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Michael & Jasper

Weihnachtschallenge 2006

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Leipzig, Goethe Gymnasium, Physik Grundkurs 12-1

3. Oktober 2004, 9:01 Uhr

Sonneneruptionen hätten ein interessantes Thema sein können, wenn nicht Dr. Berger der Vortragende gewesen wäre. Auch, wenn der Physiker mit den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft aufwartete, seine Zuhörerschaft befand sich in einem Zustand zwischen Halbschlaf und Katatonie. Jasper musste sich beherrschen, nicht zu oft zu gähnen. Etwas Bewegung hätte ihm gut getan. Aber er war sich so gut wie sicher, dass Dr. Berger einen Einwand vorbringen würde, wenn er nun aufstand und durch das Klassenzimmer laufen würde.

Die letzte Nacht war kurz gewesen. Zu kurz für Jasper, wie dieser zu seinem großen Unbehagen heute morgen festgestellt hatte, als erst der Wecker, dann nachdrücklicher seine Mutter ihn aus dem Bett geschmissen hatte.

Sonneneruptionen interessierten Jasper nicht besonders, er hatte bereits vor Wochen einen Bericht in einer der Fachzeitschriften seiner Mutter gelesen. Das war einer der Gründe, die dafür sorgten, dass Jasper Physikunterricht mehr als nur gnadenlos langweilig fand. Nicht, dass ihn das Gebiet nicht interessiert hätte, doch führte er Diskussionen über Quantenphysik, Quarks und die neuesten Theorien mit seiner Mutter beim Abendessen und nicht in der Schule. Das war der Nachteil, wenn die eigene Mutter Dozentin für experimentelle Physik an der hiesigen Universität war.

Müde fielen Jasper die Augen zu. Recht unsanft wurde er aus dem Schlaf gerissen. Dr. Berger ragte über ihm auf, und der Lehrkörper schien nicht besonders glücklich zu sein.

Jasper seufzte innerlich und machte sich auf eine Standpauke gefasst, die nun unweigerlich kommen musste. Doch dann geschah ein Wunder: Die Tür zum Physiksaal wurde geöffnet und herein schob sich schnaufend und keuchend Oberstudiendirektor Dr. Hubertus Gammer, der Herr der Bildungsanstalt. In seinem Schlepp fand sich ein hochgewachsener, schwarzhaariger Junge in Jeans und Jacke.

Ein Schnaufen. »Ah, Herr Dr. Berger«, OStD Gammer gab sich jovial. »Jungen, Mädchen!« Er nickte in die Runde. Ein mühsames Schnaufen. »Dies ist Michael..., Michael... Castell...«, ein erneutes Schnaufen. »Er wird in Ihre Klasse gehen!«

Dr. Gammer nickte erneut in die Runde, klopfte Michael aufmunternd auf die Schulter. »Ich überlasse Sie dann mal Ihrer... Bildung!« Er blickte in die Runde und schien beinah ein Lachen zu erwarten. Doch die Klasse starrte ihren Direktor nur teilnahmslos an. Mit einem lauten, fast ein wenig beleidigtem Schnaufen wand sich Dr. Gammer um und verließ den Raum.

Dr. Berger starrte Michael einen Moment lang an wie das sprichwörtliche Kaninchen die Schlange. Michael stand etwas verloren neben dem Pult.

»Ja...«, sprach Dr. Berger lahm. »Dann willkommen!« Er rang sich ein Lächeln ab. »Setzt dich doch da mal...«, ein wenig fahrig deutete er auf die Bänke. Michaels Blick wanderte die Reihen entlang, suchte einen freien Platz und fand ihn in der vierten Reihe. Jasper nickte ihm zu, als er sich neben ihm nieder ließ.

»Nun, also...«, Dr. Berger war offensichtlich sehr aus dem Konzept gebracht. Jedenfalls hatte er völlig vergessen, Jasper eine Standpauke halten zu wollen, wofür dieser seinem neuen Sitznachbarn recht dankbar war.

»Noch mal Glück gehabt, was, Grim?«, brummte Felix hinter ihm.

Jasper zuckte mit den Schultern. Michael blickte ihn fragend an. »Ich war eingeschlafen, und Berger hat mich geweckt, gerade als du reinkamst!«

Michael grinste. »War das Ganze also zu was gut«, meinte er und zog seine Jacke aus. Jasper nickte.

»Und du bist?«, fragte Michael.

»Jasper!«

»Grim!«, kam es von Felix hinter ihnen.

»Halt die Klappe, Felix!«, gab Jasper zurück.

»Oder was? Kommt der schreckliche Grim mich holen?«

»Träum weiter! Dich würde ich nicht mal mit ’ner Kneifzange anfassen!«

Die umsitzenden Jungen und Mädchen grinsten und kicherten.

»Heute wieder einmal reizend, wie?«, meinte Felix gespielt beleidigt.

»Jasper oder Grim?«, fragte Michael. »Was jetzt?«

»Beides! Jasper Grim!«, lautete die Antwort.

»Dann bleibe ich, glaube ich, bei Jasper!«, meinte Michael und Jasper nickte. »Nix dagegen!«

»Da wärst du der erste«, ließ sich Felix hinter ihnen vernehmen.

Michael zuckte mit den Schultern. »Hat doch was!« Er grinste schief. »Wo nie zuvor ein Mensch gewesen ist...«

Jasper und Michael sahen sich an. Unwillkürlich begannen beide zu grinsen und das Eis war gebrochen.

Bis zum Ende der Schulstunde, die nur noch zehn Minuten dauerte, kehrte die Ruhe nicht mehr wirklich ein. Dr. Berger verpatzte sein so schön vorbereitetes Experiment, was dazu führte, dass der Pauker am Ende der Stunde die Klasse genervt entließ. Erst, als die meisten schon aus dem Raum waren, fiel ihm ein, dass er eigentlich noch Hausaufgaben hatte aufgeben wollen. Doch alles Rufen half nichts, und so blieb der Lehrkörper gefrustet zurück.

Michael hatte sich an Jasper angehängt und folgte ihm.

»Wie kommst du nach Leipzig?«

»Meine Eltern sind für die nächste Zeit im Ausland und ich wohne bei meinem Onkel!«, erklärte Michael.

»Und woher kommst du?«

»Bremen!«, lautete die Antwort.

Jasper nickte. »Deinen Stundenplan hast du bekommen?«

Michael nickte. »Was für Leistungskurse hast du?«

»Deutsch, Geschichte!«, erklärte Michael.

»Willkommen im Club der Bekloppten!«

Michael grinste breit. »Besten Dank!«

Leipzig, Cafe Dreistrom,

4. November 2004, 15:23 Uhr

Es war Freundschaft auf den ersten Blick gewesen. Mittlerweile sah man Jasper und Michael grundsätzlich gemeinsam. Sie trafen sich am Morgen im Bus, den Michael in der Stadtmitte bestieg, und Jasper sorgte dafür, dass der Platz neben ihm frei war. Beide waren nicht besonders gesprächig des Morgens, so nickten sie sich nur stumm zu. Klassenkameraden witzelten bereits, dass die beiden telepatisch begabt wären oder aber Zeichensprache nutzen würden. Ein fragender Blick, eine zuckende Augenbraue, ein knappes Nicken und es war klar, dass beide sich erst mal einen Kaffee in ihrem Stammcafe an der Ecke gönnen würden, bevor sie sich auf den Weg zum gemeinsamen Unterricht machten. Hier machten sie stets halt, vor dem Unterricht, wie auch danach. Dass das Cafe eines der gemütlichsten der Stadt war, hatte nur dazu beigetragen, es zu ihrem Stammcafé zu erwählen. Neben den normalen Tischen und Stühlen gab es nämlich auch zwei Tische mit tiefen Sesseln und Zweisitzern, die sich in einer Nische des Cafés befanden. Hier hatten Michael und Jasper bereits ganze Nachmittage verbracht.

Und so hatten sie sich auch heute nach dem Unterricht auf ihre typisch lautlose Art verständigt und das Café Dreistrom angesteuert. Die Kellnerin brachte ihnen bereits unaufgefordert ihren Kaffee: einen Latte Macchiato und einen Othello.

Der Othello hatte ursprünglich nicht auf der Karte des Cafés gestanden, doch Michael hatte Jasper eines Tages den Vorschlag gemacht, mal einen Othello zu trinken. Auf den fragenden Blick seines Freundes hin hatte dieser ihm erklärt, dass ein Othello aus heißer Schokolade und Espresso bestehen würde, die in zwei Schichten eingefüllt würden. Die Kellnerin hatte die Unterhaltung der beiden interessiert belauscht und beschlossen, es zu versuchen. Unter Michaels kundiger Anleitung hatte sie den ersten Othello des Café Dreistroms kreiert. Jasper hatte ihn versucht und umgehend zu seinem Lieblingsgetränk erkoren. Und der Othello war auf die Kaffeekarte des Cafés gewandert.

Jasper lehnte sich zurück in dem weichen Sofa, das sein bevorzugter Sitzplatz war, und schlürfte an seinem Othello. Er blickte Michael fragend an. »Was ist los?«

Michael verdrehte die Augen. »Was soll los sein?«

Jasper stellte die Tasse ab und legte den Kopf schief. »Also?«

»Es gibt ein Verwandtentreffen auf das ich muss«, ächzte Michael.

Jasper sah ihn fragend an. »Ist das so schlimm?«

»Du hast ja keine Ahnung!« Michael schüttelte den Kopf.

»Stimmt!«

Michael sah auf. »Wie?«

Jasper zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nichts von deiner Familie, wie soll ich da eine Ahnung haben?«

»Ähm... ja«, stammelte Michael und schluckte. Er blickte nervös auf die Tischplatte. »Ich... also du...«

»Du willst nicht darüber reden«, entgegnete Jasper ruhig. »Weiß ich! Ist okay!«

Michael ließ den Kopf hängen. »Es ist nur... es ist so...« Er hob den Kopf. »Ich habe es nicht gesagt, weil ich nicht wollte dass alle deshalb ausflippen. Und jetzt will ich nicht, dass du glaubst ich würde dir nicht vertrauen, wenn ich dir das jetzt sage...«

Jasper lächelte plötzlich. »Du bist echt noch verquerer als ich, Michael!«

Michael grinste schief. »Schon, oder?«

»Ja!«

»Also«, Michael ergriff das Kaffeeglas mit beiden Händen, drehte es ein wenig hin und her, nahm einen Schluck, stellte es ab. Jasper sah ihn an. Mit einer Hand fischte Michael sein Portmonee aus der Jackeninnentasche.

»Gehen wir schon?« fragte Jasper. Michael schüttelte den Kopf und zog einen Personalausweis hervor. Langsam schob er ihn über den Tisch zu Jasper. Fragend nahm dieser ihn.

»Und nun...« Jaspers Blick wanderte auf den Namen und stutzte. »Ähm...«

»Familientradition«, entschuldigte Michael gequält.

Jasper starrte ihn an. »Michael Philipp Louis Wilhelm?«

»Ich hab es wenigstens noch halbwegs gut getroffen, mein armer Papa heißt Ferdinand Georg Friedrich Wilhelm!«

»Von Hohenzollern«, fügte Jasper ruhig hinzu.

Michael nickte schicksalsergeben.

»Die Familie Hohenzollern, nehme ich an?«

»Es gibt wohl nur eine mit diesem Namen!«, brummte Michael.

Jasper musterte seinen Freund. »Bei dem Theater, das du gemacht hast, und dem Namen nehme ich mal nicht an, dass du aus einer Seitenlinie stammst?«

Michael lachte auf und schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich!« Er nahm den Ausweis wieder an sich, den Jasper ihm hin hielt.

»Sagen wir es so«, meinte Jasper. »Wenn wir eine Monarchie wären, dann wäre dein Vater...?«

Michael lief knallrot an. Er starrte vor sich auf den Tisch und murmelte kaum hörbar: »Kaiser... König... so...«

»Ähm, ja...«

Michael hob den Kopf. »Genau das ist es, verstehst du?«

Jasper sah ihn an, dann grinste er plötzlich. »Du bist trotzdem verrückt!«

»Na danke auch!« Doch in Michaels Augen las Jasper Dankbarkeit.

»Keine Ursache...«, Jasper beugte sich vor, »... Euer Dämlichkeit!«

»Na warte!« Michael sprang auf. »Dafür bezahlst du! Der Kaffee geht auf meine Rechnung!« Sprach’s und eilte flugs zur Kellnerin, bevor Jasper auch nur protestieren konnte.

Als Michael zurückkam, schüttelte Jasper den Kopf. »Eine tolle Art mich bezahlen zu lassen, du Trottel!«

Michael lachte. »Komm, gehen wir!« Er reichte Jasper seine Jacke, nahm dann seine eigene.

»Und warum wohnst du jetzt in Leipzig?«, fragte Jasper, nachdem sie das Café verlassen hatten.

»Das, was ich dir gesagt habe, stimmt eigentlich alles«, erklärte Michael. »Meine Eltern sind im Moment viel geschäftlich unterwegs, und ich wohne deshalb bei meinem Onkel und gehe eben hier zur Schule!«

»Lädst du mich deshalb nie zu dir ein?«, fragte Jasper direkt.

Michael wurde rot. »Äh... ich...« Er brach ab, nickte. »Ich wollte nicht, dass du...«

»Du lebst nicht in armen Verhältnissen«, brachte Jasper es auf den Punkt.

»Nein, kann man nicht sagen«, bestätigte Michael. »Eigentlich das Gegenteil!«

»Und du glaubst, es würde mich schocken?«

»Nun, vielleicht nicht schocken, aber...«

Jasper schüttelte den Kopf. »Meinst du, ich wäre hinter deinem Geld her?«

»Nein!«, protestierte Michael sofort. »Niemals!«

Jasper grinste schief. »Dann habe ich ja Glück!«

Michael knuffte ihn in die Seite. Jasper grinste noch breiter. »Also...?«

Michael sah den Freund fragend an. »Was, also?«

»Also, zeigst du mir jetzt, wo du wohnst?«

»Jetzt?«

»Hast du was besseres vor?«, fragte Jasper zurück. »Ich bin neugierig!«

Michael seufzte. »Also gut, aber...«

»Stell dich nicht an«, entgegnete Jasper. »Ich werde schon nicht vor Schreck tot umfallen!«

»Sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt«, lautete Michaels Antwort nur.

Eine halbe Stunde später standen sie am Stadtrand von Leipzig vor dem Eingang eines alten Hauses. Der Stadtbus hatte sie in der Nähe abgesetzt und Jasper war seinem Freund gefolgt, der ihn die Straße entlang bis zu einem großen Tor geführt hatte. Jasper blickte sich interessiert um. Das Haus war alt.

Michael öffnete die Haustüre mit seinem Schlüssel. »Willkommen!« Er trat ein und Jasper folgte ihm. Sie kamen in eine Eingangshalle von der eine Treppe in den oberen Stock führte. Alte Gemälde hingen an der Wand des Treppenhauses. Große Vasen mit üppigen Blumenarrangements standen im Raum. Der Boden aus Steinfliesen. Die Decke hoch, mit einem wuchtigen Kronleuchter.

»Wirkt alles ein wenig altmodisch, denke ich«, brummte Michael ein wenig unbehaglich.

