung.“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und nahm meinen Schatz in den Arm und gab ihm einen Kuss.

In diesem Moment gab Tom Dustin und mir einen Kopfhörer. Damit waren wir mit Chris verbunden und konnten zumindest hören, was er mit dem Renningenieur besprechen würde.

 

Aber wir hörten erst einmal nichts. Stille. War das jetzt gut oder nicht?

Marc blieb hingegen sehr entspannt und schaute nur auf den Monitor mit den Daten. Dustin fragte mich:

„Ob das jetzt gut ist, dass Chris nichts an die Box funkt?“

„Ich habe keine Ahnung, aber Marc sieht zufrieden aus.“

Plötzlich hörten wir Chris Stimme im Kopfhörer:

„Drücke und Temperaturen sehen normal aus. So langsam bauen die Reifen Grip auf. Soll ich weiterrollen oder auch mal etwas mehr Tempo aufnehmen?“

Es dauerte nur Sekunden bis Nicholas antwortete:

„Gib ruhig etwas Gas, aber bleib ruhig. Gewöhne dich an das Auto und die Bedienung. Du hast noch genug Zeit, Runden zu drehen.“

„Verstanden.“

Ich nahm meinen Freund in den Arm und wir gingen zu Marc und Nicholas an den Kommandostand. Dort tauchten die ersten Abschnittszeiten von Chris auf. Sie waren recht weit hinten auf der Liste eingeordnet. Aber plötzlich wurden die Zahlenwerte kleiner und die Zeiten waren grün eingefärbt. Chris gab mehr Gas und stellte damit persönliche Bestzeiten auf. Irgendwann spürte ich bei Nicholas etwas Unruhe. Er schaute zu Marc und sie sprachen miteinander. Marc schüttelte nur seinen Kopf und Nicholas nickte zum Ende, bevor er sich den Monitoren wieder zuwandte.

Dann hörten wir erneut Chris Stimme:

„Boah, was für ein geiles Auto. Ich komme wieder rein. Läuft gut und alle Werte sind gut.“

„Check und verstanden“, kam von Nicholas.

Jetzt startete auch der zweite Wagen mit Tom am Steuer. Chris kam wenige Minuten später an die Box gerollt und stellte den Motor ab. Das Auto wurde hochgefahren und auf Rollbretter gestellt, dann um neunzig Grad gedreht und rückwärts in die Box geschoben. Chris hatte bereits die Tür geöffnet und schüttelte mit dem Kopf. Warum? Was hatten wir nicht mitbekommen?

Nach einem kurzen Dialog mit dem Ingenieur stieg Chris aus und nahm seinen Helm ab. Er sah ziemlich zerzaust und verschwitzt aus. Und das bereits nach zwei langsamen Runden. Ich fing an mir Sorgen zu machen. Konnte das gutgehen?

„Wie geht es dir?“, fragte ich Chris.

„Mega gutes Auto. Viel zu gut für mich alten Herrn. Aber das macht richtig Laune zu fahren. Auch wenn ich sicherlich eher ein Bremsklotz für Marc und Luc bin.“

Das hatte Marc irgendwie mitbekommen, denn er war zu uns gekommen, um mit Chris über die ersten Eindrücke zu reden.

„So ein Unsinn, Chris. Das sah gut aus und du hast alle Aufgaben professionell abgearbeitet. Gleich wird Luc noch zwei Runden fahren und zum Tagesabschluss fahre ich dann noch einmal raus, um zu schauen ob die Abstimmung passt. Und dass du meine Zeiten nicht fahren wirst, damit ist zu rechnen. Aber ich bin mir ganz sicher, dass du hier kein Bremsklotz sein wirst. Warten wir morgen Abend doch mal ab, wenn es ins erste Qualifying bei Nacht geht. Deine Streckenkenntnis wird ein großer Vorteil sein. Ganz sicher.“

Chris zuckte mit den Schultern, aber gab Marc sehr präzise Eindrücke über die Strecke und das Auto.

Mittlerweile waren Justin, Maxi und Dustin alle gemeinsam in der Box und schauten den Mechanikern bei der Arbeit zu.

Was mir aufgefallen war, dass Sabine noch gar nicht in der Box war. Luc stand mit seinen älteren Brüdern bei Tom und Patrick war mit meinen Eltern unterwegs.

Plötzlich kam Stimmung in die Box und ich konnte lautes Lachen und Herumalbern hören. Vor allem Marcs Stimme war zu hören. Das war ungewöhnlich.

Allerdings schien Chris die Frau, die mit Marc herumalberte auch zu kennen. Er ging auf die beiden zu und begrüßte die Frau, die übrigens auch einen Rennanzug trug. Dann kamen die drei zu uns.

„Hoppla, Marc. Hast du jetzt gleich einen ganzen Kindergarten dabei? Lauter knackige Jungs.“

Dustin passte diese Art gar nicht. Er ging sofort drei Schritte zurück und wäre am liebsten geflüchtet. Aber Chris hatte das vorhergesehen und stellte sich hinter ihn und sagte sofort:

„Du bleibst schön hier. Die Sabine tut dir nichts, die will nur spielen. Hahaha. Darf ich euch vorstellen, Sabine Schmitz. Eine lebende Ringlegende. Sie ist bis heute die einzige Frau, die dieses Rennen im Gesamtklassement gewonnen hat. Man sagt, dass sie hier jeden Grashalm mit Vornamen kennt.“

Das hatte Dustin sehr geholfen, denn so hatte Chris sofort die Situation entschärft und alle fingen an zu lachen. Auch Dustin.

Sabine ließ sich unsere Autos zeigen. Sehr beeindruckt meinte sie:

„Wow, Marc. Du machst mir Angst. Wenn diese Raketen ins Ziel kommen, dann sicher ganz weit vorne. Darf ich mal fragen, warum du nicht mit Tom auf einem Auto fährst? Ihr wäret mit Sicherheit die Top-Favoriten auf den Gesamtsieg.“

Jetzt wurden wir neugierig, denn ihre Frage hatten wir uns ja auch schon gestellt. Gut, Marc wollte mit Luc dieses Rennen gemeinsam fahren, aber mit Tom Kristensen wären sie sicher mega schnell unterwegs.

„Nein, Sabine“, erwiderte Marc, „ ich möchte ja gar nicht gewinnen. Ich möchte mir einen Traum erfüllen und mit meinen Kindern einmal ein großes Rennen gefahren sein. Im gleichen Auto. Da ich mit Mick und Lukas bereits hier ins Ziel gekommen bin, fehlt mir dieses Rennen noch mit meinem Jüngsten. Bislang war es allerdings nicht möglich gewesen mit Luc ein Rennen zu fahren. Das ist in diesem Jahr anders. Und Chris ist ein sehr guter Freund mit Ringerfahrung. Wir sind befreundet und er hat ganz besondere Fähigkeiten, die uns hier sehr von Vorteil sein können.“

Welche besonderen Fähigkeiten meinte Marc jetzt? Chris hatte Ahnung von Tennis und konnte uns immer weiterhelfen, aber was meinte Marc damit bei einem Autorennen?

„Fährst du wie immer den Frikadelli Porsche mit Klaus?“, fragte Marc.

„Ja sicher doch. Und wir wollen ganz vorne dabei sein. Mal schauen was dieses Jahr passiert.“

Was mich irritierte, waren die vielen Fotografen, die mittlerweile in der Box waren. Sabines Besuch hatte Aufsehen erregt und das gefiel Chris überhaupt nicht. Er mochte Aufmerksamkeit nicht. Daher hatte er sich schnell ein wenig abseits gestellt und sprach mit Mick und Lukas. Es sah so aus, als ob sie sich über die Strecke unterhielten. Meine Eltern gesellten sich zu ihm und er stellte ihnen Mick und Lukas vor. Was sie genau sprachen, konnte ich nicht verstehen, aber mein Vater wirkte erfreut und entspannt. Allerdings fiel mir auf, dass Patrick nicht mehr bei ihnen war. Hoffentlich würde er jetzt nicht auf dumme Ideen kommen. Das wäre peinlich.

Überhaupt war hier bereits enorm viel los. Viele Zuschauer waren bereits angereist und das Besondere an diesem Rennen war, dass die Fans heute alle ins Fahrerlager und in die Boxengasse durften, nachdem die Testrunden beendet waren. Ich konnte mir mittlerweile auch vorstellen, dass hier über 200 000 Zuschauer beim Rennen dabei sein würden. Wenn schon heute am Mittwoch so viel los war.

Das einzige was mir negativ aufgefallen war, Lucs Mutter konnte ich den ganzen Abend nicht in der Box finden. Ich hatte keine Ahnung warum. Allerdings stand sie irgendwann gegen neun Uhr abends plötzlich in der Box und sie hatte noch zwei Personen dabei. Leif und seine Freundin

Da war es mir klar, sie hatte die beiden wohl vom Flughafen abgeholt. Wir begrüßten sie genauso herzlich wie alle anderen der Steevens Familie. Allerdings war der Kontakt zu Leif nie so intensiv geworden wie zu Luc, Stef, Mick und Lukas.

Chris: Am Donnerstag wird es ernst

Oh man, worauf hatte ich mich hier nur eingelassen? Schon ganz früh am Morgen war die Strecke gut gefüllt mit Fans. Überall konnte man Rauch von den Lagerfeuern sehen. Selbst das Fahrerlager war wieder gut gefüllt, obwohl es heute nur für Berechtigte geöffnet war.

Heikki hatte mich schon vor dem Frühstück einmal behandelt und ich staunte wieder über diesen Unterschied. Wir hatten sicherlich exzellente Physiotherapeuten in Halle, aber das war doch noch eine andere Liga für mich.

Spannend für mich war die Situation im Qualifying. Wie würden meine Jungs reagieren und vor allem konnte ich annähernd akzeptable Rundenzeiten fahren?

Das Frühstück stellte sich fast schon als Medienereignis dar. Wir saßen alle an einem großen Tisch im Catering Zelt. Mit den Mechanikern und auch der Leitung. Das gefiel mir sehr gut. So wurde deutlich gemacht, alle saßen im selben Boot und keiner war etwas Besseres. Dass Marc sich immer in den Dienst des Teams stellte, hatte ich nicht anders erwartet, aber auch Nicholas Todt saß normal bei uns.

„Wann kommen eigentlich die anderen aus Halle?“, fragte mich Sabine.

„Puh, keine Ahnung. Thorsten ist dafür zuständig. Ich weiß nur, dass Marco mit Tim und Carlo erst morgen Nachmittag kommen. Soll ich Thorsten mal anrufen?“

„Ja, das wäre gut. Ich soll mich ja um die Gäste kümmern. Da wäre es sinnvoll, wenn ich wüsste, wer wann eintrifft.“

„Ja natürlich, ich kümmere mich darum.“

Als nächstes stand allerdings die technische Abnahme an. Dabei wurden alle Fahrzeuge und alle Rennanzüge und Helme auf ihre Zulassung geprüft. Das war für alle Fahrer verpflichtend. Während dieser Zeit konnte ich mich also nicht um das Problem mit den weiteren Unterstützern aus Halle kümmern. Aber ich hatte eine Idee.

Ich schaute zu Dustin und Fynn.

„Könnt ihr bitte bei Thorsten anrufen und fragen, wer von unseren Leuten noch wann herkommen wird. Sabine braucht diese Informationen. Ich muss jetzt zur Abnahmeprüfung.“

Sie schauten sich an und sofort kam die Antwort:

„Klar, das machen wir. Sollen wir diese Information dann direkt an Sabine geben?“

„Genau, ich habe momentan dafür keine Zeit. Danke euch.“

Eigentlich war das überhaupt nicht ihre Aufgabe und das störte mich. Ich konnte meine eigentlichen Dinge nicht machen, weil ich durch die Abnahme gebunden war.

Allerdings freute es mich, dass Dustin und Fynn mich sofort entlasteten ohne zu meckern. Ein gutes Gefühl.

Marc, Luc und ich waren nun mit unserem Fahrzeug an der Reihe. Die Rennkommissare schauten sich die Papiere an und verglichen alles mit dem Fahrzeug. Auch die Feuerlöschanlage wurde genauestens untersucht. Wie zu erwarten war gab es keine Beanstandungen und zum Schluss kamen noch unsere Rennoveralls und Helme an die Reihe. Aber auch hier gab es keine Probleme und damit bekamen wir das Prüfsiegel und durften am Rennen jetzt auch offiziell teilnehmen.

Als wir wieder ins Fahrerlager kamen, stand unsere Haller Fangruppe gemeinsam mit Sabine vor dem Cateringzelt.

„Na, seid ihr jetzt zum Rennen zugelassen?“, fragte Fynns Vater.

Fynn und Dustin schauten verwundert zu ihrem Vater und Patrick sprach es aus:

„Papa, interessierst du dich für Rennsport? Das wussten wir noch gar nicht.“

„Oh ja, in meiner Jugend habe ich alles über Formel 1 und Motorsport gelesen und mich sehr dafür interessiert. Ich fühle mich gerade um dreißig Jahre in die Vergangenheit zurück versetzt. Nur die Autos sind deutlich moderner und stärker als damals.“

Patrick grinste und auch Fynn wirkte entspannter. Justin fragte Marc:

„Musstest du eigentlich Chris nicht schon viel früher anmelden? Oder ist eine kurzfristige Fahreränderung kein Problem?“

„Eigentlich macht man eine Meldung schon etwa ein halbes Jahr vor dem Rennen, aber eine kurzfristige Änderung ist immer möglich. Wichtig ist nur die gültige Rennlizenz.“

„Woher hast du gewusst, dass die Lizenz von Chris noch gültig ist?“, fragte Lukas nach.

Ich spürte, dass das für Marc nicht angenehm war. Ich hatte das Gefühl, dass Lukas und Mick nicht so begeistert waren wie Marc meine Anmeldung geregelt hatte. Mittlerweile hatte ich mich gut damit abgefunden, dass er das schon von langer Hand geplant hatte. Nur war ich vermutlich der Letzte, der von dieser Aktion erfahren hatte.

In dieser Hinsicht war ich auch echt sauer auf Marc gewesen. Ich fühlte mich überrumpelt. Allerdings war es mittlerweile in Vorfreude umgeschlagen. Ich hatte zwar überhaupt keine Ahnung, ob ich das Rennen durchstehen würde, wollte aber jetzt auch richtig Gas geben und für das Team eine bestmögliche Leistung zeigen.

Sabine hatte die Fragen auch mitbekommen und wechselte geschickt das Thema.

„Also morgen Abend kommen noch Marco, Tim, Carlo, Marvin und Malte mit seinen Eltern. Für Samstag und Sonntag hat sich noch Gerry Weber angesagt. Ich habe alle so untergebracht, dass keiner auf dem Boden schlafen muss. Gerry Weber haben wir ein Zimmer im Ring-Hotel gebucht. Allerdings darf keiner mehr hinzukommen. Dann haben wir ein Problem.“

„Was ist mit Jan? Der wollte doch auch am Samstag herkommen?“, fragte Marc seine Frau.

Diese Frage erschreckte mich allerdings. Jan zum Nürburgring?

„Ja, Schatz. Aber er hat mir gesagt, dass er das noch nicht planen kann. Er wird das kurzfristig entscheiden.“

Mir wurde etwas mulmig bei dieser Information, aber Marc hatte wieder einmal keine halben Sachen vorbereitet.

Die Zeit bis zum Abend nutzte ich, um mit meinen Jungs einen ausgiebigen Rundgang durch das Fahrerlager zu machen. Wir sprachen auch über die kommenden Wochen und dass sich Dustin, Fynn und vor allem Patrick auf den gemeinsamen Urlaub freuten.

Irgendwann stieß Luc mit Marc zu uns. Marc meinte zu uns:

„Ich würde euch bitten einmal mitzukommen. Wir müssen noch jemanden besuchen. Den kennt Chris übrigens auch.“

Aha, dachte ich und hatte keine Ahnung, wen er damit meinen könnte, aber da Luc ein Grinsen im Gesicht hatte, kam mir ein Gedanke.

Keine fünf Minuten später standen wir vor einem riesigen, amerikanischen Showtruck. Callaway stand auf der Seite. Da machte es „Klick“ bei mir und ich war absolut sicher. Luc ging hinein und kam wenige Augenblicke mit Karl Geiger wieder heraus.

Entsprechend lebendig wurde die Begrüßung.

„Wow, Luc. Du hast ja einen ganzen Fanclub dabei. Das grenzt an unlauteren Wettbewerb. Mit wem wirst du fahren? Mit Marc und Tom oder?“

„Nein, Karl. Tom fährt auf dem anderen Auto mit Mick und Lukas. Ich fahre mit Papa und Chris.“

Karl schaute mich an und sein fragender Blick war eindeutig.

„Ach, das ist ja spannend. Ich wusste gar nicht, dass du eine Rennlizenz besitzt. Also ist euer Auto das Seniorenteam, hahaha.“

„Ja, wir sind sicherlich eines der älteren Teams, da hilft auch Luc nicht viel den Schnitt zu senken, aber je älter desto besser. Wie bei einem guten Wein. Du wirst sehen, Karl, wir werden euch richtig ärgern“, erwiderte Marc.

Karl lud uns noch zu einem Kaffee ein und wir sprachen noch ein wenig über Lucs Arbeit in München.

Der Tag verlief recht unspektakulär bis zum Abendessen. Erst danach wurde es dann wirklich ernst für mich. Das Nachtqualifying stand an.

Wir hatten uns so besprochen, dass Luc beginnt und seine Pflichtrunden absolviert. Danach sollte er zum Check zurück in die Boxen kommen und noch drei schnelle Runden fahren. Es bestand noch die Möglichkeit eines Gewitters. Das war der Grund warum Marc erst danach entscheiden wollte, wer dann auf die Strecke fährt.

Die GT3 Boliden starteten parallel mit allen anderen Teilnehmern. Also würde es auf der Strecke voll werden. Daher nahm Marc vor dem Roll out Luc noch einmal ins Gebet:

„Schau bitte häufig in den Rückspiegel. Das Auto muss ganz bleiben. Deine Zeiten spielen noch überhaupt keine Rolle. Das Top dreißig Qualifying findet erst morgen statt.“

Luc nickte noch einmal und verließ dann die Box. Für mich erstaunlich war nun die Reaktion von Marc. Er ging auf direktem Weg nach vorn an den Kommandostand während Sabine sich nach hinten in die Box zurückzog.

Mir war klar was bei Sabine nun passierte. Deshalb ging mein Weg zu ihr und nicht zu meinen Jungs. Sie blickte mich erstaunt an und fragte:

„Musst du nicht bei Marc auf die Monitore schauen?“

„Nein, ganz bestimmt nicht. Ich muss überhaupt nicht. Jetzt möchte ich bei dir sein und mich mit dir unterhalten, weil es dir gerade gar nicht gut geht.“

„Ach, Chris. So schlimm wie es mal war, ist es nicht mehr. Dennoch hast du Recht. Ich habe Angst.“

„Vor einem Unfall oder was ist deine Angst?“

Davor, dass Luc über seine Verhältnisse fährt, weil er seinem Vater etwas beweisen möchte. Und weil Marc unbewusst diesen Druck ausstrahlt.“

„Gut, das verstehe ich. Allerdings geht es mir auch nicht anders. Meine Sorge ist ähnlich gelagert, weil ich nicht glaube, Marcs Erwartungen ausreichend erfüllen zu können. Da kann er tausend Mal etwas anderes sagen. Alles was er tut, zielt auf eine optimale Performance ab. Und das wird auch Luc spüren.“

„Aber Luc wird das anders regeln. Er wird ganz konsequent so fahren wie er es für richtig hält. Er ist mittlerweile viel selbstbewusster geworden, seit er bei uns arbeitet und mit Stef in München wohnt.“

Ich drehte mich um und schaute Barbara Geiger ins Gesicht. Überrumpelt und überrascht zuckte ich leicht zusammen. Und vor allem stand Stef neben ihr und lachte.

„Woher willst du das wissen? Marc strahlt an der Rennstrecke etwas komplett anderes aus, als zu Hause. Habt ihr darüber gesprochen?“

Stef stieg direkt in dieses Gespräch ein:

„Ja, ich habe es mit Luc besprochen und ihm auch meine und Sabines Angst vermittelt. Selbst Karl hat Marc eindringlich vorgewarnt. Wenn Marc es jetzt nicht begriffen hat, dann wäre es sehr schlecht. Luc wird sich sicherlich an seine Grenzen halten und nicht über das Limit gehen wollen.“

„Das beruhigt mich etwas“, erwiderte ich, „ aber das ist der Plan. Ob es mir ebenso gelingt, kann ich noch nicht sagen. Ich hoffe es zumindest.“

Sabine atmete tief aus und ergänzte mit strenger Stimme:

„Sollte ich spüren, dass Marc zu viel Druck ausübt, werde ich rigoros dazwischen gehen. Dann wird es auch für ihn unangenehm werden. Ich glaube nicht, dass er das so haben möchte.“

Barbara musste lachen und auch Stef schien Sabine verstanden zu haben. Er war es, der ergänzte:

„Ich bin mir sehr sicher, dass Marc genau weiß was dann passieren würde. Das will er ganz sicher nicht.“

Mir wurde etwas mulmig bei diesen Gedanken. Denn mich hatten sie in ihren Plänen gar nicht genannt. Mir schienen sie zuzutrauen, dem Druck gewachsen zu sein. Das sah ich momentan noch nicht so eindeutig. Sabine schmunzelte, als sie zu mir sagte:

„Du musst nicht glauben, dass wir dich nicht in unseren Gedanken und Gefühlen eingeschlossen haben. Ich habe genauso ein wachsames Auge auf dich wie auf Luc. Und Marc würde sein blaues Wunder erleben, wenn er es übertreibt. Darauf kannst du Gift nehmen.“

Oha, das klang genauso bestimmend wie es wirkte. Sabine hatte für sich eine Entscheidung getroffen. Wenn sie schon anwesend war, dann richtig und mit voller Aufmerksamkeit.

Mir gefiel das gut. Sabine würde nicht eingreifen wenn Marc sich an die Absprachen hält. Aber wehe, wenn nicht. Dann würde es ein großes Donnerwetter geben.

Richtig überrascht war ich, als plötzlich Marc bei uns auftauchte.

„Hier habt ihr euch zusammengetan. Ich möchte euch aber mitteilen, dass Luc ganz nach Absprache seine Runden fährt und kein Risiko eingeht. Es wird übrigens so sein, dass ich nach Luc ins Auto steige. Es sieht deutlich nach einem Schauer aus. Für Chris wäre es sicher einfacher wenn es später nicht mehr regnen würde.“

Mir gefiel das gut, denn die Nordschleife im Dunkeln war schon schwierig, aber im Dunkeln und im Regen, das war richtig schwierig. Gerade für die Amateurpiloten wie mich.

Sabine lachte und auch Stef schien zufrieden zu sein. Marc bat mich allerdings nach vorne an die Monitore zu kommen. Ich sollte mir die Onboard Bilder ansehen. So hatte ich einen ersten Eindruck von den Verhältnissen auf der Strecke.

Vor allem als er dann seine Runden drehte und ich mir seine Linie genauestens ansehen konnte. Das half mir sehr.

Als ich am Monitor saß, hatte ich nicht bemerkt wie meine Jungs um mich herum standen und gebannt auf die Bilder schauten. Als Marc am Flugplatz mit voller Geschwindigkeit kurz abhob, hielten alle die Luft an und seufzten als er wieder alle Räder am Boden hatte. Das waren nur Zehntelsekunden, aber es war auch für mich beeindruckend. Diese Routine bei Marc zu spüren als ob das nichts wäre.

Dann zuckte ich zusammen, weil ich meine Jungs um mich herum wahrnahm.

„Boah, ihr habt mich aber erschreckt. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ihr zu mir gekommen seid.“

„Du warst so fasziniert und konzentriert, da mussten wir doch schauen was du dir ansiehst. Ich hoffe, du fährst an der Stelle etwas langsamer. Sonst haben wir jede Runde Angst, dass etwas schiefgeht“, meinte Justin mit ernster Miene.

„Keine Sorge, das wird mir nicht passieren. Ich fahre gerne schnell, aber ich bin kein Profi und möchte das ganz sicher nicht austesten.“

Dustin atmete tief aus und auch Fynn wirkte von den Bildern beeindruckt. Ich schaute meinen Jungs in die Augen. Sie waren besorgt. So hatten sie sich das nicht vorgestellt.

„Leute, was ist plötzlich los? Marc ist ein Vollprofi. Der kann das. Und das Auto ist dafür gebaut worden.“

„Wie schnell ist man dort mit dem Auto?“, fragte Fynn.

Ich musste einen Moment überlegen und schätzte ungefähr zweihundertsechzig Stundenkilometer. Sollte ich ihnen das sagen? Ja, es war vermutlich bei Marc noch einiges schneller.

„Bei Marc vermutlich knapp dreihundert. Bei mir wird es deutlich weniger sein. Wenn ihr es genau wissen wollt, wie schnell Luc dort war, dann können wir uns die Daten ansehen.“

Das Interesse war geweckt und ich klickte auf dem zweiten Monitor auf die Daten von Lucs Runden. Ich erschrak, denn er war nicht so viel langsamer dort. Zweihundertachtzig, aber seine Räder hatten den Kontakt zur Piste nicht verloren. Das hieß also, ich könnte dort genauso schnell sein, ohne Risiko. Meine Jungs hatten das leider auch erkannt. Entsprechend reagierte Dustin:

„Fährst du da auch so schnell? Da wird mir ganz komisch. Du bist kein Rennfahrer, aber Luc auch nicht und der fährt auch genauso schnell.“

„Leute, beruhigt euch. Ich habe keine Ahnung wie schnell ich dort tatsächlich sein werde. Aber ich werde nur so schnell fahren wie ich mich sicher fühle. Das verspreche ich euch.“

„Wusstest du schon vorher wie schnell das hier sein wird? Was fährt der Ferrari tatsächlich an der Döttinger Höhe? Dort ist ja vermutlich die schnellste Stelle der Strecke.“

Justin hatte das größte Wissen über Motorsport und er hatte sich garantiert den Streckenverlauf angesehen.

„Vermutlich wird Marc dort deutlich über dreihundert fahren. Ich habe nicht vor, ihm dort nachzueifern. Aber dort geht es geradeaus und die Strecke ist breit. Man darf nur den Bremspunkt nicht verpassen, wenn es wieder auf die Grand Prix Strecke geht. Das wäre nicht gut.“

In diesem Gespräch wurde mir deutlich, dass sich meine Jungs viel mehr Gedanken machten als ich erwartet hatte. Das sollte ich im Kopf behalten. Sie sollten das Wochenende genießen und nicht in Angst leben müssen.

Mehr Zeit blieb mir gerade aber nicht. Marc hatte sich über Funk angekündigt in die Boxen zu kommen. Jetzt war ich an der Reihe. Die Strecke war fast überall wieder trocken. Nur auf der Döttinger Höhe war es noch etwas feucht. Das sollte dort aber kein Problem werden.

Marcs beste Rundenzeit war allerdings auch nicht von schlechten Eltern. Mit Intermediates war er unter den Top dreißig. Respekt!

Allerdings stellte sich für mich die Frage, wenn er jetzt nur herumgerollt ist, was für eine Zeit wäre möglich wenn er richtig schnell fährt? Oder hat er seinem Drang schnellfahren zu müssen erneut nachgegeben und sich nicht an die Absprachen gehalten?

Ich hatte nicht viel Spielraum, darüber nachzudenken. Marc war bereits in die Box gekommen und ich sollte jetzt auf die Piste gehen. Meinen Helm hatte ich bereits auf und zog mir gerade die Handschuhe an, als Marc seinen Helm abnahm und zu mir kam.

„So, das Auto liegt perfekt und es gab keine Schwierigkeiten. Auf der Döttinger Höhe ist der Belag noch ganz leicht feucht. Alle anderen Streckenabschnitte sind bereits wieder trocken. Du kannst also beruhigt auf Slicks fahren. Lass es ruhig angehen und finde deinen Rhythmus. Schnelle Zeiten sind jetzt noch nicht gefragt. Fahre einfach so viele Runden wie du kannst. Hast du noch Fragen?“

„Ja, eine Sache habe ich noch. Kannst du bitte mit mir in Funkkontakt bleiben? Falls ich Fragen habe. Und lass Fynn und Dustin bitte nicht allein irgendwo stehen. Ich weiß, dass sie nichts sagen werden aber sie sind sehr aufgeregt.“

„Keine Sorge, darum wird sich Sabine kümmern. Du konzentrierst dich ab jetzt nur noch auf das Fahren und die Strecke. Und dann viel Spaß.“

Marc half mir beim Anschnallen und als er die Fahrertür schloss, konnte ich alle Jungs an der Seite stehen sehen. Mir war bewusst, dass alles was ich auf der Strecke tat unter genauester Beobachtung stehen würde.

Fynn: Große Aufregung bei Chris erstem Run

Obwohl ich genug Zeit hatte, mich auf den Moment vorzubereiten an dem Chris auf die Strecke gehen wird, war ich jetzt sehr angespannt. Auch Dustin war aufgewühlt und nervös.

Chris Ausfahrt aus der Box sah professionell aus. Als ob er nie etwas anderes gemacht hätte. Marc stand noch an der Stelle an der er Chris auf die Reise geschickt hatte. Justin und Maxi waren bei uns und wir waren uns nicht einig wo wir hingehen sollten. Sabine kam mit Stef zu uns.

„Wollt ihr mit mir ins Motorhome im Fahrerlager gehen? Dort ist etwas mehr Ruhe und wir können dort auch alle Daten und Monitore einsehen. Außerdem kann dort die Presse nicht hin. Da haben wir mehr Privatsphäre.“

Mir gefiel das einerseits, aber andererseits wollte ich nicht bei Chris den Eindruck hinterlassen, dass uns sein Lauf nicht interessieren würde. Dustin wirkte genauso unentschlossen. Aber Sabine zog mich einfach am Arm und da ließ ich mich einfach führen.

Im großen Motorhome des Teams staunten wir über die Lounge im Heck des Busses. Dort gab es bequeme Sofas und Sessel. Überall waren Monitore, die mit dem Kommandostand verbunden waren. Dustin zog mich auf eine Couch und legte seinen Arm um meine Brust. Da konnte ich seine große Anspannung fühlen.

Sabine fragte unsere Freunde:

„Möchtet ihr euch nicht setzen. Hier können wir in Ruhe den Lauf von Chris beobachten. Sogar Getränke haben wir hier.“

Maxi und Justin schienen nicht so nervös wie wir zu sein. Sie nahmen sich eine Cola und schauten direkt auf die Zeitenmonitore.

„Sabine, wie läuft es eigentlich bei Mick und Lukas? Und wie geht Stef mit dieser Situation um?“

„So wie ich das mitbekomme, läuft dort alles bestens. Mick und Lukas sind ja auch fast schon alte Hasen. Und Stef könnt ihr gleich selbst befragen. Der wird sicherlich gleich auch hier bei uns sein. Luc bleibt in der Box, aber Stef wollte zu euch kommen.“

Erstaunlich, dass er nicht bei Luc in der Box blieb. Hoffentlich war das kein böses Omen. Als Stef zu uns in den Bus kam, wusste ich sofort, warum er nicht länger dort geblieben war. Er war genauso aufgeregt und angespannt wie wir.

„Hi Stef, setz dich zu uns. Hier treffen sich die, die nicht ständig zuschauen können. Hihihi.“

Justin wirkte mit diesem Spruch cool, aber das täuschte. Auch ich hatte Schiss, dass es Chris übertreiben könnte.

Über Sabine staunte ich allerdings. Sie strahlte eine Ruhe aus, die uns ansteckte. Und wir sprachen überhaupt nicht mehr über das Renngeschehen. Als ob wir in Genf in ihrem Garten sitzen würden.

„Wieso hast du es Luc erlaubt, mit Marc dieses Rennen zu fahren?“

Dustin unterbrach mit dieser Frage unsere entspannte Runde.

Eine ziemlich prekäre Frage fand ich. Sabine schaute Dustin an und fing an zu lächeln.

„Es hat aber lange gedauert bis ihr diese Frage gestellt habt. Das hatte ich schon viel früher erwartet. Aber ich kann euch das sehr einfach beantworten. Marc hätte eh keine Ruhe gegeben und Luc ist viel erwachsener geworden. Außerdem habe ich es zur Bedingung gemacht, dass Chris dabei ist und aufpassen würde. Dass Marc ihn als Fahrer verpflichten würde, hatte ich nicht im Traum erwartet. Normalerweise würde Marc ein Team aufstellen, das annähernd gleich schnell wäre. Luc ist schon ziemlich gut geworden, aber Chris hat eine Fähigkeit, die kaum jemand anderes hat. Er kann sich mental extrem disziplinieren. Und nicht nur das, er kann diese Disziplin auch bei anderen Menschen auslösen. Also sollte Marc es wieder einmal übertreiben, wird er mit Chris richtig Ärger bekommen. Und Stef hat genau das eingeplant. Marc wird dieses Mal diesen Fehler nicht ungestraft machen können.“

Mein Blick ging automatisch zu Stef. Seine Augen sprachen Bände. Er hatte Angst um seinen Freund. Und das obwohl Luc gerade überhaupt nicht im Auto saß.

Aber ehrlicherweise hatte ich auch kein allzu gutes Gefühl. Mein Schatz hatte für sich einen anderen Standpunkt eingenommen.

„Ich vertraue Chris. Er kennt seine Grenzen genau und er wird nicht über seine Verhältnisse fahren. Wenn Marc das nicht schnell genug wäre, würde er dennoch nicht schneller fahren. Was mich beunruhigt sind die vielen anderen Piloten. Auf die hat doch niemand Einfluss. Momentan sind die ersten Zeiten von Chris recht human und nicht sonderlich schnell. Allerdings war das gestern auch so. Erst später legte Chris einen Zahn zu und fuhr sehr ordentliche Zeiten.“

In diesem Augenblick kam Luc in unsere Runde. Er wirkte überrascht uns an diesem Ort zu finden.

„Das hätte ich mir auch denken können, dass Mama euch hier alle zusammenholt. Darf ich mich zu euch setzen? Auch wenn ich zu den Fahrern gehöre.“

Luc hatte ein gutes Gefühl für die Situation. Gut, er sollte wissen, dass Stef nicht so begeistert von diesem Rennen war, dennoch respektierte er unsere ängstliche und aufgeregte Stimmung. Sabine nahm ihren Jüngsten in die Arme und Luc wirkte plötzlich gar nicht mehr so selbstbewusst.

„Mama, du hast immer noch Angst. Ich spüre es. Aber auch Chris fährt sehr vorsichtig seine Runden. Ich habe eben mit ihm gesprochen und auch Papa ist sehr zufrieden. Ihr könnt euch alle wieder entspannen. Chris fährt noch zwei ruhige Runden und kommt dann wieder in die Box.“

Sabine reichte Luc etwas zu trinken und lächelte. Ich bewunderte ihren Mut, die ganze Familie hier mitfahren zu lassen. Obwohl ich mittlerweile nicht mehr ganz so angespannt war, würde ich erst beruhigt sein, wenn Chris wirklich wieder in der Box steht.

„Sag mal, Fynn, wo ist denn deine Familie? Sind sie in der Box geblieben?“, fragte Stef.

„Ja, Patrick wollte partout dort bleiben und da wollten sie ihn nicht allein lassen. Wer weiß, in welcher Katastrophe das sonst enden würde.“

Über diesen Spruch lachten alle herzlich. Und mir half es, den Druck abzubauen.

Und Chris blieb wirklich bei seinen Rundenzeiten. Er fuhr nicht wie gestern zum Ende hin deutlich schneller. Seine Zeiten waren konstant und er kam ohne Probleme zurück in die Box. Luc verließ uns daraufhin, um mit dem Team eine Besprechung zu machen über den Ablauf des morgigen Tages.

Was mich wunderte, das Training würde noch über neunzig Minuten andauern und warum schon jetzt diese Besprechung.

Das klärte sich allerdings sehr bald. Wir hatten uns nachdem Chris zurück war wieder auf den Weg in die Box gemacht. Seltsamerweise war aber keiner der Piloten dort. Nur die Mechaniker arbeiteten an den Autos. Die Räder waren demontiert und es wurde am Fahrwerk gearbeitet.

Ich stand mit Stef und meinem Schatz direkt am Wagen von Chris. Erst als wir merkten, dass wir den Mechanikern im Weg standen, zogen wir uns etwas zurück. Dennoch hatten wir einen tollen Überblick über das gesamte Geschehen in der Box. Für mich sah das nach einem wilden Ameisenhaufen aus. Gab es Probleme?

Bald kamen auch Tom und Marc wieder hinzu. Marc hatte seinen Helm in der Hand und stieg nach einem kurzen Gespräch mit dem Chefmechaniker wieder ins Auto. Tom tat es ihm gleich und ich vermutete, dass die beiden nun noch ein paar schnelle Zeiten fahren sollten.

Chris tauchte wenige Augenblicke später mit Luc, Mick und Lukas auf. Als der Motor gestartet wurde, stellten sich meine Haare auf den Armen sofort nach oben. Dustin zuckte sogar ein wenig zusammen. Erst als Marc und Tom die Boxen verlassen hatten, trat Chris zu uns heran.