»Ich finds cool!« Jasper blickte sich um. »Hat was!«

»Ich kann dich ja ein wenig rumführen!«

Jasper nickte. »Okay!«

Michael führte seinen Freund in den nächsten Raum. »Der Empfangssalon!« erklärte er. »Ein wenig... mh, wie soll ich sagen... überladen!«

Jasper blickte sich um. Ein dunkler, schwerer Holzboden wurde mit dicken, offenbar kostbaren Teppichen bedeckt. Überhaupt war die gesamte Einrichtung wohl einzig mit dem Schlagwort teuer und alt zu beschreiben. Antike Möbel, alte Ölgemälde, ein Kristallkronleuchter und eine Skulptur, von der Michael meinte, er wisse nicht ganz, was sie darstellen sollte. Jasper musterte sie nachdenklich. Auch ihm fiel keine Erklärung zu dieser abstrakten Darstellung aus Marmor ein, er vermutete jedoch, dass dieses Objekt mehr kostete als seine gesamte Zimmereinrichtung. Michael schien seine Gedanken erraten zu haben. Jedenfalls blieb er in der Mitte des Raumes stehen.

»Komm, gehen wir in mein Zimmer!«, brummte er mit einer Mischung aus Verlegenheit und Unwohlsein.

Er führte Jasper in den ersten Stock, einen langen Flur entlang und bog am Ende rechts ab. Sie hielten vor einer Zimmertür. »Da wären wir!«

Michael öffnete. Jasper betrat das Reich seines Freundes und musste zum ersten Mal in diesem Hause unweigerlich grinsen. Das Zimmer war groß, was Michael die Möglichkeit gab, seine Sachen großflächig zu verteilen.

»Chaot!«, lachte Jasper.

Michael wurde rot. »Ich habe nicht mit Besuch gerechnet!«

Jasper sah sich um. Das Zimmer war völlig anders als die anderen, die er bisher gesehen hatte. Es gefiel ihm sofort. Es gab zwei tiefe, schwere, dunkelrote Sessel mit bunten Kissen. Einen großen Schreibtisch samt schwerem Schreibtischstuhl. Auf der Platte des Tisches thronte ein Computer und unter dem Tisch sah man Drucker und andere Peripheriegeräte. Zwei dicke, weiße, flauschige Teppiche bedeckten den Boden. In einem deckenhohen Regal stapelten sich Bücher, wie auch davor auf dem Boden und neben dem Bett, einem großen Teil, dass auf einem Podest im hinteren linken Eck des Zimmers stand. Ein halbes Dutzend Kerzen waren in verschiedenen Kerzenständern über das Zimmer verteilt. In einer Ecke standen eine E-Gitarre und ein kleiner Verstärker.

»Du spielst?«, fragte Jasper neugierig.

Michael nickte. »Aber mehr für mich und so...« Er schmiss seine Schulsachen neben den Schreibtisch und ließ sich in einen Sessel fallen. »Mach’s dir bequem!«

Jasper sank in den zweiten Sessel. »Nett hast du es hier!«

Michael grinste. »Danke!«

»Keine Sorge, ich falle nicht vor Schreck um!«

»Beruhigend!« Michael seufzte. »Ist schon nervig genug das!« Er blickte Jasper an. »Das bleibt unter uns, ja?«

»Klar!« Jasper nickte. »...Euer Hoheit!« Er grinste breit.

Michael streckte ihm die Zunge raus.

»Was für ein Glück, dass wir keine Monarchie mehr haben!«, meinte Jasper. »Du auf dem Thron, das wäre ’ne Katastrophe!«

»Vielen Dank auch! Aber kein Grund zur Sorge, mein Bruder ist der Erbe, wenn!«

»Aha!« Jasper lümmelte sich in dem Sessel und fühlte sich recht wohl. »Und was ist das mit diesem Familientreffen jetzt?«

Michael ächzte. »Danke, dass du mich daran erinnerst!« Er verzog das Gesicht. »Familientreffen! Und da meine Eltern nicht da sind und mein blöder Bruder meinte, sich beim Skifahren das Bein zu brechen, muss ich hin und die Familie vertreten!«

»Und wo findet das ganze statt?«

»Auf der Wartburg! Mein Onkel hat die Burg und das Hotel dort gemietet!«

»Und was macht ihr da?«

»Ach«, Michael winkte ab. »Nix spannendes! Rumsitzen, die alten Zeit beweihräuchern. Dann wird einer meiner entfernten Onkels wieder rumjammern, dass der deutsche Staat nichts tut, um sein Schloss zu bewahren, und der andere wird sich beschweren, dass seine Aktienkurse wieder gefallen sind.« Michael seufzte. »Dann machen wir einen Rundgang, es werden Fotos von der Familie gemacht! Abends gibt es dann irgendwo ein großes Gemampfe und dann war’s das!«

Jasper grinste breit. »Klingt begeistert!«

Michael wollte gerade etwas erwidern, als es an der Tür klopfte. »Die Tür ist offen!«, rief Michael und die Zimmertür wurde geöffnet.

»Ah, Michael, schon hier?« Ein Mann mit graumeliertem Haar und Brille sah herein. Er trug einen dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd mit einer roten Krawatte. Er trat ein, stutzte und lächelte dann Jasper an.

»Entschuldige, ich wusste nicht, dass du Besuch hast!«

Michael grinste. »Es hat sich so ergeben!«

»Du bist dann wohl Jasper, denke ich?«

Jasper nickte zustimmend.

»Oh, wie unhöflich von mir«, meinte Michael, halb scherzhaft, halb ernst. »Darf ich vorstellen? Jasper Grim, mein Onkel, Prinz Albert Friedrich August zu Sachsen-Coburg und Gotha!«

»Albert hätte auch gereicht!« Der Mann lächelte Jasper freundlich an und reichte ihm die Hand. Jasper hatte sich erhoben und ergriff die dargebotene Hand.

»Freut mich, dich kennen zu lernen, Jasper!«

»Gleichfalls!«, entgegnete Jasper.

Michaels Onkel nickte. »Weshalb ich eigentlich hier bin, Michael. Es geht um Samstag! Wir fahren am Morgen gegen neun los!«

Michael seufzte. »Okay, wenn es denn sein muss!« Er ließ sich wieder in seinen Sessel fallen.

»Es wird schon nicht so schlimm werden«, meinte sein Onkel aufmunternd. »Aber jemand muss nun mal deine Familie repräsentieren!«

»Ich bin sicher, dass Georg sich mit Absicht das Bein gebrochen hat! Sie sollten ihn mit einem Krankenwagen zur Wartburg fahren!«

Albert und Jasper lachten gemeinsam.

Michael seufzte. »Und er hätte ja wenigstens Julia dabei! Da hätte er das schon mal durchhalten können!«

»Frag Jasper, ob er mitkommt!«, schlug Albert vor. »Dann langweilst du dich nicht zu sehr!«

Michael blickte seinen Onkel an. »Und was sagt die Verwandtschaft dazu?«

Albert winkte ab. »Wir können ihnen von mir aus auch erzählen, dass er ein Gast aus England, Schweden oder Marokko ist! Das ist mir so was von egal!« Der alte Mann lächelte. »Ich kann Jasper auch gerne einen meiner Familiennamen abtreten!« Er blickte Jasper an. »Sachsen, Coburg oder Gotha, welchen hättest du gerne?«

Michael grinste. »Lass mal Onkel Albert!«

Der Ältere zwinkerte vergnügt. »Ist doch völlig egal, was sie denken. Jasper ist ein Freund der Familie, basta!«

Fragend blickte Michael seinen Freund an. Dieser zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. Michaels Augen sahen ihn bittend an. »Wenn du meinst...«, brummte Jasper. »Aber ich werde mir komisch vorkommen!«

»Ach was!« Michael winkte ab.

Eisenach, Wartburg,

6. November 2004, 14:15 Uhr

Die Familienfeier war in vollem Gange. Das Mittagessen war vorbei und Michael lächelte tapfer sein aufgesetztes Lächeln. Mehr als einmal in den letzten Stunden hatte allein Jaspers Anwesenheit ihn davor bewahrt, schlicht von einer der Burgzinnen zu springen.

Gerade stand eine Führung durch die Wartburg auf dem Programm. Michael und Jasper standen mit Michaels Onkel Albert unter einem Vordach und blickten auf den trostlosen Innenhof. Das nasskalte Wetter trug das seine dazu bei, dass Michaels Stimmung alles andere als rosig war. »Man kann regelrecht dankbar sein, dass die Monarchie abgeschafft wurde«, brummte Michael leise. Jasper grinste. »Inzest?«

Michael hustete und versuchte damit ein Lachen zu vertuschen.

»Prinz Michael?«

Die beiden Jungen blickten sich um. Hinter ihnen stand eine junge Frau mit kurzen, blonden Haaren, in einen dicken Wintermantel gehüllt. Michael nickte ihr zu. »Tag!«

»Guten Tag, Euer Hoheit!«, begrüßte die junge Frau ihn.

»Prinz Michael, wenn es sein muss. Ansonsten reicht Michael oder schlimmstenfalls Herr von Hohenzollern«, erklärte Michael und reichte der Frau die Hand. »Und Sie müssen Doktor Branner sein!«

Die junge Frau lächelte. »Das ist richtig, Prinz Michael!« Sie schüttelte seine Hand, dann blickte sie Jasper fragend an.

»Jasper«, erklärte dieser mit einem Lächeln. »Weder Prinz, noch Hohenzollern!«

Doktor Branner lachte auf. »Freut mich!« Sie reichte Jasper die Hand und beide schüttelten sich die Hände.

»Sie werden uns also hier rumführen?«, fragte Jasper.

»Ich habe die Ehre!«, erklärte Doktor Branner mit einem freundlichen Lächeln.

»Na, die ist wohl eher auf unserer Seite«, meinte Michael. »Sie haben Ihren Titel immerhin durch ehrliche Arbeit erworben!«

»Wenn Sie Grabräuberei als ehrlich bezeichnen wollen...«, konterte Doktor Brenner schlagfertig und entlockte damit Michael das erste offene Lachen des Tages.

»Auch nicht besser als Raubrittertum!«, warf Albert ein und brachte sich damit in die Unterhaltung ein. Höflich und ganz Gentlemen alter Schule, nahm er die Hand von Doktor Branner, deutete einen Handkuss an, während er sich vorstellte. »Prinz Albert zu Sachsen-Coburg und Gotha!«

»Oh, da sind sie ja hier praktisch zu Hause, Prinz Albert!«, meinte Doktor Brenner freundlich. Prinz Albert lächelte höflich, reichte der Doktorin galant seinen Arm und steuerte mit ihr die Hauptgruppe der Familie an. Michael und Jasper blickten ihm versonnen nach.

»Macht er das mit Absicht?«, fragte Jasper.

»Ich glaube, das ist ihm seit Geburt antrainiert worden«, entgegnete Michael. »Er macht das schon beinah instinkthaft!«

»Uns alleine lassen?«

»Junge Frauen bezirzen, du Depp!«

»Ja, Euer Hochwohlgeboren!«

Michael gab einen Laut von sich, der eine Mischung aus Frustration und Hilflosigkeit war. Jasper grinste breit.

Die gesammelte Verwandtschaft machte sich gerade auf, angeführt von Doktor Branner und Prinz Albert, das Hauptgebäude zu betreten.

»Komm!« Jasper nickte Michael zu. »Schauen wir uns an, wo einige deiner Ahnen gehaust haben!«

»Eines Tages krieg ich dich, Jasper Grim!«, murmelte Michael.

»Wenn du schnell genug bist!«, gab dieser leise zurück.

Michael blieb stehen und warf Jasper einen Blick zu, wie ihn dieser bisher noch nicht gesehen hatte. Etwas in diesem Blick irritierte ihn. Mit einmal war seine flapsige Art wie weggewischt. Und während die beiden Jungen sich dem Portal zum Haupthaus näherten, bildete sich in Jaspers Hals ein seltsamer Kloß.

Schweigend reihten sie sich hinter dem Tross von Michaels Verwandtschaft ein, welcher der munter plaudernden Doktor Branner folgte, die sie bald auf jenes Bild, bald auf jenes Möbel aufmerksam machte und dazu dessen Geschichte zum Besten gab. Doch Jasper war viel zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, um Doktor Branner auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.

Michael lief neben ihm her, doch seltsam isoliert. Er sprach kein Wort, hob nicht den Kopf und schien weder Doktor Branner, noch seine Verwandtschaft, noch Jasper zu sehen. Wohl eine halbe Stunde liefen sie nebeneinander her, starr, ohne eine Wort, bis Jasper es plötzlich nicht mehr aushielt.

Als die Verwandten unter der Führung von Doktor Branner das Schlafgemach der einstigen Burgherrin verließen, blieb Jasper stehen. Michael trottete dem Tross nach, nur, um plötzlich zu bemerken, dass Jasper an seiner Seite fehlte. Irritiert blickte er auf. Jasper stand neben einem Fenster an die Wand gelehnt und blickte ihn an. Die Verwandtschaft war bereits im nächsten Zimmer, Michael stand an der Türschwelle. Er blickte Jasper an. Dieser hatte seinen Kopf schief gelegt. Es war eine so Jasper typische Haltung. Überhaupt hatte Jasper etwas an sich, dass ihn unverwechselbar machte. Michael hörte die Verwandtschaft weiterziehen, eine Tür schloss sich. Sie waren allein. Michael wurde sich auf einmal bewusst, wie lächerlich er wirken musste, gerade auf der Türschwelle, halb hier, halb dort. Warum hatte er gezögert, warum zögerte er jetzt? Warum stand er nicht neben Jasper?

Es war Jasper, der einen Schritt auf ihn zu machte, plötzlich. Michael starrte seinen Freund an. Einen Schritt machte Michael auf Jasper zu. Die beiden Freunde blickten sich an. Michael machte eine fahrige Handbewegung, ließ die Hand sinken.

»Das ist wahr, oder?«, fragte Jasper leise. »Ich meine, du...«

Michael ließ den Kopf hängen. Er fühlte sich miserabel. Doch es war Jasper. Jasper verdiente eine Antwort! Verdammt, er...

Jasper schluckte schwer. »Micha...«

»Ich kann nichts dafür...« Michael blickte seinem Freund in die Augen.

»Ich auch nicht...«, erwiderte Jasper und plötzlich lächelte schief. »Du hast nie was gesagt!«

»Du etwa?«

Jasper blickte ihn erstaunt an. »Du...«, sein Blick wurde auf einmal groß. »Du hast keine Ahnung, oder!?«

»Wovon?«

Das war zuviel für Jasper. Er begann zu lachen. Er lachte, dass ihm die Tränen kamen. Er lachte derart heftig, dass es ihn schüttelte. Michael starrte seinen Freund irritiert an, doch Jaspers Lachen war derart ansteckend, dass es ihn kurz darauf selber packte. Er versuchte an sich zu halten, doch es half nichts.

Es dauerte eine Weile bis sich Jasper wieder unter Kontrolle hatte. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und blickte Michael kopfschüttelnd an.

»Mann, Micha!« Er klatschte sich die Hand an die Stirn. »Ich kann’s nicht glauben!« Er lachte kurz noch einmal auf. »Das ist einfach zu irre!«

»Was denn, du Trottel?«, fragte Michael lachend. »Könntest du auch mal so reden, dass andere dich verstehen?«

Jasper grinste. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass dir nie einer aus unserer Schule erzählt hat, dass ich schwul bin!«

Michaels Kinnlade fiel in diesem Moment ins Bodenlose. Ungläubig starrte er Jasper an. Dann begannen seine Mundwinkel zu zucken. »Das...«, er brach ab und schüttelte den Kopf. »Und das sagst du mir jetzt?«

Jasper zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gedacht, du wüsstest es!«

»Woher denn, wenn du es mir nicht sagst, du Schwachmat!«

Und diesmal war es Jasper, der sprachlos blieb und schließlich nur noch hilflos die Schultern zuckte.

Michael schüttelte den Kopf. »Mann, Jasper!«

Der Angesprochene begann schelmisch zu grinsen. »Micha?«

»Mmmh?«, kam es von Michael.

»Geht das Abendland unter, wenn ich ’nen Prinzen küsse?«

Innerhalb von Sekunden war Michael purpurrot. Er blickte etwas nervös auf seine Füße, biss sich auf seine Lippen, um dann leise zu murmeln: »Probier’s...«

Als sich Jaspers Finger unter sein Kinn schoben und seinen Kopf anhoben, war Michael furchtbar nervös. Jasper blickte ihm in die Augen, und plötzlich wurde Michael warm. Es wurde ihm so unglaublich warm. Die beiden Jungen blickten sich an und schienen beinah in den Augen des anderen zu ertrinken. Langsam, unglaublich langsam näherten sich ihre Lippen. Jasper spürte Michaels warmen Atmen. Als sich ihre Lippen berührten glaubte Michael, beinah ohnmächtig zu werden. Und dann wusste er nicht mehr wo er war, er spürte nur noch Jasper um sich, fühlte seine Lippen und verlor sich vollkommen.

Ein lautes Räuspern rief Michael die Realität schlagartig wieder ins Bewusstsein. Er fuhr auf, blickte sich gehetzt um und fand seinen Onkel und Doktor Branner im Türrahmen stehen. Auf Prinz Alberts Gesicht lag ein derart breites, süffisantes Lachen, dass Michael sofort rot wurde. Doktor Branner schien die ganze Situation mehr als peinlich zu sein, doch es war Jasper, der das Wort ergriff.

»Da haben wir wohl, scheint es, den Anschluss verloren!«, meinte er.

Prinz Alberts Augen funkelten belustigt, und er schien sich nur mühsam beherrschen zu können, nicht schallend zu lachen. Michael, rot wie eine Tomate, wurde bewusst, dass Jasper und er noch immer einander hielten und löste sich aus der Umarmung.

Das plötzliche Klingeln seines Mobiltelefons erschrak Michael so sehr, dass er zusammenzuckte. Fahrig suchte er in seiner Manteltasche nach dem kleinen Teil, zerrte es hervor.

»Hallo?«, presste er das Telefon an sein Ohr. »Papa!« Michael starrte Jasper irritiert an. Doch sein Freund lächelte beruhigend. Er trat zu Michael, ergriff dessen linke Hand, der daraufhin aufblickte, ein Lächeln trat auf seine Lippen. »Wie geht es dir? – Was ist? – Ich soll wohin? – Was ist in Saarlouis? – Moment mal! Ich bin hier gerade auf der Wartburg, auf dem Familientreffen!« Michael ließ Jaspers Hand los und fuhr sich durch das Haar. »Onkel Alexander? Aber... – Also gut Papa, aber du kannst es Onkel Albert erklären, warum! – Ja, er steht hier. Einen Moment!« Er trat zu seinem Onkel und hielt ihm sein Mobiltelefon hin. »Papa will dich sprechen!«

Prinz Albert nahm das kleine Telefon irritiert entgegen. »Ferdinand?«

A4, Zwischen Eisenach und Frankfurt am Main,

6. November 17:42 Uhr

»Du hast nie erwähnt, dass du einen Führerschein hast!«, meinte Jasper plötzlich.

Michael blickte kurz zur Seite. Er grinste schief. »Du hast mir nie gesagt, dass du schwul bist!«

»Autsch!« Jasper grinste. »Treffer!« Er lehnte sich im Beifahrersitz zurück. »Wie schnell fährst du?«

»So schnell ich mich gerade noch traue«, gab Michael zurück. Er konzentrierte sich auf die Autobahn, die zu ihrem Glück recht frei war. Doch die Dämmerung hatte schon lange eingesetzt, und Michael kannte den Wagen seines Onkels nicht besonders gut.

»Meine Eltern haben mir immer den Wagen meiner Mutter gegeben«, meinte Michael. »Mein Vater wollte mich nie seinen Daimler fahren lassen!«

»Und was fährt deine Mutter?«

»Einen Golf!«

Jasper grinste. »Auch ein Auto!«

Michael nickte. »Fährt! Und ich will mich gar nicht beschweren. Aber in diesem Teil hier... keine Ahnung. In dem Golf hatte ich mehr Gefühl für die Strasse!«

»Das ist eben bayrische Wertarbeit!«

Michael nickte. »Ich bin bereits auf hundertsechzig und habe noch immer nicht das Gefühl, irre schnell zu sein!« Er seufzte. »Aber ich sollte wirklich vorsichtig sein! Ich will dich schließlich noch länger haben!«

»Ach?« Jasper tat überrascht. »Ich dachte, du lässt mich nach dem einen Moment einfach sitzen!«

»Sag das noch mal und ich muss ’ne Vollbremsung machen, um dich vom Gegenteil zu überzeugen«, gab Michael zurück. Er streckte die Rechte zu Jasper hinüber, und dieser ergriff die Hand des Freundes, drückte sie, als Michaels Handy klingelte.

Mit einem Lachen befreite Michael seine Hand. »Mein Vater kommt uns wohl immer dazwischen!« Er drückte den Knopf am Lenkrad für die Freisprecheinrichtung. »Hallo Papa!«

»Hallo Michael! Wie ist die Fahrt?«

»Soweit gut, danke! Jasper hält mich wach!«

»Jasper? Er hört mit?«

»Ja, das tut er! Und du kannst frei reden!«

»Na ja, ich... weißt du Michael, es ist ein wenig...«

Michael verdrehte die Augen. »Weißt du Papa, entweder du erzählst es mir jetzt oder ich drehe einfach wieder um! Ansonsten verlieren wir Zeit, und außerdem muss ich es Jasper hinterher dann nicht alles noch mal erzählen, denn das tue ich so oder so!«

Ferdinand von Hohenzollern schien einen Moment lang zu überlegen. Man hörte einige Zeit nur seinen Atem, dann schien er zu einer Entscheidung gekommen zu sein. »In Ordnung! Aber ich muss dich warnen, Michael, es geht um sehr viel. Bist du dir sicher?«

»Absolut!«, kam es von Michael wie aus der Pistole geschossen zurück. Der Blick aus Jaspers Augen war nur noch als strahlend zu bezeichnen. Michael wusste, egal was er zu hören bekommen würde, allein dieser Blick war es wert gewesen.

»Wie du meinst! Ich vertraue deinem Urteil, Michael!« Ferdinand von Hohenzoller räusperte sich. »Nun... wie gesagt, es geht um deinen Großonkel Alexander. Ich habe vor einigen Stunden einen Anruf von ihm bekommen. Es geht ihm sehr schlecht!« Ferdinand von Hohenzollern machte eine Pause. »Onkel Alexander war schon immer ein Außenseiter in der Familie, wie du weißt, Michael. Das kommt nicht nur daher, dass er mit seiner Familie nichts zu tun haben wollte, insbesondere mit seinem Vater, meinem Großvater, hat er sich nie verstanden, es lag auch an seinen Verbindungen, die er all die Jahre über gepflegt hat!«

»Was für Verbindungen?«, fragte Michael.

»So genau habe ich es selber nie herausbekommen«, entgegnete Ferdinand. »Was ich weiß, habe ich aus verschiedenen Quellen... einige nicht besonders, nun, vertrauenswürdig...«

Michael und Jasper warfen sich einen überraschten Blick zu.

»Ich kann euch eigentlich auch nicht sagen, um was es genau geht, denn Onkel Alexander hat mir nur gesagt, es wäre dringend.« Ferdinand zögerte einen Moment. »Was ich euch jetzt erzähle, ist nie an die Öffentlichkeit gelangt und stets ein Familiengeheimnis geblieben, über Jahrhunderte!«

Jasper schluckte und Michael atmete hörbar aus. »Verstanden!«

Prinz Ferdinand hob die Stimme. »Es gibt einen uralten Brief, der über Jahrhunderte weitervererbt wurde, von einem Familienoberhaupt zum nächsten! Dieser Brief wird vom Erben geöffnet, wenn er sein Erbe antritt. Er liest ihn und dann versiegelt er ihn wieder. Er wird in einer Schatulle aufbewahrt, die mittlerweile in einem Bankschließfach liegt«, führte Prinz Ferdinand aus. »In diesem Brief wird einiges beschrieben, was ich euch nicht erzählen kann. Aber was ihr wissen müsst, ist die Tatsache, dass in dem Brief ein Code genannt wird. Wer auch immer diesen Code nennt, so hat es einst einer unserer Urahnen verfügt, dem müsse das Haus Hohenzollern all seine Unterstützung zukommen lassen. Diese Anordnung müsse über alle anderen befolgt werden, so heißt es in dem Brief.«

»Das ist...«, Michael brach ab.

»Es klingt ein wenig fantastisch«, meinte Jasper nachdenklich.

»Da gebe ich dir recht!«, entgegnete Prinz Ferdinand. »Ich würde es wahrscheinlich auch nicht glauben, aber ich habe den Brief selber gelesen!«

»Okay, und was hat das mit Onkel Alexander zu tun?«, fragte Michael.

»Nun, ich hätte Onkel Alexanders Anruf und seine Bitte, ihn zu besuchen für den Wunsch eines alten Mannes gehalten, der seine Familie noch einmal sehen will. Doch...« Prinz Ferdinand schluckte. »Doch dann hörte ich aus seinem Mund die Worte, die ich niemals geglaubt hätte in meinem Leben zu vernehmen: Die Worte des Codes!«

Michael warf einen Blick auf die Uhr, dann setzte er den Blinker und zog auf die Überholspur. Schneller und schneller schoss der schwere BMW durch die aufkommende Nacht.

Saarlouis, Villa Walstern

6. November, 22:09 Uhr

Prinz Alexander Leopold Emanuel lächelte sanft. Der alte Mann lag in einem Schlafanzug in seinem Bett, ein Kissen im Rücken, damit er etwas aufgesetzt liegen konnte, und blickte Michael und Jasper aus seinen wasserblauen Augen an. Seine linke Hand zitterte leicht unkontrolliert, doch ansonsten schien der alte Prinz gefasst. Seine Haushälterin hatte die beiden Jungen scharf gemustert und erst herein gelassen, nachdem Michael ihr seinen Personalausweis gezeigt hatte. Die Sorge stand der alten Frau ins Gesicht geschrieben. Sie war sicherlich zwanzig Jahre jünger als der Prinz, doch auch schon an die siebzig. Ihr schneeweißes Haar trug sie mit zwei Kämmen gehalten. In einem dunkelblauen Rock und weißer Bluse mit einer zum Rock passenden Jacke wirkte sie auf Jasper und Michael wie eine alte Hausdame, der eine Schar Diener und Mägde unterstanden.

Erst, nachdem ihr der Prinz versichert hatte, dass sie ihn ohne Sorgen mit den beiden Jungen alleine lassen könne – er hätte nicht vor in nächster Zeit zu sterben – hatte sie, Tränen in den Augen, das Zimmer verlassen.

Prinz Alexander wirkte trotz seines hohen Alters erstaunlich wach und überhaupt nicht wie ein Mann, der dem Tode nah war. Er musterte die beiden Jungen. Michael hatte sich auf dem einzigen Sessel im Raum niedergelassen und Jasper saß auf der Lehne.

»Ich hatte mit Ferdinand gerechnet«, meinte er mit leiser Stimme. »Aber offenbar meinte Fortuna es gut mit mir!« Er lachte leise, als die beiden Jungen sich einen verwunderten Blick zuwarfen. »Die Familie hat mich wirklich aus ihrer Erinnerung gestrichen«, meinte er erheitert. »Oder bin ich wirklich so alt?« Er schwieg einen Moment, schien nachdenklich. »Wahrscheinlich beides«, gab er sich dann selbst die Antwort und entlockte Jasper damit ein leises Kichern.

Prinz Alexander zwinkerte ihnen zu. »Ich bin vielleicht alt, ein wenig seltsam, aber wach!« Er hustete, wobei sich der ganze Körper verkrampfte und es den Mann schüttelte. Mit geschlossenen Augen versuchte Prinz Alexander, seinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen. »Verdammter Husten!« Er blickte die Jungen an, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. »Das ist der Grund, weshalb sie alle glauben, ich mache es nicht mehr lange. Lungenschaden!« Er zuckte mit den Schultern. »Habe nie geraucht, Ironie des Schicksals!« Er lächelte matt. »Danke, dass ihr gekommen seid!«

Michael nickte. »Mein Vater hielt es für sehr wichtig. So wichtig, dass er selber gekommen wäre, wenn es ihm möglich gewesen wäre!«

Der alte Prinz nickte sanft. »Ich bin mit seiner Wahl ganz zufrieden«, erklärte er ruhig. »Ihr beiden seid ein besserer Anblick!« Seine Augen blitzen frech auf.

Jasper und Michael konnten nicht umhin, rot zu werden.

»Oh bitte!« Prinz Alexander winkte ab. »Ich freue mich, dass ihr gekommen seid. Ich bin sogar sehr dankbar dafür!«

Michael musterte seinen Großonkel. »Also, ich muss sagen, du siehst nicht so aus, als würdest du uns bald verlassen wollen, Onkel Alexander!«

Der alte Mann grinste. »Alte Knochen wie ich fallen eines Tages einfach um, meinst du wohl!« Er nickte und verzog dabei das Gesicht. »Nein, ich liege nicht im Sterben, wenn ihr das meint. Aber ich brauche Hilfe, eure Hilfe!«

»Warum denn? Weshalb sind wird denn jetzt hergekommen?«, platzte Jasper heraus.

Prinz Alexander seufzte. »Das ganze ist recht kompliziert, aber fangen wir mit dem einfachsten zuerst an! Ich bin letzte Nacht überfallen und bestohlen worden!«

Schockiert starrten die beiden Jungen den alten Prinzen an. Dieser nickte bekümmert.

»Und was haben die Einbrecher gestohlen?«, fragte Michael.

Prinz Alexander sah sie an, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Seine Augen wurden von schweren Sorgenfalten umschattet und er blickte düster. »Ein Buch, ein sehr wertvolles Buch!«

»Ein Buch?«, fragte Jasper gedehnt. Es erschien ihm sehr seltsam, dass der Prinz einen derartigen Aufwand für ein Buch betrieb, selbst, wenn es sich um ein altes und wertvolles Buch handelte.

»Um die Tragweite zu verstehen, muss ich ein wenig ausholen«, erklärte Prinz Alexander. »Kennt ihr euch in der deutschen Geschichte des Mittelalters aus?«

»Jasper wohl ein wenig besser als ich«, meinte Michael. »Aber doch, ja!«

»Karl der Grosse und die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches?«

Jasper nickte zustimmend.