„So, jetzt kann ich euch erklären wie wir weiter vorgehen werden. Zuerst werden Tom und Marc jeweils fünf Runden auf Zeit fahren. Das heißt, dass sie versuchen werden, so weit wie möglich nach vorn zu kommen. Erst danach dürfen Luc und ich und auf dem anderen Auto Mick und Lukas noch einmal jeweils fünf Runden fahren. Danach dürfte das Nachtqualifying beendet sein. Wie kommt ihr hier zurecht?“

„Es geht so“, erwiderte Dustin angespannt, „Sabine war mit uns im Motorhome und dort war ich nicht so angespannt. Aber hier finde ich es sehr aufregend.“

Ich hatte dem nichts hinzuzufügen. Chris hatte es auch so begriffen. Er nickte nur leicht und erklärte uns:

„Alles klar. Ich nehme an, Sabine wird genauso angespannt sein wie ihr. Nur kann sie es besser verbergen. Ich habe absolutes Verständnis für euch, aber ihr müsst auch Vertrauen in Marc und seine Söhne haben. Er wird ganz sicher eingreifen, sollte einer sein Limit überschreiten. Was mir etwas Sorge bereitet ist, wer wird Marc einbremsen sollte er es wieder übertreiben.“

„Hihihi, das haben wir uns eben hinten im Bus auch schon gefragt. Aber ich glaube, dass wird Marc sehr schnell merken, was die Stunde dann geschlagen hat. Sabine wird ihm das deutlich erklären.“

Chris schaute irritiert und überrascht zu uns. Dann fing er laut an zu lachen:

„Hahaha, ich kann mir das sehr gut vorstellen, Fynn. Allerdings sollte Marc dann seinen Helm besser nicht absetzen.“

„Das gilt aber für dich genauso. Sollte ich sehen, dass du versuchst Marcs Zeiten zu fahren, werde ich sehr ungemütlich werden. Und das meine ich sehr ernst.“

Dustin wirkte angespannt und Chris hatte es auch bemerkt. Er blieb ruhig und machte keinen lockeren Spruch mehr. Im Gegenteil, er ging auf Dustin zu, legte seinen Arm um meinen Freund und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nur ein leichtes Nicken von Dustin war zu sehen. Mir gab es aber ein gutes Gefühl, denn Chris hatte Dustin wieder einmal da abgeholt wo er gerade stand. Ohne ihn zu provozieren oder gar bloßzustellen. Da sollten sich unsere Lehrer mal eine große Scheibe von abschneiden.

Die ersten Zeiten, die von Tom und Marc auftauchten waren recht moderat. Aber ab der zweiten Runde blinkten die Zeiten grün auf. Beide machten ernst was die Zeiten betraf und mir verging Hören und Sehen. Tom erreichte in seiner schnellsten Runde Platz zehn und Marc fuhr noch einmal drei Zehntel schneller und lag damit auf Platz sieben. Das zeigte aber auch wie eng die GT3 Autos beieinander lagen.

Bei Chris konnte ich erkennen, dass er sich Gedanken über die absoluten Zeiten machte. Es wirkte so als ob ihm jetzt bewusst wurde, dass Marc noch viel mehr Reserven hatte als angenommen. Das beeindruckte auch Luc, der die Zeiten noch besser einschätzen konnte als wir. Ich entschloss mich daher mal Luc zu fragen, wie er die Lage beurteilte.

„Ist das eine kontrolliert gefahrene Zeit von Marc? Oder will er es jetzt schon allen beweisen wie schnell er noch ist?“

Luc schaute mich lachend an und antwortete:

„Das ist eine kontrolliert gefahrene Runde à la Marc. In erster Linie muss er sich selbst beweisen, dass er noch immer schnell genug ist. Aber er ist sicher noch weit entfernt von einer Runde am Limit. Auf den Onbordbildern sieht das noch recht entspannt aus.“

Chris zuckte etwas mit den Schultern als er diese Aussage von Luc vernommen hatte.

Am Ende des Turns von Tom und Marc hatten sich beide noch einmal gesteigert und die Plätze acht und sieben im Gesamtklassement erreicht. Das war mehr als zu erwarten war. Allerdings stieg meine Spannung nun deutlich an, denn jetzt sollte Luc seine fünf Runden fahren. Chris hatte noch etwas Zeit. Er würde erst danach fahren.

Marc nahm sich besonders viel Zeit für Luc. Bevor er ihn im Auto festschnallte, gab er ihm noch einige Hinweise zur Strecke. Luc hörte aufmerksam und bereits voll konzentriert zu. Plötzlich stand Stef neben mir.

„Hi, jetzt doch lieber in der Box sein, wenn Luc fährt?“

„Oh ja, das halte ich hinten nicht so gut aus. Auch Sabine wird gleich hier sein. Ich glaube, es fällt ihr immer noch sehr schwer, bei Luc zuzuschauen.“

„Ich kann das verstehen. Wenn ich schon unruhig werde wenn Luc fährt, dann kann man sich gut vorstellen, wie das für Sabine sein muss.“

Luc hatte mittlerweile den Motor gestartet und rollte aus der Box. Genau in dem Moment betrat Sabine die Box. Marc ging sofort auf sie zu und umarmte sie. Marc hatte zwar einen Kopfhörer in der Hand, aber er führte Sabine nicht nach vorn an den Kommandostand. Er blieb in der Box bei den Mechanikern stehen. Chris gesellte sich zu ihnen und das war schon erstaunlich. Chris wirkte echt entspannt, obwohl er gleich selbst fahren musste.

Sie unterhielten sich und Sabine schien dadurch abgelenkt zu sein von dem Geschehen auf der Strecke.

Plötzlich stand meine Familie bei mir und Dustin legte seinen Arm um mich. Papa stand vor mir und sagte etwas für mich sehr Bewegendes:

„Ich möchte mal meinen beiden älteren Söhnen ein großes Kompliment aussprechen. Ihr habt ein wundervolles Team. Jeder kümmert sich und steht für den anderen ein. Ich bin zutiefst beeindruckt und eigentlich ist hier gar nicht der richtige Ort für das, was ich euch zu sagen habe, aber ich möchte, dass ihr es heute noch erfahrt. Dustins Adoption ist seit Mittwoch offiziell durch. Ab jetzt gehörst du damit auch ganz offiziell zu unserer Familie. Du hast den gleichen Status wie Fynn und Patrick. Genau wie es damals Marc mit Lukas gemacht hat.“

Dann machte Papa einen Schritt auf uns beide zu und lächelnd umarmte zuerst meinen Freund und dann mich ganz fest. Das war ein sehr bewegender Moment und ein unglaublich intensives Gefühl durchströmte mich. Ich konnte mich kaum noch kontrollieren und hatte bereits Tränen in den Augen, aber glücklicherweise hatte Chris die Situation erfasst und rettete uns.

„Na, habt ihr es jetzt erfahren. Dustin ist nun dein Bruder Fynn. Herzlichen Glückwunsch euch beiden. Ich freue mich sehr für euch.“

Chris umarmte uns kurz und flüsterte mir dabei ins Ohr:

„Geht einfach etwas weiter nach hinten, wenn es gerade zu heftig für euch wurde. Dort habt ihr mehr Ruhe, um wieder runter zu kommen. Ich werde mich jetzt vorbereiten und dann Luc auf der Strecke ablösen.“

Gerade sein letzter Satz half mir, aus meinen unglaublich starken Gefühlen für meinen Vater wieder ein wenig herauszukommen. Meine Tränen sollten aber weder Papa noch Chris oder andere jetzt bemerken und ich wollte, dass Chris nur an seine Aufgabe denkt, nämlich sicher über die Strecke zu fahren. Deshalb packte ich Dustin, der ebenso aufgewühlt war am Arm und zog ihn aus der Box heraus.

Chris: Was für ein Erlebnis auf der Nordschleife bei Nacht

Die Anspannung bei meinen Jungs war doch erheblich größer als ich das vermutet hatte. Insbesondere Dustin und Fynn machten sich Sorgen als Luc auf der Strecke war. Ich war mir sicher, dass Marc und Luc sehr genau wussten was sie können und vor allem, dass der Rennwagen bestens präpariert war. Dazu kam noch die kleine Ansprache und Mitteilung von Herrn Grehl an seine Söhne.

Als Luc in die Box kam und die Fahrertür öffnete, waren Dustin und Fynn bereits mit Sabine ins Fahrerlager gegangen. Einerseits fand ich das schade, aber auch nachvollziehbar. Vielleicht würden sie sich auch noch an die Situation besser gewöhnen und dann beim Rennen ohne Angst in der Box bleiben können.

Luc löste seinen Gurt und nahm das Lenkrad ab. Anschließend sprang er elegant aus dem Cockpit. Ich legte meine Sitzschale in den Sitz und nahm im Auto Platz. Luc half mir beim Anschnallen und gab mir die aktuellen Informationen zum Streckenzustand. Dann steckte ich das Lenkrad auf und wartete auf das „Go“ vom Teamchef.

In diesen Sekunden konnte ich das Rauschen des Blutes in meinen Ohren hören. So angespannt war ich schon lange nicht mehr. Dennoch freute ich mich auf diese Runden auf der legendären Rennstrecke.

Dann kam das Signal und ich legte den ersten Gang ein. Mit einem kräftigen Ruck rastete die Fahrstufe ein und ich rollte aus der Box.

Gefühlt hatte ich einen Puls von hundertsechzig als ich am Ende der Boxengasse den Limiter abstellte und das erste Mal richtig Vollgas gab.

Sofort wurde das Auto unruhig und ich erschrak etwas. Dann fiel mir ein, unsere Crew hatte mir frische Reifen gegeben. Damit waren die natürlich noch kalt. Ein Anfängerfehler. Darüber ärgerte ich mich enorm.

Allerdings zeigte mir das auch, dass ich immer mit voller Konzentration hinter dem Lenkrad agieren musste. Nach einigen Kilometern Warmfahren der Reifen, spürte ich den ansteigenden Grip und gab mehr Gas. Das Licht erhellte die gesamte Breite der Strecke und somit konnte ich auch gut erkennen wo es lang ging. Nach der ersten Runde fühlte ich mich deutlich wohler im Auto. Meine Streckenkenntnisse kehrten zurück und ich erhöhte stetig die Geschwindigkeit. In der dritten Runde gab ich auf der Döttinger Höhe das erste Mal Vollgas und bremste auch recht spät. Ein irres Gefühl von der Bremsleistung derart in die Gurte geworfen zu werden. Das war mit einer Straßenbremsanlage in keinster Weise zu vergleichen.

Einlenken und wieder zurück über Start und Ziel. Es knackte im Funk und ich hörte Marc:

„Gute Runde, die Daten sehen Klasse aus und wenn du dich wohl fühlst, dann gib ruhig mehr Gas.“

Ich fühlte mich wohl im Auto. Also wurde ich mutiger und überholte auch einige Fahrzeuge. Auf den schnellen Abschnitten ließ ich das Auto fliegen. Da wo es richtig knifflig war, habe ich noch viele Reserven gehabt. Die vierte Runde war noch besser und bis auf einen kleinen Zeitverlust durch einen langsamen Teilnehmer, war das schon sehr gut für meine Verhältnisse.

Ich hatte meine fünfte Runde fast beendet und rollte mit reduzierter Geschwindigkeit am rechten Fahrbahnrand über die Döttinger Höhe als die Streckenposten plötzlich doppelt geschwenkte gelbe Flaggen zeigten. Das hieß sofort Tempo sechzig und aufmerksam das Geschehen beobachten. Durch die Dunkelheit war für mich nicht ersichtlich was genau passiert war.

Kurz vor dem Einbiegen in die Grand Prix Strecke veränderte sich die Fahrbahn. Überall lagen Trümmerteile und Grasbüschel verteilt. Und dann konnte man drei Fahrzeuge sehen, die richtig zerstört waren. Zwei standen auf der rechten Seite und eins auf der linken Seite der Strecke.

Ich rollte vorsichtig an der Unfallstelle vorbei und bog direkt in die Boxengasse ab. Nachdem ich gestoppt und den Motor abgestellt hatte, öffnete Marc meine Fahrertür.

„Alles ok bei dir?“

„Ja, Marc. Alles gut. Der Unfall muss vorher passiert sein. Ich war nicht beteiligt.“

„Ja, das haben wir gesehen, aber deine Zeit ist schon richtig gut. Du bist nur eine gute Sekunde langsamer als Luc. Respekt!“

Das erstaunte mich komplett. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich bereits an meinem Limit gefahren war. Es gab etliche Stellen auf denen ich deutlich schneller hätte fahren können.

Allerdings war Luc mit Sicherheit auch nicht am Limit gefahren. Das war ja auch überhaupt nicht geplant gewesen.

Für mich interessant, alle meine Jungs standen wieder in der Box als ich aus dem Cockpit stieg. Dustin und Fynn standen eng nebeneinander und Luc kam mit einem Lächeln auf mich zu.

„Du und alt und langsam? Dass ich nicht lache. Wir haben die onbord Bilder geschaut und das sah sehr präzise und rund aus. Selbst Dustin wirkte gelöst und hat sich kaum aufgeregt.“

„Luc, beruhige dich. Ich bin zwei zügigere Runden gefahren und das war schon anstrengend und ich möchte mir gar nicht erst vorstellen, zwei Stunden am Stück im Renntempo zu fahren. Da werde ich deutlich weniger Speed haben, um nicht Gefahr zu laufen, über meine Verhältnisse zu fahren.“

Ziemlich verschwitzt nahm ich dankend das von Fynn gereichte Handtuch und wischte mir den Schweiß ab.

„Immer noch der tiefstapelnde, alte Drache. Du kannst Autofahren und das auch noch ganz schön schnell. Außerdem hast du eine gute Streckenkenntnis. Ich habe eben auch die Kamerabilder gesehen. Das war richtig gut.“

Ich zuckte leicht zusammen, denn diese Stimme konnte ich keinem von unseren Leuten zuordnen. Aber als ich mich umdrehte, schaute ich in das lachende Gesicht von Sabine Schmitz und Karl Geiger. Na toll!

Meine Jungs fingen an zu lachen und auch Marc klatschte Beifall. Es war mir einfach unangenehm.

Ich begrüßte Karl mit einer Umarmung und auch Sabine klatschte mich lachend ab. Das Programm für den Donnerstag war damit offiziell beendet. Auch Lucs Mutter war wieder mittendrin und wirkte deutlich gelöster. Alle waren ohne Probleme wieder in der Box und es wurde heute nicht mehr gefahren. Lediglich Patrick hatte noch viele Fragen, die ihn interessierten. Das war manchmal zwar etwas nervig, aber ich konnte ihn schon verstehen.

Nicholas hatte noch zu einer abschließenden Teambesprechung gebeten. Allerdings wollte ich unbedingt zuvor noch unter die Dusche. Mein Rücken war da empfindlich. Das passte der Teamleitung aber nicht so gut. Allerdings machte Marc da eine klare Ansage und damit gingen wir zuerst alle duschen und uns umziehen.

Als Marc und ich frisch geduscht vor dem Teambus standen, fragte er mich:

„Wie siehst du die Situation? Was macht dein Rücken?“

„Danke, der Rücken ist noch gut beisammen. Aber ich gehe gleich noch einmal zu Heikki. Er hat mich gebeten nach jedem Training zur Behandlung zu kommen. Das werde ich auch tun. Was mich beschäftigt sind Dustin, Fynn und Maxi. Sie wirken sehr angespannt und das beunruhigt mich.“

„Ja, das hast du gut beobachtet. Sabine hat mir bereits einen Hinweis gegeben. Wie willst du damit umgehen? Laufen lassen oder das Gespräch suchen? Bei Stef haben wir das Glück, dass er mittlerweile mit Sabine über seine Ängste offen sprechen kann.“

„Er hat auch Angst um Luc, oder? Ich finde, dass er sich nach außen hin sehr gut unter Kontrolle hat.“

„Natürlich hat er Angst um Luc. Genau wie Sabine. Und wenn ich ehrlich bin, ich fühle mich gerade hier sehr für alle verantwortlich. Glaub bitte nicht, dass mir deine Jungs nicht so wichtig sind. Aber sie müssen auch lernen, dass wir wissen, was wir tun und dass wir kein unnötiges Risiko eingehen werden.“

In diesem Moment kamen Tom und Nicholas zu uns. Ich vermisste Luc, Lukas und Mick. Es war doch eine Fahrerbesprechung angesagt. Aber Nicholas schien etwas anderes im Sinn zu haben, denn er ließ uns in den Teambus einsteigen und wir nahmen im Besprechungsbereich Platz.

„Bevor ihr euch aufregt warum ihr hier seid und die anderen nicht. Ich habe darum gebeten, da ich nicht möchte, dass sich die Jungs unnötig Sorgen machen. Wir haben vorhin aus Maranello eine Mitteilung bekommen, dass wir an beiden Fahrzeugen den Motor tauschen müssen. Es gibt ein Problem mit den Nockenwellen. Sie stammen aus einer fehlerhaften Charge. Die neu aufgebauten Motoren kommen aber erst morgen Abend aus dem Werk zu uns. Das bedeutet, dass wir das Abschlusstraining und das Top 30 Qualifying noch mit den alten Aggregaten fahren werden.“

„Könnte es auch bereits zu Schäden kommen?“, fragte ich besorgt.

Nicholas schaute Marc fragend an. Da wusste ich schon die Antwort, aber Nicholas erwiderte:

„Ja, es kann zu Schäden kommen. Und es gibt ein ernstes Problem dabei. Diese Schäden treten dann unvermittelt auf. Also ohne Vorwarnung. Der Motor gibt einfach den Geist auf und das meistens mit einem kapitalen Motorplatzer. Das ist nicht ganz ohne Risiko. Das wollte ich zuerst mit euch besprechen wie wir damit umgehen wollen. Sollen wir den Jungs das mitteilen oder da sie morgen nur einen kurzen Run fahren müssen, das erst gar nicht sagen?“

Für mich eine klare Geschichte, aber das war Marcs Baustelle. Es betraf seine Kinder und da würde ich mich nicht ungefragt einmischen. Marc überlegte einen Augenblick und kam zu der Antwort:

„Wie werden es ihnen sagen. Wenn das passieren sollte und sie im Nachhinein herausbekommen, dass wir das gewusst haben, bekommen wir ein Problem. Das will ich auf keinen Fall. Lasst mich das mit ihnen besprechen. Ich denke, wir werden morgen nach dem Frühstück mit ihnen sprechen.“

„Gut, damit bin ich einverstanden“, antwortete Nicholas.

Marc legte noch nach:

„Chris, du solltest es deinen Jungs auch erklären. Denn sie würden es von Luc eh erfahren. Das wäre nicht gut, wenn sie es vorher noch nicht von dir gehört hätten. Oder was denkst du?“

Ein guter Gedanke von Marc. Ich stimmte dem zu und so wurde es beschlossen. Die Motoren würden dann in der Nacht von Freitag auf Samstag getauscht und im morgendlichen Warm up getestet.

Nach dieser kurzen Besprechung führte mich mein Weg zu Heikki. Er hatte mich bereits erwartet.

„Hallo Chris. Wie geht es deinem Rücken? Marc meinte vorhin, dass du gut unterwegs gewesen bist. Wie fühlt sich das für dich an?“

„Noch geht es mit dem Rücken, aber es geht mir jedesmal besser, wenn ich von deinen Wunderhänden behandelt worden bin. Deshalb komme ich gerne zu dir.“

„Na, das höre ich gerne. Dann leg dich bitte auf die Liege.“

Ich machte meinen Oberkörper frei und innerhalb von wenigen Minuten war ich komplett mit den Gedanken woanders. Einfach unglaublich wie es Heikki gelang, mich zu entspannen. Nicht nur das, denn als er fertig war schwebte ich nahezu aus der Kabine. Unglaublich!

Allerdings wurde ich von vielen Augenpaaren im Teambus erwartet. Alles schien auf mich gewartet zu haben, denn als ich in die Lounge kam, fragte mich Dustin:

„Was hat Heikki gesagt? Kannst du morgen wieder ins Auto steigen?“

„Ja, ich darf morgen noch einmal versuchen ein paar Kilometer zu fahren. Der Drache lebt wieder und fühlt sich großartig.“

Marc begann sofort laut zu lachen und das löste die Anspannung schnell auf. Es war auch schon weit nach Mitternacht als ich mit meinen Freunden eine letzte Fassbrause genoss. Das half mir schnell zur Ruhe zu kommen und einschlafen zu können.

Am nächsten Morgen spürte ich wieder die Anspannung bei meinen Jungs. Fynns Eltern wirkten hingegen entspannt und kümmerten sich um Patrick. Es wirkte so, als ob es ihnen und vor allem Fynn unangenehm sei, dass er so neugierig war.

Das gemeinsame Teamfrühstück entwickelte sich zu einem interessanten Gespräch. Stef hatte Marc gefragt ob er immer noch denke, dass ich gut genug für ihn wäre. Meine Jungs fanden das provokativ und vor allem Dustin wollte bereits kontern. Da grätschte ich direkt dazwischen:

„Stopp, Dustin. Bevor du dich aufregst. Stef hat an Marc diese Frage gerichtet und ich denke, Marc sollte sie auch beantworten. Danach kannst du immer noch etwas äußern, sollte es erforderlich sein.“

Dustin schaute mich mit großen Augen an und Fynn legte seinem Freund den Arm um die Hüfte und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Dustin nickte im Anschluss nur und wir lauschten Marcs Antwort:

„Ich weiß zwar nicht warum diese Frage gerade jetzt gekommen ist, aber ein klares „Ja“ ist meine Antwort. Ich glaube sogar, dass Chris noch einiges schneller werden wird. Und es sei noch einmal für alle angemerkt, ich möchte hier ankommen und nicht gewinnen. Außerdem spüre ich sehr wohl die Anspannung bei Chris Jungs. Ihr seid in Sorge um Chris Gesundheit und das finde ich absolut in Ordnung. Allerdings sei erneut gesagt, Chris ist vorsichtig und geht regelmäßig zu Heikki zur Behandlung. Und ich verspreche allen, sollte es zu Problemen kommen, werde ich nicht zögern, Chris aus dem Rennen zu nehmen. Es soll niemand Schaden nehmen. Aber ihr müsst uns auch Vertrauen geben. Habt ihr noch Fragen?“

Nach einer kurzen Gedenksekunde meldete sich überraschenderweise Patrick.

„Ich finde es mega aufregend hier und möchte aber wissen, warum ihr nicht gewinnen könnt? Ich meine du bist ein mehrfacher Weltmeister, eure Autos sind vom Werk in Maranello und dennoch sagst du, ihr könnt nicht gewinnen. Warum?“

Das durfte ja nicht wahr sein. Was für eine Frage und Gedanken. Fynn wurde auch rot und selbst seiner Mutter war das sichtlich unangenehm. Allerdings Marc blieb ganz ruhig und entspannt. Luc war es, der Patrick eine deutliche Antwort gab:

„Ich weiß nicht wie du auf so eine Frage gekommen bist, aber es gibt pro Team drei oder sogar vier Piloten. Jeder Pilot fährt gleichviel. Da ist ein Top Fahrer nicht ausreichend, um so ein Rennen zu gewinnen. Aber wie Marc und Chris es auch bereits gesagt hatten, wir fahren nicht um zu gewinnen, wir wollen gemeinsam über die Ziellinie fahren. Und ich bin guter Dinge, das wir das auch tun werden.“

Das hatte gesessen. Patrick schien sich verstecken zu wollen. Allerdings beruhigte Marc die Situation schnell.

„Leute, entspannt euch. Wir sind hier, weil wir ein tolles Team Event vor uns haben. Gemeinsam etwas Außergewöhnliches zu erleben, das ist unser Ziel. Mehr nicht. Und da wir gerade bei der Weitergabe von Informationen sind, wir haben ein Motorenproblem und das könnte noch schwierig werden…“

Marc erklärte ihnen die Situation mit den fehlerhaften Bauteilen und den möglichen Folgen. Meine Jungs wirkten enttäuscht. Allerdings, als Marc die mögliche Gefahr erwähnte, wurden sie noch ruhiger. Jetzt war ich gefragt:

„Auch hier sage ich, Ruhe bewahren und weitermachen. Es ist doch gar nicht gesagt, dass die Motoren noch kaputtgehen. Vielleicht halten sie heute ja noch durch und dann kommen die neuen Aggregate und alles ist gut. Warum sollte ich mir jetzt den Kopf darüber zerbrechen. Wenn sie kaputtgehen sollten, dann ist das so. Wenn nicht, umso besser.“

„Bist du wirklich so total entspannt dabei? Was ist denn, wenn der Motor bei hoher Geschwindigkeit kaputtgeht? Ist das nicht gefährlich?“, fragte Dustin.

„Nein, ich bin sicher nicht total entspannt. Allerdings vertraue ich Marc in dieser Hinsicht vollkommen. Wenn er mich fahren lässt, dann ist er davon überzeugt, dass es nicht gefährlicher ist als sonst auch. Es kann immer ein Bremsdefekt auftreten und das dürfte dann bedeutend gefährlicher sein. Kommt aber so gut wie nie vor.“

„Nicht mehr“, ergänzte Marc mit einem Grinsen, „früher kam es häufiger zu einem Bremsversagen. Gerade in der Formel 1 war das in den sechziger und siebziger Jahren recht häufig. Heutzutage kommt das wirklich nur noch ganz selten vor.“

Auch wenn unsere Truppe sich mit diesen Aussagen zufrieden gaben und wieder Ruhe einkehrte, wusste ich, dass das ein heikles Thema bleiben würde.

Jetzt wollte ich allerdings meine Aufmerksamkeit unserer Abordnung aus Halle widmen. Marco und Thorsten hatten sich noch mit Carlo, Tim, Malte und Marvin angekündigt. Malte hatte auch seine Eltern dabei. Also es entwickelte sich langsam so, dass wir einen eigenen Fanclub hatten. Das würde sicherlich nicht zu mehr Ruhe verhelfen, aber andererseits zeigte es mir auch, dass wir wirklich ein Team in Halle waren.

„Bevor wir uns dem Geschehen auf der Strecke wieder widmen, möchte ich euch allen einen kurzen Überblick geben. Es wird heute noch zwei Trainingseinheiten geben. Gleich am Vormittag noch ein Qualifying für das Top 30 Fahren und heute Nachmittag dann das Top 30 Abschlusstraining. Tom und ich haben unsere Autos bislang für das Top 30 qualifiziert, aber wir werden sicher noch einmal schnelle Runden fahren müssen. Luc und Chris werden allerdings auch beide noch einmal fahren, genau wie Mick und Lukas. Außerdem wird Chris noch weiteren Besuch aus Halle erhalten. Deshalb haben wir geplant, dass Chris als letzter im Qualifying fahren wird. Habt ihr bis hierher Fragen?“

Marcs Ausblick ließ keine Fragen offen. Allerdings spürte ich sofort wieder das Kribbeln im Bauch. Der Gedanke, erneut auf die Strecke zu gehen, löste Freude und zugleich auch Anspannung aus.

Allerdings hatte ich nur die Aufgabe, ein paar Runden zu fahren, um die Strecke noch besser kennenzulernen. Die schnellen Zeiten würde Marc fahren. Vielleicht würden wir tatsächlich unter den Top 30 bleiben. Das wäre schon ein großer Erfolg.

Nach dem Frühstück nahm ich mir die Zeit, einmal mit Fynns Eltern in Ruhe durch das Fahrerlager zu gehen und mit ihnen über den am Montag beginnenden Urlaub zu sprechen.

„Es ist ein wenig schade, dass ich noch keine richtige Gelegenheit hatte, mit Ihnen über den anstehenden Urlaub zu reden. Fynn und Dustin freuen sich sehr, diese zwei Wochen mit der Familie verbringen zu können. Wie ist das für Sie? Dustin ist jetzt auch offiziell ein Familienmitglied.“

Herr Grehl lächelte als er erwiderte:

„Es ist überhaupt nicht schlimm, denn hier ist viel Trubel und ich bin Ihnen sehr dankbar, dass beide Jungs in den kommenden zwei Wochen keine Turniere spielen müssen. Für mich wird das etwas ganz Besonderes werden.“

„Für uns wird das seit Jahren wieder ein richtiger Urlaub und ich war schon lange nicht mehr so glücklich. Erst hatte Fynn uns mit Dustin als Freund überrascht und dass mein Mann sein Alkoholproblem bearbeitet, ist einfach ein wundervoller Wink des Schicksals. Sie glauben gar nicht, was Sie für Fynn eine Rolle spielen. Ohne Sie wären wir heute nicht hier und dafür bin ich einfach nur dankbar. Selbst Patrick hat größten Respekt vor Ihnen und macht viel weniger Unsinn seit er in Halle auch trainieren kann. Dieses Wochenende hier ist dann sozusagen noch die Krönung. Allerdings muss ich Ihnen auch mit auf den Weg geben, dass ein Unfall von Ihnen für Fynn und Dustin eine Katastrophe wäre. Bitte seien sie umsichtig und übertreiben nicht das Risiko.“

Dabei wirkte Frau Grehl angespannt. Ihre Freude über den anstehenden Urlaub wurde von der Anspannung überdeckt. Bevor ich antworten konnte, kam Patrick hinzu.

„Gibt es Probleme? Oder warum seid ihr hier allein unterwegs?“, polterte er gleich los.

Seinem Vater missfiel diese Art und Weise deutlich. Er hatte schon Luft geholt, aber das war jetzt meine Baustelle.

„Weißt du eigentlich wie unhöflich und distanzlos du gerade bist? Ich bin mit deinen Eltern in einem Gespräch und du kommst hinzu. Da wartet man und hört einen Moment zu und passt einen entsprechenden Moment ab, um dann seine Frage zu stellen. Ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn ich einfach in dein Zimmer stürmen würde, wenn du Besuch hast und nicht einmal vorher anklopfen würde.“

Patrick zuckte zurück und er hatte direkt begriffen, dass ich ärgerlich war. Entsprechend wortlos blieb er stehen und wollte schon wieder gehen. Aber das wollte ich wiederum nicht.

„Du musst dich nicht gleich wieder davonmachen. Versuche doch einfach nochmal deine Frage zu stellen und es geschickter zu machen.“

Dabei lächelte ich wieder und hatte auch meine Stimme wieder deutlich ruhiger klingen lassen. Patricks Körper entspannte sich und er nickte stumm. Was dann folgte, erfreute mich und seine Eltern.

„Okay, das sehe ich ein. Es tut mir leid, aber sonst habt ihr immer nur Probleme besprochen wenn ihr allein gewesen seid. Ich möchte aber hier keine Probleme haben. Darf ich daher fragen, worüber ihr hier redet?“

„Na klar, fragen darfst du alles. Wir reden einfach über die Situation allgemein. Was sich alles so verändert hat und in welcher Zeit. Und um deine nächste Frage gleich mit zu beantworten, ich bin mit deinen Eltern einer Meinung. Wir sind sehr froh über die aktuelle Situation und ich freue mich für euch, dass ihr zwei Wochen gemeinsamen Urlaub vor euch habt. Genießt diese Zeit.“

Patricks Gesicht war grandios. Dass ich ihn einmal vollkommen sprachlos erlebte war ein tolles Schauspiel. Auch seine Mutter musste grinsen und klatschte Beifall. Also hatte ich wohl die richtigen Töne angeschlagen.

„Chris, hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du richtig gemein sein kannst“, erwiderte Patrick kleinlaut.

„Nein, eigentlich nicht. Weil ich auch nicht gemein bin, aber ich bin manchmal sehr präzise in der Situationsanalyse.“ Und dabei konnte ich ein Grinsen einfach nicht unterdrücken.

Jetzt hatte auch Patrick wieder ein Lächeln im Gesicht, denn er hatte eingesehen, dass er nun verloren hatte. Allerdings hatte er auch begriffen, dass ich nicht wirklich sauer auf ihn war. So entspannte sich die Situation schnell und er beteiligte sich sogar an unserer weiteren Unterhaltung.

Als wir einige Minuten zurück in der Box waren, liefen die Motoren bereits warm. Marc hatte schon seinen Helm auf das Dach des Ferraris gelegt. Von weitem konnte ich bereits erkennen, dass er mit Luc in einem intensiven Gespräch wohl über die Strecke war. Marcs Hände kreisten durch die Luft und simulierten einen Streckenverlauf. Luc schaute genau hin und nickte immer wieder. Schnell stellte ich mich deshalb dazu. Solche Informationen waren für mich auch sehr wichtig. Marc hatte einfach zu viel Erfahrung, um das zu verpassen.

„Ah, Chris. Sehr schön, dann kann ich es dir auch gleich mitteilen. Wir haben am Schwedenkreuz eine Ölspur und das könnte dort rutschig sein. Auch wenn die Streckenmarshalls das Öl mit Bindemittel bereits aufgenommen haben, könnte es dennoch problematisch werden. Bitte nehmt dort ein wenig Speed raus und bleibt auf der linken Seite. Dann sollte dort alles ohne Probleme gehen.“

„Schwedenkreuz? Ich muss gerade einen Moment überlegen. Da folgt in Aremberg die enge Rechtskurve, richtig?“

„Sehr gut, Chris. Genau da. Und normalerweise fährt man da auf der rechten Seite an und zieht dann nach links. Das könnte beim Anbremsen jetzt kritisch werden. Deshalb etwas früher anbremsen und links rüber ziehen.“

Marc machte mit seinen Händen noch einmal deutlich was er meinte. Ich hatte es verstanden und abgespeichert. Im Anschluss stieg Marc in den Boliden und ließ sich von Luc anschnallen.

Luc wirkte angespannter als am Tag zuvor. Mir war nicht klar warum. Deshalb hielt ich mich ein wenig mehr im Hintergrund und ließ Luc mehr Freiraum mit seinem Freund Stef. Dieser verstand es mittlerweile exzellent, Luc vom eigentlichen Geschehen abzulenken.

Ich nutzte die Situation und nahm mir meine Jungs mit nach vorn an den Kommandostand. Dort verfolgten wir die aufleuchtenden Abschnittszeiten. Marc machte deutlich, dass er jetzt auf dem Weg war, das Limit auszuloten. Das erhöhte auch meinen Puls und als er bereits nach der ersten gezeiteten Runde auf Platz dreizehn lag, musste ich tief ausatmen. Mein Blick ging zuerst in Richtung Luc. Was hatte Marc vor? Warum schon so früh alles auf eine Karte setzen? Luc hatte glücklicherweise keinen direkten Blick auf einen Monitor. Er hatte also noch nicht mitbekommen, was Marc gerade dabei war zu tun. Dustin und Fynn hatten es hingegen genau mitbekommen. Und die Zeiten wurden noch schneller. Bereits die erste Zwischenzeit in der zweiten schnellen Runde war noch einmal einige Sekunden schneller. Hoffentlich würde es Marc nicht übertreiben.

Unser Teamchef Nicholas winkte mich zu sich und reichte mir erneut einen Kopfhörer. Darüber konnte ich den Funkverkehr mithören.

Marc beschwerte sich über einige langsam fahrende Konkurrenten, die nicht ausreichend Platz machten. Das hörte sich schon ein wenig nach großem Ehrgeiz von Marc an. Allerdings behielt ich diese Eindrücke für mich. Sonst würden Luc und auch meine Jungs ängstlich werden und das wollte ich auf keinen Fall.

Als Marc in seiner letzten schnellen Runden über Start und Ziel fegte, hatte er sich auf die sechste Position verbessert. Das war viel viel mehr als zu erwarten war. Jetzt war auch ich gespannt, ob und wie Sabine reagieren würde.

Und die Reaktion ließ auch nicht lange auf sich warten, denn noch bevor Marc zurück in der Box war, tauchte Sabine bei uns auf. Allerdings wirkte sie äußerlich sehr ruhig. Sie schaute sich allerdings Luc genauestens an und als Marc schließlich den Motor in der Box abstellte, nahm sie ihren Mann freundlich in Empfang. Marc wirkte überrascht über diese Reaktion. Immerhin war er sehr schnell unterwegs gewesen.

Erst als Marc den Stint von Luc vorbereitete, schaltete sich Sabine ein. Sie ging zu ihrem Sohn, der bereits im Auto saß und teilte ihm einige Dinge mit. Keine besondere Szene, aber die Wirkung bei Luc war sichtbar. Marc mischte sich auch nicht ein.

Luc fuhr ohne weitere Verzögerungen aus der Box.

Danach gesellten sich meine Jungs und Sabine zu mir. Sabine meinte:

„Wenn du auch auf die Idee kommen solltest, meinem Mann nachzueifern und ähnliche Zeiten fahren zu wollen, werde ich sehr ungemütlich. Nur weil ich ganz großes Vertrauen in Marcs Fähigkeiten habe, lasse ich das durchgehen.“

Sofort waren alle Augen auf mich gerichtet und insbesondere bei Dustin veränderte sich die Körperhaltung. Bevor ich allerdings reagieren konnte, tauchten plötzlich Thorsten, Marco und meine restlichen Jungs aus Halle auf. Mit einem großen „Hallo“ wurden alle begrüßt. Insbesondere für Malte und Marvin war dieser Besuch ein Highlight und entsprechend schüchtern standen sie in der Box.

Aber ich brauchte überhaupt nicht tätig zu werden, denn sofort kümmerten sich die anderen Jungs um die Neuankömmlinge und führten sie herum. Ich konnte mich also in Ruhe auf meinen „Run“ vorbereiten.

Im geistigen Auge ließ ich noch einmal die ganze Strecke ablaufen und erinnerte mich an die Ölspur im Schwedenkreuz.

Luc fuhr bereits seine zweite gezeitete Runde und das sah auch gleich deutlich ruhiger aus. Sabine wirkte wieder entspannter. Marc kam dann doch noch einmal zu mir und ermahnte mich, es nicht zu übertreiben.

„Keine Sorge. Ich möchte heute Abend noch lebend in mein Bett kommen. Sollte ich zu schnell sein, würde mich vermutlich Dustin als erster ins Gebet nehmen und deine Frau vermutlich dann als nächste. Das möchte ich vermeiden, denn es könnte sonst weh tun. Außerdem bin ich schon alt und eingerostet.“

Marc fing an zu lachen und schüttelte wortlos seinen Kopf. Erst danach bekam ich noch ruhig und sachlich einige Hinweise von ihm.

Und als ich mich dann mit den letzten Vorbereitungen beschäftigte, spürte ich die steigende Nervosität in mir. Luc kam ohne Probleme zurück in die Box und zeigte mir den Daumen hoch. Allerdings das Anschnallen überließ er Marc. Luc legte schnell seinen Helm ins Regal und holte sich dann von Stef einen Kuss ab. Erst jetzt fiel mir auf, dass alle Freunde aus Halle hinten an der Boxenwand standen und keiner an meinem Auto. Dort standen nur noch Marc und unser Ingenieur. Marc gab mir die letzten Informationen und dann schloss er die Fahrertür. Es ging los!

Luc: Chris ist unterwegs

In meinem Run hatte ich zwar keine Probleme, aber Papa ist um Welten schneller unterwegs gewesen und das auch noch ohne ein zu großes Risiko eingegangen zu sein. Das beeindruckte mich doch mehr als ich gedacht hatte. Immerhin war Papa schon viele Jahre nicht mehr im Rennsport aktiv.