Prinz Alexander lächelte. »Das macht es ein wenig einfacher!« Er deutete auf einen großen Bilddruck in einem Rahmen, der an der Wand des Zimmers hing. »Die Reichskleinodien!«

Jasper und Michael nickten zustimmend. Auf dem Bild waren Krone, Schwert und die anderen Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches abgebildet.

»Die befinden sich doch heute in Wien«, meinte Michael, und sein Großonkel nickte bestätigend. »Das ist richtig. Aber ich will nicht von heute sprechen, sondern von früher.« Der Prinz machte eine kleine Pause, holte Luft, dann setzte er sich etwas weiter auf. »Der Sage nach brachte Herzog Ernst von seinen Reisen ins Morgenland einen wunderbaren Stein mit, den er seinem Adoptivvater, dem Kaiser Otto I., zum Geschenk machte. Dieser Stein, der den Namen „der Waise“ erhielt, war nicht nur ein einfacher Stein, er wurde über viele Jahrhunderte zum Leitstein und Inbegriff der Krone des Reiches. Es soll ein blassroter Stein gewesen sein, so heißt es in den Schriften von Albertus Magnus!«

»Warum nannte man ihn „den Waisen“?«, fragte Michael neugierig.

Prinz Alexander nickte. »Es ist eine Übersetzung von „Orphanus“, dem einzigen oder auch einzigartigen, daher der Name „Waise“!«

»Und was ist an ihm so besonderes und macht ihn einzigartig?«

»Das haben Forscher seit vielen Jahren versucht zu ergründen«, erklärte Alexander. »Es gibt unterschiedliche Interpretationen.« Er lächelte sanft. »Der Stein soll wunderbar geleuchtet haben und man sagt ihm besondere Kräfte nach. Er vermag Lügen zu entdecken, Hader und Zwist zu beschwichtigen. Zudem soll er der Leitstern des Reiches gewesen sein, was auch immer das bedeuten soll.«

»Also weiß man nichts genaues?«, fragte Michael.

Prinz Alexander schüttelte den Kopf. »Der Waise wurde zum letzten Mal im vierzehnten Jahrhundert schriftlich erwähnt, als man die Reichskrone aus München dem Kaiser zuschickte! Danach verschwand er aus den Geschichtsbüchern.«

»Er ging verloren?« Jasper schüttelte den Kopf.

Prinz Alexander seufzte. »Es ist wie mit vielen Dingen, sie vergehen!« Er lächelte wehmütig.

Michael runzelte die Stirn. »Und was hat das jetzt mit dem Überfall auf dich zu tun, Onkel Alexander?«

»Nun, die Geschichte des Waisen ist in den Geschichtsbüchern zuende...«

Jaspers Augen wurden groß. »Aber...?«

Prinz Alexander lächelte. »Kaiser Karl IV. ließ bei Prag die Burg Karlstein erbauen, in welcher die Reichskleinodien ruhen sollten. Die Bewachung der Kleinodien übertrug der Kaiser einer Gruppe Ritter des Reiches, die zu diesem Zweck ihren Sitz auf der Burg nahmen.« Alexander nahm eine Mappe von seinem Nachttisch, öffnete sie und zeigte den Jungen ein Bild der Burg Karlstein. »Die Karlsritter nannten sie sich und bildeten sich eine Menge darauf ein, dass sie die Reichskleinodien bewachen durften!« Alexander verzog die Lippen. Er schwieg einen Moment. »Soweit die mehr oder weniger gesicherten Fakten, die der Wissenschaft bekannt sind, wenn auch nicht allgemein anerkannt!« Er leckte sich die Lippen. »Könnte mir einer von euch bitte ein Glas Wein einschenken?« Er deutete auf die kleine Kristallkaraffe, die auf einem kleinen Tisch mit zwei Weingläsern stand.

»Verträgst du den Wein denn?«, fragte Michael besorgt.

Alexander lachte trocken. »Glaub mir, die Sorgen muss ich mir nun wirklich nicht mehr machen!« Er kicherte.

Michael war ein wenig unangenehm berührt, doch er erhob sich und füllt ein Weinglas, das er seinem Großonkel reichte. Dieser nickte dankbar.

»Der Tod ist kein Schrecken mehr für mich, Michael«, erklärte Alexander ruhig. »Ich bin alt genug!« Er nahm einen Schluck Wein und ließ sich in die Kissen sinken. »Sehr schön! Wo war ich?« Er überlegte, dann blickte er Jasper und Michael an. »Habt ihr je vom Orden der Ritter vom Heiligen Stern gehört?«

Die beiden Jungen schüttelten einhellig den Kopf.

»Der Souveräne Orden der Ritter vom Heiligen Stern zu Bethlehem zu Skyros ist ein Ritterorden. Ein wenig wie die Templer oder der Deutschritter Orden wurden sie, wie eine ganze Hand voll Ritterorden zur Zeit der Kreuzzüge, zum Schutz des Heiligen Landes gegründet.« Er nahm erneut einen Schluck Wein. »Die Ritter vom Heiligen Stern waren jedoch ein wenig anders als die anderen Ritterorden. Zum einen nahmen sie nicht Jerusalem zu ihrem Hauptsitz, sondern Bethlehem, zum anderen pflegten sie einen recht guten Kontakt zu den Einheimischen im damaligen Okzitanien. Als die Christen aus Jerusalem dann nach und nach aus dem ganzen Land vertrieben wurden, suchten die Ritter vom Heiligen Stern eine neue Heimat, die sie schließlich nach vielen Jahren auf der griechischen Insel Skyros fanden!« Prinz Alexander blickte Jasper und Michael an. »Ihr habt sicherlich vom Prozess gegen die Templer gehört?«

Die beiden Jungen nickten. »Der Papst hat sie exkommuniziert und der letzte Großmeister der Templer wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«

»Das ist richtig!« Prinz Alexander nickte. »Einige Tempelritter konnten jedoch in anderen Orden Unterschlupf finden. Und so fanden sich auch eine Handvoll Templer, die im Orden der Ritter vom Heiligen Stern Asyl fanden.« Er lächelte. »Wieso ist nicht mehr ganz klar, aber eine Gruppe von Rittern des Ordens sah es als gegeben an, dass das Heilige Römische Reich dem Untergang geweiht war, nichts hatten die Kaiser zum Schutz der Templer getan, und auch die anderen Ritterorden waren auf sich selbst gestellt. Der Sohn von Kaiser Karl IV., Wenzel genannt, auch der Faule, hatte sich schon kurz nach seiner Krönung zum deutschen König als unfähig erwiesen.« Nach einer kurzen Pause fuhr der Prinz fort. »Fünf Ordensritter fassten damals einen Plan. Sie würden die Reichskleinodien in ihre Gewalt bringen. Wen genau sie auserseht hatten, als neuer Kaiser zu dienen, ist nicht ganz klar. Sie würden jedenfalls die Kleinodien dem neuen Kaiser zuführen, heißt es!«

»Sie haben versucht die Krone zu stehlen?«, fragte Jasper geschockt.

»Nicht nur die Krone, die gesamten Kleinodien!«, erklärte Alexander. »Doch es kam anders. Die fünf Ritter hatten sich über einen geheimen Tunnel Zugang in die Burg Karlsberg verschafft. Versteckt in der Burgkapelle warteten sie auf die dunkelste Stunde der Nacht. Ihr Anführer war der Streiter des Ordens der Ritter vom Heiligen Stern, ein über alle Maßen ehrenvoller Mann mit Namen Otto von Hradec. In dieser Nacht nun harrten Otto und vier seiner Gefährten in der Kapelle aus. Was genau in dieser Nacht passierte, wird man wohl nie herausfinden.

Alle fünf Ritter behaupteten später jedoch, ihnen sei befohlen worden, die Reichskleinodien in der Burg zu belassen. Allein den Waisen sollen sie an sich nehmen und verbergen. Und so wurde der Waise aus der Reichskrone in dieser Nacht entfernt, und Otto von Hradec trug ihn, unter seinem Wams versteckt, hinaus! Als der Diebstahl bemerkt wurde, rief man in aller Heimlichkeit und Eile einen Goldschmied, der den fehlenden Stein ersetzen sollte. Doch was man auch versuchte, der Waise war und blieb seitdem verschwunden!«

Prinz Alexander verstummte erschöpft. Er nahm einen Schluck aus seinem Weinglas und schloss müde die Augen.

»Dann...«, Jasper schüttelte den Kopf und blickte Michael an. »Dann hat dieser Ritterorden den Waisen?«

Prinz Alexander öffnete die Augen. »Nun, die fünf Ritter des Ordens brachten den Waisen in Sicherheit und versteckten ihn.« Prinz Alexander blickte versonnen auf das Bild der Reichskleinodien an der Wand. »Die Karlsritter waren natürlich nicht besonders angetan von dieser Geschichte. Immerhin hatte man den Leitstein der Krone des Reiches ihnen buchstäblich unter der Nase weggestohlen!«

»Die waren sicherlich ziemlich sauer«, meinte Michael.

»Kann man so sagen!«, kicherte Prinz Alexander. »Jedenfalls schworen sie, die Diebe zu suchen und zu stellen!«

»Hatten sie Erfolg?«

»Nein, sie haben das Versteck nie gefunden. Allerdings haben die Ritter im Laufe der Zeit herausgefunden, wer dafür verantwortlich war!« Prinz Alexander seufzte. »Die Karlsritter haben einen uralten Groll auf den Orden seit dieser Zeit. Dieser Groll wurde weitergeben von Generation zu Generation, bis heute!«

Müde blickte der alte Mann die beiden Jungen an.

»Dann gibt es die Karlsritter heute noch?«, fragte Michael.

Prinz Alexander nickte. »Ja! Sie waren es, die mich heute Nacht überfallen haben!«

»Was?« Jasper starrte den alten Mann an. »Aber warum? Ich meine, der Orden war doch...« Er brach ab und blickte Prinz Alexander ungläubig an.

Dieser lächelte. »Der Souveräne Orden der Ritter vom Heiligen Stern zu Bethlehem zu Skyros lebt!« Er richtete sich ein wenig auf. »Dein Vater, Michael, hat sicherlich die abenteuerlichsten Berichte über meine Kontakte gehört. Und ich will nicht abstreiten, dass ich mich im Laufe meines Lebens mit einer Menge sehr zwielichtiger Personen abgegeben habe. Doch den Grund hat dein Vater nie wirklich erkannt! Wie schon seit vielen Jahrhunderten beschützt der Orden der Ritter vom Heiligen Stern seine Interessen.« Der alte Mann seufzte. »Mitglieder unserer Familie waren immer wieder Mitglieder des Ordens, Michael. Einst stand der Orden unserem Haus in der Not bei, und ohne die Hilfe des Ordens wären wir wohl nur noch eine Fußnote der Geschichte. Seit diesem Vorfall gibt es diesen Brief, von dem dir dein Vater erzählt hat, und den Code.«

»Und stets war einer unserer Ahnen dafür ein Mitglied des Ordens und bewahrte diese Geheimnisse.« Alexander seufzte.

»Sie sind ein Ritter des Ordens!« platzte Jasper heraus.

Prinz Alexander lächelte belustigt. »Ist das so schwer zu glauben?«

Die beiden Jungen blickten den Prinzen an, dann sich, schließlich schüttelte Jasper den Kopf. »Ich glaube nicht, aber...« Er brach ab.

»Es ist irgendwie seltsam!«, meinte Michael. »Aber dann... unsere Familie ist auch schon so alt...«

Prinz Alexander nickte. »Das ist richtig!« Er nahm einen Schluck Wein, dann setzte er sich auf. Auf etwas wackeligen Beinen erhob er sich und schritt zu einem hohen, weichen Sessel. In diesem ließ er sich nieder.

»Ich hatte die letzte Nacht lange an der Übersetzung des Codex gearbeitet«, erklärte Alexander. »Der Codex, das ist der Codex des Ordens, seine Verfassung, wenn ihr so wollt. Unser Großmeister hat mich gebeten, eine Übersetzung des Codex anzufertigen. Der ursprüngliche Codex ist in altgriechisch geschrieben. Für die neue Generation von Rittern wollten wir den Codex in verschiedenen Sprachen zugänglich machen. Leider gibt es keine offizielle Übersetzung bisher, und auch Abschriften gibt es keine, eine Dummheit, wie ich zugeben muss!«

Prinz Alexander wirkte sehr zerknirscht.

»Und was ist dann passiert?«, fragte Jasper.

»Nun, ich dachte, ich gehe in die Küche und genehmige mir etwas vom Abendessen!«, berichtete der Prinz. »Als ich in der Küche war, hörte ich Geräusche. Ich eilte ins Arbeitszimmer und fand die Balkontür offen. Zwei Personen in schwarzer Kleidung verschwanden gerade. Ich wollte ihnen nach, doch dann wurde ich von hinten niedergeschlagen!« Er zuckte mit den Schultern. »Es war wohl noch ein dritter im Raum, den ich nicht gesehen hatte!«

»Als meine Haushälterin mich fand und mittels Riechsalz zu Bewusstsein brachte, musste ich feststellen, dass der Codex gestohlen worden war!«

»Ich beriet mich umgehend mit unserem Großmeister und wir beschlossen, dass wir diese Sache nicht auf die leichte Schultern nehmen dürfen. Die Situation ist sehr prekär.« Prinz Alexander ballte hilflos die Fäuste. »Alle fünfzig Jahre muss der amtierende Großmeister des Ordens vor dem Konzil der Patriarchen seinen Eid auf den Codex und die universale Kirche erneuern! Ohne den Codex kann der Schwur nicht geleistet werden!« Die Unruhe war dem alten Mann anzumerken. »In drei Wochen jährt sich der Tag erneut. Deshalb wollten wir auch die Übersetzungen anfertigen! Und jetzt ist der Codex gestohlen!«

»Wie kommst du darauf, dass es die Karlsritter waren, Onkel Alexander?«, fragte Michael.

»Sie haben das hier hinterlassen!« Prinz Alexander erhob sich, ergriff die Mappe auf seinem Bett und entnahm ihr einen schmalen Brief mit einem roten Siegel. Er reichte das Schriftstück den beiden Jungen. Jasper und Michael sahen sich irritiert an.

»Das ist Latein!«

Prinz Alexander nickte. »Der Brief besagt, dass die Karlsritter den Codex haben und ihn gegen den Waisen austauschen werden. Sie geben uns eine Woche Zeit uns zu entscheiden!«

»Das ist miese Erpressung!«, knirschte Michael wütend.

»Und ich kann die Polizei nicht einschalten«, führte Prinz Alexander aus. »Wenn das heraus kommt, dann gibt es einen Skandal!« Der Prinz seufzte schwer. »Wenn wir den Codex nicht innerhalb von drei Wochen wieder haben, dann kann der Orden seine Koffer packen und Skyros war einmal!«

»Also gut, es ist also von absoluter Wichtigkeit, den Codex wieder zu bekommen«, meinte Michael. »Was die Karlsritter im Austausch wollen ist klar!«

Jasper nickte. »Sie wollen den Waisen!«

»Wo finden wir den Waisen?«

Prinz Alexander zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht!« Er seufzte. »Um den Ort sicher zu bewahren, wurde die Karte, die den Aufbewahrungsort festhält, in zwei Teile geteilt. Den einen Teil behielt Otto von Hradec, den anderen Teil vertraute er seinem Freund Johann von Kulmbach an. Ottos Teil ging in die Hände des Ordens über, während Johanns Teil an die Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach ging und damit in das Haus Hohenzollern! Der Teil der Karte wird seit langer Zeit stets vom Oberhaupt der Familie verwahrt!«

Michael blickte seinen Großonkel an. »Das bedeutet, dass mein Vater einen Teil hat!«

Alexander nickte. »Das ist richtig!«

»Und wo ist der zweite Teil?«

»In Sicherheit«, erklärte Prinz Alexander. »Vor langer Zeit schon hielt man es für das Sicherste, die beiden Teile so weit wie möglich von einander entfernt aufzubewahren!«

»Und das bedeutet?«

»Der zweite Teil befindet sich in den Vereinigten Staaten!«

Die beiden Jungen blickten sich an. »Das ist irre!«

»Michael, ich möchte dich und deinen Freund hiermit bitten, dem Orden in dieser Sache beizustehen! Nur mit der Hilfe deiner Familie kann es uns gelingen, den Waisen zu finden und ihn gegen den Codex einzutauschen! Ich bitte euch im Namen des Souveränen Ordens der Ritter vom Heiligen Stern als dessen Streiter und Großkanzler!« Prinz Alexander Leopold Emanuel blickte seinen Großneffen und Jasper ernst und gefasst an.

Michael und Jasper blickten sich an, dann nickten sie beide. Daraufhin erhob sich Prinz Alexander langsam und trat zu einem kleinen Bild, welches er zur Seite schob. Dahinter kam ein kleiner Wandsafe zum Vorschein. Vorsichtig öffnete Alexander den Safe und entnahm ihm zwei Ringe. Mit einer angedeuteten Verbeugung reichte er Jasper und Michael je einen Ring. »Empfangt diese Ringe als Pfand und Hilfe auf eurem Weg. Nur Mitglieder des Ordens tragen diese Ringe, daher bitte ich euch, sehr sorgfältig hiermit umzugehen!«

Michael betrachtete den goldenen Ring genau. In dessen Mitte war ein Wappenschild zu sehen, der ein gleichschenkliges Kreuz trug, und ein kleineres um fünfundvierzig Grad versetzt.

»Der Heilige Stern, unser Ordenswappen!«, erklärte der Großkanzler. »An diesem Ring werdet ihr meine Mitbrüder erkennen und sie euch! Und nun müssen wir nur noch die Kleinigkeit eurer Reise nach New York arrangieren!«

Flughafen Zweibrücken,

7. November, 06:03 Uhr

»Ich weiß nicht, wen er alles kennt, aber dein Onkel scheint eine Menge Kontakte zu haben!«, meinte Jasper kopfschüttelnd. Michael konnte nur zustimmend nicken während sie in der Abfertigungshalle warteten.

»Herr Grim?« Eine stämmige, kleine Frau mit kurzem, schwarzen Haar in einer Pilotenuniform blickte sie fragend an. Die vier Streifen an ihre Jacke waren nicht zu übersehen.

»Das bin ich!«, erklärte Jasper.

»Gertrude Stein«, stellte sich die Pilotin vor. »Ich bin ihr Pilot auf dem Flug nach London!« Sie reichte Jasper die Hand. Dieser schüttelte sie und stellte Michael als seinen Begleiter vor.

»Michael von Hohenzollern!«

Gertrude Stein ließ mit keiner Regung erkennen, ob sie Michaels Namen besondere Bedeutung beimaß. Sie schüttelte Michael freundlich die Hand. »Sie haben ihre Reisepässe?«

»Die bekommen wir in London!«, erklärte Michael. »Einer der Gründe für den Zwischenstopp dort!«

»Verstehe! Dann wollen wir mal. Ihre Ausweise haben sie aber?«

Die beiden Jungen nickten zustimmend.

»Dann kann es ja los gehen!« Gertrude Stein wand sich um und führte die beiden Jungen zum Ausgang. Dort nickte sie einem der Sicherheitsbeamten zu. Dieser ließ sie ungefragt hinaus auf das Flughafengelände. Ihre Pilotin führte sie zu einem kleinen Hangar am Rand des Flughafengebäudes. Dort erwartete sie eine Überraschung. Was genau sie erwartet hatten, blieb unklar, doch mit einem hochmodernen Jet hatten die beiden Jungen sicherlich nicht gerechnet.

»Das ist ziemlich stark!«, war dann auch Michaels Kommentar.

Ein erfreutes Lachen war von ihrer Pilotin zu hören. »Freut mich, dass euch die Albatros gefällt!« Sie führte die beiden Jungen zum Einstieg. »Melanie, ich bin es!«, rief sie zum Cockpit.

Die Tür stand offen und eine blonde, junge Frau mit der Uniform eine Copiloten war zu sehen. Sie ging gerade eine Checkliste durch. Kurz hob sie grüßend die Hand.

»Wir haben heute leider keine Bedienung an Bord. So kurzfristig ging es nicht!«, erklärte Gertrude entschuldigend. »Meine Kollegin und ich werden Sie dafür jedoch wohlbehalten die ganze Strecke fliegen!«

Jasper und Michael blickten sich in dem luxuriösen, nicht wirklich kleinen Raum um. »Ich glaube, so bequem bin ich noch nie in meinem Leben geflogen!« Michael schüttelte den Kopf und ließ sich auf dem breiten Sofa auf einer Seite des Flugzeugs nieder.

Jasper sank in einen der breiten Sessel und seufzte. »So lässt es sich aushalten, denke ich!«

»Dann machen Sie es sich bequem. Wir starten in wenigen Minuten!« Gertrude schloss die schwere Einstiegsluke hinter sich und verschwand dann im Cockpit.

»Das ist ziemlich verrückt«, brummte Jasper. »Ich meine, gestern morgen war ich noch zuhause und jetzt sitze ich hier in einem Megajet und fliege nach New York, um einen Orden und einen Staat zu retten, von dem ich noch nicht mal wusste, dass es ihn gibt!«

Michael nickte. »Geht mir auch so!« Er blickte Jasper an. »Aber solange du dabei bist, mache ich mir keine Sorgen!«

Jasper lächelte unwillkürlich. »Schmeichler!«

Michael ergriff seine Hand und drückte sie. »Ganz und gar nicht!« Er beugte sich vor und hauchte Jasper einen Kuss auf die Lippen.

Jasper lief in diesem Moment ein Schauer über den Rücken und er konnte sich gerade noch beherrschen, nicht Michael zu packen und über ihn herzufallen. Michael bemerkte die Anspannung wohl, die sich bei seinem Freund bemerkbar machte. Er schluckte, grinste dann. »Wir haben nicht wirklich mal Ruhe im Moment, oder?«

Jasper schüttelte den Kopf. »Nein, wirklich nicht!« Er musterte den hinteren Teil des Raumes. »Aber vielleicht bekommen wir nachher ja ein wenig Ruhe, wenn die beiden Damen mit Fliegen beschäftigt sind!«

»Gentlemen, bitte schnallen Sie sich an. Wir werden in wenigen Minuten starten!«, tönte Gertrudes Stimme aus dem Lautsprecher.

Der Antrieb des Jets erwachte mit Fauchen und Heulen zum Leben. Michael und Jasper setzten sich nebeneinander in zwei bequeme Sessel und schnallten sich fest. »Ich muss nachher unbedingt mal schauen, ob wir etwas zum Frühstück an Bord haben!«

Michael grinste. »Du kannst auch immer nur ans Essen denken, oder?«

Jasper schüttelte den Kopf. »Nur, wenn ich nicht an dich denke!«

Nun war es an Michael zu grinsen. »Aber mir vorhalten, ich wäre ein Schmeichler!«

»Nun, was ich gesagt habe, ist die reine Wahrheit!«

Die beiden Jungen blickten sich an. Ihre Küssen wurden lang, anhalten und intensiv, sodass sie nicht bemerkten, wie der Jet Fahrt aufnahm und langsam zur Startbahn rollte. Erst, als der Schub sie in die Sessel presste, blickten die beiden ein wenig überrascht auf. Sie grinsten sich an.

Kurz darauf war der Flughafen Zweibrücken nur noch ein kleiner Fleck, und bald war auch der verschwunden.

Flughafen London City,

7. November, 08:47 Uhr (07:47 Uhr Ortszeit)

Wie geplant landete der Bombardier Global 5000, von seinen Benutzern Albatros genannt, auf dem Londoner City Flughafen, rollte über die Landebahn und wurde sofort zu einem kleinen Hangar geleitet. Es war für Jasper und Michael schon sehr verwunderlich. Kaum war die Maschine zum Stillstand gekommen, die Maschinen noch nicht vollkommen ausgeschaltet, da öffnete Melanie Feldman, ihre Copilotin, die Einstiegsluke. Herein hasteten zwei Männer, die Jasper und Michael nur rasch zunickten, um dann die Bestände des Kühlschranks aufzustocken und eine ganze Reihe Lebensmittel, Vakuum verpackt, in Schränken zu verstauen.

Ihnen folgte ein freundlicher Brite mit kurzem, rötlichem Haar und blauen Augen. Er trug eine dicke, schwere Lederjacke und schwarze Jeans. »Pax vobiscum!« begrüßte er Jasper und Michael, die ihn ein wenig überrascht musterten.

»Pax tecum!« antwortete Michael nachdem er die Schrecksekunde überwunden hatte.

Der junge Mann lächelte. »Connor McDougall«, stellte er sich freundlich vor. »Unser Kanzler hat mir Eure Ankunft mitgeteilt, und ich habe euch was zu Essen organisiert!« Er zog einen Briefumschlag aus der Tasche und hielt ihn Jasper hin. »Eure Ausweise! Sie wurden heute morgen per Kurier angeliefert!«

»Klasse Organisation!«, meinte Michael anerkennend. Connor grinste schief, dann wurde er ernst. »In dem Umschlag finden sich auch die neuesten Informationen über die Aktivitäten der Karlsritter. Wir haben ihnen bisher nicht viel Beachtung geschenkt, aber offenbar sind sie in den letzten Jahren recht aktiv gewesen!« Er nickte ihnen zu. »Viel Glück! Pax vobiscum, Fratres!«

Diesmal war Jasper schneller. »Pax tecum, Frater!«

Connor machte kehrt und verließ das Flugzeug, die beiden Männer folgten ihm.

»Das Tanken ist auch gleich fertig!«, meinte Melanie kopfschüttelnd. »Offenbar hat es da jemand sehr eilig, euch nach New York zu bringen!«

»Das würde ich meinen!« Michael nickte.

»Dann wollten wir mal keine Zeit vergeuden!« Melanie nickte den beiden zu und verschwand im Cockpit, um alles für den neuen Start vorzubereiten.

Siebenundsechzig Minuten nach der Landung hob das kleine Flugzeug vom Flughafen London City wieder ab und nahm direkten Kurs auf New York.

New York, LaGuardia Airport,

7. November, 16:00 Uhr (10:00 Uhr Ortszeit)

Jasper und Michael hatten es recht einfach. Sie hatten bis auf einem gemeinsamen Rucksack keinerlei Gepäck. Nachdem der Rucksack vom Zoll gründlichst gefilzt worden war, hatte die Einwanderungsbehörde ihnen ein Visum in ihre Pässe gestempelt, Michael zweimal komisch gemustert – der Name schien ihnen wohl nicht ganz geheuer – und dann durften sie das Land der unbegrenzten Möglichkeiten betreten.

Nachdem sie den gesicherten Bereich der Gepäckausgabe hinter sich gelassen hatten, blickten sie sich fragend an. »Ich glaube, wir sind auf uns allein gestellt von hier an«, meinte Jasper.

»Na, das bekommen wir schon hin, oder?«

»Klar!« Jasper grinste. »Nehmen wir uns ein Taxi?«

»Als erstes werde ich mal schauen, dass wir diese lustigen Euros gegen Dollar eintauschen«, verkündete Michael. »Ansonsten können wir das Taxi nicht bezahlen!«

»Autsch!« Jasper grinste schief. »Hat eindeutig was für sich, dich dabei zu haben!«

Michaels Augen funkelten. »Ich könnte dich knutschen, aber das hebe ich mir für später auf!« Er blickte sich suchend um. »Gehen wir eine Bank finden!«

Sie wurden bald fündig und fanden eine Wechselstube, in der sie ihr Geld umtauschen konnten. Da Michaels Großonkel ihnen genügend Geld für die Spesen, wie er es genannt hatte, mitgegeben hatte, war Michael nicht kleinlich. Sorgfältig teilten sie das Geld zwischen sich auf.

»So, hast du eine Ahnung, wo wir jetzt hinwollen?«, fragte Jasper. »Ich denke, wir sollten diesen Typen anrufen. Aber als erstes denke ich, sollten wir ein Hotelzimmer nehmen!«

Michael grinste breit. »Ganz meine Meinung, und ich weiß auch schon, welches Hotel wir nehmen!«

»Ja?« Jasper blickte seinen Freund fragend an.

»Lass dich überraschen!«, meinte dieser und steuerte dem Ausgang zu, vor welchem die Taxis in einer langen Reihe warteten.

»25 East 77th Street, The Mark!«, trug Michael dem Fahrer auf. Dieser nickte bestätigend.

Jasper blickte staunend aus dem Fenster.

»Zum ersten Mal in New York?«, fragte Michael seinen Freund.

»Ja! Ziemlich beeindruckend, muss ich sagen!«

»Doch, ich finde es auch immer wieder faszinierend«, bestätigte Michael.

Die Fahrt dauerte nicht allzu lange und doch bekam Jasper eine Menge zu sehen. Staunend betrachtete er die Hochhäuser, Geschäfte und Straßen. An jeder Ecke gab es etwas neues zu sehen. Michael freute sich über Jaspers augenscheinliche Begeisterung. Gespannt wartete er auf das Gesicht seines Freundes, das dieser machen würde, wenn sie ihr Ziel erreichen würden.

Als das Taxi vor dem „The Mark“ hielt, klappte Jaspers Unterkiefer dann auch entsprechend herab.

»Das können wir uns nie leisten!«, meinte er kopfschüttelnd. »Du bist total verrückt!«

Michael lachte auf, das Gesicht seines Freundes war einfach zu herrlich. »Glaub mir, das geht! Wir bleiben nicht ewig, außerdem steigen meine Eltern hier immer ab!«

Jasper warf Michael einen zweifelnden Blick zu. Dieser nahm Jasper aufmunternd beim Arm. »Komm, lass uns aussteigen!«

Rasch bezahlte Michael den Fahrer. Ein Portier hatte bereits die Wagentüre geöffnet und Jasper war bereits ausgestiegen. Gemeinsam marschierten die beiden durch die große Eingangstüre hinein in die hohe, breite Eingangshalle des Hotels. Die Rezeption war dezent, wie auch das ganze Hotel einen sehr prächtig vornehmen, aber auch zurückhaltenden Eindruck machte. Ein wenig irritiert blickte sich Jasper um.

»Das ist schon ein wenig sehr übertrieben, finde ich!«, brummte er, aber Michael winkte nur grinsend ab.