Da ich selbst auch extrem nervös gewesen war, als ich ins Auto stieg, ließ ich jetzt Papa das Anschnallen von Chris übernehmen. Chris wirkte äußerlich ruhig wie immer. Allerdings traf das auf Fynn und Dustin überhaupt nicht zu. Auch Justin wirkte nicht mehr so locker wie sonst. Lediglich Maxi scherzte mit Marvin und Malte ein wenig herum.

Thorsten stand bei Mama und unterhielt sich gelöst mit ihr. Daher entschied ich mich, zuerst zu Mama zu gehen und ihr zu berichten wie es für mich war.

Mama hörte sich meinen Bericht aufmerksam an und als ich geendet hatte, kam eine für mich überraschende Reaktion:

„Ich bin sehr froh, dass du deinen eigenen Rhythmus gefunden hast und Marc nicht als Maßstab nimmst. Hoffentlich wird Chris einen ähnlich guten Weg für sich finden.“

Thorsten schaute Mama fragend an. Mir war vollkommen klar, dass Chris seine Grenzen nicht bewusst überschreiten würde. Allerdings konnte ich auch spüren, dass Fynn und Dustin meinem Bericht sehr genau zuhörten. Erst als Mamas Reaktion kam, ließ Dustin seine Schultern sacken und kam die zwei Schritte zu uns heran als ich Mama antwortete:

„Da bin ich mir recht sicher. Chris weiß ganz genau, dass Papa in einer anderen Liga fahren kann. Papa erwartet auch keine schnellen Zeiten von Chris. Ich glaube aber, dass Chris mindestens genauso schnell fahren kann wie ich. Schauen wir doch gleich einmal. Wenn die Runde auf dem Grand Prix Kurs zu Ende ist, beginnen Chris seine gezeiteten Runden.“

Und die erste Runde auf der Nordschleife fuhr Chris sehr ruhig. Keine wirklich interessante Zeit. Aber bereits der erste Zeitabschnitt in der folgenden Runde leuchtete grün auf und war nahezu auf meinem Level. Jetzt wurde ich neugierig, ob Chris sich noch weiter steigern oder ob das Niveau halten würde.

Stef hatte sich neben mich gestellt und hinter mir standen die vier Haller Jungs. Alle schauten auf den Monitor vor uns. Als die zweite grüne Zeit aufleuchtete, staunte ich nicht schlecht. Sie war sogar zwei Sekunden schneller als meine schnellste Runde. Sofort wurde Dustin unruhiger und auch Fynn wirkte nicht mehr so locker. Justin hingegen brachte es auf den Punkt.

„Hey Leute, entspannt euch wieder. Schaut euch die Onboardbilder an. Chris kurbelt ganz locker am Lenkrad. Das sieht sehr sicher aus. Außerdem hat er in dieser Runde bislang kaum Verkehr gehabt. Deshalb konnte er auch recht zügig fahren.“

Sofort sprang Dustin förmlich vor den Onboardmonitor. Fynn folgte ihm und währenddessen leuchtete eine weitere Zwischenzeit auf. Sie war erneut grün und wieder deutlich unter meiner Zeit.

Wohin hatte sich eigentlich Papa verdrückt? Er war nicht in der Box. Ich schaute zu Mama. Sie zeigte nur mit dem Finger auf die Boxenmauer. Ich drehte mich um und Papa stand neben Nicholas am Kommandostand. Jetzt wollte ich aber doch wissen, was Papa von den Zeiten hielt. Bevor ich die Boxengasse überquerte, schaute ich nach links ob ein Fahrzeug kommen würde. Es war frei und ich stellte mich hinter Papa.

Schnell bekam ich mit, dass er gerade mit Chris über Funk sprach. Papa wirkte ruhig und zufrieden mit Chris Antworten.

„Wie macht sich Chris gerade? Er legt ganz schön Tempo vor, oder? Er ist schneller unterwegs als ich.“

Papa hielt mir nur seine Hand entgegen, um zu zeigen, dass er gerade nicht reden kann. Papa wirkte angespannter als es nach außen wirkte. Erst nach einem weiteren Augenblick drehte sich Papa zu mir um.

„Ja, er ist gut unterwegs. Allerdings hat er selbst gespürt, dass es an dem wenigen Verkehr liegt. Er fühlt sich gut und noch nicht am Limit. Er soll genau so weiterfahren und so lange Tempo machen wie er sich gut fühlt. Dann schauen wir mal. Aber ich bin auf der Hut und verspreche dir, dass ich sofort reagiere, sollte er die Linie nicht mehr sauber halten. Du kannst auch Dustin und Fynn das ausrichten. Sie brauchen sich im Moment nicht zu sorgen oder aufzuregen. Alles ist unter Kontrolle.“

Papa schaute mir in die Augen und mein Gefühl war gut dabei. Damit konnte ich zurück zu den anderen gehen.

Dustin schaute mich fragend an und auch Thorsten wirkte angespannt. Malte und Marvin hingegen waren euphorisch angesichts der Zeiten. Carlo und Tim hingegen hielten sich schon die ganze Zeit auffallend zurück.

Marco und Thorsten schienen sich über die Situation zu unterhalten und ich beschloss, genau dorthin zu gehen.

Plötzlich kam Unruhe in der Box auf. Die Mechaniker schienen sich auf einen ungeplanten Stopp vorzubereiten. Einer der Mechaniker bat uns, ein wenig mehr Platz zu machen. Schnell gingen wir hinten an die Boxenwand und warteten dort auf die Dinge, die nun folgen sollten.

Papa blieb vorn. Daher ging ich davon aus, dass es sich nicht um unser Fahrzeug handeln würde. Und genau so war es auch. Mick kam mit einem unrund laufenden Motor zurück in die Box. Sofort stand Tom mit dem Ingenieur bei ihm an der Fahrertür und sie berieten, was das Problem sein könnte.

Malte und Marvin kamen zu mir.

„Weißt du was es für ein Problem ist? Und betrifft das auch das Auto von Chris?“, fragte Malte recht aufgeregt.

Ich hatte keine Ahnung, denn ich hatte ja nicht mit Mick sprechen können. Da tauchte Lukas bei mir auf und klärte uns über die Lage auf.

„Der Motor läuft nicht mehr rund. Möglicherweise haben wir jetzt das Problem mit der Nockenwellensteuerung. Und es sind uns einige Zylinder abhanden gekommen. Die Techniker lesen gerade die Daten aus und schauen sich die Telemetrie noch einmal genau an. Hoffentlich ist es ein anderes Problem. Sonst ist das Training hier für uns zu Ende.“

„Puh, das wäre Scheisse“, meinte Malte betroffen.

„Vor allem wäre das bei Chris Auto dann bald auch genauso“, ergänzte Fynn niedergeschlagen.

„Hey, das ist absolut nicht gesagt. Niemand weiß, ob es überhaupt mit dem angekündigten Problem zu tun hat. Also bleibt mal locker.“

Ich wollte keine Unruhe in der Box und Papa schien zu merken, dass etwas in Bewegung geraten war. Er verließ seinen Platz und kam mit Kopfhörern zu Mick an die Tür. Ein paar schnelle Sätze und dann trat er zu uns in die Gruppe.

„Bevor hier unnötig Stress entsteht, das Training ist für Tom, Mick und Lukas zu Ende. Wir haben ein defektes Auslassventil und der Motor ist kaputt.“

Sofort fragte Fynn nach:

„Ist es das angekündigte Problem mit der Nockenwelle? Und was ist mit Chris? Ist das jetzt nicht gefährlich wenn er weiterfährt?“

Marc zögerte keine Sekunde mit der Antwort:

„Ja, das ist das angekündigte Problem und momentan läuft Chris Motor bestens. Also kann er auch ohne Einschränkungen weiterfahren.“

Bevor Fynn weitere Fragen stellen konnte, drehte sich Marc wieder um und marschierte zurück an den Kommandostand.

Fynn schaute mich an und ich spürte seine Unruhe. Deshalb beschloss ich, mit Dustin und Fynn aus der Box zu gehen. Stef hatte meine Gedanken erkannt und kam sofort mit. Hinter der Box begann das Fahrerlager und dort erwiderte ich auf Fynns Unruhe:

„Jetzt kommt mal wieder runter. Papa würde niemals etwas zulassen was gefährlich sein würde. Momentan gibt es keinerlei Anzeichen für ein Problem an Chris Motor. Also fährt er normal weiter. Ihr müsst auch Papa Vertrauen geben, nicht immer gleich das Schlimmste annehmen. Das geht auf die Dauer nicht.“

Insbesondere Dustin schaute mich an und was dann folgte, berührte mich sehr:

„Du hast was den Kopf und die Logik betrifft Recht, aber mein Bauch empfindet es anders und dort entwickelt sich Unwohlsein. Chris hat immer gesagt, dass wir das aussprechen sollen was uns beschäftigt. Genau das tue ich gerade. Und ich habe halt im Moment kein gutes Gefühl.“

Plötzlich hörte ich hinter mir eine Stimme:

„Das kann ich bestens verstehen, Dustin. Es ist aber auch so, dass ich lernen musste, Marc an diesen Stellen absolut zu vertrauen. Er würde niemals etwas zulassen, dass Chris gefährden würde. Genau wie bei unseren Kindern. Marc ist sehr ehrgeizig, Luc übrigens auch, aber Marc hat mittlerweile gelernt, dass Gelassenheit ein genauso wichtiger Faktor für Erfolg ist. Und es ist richtig und wichtig, dass ihr eure Gefühle aussprechen könnt. Genau das war früher für Mick und Lukas ganz schwer, weil Marc ihre Gefühle nicht ernst nehmen konnte. Chris wird euch immer ernst nehmen, egal was ihr ihm mitteilen wollt. Das heißt aber nicht, dass er immer das tun wird was ihr euch wünscht.“

Mama hatte sich zu uns gesellt und legte jetzt ihre Arme um Dustin und Fynn. Dabei lächelte sie und zwinkerte Stef und mir zu. Diese Situation führte dazu, dass sowohl Dustin als auch Fynn mit Mama wieder in die Box gingen. Wir folgten ihnen.

Allerdings herrschte dort reges Treiben. Die Mechaniker hatten bereits begonnen, die Vorbereitungen für den Motorwechsel zu treffen. Da standen jetzt einfach zu viele Leute in der Box und ich entschied mich, unsere Gäste zu bitten die Box zu verlassen. Unser Ziel war das Motorhome des Teams. Dort konnten wir alles an Monitoren verfolgen und hatten unsere Ruhe. Durch die hohe Personenzahl wurde es eng in der Lounge. Aber auch gemütlich.

Dass plötzlich mit der roten Flagge das Training abgebrochen wurde, bekamen wir erst mit, als Lukas zu uns in die Lounge kam und uns darauf hinwies. Das lenkte unsere Aufmerksamkeit wieder voll auf das Geschehen an der Strecke.

Chris: Feuer

Ich war in meiner dritten fliegenden Runde, hatte mir von Marc die Rückmeldung eingeholt, dass ich ruhig weiter Gas geben dürfe. Auch wenn Tom mit seinem Auto einen Motorschaden hatte. Das Team war der Meinung, so lange fahren wie die Motoren halten.

Plötzlich am Streckenabschnitt Fuchsröhre sah ich doppelt geschwenkte gelbe Flaggen. Bereits auf der Hälfte der Vollgasstrecke. Dort hatte ich ungefähr zweihundertsechzig auf der Uhr stehen. Also voll in die Eisen steigen und Tempo drosseln auf sechzig. Beim Einlenken in die letzte Linkskurve am Adenauerforst wurde plötzlich die rote Flagge gezeigt. Also noch mehr Tempo reduzieren und als ich durch die Linkskurve war, sah ich nur noch drei große Trümmerhaufen auf der Strecke verteilt liegen. Weißer Rauch stieg aus allen drei Fahrzeugen auf und überall lagen Wrackteile herum.

Alles war blockiert und die Streckenposten noch nicht an die Fahrzeuge herangekommen. Also musste das gerade erst passiert sein. Ich stellte meinen Wagen an den rechten Fahrbahnrand und schaltete die Warnblinkanlage ein, damit auch die nachfolgenden Autos gewarnt wurden. Bei den GT3 Fahrzeugen war das übrigens Pflicht.

Was dann folgte, hatte ich schon lange nicht mehr im Motorsport erlebt. Es gab einen Knall und eines der verunfallten Fahrzeuge stand urplötzlich in Flammen. Streckenposten waren inzwischen am Fahrzeug, der Pilot allerdings noch im Auto. Eigentlich war es die Aufgabe der Posten und Streckensicherung, aber diese hatten keine feuerfesten Overalls an. Und an dieser Stelle würde es wohl noch Minuten dauern bis die Feuerwehr eintreffen würde.

Neben mir stand der Mercedes AMG von Luca Ludwig und auch dort öffnete sich sofort die Fahrertür. Wir sprangen beide aus unseren Autos. Am verunfallten Auto standen die Posten mit Feuerlöschern, aber die Hitze hielt sie davon ab näher heranzugehen. Ich nahm mir also einen Feuerlöscher und blies in das Feuer. Luca tat es mir gleich und so hatten wir für einen Moment keine Flammen mehr, nur noch Qualm. Das nutzte ich, um den bewusstlosen Piloten abzuschnallen und gemeinsam mit Luca aus dem Auto zu holen. Der Qualm war beißend und ätzend, aber es gab keine Alternative.

Als wir den Piloten neben der Strecke abgelegt hatten, blieb mir für einen Augenblick die Luft weg. Ich kniete mich hin und wollte mir den Helm abnehmen, aber der eingeatmete Rauch hatte mich schon zu sehr benebelt.

Als ich wieder klar wurde, saß ich an der Leitplanke und Luca Ludwig hockte vor mir. Einer der Rennärzte saß neben mir.

„Was ist mit dem Piloten und den anderen Fahrern?“, fragte ich besorgt.

„Alles in Ordnung. Es sieht für alle gut aus. Einer scheint doch etwas mehr abbekommen zu haben, aber keine Lebensgefahr. Ihr habt ihn noch rechtzeitig aus dem Auto holen können. Wie geht es dir?“, fragte mich der Doc freundlich und ruhig.

Ich schaute mich um und überall standen Ambulanzwagen und Streckensicherungsfahrzeuge und auch zwei große Feuerwehrwagen standen mittlerweile an der Unfallstelle. Es sah schon ziemlich wüst aus.

Erst jetzt kam mir in den Sinn, dass meine Truppe vermutlich noch nicht wusste, was genau mit mir passiert war. Also bemühte ich mich, langsam aufzustehen. Etwas wackelig auf den Beinen ging ich zu meinem Ferrari und stöpselte meine Funkleitung wieder ein.

„Hallo? Kann mich jemand hören?“, sprach ich in die Leitung.

„Chris? Bist du okay? Wo stehst du genau? Und was ist passiert?“, hörte ich eine mir gut bekannte Stimme. Marc hatte sich gemeldet.

„Ja, mir geht es gut. Auch das Auto ist heil geblieben. Ich konnte noch rechtzeitig anhalten und habe nur etwas zu viel Qualm eingeatmet. Aber jetzt geht es wieder. Sag den Jungs, dass es mir gut geht und ich nicht in den Unfall verwickelt war.“

„Ganz ruhig. Deine Jungs wissen schon Bescheid. Wir konnten das Ganze am Videomonitor beobachten. Hier ist alles ruhig und deine Jungs wollen nur wissen, ob es dir wirklich gut geht.“

„Danke, das hört sich beruhigend an. Ja, bei mir ist alles gut soweit. Sobald die Strecke geräumt ist, komme ich zurück an die Box.“

Danach setzte ich mich erst einmal in das Fahrzeug und schaute mich um. Das Fahrzeug, das in Flammen aufgegangen war, lag komplett ausgebrannt auf der Strecke. Mir war sofort bewusst, hier müsste sogar die Strecke repariert werden. Durch die Hitze hatte der Asphalt sehr wahrscheinlich Schaden genommen.

Es kamen drei Abschleppwagen und so wurde die Strecke zügig geräumt und nach etwa zwanzig Minuten konnte man die Stelle passieren. Allerdings hatte ich nun das Problem mit dem Anschnallen. Das war recht schwierig ohne Helfer. Ich entschied mich, den Gurt so gut wie möglich selbst anzulegen und dann langsam zurück in die Box zu fahren. Alle anderen Fahrzeuge standen ja bereits dort. Nur die nach uns gefolgten Piloten mussten auch noch in ihre Boxen fahren.

In meinem Kopf machte ich mich schon bereit, eine aufgeregte und vermutlich auch erboste Truppe würde mich empfangen.

Als ich endlich in die Box rollte, spürte ich starke Kopfschmerzen. Ich war froh, als ich den Motor abstellte, dass mir Marc die Tür öffnete. Mein Sauerstoffgehalt im Blut schien noch nicht wieder normal zu sein. Es fiel mir schwer, aus dem Sitz zu kommen und Marc spürte es sofort, dass etwas nicht ganz in Ordnung war. Schnell hatte er sich Luc heran gewunken, denn hier durften nur Mechaniker und Piloten an die Fahrzeuge. Solange man in der Boxengasse stand war alles andere streng verboten. Luc und Marc halfen mir aus dem Auto und nahmen mir so schnell es ging den Helm ab. Sauerstoff strömte in meine Lungen und das half mir enorm.

Luc führte mich in die Box und direkt nach hinten hinaus ins Fahrerlager. Was mir noch gar nicht klargeworden war, meine Jungs waren gar nicht da. Luc informierte mich auf dem Weg:

„Bevor du dich aufregst, deine Jungs sind mit Mama in den Bus gegangen und warten dort auf dich. Dort haben wir unsere Ruhe und Heikki ist auch schon dort. Er wird dich sofort behandeln und dafür sorgen, dass du schnell wieder fit bist.“

Schnell waren wir dort angekommen und als Luc mit mir die Lounge im Heck betrat, herrschte für eine Sekunde völliges Schweigen, dann brach lauter Applaus und Jubel aus. Aber als sie realisierten, dass ich von meinem Normalzustand weit weg war, wurde es schnell still. Heikki kam direkt auf mich zu und erkundigte sich.

„Was ist genau dein Problem? Du hast vermutlich zu viel Qualm eingeatmet.“

„Genau. Ich habe starke Kopfschmerzen und bekomme immer noch schlecht Luft.“

Heikki blieb ruhig und dann gab er klare Anweisungen an Luc und auch an Stef. Heikki bestand darauf, dass Marc herkommen solle. Mir war das jetzt zu viel Aufsehens, aber andererseits kannte ich Heikki mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er genau wusste was jetzt wichtig war. Also ließ ich das einfach so geschehen und setzte mich in einen Sessel.

Dustin und Fynn kamen mit Justin und Maxi zu mir. Dustin fragte:

„Können wir etwas für dich tun? Wir haben alles am TV gesehen und das war heftig auf der Strecke. Wie ihr den anderen Piloten da herausgeholt habt, einfach nur geil. Großen Respekt! Hattest du keine Angst es könnte eine Explosion geben?“

Was für eine Entwicklung von Dustin. Vor einem halben Jahr hätte er sich komplett verrückt gemacht und nicht so differenziert geurteilt.

„Danke euch, aber das ist in der Situation eine Selbstverständlichkeit. Jeder andere Pilot hätte es genauso gemacht. Und auf die Frage nach der Explosion, nein, entweder es knallt direkt oder gar nicht. Für mich war das Feuer nicht das Problem. Es wäre schlimm gewesen, wenn der Pilot eingeklemmt gewesen wäre. Dann hätten wir vermutlich keine Chance gehabt.“

Dann bekam ich einen Hustenanfall und musste erst einmal Luft holen.

Sabine reichte mir eine Flasche Wasser und lächelte dabei.

„Hier, das hilft. Und je mehr ich von dir kenne, desto klarer wird es, wie viel Ähnlichkeit du mit Marc hast. Ihr könntet glatt Brüder sein.“

Mehr kam jetzt nicht. Auch meine Jungs wirkten beeindruckt und überrascht. Was mich wunderte, die anderen Jungs blieben auf Abstand. Allerdings bemerkte ich eine Unruhe bei Patrick, Malte und Marvin. Sie konnten nur mit Nachdruck von ihren Eltern daran gehindert werden, zu mir zu kommen.

Tim und Carlo hielten sich zwar an die großen Jungs, aber sie wirkten ungewöhnlich still. Ich musste leider auch feststellen, dass ich viel zu wenig Zeit für die Gruppe aus Halle hatte. Es waren viele Leute gekommen, um uns zu unterstützen und ich hatte bislang kaum Gelegenheit mich mit ihnen in Ruhe zu unterhalten. Das störte mich gewaltig.

Dann betrat Marc den Bereich und fragte:

„Was ist denn los? Gibt es doch ein Problem mit Chris?“

Dabei schaute er Heikki genau an. Er musste Heikki wirklich sehr gut kennen, denn sofort realisierte Marc, dass es wohl doch nicht so einfach sein würde. Heikki gab auch ein direktes Statement ab:

„Ja, es gibt ein Problem. Chris hat viele Brandgase eingeatmet und jetzt doch Probleme mit der Sauerstoffaufnahme. Ich möchte ihn sofort behandeln und daher möchte ich, dass er heute nicht mehr auf die Strecke zurück geht. Ich weiß, dass er eigentlich noch eine Runde fahren müsste, aber …“

Marc unterbrach ihn:

„Stopp, Heikki. Wenn du sagst, es sei besser ihn sofort zu behandeln, dann ist das so und wird auch so gemacht. Wir werden mit der Rennleitung sprechen, damit er dennoch starten kann. Das sollte auch gar kein Problem sein. Wichtig ist, dass es dir gelingt ihn für morgen wieder fit zu bekommen. Was genau ist das Problem?“

„Ich habe Probleme beim Atmen und immer noch starke Kopfschmerzen. Außerdem fühle ich mich nicht gut.“

Es fiel mir schwer zuzugeben, dass ich in diesem Zustand nicht mehr in das Fahrzeug gehörte, aber alles andere wäre unvernünftig gewesen.

„Gut, damit ist das geklärt. Chris geht mit Heikki mit und wir kümmern uns um die Situation hier. Und nicht, dass du auf komische Gedanken kommst. Es ist richtig, dass du heute nicht mehr fährst. Darüber möchte ich auch überhaupt nicht diskutieren.“

Marc schaute in die Runde und ich konnte erkennen, dass er über irgendetwas nachdachte. Plötzlich sagte er zu Tim und Carlo:

„Ihr beide begleitet Chris und passt auf, dass er nachher wieder fit ins Fahrerlager kommt.“

Die beiden Jungs schauten sich überrascht an, aber sprangen auch förmlich von ihren Sitzgelegenheiten auf, um mich zu begleiten.

Kaum waren wir aus dem Bus und an der frischen Luft, fingen sie an lebendig zu werden.

„Wie geht es dir? Du hast vorhin richtig blass ausgesehen. Wir haben uns Sorgen gemacht und als du nicht mehr allein aussteigen konntest, haben wir Angst bekommen.“

„Ja, Tim. Das kann ich verstehen. Es ist aber nichts Ernstes passiert. Ich habe nur etwas viel ungesunden Qualm einatmen müssen.“

Tim und Carlo gingen neben mir während Heikki vorweg schritt. Plötzlich drehte er sich um und erwiderte:

„Also nichts Ernstes ist auch untertrieben. Es gibt genug Leute, die an einer Rauchvergiftung gestorben sind. Du als Feuerwehrdrache weißt das sicher gut genug. Also ich nehme das schon ernst und werde dich jetzt richtig behandeln und wieder auf die Beine stellen. Morgen sollte das vergessen sein.“

Insbesondere Tim schaute Heikki jetzt ziemlich ängstlich an. Mir passte diese Art von Heikki auch gerade nicht. Mit mir allein - in Ordnung. Aber im Beisein der Jungs war das nicht klug.

Carlo fragte daher sofort nach:

„Also du bist dir sicher, dass Chris morgen wieder fahren kann? Wir brauchen keine Angst haben?“

„Richtig. Morgen wird er wieder ganz der alte Drache sein, wie ihr ihn kennt. Nur heute sollte er sich nicht mehr hinter das Lenkrad setzen.“

Fynn: Motorsport ist doch gefährlich

Sabine hatte uns nach dem Unfallgeschehen und der Rettungsaktion von Chris aus der Box ins Fahrerlager mitgenommen. Allerdings hatte ich heute nicht mehr so viel Angst. Ich konnte es klar erkennen, dass Chris nicht in den Unfall verwickelt war. Er hat sich aber durch die Rettungsaktion selbst in Gefahr gebracht. Aber auch Dustin war stolz auf Chris. Damit hatte er dem Piloten des verunfallten Fahrzeuges vermutlich das Leben gerettet.

„Warum muss Chris eigentlich immer da sein wo es brennt? Kann er nicht einmal darauf warten, dass die Feuerwehr kommt. Was wäre denn, wenn das Auto explodiert wäre.“

Dustin hatte ausgesprochen, was ich ebenso befürchtet hatte. Im Kopf hatte ich mir eine nahezu identische Frage gestellt.

„Weil er eben ein Feuerwehrdrache ist. Auch wenn er in einem Rennauto sitzt. Das sitzt so tief drin. Und ich glaube, dass er sehr genau gewusst hatte was zu tun war. Ihr habt also keinen Grund zu zweifeln. Chris wird morgen wieder der alte Drache sein. So wie ihr ihn kennt.“

Marc war uns mittlerweile in die Lounge gefolgt und ließ gar keinen Zweifel aufkommen, dass Chris bald wieder fit sein würde.

Mein Bruder wirkte aber dennoch eingeschüchtert. Er war verdächtig still. Papa hatte sich zu ihm gestellt und den Arm um die Schulter von Patrick gelegt. Ein schönes Bild, wie ich es schon ganz lange nicht mehr wahrgenommen hatte. Auch Patrick schaute zu Papa auf und entspannte sich wieder. Für mich war das ein gutes Gefühl, dass Papa wieder wie früher sein konnte und der Alkohol keinen Einfluss mehr hatte.

„Und es muss jedem klar sein, Motorsport ist auch heute noch gefährlich“, merkte Sabine mit einem Seufzer an.

„Gehen Luc oder du noch einmal auf die Strecke oder ist das Training jetzt für euch beendet?“, fragte ich Marc.

„Nein, wir gehen nicht mehr raus. Vermutlich wird niemand mehr fahren, da erst die Strecke instandgesetzt werden muss. Nicholas meinte eben, sie werden bereits jetzt mit dem Motorentausch für beide Fahrzeuge beginnen. Auch wenn die neuen Motoren noch nicht hier sind. Der Ausbau beginnt bereits jetzt. Und da Chris jetzt auch eine Runderneuerung erhält, werden wir morgen wie neu sein.“

Früher hätte ich mich über diese Ironie tierisch aufgeregt. Heute musste ich lachen. Marc hatte das mit einem breiten Grinsen gesagt, so konnten alle nur darüber lachen. Sogar Justin hatte dies als Scherz verstanden.

Es gab einen Vorteil aus dem vorzeitigen Ende des Trainings, denn wir konnten das Fahrerlager recht früh verlassen und einmal mit allen des Haller „Fan-Clubs“ in das Motorsportmuseum des Nürburgrings gehen. Dafür wäre sonst kaum Zeit geblieben. Interessant könnte es außerdem werden, wenn andere Museumsbesucher Marc und Tom dort erkennen würden und dadurch sicher auch entsprechenden Trubel auslösen.

Es dauerte einige Zeit bis wir alle vor dem Eingang versammelt waren. Nur Chris und Heikki fehlten noch. Das machte mir mehr zu schaffen als ich zu Beginn erwartete, denn es waren mittlerweile schon zwei Stunden vergangen und von Chris war immer noch nichts zu sehen. Ich fragte deshalb Marc vor dem Betreten des Museums:

„Kommt Chris noch nicht mit? Ist die Behandlung so aufwendig? Ich mache mir etwas Sorgen.“

Marc stand neben mir und legte seinen Arm auf meine Schulter. Dustin hatte meine Frage auch mitbekommen.

„Keine Sorge. Heikki hat mir vor fünf Minuten geschrieben, dass er die Behandlung für den Museumsbesuch unterbricht. Chris wird jeden Moment kommen und uns begleiten. Danach wird sich Heikki weiter um ihn kümmern. Aber macht euch nicht verrückt. Es ist keine Akutbehandlung mehr, sondern eher eine Aufbaubehandlung. Morgen wird Chris ganz sicher wieder ohne Probleme ins Auto steigen können.“

Unsere Gruppe bewegte sich in Richtung Eingang und als wir die Eingangshalle betraten, musste ich lachen. Chris stand dort bereits mit einem Kaffeebecher in der Hand und winkte uns zu. Neben ihm stand Heikki und Chris wirkte wieder gelöst und locker wie immer.

Das hatte zur Folge, dass ich jetzt diese Führung voll und ganz genießen konnte. Auch Dustin nutzte die Gelegenheit, Chris mit einer Umarmung zu begrüßen. Das zeigte mir aber auch, dass die Anspannung bei Dustin deutlich höher war, als es nach außen gewirkt hatte.

Tom und Marc hatten die Gruppe aufgeteilt und jeder von ihnen führte eine Gruppe durch das Museum. So bekamen wir eine persönliche Führung von Marc. Besonders spannend wurde es im Bereich für die Formel 1. Dort stand einer seiner alten Weltmeistermodelle der Scuderia Ferrari. Zusätzlich gab es dort viele Fotos und auch Videoeinspielungen. Wir Jungs hatten Marc ja nicht mehr aktiv in der Formel 1 erlebt. Um so spannender war dieser Bereich für uns. Marc hielt sich an der Stelle mit weiteren Erklärungen zurück.

Patrick hatte allerdings nicht so das Gespür für die Situation und fragte Marc direkt:

„Wie ist das eigentlich, wenn man sich hier als Legende dargestellt sieht? Bist du schon häufig hier gewesen?“

Jetzt erlebte ich Marc zum ersten Mal nicht mehr so souverän und überzeugend. Seine Antwort fiel entsprechend aus:

„Ganz ehrlich, ich fühle mich dabei ein bisschen unwohl. Natürlich ist das alles korrekt wiedergegeben, aber es ist komisch, sich selbst zu beobachten. Außerdem ist es ja auch bereits etliche Jahre her was hier zu sehen ist. Deshalb war ich bislang auch nur zur Eröffnung hier.“

Lucs Reaktion verblüffte mich allerdings:

„Naja, Papa, du musst ja auch nicht häufiger hier sein, um uns deine Ausstellung zu erklären. Du warst ja schließlich dabei.“

Danach mussten wir alle laut lachen und auch Marc hatte große Freude an diesem Spruch. Er nahm Luc lachend in den Arm und wuschelte ihm durch die Haare.

Marc führte uns weiter durch die Historie des Nürburgrings und der Formel 1. Ein besonderes Highlight begegnete uns, als wir vor dem letzten Weltmeisterauto von Marc standen. Natürlich war das Fahrzeug mit Bändern abgesperrt. Es waren überall Schilder mit „Bitte nicht berühren“ an den Absperrketten.

„Ist das wirklich das Auto, welches du in dem Rennen gefahren bist wo du Weltmeister wurdest?“, fragte ich Marc.

„Nein, aber es ist ein Wagen aus dieser Saison und es ist ein Original. Also keine leere Hülle, sondern mit einem originalen Motor und Getriebe. Das Auto mit dem ich Weltmeister wurde, steht in Maranello im Museum. Aber es gehört mir. Ferrari hat es mir vor einiger Zeit geschenkt. (The race is over-Teil 7) Zu den Ferrari-Days darf ich es auch in Fiorano fahren und darauf freue ich mich immer sehr.“

Bislang wurden wir von den anderen Besuchern des Museum in Ruhe gelassen, aber Marc trat über die Absperrung an das Auto und nahm wie selbstverständlich das Lenkrad ab und nahm es in die Hand.

„Möchte jemand von euch einmal in diesem Rennwagen Platz nehmen?“

Mit der rechten Hand zeigte Marc dabei auf das Cockpit.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und mein Arm schnellte nach oben. Man kann sich denken, dass mein Arm nicht als einziger oben blieb. Aber ich durfte tatsächlich als erster in das Cockpit steigen. Das führte aber auch zu einer erwartbaren Reaktion des Museumspersonals. Man hatte mittlerweile mitbekommen, dass sich etwas an dem Auto tat und mit einem energischen Protest kam ein Mitarbeiter zu uns an den Wagen geeilt.

Bevor Marc mir das Lenkrad wieder aufstecken konnte, stand der Bedienstete bereits am Cockpit und forderte mich unmissverständlich auf, sofort wieder auszusteigen. Marc blieb hingegen ruhig und versuchte dem Mann zu erklären, dass er schließlich für diese Ausstellungsstücke verantwortlich sei und daher auch das Recht habe, uns diese Dinge nahezubringen.

Der Museumsmitarbeiter schaute Marc für einen Moment an, bekam große Augen und schlagartig veränderte sich seine Stimmungslage. Er begrüßte Marc sehr freundlich und blieb zur Absicherung bei unserer Gruppe. So konnte jeder von uns einmal in diesem legendären Wagen sitzen und Sabine machte mit Luc gemeinsam entsprechende Fotos von dem Ereignis.

Als ich wieder ausgestiegen war und Dustin nach mir dort Platz nahm, kamen mir Gedanken an diese Zeit. Ich hatte sie nicht aktiv erleben können, da ich zu jung dafür war. Aber ich bemerkte doch, dass Marc für viele andere Besucher wie ein Mensch von einem anderen Planeten wirkte. Solange Marc sich um uns kümmerte, traute sich niemand uns zu stören oder Marc um ein Autogramm zu fragen. Und so dauerte es auch einige Zeit, bis alle einmal darin gesessen hatten. Marc blieb ruhig und nahm sich für jeden genug Zeit. Besonders lustig wurde es, als Patrick, Malte und Marvin an der Reihe waren. Sie trauten sich nicht, das Lenkrad wirklich anzufassen. Geradezu ehrfürchtig saßen sie im Cockpit. Marc erklärte ihnen jede Frage und die anderen mussten entsprechend länger warten.

Über Marcs Ruhe wunderte ich mich, denn auch als die anderen Besucher um Autogramme baten, blieb er stets freundlich und gab Autogramme bis zu dem Moment, wo wir uns zur nächsten Station im Museum bewegten. Sofort war Marc dann wieder nur unser Freund und Privatmann. Es war faszinierend wie schnell er umschalten konnte.

Dieser Museumsbesuch hinterließ bei mir einen nachhaltigen Eindruck und so langsam konnte ich die Emotionen der Fahrer und Teams verstehen, die hier am Vierundzwanzigstunden Rennen teilnahmen. Auf dieser Strecke hatten bereits viele legendäre Ereignisse stattgefunden.

Selbst der Bau in den dreißiger Jahren hatte auf spektakuläre Art und Weise stattgefunden. Es gab einfach kein vergleichbares Rennevent.

Allerdings musste ich über eine Beobachtung noch etwas nachdenken. Am Ende des Besuchs hatte ich bemerkt, dass Marvin, Malte, Tim und Carlo sich etwas abgesetzt hatten und für einige Minuten verschwunden waren. Chris hatte dies mit Sicherheit auch bemerkt, denn er schaute sich immer wieder um, wo sie denn hin sein könnten. Als sie plötzlich wieder aufgetaucht waren, holte sich Chris Tim zu sich. Entgegen der früheren Zeiten, blieb Tim aber ruhig und locker. Er schien Chris etwas zu erklären und damit war Chris auch zufrieden.

Irgendwie war das ein tolles Ereignis in diesem Museum, aber ich war auch sehr froh nach über drei Stunden wieder an der frischen Luft sein zu können.

Unsere Teilnehmer des Rennens zogen sich recht schnell zurück, um am nächsten Tag für das verlängerte Warm-up fit zu sein. Marc hatte uns noch erklärt, dass das Top 30 Qualifying abgesagt wurde und dafür aber das Warm-up am Samstag um eine Stunde verlängert wurde.

Für das Team sicher ein Vorteil, denn so hatten sie mehr Zeit, die neuen Motoren zu testen und damit besser ins Rennen gehen zu können.

Wir Zuschauer und Fans vom Team machten uns allerdings noch einen gemütlichen Abend. Insbesondere Marvin und Malte waren richtige Stimmungskanonen. Da blieben selbst Carlo und Tim ein wenig im Hintergrund. Aber es war alles harmlos und vor allem blieb bei uns Jugendlichen alles ohne Alkohol.

Chris: Es wird ernst und die Anspannung steigt

Heute war Renntag und damit Samstag. Um fünfzehn Uhr würde das Rennen traditionell gestartet werden. Bis dahin gab es noch viel zu tun. Mehr als sonst üblich. Daher hatte uns Nicholas nach dem Frühstück zum Briefing gebeten.

Heikki hatte mich noch bis weit in die Nacht behandelt. Daher hatte meine Nacht eine erholsame Wirkung. Jedenfalls fühlte ich mich richtig gut beim Frühstück. Das merkten auch meine Jungs und entsprechend gut gelaunt löste sich unsere Runde auf.

Unser Team mit Luc und Marc und das Team mit Tom, Mick und Lukas verabschiedeten sich von den anderen und wir gingen geschlossen zum Briefing.

Nicholas begrüßte uns mit den anderen Piloten vom dritten Fahrzeug und den leitenden Ingenieuren. Dann gab er uns einen Lagebericht.

„Zuerst möchte ich unseren Mechanikern danken. Sie haben es tatsächlich geschafft alle drei Fahrzeuge rechtzeitig fertigzustellen. Alle Motoren sind getauscht und bereits einem kurzen Funktionstest unterzogen. Gleich wird zu Beginn des Warm-up jeder Pilot die Gelegenheit erhalten, das Fahrverhalten zu testen. Wir hoffen damit, dass die technischen Probleme gelöst sind und wir ohne Zwischenfälle fahren können. Chris hat sich auch gut von den gestrigen Ereignissen erholt und ich möchte an dieser Stelle noch einmal meinen Dank an Chris aussprechen. Du hast mit deinem Einsatz vorbildlich gehandelt. Vielen Dank. Gibt es von eurer Seite bis hierher Fragen?“

Wir schauten uns an und es gab keine Fragen. Daher fuhr Nicholas mit dem taktischen Briefing fort. Dafür teilten wir uns in drei Gruppen auf. Jede Gruppe wurde von ihrem leitenden Ingenieur im Detail auf die Strategie vorbereitet. In unserem Team war allen klar, dass Marc den Start fahren sollte. Er hatte die größte Erfahrung und damit würde gewährleistet sein, sich am ehesten aus den Scharmützeln zu Beginn heraushalten zu können.