»Lass mal, eines der Dinge, die meine Familie hat, ist Geld, und das eben nicht zu wenig. Und endlich habe ich mal eine Chance, es mit jemandem zu teilen!« Er blickte Jasper liebevoll an. »Es macht erst richtig Spaß, weil du dabei bist! Genieß es doch einfach!«

Jasper lächelte. »Ich versuche es!«

»Gut!« Michael lachte. »Dann wollen wir doch mal schauen!« Er steuerte die Rezeption an, wo ihm bereits eine freundliche, junge Dame entgegenblickte.

»Herzlich willkommen im „The Mark“. Wie kann ich Ihnen helfen?« Die junge, blonde Frau lächelte höflich.

»Hallo«, begrüßte sie Michael. »Mein Freund und ich mussten ganz überraschend nach New York, und ich wollte fragen, ob sie für uns noch etwas frei haben?«

Ohne eine Miene zu verziehen nickte die junge Rezeptzionistin. »Nun, wir können sicherlich etwas finden!« erklärte sie lächelnd.

»Vielleicht könnten Sie uns einfach das Zimmer geben, in dem meine Eltern zuletzt waren?«, fragte Michael ganz salopp.

»Nun, wie wäre denn der Name?«, fragte die junge Frau.

»Von Hohenzollern!«

Die junge Frau tippte kurz auf einem Computer herum, blickte dann Michael etwas überrascht an. Dieser reichte der jungen Frau unaufgefordert seine Kreditkarte und seinen Reisepass. Es dauerte nur einen Moment, dann lächelte die Rezeptzionistin wieder.

»Selbstverständlich, Herr von Hohenzollern!« Sie tippte kurz auf der Tastatur. »Und die Terrace Suite ist verfügbar, wenn Sie es wünschen?«

»Perfekt!« Michael grinste.

»Haben Sie Gepäck dabei?«

»Nein, es war eine sehr spontane Entscheidung!«, erklärte Michael. Er wandte sich an Jasper. »Darum sollten wir uns noch kümmern. Ich meine, ich will nun wirklich nicht die ganze Zeit in den gleichen Sachen rumrennen!«

»Na, wir befinden uns in einer der berühmtesten Einkaufstädte der Welt. Wir werden hier doch wohl ne Jeans und einen Pullover finden, der dir gefällt!«, gab Jasper zurück.

Michael lachte auf. »Du bist der Beste!«, Er schüttelte den Kopf vor Lachen.

»Ihre Zimmerschlüssel, Herr von Hohenzollern! Ein Page wird Sie gleich hinauf begleiten!« Die junge Frau reichte ihnen zwei Kartenschlüssel. »Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie behilflich sein?«

»Erst einmal nicht, vielen Dank!«

Die junge Frau nickte. »Unser Concierge steht ihnen jederzeit zur Verfügung! Einen angenehmen Aufenthalt!«

»Danke!«, erwiderte Michael und Jasper nickte der jungen Frau freundlich zu.

Kurz darauf standen sie vor einer Türe, die ihnen der Hotelpage öffnete. Jasper schüttelte nur noch den Kopf beim Anblick der sich ihm bot. Die Terrace Suite war auf 132 Quadratmetern mit allem nur möglichen Komfort ausgestattet. Wie der Name der Suite versprach, so gab es eine Terrasse von der man einen atemberaubenden Blick auf Manhattan hatte. Es gab ein Wohnzimmer mit einer angeschlossenen, kleinen Küche. Das Schlafzimmer war mit einem riesigen Bett ausgestattet und das Badezimmer schien vollständig aus italienischem Marmor zu bestehen.

Jasper wanderte durch die Suite, die wohl größer war als die Wohnung, in welcher er mit seiner Mutter lebte.

Michael hatte den Pagen mit einem Trinkgeld verabschiedet und die Türe hinter sich geschlossen. Neugierig folgten seine Augen Jasper, der wie ein kleines Kind mit großen Augen durch die Suite lief.

»Und das kannst du dir wirklich leisten?«, fragte Jasper nachdem er seinen Rundgang beendet hatte. Michael winkte ab. »Ja, wirklich!« Er seufzte. »Ist das okay?«

Jasper lies sich auf eines der schweren, weichen Sofas fallen. »Ich denke schon!« Er grinste schief. »Wo waren wir stehen geblieben?« Er legte den Kopf schief und Michael fühlte bei diesem Anblick, wie ihm das Herz schneller zu schlagen begann. Diese Jasper-Haltung war so typisch, war so unglaublich, Michael konnte kaum glauben, dass er so ein Glück hatte.

»Bleibst du da stehen oder könnte ich dich dazu bewegen mir Gesellschaft zu leisten?«, fragte Jasper schelmisch.

Michael zog seine Jacke aus, schmiss diese über einen Sessel und trat zum Sofa. Jasper lag breit darauf ausgestreckt, die Schuhe hatte er bereits von den Füßen gestreift. Fragend sah Michael ihn an. Jasper grinste. »Du kannst dich einfach dazulegen!«

Michaels Herz begann heftig zu pochen. Er sank halb neben halb auf Jasper, der ihn mit seinen Armen umschlang. Der erste Kuss war noch zurückhaltend und sanft, doch die folgenden wurden heiß und wild.

Die beiden Jungen pressten ihre Lippen aufeinander. Ihr Atem ging schnell, ihre Körper pressten sich hart aneinander, der Stoff ihrer Jeans war rau. Ihre Bewegungen wurden heftiger, fordernder. Jasper zerrte an Michaels Hemd, dieser am Pullover seines Freundes. Und dann verlor Michael das Gleichgewicht und landete mit einem Krachen auf dem Boden zwischen dem Sofa und dem Sofatisch. Verdattert blickte er Jasper an.

Eine Moment lang blickten die beiden Jungen sich an, dann begann Jasper schallend zu lachen. Lachend erhob sich Michael. »Verdammt, wir haben eine ganze Suite und müssen dafür das Sofa nehmen?«

Jasper trommelte mit den Fäusten vor Lachen auf die Polster. »Dein Gesicht war filmreif!«

Michael grinste. In einem plötzlichen Einfall trat er zum Sofa, schob seine Arme unter Jasper und hob diesen hoch. Vollkommen überrascht klammerte sich Jasper an ihn, starrte Michael an. Dieser lächelte, wenn auch etwas verzerrt. Leicht war sein Freund nicht, wie er feststellen musste.

»Und was wird das, wenn es fertig ist?«, fragte Jasper sanft, beinah schnurrend.

»Warte ab, mein Lieber!«, Und mit diesen Worten trug Michael seinen Freund hinüber ins Schlafzimmer. Das riesige Kingsize-Bett mit seinen weichen Decken stand in der Mitte des Raumes. Michael lies Jasper darauf sinken, blickte ihm tief in die Augen. »Ich liebe dich!«

Jaspers Augen wurden groß. Er wirkte plötzlich vollkommen wehrlos. Schwer schluckte er, dann schlang er seine Arme um Michael, als wollte er ihn nie wieder los lassen. Kein Wort kam über seine Lippen, doch mit jedem seiner Küsse vernahm Michael die Antwort.

New York, The Mark Hotel,

7. November, 20:30 Uhr (14:30 Uhr Ortszeit)

»Also gut, ich habe mit dem Kontakt deines Onkels gesprochen. Er ist bereit uns zu sehen!«, erklärte Jasper und ließ sich an dem reich gedeckten Frühstückstisch nieder. Auch wenn es bereits nach Mittag war, so hatten beide Jungen doch einen Heißhunger auf Frühstück gehabt, nachdem sie aufgewacht waren. Es hatte einige Zeit gedauert, bis es beide aus dem Bett geschafft hatten und auch in der Dusche hatten beide die Finger nicht voneinander lassen können. Dementsprechend hungrig waren die beiden dann auch gewesen. So hatte Michael das Frühstück bestellt, während Jasper versucht hatte den Kontaktmann von Prinz Alexander anzurufen.

Als der Zimmerservice das Frühstück servierte führte Jasper gerade eine Diskussion mit einer Sekretärin, die ihn schließlich nach der Nennung von Prinz Alexanders und Michaels Familiennamen zu ihrem Chef durchstellte.

Nach einer kurzen Diskussion mit seinem Gesprächspartner konnte Jasper sich endlich über das Frühstück hermachen.

Die beiden Jungen warfen sich über den Tisch immer wieder verliebte Blicke zu, ihr Hauptaugenmerk galt jedoch eindeutig der Nahrungsaufnahme.

»Wann können wir ihn treffen?«

»Wir sollen in zwei Stunden vorbeikommen, sagte er!«, erklärte Jasper zwischen zwei Bissen.

»Zwei Stunden!« Michael grinste. »Das reicht für das Frühstück, noch mal duschen und das dazwischen!«

Jasper schüttelte den Kopf. »Du bist unersättlich!«

»Ich habe nur eine Menge nachzuholen!«, gab Michael zurück. »Kannst du dir vorstellen, wie oft ich mir gewünscht habe mit dir...«, er brach ab und wurde rot.

Jasper begann breit zu grinsen. »Michi!« Er lachte. »Weißt du das du süß aussiehst, wenn du rot wirst?«

Michael lächelte verlegen.

»Du hast wirklich...?«, fragte Jasper neugierig. Michael nickte stumm.

»Na, dann haben wir wirkliche ne Menge Zeit vertan!«, meinte Jasper nachdenklich. »Sooft wie ich Abends allein an dich gedacht habe!« Er grinste Michael an. »Du hast ne gute Vorlage geliefert!«

Purpurrot war Michael und sprachlos. Schließlich schluckte er. »Wie ist der Live-Vergleich?«

»Lässt sämtliche Vorstellungen und Träume weit hinter sich!«, konterte Jasper.

Michael grinste schief. »Satt?« Er blickte auf das opulente Frühstück vor sich. Jasper zwinkerte ihm zu. »Fürs erste!«

»Wir könnten das Waschen mit dem davor verbinden«, meinte Michael schelmisch und deutete zum Badezimmer. Jaspers Augen funkelten. »Das Jaccuzzi?«

Michael nickte zustimmend.

»Wollen wir mal gucken gehen?«

Die beiden grinsten breit als sie das Badezimmer betraten und die Türe hinter sich zukickten.

New York, Empire State Building, Eingangshalle,

7. November, 22:40 Uhr (16:40 Uhr Ortszeit)

»Wir sind ein wenig spät!«, meinte Michael.

»Ach, und wessen Schuld ist das?« Jaspers Augen funkelten belustigt.

»Wer musste unbedingt noch was essen, bevor wir los konnten?«

»Tja... mmh, schuldig, im Sinne der Anklage!» Jasper warf Michael einen schrägen Blick zu. »Was ist meine Strafe?«

Michael grinste. »Reden wir darüber, wenn wir wieder zurück sind!«

Jasper lachte. »Okay!«

»Gut, wen suchen wir eigentlich?« Michael blickte sich um.

»Den CEO der NY TV Stations, Inc., James T. Philipps!«

Michael blickte seinen Freund überrascht an. »Philipps ist CEO?« Er schüttelte den Kopf. »Onkel Alexander hat wirklich Freunde überall!«

Jasper nickte zustimmend. »Scheint so!« Er steuerte den Aufzug an. »Die sind im 58. Stock!«

Die Aufzugtüren schlossen sich und mit hoher Geschwindigkeit jagte der Aufzug empor. Michael und Jasper blickten sich gegenseitig in den verspiegelten Wänden an. »Und dieser Philipps hat die Karte!« Michael schüttelte den Kopf. »Seltsam, diese ganze Sache!«

Jasper sah ihn fragend an. »Warum?«

»Na, ich dachte, es wäre ein Ritter, der die Karte bewacht!«

»Nun, auch ein Ritter muss sich seinen Lebensunterhalt verdienen, denke ich mal!«, gab Jasper zu bedenken.

»Auch wahr!«, stimmte Michael zu. »Trotzdem finde ich die ganze Angelegenheit bisher irgendwie sehr...«

»...skurril?«, schlug Jasper vor. Michael nickte. »Ja, das passt wohl am besten!«

Die Aufzugtüren öffneten sich und die beiden Jungen traten in den Flur. Zu ihrer Rechten fand sich eine Glasfront in deren Mitte eine Glastüre saß. „NY TV Stations, Inc.“ stand auf der Tür graviert. Hinter der Türe fand sich ein geräumiger Empfang und hinter dem Empfang fanden sich zwei junge Frauen. Sie musterten die beiden Jungen aufmerksam, als diese sich ihnen näherten.

»Wir hätten vorher noch einkaufen gehen sollen!«, brummte Michael.

Jasper grinste. »Keine Zeit!« Michael unterdrückte ein Lachen.

»Hallo, kann ich Ihnen helfen?«, fragte eine der beiden jungen Frauen.

Jasper nickte. »Wir sind hier um Mr. Philipps zu sehen! Wir haben einen Termin!«

Überrascht blickten die beiden Frauen auf. Eine von ihnen griff zum Telefon. »Wie sind Ihre Namen?«

»Michael von Hohenzollern und Jasper Grim«, erklärte Letzterer.

Kurz darauf erschien ein junger Mann im Anzug, der auf sie zu kam. »Herr Grim, Herr von Hohenzollern?«

Jasper und Michael nickten. Der Mann blickte sie etwas überrascht an. Offenbar brachte er das Alter der Jungen nicht mit dem Termin übereinander. »Freut mich! Simon Blackwater. Ich bin Mr. Philipps Assistent!« Er schüttelte beiden Jungen die Hände. »Wenn Sie mir folgen wollen?«

Der Mann mit den blonden, kurzen Haaren führte sie einen Gang entlang bis zum Ende, an der er in ein Büro abbog. Das Vorzimmer war von zwei Sekretärinnen besetzt. Simon Blackwater führte die beiden Jungen durch eine gepolsterte Türe in ein geräumiges Büro, das recht altmodisch eingerichtet war. Offenbar konnte der Besitzer der neumodischen Einrichtung der Firma nicht viel abgewinnen.

»Bitte setzten Sie sich doch. Mr. Philipps wird jeden Moment hier sein. Er wurde gerade nur noch von einem Telefonat aufgehalten!«, erklärte der Assistent höflich. Er deutete auf eine Sitzgruppe aus zwei Sesseln und einem Sofa, bezogen mit dunkelrotem Stoff. Die beiden nahmen auf dem Sofa Platz.

Da öffnete sich auch schon die Türe und mit bestimmtem Schritt trat wohl Mr. Philipps sein. Er war ein hochgewachsener Mann, wohl so zwischen fünfzig und sechzig, wie Michael schätzte. Er trug ein Mobiltelefon mit sich herum in das er sprach, offenbar leicht genervt. »Okay, Morten, ich habe einen Termin. Ich sehe dich heute Abend!« Er nahm das Telefon vom Ohr, beendete das Gespräch und drückte das Telefon seinem Assistenten in die Hand. »Diese blöden Telefone!«, erklärte er mit Inbrunst. »Seitdem es diese Dinger gibt, ist es nicht mehr möglich nicht erreichbar zu sein!« Er trat zu den beiden Jungen und musterte sie. »Interessant! Ich hatte gedacht, dass Alexander jemand Älteren schicken würde!« Er streckte den Jungen die Hand hin. »James Philipps!«

Die beiden Jungen stellten sich vor und Mr. Philipps blickte zwischen ihnen hin und her, dann wand er sich um. »Danke, Simon! Aber das ist privat!«

Der junge Mann nickte. »Hat mich gefreut!«, meinte er zu Jasper und Michael, dann verlies er den Raum und lies die drei alleine. Mr. Philipps ließ sich in einem der beiden Sessel nieder. Jasper fiel der Ring an seiner rechten Hand auf und er musterte ihn. Mr. Philipps bemerkte Jaspers Blick. »Kommt er dir bekannt vor?«

Jasper zog den Ring, den er von Prinz Alexander erhalten hatte an einer Kette unter seinem Hemd hervor. »Ich glaube schon!«

Mr. Philipps lächelte. »Pax vobiscum, Fratres!«

»Pax tecum, Frater!«, erwiderte Michael automatisch.

Mr. Philipps lächelte plötzlich und wirkte um einiges entspannter. »Um was geht es, dass Alexander euch um die halbe Welt schickt nur um mit mir zu reden!?«

Jasper und Michael sahen sich an, dann nickte Michael seinem Freund zu. »Erklär du!«

Jasper lies den Ring an seiner Kette offen hängen, lehnte sich zurück. »Es ist alles ein wenig kompliziert, aber ich glaube Sie dürften das meiste verstehen!«

»Bitte, mein Name ist James!« Mr. Philipps blickte die beiden an. »Seit ihr wirklich Mitglieder des Ordens?«, fragte er zweifelnd.

Jasper schüttelte den Kopf. »Nein, aber Prinz Alexander, Michaels Großonkel, hat uns um Hilfe gebeten, weil es eine Angelegenheit ist, die Michaels Familie ebenso betrifft wie den Orden!«

James Philipps blickte die beiden ernst an. »Die Karte des Orphanus!«

Stumm nickte Michael.

»Genau darum geht es«, bestätigte Jasper. »Der Grund dafür ist jedoch einer, der den Orden betrifft!« Und er begann von dem Diebstahl des Codex durch die Karlsritter zu erzählen. Zuletzt zog Michael einen Brief aus seiner Tasche. »Der ist von Onkel Alexander! Er hat ihn uns für Sie mitgegeben!«

James Philipps nahm ihn, öffnete ihn und begann zu lesen. Er lächelte einen Moment, dann lies er den Brief sinken. »Alexander ist ein guter Freund von mir. Wir kennen einander schon lange Jahre!« Er seufzte. »Ein Albtraum!« Er schüttelte sich, während er überlegte. »Ich muss zwei Telefonate machen, dann können wir los!«

Überrascht blickten Jasper und Michael ihn an, doch James Philipps stand bereits an seinem Schreibtisch und griff nach dem Telefonhörer.

»Carmen, bitte sage meine Termine für heute Abend ab und sag Simon er soll in mein Büro kommen!« Mr. Philipps lauschte seiner Gesprächspartnerin am anderen Ende einen Moment. »Ja, mir ist etwas wichtiges dazwischen gekommen! Danke!« Damit drückte Mr. Philipps eine Taste auf seinem Apparat und beendete das Gespräch nur um gleich erneut zu wählen. Nach einigem Klingeln wurde abgenommen.

»Pax tecum, Frater!«, begrüßte Philipps den Gegenüber. Das Gespräch war kurz. Philipps erklärte seinem Gesprächspartner rasch, dass sie vorbeikommen würden und das es wichtig sei.

Simon Blackwater war überhaupt nicht begeistert davon, dass sein Chef ihm ohne Vorankündigung den Terminplan strich. Doch James Philipps war nicht bereit, seinem Assistenten mehr als nur eine dürftige Erklärung zu geben. So blieb ein sehr gefrusteter Assistent zurück, als Mr. Philipps sich seinen Mantel über die Schulter warf und mit den beiden Jungen das Büro verließ.

New York, Ordenshaus der Ritter des Heiligen Sterns,

8. November, 0:12 Uhr (7. November, 18:12 Uhr Ortszeit)

Neben einem recht unscheinbaren Haus irgendwo in Manhattan fand sich die Einfahrt zu einer Garage. James Philipps wählte eine Telefonnummer in seinem Mobiltelefon und kurz darauf öffnete sich das Tor für ihn. Mr. Philipps parkte den Wagen und ließ dann seine beiden Gäste aussteigen.

Durch eine Stahltüre gelangten sie in einen hell beleuchteten, weiß gestrichenen Gang, der an einer weiteren Stahltüre endete. Dahinter lag ein Flur an dessen Ende eine Schwingtüre aus Holz und Glas zu sehen war. Jasper und Michael blickten sich neugierig um während sie Mr. Philipps durch die Schwingtür folgten.

Ein kleiner Empfangsbereich war zu sehen. An diesem saß ein junger Mann der sich bei ihrem Erscheinen erhob.

»Pax tecum, Frater!«, begrüßte er Mr. Philipps, der ebenso zurück grüßte.

»Das sind Jasper Grim und Michael von Hohenzollern, Gäste des Ordens und Gesandte des Großkanzlers«, erklärte James Philipps. »Der Großkanzler selbst bürgt für sie!« James Philipps reichte den Brief von Michaels Großonkel dem jungen Mann. Dieser nahm ihn mit großen Augen, überflog ihn rasch, dann nickte er und gab den Brief zurück. »Willkommen!« Er lächelte höflich.

Die beiden Jungen nickten ihm freundlich zu.

»Ist Robert da?« fragte Mr. Philipps den jungen Mann.

»Ja, James! Soll ich nachfragen, ob er euch sehen kann?«

»Bitte, Ben!« Als der junge Mann zum Hörer greifen wollte, kam ihm jedoch eine Stimme von der Treppe zuvor. »Klar will ich sie sehen«, scholl es herab, während ein kräftiger Mann mit eisgrauem, kurzen Haar in grauer Hose, weißem Hemd und blauem Blazer die Treppen hinab stieg. An seiner Hand funkelte golden der Ring der Ordensritter. Mit einer Agilität, die man einem Mann seines Alters kaum zugetraut hätte, kam er ihnen entgegen.

»Robert Spencer, Groß – Tressler und Ritter des Ordens der Ritter vom Heiligen Stern zu Bethlehem zu Skyros!«, stellte er sich vor und schüttelte Jaspers und Michaels Hand freundlich.

Jasper war von dem alten Herren sofort eingenommen. Er hatte eine derart freundliche, offene Art, dass man ihn unweigerlich mögen musste.

»Jasper Grim und das ist mein Freund, Michael von Hohenzollern!«, stellte Jasper sich und seinen Freund rasch vor. »Freut mich!«

»Mich auch, mein Junge, mich auch!« Robert Spencer lachte. Er umarmte James Philipps rasch und küsste ihn links und rechts auf die Wange. »Pax tecum, Frater!«

James erwiderte die Geste. »Pax tecum, Frater!«

»Kommt, ich habe euch bereits erwartet. Ich habe vor ein paar Stunden eine Nachricht von Umberto bekommen!« Er schüttelte den Kopf. »Bei der Dringlichkeit mit der er mich aufgefordert hat den beiden Gesandten von Alexander zu helfen müsste man denken, die Existenz des Ordens steht auf dem Spiel!« Er lachte.

»Gehen wir nach oben!«, erwiderte James Philipps knapp.

Robert Spencers Augen weiteten sich eine Sekunde. Von einem Moment auf den anderen fiel die Fröhlichkeit von ihm ab. »Gehen wir!« Und hastete die schwere Holztreppe vor ihnen hinauf, dass die anderen Mühe hatten ihm zu folgen. Im ersten Stock angekommen, führte Robert seine Gäste eilig weiter. »Hier entlang!« Er stieß eine schön getäfelte Türe auf, ließ sie eintreten und schloss die Türe hinter ihnen. Sie fanden sich in einer Mischung aus Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Bibliothek wieder, einen Raum, den Robert Spencer wohl offensichtlich bewohnte.

Robert deutete auf eine Sitzgruppe. »Okay, was ist los?« Er blickte James an, dann Jasper, dann Michael. »Um was geht es hier?«

»Direkt gesagt, um die Existenz des Ordens!«, eröffnete Jasper direkt. Rasch berichtete er von dem Diebstahl des Codex und der Forderung der Karlsritter. Robert Spencer wurde bleich. »Du lieber Himmel!« Er erhob sich, nahm einen Kristallschwenker von einem Beistelltisch und goss sich einen Drink ein, den er in einem Zug herunterkippte. »In Ordnung!« Er stellte das Glas vorsichtig auf den Tisch. »Entschuldigung, aber das war ein wenig viel auf einmal!« Er setzte sich wieder. Seine Augen irrten umher, blickten James Philipps ernst an.

»Das ist eine Katastrophe!«

Der Angesprochene nickte. »Der Orphanus ist unsere einzige Chance!«

Robert Spencer seufzte. »So sieht es aus!« Er schüttelte den Kopf, blickte Jasper und Michael an. »Da seid ihr aber in eine Sache hinein geraten!«

Michael verzog das Gesicht zu einem bittersüßen Grinsen. »Ich habe das Problem sozusagen geerbt. Aber Jasper...«, er zuckte mit den Schultern. »Den habe ich wohl eindeutig da mit reingezogen!«

»Blödsinn!«, widersprach Jasper heftig. »Du hast mich in gar nichts „reingezogen“! Ich hätte ja auch nach Hause fahren können! Bin ich aber nicht!«

Die beiden Jungen blickten sich an.

»Nett, die beiden, oder?«, meinte Robert Spencer lächelnd zu James Philipps. Dieser lachte auf. »Ja, wirklich! – Waren wir auch mal so jung?«

»Jünger!«, lautete die Antwort des Groß-Tresslers.

Die beiden Jungen blickten verlegen in die Runde. Doch Robert Spencer lachte nur offen. »Ihr braucht euch nicht zu verstecken, Jungs! Zumindest nicht hier!« Er grinste. »Unser Orden hat diese Dinge schon immer sehr liberal gesehen, um es so auszudrücken!« Er schüttelte den Kopf. »Die Templer hat es erwischt. Seien wir froh, dass wir weitaus vorsichtiger waren als sie!«

»Sie meinen...«, Michael unterbrach sich. »Es gibt im Orden Schwule?«

Robert Spencer lachte auf. »Das würde ich wohl meinen. Ich würde den Anteil auf ungefähr die Hälfte schätzen!«, erwiderte er. »Unsere Vereinigung war schon immer für unseresgleichen interessant!« Er zwinkerte Jasper und Michael zu.

»Wow... ähm... das hätte ich jetzt nicht gedacht!«, gestand Jasper.

»Wir hängen es auch nicht an die große Glocke«, erklärte Robert Spencer. »Aber es stimmt! Ich glaube sogar, dass mindestens zwei unserer Gründer dem eigenen Geschlecht zugeneigt waren. Allerdings muss man auch sagen, dass es andere Zeiten waren! Wusstet ihr, dass der Begriff „homosexuell“ eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts ist?«

»Nicht möglich?«

»Doch, Michael, wirklich!« bestätigte Robert Spencer. »Er wurde von dem Schriftsteller Karl Maria Kertbeny erfunden! Bis zu diesem Zeitpunkt gab es den Begriff nicht. Es gab überhaupt im europäischen Mittelalter keinen wirklich einheitlichen Begriff dafür!«

»Aber die Templer wurden doch unter anderem wegen ihrer angeblichen Homosexualität hingerichtet«, warf Jasper ein.

»Nur wenn wir die heutige Begrifflichkeit anwenden«, erklärte Robert Spencer. »Die Templer wurden wegen Sodomie verurteilt. Dieser Begriff wurde im Mittelalter jedoch primär auf den Akt des Analverkehrs bezogen!«

Michael und Jasper blickten sich verlegen an. Doch Robert Spencer winkte ab. »Kommt, wenigstens innerhalb dieser Ordensmauern sollten wir über so etwas offen reden können. Ich werde meine Studenten damit nicht konfrontieren, zumindest nicht in dieser Form«, meinte er lachend.

»Sie sind Professor?«, fragte Michael überrascht.

Robert Spencer nickte zustimmend. »Für die Geschichte des Mittelalters!«

»Und wie wurde die Liebe zwischen zwei Männern dann damals bezeichnet?«, fragte Jasper interessiert.

»Vielfältig. Meist als Freundschaft«, führte Robert Spencer aus. »Es gibt sogar Überlieferungen, die eine sogenannte „Schwurbruderschaft“ belegen. In wie weit diese verbreitet war ist umstritten, aber es hat sie gegeben!« Auf die fragenden Blicke seiner Zuhörer führte er weiter aus: »Schwurbruderschaft ist vor allem in der christlichen Mystik innerhalb der orthodoxen Kirche bekannt. Dort kennt man den Ritus des „Brüdermachens“, den man auch Adelphopoiesis nennt, bei der sich zwei Männer Bruderschaft bis in den Tod schwören. Es schloss die Eheschließung nicht aus, doch es war eine anerkannte Bindung.«

»Damit hätte ich jetzt nicht gerechnet, im finsteren Mittelalter!«, gab Michael seine Meinung kund.

»Das ist auch nur so ein Begriff, der später geprägt wurde um die Zeit zwischen der Neuzeit und dem Altertum zu beschreiben!« Robert Spencer erhob sich. »Aber lassen wir das. Wir können ein andermal über die Geschichte diskutieren. Wenden wir uns der aktuellen Geschichte zu!« Er blickte James Philipps an. »Viele Jahrhunderte lang haben deine Brüder ihren Teil der Karte des Orphanus bewahrt. Bist du bereit deinen Teil hier und heute Michael und Jasper zu übergeben, zur Rettung und Bewahrung unseres Heiligen Ordens?«, fragte Robert Spencer sehr förmlich.

»Ja, das bin ich, mein Bruder!« erklärte James Philipps ernst.

»Dann soll es so sein!« Robert Spencer zog einen Schlüsselbund aus seiner Tasche und trat zu einem Bücherregal. Er erfasste es und schob. Ein leises Klacken war zu hören, dann rollte das Regal ein kleines Stück zur Seite und gab den Blick auf einen kleinen, feuerfesten Safe frei. Zwei flache Schlüssellöcher und eine Zahlenkombinationsschloss waren zu sehen. Robert löste einen kleinen Schlüssel von seinem Schlüsselbund und schob diesen in das obere der beiden Schlüssellöcher. James Philipps trat neben ihn und reichte dem Groß - Tressler einen ebensolchen Schlüssel, der in das zweite Schlüsselloch passte.

Sorgfältig tippte Robert Spencer einen Code ein, dem James Philipps mit einem zweiten folgte. Ein leises Surren war zu hören, dann öffnete sich der Safe mit einem Klacken. Robert Spencer öffnete den Safe, dann trat er beiseite. James Philipps griff hinein und zog eine Mappe hervor, die man zu ihrem Schutz luftdicht verschweißt hatte.

»Sauerstoff setzt der Karte zu. Daher haben wir sie eingeschweißt!«, erklärte James Philipps.

Robert Spencer reichte ihm einen Brieföffner und damit schlitzte der Hüter der Karte die Folie auf. Er befreite die Ledermappe von der Schutzhülle, öffnete diese dann. Sie blickten auf ein schweres Pergament, schmal und hoch. Die Schrift war altertümlich.

»Ich hatte mit einer Karte gerechnet!« Michael schüttelte den Kopf.