Ich sollte erst den dritten Turn fahren. Damit ich sozusagen in die Dunkelheit hinein fahren könnte. Es war deutlich angenehmer langsam in die Dunkelheit zu fahren, als dann direkt im Dunkeln zu starten.

Das hieß, ich hatte, vorausgesetzt es würde keine Probleme geben, bis halb sieben Zeit mich auf meinen Run vorzubereiten bzw. konnte das Geschehen beobachten.

Ein weiteres Thema kam allerdings noch auf als wir bereits wieder bei unseren Freunden waren. Luc fragte seinen Vater etwas ängstlich:

„Fährst du dieses Jahr wieder den Lauf zum Carrera Cup für Porsche?

Lucs Angst war spürbar in der Stimme. Marc schaute seinen jüngsten Sohn an und auch Sabine wirkte jetzt angespannt. Dann fing Marc plötzlich an zu lachen.

„Okay, okay. Diesen Wink habe ich verstanden. Allerdings hatte ich das bereits beim letzten Versuch schon verstanden. Nein, Luc. Ich werde dieses Mal keine weiteren Rahmenrennen mehr bestreiten. Lukas hatte ja klar und deutlich gesagt wie er das finden würde. Dieses Jahr liegt die Konzentration nur auf das Ankommen beim vierundzwanzig Stunden Rennen.“

Was jetzt folgte, überraschte mich. Spontan gab es von Sabine, Mick, Lukas und auch von Luc Applaus. Lukas nahm diese Entscheidung sogar zum Anlass seinen Vater mit einer innigen Umarmung zu belohnen.

„Es ist schön zu erleben, dass Papa doch noch dazugelernt hat und seinen Rennbazillus im Griff hat“, ergänzte Mick schmunzelnd.

„Jajaja, macht euch nur einen Spaß auf meine Kosten. Allerdings müssen wir uns jetzt fertig machen für das Warm-up. Wir haben viel zu tun und zu testen.“

„Vielleicht geschieht ja auch noch ein Wunder und Papa hört ebenfalls mit dem regelmäßigen Fahren auf.“

Diese Anmerkung kam von Mika und Tom hatte es auch vernommen. Marc schaute seinen Freund an und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Tom diesen Wunsch nicht nur zur Kenntnis genommen hatte.

Wir Piloten gingen uns danach umziehen und meine Nervosität stieg schnell wieder an. Mir fiel jetzt noch etwas ein was ich eigentlich in der Teambesprechung fragen wollte. Egal, ich stellte die Frage jetzt an Marc.

„Wir haben jetzt neue Motoren in den Autos. Müssen wir die eigentlich noch einfahren? Oder können wir die direkt voll nutzen?“

Marc schaute mich in der Umkleide von der Seite an und ich spürte, dass er sich sehr zusammennehmen musste, um nicht lachen zu müssen.

„Das ist jetzt aber eine komische Frage. Wir starten gleich in ein Rennen. Kannst du dir vorstellen, dass wir während des Rennens noch einen Motor „einfahren“ müssen? Nein, der Motor ist sofort voll belastbar. Er muss ja auch keine hunderttausend Kilometer halten wie bei einem Straßenfahrzeug. Das ist ein High Performance Aggregat. Also keine falsche Zurückhaltung. Du darfst richtig Gas geben.“

Als wir alle umgezogen und im Renn Outfit waren, gab es noch einen Fototermin und dann wurde es ernst. Luc setzte sich ins Fahrzeug und ließ sich von Marc anschnallen. Es gab noch die letzten Informationen vom Ingenieur und dann begann das Warm-up. Luc startete den Motor und fuhr eine Runde auf dem Grand Prix Kurs. Anschließend kam er zurück in die Box und es wurden alle Schläuche und Dichtungen geprüft.

Nachdem die Mechaniker nichts gefunden hatten, durfte Luc erneut aus der Box fahren und sollte drei Runden auf der Nordschleife fahren. Ich stand mit Marc, Tom und Lukas zusammen. Marc und Tom hatten Kopfhörer auf und kommunizierten mit Luc beziehungsweise mit Mick. Marc gab mir die Information:

„Luc ist begeistert. Der Motor hat anscheinend noch mehr Leistung und läuft sehr gut. Mick ist auch zufrieden mit der Performance. Du kannst dich schon einmal auf deine Runden vorbereiten. In zwanzig Minuten sollte Luc wieder hier sein.“

Mein Weg führte zu meinem Helm und den Handschuhen. Ich reinigte noch einmal mein Visier. Eigentlich war das gar nicht notwendig, da ich es nicht schließen würde. Dennoch hatte ich ein Faible für saubere Scheiben und Visiere. Plötzlich stand Stef neben mir und fragte mich:

„Wie siehst du die Situation? Ist bei dir wirklich wieder alles in Ordnung?“

„Ja, Stef. Ich fühle mich gut und bereit. Ich würde jetzt nicht ins Auto einsteigen, wenn ich noch Probleme hätte.“

„Gut, das ist beruhigend. Bei Luc und Marc bin ich mir da nämlich nicht so sicher. Ihnen ist dieses Rennen sehr wichtig. Ich möchte, dass nichts passiert. Das ist mir das Wichtigste.“

„Mir auch. Ganz bestimmt. Das kannst du auch Fynn und Dustin deutlich sagen. Ich würde sofort aufhören, sollte ich das Gefühl bekommen es könnte gefährlich werden oder ich wäre nicht mehr sicher auf der Strecke unterwegs. Dafür ist mir die eigene und die Sicherheit der anderen Teilnehmer zu wichtig.“

Es gab ab jetzt noch eine neue Regelung. Alle unsere Freunde mussten die Boxen verlassen und sich oberhalb der Boxen in der Gästelounge einfinden. Dort war genug Platz und es war für die Sicherheit während des Rennbetriebs notwendig. Mir gefiel das gut. So konnte ich eigenständig entscheiden ob ich mit den Freunden zusammen sein wollte oder meine Konzentration nur auf das Renngeschehen zu fokussieren. Außerdem hatten die Mechaniker wieder mehr Platz und Ruhe zum Arbeiten.

Thorsten und Sabine übernahmen die Führung unserer Freunde und der Gruppe in der Lounge. Damit war gewährleistet, dass dort alles in Ruhe ablaufen würde.

Nachdem ich alle Sachen vorbereitet und noch einmal gerichtet hatte, stand ich in der Box bereit. Marc kam zu mir und gab mir aktuelle Informationen aus dem Auto. Die Strecke war frei und es gab zurzeit keine gelben Abschnitte. Luc schien flott unterwegs zu sein. Denn er kam schon zeitig wieder in die Box zurück. Also war seine letzte Runde keine Spazierfahrt.

Luc stoppte den Boliden und ich hatte überhaupt keine Zeit mehr, über die kommenden Dinge nachzudenken.

Marc schnallte mich an und Luc grinste als er seinen Helm abnahm. Das war ein gutes Zeichen. Dann kam schon das Kommando vom Ingenieur, den Motor erneut zu starten.

Ein Brüllen machte sich im Innenraum breit und dann legte ich den ersten Gang ein. Mit sechzig Stundenkilometer rollte ich bis zum Boxenausgang, dann durfte ich Gas geben.

Die Reifen hatten noch Temperatur und somit hatte ich sofort ein gutes Gefühl. Damit konnten wir auch einmal testen, wie lange ein Satz Reifen halten würde. Im Warm-up sollten wir alle mit demselben Satz Reifen fahren.

Die ersten Kilometer spürte ich bereits die warmen Reifen. Das Gripniveau war deutlich besser als mit ganz neuen noch nicht warmen Reifen. In der ersten Runde war ich also bereits schneller unterwegs als beim freien Training. In der zweiten Runde gab ich richtig Gas und nutzte die Strecke komplett aus. Ich war so konzentriert, dass ich überrascht war wie schnell ich bereits wieder auf der Döttinger Höhe angekommen war. Als ich über die Ziellinie fuhr freute ich mich über die Runde. Sie musste recht ordentlich gewesen sein.

Im Tiergarten und an der Antoniusbuche hatte ich das erste Mal das Gas voll durchgetreten und schoss durch die Kompression. Der Druck war deutlicher spürbar und an der Stelle Hohenrain musste ich das Auto zusammenbremsen. Es folgte ein enges Geschlängel mit der Hohenrain-Schikane. Als ich da durchgepfiffen war, hörte ich über Funk ein Knacken und Marcs Stimme:

„Bei dir alles gut? Deine erste Runde war schon schneller als alle anderen Runden von dir.“

Ich war zu konzentriert, um an dieser Stelle antworten zu können. Mich hatte der Ehrgeiz gepackt und versuchte, den Speed in dieser Runde zu halten. Bislang hatte ich auch kaum Verkehr.

Der folgende Hatzenbach war recht knifflig und ich wollte unbedingt gut durch diese Schlüsselstelle. Also auch hier konnte ich nicht wirklich sprechen. Entsprechend erneuerte Marc seine Frage. Aber danach ließ er es bewenden bis ich durch den Flugplatz war. Plötzlich hörte ich Marcs Stimme wieder. Dieses Mal mit einem Lachen.

„Kannst du jetzt sprechen, du müsstest jetzt durch den Flugplatz sein.“

Ich drückte den Funkknopf und erwiderte:

„Ja, alles bestens. Eben war ich mit der Strecke beschäftigt. Da war Sprechen für mich schwierig. Aber ein geiles Auto. Das Fahrwerk passt perfekt und ich fühle mich sehr sicher, auch bei hohen Geschwindigkeiten.“

„Alles klar, dann können deine Jungs ja wieder atmen. Ich glaube Dustin war gerade blau angelaufen als du keine Antwort mehr gegeben hattest. Hihihi.“

Schon ging es weiter auf der schnellen Runde. Jetzt kam das Schwedenkreuz mit Aremberg. Eine ganz schwierige Stelle an der schon viele Unfälle passiert waren. Ich bremste mit reichlich Sicherheit an und fuhr durch Aremberg. Das klappte hervorragend. Ich hatte das Gefühl, es geht fast von allein um die Strecke.

In der Fuchsröhre musste ich meine Arschbacken zusammenkneifen, denn dort war man richtig schnell und musste das Auto in der Kompression mächtig zusammenbremsen. Aber alles gutgegangen und weiter ging die Hatz.

Vorbei mit einer Riesenfreude bei den Ahab Leuten im Metzgesfeld, es folgte ein etwas langsamerer Abschnitt mit Kallenhart und Wehrseifen. Hier musste die Linie absolut passen. Sonst würde man entweder viel Zeit verlieren oder rausfliegen.

Das passierte mir beides nicht, aber ich habe sicher dort zwei Sekunden liegenlassen. Das war aber im Gesamtverlauf zu vernachlässigen. Die Linie war gut.

Bis zum Bergwerk war es sehr eng und erst dann ging es mit Vollgas den Berg hinauf. Hier hatten gerade die kleineren Fahrzeuge mit der Steigung zu kämpfen. Entsprechend hoch war hier der Geschwindigkeitsunterschied. Da musste ich aufpassen, ob meine langsameren Vorderleute mich gesehen hatten. Es ging aber alles ohne Probleme.

Bis Klostertal war es richtig schnell. Dann wurde es erneut knifflig. Klostertalkurve und das Karussell standen an. Ich entschied mich, im Karussell oben zu bleiben und nicht auf die Betonplatten hinunterzufahren.

Es gab jetzt keine Verschnaufpause mit der Hohen Acht und Wippermann. Hier war Überholen eigentlich nicht möglich.

Ich war so im Tunnel, dass ich alles um mich herum ausgeblendet hatte. Keinerlei Zeitgefühl mehr und nur noch den Blick für die Strecke und die Instrumente.

Erst nach dem Pflanzgarten wurde es wieder ein wenig weiter und ich konnte luftholen. Was für ein Auto dachte ich. Ich hatte gestern noch nicht gedacht, so schnell sein zu können. Umso euphorischer ging es in den Abschnitt Schwalbenschwanz. Dort war wieder volle Aufmerksamkeit gefragt. Ich wusste, hier würde ein Fehler fatale Folgen haben. Also nahm ich etwas mehr Speed heraus. Dafür passte aber die Linie gut.

Jetzt nur noch der Galgenkopf und dann ab mit Vollgas auf die Döttinger Höhe. Schon war die Runde fast vorbei. Es folgte nur noch die Einfahrt auf die Grand Prix Strecke. Dann war meine erste schnelle Runde vorüber und ich sehr glücklich.

In der zweiten Runde lief es nicht mehr ganz so perfekt. Ich hatte deutlich mehr Verkehr und entsprechend vorsichtig ließ ich es angehen. Jetzt das Auto zu beschädigen wäre ein Super GAU.

Aber ich ließ alles in einem Stück und bog nach der vierten Runde in die Boxen ab. Erst als ich den Motor abgestellt hatte, spürte ich meine Arme und Beine. Ich war komplett verschwitzt. Marc öffnete mir die Tür und schaute mich fragend an. Hatte ich etwas verpasst? Er sagte aber nichts und half mir beim Aussteigen.

Als ich den Helm abnahm, stand Luc neben Marc und schüttelte seinen Kopf. Dabei zeigte er nach oben in die Lounge.

Ich schaute nach oben und konnte viele winkende Arme und Freude erkennen. Die Stimmung schien also bestens zu sein.

„Boah“, begann Marc, „du und alt und rostig. Das streichen wir aber mal sofort. Was für eine geile Fahrt. Du warst in der besten Runde fast zehn Sekunden schneller als gestern. Und es sah immer noch sehr kontrolliert aus auf der Onbordkamera. Großen Respekt mein Lieber.“

Danach bekam ich eine Umarmung und von Luc ebenfalls.

„Danke, aber jetzt brauche ich dringend was zu trinken. Der Drache hat Durst.“

Lachend ging Luc nach hinten in die Box und kam mit drei Flaschen Fassbrause wieder nach vorn. Da musste ich auch lachen.

Das Warm Up war aber noch nicht zu Ende. Jetzt war Marc noch einmal an der Reihe und ich wusste, er würde jetzt noch einmal alles aus dem Boliden herausholen wollen.

Entsprechend angespannt erlebte ich Luc beim Anschnallen seines Vaters. Aber er sagte nichts zu Marc. Davor hatte ich großen Respekt. Erst als Marc hinausgefahren war, kam er zu mir und meinte:

„Also bei dir habe ich ja schon mitgefiebert. Das war übrigens ne geile Fahrt von dir. Aber jetzt geht mein Puls noch mehr nach oben.“

„Warum das denn? Marc ist doch der beste Pilot von uns allen. Er weiß am besten wie das geht“, schnaufte ich immer noch etwas außer Atem.

Luc schaute mich an, schüttelte seinen Kopf und antworte seufzend:

„Ja, das stimmt ganz sicher. Aber er will auch immer das Limit herausfinden. Da er im Rennen ankommen möchte, muss er also jetzt austesten wie schnell es tatsächlich gehen kann. Das kenne ich bereits.“

Seine Sorge war hörbar. Er hatte einfach Angst, dass Marc es übertreiben könnte.

Ich schaute nach oben und erkannte Stef an der Scheibe stehen. Ich zeigte auf ihn und forderte ihn auf, herunterzukommen. Erst zögerte er, aber dann hatte er mich verstanden. Ich ging ihm in die Box hinein entgegen.

„Was ist los? Gibt es ein Problem?“, fragte er mich aufgeregt.

„Nein, aber ich glaube Luc kann deine Unterstützung jetzt gebrauchen“, zwinkerte ich ihm zu.

Stef schaute einen Moment zu Luc und dann hatte auch er begriffen was Sache war. Er ging auf Luc zu, umarmte seinen Freund mit einem Kuss. Dann stellten sie sich beide an die Boxenwand und schauten Marc bei seinen Runden über die Live Bilder aus dem Cockpit gemeinsam zu.

Ich spürte meine Arme und war stark verschwitzt. Daher entschied ich mich nur kurz bei Nicholas vorbeizugehen und mich zum Duschen abzumelden.

Als ich am Kommandostand ankam, schien er mich bereits erwartet zu haben.

„Wow, was für eine gute Performance. Du hast sicher schon mitbekommen, dass du etliche Sekunden schneller als Luc gewesen bist. Respekt! Ich bin begeistert mit welcher Routine du diese ganzen Dinge abspulen kannst. Wie geht es deinem Rücken?“

„Genau das ist das Stichwort. Mir tun die Arme jetzt schon weh und mein Rücken wird mir ganz sicher morgen wehtun, wenn ich jetzt nicht duschen gehen kann.“

„Hihihi, okay. Bevor ich Ärger mit Heikki bekomme, schicke ich dich unter die Dusche. Marc wird das schon ohne dich hinbekommen. Außerdem passen Luc und Stef wohl gut auf.“

Dabei zeigte er zu den beiden Jungs in der Box. Ich zeigte Nicholas den Daumen hoch und verabschiedete mich Richtung Dusche. Für mich würde es erst im Rennen wieder hinter dem Steuer weitergehen.

Unter der heißen Dusche spürte ich aber doch mehr als deutlich meine Schultern und Arme. Rennfahren ist doch anstrengender als Tennistraining zu machen. Aber gut, das wusste ich auch schon vorher.

Heikki erwartete mich bereits in der Umkleide und erkundigte sich nach meinem Befinden.

„Es geht so lala“, antwortete ich und ergänzte, „aber für einen alten Drachen bin ich zufrieden. Meine Arme schmerzen allerdings schon ganz ordentlich.“

Heikki lachte sich kaputt über meine Antwort und meinte lapidar:

„Dann wollen wir mal zusehen, dass der alte Drache morgen nicht flügellahm ist. Komm, wir gehen dich mal ein wenig runderneuern.“

Justin: Ein mega Event und tolle Stimmung

Was hier am Nürburgring abging war der absolute Wahnsinn. Hunderttausende Zuschauer an der Strecke und wir mittendrin.

Stef war mittlerweile zu Luc nach unten gegangen. Chris hatte ihn zu sich gerufen. Nach einem kurzen Gespräch war Stef mit Luc in die Box verschwunden. Den genauen Grund kannte ich nicht. Chris war auch verschwunden. Marc war auf der Strecke und bei uns in der Lounge tobte schon der Bär. Beim Warm-up! Wie würde das nur während des Rennens werden. Tim und Carlo hatten mit Marvin und Malte zwei Freunde gefunden, die genauso verrückt waren wie sie selbst. Selbst Maltes Eltern hatten Schwierigkeiten ihren Sohn zu bändigen. Sabine hatte das allerdings gut im Griff. Sie hatte sich vor einigen Minuten Tim und Carlo herangeholt und ihnen eine Ansage gemacht. Was genau sie gesagt hatte, konnte ich nicht mitbekommen, aber sowohl Tim als auch Carlo gingen danach direkt zu Malte und Marvin. Danach beruhigten sich die beiden Youngster.

Dustin und Fynn haben während Chris Fahrt sehr angespannt gewirkt. Jetzt wo Marc auf der Strecke fuhr, unterhielten sie sich mit Fynns Eltern. Patrick stand die ganze Zeit vor den Zeitenmonitoren. Er schien die Daten förmlich aufzusaugen.

„Na, Justin. Du siehst so nachdenklich aus?“

Ich zuckte zusammen. Thorsten hatte sich unbemerkt neben mich gestellt.

„Hi Thorsten. Ich habe dich nicht bemerkt. Sorry. Was hast du gesagt?“

„Du siehst so nachdenklich aus. Was beschäftigt dich gerade?“

„Was hier so abgeht. Ich habe so etwas noch nicht gesehen. Unglaublich. Und selbst hier in der Boxengasse tobt der Bär. So viele Teams und Teilnehmer bei einem Rennen. Irre! Und ich denke darüber nach, ob sich Chris das wirklich gut überlegt hat hier mitzufahren. Wenn er sich den Rücken kaputtmacht ist uns beim Training nicht geholfen.“

„Naja, ihr habt ja erstmal einige Wochen keine Turniere. Erst sind Dustin und Fynn im Urlaub und danach kommen dann Sergio mit Marcelo und Raphael zum Training. Also da wäre Chris zur Not auch noch abkömmlich.“

„Nein, das sehe ich anders. Chris ist nicht abkömmlich. Schon gar nicht wenn Marcelo und Sergio mit Raphael kommen. Da ist er ganz wichtig.“

„O ja, da hast du sicher Recht. Chris wird auch nicht ausfallen. Er ist sehr vorsichtig was seine Gesundheit betrifft. Marc scheint da auch aufzupassen. Sonst hätte er sicher Heikki nicht gleich auf Chris angesetzt.“

„Das war meine Idee und Bedingung“, hörte ich Sabines Stimme hinter uns.

Wir drehten uns um und schauten in das lachende Gesicht von Sabine.

„Marc bekommt richtig Ärger, sollte er sich nicht an unsere Abmachungen halten. Also könnt ihr ganz beruhigt sein. Ich passe auf und sorge dafür, dass Chris gut versorgt wird. Wir werden übrigens nach dem „Warm-up“ gemeinsam im Fahrerlager noch zu Mittag essen. Während des Rennens wird das jeder für sich tun. Ich möchte aber noch einmal alle zusammen haben.“

„Mit den Fahrern oder ohne?“, fragte ich überrascht nach.

„Natürlich mit! Darauf bestehe ich. Wenn ich schon hier bin, dann möchte ich diese Dinge auch haben. Es gehört doch wohl dazu, dass der Gastgeber gemeinsam mit den Gästen die letzte Mahlzeit einnimmt. Hihihi.“

So langsam wurde mir klar, wer hier an der Strecke das Kommando hatte. Plötzlich tauchten Luc und Stef auch bei uns auf. Luc hatte sofort bemerkt, dass seine Mutter mit uns sprach. Schnell kam er hinzu und gab seiner Mutter einen Kuss.

„Hallo Schatz. Hast du dich mal zu uns gewagt? Dein Papa kann auch ohne dich um die Strecke fahren.“

Luc schaute seine Mutter irritiert an und erwiderte:

„Stef meinte, ich sollte mich hier mal sehen lassen. Aber du hast hier alles unter Kontrolle. Ich freue mich, dass du dich hier wohl fühlst.“

Sabine zwinkerte ihrem Sohn zu und verschwand wieder zu den anderen. Luc schaute seiner Mutter hinterher und blieb bei mir und Thorsten stehen.

„Wie geht es dir jetzt? Marc fährt und ich gehe davon aus, dass er richtig schnell fährt, und du kommst hierher. Damit hätte ich nicht gerechnet.“

„Hm, ja, du hast da etwas Wahres gesagt. Aber Stef war der Meinung, ich müsste das schon üben für das Rennen. Und ganz ehrlich, ich freue mich sehr darüber, dass meine Mama hier ist und auch noch so entspannt ist. Was machen Fynn und Dustin? Haben sie noch große Angst um Chris?“

Thorsten reagierte überraschend direkt auf diese Frage.

„Ja, die Angst ist gerade bei Dustin spürbar. Aber Fynn ist immer in seiner Nähe und auch wir haben da ein Auge drauf. Dustin muss lernen, dass Chris niemals etwas leichtfertig aufs Spiel setzen würde. Chris ist extrem diszipliniert in seinem ganzen Leben. Hier erlebe ich ihn zum ersten Mal etwas mehr aus sich herausgehend. Er soll hier Spaß haben. Er hat sich das so verdient.“

Ich schaute Thorsten an und auch Luc wirkte überrascht über diese Aussage. Luc antwortete:

„Du kennst seine ganze Geschichte auch, oder?“

Thorsten nickte wortlos und schaute Luc dabei genau an. So hatte ich Thorsten noch nicht oft erlebt. So persönlich über Chris sprechend, das hatte ich noch nicht erlebt.

„Ja“, erwiderte Thorsten, „ ich kenne seine ganze Geschichte. Auch die schlimme Zeit mit den Problemen mit seinem Bruder. Ich finde es total stark, dass es beiden gelungen ist, ihre Beziehung zueinander zu stärken und jetzt so gut miteinander arbeiten zu können. Und an diesem Wochenende soll Chris sich diesen Traum erfüllen und einfach nur Spaß haben.“

„Ich freue mich auch wirklich, dass Chris seine schlimmen Zeiten so gut überstanden hat. Du bist dir also sicher, dass Chris nicht zu viel Risiko fahren wird?“, fragte ich.

Thorsten nickte nur und zwinkerte uns zu. Danach drehte er sich um und ließ mich mit Luc stehen. Stef hatte sich mittlerweile auch zu uns gesellt und gab seinem Freund einen liebevollen Kuss.

„Weißt du warum Thorsten jetzt wortlos gegangen ist?“, fragte ich Luc.

„Ja, ich glaube schon. Er möchte, dass ihr euch keine Sorgen um Chris macht. Thorsten vertraut ihm und seinen Fähigkeiten, sich richtig einzuschätzen. Und du solltest das auch tun. Dustin und Fynn tun das mittlerweile auch. Sieh mal dahinten.“

Luc zeigte auf meine Freunde, die mittlerweile uns zuwinkten. Fynns Vater stand bei ihnen und es gefiel mir, wie Fynn sich auf seinen Vater einlassen konnte und ihm eine neue Chance geben konnte. Allerdings auch daran hatte Chris große Anteile.

Das Warm-up endete mit einer kleinen Überraschung. Marc hatte wie erwartet noch einmal richtig den Hammer fallen lassen und die sechstbeste Zeit gefahren. Für die Startaufstellung war das nicht relevant, aber es zeigte mir, wie gut Marc immer noch fahren konnte.

Etwas später waren wir gemeinsam im Bereich des Caterings. Dort hatte Sabine eine große Tafel für uns aufbauen lassen. Es waren mittlerweile auch alle anwesend bis auf Heikki und Chris. Das war Dustin natürlich nicht entgangen und entsprechend unruhig schaute er sich immer wieder um. Und jetzt machten Malte und Marvin einen großen Fehler. Sie machten sich über ihn lustig und scherzten über die Angst, dass Chris vielleicht wieder Rückenprobleme haben könnte.

Dustin sprang nahezu auf die beiden zu und stauchte sie laut und giftig zusammen. Ob Dustin auch handgreiflich geworden wäre, konnte ich nicht beurteilen, aber Marc hatte diese Situation mitbekommen und ging direkt dazwischen.

Dustin war richtig zornig und kaum zu beruhigen. Malte und Marvin waren total überrascht über diese heftige Reaktion. Allerdings machte ihnen Marc unmissverständlich klar, dass ihre Provokation gerade total unpassend war.

In diesem Augenblick betraten Chris und Heikki die Szene. Leider ein paar Momente zu spät. Chris hatte allerdings schnell bemerkt, dass etwas vorgefallen war. Er sprach mit Marc und ließ sich anscheinend die Sache erläutern.

Für mich überraschend ging er nicht zu Malte und Marvin, sondern zu Dustin und Fynn. Ich entschied mich, diesem Gespräch beizuwohnen und stellte mich neben Dustin. Er wirkte immer noch erregt.

Chris: Dicke Luft bei Dustin

Meine Rückkehr aus der Dusche hatte sich durch meine Massage von Heikki verzögert. Für Dustin anscheinend ein Alarmsignal. Leider hatten sich Marvin und Malte nicht klug verhalten und sich über Dustin lustig gemacht.

Eigentlich hatte Sabine ein gemeinsames Essen für alle organisiert. Jetzt brannte aber die Luft und Dustin war immer noch sehr erregt. Das musste zuerst entschärft werden bevor wir uns an den Tisch setzen konnten.

„Sag mal, so aggressiv bist du doch sonst nicht mehr. Was ist denn los?“, fragte ich Dustin, der von Fynn geradezu abgeschirmt wurde.

Fynn war auch wieder in sein altes Verhalten gefallen und spielte den Bodyguard für Dustin. Er wollte schon für seinen Freund antworten.

„Du bist jetzt nicht gefragt. Dustin kann selbst sprechen.“

Fynn schaute mich zuerst böse an, dann zögerte er für eine Sekunde und begann plötzlich zu lachen. Das überraschte selbst mich jetzt.

Fynn legte den Arm um seinen Freund und meinte zu mir:

„Hahaha, du hast ja recht. Ich bin genauso dumm auf diese Provokation eingestiegen wie mein Schatz. Dennoch finde ich es blöd von Malte und Marvin, sich so abfällig zu äußern.“

„Es war nicht blöd, es war böse. Und das konnte ich so nicht stehenlassen. Da musste ich einfach etwas sagen.“

„Du hättest Marvin am liebsten eine rein gehauen. Wenn Fynn nicht dazwischen gegangen wäre, hättest du ihm eine gescheuert. Zumindest sah es sehr danach aus“, meldete sich Justin zu Wort.

Das war für mich das Zeichen, was ich gebraucht hatte. Wenn Justin diesen Eindruck gehabt hatte, wusste ich wie ernst die Lage war. Ich entschied mich jetzt, Marvin und Malte zu uns zu winken.

Eingeschüchtert blieben sie etwa zwei Meter von Dustin entfernt stehen.

„Los, kommt ran hier“, forderte ich sie auf, „jetzt passiert hier nichts mehr. Aber ich möchte wissen, was genau vorgefallen ist. Und keine halben Geschichten.“

Nachdem Malte und Marvin sich doch näher heran getraut hatten, begann Dustin seine Wahrnehmungen zu beschreiben.

„Die beiden haben sich über dich lustig gemacht und gemeint, dass du in deinem Alter so ein Rennen nicht mehr fahren solltest. Und die Krönung war dann, dass Malte sich über meine Sorgen lustig gemacht hat. Da ist mir eine Sicherung durchgegangen. Ich brauche dich gesund und ich will nicht, dass irgendjemand sich über dich lustig macht.“

In diesem Moment realisierten Malte und Marvin wie sensibel Dustin wirklich war. Es war ihnen nicht bewusst, dass sie mit ihrer flapsigen Art bei Dustin in ein Wespennest gestochen hatten. Meine Aufgabe war es jetzt, die Wogen zu glätten und schnell wieder zur Normalität zurückzukommen.

„Also Leute, und damit meine ich in erster Linie jetzt Malte und Marvin, ihr merkt, ihr habt gerade eine dumme Aktion gestartet. Wenn ihr euch über mich lustig machen wollt, dann bitte nur, wenn ich auch dabei bin. Dustin mag es halt nicht, wenn mich jemand angreift und ich mich nicht wehren kann. Abgesehen davon, was hat euch geritten so dumme Texte abzulassen?“

Malte wäre am liebsten im Boden versunken und auch Marvin sah nicht glücklich aus. Vor allem, als jetzt noch Maltes Mutter hinzukam. Kristin hatte natürlich bemerkt, dass sich etwas ereignet hatte. Sie blieb allerdings ruhig und beobachtete das Geschehen. Ich schaute Malte in die Augen und es dauerte auch nicht lange bis er sich entschuldigte:

„Boah, Chris. Es war doch alles nur Spaß. Ich habe echt nicht gedacht, dass Dustin das ernst nehmen würde. Es war dummes Gerede von Marvin und mir. Ich würde niemals so über dich lästern. Dafür verdanke ich dir schon viel zu viel. Ehrlich jetzt. Und Dustin, es tut mir leid. Ich habe nicht gewusst, dass dieser Spaß bei dir so mies ankommt.“

Jetzt war allerdings der Punkt gekommen, wo sich Kristin nicht mehr zurückhalten wollte. Sie hatte schon Luft geholt und genau das wäre jetzt zu viel des Guten gewesen. Ich hatte bereits deutlich kommentiert wie ich diese Aktion gefunden hatte. Eine Bloßstellung von seiner Mutter wäre für Malte jetzt kontraproduktiv.

„Stopp Kristin. Es ist bereits alles gesagt.“

Mir war klar, Kristin hatte die Nase voll von ihrem Sohn. Kristin schaute mich zwar mit zusammengekniffenen Augen an, aber sie schwieg. Blieb aber bei uns stehen. Das war für Malte schon peinlich genug.

Entsprechend schwieg er betreten und das war auch das Klügste was er machen konnte. Kristin beruhigte sich langsam. Jetzt kam aber auch Maltes Vater noch hinzu und ich befürchtete eine weitere Eskalation. Allerdings nahm er Kristin in den Arm und führte sie zurück in die Gruppe. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr. Das führte dazu, dass Kristin sich weiter entspannte.

Das nutzte ich noch einmal.

„Es ist alles gesagt und ich gebe dir den guten Rat, in Zukunft solche Nummern sein zu lassen. Sonst wird dir so etwas irgendwann mal richtig weh tun. Ich glaube, mehr ist nicht zu sagen. Oder hast du noch etwas Malte?“

Er schüttelte seinen Kopf und beide streckten mir wortlos ihre Hand entgegen. Ich nahm sie und dabei gab es dann doch noch eine Aussage von Marvin.

„Sorry, Chris. Ich habe auch nicht nachgedacht und möchte mich entschuldigen. Ich werde mich auch gleich noch bei Dustin und Fynn entschuldigen. Es war einfach sehr dumm von uns, darüber Scherze zu machen.“

Was mit jetzt gefiel war die Reaktion von Justin und Maxi. Sie gingen einfach auf die beiden Jungs zu und nahmen sie in ihre Mitte. Danach gingen sie alle gemeinsam an den Tisch und setzten sich zusammen hin. Dustin wirkte zwar noch immer aufgewühlt, aber er konnte wieder normal mit den beiden Jungs reden.

So einen Stress vor dem Start wollte ich eigentlich vermeiden. Jetzt war es aber nicht mehr zu ändern. Entsprechend abgelenkt saß ich beim Essen. Meine Augen gingen immer wieder zu den Jungs. Bis sich Sabine plötzlich einschaltete:

„Du solltest jetzt aber auch diese Geschichte abgehakt haben. Die Jungs haben sich entschuldigt und du musst dich auf das Rennen fokussieren. Alle Baustellen neben der Rennstrecke sind ab sofort meine Verantwortung. Du wirst jetzt hier keine Probleme mehr lösen.“

Luc schaute seine Mutter an und fing an zu schmunzeln. Er nickte Sabine zu und auch Stef zwinkerte ihr zu. Marc hatte es ebenfalls vernommen und ergänzte:

„Das sollte übrigens eine Warnung an alle sein. Wer sich jetzt mit Sabine anlegt, wird ein echtes Problem bekommen und froh sein, wenn Chris wieder für ihn zuständig sein wird. Ich kenne das bereits und kann aus eigener Erfahrung sagen, es ist jetzt klüger, mit Sabine keinen Ärger mehr zu bekommen.“

Das war jetzt auch bei allen anderen angekommen und führte zu lautem Gelächter. Schnell entspannte sich die Stimmung am Tisch und auch ich konnte meine Gedanken von den Jungs lösen.

Das Essen selbst wurde sogar noch richtig lustig. Marc packte einige Anekdoten aus seiner langen Karriere aus. Für meine Jungs und Freunde war das ein Fest. Selbst Lukas und Mick wurden von der einen oder anderen Geschichte noch überrascht und amüsierten sich köstlich.

Dann ging es auf vierzehn Uhr zu und der Start des Rennens rückte näher. Nicholas kam zu uns und holte uns Piloten zur Startaufstellung ab. Das hatte bei diesem Rennen auch ein besonderes Zeremoniell. Alle Fahrzeuge wurden in vier Gruppen über die gesamte Nordschleife in eine Einführungsrunde geführt. Diese Runde begann bereits um halb drei und dauerte entsprechend bis zum Start der ersten Gruppe um drei Uhr.

So langsam wurde ich nervös und ein Kribbeln im Bauch stellte sich ein. Aber bevor ich mit den anderen fünf in Richtung Boxen aufbrechen konnte, baten mich meine Jungs noch einmal an die Seite. Dustin und Fynn hatten sie wohl als Redner auserkoren.

„Pass bitte gut auf dich auf. Wir gönnen und wünschen dir ganz viel Spaß, aber wir brauchen dich gesund in Halle. Und wir werden euch ganz fest die Daumen drücken. Konzentriere dich nur noch auf deine Aufgaben im Auto. In der Lounge wird Sabine auf uns aufpassen.“

Ich konnte nicht anders, aber ich umarmte jeden einzelnen von ihnen. Für mich ein emotionaler Moment. Mit viel Vorfreude auf das Rennen.

Luc: Das Rennen beginnt

Papa war bereits in der Aufwärmrunde unterwegs und Chris stand mit mir vorne an der Boxenmauer. Neben uns Mick und Lukas. Tom saß im anderen Auto. Obwohl Mick und Lukas bereits Rennerfahrung hatten, wirkten sie genauso angespannt wie ich. Chris schaute sich um und sein Blick ging nach oben in die Lounge. Dort standen unsere Freunde und unterstützten uns. Für mich auch etwas Besonderes. So viele Menschen, die unseretwegen hergekommen waren. Einerseits schön, aber auch eine Verpflichtung, ihnen ein gutes Rennen zu präsentieren.

In diesem Moment begann der Streckensprecher lauter zu werden. Die erste Startgruppe kam über die Döttinger Höhe in Richtung Start und Ziel zurück. Darin fuhr Papa mitten im Pulk. Hoffentlich würde der Start ohne große Zwischenfälle ablaufen. Chris drehte sich jetzt auch wieder in Richtung Strecke und dann konnte man die Boliden bereits hören. Jetzt wurde es ernst. Nur noch wenige hundert Meter und das Rennen würde gestartet werden.

In dem Augenblick in dem die Autos die Linie passierten und die Ampel auf Grün schaltete, explodierten die Fans auf der Tribüne. Ein Gänsehautmoment.

Die Motoren brüllten auf und die Formation wurde aufgegeben und die Fahrzeuge fächerten auf. Mein Puls raste und auch Chris schaute auf die erste Kurve.

Erstaunlicherweise blieb kein Wagen auf der Strecke. Alle kamen ohne Blessuren durch die erste Kurve.

„Unglaublich, dass die sich alle eingefädelt haben. Ich hätte mit viel mehr Kleinholz gerechnet“, staunte Chris.

„Ja, in einem kurzen Rennen würde bestimmt mehr um die Positionen gekämpft, aber dieses Rennen geht vierundzwanzig Stunden. Da ist ein Platz in der ersten Runde nicht so wichtig“, antwortete Lukas mit einem Lächeln.

Erst nach den ersten drei Runden konnte ich etwas beruhigter durchatmen. Papa fuhr konstante und gute Zeiten, aber keine besonders schnellen Runden. Er hielt sich auch in den Zweikämpfen sehr zurück. Lieber einmal zurückstecken und den anderen vorbeilassen. Das kannte ich so von Papa eigentlich gar nicht. Dennoch lagen wir nach drei Runden noch innerhalb der ersten zehn Fahrzeuge. Chris hatte sich wieder zu seinen Jungs begeben. Daher stand ich mit meinen Brüdern und meinem Freund Stef allein in der Box.

Für mich war das enorm wichtig, dass Stef an meiner Seite stand. Das gab mir Sicherheit und Ruhe. Über Chris war ich etwas verwundert. Warum begab er sich freiwillig in die Unruhe der Lounge?

Die Antwort erhielt ich wenige Minuten später. Chris tauchte mit Malte, Marvin, Tim und Carlo wieder in der Box auf. Die vier Jungs waren ganz ruhig und folgten Chris Anweisungen. Es herrschte eine entspannte Stimmung unter den fünf. Das erstaunte mich nach dem Vorfall beim Essen.

„Na, Luc. Was macht Marc im Auto?“, fragte mich Chris mit einem Augenzwinkern.

Ich wusste genau worauf er anspielte und antwortete ihm lachend:

„Gerade macht er genau das was Mama gesagt hat. Nicht zu riskant, aber ziemlich flott.“

Stef stutzte eine Sekunde und fing dann ebenfalls laut an zu lachen. So hatten wir alle schnell viel Spaß und alberten noch ein wenig herum.

Einige Minuten später sollte Tom zum ersten Tankstopp hereinkommen. Das bedeutete, Papa würde auch recht bald tanken müssen. Er war noch keine Stunde gefahren. Eigentlich hatten wir geplant, jeweils erst nach einer Stunde zum Tanken kommen zu müssen. Also war unser Verbrauch höher als gedacht.

Lukas hatte sich vorsichtshalber bereit gemacht. Tom sollte aber im Auto bleiben und noch einen Turn fahren. Nur falls es Probleme geben würde, könnte man wechseln.

Das bedeutete aber für mich, ich sollte mich schnellstens auch bereit machen. Leider fand ich meinen Helm nicht auf Anhieb und geriet etwas in Hektik. Chris spürte das sofort.

„Hey, was suchst du denn so aufgeregt. Dein Helm liegt hinten auf dem Regal. Neben meinem Helm. So wie es besprochen war.“

Chris zeigte dabei mit seinem Arm in die Richtung und dann fiel es mir auch wieder ein. Das war blöd und auch peinlich. Insbesondere weil die vier Jungs in der Box standen und mich jetzt genau anschauten.

Allerdings hatte Chris die Situation gut im Griff. Er lenkte die vier einfach ab und zeigte ihnen die Telemetriedaten. Während er ihnen ruhig die ganzen Diagramme erklärte, konnte ich über Funk hören, dass auch Papa in der nächsten Runde zum Tanken kommen würde. Chris gab mir mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er es mitbekommen hatte.

Es war beeindruckend, was Chris alles nebenbei noch mitbekommen konnte. Ich wäre dazu jetzt nicht mehr in der Lage gewesen, weil ich total aufgeregt war.

Tom war mittlerweile wieder aus der Box gefahren und auch Lukas hatte seinen Helm wieder abgenommen. Chris blieb bei den vier Jungs und beantwortete ihnen wirklich jede Frage mit einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit. Bewundernswert.

Dann kam von unserem Ingenieur die Information, dass Papa jeden Moment in der Box sein würde. Chris kümmerte sich um die vier Jungs und lenkte sie ab, bis Papa plötzlich mit stehenden Reifen vor der Box zum Halten kam. Die Mechaniker steckten den Tankrüssel hinein und Papa öffnete die Fahrertür. Ich tauschte die Trinkflaschen aus und Papa gab eine kurze Info über das Auto.

„Alles bestens, Luc. Das Auto läuft prima und die Strecke ist überall trocken.“

Dann war das Tanken auch schon beendet und Papa startete erneut den Motor. Es knallte einmal als der Gang einrastete und schon war er wieder los. Ich wusste nicht einmal mehr auf welchem Platz wir gerade waren. Dafür musste ich sogar zu dem Monitor gehen vor dem Chris mit den Jungs stand.

Malte schaute zu mir und fragte mich:

„Läuft alles bei deinem Vater? Oder gab es Probleme?“

„Wenn ich wüsste auf welchem Platz Papa fährt, wäre mir wohler. Aber sonst ist alles bestens“, antwortete ich.

„Hey“, ging Chris dazwischen, „der Platz wollte uns doch egal sein. Hauptsache ankommen oder willst du jetzt angreifen?“

Mist. Genau das wollte ich doch nicht. Auf irgendeine Platzierung schauen. Dennoch war ich unruhig. Chris hatte mich erwischt. Das musste ich zugeben. Plötzlich legte er seinen Arm auf meine Schulter und lachte:

„Ich will mal nicht so sein und Sabine davon mal nichts erzählen. Marc ist momentan sechster im Gesamtklassement. Aber spätestens, wenn ich heute Abend ins Auto muss, wird sich das schlagartig verschlechtern. Daher ist es mir momentan echt egal welche Platzierung wir gerade haben. Wenn wir in der letzten Runde des Rennes und immer noch sechster wären, dann würde ich auch nervös sein. Aber passt schon so. Ich kann dich gut verstehen.“

„Danke, Mama würde bestimmt sauer werden, wenn ausgerechnet ich nach der Platzierung schauen würde.“

In diesem Moment konnte ich sehen, dass Marvin mit der Hand durch Maltes Haare wuschelte. Tim und Carlo schauten etwas irritiert, aber was dann geschah überraschte mich komplett. Malte drehte sich zu Marvin und streichelte ihm durch das Gesicht. Wie eine Liebkosung. Und das mitten in der Box. Chris reagierte nicht auf diese Situation. Er ließ es einfach so stehen. Daher tat ich auch so, als ob ich nichts bemerkt hätte.

Nachdem sich die vier bei Chris für die Zeit in der Box bedankt hatten, gingen Malte und Marvin mit Tim und Carlo wieder nach oben. Erst jetzt fragte mich Chris:

„Hast du das eben gesehen? Ich habe nicht mitbekommen, dass die beiden sich schon so nahe gekommen sind. Das sah sehr vertraut aus.“

„Ja, das Gefühl hatte ich auch. Sie müssen sich sehr nahe stehen. Vielleicht fragst du mal Tim und Carlo. Vielleicht wissen sie ja schon etwas.“

„Das werde ich jetzt ganz sicher nicht machen. Ich vermute, Malte und Marvin wollten uns damit ein Zeichen geben. Tim und Carlo kommen ganz sicher zu mir, sollten sie mir etwas mitteilen wollen. Da muss ich jetzt abwarten und beobachten.“

Ich sollte Chris vertrauen und ihm diese Dinge überlassen. Er kannte seine Jungs gut und das war sicher nicht meine Baustelle. Allerdings empfand ich diese Reaktion von Malte und Marvin schon echt stark.

Für einen Moment hatte ich dadurch nicht mehr im Kopf, dass wir ja schon mitten im Rennen waren. Papa fuhr sehr konstante Zeiten und das Auto lief ohne Probleme.

Auch etwa eine Stunde später lief für uns alles nach Plan. Allerdings hatte ich mich bereits für den ersten Fahrerwechsel vorbereitet und stand mit aufgesetztem Helm bereit, Papa abzulösen.

Unser Ingenieur hatte mir das Signal gegeben, dass Papa jetzt in die Box kommen würde. Mein Puls schnellte nach oben und es war gut, dass Chris bei mir war. Als der Ferrari stehengeblieben war, öffnete Chris die Tür. Papa hatte sich schon abgeschnallt und sprang aus dem Auto. Chris half mir beim Einsteigen und Papa wollte mir noch ein paar Hinweise geben.

„Luc, das Auto fährt grandios. Die Strecke ist komplett trocken. Versuche in deinen Rhythmus zu kommen. Halte dich aus engen Zweikämpfen heraus. Wir sind immer noch am Anfang des Rennens. Ansonsten viel Spaß.“

Ich nickte nur einmal und schon war die Tür wieder geschlossen. Ich startete den Motor und wurde auf die Räder abgelassen. Dann legte ich den ersten Gang ein und rollte aus der Box zurück auf die Strecke. Mein Rennen hatte begonnen!

Marc: Ein guter Rennstart ließ hoffen

Mein erster Stint war sehr gut. Es gab absolut keine Probleme und ich hatte das Auto an Luc übergeben. Technisch hatte er ein perfektes Auto übernommen. Die ersten beiden Runden hatte ich allerdings komplett an der Boxenmauer verbracht, um jederzeit mit ihm sprechen zu können.

Chris hatte sich wieder in die Lounge oberhalb der Box zurückgezogen. Dahin wollte ich jetzt auch gehen. Zuerst wollte ich mich aber umziehen. Ich hatte jetzt gute drei Stunden Zeit bis ich mich wieder vorbereiten musste.

Beim Umziehen ging mein Gedanke allerdings immer wieder zu Luc und wie er sich anstellen würde. Es machte mich nervös, dass ich ab jetzt keine Chancen mehr hatte, direkt Einfluss zu nehmen.

Das hatte zur Folge, dass ich doch in der Box blieb und die Fahrt von Luc dort verfolgte und den Kopfhörer nicht abnahm.

Tom hatte seinen Stint ebenfalls beendet und Mika stand neben ihm an der hinteren Boxenwand. Als sie mich sahen, kamen beide zu mir. Tom fragte:

„Na, wie ist Luc ins Rennen gestartet? Lukas fährt einen guten Rhythmus und sehr konstante Zeiten. Man merkt, dass er schon ein wenig Routine in einem Rennwagen hat.“

„Danke, das höre ich gern. Ich bin doch deutlich unruhiger bei Luc. Obwohl ich bislang gar keinen Grund dafür habe. Luc ist gut unterwegs und macht einen tollen Job. Er fährt seinen eigenen Rhythmus und lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, dass er schon einige Plätze eingebüßt hat.“

„Genauso war es doch besprochen. Kein Risiko und jeder soll seinen eigenen Rhythmus finden. Ich gehe davon aus, dass auch Lukas und Mick Plätze einbüßen werden. Wichtig ist doch, dass wir beide Autos heile ins Ziel bringen. Das wäre schon ein riesiger Erfolg.“

Mika stand die ganze Zeit neben Tom. Er schielte immer wieder auf die Monitore und plötzlich fragte er mich:

„Chris ist anscheinend noch richtig cool. Er steht oben in der Lounge und unterhält sich mit seinen Jungs als ob er gar nicht beteiligt wäre.“

Ich wusste genau, dass es in Chris anders aussah. Er wollte aber vermeiden, dass sich Dustin und Fynn unnötig Stress machen. Daher versuchte er so viel Zeit bei seinen Jungs zu bleiben. Das hatte er mit mir nicht abgesprochen, aber es war auch so offensichtlich. Dort fühlte er sich auch selbst am sichersten. Gespannt war ich, wie würde seine Nervosität steigen, wenn er später tatsächlich ins Auto steigen würde.

„Ich glaube, dass das täuscht, Mika. Chris geht nur anders mit seiner Anspannung um. Jeder Mensch ist anders. Ich bin auch angespannt, gerade jetzt wo Luc hinter dem Steuer sitzt.“

Mika schaute mich an und er überlegte einen Moment bevor er antwortete:

„Aber du hast so viel Erfahrung und Erfolg im Motorsport. Warum bist du noch angespannt? Du hast doch schon alles erlebt.“

„Nein, mein Sohn. Eines hat Marc noch nicht erlebt. Es ist auch für Marc eine neue Erfahrung, dass er mit Luc auf einem Fahrzeug an einem Rennen teilnimmt.“

Dabei legte Tom seinem Sohn behutsam den Arm auf die Schulter. Ein seltenes Bild, das mir aber gut gefiel. Tom hatte in letzter Zeit deutlich mehr Zeit mit seiner Familie verbracht.

„Dein Vater hat Recht. Ich bin aufgeregt. Es ist doch etwas anderes, wenn Luc fährt. Aber jetzt werde ich auch mal nach oben gehen und dort schauen wie die Stimmung ist.“

„Darf ich mitkommen?“ fragte mich Mika.

„Na klar. Gehen wir gemeinsam?“

Dabei schaute ich Tom an und er nickte.

Einige Minuten später standen wir an der Bar der Lounge und hatten uns einen Kaffee besorgt. Chris hatte natürlich seine geliebte Fassbrause in der Hand und sprach gerade mit Thorsten und Marco. Die Jungs hatten sich mit Fynns Eltern an einen Tisch gesetzt. Chris hatte uns entdeckt und winkte uns zu.

„Hallo ihr drei. Darf ich vorstellen? Das ist Thorsten Leibig, unser Team Manager und Marco Pöttinger, mein Trainerkollege. Thorsten und Marco, das ist Tom Kristensen mit seinem Sohn Mika.“

„Danke, Chris. Aber Tom Kristensen ist selbst für mich kein Unbekannter. Genauso eine Legende wie Marc. Schön, dass wir uns auch persönlich kennenlernen dürfen.“

Tom erkundigte sich interessiert nach dem Teamspirit des Breakpoint-Teams. Aber irgendwann wurde ich doch etwas unruhig. Was machte Luc im Auto?

„Wie macht sich Luc auf der Strecke?“, fragte Justin plötzlich.

Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich zu uns gestellt hatte. Auch Chris war überrascht.

„Hi Justin, momentan läuft alles perfekt. Luc fährt konstante Zeiten und liegt unter den Top zwanzig. Das ist viel mehr als ich erwarten konnte.“

Chris schaute aus dem Fenster und schwieg. Jetzt spürte ich Unsicherheit. So deutlich wie ich es noch nie bei ihm gespürt hatte. Jetzt musste ich aufpassen mit meinen weiteren Kommentaren bezüglich der Position.

„Aber es wäre doch nicht wichtig auf welcher Platzierung ihr ins Ziel kommt, oder?“, hakte Justin nach.

„Nein, es ist komplett unwichtig. Hauptsache ankommen und viel Spaß haben. Für Chris wird es in seinem ersten Turn auch in die Dunkelheit gehen. Da ist es noch wichtiger, immer genug Sicherheit zu haben. Chris soll einfach ebenfalls seinen Rhythmus finden und nicht auf seine Rundenzeiten schauen.“

Chris reagierte nicht auf meine Antwort. Aber er hatte genauestens zugehört. Plötzlich knackte es in meinem Kopfhörer und ich konnte Lucs Stimme vernehmen.

„Im Bereich Karussell fängt es an zu regnen.“

Da gingen bei mir alle Alarmsensoren an. Die Strecke war so lang, dass es in einigen Bereich schon richtig nass sein konnte, während es woanders noch total trocken war.

Ich bat Chris an die Seite. Er konnte das ja nicht mithören.

„Luc meldet Regen im Karussell. Wir sollten uns nach unten begeben und die Lage beobachten. Kannst du dich bitte schon bereit machen. Wenn wir auf Regenreifen gehen müssen, macht es Sinn auch den Fahrer früher zu wechseln.“

Chris nickte nur und sagte seinen Jungs Bescheid. Danach gingen wir nach unten zu den Mechanikern. Chris holte sich seinen Helm und die Handschuhe und machte sich bereit. Obwohl es sein erster Renneinsatz seit ganz langer Zeit sein würde, tat er das äußerlich ruhig und gelassen. Als ob er nie etwas anderes gemacht hätte.

Ich hatte mich mit unserem Renningenieur besprochen und schon einen Blick auf das Wetter Radar geworfen. Chris stieß mit Mick zu mir und wir schauten zu dritt auf den Wettermonitor. Chris schaute sich das genau an und meinte plötzlich:

„Ich glaube, dass das nicht so schlimm wird. Von der Zugrichtung her wird das nur im Bereich Karussell feucht oder nass werden.“

Dabei glitt seine Hand über den Monitor und erklärte uns die Zugrichtung des Regengebietes.

Aber genau dabei erkannte ich seine leicht zitternden Finger. Chris war angespannt und aufgeregt. Nicholas überquerte die Boxengasse und kam zu uns. Er fragte uns nach der Meinung und danach entschied er, dass Luc erst einmal mit Slicks weiterfahren soll.

Chris und ich blieben aber in der Box und wären jederzeit in der Lage, einzugreifen.

„Bei dir alles im grünen Bereich?“, fragte ich Chris.

„Geht so. Ich bin schon ziemlich aufgeregt und angespannt. Luc fährt das so ruhig runter. Das beeindruckt mich total und setzt mich auch unter Druck. Ich will keine Fehler machen und eventuell Schuld daran haben, wenn wir nicht ins Ziel kommen. Aber ich freue mich auch sehr auf diese Chance, hier fahren zu dürfen.“

„Dann genieße dieses Rennen und mach es so wie du es für richtig hältst. Und wenn du dir nicht sicher sein solltest, kannst du immer mit mir oder dem Team sprechen. Du musst niemandem etwas beweisen. Lass uns hier Spaß haben.“

„Ich werde es versuchen, Marc.“

Chris schaute immer wieder auf die Zeiten von Luc. Ich hatte den Eindruck, dass er sich zu sehr damit beschäftigte. Draußen wurde es langsam dämmerig und Chris würde in die Dunkelheit hinein fahren.

Luc hatte sich in der nächsten Runde erneut gemeldet und darüber informiert, dass es wieder trocken wäre. So konnte ich mit Chris auch wieder nach oben in die Lounge gehen.

Der Stint von Luc verlief absolut routinemäßig. Keine Probleme am Auto und keine beim Fahrer. Jetzt wurde es für Chris langsam ernst. Ich hatte mich entschieden mit ihm gemeinsam frühzeitig nach unten zu gehen, damit er sich in Ruhe vorbereiten konnte.

Heikki hatte ihm noch eine kleine Nackenmassage gegeben. Nicholas gab mir die Information, dass Luc eine Runde früher reinkommen würde, da sein Sprit nicht mehr für eine Runde reichen würde.

„Du musst den Helm schon aufsetzen. Luc kommt schon in dieser Runde rein. Der Sprit reicht nicht mehr für eine weitere Runde.“

Chris reagierte direkt und machte sich komplett fertig. Er stellte sich vor die Box und wartete auf Luc. Erst zögerte ich, aber dann entschied ich mich ebenfalls dort zu warten. Allerdings mussten wir hinter einer Linie warten. Erst wenn das Auto zum Stehen gekommen war, durften wir zum Fahrzeug.

Dann ertönte die Boxensirene. Ein Fahrzeug war in die Boxengasse gekommen. Ich konnte am Sound sofort hören, dass musste Lucs Ferrari sein.

Chris wirkte konzentriert und in dem Moment in dem Luc zum Stillstand kam, explodierte Chris. Schnell riss er Lucs Tür auf und half ihm beim Aussteigen. Schnell hatte er sein Sitzpolster in den Sitz gelegt und wartete nur noch darauf, dass Luc seine Trinkflasche noch entfernte. Dann setzte sich Chris hinter das Steuer und ich konnte ihn anschnallen. Dabei steckte ich ihm seine Flasche in die Halterung und machte für Luc Platz. So konnte er Chris die aktuellsten Streckeninformationen geben.

Luc schloss die Tür und dann kam das Startsignal für Chris. Der Motor heulte auf, der Gang rastete ein und Chris rollte aus der Box.

Jetzt lag meine Neugier aber bei Luc. Ich wollte wissen wie es ihm ergangen war. Chris würde jetzt erst einmal versuchen einen Rhythmus zu finden und die neuen Reifen auf Temperatur bringen.

Luc hatte sich den Helm abgenommen und stand mit einer Wasserflasche in der Hand vor dem Regal in dem unsere Helme lagen. Ich näherte mich ihm und bevor ich etwas fragen konnte, fiel er mir um den Hals und strahlte.

„Boah, Papa. Wie geil ist das eigentlich hier? Das Auto geht wie die Hölle und ist einfach zu fahren. Sehr gutmütig in der Balance. Und die Fans an der Strecke sind unglaublich. Überall Fahnen und Lagerfeuer der Fans.“

Das Adrenalin war noch im Körper und so sprudelte es noch aus ihm heraus. Nach etwa zwei Minuten merkte er, dass er sehr durstig war. Er setzte eine kleine Flasche Wasser an und trank sie in einem Zug leer.

„Du solltest duschen gehen und dir trockene Sachen anziehen. Außerdem kannst du dir bei Heikki auch eine Massage abholen.“

„Das mache ich sobald ich weiß wie Chris in seinen Run gestartet ist. Hast du schon etwas gehört?“

„Nein, wie denn auch? Ich stehe mit dir zusammen. Lass ihn doch erst einmal etwas fahren. Er ist mit Sicherheit sehr aufgeregt und angespannt. Wir liegen auf einem sehr guten zwölften Rang. Das war eine tolle Leistung von dir, mein Sohn.“

Ich konnte nicht anders und umarmte meinen Jüngsten. Luc wirkte überrascht und realisierte erst jetzt die besondere Situation.

Luc entschied sich, doch erst duschen zu gehen. Stef hatte natürlich auch bereits auf ihn gewartet. Aber er durfte während des Rennens nicht einfach in die Box. Da war die Personenzahl limitiert.

Jetzt konnte ich in Ruhe die ersten Zeiten auf dem Monitor beobachten und staunte. Chris hatte, nachdem die Reifen Temperatur bekommen hatten, flotte Zeiten hingelegt. Die waren in keinster Weise langsamer als die von Luc. Damit hatte ich so nicht gerechnet. Zumal es langsam begann, zu dämmern. In der zweiten fliegenden Runde hatte sich Chris auf eine Geschwindigkeit eingeschossen und blieb auf diesem Niveau sehr konstant. Das hatte zur Folge, dass er die Platzierung ohne große Schwierigkeiten halten konnte. Sehr beeindruckend.

Und dieser Zustand hielt auch bis zum ersten Tankstopp an. Chris hatte über Funk berichtet, dass er viel Spaß hätte und das Auto gut laufen würde.

Als ich kurz vor dem Tankstopp noch einmal nach oben kam, überfielen mich Tim und Carlo mit Fragen zu Chris seiner Fahrt.

„Wie macht Chris das? Er fährt genauso schnell wie Luc und hat praktisch keinen einzigen Platz eingebüßt.“

Dabei standen Tim und Carlo aufgeregt vor mir. Selbst Dustin und Fynn konnten sie nicht mehr zurückhalten.

„Ich kann es euch nicht beantworten. Da müsst ihr ihn schon später selbst befragen. Aber falls es euch beruhigt, ich bin genauso überrascht und fasziniert wie ihr. Dennoch dürft ihr nicht erwarten, dass das bis zum Schluss so bleibt. Ich hoffe nur, er bemerkt es, sollte er müde werden.“

Jetzt reagierten Dustin und Fynn darauf. Fynn fragte nach:

„Kannst du nicht rechtzeitig eingreifen? Nicht dass er unbemerkt müde wird und dann vielleicht einen Fehler macht.“

„Das ist eine schwierige Frage. Ich kann nur anhand der Zeiten und der Bilder aus dem Auto beurteilen, ob bei ihm alles in Ordnung ist. Aber sollte ich etwas bemerken, werde ich sofort reagieren. Das kann ich versprechen. Dennoch traue ich Chris zu, dass er selbst spürt, wenn er müde wird und Tempo zurücknehmen muss.“

Dann bekam ich von Nicholas das Zeichen, dass Chris zum Tanken komme.

„Dustin, ich möchte dir anbieten mit mir hinunterzugehen. Dann kannst du während des Tankens mit Chris auch kurz sprechen. Möchtest du?“

„Na klar. Das wäre cool. Ich dachte, das wäre für uns verboten.“

„Ja, ohne Erlaubnis darf keiner von euch in die Box. Aber wenn ich mit euch hinunter gehe und ihr genau das tut, was ich euch sage, dann geht das schon für einen kurzen Moment.“

Dustin gab seinem Freund noch einen Kuss und folgte mir nach unten. Luc wartete bereits auf mich. Als er Dustin an meiner Seite sah, musste er lachen.

„Na, möchtest du dich persönlich überzeugen, dass es Chris hinter dem Steuer gut geht?“

Luc zwinkerte Dustin dabei zu. Das war ein klares Zeichen und Dustin hatte es verstanden, denn er konterte gut:

„Ja, bei dir muss ich ja jetzt Zweifel haben. Du bist befangen und willst ja nur einen guten Platz ernten. Hihihi.“

Mit dieser Reaktion hatte ich nicht gerechnet. Umso mehr freute mich diese Antwort. Dafür nahm ich Dustin in den Arm und klopfte ihm auf die Schulter.

„Damit geht diese Runde eindeutig an Dustin. Tja, Luc. Jetzt hat dich Dustin aber voll ausgekontert.“

„Jaja. Ich gebe mich geschlagen. Aber Chris kommt jeden Moment. Papa, wo hast du deinen Helm, falls doch schon gewechselt werden muss.“

Okay, da hatte Luc Recht. Das war ein absolut guter Gegenkonter. Ich war nicht vorbereitet. Aber es war eigentlich auch kein Grund erkennbar, dass wir früher wechseln müssten. Die Crew stand bereit und als Chris gestoppt hatte, durfte ich mit Dustin an die Fahrertür. Zuvor hatte ich Dustin eine neue Trinkflasche für Chris gegeben. Er tauschte die Flaschen und Chris hielt ihm seine Hand hin, die Dustin abklatsche. Und schon war wieder alles vorbei und Chris rollte wieder aus der Box.

Dustin wirkte erleichtert und meinte:

„Danke, Marc. Jetzt bin ich sicher, dass es Chris noch gut geht. Er hat sichtlich Spaß. Das freut mich sehr. Ich gönne es ihm von Herzen. Hoffentlich bleibt alles so wie es ist.“

Bevor ich Dustin wieder nach oben schicken konnte, hörte ich plötzlich eine mir gut bekannte Stimme.

„Das kann ja wohl nicht sein, dass ihr vor meiner Corvette herumfahrt. Ich habe gedacht, Chris ist ein blutiger Amateur und schon eingerostet. Hahaha.“

Karl Geiger stand bei uns in der Box und Luc begrüßte ihn herzlich mit einer Umarmung. Dustin wollte direkt wieder nach oben gehen. Ihm schien das nicht ganz so geheuer gewesen zu sein. Er kannte Karl auch nicht so gut, um zu wissen, dass das alles nur Spaß war. Daher griff ich etwas ein.

„Dustin, bringst du Karl bitte nach oben zu den anderen. Ich komme gleich mit Luc nach. Und keine Angst, Karl ist ganz harmlos. Der will nur spielen.“

Dustin schaute mich für eine Sekunde richtig böse an, dann fragte er Karl direkt:

„Ich finde es total blöd, dass du dich über Chris lustig machst. Er fährt ziemlich gut für einen Amateur. Und insgesamt sind Luc, Chris und Marc noch vor euch platziert. Also warum lästerst du so? Und…“

Weiter kam er nicht. Karl schaute zu Luc und wurde sehr ernst. Luc nahm Karl am Arm und ging zu Dustin.

„Das war Spaß, Dustin. Karl wundert sich einfach nur über Chris tolle Performance. Karl mag es eben nicht, nicht erster zu sein. Schon gar nicht wenn ich vor ihm liege. Aber Karl hat mit Sicherheit großen Respekt vor Chris Leistung.“

„Allerdings. Das ist korrekt. Wer solche Zeiten konstant auf der Nordschleife fahren kann, muss richtig gut sein. Egal ob alt, jung, Amateur oder Profi. Ich wollte nicht über Chris lästern. Aber du bist schon etwas empfindlich?“

Karl hatte ein gutes Gespür für die Situation. Er nahm Dustin einfach am Arm und ging mit ihm nach oben. Dabei unterhielten sie sich über den Rennverlauf. Luc hatte ich zurückgehalten. Karl würde das schon richten. Ich brauchte Luc für einen Gedankenaustausch.

„Denkst du, dass Dustin Karls Humor noch verstehen lernt?“

„Ja, das wird er. Karl hat es jetzt auch verstanden, dass Dustin eben etwas schwieriger ist, wenn es um seinen Freund und Coach geht. Da versteht er eben noch wenig Spaß.“

„Hm, dein Wort in Gottes Gehörgang. Aber warum sollte ich nicht mit nach oben gehen? Das wäre für Dustin doch viel einfacher gewesen.“

„Hihi, ja. Einfacher schon, aber zum Einen muss Dustin lernen, dass sich nicht immer alle gleich gegen Chris wenden, nur weil sie einen lockeren Spruch machen und zum Anderen möchte ich mit dir über eine Idee sprechen.“

Jetzt schaute mich mein Sohn neugierig an. Denn eigentlich war die Strategie festgelegt.

„Was hast du jetzt wieder im Kopf? Eigentlich war doch alles besprochen.“

„Ja, das ist richtig. Aber schau mal, Chris fährt jetzt seinen Turn und dann wechseln wir wieder auf mich. Und du kommst dann nach mir mitten in der Nacht. Und Chris muss dann in den ganz frühen Morgen hinein fahren. Wie wäre es denn, wenn ich gleich einen Doppelstint fahre. Also zwei mal zwei Stunden und du dann danach. Das hätte zur Folge, dass sich Chris für fast sechs Stunden aufs Ohr legen könnte. Oder Heikki kann sich ausgiebig um seinen strapazierten Rücken kümmern. Jedenfalls wäre Chris mehr ausgeruht, wenn er dich wieder ablösen würde. Was meinst du?“

„Macht dir das nichts aus? Du bist auch schon länger keine so lange Distanz mehr am Stück gefahren.“

„Ja, das stimmt. Aber ich kenne die Nordschleife bei Nacht am besten von uns allen. Da wird es auch von Stunde zu Stunde weniger Verkehr geben, da viele schon gestrandet sind. Wenn du ins Auto steigst, wird schon deutlich weniger auf der Strecke unterwegs sein.“

„Okay, das leuchtet ein. Und du kannst zwei Stunden länger Gas geben.“

Danach grinste mich Luc frech an und wir mussten beide lachen. Denn so ganz Unrecht hatte er ja auch nicht. Ich hatte tierischen Spaß an dieser Sache und freute mich über jeden Rennkilometer, den ich schnell fahren konnte.

Wir einigten uns darauf, dass ich das mit Nicholas und unserem Renningenieur besprechen würde. Luc war damit einverstanden. Sollten wir dafür grünes Licht bekommen, wollten wir das so machen.

Chris: Der erste Run und die Folgen

Mittlerweile war es dunkel geworden und man konnte sogar die Lagerfeuer an der Strecke sehen. Leider hatte ich wenig Gelegenheit diese Eindrücke zu genießen. Dafür flog die Strecke zu schnell vorbei.

Außerdem musste ich mich sehr konzentrieren nach über neunzig Minuten im Auto. Ich spürte deutlich meine Arme und meinen Rücken von der Belastung. Aber sonst war ich sehr zufrieden mit mir. Ich hatte bislang keinen Fehler fabriziert und das Auto war noch ohne Kratzer im Rennen.

Über Funk hatte mein Ingenieur gemeint, dass ich noch zwei Runden mit dem restlichen Sprit fahren könnte. Aber er sagte auch in einem Nebensatz, dass ich kein Benzin sparen bräuchte. Also fuhr ich meinen Rhythmus weiter und kam im Bereich Hohenrain mit hoher Geschwindigkeit an. Vor der ersten Rechtskurve schwenkten die Streckenposten gelbe Flaggen. Also das Auto deutlich stärker zusammenbremsen und auf sechzig Stundenkilometer herunterbremsen.

Ein Fahrzeug der seriennahen Klassen hatte sich in die Leitplanke verabschiedet und lag ziemlich zerstört an der Seite. Aber der Pilot war bereits aus dem Fahrzeug gestiegen und saß hinter der Leitplanke.

Nachdem ich den Ort passiert hatte und die grüne Flagge wieder freie Fahrt signalisiert hatte, trat ich wieder voll aufs Gas. Die Reifen waren noch auf Temperatur und so konnte ich ungehindert beschleunigen. Allein in dieser Runde konnte ich noch einmal ein GT3 Fahrzeug vor uns überholen. Damit war ich sehr zufrieden als ich eine Runde später in Richtung Box abbiegen musste, um zu tanken und das Steuer an Marc zu übergeben. Marc fragte bereits auf der Döttinger Höhe:

„Hast du irgendwelche Probleme oder gibt es auf der Strecke Stellen, die nicht normal sind?“

„Nein, das Auto läuft besser als der Pilot. Aber es hat den alten Drachen gut über die Runden gebracht. Im Bereich Hohenrain gibt es eine Unfallstelle mit doppelt gelb geschwenkten Flaggen. Sonst alles bestens. Ich komme jetzt rein. Bin Ausfahrt Nordschleife und biege in die Boxen ab.“

In der Boxengasse herrschte auch Tempolimit sechzig. Das kam mir so unfassbar langsam vor, aber wenn man zwei Stunden auf der Rennstrecke unterwegs war, kommt einem das wie in Zeitlupe vor.

Ich bekam Zeichen von den Mechanikern wo ich anhalten sollte. Dann stellte ich den Motor ab und spürte wie der Wagen hochgebockt wurde. Marc öffnete die Tür und half mir beim Aussteigen. Ich nahm meine Trinkflasche aus dem Auto und überlies dann Marc das Feld. Ich schaute ihm noch hinterher, als er aus der Box losfuhr. Danach sah ich zu, schnell etwas zu trinken zu bekommen. Mein Hals war komplett trocken.

Besonders schön war es, dass Dustin und Fynn mit einer Flasche Fassbrause für mich nach unten gekommen waren. Sie hielten mir das Getränk hin, aber zuerst musste ich die beiden umarmen. Es war mir einfach danach. Warum? Keine Ahnung.

Aber es machte ihnen offensichtlich Freude und sie erwiderten meine Umarmung genauso herzlich.

„Das war richtig geil, Chris. Du hast sogar einen Platz gut machen können. Wie geht es dir?“

„Durstig und müde, aber sonst bestens. Das ist total irre da draußen. Wie war es für euch?“

Fynn schaute seinen Freund an.

„Für mich war es einfach nur spannend, aber Dustin war der Meinung du hättest an manchen Stellen ruhig etwas langsamer fahren können. Aber es ist einfach nur eine geile Stimmung da oben. Sabine hat das gut im Griff. Und ich finde es schön, jetzt mit dir wieder gemeinsam in der Box zu sein und nicht mehr hoffen zu müssen, dass alles gut geht.“

Dustin passte Fynns Aussage nicht wirklich. Aber er protestierte auch nicht. Allerdings kam ein leises „Petze“ als er Fynn einen Kuss gab. Ich hatte das registriert, aber ignorierte das und löschte meinen Durst mit der Fassbrause.

„Puh, irgendwie ist in diesen kleinen Flaschen nicht viel drin. Ich hoffe, ihr habt noch etwas auf Vorrat davon.“

Die beiden Jungs grinsten mich an und antworteten:

„Folge uns und wir werden dafür sorgen, dass du nicht verdursten wirst.“

Und entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, folgte ich ihnen zuerst nach oben um mit meinen Freunden etwas zu trinken und erst danach duschen zu gehen.

Als ich den Raum mit Luc, Dustin und Fynn betrat, herrschte eine ausgelassene Stimmung. Keine Party aber alle waren fröhlich und gelöst. Sabine hatte mich entdeckt und kam auf mich zu:

„Sehr schön, dass bei dir alles gut gelaufen ist. Marc war sehr zufrieden mit deiner Leistung.“

Bevor Sabine fortsetzen konnte, ging Luc dazwischen:

„Und das will etwas heißen. Du hast bei Marc großen Respekt geerntet für diese Leistung. Selbst wenn du bei den nächsten Turns etwas mehr auf deinen Körper achten musst, eine tolle Leistung. Ich bin auch total beeindruckt.“

Da Luc das recht laut gesagt hatte, hörten nahezu alle Anwesenden seine Worte und begannen spontan zu applaudieren. Ich schaute mich um und musste feststellen, dass Malte und Marvin fehlten. Aber Maltes Eltern standen bei Thorsten und unterhielten sich. Ich meldete mich bei Sabine ab zum Duschen und zur Massage.

Interessant war dann die Begegnung mit Malte und Marvin, die ich auf dem Weg zur Dusche traf. Sie kamen mir mit einem Eis in der Hand entgegen.

„Na, ihr beiden. Wo habt ihr denn das Eis her?“, fragte ich sie.

„Hi, Chris. Bist du schon mit deinem Run fertig? Wir wollten uns den Wechsel eigentlich anschauen. Irgendwie haben wir überhaupt nicht auf die Zeit geschaut. Was macht dein Rücken? Ist alles gut?“

„Danke, ja. Der Rücken ist okay. Aber habt ihr Bescheid gesagt, dass ihr allein unterwegs seid? Hier laufen so viele Menschen herum. Nicht dass ihr verloren geht.“

„Klar, wir haben Mama Bescheid gesagt, dass wir uns ein Eis kaufen wollen. Wohin gehst du jetzt? Bleibst du nicht in der Box?“

„Ich gehe duschen und zur Massage. Dann komme ich zurück und werde mir das Geschehen anschauen. Marc sollte sich auch allein zurechtfinden.“

Die beiden waren bester Laune und ich konnte die Nähe zwischen ihnen fühlen. Da schien sich eine tiefe Freundschaft anzubahnen.

Heikki erwartete mich bereits nach der Dusche und staunte über meinen Zustand nach dem zwei-Stunden-Renneinsatz.

„Wow, Chris. Das fühlt sich noch recht gut an. Was machen die Schmerzen?“

„Ja, es geht. Einige Sachen tun schon weh, aber ich habe es viel schlimmer erwartet. Wenn es so bleibt, kann ich noch den einen oder anderen Stint fahren. Aber ich habe mir ganz fest vorgenommen, wenn es mehr schmerzt, dann werde ich Marc sagen, dass ich nicht weiterfahren werde.“

„Ein guter Plan. Meine Aufgabe wird es sein, das zu verhindern. Hihihi. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass mir das auch gelingen wird.“

Danach behandelte mich Heikki wieder eine halbe Stunde und wieder schwebte ich aus der Behandlung in Richtung Lounge.

Bevor ich in die Lounge hochging, schaute ich vorn am Kommandostand vorbei. Nicholas war guter Dinge. Unser drittes Fahrzeug mit den Profis lag an dritter Stelle im Gesamtklassement. Marc hatte sich auf Platz fünf vorgefahren und Tom lag auf Platz acht. Sie hatten leider einen Reifenschaden, der sie viel Zeit gekostet hatte. Allerdings hatte es keine Folgeschäden gegeben.

„Hi Chris. Hat dich Heikki gut versorgt?“

„Danke der Nachfrage. Ja. Ich habe gerade das Gefühl zehn Jahre jünger zu sein. Hihihi.“

„Ok, sehr schön. Ich habe da auch noch eine neue Information für dich. Marc und ich haben mit dem Ingenieur eine Änderung unserer Taktik besprochen.“

Bitte? Was sollte das denn jetzt? Ohne mit Luc und mir gesprochen zu haben?

„Stopp, nicht aufregen. Das Ziel bleibt gleich. Ankommen und zwar sicher. Aber Marc hatte die Idee, jetzt einen Doppelstint zu fahren. Damit könntest du dich länger ausruhen und dich vielleicht sogar ein wenig schlafen legen. Marc kennt die Nordschleife auch im Dunkeln nahezu auswendig. Für dich und Luc ist das Fahren in völliger Dunkelheit mit einem höheren Risiko verbunden.“

„Okay, das ist sicher richtig. Luc ist damit einverstanden? Und Marc ist sich sicher, dass er das noch kann?“

„Ja, Luc war einverstanden und wird sich sicherheitshalber hier in der Nähe aufhalten. Sollte Marc also Probleme bekommen, könnte Luc auch früher ins Cockpit steigen.“

Gut, damit konnte ich leben. Für meinen Rücken wäre das zusätzlich von Vorteil und ich würde dann sozusagen in die Morgendämmerung fahren und hätte meine reine Nachtfahrt quasi schon erledigt. Ich stimmte also zu und verabschiedete mich wieder vom Kommandostand. Mein Weg führte durch die Box nach oben. Dort stand Luc und schaute auf den Monitor mit den Zeiten. Er hatte einen Kopfhörer auf. Ich tippte ihm daher auf die Schulter, dass ich mit ihm sprechen wollte.

„Ah, Chris. Bist du von Heikki gut versorgt worden? Was macht dein Rücken?“

„Alles gut soweit. Altersentsprechend gut. Wie macht sich dein Papa auf der Strecke? Hält er sich an die Vorgaben oder pusht er?“

„Nein, alles bestens. Er fährt sicher einiges schneller als wir, aber er geht nicht auf Angriff. Er hält unsere Position sicher und das Auto läuft total rund. Kaum zu glauben, aber das Rennen ist ja auch noch sehr lang. Gehst du direkt ins Quartier und legst dich hin oder was hast du vor?“

„Nein, ich gehe erst oben bei unseren Freunden vorbei, dann etwas essen und vermutlich werde ich mich danach etwas hinlegen. Kann ich wohl ein Funkgerät mitnehmen? Dann bin ich immer informiert was hier passiert.“

„Na klar. Ich bleibe hier und wenn etwas sein sollte, bekommst du es sofort mitgeteilt. Stell dein Handy nicht auf lautlos, ich weck dich dann.“

„Danke, ich sage dir aber noch Bescheid wenn ich gehe. Was macht Stef? Darf er hier gar nicht sein?“

„Doch, doch, aber er sagt, dass es ihn immer sehr aufregt. Er bleibt lieber bei Sabine und unseren Freunden. Das lenkt ihn ab.“

Ich nickte ihm zu und machte mich auf den Weg die Treppe nach oben zu nehmen.

Dort herrschte eine Mischung aus Party und gespannter Aufmerksamkeit. An der Theke standen gerade Thorsten, Marco und die Eltern von Fynn und Malte zusammen. Die Jungs hatten sich vor den Monitoren zusammengefunden und auch Malte und Marvin waren von ihrem Ausflug zum Eisladen zurück.

Dadurch wurde ich von meinen Jungs erst nicht wahrgenommen. Aber Sabine hatte mich natürlich sofort bemerkt und kam mit einer Fassbrause auf mich zu.

„Hier, das wird dir gut tun. Deine Fahrt war ja richtig gut. Wie fühlst du dich jetzt?“

„Ah, danke. Das tut gut jetzt. Heikki macht mich immer gleich zehn oder fünfzehn Jahre jünger. Vielleicht hält das ja noch etwas an. Dann kann ich morgen auch wieder laufen.“

Den letzten Satz hatte Thorsten auch mitbekommen. Er knüpfte daran an:

„Ach, so schlimm wird es nicht werden. Du hast dich toll präsentiert. Selbst Marc und Tom waren beeindruckt von der Leistung. Damit hatten wir ehrlicherweise nicht gerechnet. Du bist genauso schnell gefahren wie Luc. Ich habe da noch eine Info für dich. Gerry schafft es erst morgen herzukommen. Dafür bringt er aber deinen Bruder mit.“

Bevor ich etwas antworten konnte, hatten mich Dustin und Fynn gesehen. Dass sie irgendetwas beobachtet hatten, konnte ich sofort spüren. Dustin wirkte aufgekratzt. Aber es war nichts Negatives. Mal schauen was sich gleich noch entwickeln würde. Fynn stellte sich an meine Seite.

„Hast du gleich mal Zeit. Wir würden gern mit dir etwas allein besprechen. Es geht um Malte und Marvin.“

Ich nickte nur und gab ihnen ein Zeichen, dass wir gemeinsam hinausgehen sollten. Sie könnten mich zu meinem Ruhelager begleiten.

Jetzt musste ich aber noch Thorsten auf die Info mit Jan antworten.

„Hui, Gerry und Jan kommen gemeinsam her? Das macht den Druck für mich nicht kleiner.“

„Blödsinn. Du hast doch gar keinen Druck. Hier bist du in einem Bereich, wo du deinem Bruder um Lichtjahre voraus bist.“

Nanu? Wer hatte das denn gesagt?

Ich drehte mich um und schaute in das Gesicht von Justin, der sich von hinten genähert hatte. Dustin und Fynn stiegen natürlich gleich mit ein.

„Eben, hier kann dir Jan gar keinen Druck machen. Du fährst deinen Stiefel und gut ist. Sollte er sich hier einmischen, wird es richtig spannend. Dann dürfte er sich mit Sabine anlegen. Das will er bestimmt nicht. Hihihi.“

Fynn konnte sich nicht länger beherrschen und lachte befreit auf, als Dustin das gesagt hatte. Auch Justin lachte sofort mit.

„In Ordnung, ich werde mich dann an Sabine halten. Versprochen. Aber jetzt will ich mich ein wenig ausruhen. Das Rennen ist noch lang.“

Ich gab Dustin und Fynn ein Zeichen, dass sie schon herunter gehen sollten. Ich wollte mich bei Sabine abmelden und dann auch hinausgehen.

Sabine fand meine Absicht sich etwas zurückzuziehen sehr gut. Sie versprach mir, sich um unsere Haller Abordnung zu kümmern.

Als ich die Treppe hinuntergegangen war standen Dustin und Fynn dort und warteten auf mich.

„So, ihr beiden. Was liegt an? Es scheint euch wichtig zu sein, jetzt mit mir sprechen zu wollen.“

„Ja, Chris. Es geht um Malte und Marvin. Irgendwie bahnt sich da wohl etwas an. Wir haben die beiden ständig zusammen gesehen und vorhin, als sie sich ein Eis geholt haben, habe ich beobachtet wie Marvins Hand von hinten in Maltes Hose verschwand.“

„Und warum ist das jetzt so wichtig? Die beiden sind sehr eng befreundet und wenn es jetzt so sein sollte, dass sie auch Zärtlichkeiten austauschen möchten, dann sei es ihnen gegönnt. Sie sind alt genug.“

„Ich meine“, antwortete Fynn, „inmitten der ganzen Leute wäre das verdammt mutig. Von uns weiß niemand davon etwas und plötzlich gehen die beiden auf Kontakt. Maltes Eltern sind hier und ich bin mir nicht sicher ob sie das so gut finden. Kristin hat uns vorhin schon nach Malte gefragt.“

„Was hat sie genau gefragt?“, wollte ich wissen.

„Ob wir wissen würden wo sich Malte wieder herumtreiben würde. Sie hatte Sorge, dass die beiden Blödsinn machten.“

„Das ist ja ihr gutes Recht. Bei so vielen Menschen hier, würde ich als Eltern auch genauestens aufpassen, damit keiner verloren geht. Und noch etwas, erinnert euch bitte an euer Zusammenkommen. Da seid ihr auch froh gewesen, dass ich euch genug Luft gelassen hatte. Ich finde, Malte und Marvin haben genauso Zeit und Raum verdient. Sollten sie Probleme haben oder bekommen, werden sie bestimmt zuerst mit euch sprechen. Und wenn ihr dann der Meinung seid, dass ihr meine Hilfe braucht, kommt einfach und wir reden miteinander. Malte und Marvin sind tolle Jungs mitten in ihrer Selbstfindung. Ich vertraue beiden und bin mir sicher, dass Kristin sich melden würde, wenn es etwas zu besprechen gäbe.“

„Okay“, meinte Fynn, „du hast das also schon im Auge. Wir haben gedacht, das sei an dir vorbei gegangen. Du hast schließlich gerade ein Rennen am Start.“

„Ja, das habe ich im Blick. Luc hatte mich auch schon darauf angesprochen. Lasst sie machen und seid für sie da. Bindet sie in eure Clique ein, dann werden sie Vertrauen finden. Sollte es so sein, dass wir da das nächste Paar bekommen, dann ist das eben so. Es wird mit Sicherheit nicht das letzte bleiben.“

Fynn schaute seinen Freund an und Dustin reagierte überraschend deutlich. Er nahm seinen Freund in die Arme und gab ihm einen Kuss. Danach drehte er sich zu mir und sagte etwas Schönes:

„Danke, Chris. Es ist toll zu wissen, dass du immer noch für alle da bist. Ich glaube, wir sind ein sehr starkes Team, weil wir eben auch nach den anderen schauen und nicht nur auf uns. Ich verspreche jedenfalls, dass ich für die beiden immer ansprechbar sein werde. Genau wie du. Und du musst dich jetzt ausruhen und hast Pause. Bis später dann und erhol dich gut.“

Danach kam er auf mich zu, umarmte mich und auch Fynn gab mir zum Abschied eine Umarmung.

„Alles klar, Jungs. Wir sehen uns dann nachher wieder in der Box. Und ich finde es gut, dass ihr genau hinschaut. Luc oder Marc wird mich informieren, sollte es Probleme geben. Ich lege mich jetzt etwas aufs Ohr.“

Fynn: Der Rennverlauf wird spannend und nicht nur der Rennverlauf

Es war hier der totale Wahnsinn los. Nachdem sich Chris zur Ruhe begeben hatte, wurde es auf der Strecke spannend. Wie Chris während des Rennens schlafen konnte war mir ein Rätsel. Ich war ja als Zuschauer schon total aufgeregt. Allerdings war es sicherlich vernünftig, auch ein paar Stunden zu schlafen.

Dustin und ich wollten mit Stef zusammen bei Karl Geiger vorbeigehen. Wir gingen zu Sabine, um uns abzumelden.

„Ich finde, dass das eine gute Idee ist. Karl freut sich bestimmt. Und nehmt Luc auch mit. Er soll hier nicht die ganze Zeit darauf warten, dass etwas passiert. Er hat doch ein Funkgerät dabei, da kann er jederzeit zurück kommen. Und lasst euch von Luc nicht abwimmeln. Stef, du sorgst dafür, dass er mitgeht.“

Stef fing an zu lächeln und dann machten wir uns auf den Weg nach unten. Luc stand wie so oft vor den Monitoren und schaute sich die Zeiten seines Vaters an. Stef ging zu seinem Freund und nahm ihm die Kopfhörer ab. Sie sprachen kurz miteinander und dann schaute Luc zu uns herüber. Er nickte und kam tatsächlich ohne Diskussionen mit uns mit.

„Es ist schön, dass du mitkommst, Luc. Dustin und ich kennen Karl noch nicht so gut wie ihr. Wir möchten aber auch einmal rausgehen. Immer nur da oben hocken und aufgeregt auf die Zeiten schauen, das ist stressig. Wie schaffst du das nur so ruhig zu bleiben?“

„Ich muss darauf vertrauen, dass Papa genau weiß was er macht. Und das tut er. Wenn es einer kann, dann Papa. Ich muss zugeben, dass ich auch etwas Sorge habe, aber vorhin als Chris am Steuer saß, habe ich mich viel mehr aufgeregt. Da hat mich Papa immer wieder beruhigt und mir Sicherheit gegeben. Chris ist wirklich geil gefahren. Dennoch war ich sehr aufgeregt.“

„Ach, was denkst du wohl was bei mir los war“, warf Dustin ein, „ich habe niemals gedacht, dass Chris mit seinen Fähigkeiten am Steuer so untertrieben hätte. Das war mega geil. Aber das Rennen ist noch so lang. Hoffentlich kennt Chris seine Grenzen.“

Wir waren schon einige Minuten unterwegs und die nächste Box würde die Callaway Box sein, als über den Streckensprecher die Durchsage kam, dass das Safety Car auf die Strecke geht. Wir beschleunigten unseren Schritt, um uns bei Karl zu informieren.

Karl stand in der Box und unterhielt sich mit einem der Fahrer als er uns kommen sah. Er winkte und signalisierte uns zu ihm zu kommen. Luc ging jetzt voran und als ein Mechaniker uns aufhalten wollte, ging Karl dazwischen.

„Lasst die Jungs ruhig laufen. Sie gehören zu mir.“

Der Mechaniker schaute Karl an und dann durften wir uns unbehelligt in der Box bewegen. Das war aufregend. Auch hier wurde fleißig gearbeitet, obwohl keins der Fahrzeuge gerade in der Box stand.

„Hast du mitbekommen warum das Safety Car auf die Strecke geht? Und warum ist hier so ein Gewusel? Es ist doch gar kein Auto in der Box“, fragte ich Karl.

Bei Dustin schien diese Frage Unbehagen auszulösen. Er machte einen Schritt zurück und stand jetzt hinter mir. Stef und Luc schauten bei einer Gruppe Mechaniker zu, die gerade irgendein größeres Bauteil bearbeiteten.

„Eine gute Frage, Fynn. Es hat am Flugplatz wohl einen Unfall gegeben und dort ist viel Öl auf die Strecke gelaufen. Das muss aufgenommen werden, damit es nicht zur Gefahr wird. Bei uns hat sich bei einem Fahrzeug ein Problem mit dem Getriebe eingestellt. Jetzt bereiten wir das neue Getriebe auf den Austausch vor. Damit können wir mindestens dreißig Minuten einsparen, wenn das Auto in die Box kommt.“

„Aber wenn das Getriebe doch jetzt noch funktioniert, warum wollt ihr das schon tauschen. Das kostet doch enorm viel Zeit.“

„Ganz einfach: sollte das Getriebe mitten auf der Nordschleife ganz kaputt gehen, wäre das vielleicht ein Totalausfall. Man könnte eventuell nicht mehr bis zur Box zurück fahren. Von daher werden wir gleich mit einer der Corvettes reinkommen und dann das Getriebe tauschen.“

Luc hatte den letzten Satz mitbekommen.

„Das kostet euch aber trotzdem noch eine dreiviertel Stunde Zeit, oder? Hihihi, sehr schön. Dann sind Tom und Papa auf jeden Fall an euch vorbei. Das kostet dich dann in der Firma aber ein Essen für alle.“

„Hä? Warum das denn?“, fragte ich sofort nach, „Karl ist doch unser Freund. Wie kannst du dich darüber freuen?“

„Ganz ruhig, Fynn. Luc meint das nicht so. Wir frotzeln miteinander gern ein wenig rum. Und er hat schon Recht. Wir hatten in München eine Wette abgeschlossen. Derjenige, der hinter dem anderen ins Ziel kommt, muss ein Essen für die Werkstattcrew bezahlen.“

„Boah, Luc. Das könnte aber teuer für dich werden.“

„Nein, weil wir einfach nicht hinter Karl ins Ziel kommen werden. Ganz sicher. Hihihi. Wartet es ab.“

In diesem Augenblick hörte man die Warnsirene, dass ein Auto in die Boxen kam. Karl reagierte direkt und gab die Anweisung:

„Achtung die Corvette kommt rein. Geht ihr bitte jetzt etwas zur Seite, damit die Jungs in Ruhe arbeiten können.“

Das taten wir natürlich, denn im Weg stehen wollten wir überhaupt nicht. Aber die Box war einiges kleiner als unsere und daher folgten wir umgehend der Aufforderung zurückzugehen. Wir würden später noch einmal herkommen. Karl war damit einverstanden.

„Das ist schon krass, oder? Die wechseln ein Getriebe in fünfundvierzig Minuten. In einer normalen Werkstatt dauert das Tage, hat Chris mal gesagt.“

„Ja, Dustin. Da hat Chris gut geschätzt. So lange musst du dafür schon rechnen. Aber diese Rennwagen sind speziell auf solche Defekte konstruiert. Das sind ja auch keine Seriengetriebe mehr. Hoffentlich wird uns das erspart bleiben.“

Luc wirkte nicht mehr so locker wie eben bei Karl in der Box. Stef spürte es wohl auch, denn er nahm seinen Freund liebevoll in den Arm und Luc legte seinen Kopf bei Stef auf die Schulter. Das hatte Dustin wohl inspiriert und folgte meinem Beispiel. Ein schönes Gefühl breitete sich in mir aus. Bislang waren diese Dinge hier gar nicht zum Zuge gekommen. Eigentlich schade, wie ich gerade feststellte.

Allerdings gab das Geschehen hier auch nur wenige Situationen für Kuscheln oder andere Zärtlichkeit. Umso mehr konnte ich den Kontakt zu meinem Schatz jetzt genießen. In unserer Box herrschte gerade viel Action. Toms Auto stand in der Box und bekam neue Bremsscheiben und Beläge. Das schien ein Routinevorgang zu sein, denn Mick und Lukas standen ruhig an der Seite und beobachteten die Mechaniker. Tom blieb im Auto sitzen. Er fuhr also ähnlich wie Marc einen Doppelstint.

Als der Ferrari wieder aus der Box gerollt wurde, löste sich das Gewusel der Mechaniker schnell wieder auf und alles setzte sich geordnet auf ihre Klappstühle. Unfassbar wie diszipliniert diese Mechaniker waren. Das waren absolute Vollprofis.

„Sag mal, Luc, hast du eigentlich eine Vorstellung was dieser Renneinsatz kostet? Je länger ich darüber nachdenke, desto größer wird die Summe in meinem Kopf.“

„Ja, das glaube ich dir sofort. Aber ich werde dir dazu keine Zahlen nennen. Papa hat sich das genau so vorgestellt und dann macht er das auch so. Und komm nicht auf die Idee, dass Chris für diesen Einsatz etwas bezahlt. Da würde Mama derart böse werden, dass selbst Papa davor zurückschrecken würde. Aber Papa hätte das eh nicht getan. Es ist sein Traum, der hier gerade in Erfüllung geht.“

„Sagen wir besser, in Erfüllung gehen soll. Noch ist das Rennen nicht zu Ende und ihr noch nicht im Ziel“, meinte Dustin dazu.

Luc schaute Dustin an und musste lachen.

„Ja, da kann ich nicht widersprechen. Aber ich hoffe es sehr, dass wir ins Ziel kommen. Denn dann ist endgültig Schluss mit Papas Rennerei. Dann wird nur noch zum Spaß mit den Oldtimern gefahren.“

„Aber du fährst doch heute selbst gern mit. Warum ist dir das so wichtig, dass Marc mit diesen echten Rennen aufhört?“

„Weil es immer noch gefährlich ist. Papa würde ohne Chris und mich wieder nur Vollgas kennen. Papa kann auf einer Rennstrecke nicht langsam fahren.“

Wir waren mittlerweile wieder bei unseren Freunden in der Lounge angekommen. Dort war es schon deutlich ruhiger geworden. Mit einem Blick auf die Uhr auch kein Wunder. Malte und Marvin waren mit Maltes Eltern bereits in ihr Quartier gegangen und auch Tim und Carlo machten nicht mehr den frischesten Eindruck. Marco hingegen stand mit Thorsten und Sabine an der Theke. Sabine hatte uns bemerkt und kam uns entgegen.

„Na, Jungs. Habt ihr Karl einen Besuch abgestattet?“

„Ja, Mama“, antwortete Luc, „aber es war dort gerade viel zu tun und da sind wir wieder gegangen. Wir wollen später noch einmal hingehen.“

„Das war sicher vernünftig. Dustin und Fynn, ich habe eine Bitte an euch. Könntet ihr Tim und Carlo in ihr Nachtquartier bringen? Die sind beide todmüde und Marco würde gern noch etwas bleiben. Sie wollen aber ungern allein gehen.“

Wir schauten uns an und Dustin hatte plötzlich ein Leuchten in seinen Augen. Da wusste ich, wir würden sie begleiten und uns ebenfalls zurückziehen.

Auf dem Weg in unser Quartier im Fahrerlager meinte Carlo:

„Wisst ihr, ob zwischen Malte und Marvin etwas läuft? Manchmal denke ich, die beiden sind mehr als nur gute Freunde.“

„Nein“, erwiderte Dustin, „und ich finde es ist auch nicht klug, sich darüber einen Kopf zu machen. Sie können uns jederzeit ansprechen, sollten sie Probleme mit ihrer Situation bekommen. Vielleicht ist es so und sie finden es toll und brauchen gar keine Hilfe. Wir sollten uns genauso verhalten wie bisher. Nur so werden sie unser Vertrauen auch nutzen können. Lasst das Spekulieren sein. Das hilft keinem. Und jetzt möchte ich auch etwas Ruhe mit meinem Freund haben.“

Dabei legte er seinen Arm um mich und küsste mich. Wow, da schien aber jemand Lust auf seinen Freund zu haben. Mit einem Kribbeln im Bauch wünschte ich Tim und Carlo eine gute Nacht.

Meine Nacht mit Dustin war zwar kurz, aber genauso spannend wie das weitergehende Rennen. Obwohl wir nur wenige Stunden Schlaf hatten, fühlte ich mich sehr entspannt, als wir gegen fünf Uhr in der Frühe wieder in der Box standen.

Marc: Die Ruhe vor dem Sturm?

Der bislang ungewöhnliche Rennverlauf machte mich skeptisch. Wir hatten bisher nicht ein einziges Problem. Das Auto lief wie ein Uhrwerk und auch Luc und Chris hatten ihren Run ohne Schwierigkeiten absolviert.

Chris war ausgeruht aus seiner Pause zurückgekehrt und vor zehn Minuten aus der Box gefahren. Was mich wunderte, Dustin und Fynn waren nicht in der Box als Chris einstieg. Sie kamen erst jetzt hinzu. Die anderen Jungs waren schon lange anwesend, bzw. waren die ganze Nacht geblieben. Justin und Maxi hatten ausgeharrt und nur selten kurze Ruhephasen gemacht.

Etliche Fahrzeuge waren bereits aus dem Rennen. Damit war es auch nicht mehr ganz so voll und hektisch auf der Strecke. Für Chris ein Vorteil, dass er ausgeruht und in den Sonnenaufgang hinein fahren konnte. Ich rechnete jeden Moment mit irgendwelchen Problemen, denn in der Vergangenheit hatte ich auf der Nordschleife noch nie ein Rennen ohne Komplikationen. Also war das für mich so etwas wie die Ruhe vor dem Sturm.

Außerdem waren Carlo und Tim mit Malte und Marvin schon einige Zeit wieder zurück. Sobald sie in die Box kommen durften, kam Leben in die Hütte. Es war aber nicht nervig, eher im Gegenteil, sie konnten auch die Mechaniker immer wieder zum Lachen bringen und bei Laune halten. Das war sehr praktisch, denn die Müdigkeit machte sich in der Truppe doch bemerkbar. Immerhin hatte jeder Mechaniker von unserem Wagen ein paar Ruhephasen in der Nacht. Es gab nur die Tankstopps und den Bremsenwechsel. Also nur Routinestopps.

Tom, Lukas und Mick hatten da weniger Glück. An ihrem Auto hatte ein Ausflug ins Kiesbett die Folge, dass der Kühler zerschlagen wurde. Glücklicherweise geschah das auf dem Grand Prix Kurs und der Weg in die Box war nicht weit. Der Motor hatte den Schaden ohne Folgen überstanden. Allerdings hatte die Reparatur viel Zeit gekostet.

Chris hatte sich mittlerweile wieder gut ins Geschehen integriert und fuhr gute Rundenzeiten. Vor allem konstante Zeiten. Unsere Platzierung war sensationell gut. Wir lagen vor den Callaway Corvettes von Karl auf Platz sechs. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.

Eine halbe Stunde später bat mich Nicholas zu einem Gespräch an den Kommandostand. Sofort wurde Luc aufmerksam. Er wollte sich schon zu uns auf den Weg machen, aber Dustin hielt ihn zurück. Sie gingen an die Monitore und schauten sich dort die Daten an.

Das war das letzte was ich noch mitbekam, danach stand ich am Kommandostand und sprach mit Nicholas.

„Sag mal, wusstest du, dass Chris so dermaßen gut fahren kann? Er fährt jede Runde mindestens zwei Sekunden schneller als Luc und dabei macht er keine Fehler. Ich bin beeindruckt. Oder sollen wir ihn einbremsen? Du kennst ihn viel besser.“

„Nein, dass er so gut ist, wusste ich auch nicht. Dass er Talent hat, wusste ich schon. Und viel Gefühl für das Auto. Er hört immer in das Fahrzeug hinein und nimmt schon früh Veränderungen wahr. Allerdings bin ich etwas über seine Fitness besorgt. Ich weiß nicht, wie lange er diese Belastung aushalten wird.“

„Würde er uns etwas mitteilen, wenn er Probleme bekommt? Oder fährt er einfach weiter?“

„Eine gute Frage, die ich nicht zu einhundert Prozent beantworten möchte. Wenn er ein ernsthaftes Problem bekäme, würde er sofort reagieren. Da bin ich mir sicher. Allerdings weiß ich nicht wie das mit der Müdigkeit oder Schmerzen im Rücken aussehen würde. Er will mich auf keinen Fall enttäuschen. Wobei das sowieso nicht geht, denn diese Leistung bis hierher konnte niemand ahnen.“

„Gut, dann werde ich ein wachsames Auge auf ihn behalten. Tom hat übrigens berichtet, dass sie ab und zu Probleme mit der Belüftung haben. Die Scheibe beschlägt hin und wieder. Ist das bei euch auch der Fall?“

„Nein, nicht dass ich wüsste. Hat Luc etwas in dieser Richtung berichtet?“

„Nein, eben nicht. Das scheint dann also ein spezifisches Problem zu sein.“

In diesem Augenblick hörte ich ein Klicken im Kopfhörer und konnte Chris Stimme hören.

„Habt ihr ein Problem in der Telemetrie gesehen? Meine Wassertemperatur geht nach oben. Ist noch nicht dramatisch, aber auch nicht normal.“

Sofort war ich hellwach und machte mich nach Absprache mit Nicholas auf den Weg zu den Ingenieuren in der Box. Sie hatten den Funkspruch natürlich genauso mitbekommen. Luc leider auch, denn er stand schon wartend neben unserem Ingenieur.

„Was hat das zu bedeuten, Papa?“, fragte Luc aufgeregt.

„Das kann ich noch nicht sagen. Wir müssen mal schauen was da los ist. Noch scheint es kein akutes Problem zu sein. Seine Zeiten sind weiterhin exzellent und konstant.“

Wir schauten uns die Daten an und mussten leider erkennen, dass die Wassertemperatur etwa fünf Grad über normal lag. Aber der Druck und die anderen Werte von Öl und Hydraulik waren alle noch normal.

Dustin und Fynn beobachteten uns genauestens. Allerdings trauten sie sich nicht, zu uns zu kommen. Ich entschied mich daher, Luc loszuschicken und Stef und die beiden zu uns zu holen.

„Mal eine Frage“, sprach mich der Ingenieur an, „ist einer von euch mal neben der Strecke gewesen? Hat dir Luc etwas davon gesagt? Ich habe den Verdacht, dass die Kühlungsöffnung vorne vielleicht nicht mehr ganz frei ist.“

„Nein, gesagt hat er nichts. Aber du kannst ihn ja gleich fragen. Ich gehe mal nach vorn und versuche bei der Vorbeifahrt etwas zu erkennen oder auf den TV-Bildern etwas zu sehen.“

„Warte bitte! Ich möchte, dass du mit Luc sprichst. Danach können wir immer noch schauen.“

Es dauerte nicht mehr lange und Luc kam zu uns. Überraschenderweise brachten sie Malte mit. Und der wirkte ziemlich aufgeregt.

„Papa, Malte hat auf den TV Bildern etwas entdeckt. Vielleicht ist das die Ursache für das Temperaturproblem.“

Bevor ich reagieren konnte, sprudelte es aus Malte heraus.

„Ich habe auf den Bildern gesehen, dass sich Chris eine Plastiktüte in die Kühleröffnungen eingefangen hat.“

Sofort nahm ich den Jungen an die Seite und ging mit ihm zum TV Bild. Jetzt mussten wir warten bis unser Auto im Bild sein würde. Es dauerte noch etwa zwei Minuten, dann war unser Wagen im Bild. Chris war in einem Positionskampf mit einem Audi R8. Chris verteidigte sich bislang hervorragend, aber beim Beschleunigen aus den engen Ecken heraus, hatte der Audi Vorteile. Es sah so aus als ob Chris etwas an Leistung fehlte.

„Da, siehst du. Da vorne auf der rechten Seite ist noch etwas zu sehen.“

Maltes Finger schnellte auf den Monitor und zeigte auf die Stelle.

Tatsächlich war dort ein Fremdkörper zu erkennen. Was genau es sein würde, war nicht zu erkennen.

„Danke, Malte. Sehr gut beobachtet. Das könnte die Ursache für den Temperaturanstieg und den Leistungsverlust sein. Ich werde es mit Nicholas besprechen, was jetzt zu tun ist.“

Luc wollte mit mir gehen, aber Malte war so aufgeregt, da war es mir lieber er blieb mit Stef bei Marvin in der Box.

Nicholas erwartete mich bereits.

„Na, was habt ihr herausgefunden? Die Jungs waren ja total aufgeregt.“

„Das stimmt. Malte hat auf dem TV Bild beobachtet, dass bei unserem Auto ein Fremdkörper vor der Kühleröffnung sitzt. Vielleicht eine Plastiktüte. Das wäre dann eine plausible Erklärung für das Problem.“

„Ok, aber wenn wir ihn jetzt reinholen, würden wir viel Zeit verlieren. Ich möchte vorschlagen, ihn noch eine weitere Runde fahren zu lassen, dann aufzutanken und neue Reifen zu montieren. Anschließend kann Chris noch einen kompletten Turn bis zum nächsten Tanken fahren. Da wechseln wir dann auch den Fahrer.“

Bei jedem Profirennfahrer wäre das mit Sicherheit die beste Lösung gewesen. Chris war aber kein Profi. Das würde bedeuten, er würde etwa dreißig Minuten länger als geplant im Auto sitzen.

„Ich möchte das mit Chris besprechen. Er ist kein Profi und er muss das entscheiden wie sein Rücken sich anfühlt.“

Nicholas nickte und ich nahm mir den Kopfhörer und sprach Chris im Auto an.

„Ja, Marc. Was liegt an? Habt ihr etwas gefunden?“

„Vermutlich, ja. Wir haben auf den Fernsehbildern gesehen, dass sich ein Fremdkörper in der Kühleröffnung befindet. Was macht dein Rücken und wie fühlst du dich gerade im Auto?“

„Bislang fühle ich mich gut. Sitze ja auch erst eine knappe halbe Stunde im Auto. Aber ich habe das Gefühl, dass mir etwas Leistung abhanden gekommen ist. Den Audi habe ich nicht mehr halten können. Er hatte einfach eine bessere Beschleunigung und mir war das ehrlich gesagt zu gefährlich, ständig mit ihm zu kämpfen. Sorry.“

„Hey, alles bestens. Gute Entscheidung. Du sollst ankommen, nicht auf Platz fahren. Pass auf, folgender Vorschlag. Du fährst noch eine Runde, kommst dann an die Box, wir machen vorn alles sauber und tanken wieder voll. Danach fährst du wieder raus und wir wechseln dann beim nächsten Tankstopp.“

Stille am Funk.

Ich wollte schon wiederholen, da kam von Chris die Antwort.

„Sorry, ich musste hier grad aufpassen. Da war sprechen schlecht. Grundsätzlich ist das ok, aber ich kann dir nicht sagen, ob ich das durchhalten werde. Das wäre sozusagen ein halber Run mehr. Aber wir können das versuchen. So würden wir nicht so viel Zeit verlieren und der Motor würde gesünder laufen.“

„Du entscheidest wenn der Punkt kommt an dem du wechseln willst. Es ist egal ob das in die Strategie passt oder nicht. Also machen wir das erst einmal so?“

„Ja, das ist ok. Ich komme also nach der nächsten Runde rein.“

Damit beendete ich das Gespräch und gab Nicholas die Rückmeldung. Danach marschierte ich wieder zu den wartenden Jungs, die mich mit fragenden Augen anschauten.

„Alles gut. Ihr müsst euch nicht aufregen. Chris kommt nach der nächsten Runde in die Box. Dann schauen wir nach, tanken und wechseln die Reifen.“

Malte wirkte beruhigt, aber Luc fixierte mich mit den Augen. Er hatte begriffen was unser Plan sein würde, wollte aber im Beisein von Malte, Marvin und Stef nichts Falsches sagen.

Ohne nachzufragen begleitete er die Jungs wieder mit nach oben. Das beeindruckte mich.

Kurz bevor Chris in die Box kam, ereilte mich die nächste Überraschung. Sabine kam nach unten mit besonderem Besuch.

Links von ihr ging Jan und rechts Gerry Weber. So früh hatte ich nicht mit ihrem Erscheinen gerechnet. Gerade als Chris auf der Anfahrt in die Box war, erreichten sie mich.

„Hallo, ein besonderer Besuch. Ich kann euch gerade nicht in Empfang nehmen. Chris kommt jeden Moment in die Box für eine Reparatur. Ich muss mit Chris ein paar Dinge absprechen. Danach habe ich Zeit für euch.“

Jan nickte nur und Sabine ging mit beiden an die Seite, um niemandem im Weg zu stehen.

Dann rollte Chris an die Box. Die Mechaniker stürzten sich auf die Frontschürze und reinigten den Kühler. Tatsächlich hatte sich dort ein Teil einer Plastiktüte verfangen. Nebenbei wurde getankt und Chris bekam neue Reifen. Sollte mit diesen Maßnahmen die Temperatur sinken, sollte Chris noch einmal richtig loslegen können.

Ich hockte neben der offenen Fahrertür und sprach mit Chris.

„Wie ist die Befindlichkeit? Bist du schmerzfrei?“, fragte ich.

„Danke, es geht ganz ordentlich. Momentan habe ich einen guten Rhythmus gefunden. Nur die Temperatur hat mich etwas abgelenkt. Einmal wäre ich fast rausgeflogen, weil ich zu lange auf die Anzeigen geschaut hatte.“

„Das glaube ich dir sofort. Das ist nervig und kostet zusätzlich Aufmerksamkeit. Deswegen wollten wir dich auch reinholen. Jetzt sollte hoffentlich wieder alles in Ordnung sein. Und wenn du deinen Rücken spüren solltest, melde dich und reduziere das Tempo. Damit werden die G-Kräfte weniger und die Belastung auch.“

„Ich schaue mal wie es sich entwickelt. Jetzt hoffe ich erst einmal, dass die Temperatur wieder in den Normalbereich geht.“

In diesem Moment schaute Chris kurz einmal nach rechts in die Box und er hatte seinen Bruder erkannt.

„Was macht Jan denn schon hier? Seit wann ist er an der Strecke?“

„Ich habe ihn auch gerade eben erst gesehen und noch nicht einmal mit ihm richtig gesprochen. Aber konzentriere du dich nur auf deine Aufgabe hinter dem Lenkrad. Gerry Weber ist auch angekommen. Aber das darf dich nicht beeinflussen. Schau nur auf die Strecke.“

Der Tankvorgang war vollendet und ich schloss die Fahrertür und zeigte Chris noch einmal den Daumen hoch. Dann kam schon das Kommando den Motor wieder zu starten und loszufahren.

Als ich Chris den Heckleuchten nachblickte, kam mir ein Gedanke in den Kopf. Warum hatte Chris nie wieder in einem Rennwagen gesessen? Bei seinem Talent wäre vielleicht einiges mehr möglich gewesen.

Sabine erwartete mich mit Jan und Gerry Weber in der Box. Sie hatte meinen etwas nachdenklichen Blick sofort bemerkt, sagte jetzt aber nichts dazu. Sie hatte nur Jan und Gerry Weber im Blick.

„Schatz, kannst du dich jetzt mal ein wenig um unsere besonderen Gäste kümmern?“

„Natürlich, herzlich willkommen im Dschungel der grünen Hölle. Ich hatte euch nicht so früh erwartet.“

Gerry und Jan gaben mir die Hand und ich führte sie einmal durch die Box und erklärte die momentane Situation. Jan reagierte als erster mit der Frage:

„Also ist Chris gerade auf der Strecke? Wie macht sich mein Bruder denn so? Ist er nicht viel zu langsam für dich?“

Was ich nicht bemerkt hatte, Luc war mittlerweile wieder in die Box gekommen und hatte Jans Frage mitbekommen.

„Nein, er ist überhaupt nicht langsam. Im Gegenteil, er fährt schnellere Zeiten als ich und das vor allem sehr konstant. Ich glaube, du unterschätzt deinen Bruder immer noch. Was er hier bislang gezeigt hat, war großes Kino. Oder, Papa?“

„Hahaha, sehr gut gekontert, Luc. Allerdings macht Chris hier einen mega Job. Ich bin wirklich beeindruckt und auch überrascht. Aber er darf sehr gern so weitermachen.“

Ich nahm Gerry und Jan mit an einen Zeitenmonitor, um ihnen Chris Rundenzeiten zu erklären. Dabei musste ich feststellen, dass er gerade noch flotter unterwegs war als vor dem Boxenstopp. Er holte sogar wieder auf den Audi auf, den er zuvor vorbeilassen musste.

Plötzlich kam Mika, Toms Sohn, aufgeregt zu uns gelaufen.

„Marc, Papa meinte, dass ihr Auto wieder Probleme macht und Mick auf der Döttinger Höhe langsam fährt.“

Jetzt konnte ich auch die beginnende Hektik in der Box verstehen. Die Mechaniker machten sich bereit für Mick. Ich führte Jan, Luc und Gerry nach hinten aus der Box. Jetzt würde jeder, der nicht gebraucht würde, stören. Mika war sehr aufgeregt und ich nahm ihn daher in den Arm und beruhigte ihn.

„Hey, bleib ruhig. Solange das Auto rollt, gibt es Hoffnung, ihn wieder ins Rennen zu schicken. Die Jungs werden das schon richten.“

„Papa meinte, Mick hätte sich einen Reifen kaputt gefahren. Aber er fährt so langsam. Das kann doch nicht nur ein Reifenschaden sein.“

„Lass uns doch mal schauen. Vielleicht kann ich etwas erkennen.“

Wir gingen nach oben in die Lounge. Dort herrschte etwas Unruhe und insbesondere Tom kam mir schon entgegen.

„Mika, ich hatte gesagt, du sollst nicht runter laufen. Was soll das bitte?“

Tom war ärgerlich und raunzte seinen Sohn ziemlich heftig an. Mika reagierte entsprechend verängstigt. Das missfiel mir. Mika war einfach aufgeregt und wollte meine Hilfe.

„Lass gut sein, Tom. Er wollte mich doch nur informieren. Ich war mit Jan und Gerry beschäftigt. Daher hatte ich das noch gar nicht mitbekommen.“

Mittlerweile standen wir vor einem TV-Monitor und man konnte die weißen Flaggen der Streckenposten auf der Döttinger Höhe erkennen. Vom Auto war noch nichts im Bild. Aber dann schaltete die Kamera um und ich konnte den Ferrari rechts am Rand fahren sehen. Sehr langsam und mit einem rauchenden Heck.

Mika war sehr aufgebracht und hatte Sorge, es könnte ein Motorschaden sein. Das täuschte aber. Tom klärte uns auf.

„Laut Aussage von Mick hat er einen Reifenschaden hinten rechts. Der Qualm kommt vom kaputten Reifen. Und, Mika, er muss so langsam fahren, damit nichts an der Aufhängung kaputt geht. Also komm wieder runter. Mick kommt an die Box und dann wird das repariert und er wechselt gleich mit Lukas. Dann können wir auch tanken und verlieren genauso wenig Zeit wie Marc mit dem Kühlerproblem.“

Jan und Gerry standen die ganze Zeit neben uns und es war spannend zu sehen, wie Dustin, Fynn, Justin und Maxi auf diesen Besuch reagierten. Sie blieben nämlich bei Sabine und beobachteten uns genau. Der Respekt vor Jan und Gerry schien doch immer noch sehr groß zu sein.

Mittlerweile war es auch richtig hell geworden und ich verspürte Hunger. Ein Frühstück wäre jetzt nicht verkehrt.

„Was meint ihr? Sollen wir etwas frühstücken gehen? In der Box stören wir die Mechaniker gerade.“

Jan und Gerry waren sofort einverstanden. Ich wollte aber die vier großen Haller Jungs auch dabei haben. Entsprechend schickte ich Luc zu den Jungs.

Auf dem Weg zum Catering erklärte ich Gerry:

„Sorry, aber unser Catering dürfte etwas anders ausfallen, wie du es sonst gewohnt sein könntest. Aber es erfüllt seinen Zweck.“

„Kein Problem. Ich mag es ganz gerne auch mal schlicht und rustikal und hier dürfte es vermutlich so sein, dass während des Rennens keine gemeinsamen Mahlzeiten möglich sind.“

„Genau, deshalb haben wir hier einen Bereich wo sich jeder zu jederzeit etwas holen oder auch sich setzen kann. So wie gerade Zeit ist.“

„Kein Problem, Marc“, erwiderte Jan, „ das kenne ich von unseren Turnieren ja auch nicht anders. Für Chris dürfte das auch nichts Neues sein. Wie ist das jetzt für dich? Kannst du so einfach weggehen, wenn Chris fährt. Macht dich das nicht nervös?“

In diesem Moment kamen die Jungs zu uns und wir setzten uns an einen Tisch. Jeder sollte sich etwas holen, der mochte. Gerry stand auf und ging zum Buffet, stellte sich ganz normal in die Reihe und wartete bis sich die Jungs etwas genommen hatten. Ich wartete mit Jan noch einen Moment und beantwortete währenddessen seine Frage.

„Ich bin während des Rennens immer nervös. Einzige Ausnahme, ich sitze selbst hinter dem Steuer. Aber ich kann jetzt auch nichts machen. Wenn Chris einen Fehler machen würde oder das Auto kaputt geht, dann wäre es so. Aber ich muss zugeben, es fällt mir nicht so leicht wie es vielleicht aussieht. Gerade wenn Luc fährt. Bei Mick und Lukas weiß ich mittlerweile wie gut und vernünftig sie sind. Luc ist auch etwas Besonderes für mich. Deshalb war das für mich so wichtig, dieses Rennen noch einmal mit Luc fahren zu dürfen.“

„Was war daran denn so schwierig? Du könntest dir doch jedes Team aussuchen und dann einfach fahren, oder nicht?“

„Hahaha, ja vom Prinzip her schon. Allerdings hat Sabine da doch ein wichtiges Wort mitzusprechen. Bislang hatte sie jegliche Absichten Lucs, mit mir ein Rennen zu fahren unterbunden. Und das musste ich akzeptieren, denn ihre Angst ist nur zu verständlich gewesen. Umso schöner, dass sie für dieses Event ihre Zustimmung gegeben hat.“

„Aber auch nur unter einer Bedingung“, schaltete sich Luc ein, „Chris musste bei dieser Veranstaltung anwesend sein, weil er vermutlich der einzige sein würde, der Papa bremsen könnte.“

Jans Gesicht sprach für sich. Und die anderen Jungs staunten auch nicht schlecht, denn das hatten sie auch noch nicht gewusst.

„Ja, das war die Bedingung. Und dann hab ich mir überlegt, wenn er eh schon hier ist, kann er auch fahren. Denn er ist für einen Freizeitpiloten richtig gut. Das habe ich schon in Halle bei der Fahrerschulung gesehen.“

„Ach, das ist interessant. Also ist wohl doch noch etwas von früher hängengeblieben. Chris ist mal einige Zeit in der Deutschen Rallye Meisterschaft gefahren. Bis zu seinem schrecklichen Unfall.“

Als Jan das ausgesprochen hatte, zuckte er förmlich zusammen. Es hatte ihn emotional getroffen und er war darauf nicht vorbereitet gewesen.

Interessanterweise hatten aber die Jungs ein Gespür dafür, denn sie ließen ihm etwas Zeit bevor Fynn fragte:

„Hast du damals Angst um deinen Bruder gehabt? Oder war er dir durch seine Alkoholprobleme egal geworden?“

Das war eine mutige Frage in der Situation. Aber sie spielgelte genau die Emotionen von den Jungs wider. Chris hatte ihnen seine Sichtweise aus der damaligen Zeit erzählt und das war für sie immer noch genau im Gedächtnis.

Allerdings war ich der Meinung, dass diese Situation nicht an dieser Stelle besprochen werden sollte.

Jan zögerte auch einen Moment und ich wollte schon eingreifen, aber dann kam doch eine Antwort von Jan, obwohl Gerry mittlerweile auch wieder Platz genommen hatte.

„Du hast jetzt eine ganz schwierige Frage gestellt, Fynn. Ich versuche sie ehrlich zu beantworten. Als Chris im Koma lag, habe ich nicht wirklich Angst um ihn gehabt. Es war sein Verschulden und er hatte gesoffen. Ich bin erst viel später in der Lage gewesen, seine Sichtweise und seine Schwierigkeiten mit mir zu sehen. Aber als ich angefangen hatte, mich damit zu beschäftigen, habe ich oft Angst und Albträume gehabt. Weil ich mir eingestehen musste, mich nicht um meinen Bruder gekümmert zu haben. Ich habe ihn oft ignoriert. Das war falsch und schlecht. Von daher bin ich heute sehr froh, dass Chris mir diese Chance gab, mich ihm wieder annähern zu dürfen. Ich bin daher heute auch sehr gern hier und möchte meinen Bruder unterstützen. Auch wenn ich vom Motorsport keine Ahnung habe.“

Fynn und die anderen Jungs waren wie paralysiert. Mit dieser Antwort hatte niemand gerechnet. Ich auch nicht. Sie hatte eine enorme Wirkung und das spürten alle.

Chris: Es könnte unangenehm werden

Es waren die letzten Runden meines Turns, aber jede Runde, die ich abspulte wurde unangenehmer. Eigentlich hatte ich bis zum Fahrerwechsel und Tanken noch drei Runden zu absolvieren, aber seit zwei Runden spürte ich ein zunehmendes Kribbeln im linken Arm und mittlerweile auch im Unterkiefer. Das Problem kannte ich und wusste auch, dass es ohne Gymnastik oder Massage nicht besser werden würde. Nur im Rennauto sitzend war beides nicht möglich. Aber ich wollte nicht schon wieder eine Extrawurst im Ablauf haben. Marc erwartete, dass wir erst in drei Runden wechseln würden.

Immerhin war es bereits richtig hell und, besonders wichtig, trocken. Dadurch war das Fahren etwas einfacher geworden. Den Audi hatte ich mittlerweile hinter mir gelassen und lag auf einem stabilen sechsten Platz im Gesamtklassement. Das motivierte mich stark, weiterzufahren und durchzuhalten.

Zwei Runden waren fast absolviert, als auf der Döttinger Höhe bei Tempo dreihundert im linken Arm die Kraft komplett verloren ging. Ich konnte das Steuer nur noch mit rechts kontrollieren. Das würde kein gutes Ende nehmen, wenn ich jetzt nicht die Reißleine ziehen würde. Ich konnte kaum noch den Knopf für den Funk mit dem linken Daumen drücken.

„Marc, kannst du mich hören?“, rief ich in den Funk.

Innerhalb weniger Augenblicke hörte ich seine Stimme.

„Hier bin ich. Was gibt es, Chris?“

„Ich habe ein Problem. Mir geht die Kraft im linken Arm aus. Ich bin auf der Döttinger Höhe und muss den Speed reduzieren. Ich möchte jetzt reinkommen. So macht das keinen Sinn, weiterzufahren. Ich kann das Tempo so nicht halten.“

Stille am anderen Ende. Dann hörte ich eine andere Stimme antworten. Nicholas meldete sich:

„Ganz ruhig, Chris. Marc macht sich sofort fertig und du komm rein. Wir bereiten alles so schnell wie möglich vor. Kein Stress, das bekommen wir hin. Und fahr nur so schnell wie du es verantworten kannst. Wenn es länger dauert, auch kein Problem. Nur einen Unfall können wir nicht gebrauchen.“

„In Ordnung, ich werde noch mehr Geschwindigkeit rausnehmen. Ich fühle mich einfach nicht mehr gut hier im Auto.“

Das Kribbeln im Kiefer wurde zu einem Taubheitsgefühl und jetzt begann auch das linke Bein taub zu werden. Es wurde höchste Zeit, dass ich aus dem Auto kam.

Ich zählte die Sekunden als ich endlich in die Boxengasse einbiegen konnte. Dass die Mechaniker bereits fertig parat standen, hatte ich nur noch schemenhaft mitbekommen. Aber ich erreichte die richtige Box und Marc machte sofort die Tür auf. Mein linker Arm lag kraftlos auf dem Oberschenkel, als mir Marc die Gurte öffnete.

Das führte zu einer Entlastung auf dem Brustkorb und schlagartig hörte das Kribbeln im Kiefer auf. Dennoch hatte ich große Probleme das Fahrzeug allein zu verlassen. Aber Marc hatte begriffen, dass ich Hilfe benötigte und hob meine Beine aus dem Cockpit. Das reichte mir, um mich dann aus dem Sitz zu hieven. Allerdings war mein Zustand nicht mehr in Ordnung.

Es musste jetzt aber der Fahrer gewechselt werden und es gab gerade eigentlich gar keine Zeit für größere Maßnahmen. Aber Marc machte überhaupt keine Anstalten, sich ins Auto zu setzen. Im Gegenteil, er winkte sich einen Mechaniker heran und gab noch Anweisungen.

„Du bist jetzt dafür verantwortlich, dass Chris sicher in die Box kommt und Luc sich um ihn kümmert. Luc soll sofort mit Heikki herkommen. Alles Weitere kann euch Chris erklären.“

Erst nachdem ich in die Box begleitet wurde, stieg Marc ins Auto. Ich bekam seine Ausfahrt nur noch am Rande mit, denn mir ging es überhaupt nicht gut.

Wo Luc so schnell herkam, konnte ich mir nicht erklären. Es war mir aber auch sehr recht. Heikki hatte er gleich mit dabei und der tastete mich auch gleich ab und erkundigte sich genau nach den Symptomen. Leider hatten Fynn und die anderen Jungs natürlich mitbekommen, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Aber nur Dustin und Fynn tauchten bei mir auf. Fynn erkundigte sich:

„Was ist passiert, Chris? Hast du wieder Rückenprobleme?“

Heikki schaltete sich ein, bevor ich etwas antworten konnte.

„Nein, keine direkten Rückenprobleme. Aber jetzt muss es schnell gehen, wenn Chris noch einmal ins Auto soll. Ich muss ihn sofort behandeln. Kann mich einer von euch ins Motorhome begleiten. Chris soll sich nicht mehr so viel bewegen.“

Da wurde Fynn doch nervös. Diese klaren Kommandos war er von Heikki nicht gewohnt. Luc hatte das aber auch bemerkt und regelte diese Ansage auf seine Art. Er forderte Fynn auf:

„Du gehst bitte nach oben und informierst Mama. Sie wird wissen was zu tun ist. Danach kommst du bitte zu uns ins Motorhome.“

Fynn sagte nicht mehr viel und nickte nur noch. Dann wurde ich von Dustin und Luc ins Motorhome geführt.

Mein Bein wurde wieder besser, aber mein Arm war immer noch kraftlos. Das beunruhigte mich schon etwas. So lange dauerte es sonst nicht.

Für Dustin schien diese Situation Stress pur zu sein. Er drohte wieder in sein altes Verhalten zu fallen und sich wie ein Bodyguard aufzuführen. Vor allem als Heikki begann eine Diagnose zu stellen. Natürlich musste er dazu genau ertasten und ausprobieren was noch ging und was nicht mehr richtig funktionierte oder gar Schmerzen verursachte. Als Heikki mir meinen Kopf seitlich bewegte, spürte ich einen stechenden Schmerz.

„Au, das war böse“, stöhnte ich kurz auf.

Dustin zuckte kurz als ich den Schmerz verspürte.

„Warum bist du so lange noch gefahren? Du hast doch bestimmt schon früher etwas gespürt, oder nicht?“, fragte mich Heikki.

„Ich wollte nicht schon wieder eine Sonderbehandlung. Außerdem habe ich nicht gedacht, dass es so heftig werden würde.“

Dustin holte schon Luft, aber Fynn kam gerade hinzu und reagierte sofort:

„Du hältst dich zurück, Schatz. Heikki wird Chris schon wieder aufbauen. Wenn du Chris jetzt zusammenfaltest, wird es auch nicht besser. Auch wenn er es vielleicht verdient hätte, weil er mal wieder seine Grenzen überschritten hat.“

Für eine Sekunde herrschte Stille, aber Fynn fing dann so an zu lachen, dass auch Heikki und ich nicht anders konnten als mitzulachen. Er hatte das so gut ausgedrückt, einfach Spitze.

„Oh, hier ist ja gute Stimmung. Und das, obwohl Chris Probleme hat? Was ist den Phase hier?“

Diese Stimme kam mir bekannt vor und umso erstaunter war ich. Jan stand neben mir und schaute sich die Behandlung von Heikki genau an. Dann fragte er mich:

„Was genau ist dein Problem? Der Rücken? Und können wir etwas tun?“

Ich erklärte ihm kurz meine Lage und Heikki ergänzte dann seine Diagnose:

„Chris hat sich vermutlich einen Nerv im Halswirbel eingeklemmt. Dadurch ist sein linker Arm kraftlos geworden. Was mit jetzt helfen würde, wäre eine banale Wärmflasche oder so etwas.“

„Alles klar, das organisiere ich. Du brauchst Wärme, um die Muskulatur zu lockern, korrekt?“

„Genau, dann wird es einfacher, die Wirbel zu richten und die Lähmung aufzuheben.“

Jan drehte sich um und ging sofort hinaus. Was er vorhatte? Keine Ahnung

Heikki hatte mich mittlerweile vorsichtig auf die Liege gelegt und begann mich zu massieren. Einige Minuten später kam Jan mit einer Infrarotlampe zurück.

„Wo hast du die denn so schnell hergeholt?“, fragte Dustin.

„Sowas habe ich immer im Auto wenn ich unterwegs bin. Ich habe auch häufiger mal Rückenprobleme und da hilft das gut.“

Jan steckte den Stecker in die Steckdose und schnell spürte ich die Wärme im Nackenbereich. Dann begann Heikki meinen Hals zu bewegen und zu strecken. Die Knackgeräusche waren deutlich zu hören und angenehm war es auch nicht gerade.

Dustin schien zu spüren, dass mir das wehtat. Er ging aber nicht hinaus. Im Gegenteil, er kam näher heran und legte seine Hände vorsichtig auf meinen Rücken.

„Wenn das unangenehm ist, sag es bitte, Chris. Aber wenn Fynn das bei mir macht, hilft es mir immer mich zu entspannen.“

Es fühlte sich nicht negativ an. Dann meinte Heikki:

„Ich werde jetzt den Hals etwas mehr bewegen und dabei den Wirbel repositionieren. Das könnte unangenehm sein. Vielleicht wollt ihr so lange hinaus gehen?“

Fynn und Dustin schauten sich nur kurz an, nickten sich zu und erwiderten:

„Nein, wir bleiben. Chris würde uns auch nicht allein lassen. Wir unterstützen ihn und wollen, dass er bald wieder schmerzfrei Autofahren kann.“

Während ich mich auf die Antwort von Dustin konzentrierte, nahm Heikki meinen Kopf in beide Hände und dann ging alles ganz schnell. Ein lautes Knirschen und Knacken und ein heftiger Schmerz.

„Au“, entfuhr es mir spontan.

Danach musste ich tief durchatmen, weil mir für einen kurzen Moment die Luft wegblieb.

„Das war es schon. Bleib noch etwas liegen und entspann dich. Dann bekommst du noch eine komplette Massage und du bist wieder zehn Jahre jünger.“

„Wie? Das war es schon?“, fragte Fynn erstaunt.

„Ja, Chris wird schon bald wieder bei euch sein. Ich mache noch eine Massage und dann kann er den Schluss des Rennens auch fahren.“

Ich fühlte mich allerdings noch alles andere als fit genug, um wieder in ein Rennauto steigen zu können. Allerdings waren Heikkis Vorhersagen bislang immer zutreffend. Warten wir also mal ab.

Die Massage wurde intensiver als sonst. Insbesondere auf Schulter- und Nackenbereich lag Heikkis Hauptaugenmerk. Das führte dazu, dass ich wenig Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen. Es war eher ein Monolog seinerseits und eine klare Vorgabe für meinen abschließenden Turn.

„Damit du nicht wieder so heftige Probleme bekommst, kommst du bitte eine halbe Stunde bevor du wieder ins Auto steigst zu mir. Dann werde ich die Muskulatur erneut lockern und damit verhindern, dass sich das so heftig verspannen kann.“

Ich nickte nur vorsichtig mit meinem Kopf. Heikki legte noch nach:

„Und nach dem Rennen machst du mindestens drei Tage Schonung. Lass dich in Halle jeden Tag behandeln und erst wenn du keinen Schmerz mehr verspürst, kannst du wieder mit dem Training auf dem Platz beginnen.“

Heikki hatte die Behandlung beendet und so konnte ich antworten.

„Kein Problem. Dustin und Fynn fahren in den Urlaub und Justin und Maxi haben auch frei. Sie sollen für sich etwas Zeit bekommen, zumal Justins Familie zu Besuch kommen wird. Daher habe ich zwei Wochen Zeit, mich zu erholen. Vielleicht fahre ich auch ein paar Tage zu Marc in die Schweiz. Mal abwarten.“

„Sehr gut. Das hört sich vernünftig an. Solltest du an den Genfer See kommen, soll Marc vorher Bescheid geben. Dann nehme ich mir Zeit für dich.“

„Das mache ich. Eine Frage noch, kann ich jetzt wieder aufstehen? Oder soll ich noch liegenbleiben?“

„Langsam aufstehen und aufpassen. Es könnte ein Schwindelgefühl auftreten.“

Es blieb aber alles ohne weitere Probleme. Im Gegenteil, mein Körper hatte sich erstaunlich gut erholt. Keine Schmerzen und kein Kribbeln mehr. Mein Arm funktionierte wieder normal. Es war phänomenal wie schnell es Heikki gelungen war, mich wieder herzurichten. Vielleicht sollte sich Jan einmal mit ihm unterhalten und Heikki könnte die Physiotherapeuten in Halle unterrichten. So würden auch die Profis und Nachwuchsspieler von dem Wissen profitieren.

Ich machte mich auf den Weg zurück in die Box. Heikki hatte jetzt noch mit Mick und Tom zu tun. Eine normale Massage sollte dort allerdings ausreichen.

Bevor ich nach oben in die Lounge ging, schaute ich bei Nicholas vorn am Kommandostand vorbei.

„Ich melde mich von der Behandlung zurück und hoffe mal, dass ich den Schlussturn auch fahren kann. Wie sieht es auf der Strecke aus? Gibt es für Marc jetzt Probleme durch den früheren Wechsel? Müssen wir einen zusätzlichen Tankstopp einlegen?“

„Hallo Chris. Das hören wir gerne, dass es dir wieder besser geht. Mach dir keine Sorgen über den früheren Wechsel. Da kann noch so viel passieren. Ein Regenschauer und alles wird wieder neu gemischt. Marc fährt gleichmäßige und gute Zeiten. Wir liegen mit Toms Auto auf Platz neunzehn und mit Marc auf Platz sechs. Das ist ganz hervorragend. Unser Top-Auto liegt auf Platz drei. Wenn es so bleibt, können wir sehr zufrieden sein. Was machst du jetzt?“

„Ok, ich gehe nach oben und schau mal nach unseren „Fans“. Hoffentlich haben sich Dustin und Fynn nicht zu sehr aufgeregt. Ist Luc auch oben?“

„Ja, seine Mutter hatte ihn gebeten nach oben zu kommen. Nimmst du bitte das Funkgerät und den Kopfhörer mit nach oben.“

Das tat ich natürlich und was mich oben in der Lounge erwartete, überraschte mich dann doch.

Sabine hatte alle unserer Haller Jungs um sich geschart und sie in einer großen Runde um einen Tisch versammelt. Dort schauten sie sich gemeinsam das Renngeschehen an. Ausgerechnet Sabine schaute mit allen gemeinsam dem Treiben auf der Strecke zu. Das hatte allerdings den Vorteil, dass mein Erscheinen dort nicht sofort bemerkt wurde. Jan und Gerry standen mit Marco vor der Theke und hatten sich einen Kaffee gegönnt. Thorsten kam gerade zurück und begrüßte mich.

„Was meinst du, Chris, gönnen wir uns auch einen frischen Kaffee?“

„Gern, da sage ich nicht nein.“

Marco drehte sich um und freute sich, mich wieder unter ihnen zu sehen.

„Ah, da bist du ja wieder. Was macht der Rücken? Hat Heikki dich wieder hingebogen?“

Jan und Gerry unterbrachen ihre Unterhaltung und schauten zu mir. Die anderen am Tisch hatten mich noch nicht bemerkt.

„Ja, ich lebe noch und jetzt geht es mir gut. Ich werde versuchen, mich bis zum Ende des Rennens am Leben zu erhalten. Hihihi.“

„Du musst aber auch mal sagen können, es reicht jetzt und wir wechseln früher. Warum bist du so lange noch gefahren?“, fragte Jan.

„Weil ich nicht gedacht hatte, dass es so heftig sein würde. Die hochfrequenten Vibrationen im Auto scheinen meinen Nerven nicht so gut zu bekommen. Beim nächsten Mal werde ich früher um einen Wechsel bitten. Ich bin einfach zu alt für so ein Event.“

Gerry hatte mir gut zugehört und reagierte direkt darauf.

„Du bist nicht zu alt. Deine Zeiten und dein Fahrstil sind hervorragend. Du musst nur früher aufhören. Ich kann auch nicht mehr so ohne Weiteres eine komplette Runde Golf mit achtzehn Bahnen spielen. Wenn dir dein Körper Signale sendet, musst du sie auch wahrnehmen. Und genau darum geht es doch. Deine Jungs brauchen einen gesunden Coach, der dann für sie da ist, wenn er gebraucht wird. Du hast bisher immer die Jungs perfekt betreut und deine Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt. Das war sehr lobenswert und ich bin mir sicher, das wird auch so bleiben. Deshalb finde ich es auch so gut, dass du dir hier einen Traum erfüllen kannst. Aber achte auf deinen Körper.“

Plötzlich meldeten sich meine Jungs vom Tisch. Insbesondere Carlos tat sich mit seiner prägnanten Stimme hervor.

„Hey, Leute. Schaut mal, Chris ist zurück.“

Danach galten alle Blicke mir und Freude brach lauthals in der Runde aus. Luc kam zu mir und erkundigte sich:

„Wie geht es dir? Was hat Heikki gesagt? Kannst du weiterfahren oder sollst du jetzt besser aufhören? Verstehe das bitte nicht falsch, aber wenn du nicht weiterfahren kannst, dann müssen wir unsere Wechsel anders planen.“

„Alles gut, Luc. Das ist eine wichtige Frage. Heikki hat mir kein Fahrverbot erteilt. Er hat aber auch angemahnt, früher eine Pause zu machen, sollte es erneut zu Problemen kommen.“

„Dann könntest du dich ja auch einfach mal dran halten. Du würdest uns auch ordentlich zusammenfalten, wenn wir deine Vorgaben missachten. Was mir übrigens immer eine Hilfe war. Und um es deutlich zu sagen, wir brauchen dich noch. Und zwar gesund und nicht wieder in einem Rollstuhl sitzend.“

Puh. Diese Aussage ausgerechnet von Tim ging mir nahe. Außerdem konnte ich ihm nicht widersprechen.

Dieses Gespräch war natürlich bei Sabine nicht unbeachtet geblieben. Sie hatte schon zu uns geblickt und jetzt, nach Tims Bemerkung stand sie auf und kam zu mir.

„Ihr könnt aber auch keine Gelegenheit auslassen, mit Chris zu meckern. Er weiß, dass er noch gebraucht wird. Heute hat er sich aber entschieden, einmal an seine Bedürfnisse zu denken. Er möchte dieses Rennen zu Ende fahren. Und wir haben das zu akzeptieren. Ich kann mich nicht erinnern, dass Chris irgendwann einmal einen von euch hat hängen lassen, auch wenn Chris zuvor gemahnt hatte. Er hat euch immer geholfen und dafür gesorgt, dass es keine Katastrophe geworden ist.“

Mir war es einerseits etwas unangenehm, aber andererseits tat mir ihre Unterstützung gut.

„So, und bevor irgendjemand jetzt auf schlechte Ideen kommt, Marc liegt auf dem sechsten Rang und Chris und ich gehen jetzt mal einen Spaziergang machen. Und zwar allein. Luc, du wirst hier jetzt die Aufsicht führen. Wenn ich zurück bin, möchte ich kein Chaos vorfinden.“

Dann zwinkerte sie mir zu und führte mich nach draußen. Die ersten Meter sprachen wir kein Wort. Sie ließ mir genug Zeit, mich zu sammeln.

„Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, dass du viele Gemeinsamkeiten mit Marc hast? Im Positiven, wie im Negativen. Ich glaube, das ist auch der Grund warum wir uns so gut verstehen.“

„Ja, angedeutet hast du das schon einmal. In einem Punkt können wir sehr ähnlich sein, in unserer Sturheit was uns selbst betrifft.“

„Hey, das ich das noch erleben darf. Marc hat bis heute diese Einsicht nicht bekommen. Dann besteht ja bei dir noch Hoffnung, hahaha.“

„Man soll die Hoffnung niemals aufgeben. Jedenfalls nicht bei Menschen. Das habe ich bei meiner Arbeit als Suchttherapeut gelernt. Also warum sollte das nicht auch bei einem Dickkopf wie mir so sein.“

„Ja“, erwiderte Sabine ernst, „jetzt aber mal im Ernst. Warum fällt es dir so schwer zu sagen, ich brauche jetzt eine Pause. Marc weiß doch genau, welche Probleme dein Körper hin und wieder zeigt. Er würde dir niemals einen Vorwurf machen. Zumindest würde ich es ihm sehr raten, das nicht zu tun. Hihihi.“

„Weil ich zuvorderst das Team sehe und Marc hat mich als Fahrer aufgestellt. Also muss ich die Vorgaben auch erfüllen.“

„Welche Vorgaben? Hat Marc dir Vorgaben gegeben? Das will ich nicht hoffen. Sonst könnte das Rennen jetzt sofort zu Ende sein. Denn dann hole ich ihn sofort aus dem Auto und er wird sein blaues Wunder erleben.“

Sabine wurde todernst bei dieser Antwort. Und mir war klar, dass sie das sofort tun würde.

„Nein, Sabine. Hat er natürlich nicht gemacht. Aber mir ist schon klar, dass er unbedingt dieses Rennen zu Ende fahren möchte. Und nicht im hinteren Drittel des Feldes. Also habe ich mir vorgenommen, ihn nicht zu enttäuschen. Es macht mir doch auch eine große Freude mit ihm zusammen fahren zu dürfen.“

„Gut, eine ehrliche Antwort. Gefällt mir. Du weißt aber auch, dass deine Jungs in großer Sorge sind, wenn sie erleben, wie du mit dir selbst umgehst. Sie wollen Spaß mit dir haben und zuschauen, wie ihr Freund und Coach auch einmal Spaß hat und sich etwas gönnt. Sie fiebern mit und freuen sich über jede gute Runde von dir. Du musst jetzt aber auch akzeptieren, dass dein Körper Grenzen hat. Also bewege dich innerhalb dieser Grenzen. Du hast selbst einmal gesagt, auch wir können die Grenzen der Physik nicht überlisten. Also halte auch du dich an diese Grenzen. Dann haben wir alle viel mehr Freude an diesem Event.“

„Zu Befehl Frau General.“

Ich schaute sie dabei ernst an und ich erlebte Sabine zum ersten Mal sprachlos. Wenn auch nur für wenige Sekunden. Danach gab es natürlich eine passende Antwort.

„Die Frau General wird noch klarere Befehle ausgeben, solltest du dich nicht an diese halten. Also, reiß dich zusammen und höre früher auf deinen Körper. Weißt du, Jan hat mir vorhin etwas für mich Bemerkenswertes gesagt. Er freut sich, dass du hier mal etwas nur für dich tust und Spaß hast. Ohne auf deine Jungs achten zu müssen. Das solltest du also auch bitte tun. Aber achte dabei auch auf deinen Körper.“

„Das werde ich tun, versprochen. Ich habe wieder etwas dazugelernt. Dieser Fehler wird mir nicht erneut unterlaufen. Aber ich bin schon scharf darauf, den Wagen über die Ziellinie fahren zu dürfen. Hoffentlich geht nicht vorher noch etwas schief.“

„Das hoffe und wünsche ich euch auch sehr. Schon deshalb, weil es dann endlich endgültig mit Marcs Rennerei zu Ende ist. Ihr könnt immer gern eine Oldtimer Veranstaltung besuchen oder fahren. Damit habe ich keine Probleme. Und da kann man auch viel Spaß haben.“

„Oh ja, das stimmt. Auch wenn ich keinen eigenen Oldtimer besitze, daran hätte ich auch viel Freude.“

„Sehr schön, Chris. Wir sind uns wie so oft wieder einig. Dann lass uns zurückgehen und den Rest des Rennens erleben. Deine Jungs aus Halle sind alle total aufgeregt und staunen über deine Fähigkeiten im Auto. Also, sieh zu, dass du diese noch oft anwenden kannst und komm bitte heil ins Ziel.“

Danach gingen wir zurück und ich fühlte mich nach diesem kurzen Gespräch erstaunlich gut. Ich hatte mich entschieden, bei den Jungs am Tisch zu sitzen und dort mit ihnen gemeinsam die weiteren Runden zu beobachten. Marc spulte Runde um Runde ab und hielt seine Position. Das Auto lief wie ein Uhrwerk, im Gegensatz zu Toms Wagen. Der litt leider immer wieder unter kleineren Problemen und das machte natürlich Mika immer wieder traurig. Tom konnte mit Mick und Lukas zwar stets weiterfahren, aber sie verloren immer mehr Zeit bei den kleinen Reparaturen. Dennoch konnten Mick und Lukas das sehr gelassen sehen und auch Tom fuhr einfach weiter. Wenn das Auto von jetzt an gut so weiterlaufen würde, konnten sie problemlos unsere Zeiten fahren und würden auch wieder Plätze gut machen.

Als ich mich für einige Minuten zu meinen Jungs gesellt hatte, fiel mir auf, dass Malte und Marvin fehlten. Maltes Eltern standen bei Thorsten und Marco. Ich entschied mich dort einfach zu fragen.

„Hi, ist bei euch alles in Ordnung?“, fragte ich.

„Hallo Chris, ja bei uns ist alles bestens. Und wie ist dein Befinden? Malte hat uns gesagt, dass du größere Probleme hattest.“

„Mittlerweile ist alles wieder gut. Heikki hat mich gut behandelt und das hilft mir immens. Vielleicht muss ich einfach noch besser auf meinen Körper hören. Ansonsten geht es mir gut. Das Auto läuft auch perfekt. Also momentan sieht es nach einer möglichen Zielankunft aus.“

„Das wollen wir doch hoffen. Wäre schade, wenn dieser Aufwand nicht belohnt würde. Musst du noch einmal ins Auto? Luc wird ja Marc gleich noch einmal ablösen. Oder fährt Luc dann bis zum Schluss?“

„Nein, Luc darf nicht bis zum Schluss fahren. Er würde seine maximale Fahrzeit überschreiten. Ich werde die letzten zwei Stunden im Auto sitzen und auch über die Ziellinie fahren. Wenn es keine Probleme mit dem Auto gibt.“

„Wird das mit deinem Rücken denn gehen? Malte hat gesagt, dass du Schmerzen hattest.“

„Ich denke schon. Heikki würde mich nicht fahren lassen, wenn er Zweifel hätte. Aber wo wir gerade beim Thema Malte sind. Wo sind die beiden gerade? Ich sehe sie hier nicht.“

„Richtig, sie haben Luc gefragt ob sie durch das Fahrerlager gehen dürfen. Luc hat ihnen das erlaubt und dann sind sie vor einigen Minuten gegangen. Sie wollten aber bald zurück sein. Warum? Haben sie was angestellt? Sollen wir sie suchen gehen?“

„Nein, nein. Das ist schon in Ordnung. Wenn sie Luc gefragt haben, passt das.“

Ich wandte mich danach wieder meinem Bruder zu, der mit Gerry gemeinsam etwas abseits stand.

„Hallo Chris, was macht dein Körper? Hast du dich erholt?“, fragte mich Jan.

„Danke, ja es fühlt sich wieder gut an. Noch einmal danke für deine Unterstützung. Die Infrarot Lampe war eine große Hilfe.“

„Sehr gern. Ich würde mich wirklich tierisch für euch freuen, wenn ihr ins Ziel kommen würdet. Bislang sieht das ja gut für euch aus. Viel besser als ihr vorher angenommen hattet. Du hast noch nicht viel verlernt von deinen Fahrkünsten. Respekt!“

Gerry hatte aufmerksam zugehört und stutzte jetzt.

„Moment, hast du Erfahrung im Rennsport? Bist du früher selbst häufiger gefahren?“

„Nein“, erwiderte ich, „auf der Rundstrecke eher nicht. Ich bin eine Zeit lang in der Deutschen Rallyemeisterschaft unterwegs gewesen.“

„Ach ne, das wusste ich ja überhaupt noch nicht. Davon haben auch die Jungs gar nichts erzählt. Oder wissen sie das auch nicht?“

„Doch, aber sie wissen nicht viel davon. Ich habe es ihnen nicht wirklich erzählt. Einmal im Zusammenhang mit meinem Unfall erwähnt, mehr aber nicht.“

Jan schaute währenddessen auf den Zeitenmonitor.

„Schau mal, Chris. Marc fährt plötzlich im Hatzenbach sehr langsam. Was hat das zu bedeuten?“

Das ließ mich sofort aufhorchen und ich schaute auch auf den Monitor. Aber ich konnte schnell erkennen, dass alle Autos dort langsam fuhren. Dann schaute ich auf einen anderen Monitor und sah man, dass Streckenposten im Hatzenbach doppelt gelbe Fahnen schwenkten.

„Das bedeutet, dass in dem Streckenabschmitt alle Fahrer nicht schneller als sechzig km/h fahren dürfen. Dafür wird doppelt gelb geschwenkt. Also alles im grünen Bereich.“

„Eher im gelben Bereich, würde ich sagen“, lachte Gerry.

„Hahaha, sehr gut. Der Spruch gefällt mir, Gerry.“

Dann tauchte Luc bei uns auf. Er stellte sich neben mich, hörte aber unserer Unterhaltung nur zu.

„Na Luc, wie ist die Lage? Wann machst du dich für deinen letzten Einsatz fertig?“

„Genau deshalb bin ich zu dir gekommen. Ich möchte mich jetzt vorbereiten und dich bitten mitzukommen. Nicholas wollte noch mit uns sprechen.“

Oha, dachte ich. Was würde jetzt noch kommen? Eigentlich war alles besprochen.

„Dann lass uns gehen. Hat er etwas gesagt worum es geht?“

Luc schüttelte mit dem Kopf. Also verabschiedete ich mich von Jan und Gerry und wir gingen die Treppe hinunter. Allerdings nicht zu Nicholas an den Kommandostand, sondern in den kleinen Bereich wo wir Piloten uns vorbereiten konnten. Dort begann sich Luc fertig anzuziehen bis auf die Balla Clava und die Handschuhe.

„Chris, ich möchte mit dir allein sprechen. Mit Nicholas ist alles geklärt. Aber sonst sind gleich wieder Dustin und Fynn oder jemand von den anderen um uns herum.“

„Ah ja. Was hast du denn auf dem Herzen?“

„Es geht um Malte und Marvin. Ich habe sie vorhin, als du bei Heikki warst, beobachtet. Sie standen hinter der Box und sie diskutierten ziemlich heftig über etwas. Bis dann plötzlich Marvin seinen Arm um Malte legte und ihm einen vorsichtigen Kuss auf den Hals gab. Ich war so perplex, dass ich unvorsichtig einen Schritt um die Ecke gemacht hatte. Da haben sie mich bemerkt und waren sehr erschrocken.“

„Aber warum? Sie wissen doch, dass du auch einen Freund hast. Da hätten sie doch nichts zu befürchten gehabt.“

„Ja, sicher. Sie sind auch nicht weggelaufen oder so. Aber sie haben mir gesagt, dass sie sich noch nicht trauen, es öffentlich zu machen. Sie würden am liebsten mit dir darüber zuerst sprechen.“

„Klar, kein Problem. Warum haben sie das nicht gemacht? Haben sie dir dazu etwas gesagt?“

Luc schmunzelte und nickte.

„Ja, sie meinten, dass sie dich damit jetzt nicht belasten wollten. Erst wenn alle wieder in Halle sind, wollen sie dich ansprechen. Du wohnst ja bei Malte im Haus, meinte er.“

„Hahaha, okay. Ich verstehe. Danke für die Info und dein vorbildliches Verhalten. Das hat den beiden bestimmt geholfen.“

„Ich hoffe es zumindest. Sie sind sich noch nicht sicher ob sie wirklich schwul sind. Aber ich glaube, du wirst das schon richten. Außerdem haben sie mit Dustin und Fynn auch Freunde, die sie immer fragen könnten.“

„Eben, ich bin da sehr entspannt. So wie ich Maltes Eltern einschätze, dürfte es da auch keine großen Probleme geben. Aber jetzt zurück zum Rennen. Du bist fit?“

„Jap, alles bestens. Papa sagte eben über Funk, dass das Auto gut läuft und keine Probleme macht. Ich hoffe, dass wir die letzten vier Stunden auch noch schaffen. Auch wenn ich langsam richtig erschöpft bin.“

„Klar, das kann ich verstehen. Deshalb geh kein Risiko ein. Wenn wir einige Plätze verlieren ist das kein Problem. Der sechste Platz ist viel mehr als ich je erwartet hatte. Also lieber mal zurückstecken als jetzt noch das Auto rauswerfen.“

„Ja, da hast du absolut Recht. Und genau das werde ich auch machen. Keine Sorge.“

Luc schaute auf die Uhr wir gingen in der Box nach vorn. Luc unterhielt sich kurz mit dem Ingenieur und dann kündigte sich Marc über Funk an. In etwa zehn Minuten würde er hier zum Wechsel sein.

Marc: Der Ringteufel schlägt zu, aber das Finale winkt

Mein letzter Turn verlief ohne Probleme und auch Lucs zwei Stunden neigten sich bereits dem Ende zu. Etwa zwei Runden sollten für ihn noch zu fahren sein und Chris würde ihn ablösen, um das große Rennen zu Ende zu bringen.

Bis auf den einen kleinen Reifenschaden waren wir sowohl von Unfällen als auch Defekten verschont geblieben. Wir lagen zwischenzeitlich auf dem sechsten Gesamtrang. Viel besser als ich jemals erträumt hatte. Mittlerweile waren wir etwas zurückgefallen, aber immer noch unter den Top Ten.

Allerdings hatte das Rennen auch seine Spuren hinterlassen. Alle, insbesondere unsere jüngsten Fans waren schon sehr müde. Aber niemand wollte jetzt noch schlafen gehen. Alle fieberten den letzten zwei Stunden des Rennens entgegen. Chris hatte sich bereits fertig umgezogen und stand mit mir in der Box. Ich war beeindruckt von seiner Performance über die ganzen vierundzwanzig Stunden. Auch Luc hatte keinen Fehler gemacht und mir erneut gezeigt, wie er in den letzten Monaten gereift war.

Stef ließ es sich nicht nehmen, Chris in den letzten Turn zu schicken und gleichzeitig seinen Freund in Empfang zu nehmen.

Wie ein aufgeschrecktes Huhn hüpfte Stef auf der Stelle. Chris und ich schauten dem zu und ich musste mich zurücknehmen, aber Chris brachte es auf den Punkt:

„Hey Stef, musst du aufs Klo? Du hüpfst hier rum wie ein zehnjähriger in der Schule, der dringend pinkeln muss.“

Chris hatte Probleme dabei ernst zu bleiben und fing bereits nach der Frage an zu kichern. Stef hörte zwar auf der Stelle auf zu hüpfen, erwiderte aber:

„Ich bin so aufgeregt. Es ist nur noch ein Fahrerwechsel und dann ist es vorbei. Wir sind fast im Ziel und ich freue mich schon so.“

„Das ist verständlich, aber noch viel zu früh. In den letzten zwei Stunden kann noch so viel passieren. Also Ruhe bewahren und Ball flach halten“, gab ich zu bedenken.

Es bahnte sich allerdings auch eine außergewöhnliche Situation an. Sabine tauchte plötzlich in der Box auf und kam direkt auf mich zu. War etwas passiert?

„Hallo Schatz, wie schön, dass du auch mal herkommst.“

„Ja, ich muss doch schauen, ob hier alles läuft. Aber Marc, ich habe eine Frage. Ich wurde von Dustin gefragt, ob sie Chris beim letzten Fahrerwechsel gemeinsam auf die Reise schicken dürfen. Ich bin der Meinung, dass das ein starkes Zeichen wäre.“

„Was meinst du mit gemeinsam?“

„Na, alle Jungs aus der Haller Fangruppe. Sie haben alle einen engen Bezug zu Chris und möchten ihm zeigen, dass es für sie etwas Besonderes darstellt und sie ihm die Daumen drücken.“

„Hahaha, das ist ja cool. Na klar, das sollen sie machen. Ich werde die Crew informieren, aber Chris soll davon noch nichts mitbekommen. Sorg du bitte dafür, dass sie erst in die Box kommen, wenn Chris bereits vorn auf Luc wartet. Er soll sich komplett nur auf seine Rolle als Pilot konzentrieren.“

Meine Frau gab mir lächelnd einen Kuss und verschwand wieder nach oben. Chris hatte mitbekommen, dass Sabine bei mir war. Fragte aber nicht nach. Er holte sich von mir nur noch die letzten Informationen ab und stellte sich dann vorne in der Boxengasse auf. Luc würde in Kürze zum letzten Fahrerwechsel kommen.

Was dann folgte, war ein richtiges Schauspiel. Einer nach dem anderen von den Haller Jungs erschien in der Box und stellte sich am Rand auf. Dustin und Fynn kamen zum Schluss und ihnen war es erlaubt worden, Chris beim Einsteigen zu helfen. Sie sollten Chris auf die letzte Reise im Rennen schicken.

Chris hatte irgendwann bemerkt, dass hier etwas Besonderes geschah. Aber er stand ruhig auf seinem Platz und schaute nur einen Augenblick zu den Jungs hinüber. Dann kam Luc auch bereits in die Boxengasse gefahren. Chris zupfte sich die Handschuhe zurecht und dann parkte Luc exakt auf der vorgesehenen Position. In diesem Moment standen Dustin und Fynn parat und halfen Luc aus dem Auto und gleichzeitig unterstützten sie Chris beim Anschnallen. Ich hatte nur ein wachsames Auge auf die Vorgänge. Aber es war alles bestens und Chris hielt beiden vor dem Schließen der Tür seine Hand hin. Sie schlugen ein und dann brüllte der Motor auf und Chris rollte auf Platz neun liegend wieder ins Rennen.

Die beiden Jungs kamen mit Luc zurück zu mir.

„Gutes Rennen, Luc. Es macht mich sehr stolz, dass wir das hier gemacht haben.“

Luc nahm seinen Helm ab und umarmte mich. Es war einfach ein ganz starkes Gefühl.

„Danke, Papa. Jetzt liegt es an Chris, unser Auto ins Ziel zu bringen. Aber ich hätte niemals gedacht, dass es so gut läuft. Ein möglicher zehnter Platz wäre viel mehr als ich je zu träumen gewagt hätte.“

„Warum Platz zehn? Ihr seid neunter“, fragte Dustin.

„Weil ich davon ausgehe, dass Chris von dem BMW hinter uns noch überholt wird. Aber das wäre gar kein Problem. Da sitzt ein absoluter Vollprofi am Steuer. Damit muss sich Chris nicht messen. Er soll einfach ins Ziel fahren.“

Damit hatte Luc voll ins Schwarze getroffen. Allerdings war mir auch klar, Chris würde noch einmal alle Reserven mobilisieren. Und genau das machte mir etwas zu schaffen. Würde er rechtzeitig die Geschwindigkeit reduzieren, sollte er müde werden oder sich sein Rücken wieder melden.

Wenige Minuten später überschlugen sich die Ereignisse. Luc, Stef und ich standen bei unseren Freunden in der Lounge, als plötzlich die Information kam, dass auf der gesamten Strecke die gelbe Flagge galt und die Safety Cars auf die Strecke gingen. Es musste also etwas Gravierendes geschehen sein.

„Marc“, hörte ich Nicholas über meine Kopfhörer, „kannst du bitte an den Kommandostand kommen.“

Das ließ meinen Puls rasant nach oben schnellen. Denn mir gingen viele Gedanken durch den Kopf. Aber wenn es mir schon so ging, wie würde es Luc oder den Haller Freunden gehen? Deshalb informierte ich noch Sabine und verließ dann die Lounge.

Luc hatte es trotzdem registriert. Allerdings blieb er oben. Das empfand ich als großartig.

Auf dem Weg zu Nicholas wurde mein Puls immer schneller. Informationen gab es für mich noch keine. Erst als ich neben Nicholas stand und er seinen Kopfhörer auf einem Ohr an die Seite schob bekam ich genauere Informationen.

„Die Strecke ist am Adenauer Forst gesperrt worden. Dort stehen mehrere Fahrzeuge auf der Strecke und die Rennleitung hat sich entschlossen, mit der roten Flagge das Rennen zu unterbrechen. Welche Fahrzeuge betroffen sind, kann ich noch nicht genau sagen. Nur kann Chris eigentlich nicht betroffen sein. Er war noch eine ganze Ecke weg vom Adenauer Forst. Aber es könnte das Auto mit Mick und Lukas betroffen sein.“

Das war nicht das was ich hören wollte.

„Hast du versucht über Funk unsere Autos zu erreichen?“, fragte ich angespannt.

„Ja, aber bislang habe ich noch keins der drei Autos erreicht. Wir versuchen es aber weiter.“

Plötzlich hob einer der Ingenieure vor den Monitoren seine Hand. Er sprach mit einem der Autos. Dann drehte er sich zu uns und holte Nicholas zu sich. Diese Minuten wirkten wie Stunden auf mich. Und mir wurde jetzt bewusst, wie sich Sabine oder früher Mick und Leif gefühlt haben mussten. Das war absolut nicht angenehm.

Nicholas nickte nur kurz und kam dann zurück zu mir.

„Also folgendes, Mick hat sich gemeldet. Er sagt, dass sich drei Fahrzeuge vor ihm komplett zerlegt haben und er über einige Trümmer gefahren ist. Jetzt steht er am Rand auf der Wiese. Er ist ok, aber er kann nicht sagen, ob der Wagen beschädigt ist oder nicht. Chris steht etwa einhundert Meter vor der Unfallstelle und kann zurzeit nicht weiterfahren. Die Strecke ist komplett blockiert. Wir müssen jetzt auf die Mitteilungen der Rennleitung warten.“

Das beruhigte mich erst einmal gewaltig. Keiner verletzt und vermutlich auch keiner direkt an dem Unfall beteiligt.

Ebenfalls kam recht schnell von der Rennleitung die Bestätigung, dass niemand ernsthaft verletzt wurde. Wie lange es allerdings dauert, bis die Strecke soweit geräumt sein würde, dass die Fahrzeuge zur Box fahren können, das hatte die Rennleitung noch nicht bekanntgegeben.

Dann kam noch die Ansage, dass die Rennzeit nicht angehalten würde. Sollte es also zwei Stunden dauern bis wieder gefahren werden konnte, würde das Rennen dann nicht mehr wieder aufgenommen.

Luc stand mittlerweile auch neben mir und hatte mich schon mehrfach gefragt, wie es weitergehen würde und ob ich etwas von Mick und Chris wüsste.

Ich erklärte ihm was ich wusste und dann kam ein Funkspruch von Mick.

„Der Motor startet nicht mehr. Es ist alles tot. Was soll ich machen?“

Das war ein ernstes Problem.

Ich gab zur Antwort:

„Bleib erst einmal ruhig und beschreib bitte genau was passiert ist.“

Tom und Lukas hatten mitgehört und waren zu uns nach unten gekommen. Der zuständige Ingenieur stand ebenfalls bei uns. Dann lauschten wir Micks Beschreibungen.

„Ich habe am rechten Streckenrand gehalten und gewartet wie sich die Lage entwickelt. Weiterfahren ging nicht, die Strecke ist komplett voll mit Trümmerteilen und den drei Wracks. Als dann die roten Flaggen kamen, habe ich den Motor abgestellt. Mittlerweile haben sie einen Teil der Strecke geräumt und wir sollen gleich zurück an die Box fahren können. Da habe ich versucht den Motor zu starten, aber er macht gar nichts mehr. Komplett tot.“

Der Ingenieur fragte:

„Hast du noch funktionierende Anzeigen im Cockpit? Oder sind die auch platt?“

„Nein, die Anzeige funktioniert auch nicht mehr. Also Strom ist komplett weg.“

Es wurde in diesem Moment von der Rennleitung kommuniziert, dass alle Fahrzeuge in Schrittgeschwindigkeit an der Stelle vorbei- und in die Box zurückfahren sollten.

Chris bekam die Ansage, sich ebenfalls bereit zu machen, um in die Box zu fahren.

Er antwortete einen Moment später:

„Was ist mit Micks Auto? Er steht am Rand und fährt nicht weiter. Gibt es dort ein Problem?“

Micks Ingenieur erklärte es Chris und gab die Anweisung in die Box zu kommen.

Allerdings kam von Chris keine Bestätigung. Und nach zehn Minuten war Chris immer noch nicht in der Box. Das ließ mich unruhig werden. Hatte er sich das Auto mit einem Trümmerteil beschädigt? Über Funk hatten wir auch keinen Kontakt mehr. Aber dann tauchte auf einem Monitor ein spektakuläres Bild auf. Dort konnte man zwei rote Ferraris hintereinander mit Warnblinker sehen. Chris direkt hinter Mick. Ich konnte es kaum glauben. Chris hatte seinen Wagen direkt hinter den von Mick gesetzt und schob diesen in langsamer Fahrt die Döttinger Höhe hinauf. Wie verrückt war das denn bitte?

Eine Funkverbindung bekamen wir aber zu beiden Autos nicht. Allerdings war nun klar was gleich passieren würde. Entsprechend wurde die Box vorbereitet. Eile war nicht geboten, das Rennen war ja unterbrochen. Von daher bestand auch keine Gefahr von dieser Aktion.

Luc stand mit Lukas neben mir und beide waren ziemlich aufgeregt.

„Ist das eigentlich überhaupt erlaubt, Papa? Nicht, dass beide Autos jetzt disqualifiziert werden“, fragte Lukas.

Eine berechtigte Frage. Im Rennen war das natürlich nicht erlaubt. Aber das Rennen war ja unterbrochen. Aber jetzt wäre es eh zu spät, um darüber nachzudenken.

„Ich weiß es nicht, aber wichtig ist jetzt, dass sie hier heile ankommen. Und dass Chris sich den vorne liegenden Wasserkühler nicht kaputtmacht.“

Was ich noch gar nicht bemerkt hatte, Sabine stand mitten in der Box und Tim und Carlo standen unruhig neben ihr. Sie hielt sie aber davon ab, zu uns zu kommen. Erst als ich Sabine mit einem Kopfnicken die Erlaubnis gab, ließ sie die beiden laufen.

Wie die Derwische rannten sie durch die Box und standen fix vor mir.

„Was ist mit Chris? Ist ihm etwas passiert? Stef hat gesagt, dass es einen Unfall gegeben hat“, platze es aus Tim heraus.

Ich konnte den beiden ihre Spannung ansehen. Sie waren beunruhigt. Ich war ein wenig sauer auf Stef. Er hatte sich unglücklich geäußert. Das musste bei allen Jungs zu Angst und Unruhe führen.

„Luc, gehst du bitte sofort nach oben und beruhigst deine Freunde. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Chris wird hoffentlich gleich mit Mick zusammen in die Box kommen. Ich möchte, dass jeglicher Stress vermieden oder zumindest beendet wird.“

„Ja, Papa. Ich bin schon unterwegs. Erklärst du den beiden was los ist?“

„Na klar, also zisch ab, bevor da oben jemand einen Herzinfarkt bekommt. Hihihi.“

So schnell konnte ich gar nicht gucken, wie Luc nach oben flitzte. Danach gab ich Tim und Carlo eine Lagemeldung und konnte sie schnell beruhigen.

Carlo freute sich und erwiderte:

„Puh, Gott sei Dank ist nichts passiert. Wann kommt Chris in die Box?“

„Das kann ich nicht ganz exakt sagen, aber wohl in den nächsten Minuten.“

Dann kam schon das Kommando vom Ingenieur. Es war tatsächlich so, dass Chris hinter Micks Auto rollte und seinen Teamkollegen in die Box verfrachtet hatte. Sofort stürzten sich die Mechaniker auf das defekte Auto und die andere Truppe schaute sich unseren Wagen an. Allerdings kam da sehr schnell Entwarnung. Es war nichts beschädigt. Chris hatte also mit viel Gefühl Mick in die Box geschoben.

Ich hockte an Chris Tür und ließ mir berichten was aus seiner Sicht vorgefallen war. Dabei machte er einen ruhigen Eindruck auf mich.

„Als ich nach einer kurzen Pause auf der Strecke wieder losfahren durfte, kam ich am Adenauer Forst um die Ecke. Überall lagen Trümmerteile und zerstörte Autos herum. Ich entschied mich dann, an der rechten Seite auf der Wiese vorbeizufahren. Einen Reifenschaden wollte ich auf jeden Fall vermeiden. Erst nach einigen Metern hatte ich Mick erkannt. Er stand mir ohne Licht im Weg. Da wusste ich, dass er ein Problem haben würde. Ich hielt hinter ihm an und gab mit der Lichthupe Signale, die er auch verstand. Er öffnete die Tür und kam zu mir an die Tür, erklärte die Lage und da hatte ich spontan die Idee, ihn in die Box zu schieben. Erst als wir fast auf der Döttinger Höhe waren, wurde mir bewusst, dass das seit einigen Jahren nicht mehr erlaubt war. Aber da war es eh zu spät, also habe ich entschieden bis zur Box weiterzumachen. Weißt du, ob wir jetzt disqualifiziert werden?“

„Ja, wenn das Rennen noch aktiv gewesen wäre, dann würden wir jetzt bestraft werden. Aber es war mit der roten Flagge unterbrochen. Daher gehe ich davon aus, dass wir nicht bestraft werden.“

Chris atmete tief aus und ich spürte seine Erleichterung.

„Es wäre echt bitter gewesen, wenn durch meine falsche Entscheidung unser Rennen kaputt gewesen wäre. Ich wollte einfach vermeiden, dass Mick dort stranden würde, habe aber einfach nicht über die Regeln nachgedacht. Sorry.“

Das war auch typisch für Chris. Er machte sich für alles verantwortlich. Ich empfand diese Entscheidung eine völlig nachvollziehbare Reaktion, Mick dort nicht stehen lassen zu wollen. Vermutlich hätte ich ähnlich reagiert.

„Genug, Chris. Du hast es gut gemanagt. Und jetzt bitte nicht mehr darüber nachdenken. Wir sind noch nicht am Ziel. Aber ich möchte mit dir dort ankommen. Also ruh dich noch einen Moment aus, um dann in den letzten Runden wieder konzentriert zu sein.“

Chris nickte nur kurz und schloss dann für einen Moment die Augen. Er atmete tief ein und aus. Die Gurte hatte er bereits gelockert.

Ich konnte erkennen, dass die Mechaniker bei Mick die hintere Haube entfernt hatten und fleißig am Schrauben waren. Nicholas meldete sich über Funk:

„Marc, wir haben den Fehler bei Mick gefunden. Der Hauptschalter ist defekt. Wir müssen den Schalter tauschen und dann die Batterie wieder anschließen. Also kein gravierendes Problem. Er wird wieder ins Rennen gehen können.“

Das gab ich auch an Chris weiter, damit er sich genauso über diese Nachricht freuen konnte.

Bald gab es von der Rennleitung eine Information über den baldigen Re-Start des Rennens. Also begannen wir, uns wieder in den Rennmodus zu bringen. Die Reifenwärmer wurden entfernt, das Auto wieder auf die Straße abgelassen und Chris startete den Motor.

Für uns gab es einen kleinen Vorteil. Wir konnten in der Pause den Tank noch einmal richtig füllen und wenn alles normal lief, brauchten wir bis zur Zielflagge nicht erneut zu tanken. Es gab noch etwas mehr als eine Stunde zu fahren. Das sollte eigentlich mit einer Tankfüllung zu machen sein.

Einige der Konkurrenten mussten erneut einen Tankstopp einlegen. Dadurch konnten wir vielleicht noch einen Platz gewinnen. Wenn nicht, war das auch nicht tragisch. Hauptsache ankommen.

Chris hatte recht schnell wieder in seinen Rhythmus gefunden und fuhr sehr konstante Zeiten. Allerdings machte der BMW hinter uns mächtig Druck. Er musste noch einmal tanken, wir nicht. Chris begann sich mit dem Piloten zu duellieren. Das war so nicht besprochen und ich wurde doch ein wenig nervös. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass es auffallen würde. Aber Luc hatte es bemerkt.

„Papa, du bist angespannt. Warum so nervös. Chris hat doch alles unter Kontrolle.“

Damit hatte er mich auf dem falschen Fuß erwischt. Sonst war ich immer derjenige, der cool war und meine Familie nervös.

„Weil ich nichts mehr selbst in der Hand habe. Das bin ich nicht gewohnt. Und ich muss Chris blind vertrauen, dass er jetzt mit dem BMW keine unüberlegte Aktion macht. Das fällt mir jetzt enorm schwer.“

Luc schaute mich genau an und entgegen meiner Erwartung mir dafür einen Text zu geben, umarmte er mich und flüsterte:

„Ich kann dich gut verstehen, aber vielleicht kannst du Mick, Lukas und Leif jetzt besser verstehen. Sie haben früher ganz oft Angst um dich gehabt.“

Das erzeugte bei mir eine ganz heftige Gänsehaut.

„Da kann ich nicht widersprechen. Dennoch wäre ich jetzt sehr froh, wenn Chris heil ins Ziel kommt. Es ist völlig egal ob neunter, zehnter oder woanders.“

Dann hörte ich eine mir bekannte Stimme. Leif war zum ersten Mal überhaupt in die Box gekommen. Bislang hatte er sich komplett aus dem Geschehen herausgehalten.

„Dann sag es Chris doch einfach. Sag ihm, dass du in Sorge bist. Ich glaube, er wird genauso überrascht sein wie wir gerade. Aber er wird dich nicht enttäuschen.“

Ich konnte nicht anders, ich musste Leif ganz fest an mich drücken. In mir kam ein großes Bedürfnis auf. Ich wollte meine ganze Familie jetzt in meiner Nähe haben.

„Luc, gehst du bitte nach oben und bringst du unsere komplette Familie mit hierher. Ich möchte euch jetzt in meiner Nähe haben.“

Luc schaute mich fragend an, aber ging mit einem Nicken nach oben. Leif blieb in meiner Nähe und wir schauten auf die Onboardbilder aus Chris Auto. Er kämpfte mit dem BMW um die neunte Position. Aber der BMW musste nach unseren Berechnungen noch einmal kurz zum Tanken kommen. Plötzlich hörte ich Nicholas Stimme auf meinem Kopfhörer.

„Chris, lass den BMW fahren. Er muss noch einen Splash and Dash machen. Sein Sprit wird nicht reichen. Behalte deinen Rhythmus bei und bring das Auto ins Ziel. Du machst einen großartigen Job.“

Über diese Ansage war ich mehr als glücklich, denn ich musste diese Entscheidung nicht mehr selbst treffen. Und Chris reagierte prompt. Er ließ den BMW vorbei und hängte sich an seine Stoßstange. Sollte der BMW tatsächlich noch einmal reinkommen müssen, würde Chris sofort zur Stelle sein.

Meine Familie kam zu mir in die Box und auch die Mechaniker spürten, dass es für mich eine besondere Situation war. Sie ließen uns komplett in Ruhe. Toms Auto lief jetzt auch wieder sehr gut und es sah danach aus, dass beide Autos ins Ziel kommen würden. Sabine kam zu mir und wir umarmten uns. Es war sehr emotional für mich.

Die Zeit lief immer weiter und Chris ließ nicht nach, aber der BMW kam nicht in die Box. Wir waren bereits in der letzten Runde und durch unseren Taktikwechsel waren wir mittlerweile erneut auf Platz neun gerutscht.

Jetzt tauchten auch unsere ganzen Haller Fans auf. Ganz vorn standen Tim und Carlo. Tim kam zu mir.

„Chris ist einfach eine coole Socke. Ich hätte nie gedacht, dass er hier so eine Leistung abliefert. Ich freue mich unheimlich für ihn. Hoffentlich geht jetzt in der letzten Runde nichts mehr schief.“

Jan und Gerry Weber standen auch bei uns und insbesondere Jan wirkte emotional angefasst. Vielleicht entstand hier eine neue Epoche in der Beziehung zwischen den Brüdern. Es wäre beiden zu wünschen.

Plötzlich rief Dustin mit Fynn gemeinsam:

„Der BMW wird langsamer. Er hat ein Problem. Schaut doch.“

Tatsächlich hatte der BMW seine Warnblinker angeschaltet und fuhr langsam am rechten Streckenrand entlang. Ging ihm jetzt doch noch der Sprit aus? Hatten sie zu hoch gepokert?

Bei unseren Freunden brach fast euphorischer Jubel aus. Das missfiel mir, denn hier handelte es sich ja um das Pech der anderen und nicht einer besonderen Leistung unsererseits. Daher bat ich um mehr Zurückhaltung.

Allerdings kam bei mir auch Freude über unsere Entscheidung auf, frühzeitig noch einmal zu tanken. Damit fuhr Chris am BMW vorbei und bog als Achter auf die Zielgerade ein. Jetzt war es fast perfekt, denn es fehlten nur noch einhundert Meter bis zum großen Finale.

In der Box brach doch etwas Chaos aus, denn alle wollten Chris natürlich ins Ziel jubeln und nach vorn an die Mauer gehen. Das ging natürlich nicht. Ich musste schnell entscheiden und entschloss mich, Jan, Dustin, Fynn und Luc mit nach vorn zu nehmen. Die anderen blieben in der Box. Was nicht hieß, dass der Jubel dort kleiner ausfiel. Im Gegenteil, alle fielen sich in die Arme und es war eine Riesenfreude. Ein achter Platz im Gesamtklassement, wer hätte das für möglich gehalten. Und Tom kam mit meinen anderen beiden Söhnen als Zwölfter ins Ziel. In Anbetracht der Probleme ein tolles Finale.

Chris fuhr langsam ganz eng an die Boxenmauer heran und Jan zeigte seinem Bruder jubelnd den Daumen hoch. Dustin und Fynn umarmten sich, wirkten aber auch erleichtert, dass es vorbei war und niemand verletzt wurde.

Bevor ich noch eine Sekunde länger nachdenken konnte, war ich klatschnass. Keine Ahnung woher. Und das brannte dermaßen in den Augen, dass musste also Champangner sein. Als ich wieder klar sehen konnte, stand Sabine mit einem breiten Grinsen vor mir und natürlich mit der dazugehörigen Flasche in der Hand. Wir umarmten uns und es folgte ein langer Kuss. Letztlich verdankten wir dieses Rennen ihrer Zustimmung. Auch Luc kam zu uns und niemand der anderen störte uns in diesem Moment. Wir nahmen uns alle fest in den Arm und Sabine sprach einen wichtigen Satz:

„Ein Glück, es ist endgültig vorbei und Chris ist es gelungen, euch alle heil ins Ziel zu bringen. Heute wird nicht mehr gezweifelt, heute soll kräftig gefeiert werden. Und zwar mit allen unseren Freunden, die uns hier unterstützt haben.“

„Jaaa, heute wird Party gemacht!“, jubelte Luc erlöst.

Natürlich blieb das nicht lange unbemerkt und ich musste jetzt aufpassen, dass nicht noch jemand unter die Räder kam, denn die Autos kamen alle zurück in die Boxengasse. Und natürlich warteten wir auf unser Auto mit Chris an Bord.

Diese Minuten waren noch einmal Anspannung, denn wenn das Auto ohne Benzin liegengeblieben wäre, hätte man uns noch disqualifizieren können. Für einen Sprittest musste nach Zieleinlauf noch mindestens ein Liter im Tank sein.

Aber Chris rollte bald in die Box und öffnete die Tür.

Jetzt gab es für mich kein Halten mehr und ich lief zum Auto und holte Chris heraus. Mit einer herzlichen Umarmung löste sich unsere Anspannung. Auch Luc kam hinzu und erst als Chris den Helm abgenommen hatte, konnte ich die Anstrengung in seinem Gesicht ablesen. Dennoch strahlte Chris und wirkte glücklich.

Einen sehr emotionalen Moment durften wir noch erleben. Jan hatte sich durch die Menschentraube gearbeitet und stand jetzt direkt vor seinem Bruder. Jan umarmte Chris wortlos und diese Szene berührte mich sehr. Alle Freunde von Chris standen um die beiden herum, ließen sie jedoch diesen höchst intimen Augenblick ungestört genießen.

Nachdem wir uns alle ausgetobt hatten, hatte Sabine die Idee, gemeinsam auf die große Teilnehmerparty zu gehen. Mit all unseren Fans bzw. Gästen aus Halle, die Lust dazu hatten. Allerdings geschah noch etwas Besonderes. Nachdem sich alle wieder etwas beruhigt hatten, erlebte ich eine Situation mit Gänsehautfeeling. Jan stand mit seinem Bruder hinter der Box und sie unterhielten sich als ich hinzu kam.

„Ich bin schwer beeindruckt von deiner Performance und vor allem, wie geschlossen deine Jungs hinter dir stehen. Das ist derart außergewöhnlich und bestätigt erneut unsere Entscheidung, dich in unser Team vollkommen integriert zu haben.“

Chris nickte nur wortlos. Mir war das zu wenig Anerkennung von Jan. Ich wollte auch noch auf die besondere Situation von Chris hinweisen.

„Ich finde, es ist auch eine sehr bemerkenswerte Leistung von Chris, dass er dir eine Möglichkeit gegeben hat, dass ihr euch nach so vielen Jahren einander wieder annähern konntet. Das bewundere ich fast noch mehr als seine Leistung mit den Jungs.“

Chris schaute mich an und ich spürte seine Rührung. Jan zeigte nach diesen Worten für einen Augenblick ein nachdenkliches Gesicht. Dann machte er einen Schritt auf seinen Bruder zu und umarmte ihn erneut intensiv. Sie sprachen nicht dabei. Erst, als sich Jan wieder gelöst hatte, kam von ihm eine Antwort:

„Ja, Marc. Du sprichst etwas aus, was mir Dustin und Fynn bereits klargemacht haben. Sie haben immer noch den Eindruck, dass ich die Entwicklung von meinem Bruder zu wenig würdigen würde. Vielleicht wirkt das nach außen oft auch so, aber ich habe größten Respekt vor Chris. Und ich werde an meinem Umgang mit ihm weiter arbeiten. Das verspreche ich. Aber heute möchte ich keine schweren Dinge mehr anfassen. Heute sollt ihr einfach gemeinsam feiern. Ich werde mich mit Gerry gleich wieder auf den Heimweg machen müssen. Morgen früh geht mein Flieger wieder zum Turnier. Es war absolut schön, hier dabei gewesen sein zu dürfen. Chris hat jetzt ein paar Tage Urlaub verdient. Weißt du schon, was du machen willst bevor die Spanier zu Besuch kommen und auch Justins Familie?“

Lustig war Chris Reaktion, er zuckte mit den Schultern und erwiderte:

„Keine Ahnung, aber auf jeden Fall will ich mein neues Motorrad einweihen. Vielleicht entscheide ich mich aber auch, spontan ein paar Tage in die Schweiz zu fahren. Mit Claus wollte ich schon lange mal wieder ein paar Tage entspannen.“

Für mich war das eine Steilvorlage.

„Claus? Das war dein Freund aus Basel, der seine Freizeit bei der Furka verbringt, stimmt's? Dann würde ich dir vorschlagen, wir machen eine Woche Besuch bei der Furka. Dort gibt es doch dieses grandiose kleine Hotel in Gletsch. Ich denke, das haben wir uns verdient.“

Jan empfand diese Idee als gelungen. Nur Chris zögerte noch. Aber das würde ich schon noch regeln, bevor wir uns von hier auf den Heimweg machen würden.

Chris: Ein besonderes Wochenende geht zu Ende

Obwohl wir alle todmüde waren, wurde doch bis in die späten Abendstunden gemeinsam eine große Party gefeiert.

Hier zeigte sich unser Team besonders gut, was das Tanzen betraf. Tim, Carlo, Malte und Marvin stellten sich als richtige „Dance Floor“-Helden dar. Selbst Dustin und Fynn zeigten sich häufiger vor der großen Bühne. Dass Maxi und Justin abrockten, wunderte mich überhaupt nicht. Aber ich war heilfroh, irgendwann am späten Aend endlich im Bett zu liegen.

Am nächsten Morgen hatten wir uns ein wenig später zum abschließenden gemeinsamen Frühstück verabredet. Unsere Haller Abordnung war teilweise bereits abgereist. Nur Fynns Familie mit Dustin war noch bei uns. Sie wollten gemeinsam von hier in den Urlaub starten.

Marcs Familie und ich saßen bereits am Tisch als auch Tom mit seiner Familie hinzukam. Auffällig war die Sitzordnung. Mika hatte sich heute zu seinem Vater gesetzt, während Kristina neben Sabine Platz nahm.

Wir sprachen kaum noch über das vergangene Rennen. Eigentlich erzählten, Patrick, Dustin und Fynn von ihrem kommenden Urlaub und ich spürte ihre Vorfreude. Auch Fynns Vater wirkte gelöst und glücklich. Hier hatte sich in den vergangenen Monaten viel ins Positive bewegt.

Meine Gedanken kreisten bereits um unsere Heimfahrt, als Tom noch einmal ums Wort bat:

„Danke für die Aufmerksamkeit, Jungs. Gestern ist das spektakuläre Rennen für uns gut zu Ende gegangen. Heute möchte ich diese Situation mit euch nutzen, um meiner Familie und meinen Freunden etwas mitzuteilen. Bevor ich anschließend gleich eine Pressemitteilung veröffentliche möchte ich euch informieren, dass ich mir Gedanken über unsere Zukunft als Familie gemacht habe. Mein Sohn hat mir immer wieder versucht zu sagen, dass ich zu oft von zu Hause weg bin. Auch Marc und Luc haben mir gerade in letzter Zeit häufig Hinweise gegeben, ob es noch richtig sei, Rennen zu fahren. Ich möchte den guten Abschluss dieses Rennens nutzen, um heute meinen Rücktritt vom aktiven Rennsport bekanntzugeben. Ich möchte mit meiner Familie und meinen Freunden mehr Zeit verbringen können und insbesondere für meinen Sohn mehr da sein. Danke, das war es, was ich euch mitteilen wollte.“

Stille. Absolute Stille. Obwohl Mika neben Tom saß, traute er sich nicht zu rühren. Tom nahm ihn aber in den Arm und dann brach es aus Mika doch noch heraus. Mit einem lauten,

„Jaaaaa, endlich. Es gibt doch noch Wunder“, brach es aus Mika heraus. Kristina schaute ebenso ungläubig zu ihrem Mann. Sabine reagierte am schnellsten, sie fing an zu applaudieren und meine Jungs stimmten mit ein.

Es war also nicht nur für Marc das letzte, wichtige Rennen seiner aktiven Laufbahn. Auch für Tom schloss sich ein Kreis. Und für mich öffnete sich mit der Rückfahrt nach Halle ebenfalls ein neues Kapitel.

Vor der Abfahrt hieß es nun Abschied nehmen von der Familie Steevens und Dustin und Fynn in den Urlaub zu schicken. Die Jungs würde ich erst in zwei Wochen wieder sehen. Für mich hatte Marc aber noch eine Überraschung im Köcher. Er äußerte die Idee, mit mir eine Woche Männerurlaub in der Schweiz auf der Furka machen zu wollen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und damit begann das neue Kapitel sehr erfreulich mit einer Woche Urlaub beim Claus auf der Furka.

Nachwort

An dieser Stelle möchte ich Mo danken für die vielen Stunden Zeit, die er für mich aufbringt und meine Geschichte begleitet und korrigiert. Deine Ideen und Einwände haben mich immer wieder erneut in meiner Entwicklung als Autor weitergebracht. Dass dabei auch noch eine tiefe Freundschaft entstanden ist, freut mich umso mehr. Ich wünsche mir, dass wir uns 2021 wieder persönlich am See sitzend über viele interessante Dinge unterhalten können.

Vielen Dank und auf ein schöneres, neues Jahr 2021

Clas

Lesemodus deaktivieren (?)