»Es ist eine Karte, also ein Teil davon«, erklärte Robert Spencer. »Es ist eine Beschreibung, keine gezeichnete Karte!«

»Das wird nicht einfach, das zu entschlüsseln«, brummte Jasper. »Aber erst mal müssen wir deinen Vater dazu kriegen, dir seinen Teil zu geben!«

Michael nickte. »Das wird unsere nächste Aufgabe!«

James Philipps schloss die Ledermappe sorgfältig und hielt Jasper die Mappe hin.

»Ich?«, fragte Jasper überrascht. James Philipps lächelte und nickte. »Die Karte wurde zwischen zwei Freunden geteilt. Ich gehe davon aus, dass Michael den Teil seines Vaters erhalten wird, also gebe ich dir diesen Teil.« James Philipps räusperte sich. »Jasper Grim, zum Wohl oder Weh, übergebe ich, James Thomas Philipps, Professritter der Ehre und Devotion des Souveränen Ordens der Ritter vom Heiligen Stern zu Bethlehem zu Skyros, Dir die Karte des Orphanus und ernenne Dich hiermit zu ihrem Hüter. Möge das Licht des Einen über Deinen Weg und den Deines Gefährten wachen und scheinen!«

Mit leicht zitternden Fingern empfing Jasper die Ledermappe aus James Händen. »Ich werde die Karte sorgfältig bewahren!«

»Nutze sie weise!«, bat James und lies die Mappe los. Jasper hielt die Karte in den Händen. Und plötzlich verneigte er sich leicht vor den beiden Rittern. »Das werden wir!«

Michael nickte bestätigend. »Das werden wir!«

»Möge Euch der Heilige Stern leuchten!«, sprach Robert Spencer feierlich.

New York, The Mark Hotel,

8. November, 2:21 Uhr (7. November, 20:21 Uhr Ortszeit)

»Und wann fliegt ihr zurück?«, fragte Robert während des Essens.

Gemeinsam mit James Philipps hatte der Groß – Tressler es sich nicht nehmen lassen Michael und Jasper zum Essen einzuladen. Da die beiden jedoch nicht groß hatten ausgehen wollen, war man übereingekommen im hoteleigenen Restaurant zu essen, das eine hervorragende Küche besaß. In der Hotelsuite lag die Karte sicher im Safe, während die vier so unterschiedlichen Männer beim Mahl zusammen saßen.

Der Hauptgang war gerade serviert worden und dazu gab es einen schweren Rotwein, dem Robert Spencer mit Begeisterung, James mit Genuss und die beiden Jungen mit Vorsicht zusprachen.

»Ich habe Gertrude, unsere Pilotin, um einen Flug um zehn Uhr morgen gebeten. Sie rief vorhin an und lies mich wissen, dass wir eine Starterlaubnis für 11:45 erhalten hätten!«, erklärte Michael.

»Das erste Mal in New York und ich bekomme den Flughafen, ein Hotel und das Empire State Building zu sehen«, brummte Jasper. »Hätte ich auch mal nicht gedacht!«

»Moment, wie war das?« Robert Spencer blickte Jasper an. »Das ist dein erster Besuch in New York?« Er schüttelte den Kopf. »Das können wir nicht so enden lassen James!«

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. »Absolut nicht!« Er winkte einen Kellner heran. »Könnten Sie mir bitte ein Telefon besorgen?«

Kurz darauf hielt James das gewünschte in der Hand und tätigte einen Anruf. »Simon, hallo, hier ist James. Hör mal, ich störe dich nur ungern, aber könntest du mir einen Gefallen tun und den Limousinenservice anrufen. Sie sollen eine Limo zum The Mark in einer Stunde schicken! Danke dir!«

»Du bist verrückt!«, erklärte Jasper dem Älteren, mit dem er vor einer halben Stunde Bruderschaft getrunken hatte. James Philipps nickte zustimmend. »Stimmt vollkommen, aber warte bis Robert angefangen hat!« Und mit diesen Worten reichte er das Telefon seinem Ordensbruder. Dieser tippte eine Nummer in das Mobiltelefon, dann wartete er. »Teresa, meine Liebe, wie geht es dir. Robert hier! Sag, kannst du mir einen Gefallen tun? Ich habe hier gerade zwei ganz liebe Gäste, die überraschend hergekommen sind. Kannst du uns irgendetwas für heute Nacht empfehlen?« Robert wartete einen Moment. »Ja? Oh, nein, sie sind nicht in meinem Alter. Zwanzig würde ich mal sagen!«

Jasper und Michael grinsten sich an. Robert zwinkerte ihnen zu. »Ja, das klingt wunderbar. Viermal, geht das? Nun James Philipps begleitet uns. Kennst du James? Ja, der CEO von NY TV, genau der! Ich stelle dich ihm vor, natürlich!« James Philipps grinste breit und rollte mit den Augen. Robert Spencer war in seinem Element. »Vielen Dank. Ja, wir kommen hin. Kein Problem. Bis dann, danke dir!« Er beendete das Gespräch. »Das hätten wir!«

»Was denn?«, fragte Jasper, der genauso wie Michael beinah vor Neugier platzte.

»Lasst euch überraschen«, meinte Robert leichthin und mehr war aus dem Ritter nicht herauszubekommen.

Eine Stunde später beendeten sie ihr Mahl und wurden informiert, dass vor dem Eingang eine Limousine auf sie warten würde. Gut gelaunt, wenn auch ein wenig müde, machten sich die beiden Jungen mit ihren beiden ritterlichen Begleitern auf. Jasper, der noch nie in einer Limousine gefahren war, fand es besonders aufregend.

»Das ist total irre!«, meinte er zur Belustigung der anderen.

»Dann warte erst mal ab!«, meinte Robert Spencer. »Da ihr ohne Gepäck hier seid, müssen wir euch erst mal ein paar Sachen besorgen, in denen wir ausgehen können. Denn so werden sie euch nicht reinlassen!« Und damit nannte er dem Fahrer eine Adresse.

»Das macht mich nervös!«, meinte Jasper. »Was muss ich denn anziehen? Einen Anzug?«

»Nein, bloß nicht, doch nicht in deinem Alter und heute Abend. Wir gehen ja nicht auf einen Geschäftsbesuch!«

»Aha«, lautete Jaspers verlegene Antwort.

»Irgendwas gutaussehendes, modernes, einfach gut!«, meinte Robert nur. »Wir finden was!«

Michael schüttelte den Kopf. »Das will ich sehen!«

»Warum?«, fragte James ihn.

»Habe ich hier noch nie gefunden. Die Läden in denen ich mit meinen Eltern war, die hatten nie die wirklich coolen Sachen!«

»Du kennst die richtigen Adressen nicht!«, entgegnete Robert lachend. »Glaub mir, ich weiß genau wo wir hin müssen!«

»In deinem Alter?«, fragte Jasper. »Woher weißt du, was wir tragen müssen?«

Robert Spencer blickte ihn pikiert an. »Ich bin vielleicht fünfundsechzig Jahre alt, aber ich unterrichte an einer Universität, alles Leute in deinem Alter!« Er grinste. »Außerdem habe ich einen Neffen, der mich da zu seinem Geburtstagseinkauf hingeschleppt hat!«

Einstimmig lachten die vier Nachtschwärmer.

Eine Stunde später hatte Jasper das Gefühl, sich selber nicht mehr wieder zu erkennen. Die vier Freunde verließen Yohji Yamamoto und Jasper hatte sich nie cooler gefühlt. Sein Freund sah umwerfenden aus und Jasper selbst fand, dass er in seinen neuen Klamotten eine ziemlich gute Figur machte.

»Zum Anbeißen und nie wieder los lassen!«, war Michaels Kommentar zu ihm und seinem Look. Dabei fuhr er sich einmal durch die zerzausten Haare und Jasper wurde bei diesem Anblick derart heiß, dass er an sich halten musste um seinen Freund nicht hier und jetzt anzufallen.

Robert nickte anerkennend und James pfiff anerkennend. »Verdammt seht ihr beiden gut aus!«

Michael und Jasper lachten.

»Perfekt!«, meinte Robert. »Dann lasst uns los!«

Und schon saßen sie wieder in der Limousine, fuhren durch New York.

Zwischen New York und Berlin, Bombardier Global 5000 „Albatross“,

8. November, 18:31 Uhr (8. November, 12:31 Uhr Ortszeit)

Michael gähnte herzhaft und kuschelte sich enger an Jasper, der bereits tief schlief. Sie waren kaum an Bord gewesen, da war Jasper auf dem breiten Sofa eingeschlafen. Selbst den Start hatte er verschlafen. Michael hatte seinen Freund festgehalten während die Maschine abgehoben war. Er hatte das Sofa zu einem breiten Bett ausgeklappt, dessen hohe Lehnen ihnen genug Schutz boten, sich selber angeschnallt und Jasper fest gehalten. Nun waren sie bereits hoch über den Wolken, hatten New York hinter sich gelassen und direkten Kurs auf Berlin genommen. Seine Eltern würden sie dort erwarten. Jaspers Mutter hatte ihrem Sohn glücklicher Weise den Montag frei gegeben, was bedeutete, sie würde ihm eine Entschuldigung für die Schule mitgeben. Onkel Albrecht war informiert, aber Michael hatte nicht damit gerechnet, dass seine Eltern einen derartigen Aufstand machen würden, als er sie vor einer Stunde angerufen hatte und erklärte, er würde gerade aus New York abfliegen und gegen 23.30 Uhr in Berlin landen.

Michael gähnte erneut und musste grinsen. Viel Schlaf hatten er und Jasper nicht bekommen in letzter Zeit. Die letzte Nacht war zum Tag mit den beiden Rittern vom Heiligen Stern geworden. Zuerst hatte Robert sie mit einer bombastischen Musicalshow überrascht. Gefolgt war ein Cocktail in einem der besten Cocktailbars in New York, an deren Namen sich Michael partout nicht erinnern konnte, und dann hatten es sich die beiden älteren Ritter nicht nehmen lassen und waren mit Jasper und Michael in einen sehr abgefahrenen Club gefahren. Was man von ihnen gehalten hatte, wusste Michael nicht zu sagen. Schlimmstenfalls hatte man Jasper und ihn selbst für zwei megaexklusive Callboys gehalten, die mit ihren Abendbegleitungen unterwegs waren. Allerdings hatten Michael und Jasper ein wenig zu viel miteinander geknutscht, als dass jemand wirklich hätte auf die Idee kommen können, Robert und James wären etwas anderes als eben nur Begleiter. Vielleicht hatte man sie auch für irgendwelche neureichen Irren gehalten, die mit ihren Aufpassern unterwegs waren, nur dass Robert und James nun wirklich nicht wie Bodyguards aussahen.

Michael schloss müde die Augen. Jaspers Atemzüge waren ruhig und Michael legte den Arm um seinen Freund. Einen Moment lang fragte er sich, was er seinen Eltern sagen würde, doch dann fielen ihm schon die Augen zu.

Berlin, Flughafen Berlin Tempelhof,

8. November, 23:40 Uhr

Ferdinand Georg Friedrich Wilhelm Prinz von Hohenzollern stand mit seiner Gemahlin Amalia Sophie Viktoria Gräfin zu Castell-Hohenzollern in der Ankunftshalle des Flughafens. Ferdinand wirkte angespannt, wippte auf den Sohlen auf und ab, was ihm von seiner Frau ein leichtes Stirnrunzeln einbrachte. Amalia konnte die Anspannung ihres Mannes durchaus begreifen, doch das nervöse Verhalten ihres Mannes trug nicht gerade dazu bei ihre ebenfalls angespannten Nerven zu beruhigen. Doch Amalia hütete sich etwas zu sagen. Zu lange kannte sie ihren Mann und so war ihr klar, dass sie mit einer Bemerkung nur eine endlose Diskussion ausgelöst hätte, in der sich ihrer beider Emotionen entladen hätten. Einen solchen Ausbruch wollte sie in der Öffentlichkeit dann doch nicht riskieren, und so blieb es bei ihrem Stirnrunzeln.

»Wo bleiben Sie nur?« fragte Prinz Ferdinand nun schon zum vierten Mal und blickte auf seine Armbanduhr, nur um einen Moment später wie von der Tarantel gestochen, vorwärts zu hasten. Er hatte Michael entdeckt.

Michael und Jasper hatten jeder nur eine einfache Tasche dabei in welcher ihre Abendgarderobe untergebracht war. Mit diesem Gepäck über der Schulter bahnten sie sich einen Weg zum Ausgang.

»Da ist mein Vater...«, konnte Michael seinen Freund gerade noch warnen, dann war Prinz Ferdinand von Hohenzollern auch schon heran und schloss seinen Sohn in die Arme.

»Michael!«

»Hallo, Papa!«

Ferdinand von Hohenzoller blickte seinen Sohn kopfschüttelnd an. »Kannst du dir ausmalen, was sich deine Mutter und ich für Sorgen gemacht haben?«

»Eigentlich nicht«, entgegnete Michael. »Und hätte ich gewusst, dass es euch dermaßen aufregt, ich hätte ich von Berlin aus angerufen!«

»Dein Vater hat sich wohl ein halbes Dutzend Flugzeugattentate, Entführungen und Kidnapping Szenarios ausgemalt!«, erklärte ihm seine Mutter, während sie ihn umarmte. Sie lächelte allerdings auch erleichtert.

»Mum!«

»Wirklich, Liebes!« Amalia von Castell-Hohenzollern seufzte. »Könntest du so was künftig lassen?«

»Das Anrufen oder das Reisen?«

»Beides, denn beides schont meine Nerven!«

Jasper schmunzelte. Es war ihm augenblicklich klar, woher Michael seinen Humor geerbt hatte. Sah er seinem Vater recht ähnlich, Michaels Humor stammte unverwechselbar von seiner Mutter.

»Papa, Mum, das ist Jasper!«, stellte Michael seinen Freund vor. »Jasper, meine Eltern!«

Prinz Ferdinand schüttelte ihm die Hand wie auch Prinzessin Amalia. Michaels Mutter musterte ihn eindringlich, dann lächelte sie. »Freut mich, Jasper!«

»Ganz meinerseits,...«, erwiderte Jasper ein wenig verlegen.

»Versuch Mum nicht mit „Eurer Hoheit“ oder so zu kommen oder sie zertrümmert dich in Atome!«, meinte Michael salopp.

Prinzessin Amalia verdrehte die Augen. »Auch wenn es an für sich richtig ist, dass ich die Anrede „Eure Hoheit“ nicht mag, bedeutet das nicht, dass ich deinen Freund deshalb auseinandernehmen würde, Michael! – Nun ja, nicht gleich!«

Jaspers Lachen scholl durch die Eingangshalle. »Sie sind wirklich Michaels Mutter!« erklärte er, was ihm einen pikierten Blick von Mutter und Sohn einbrachte und ein gedämpftes Lachen von Prinz Ferdinand.

»Wollen wir gehen?«, schlug Michaels Mutter vor.

»Gerne doch!«, meinte der Prinz daraufhin und reichte seiner Gemahlin den Arm.

Sie fuhren durch Berlin und Michael deutete zu verschiedenen Seiten um Jasper auf die ein oder andere Sehenswürdigkeit aufmerksam zu machen. Sie erreichten einen Außenbezirk mit prächtigen Villengrundstücken und schließlich hielt der Wagen vor einem Tor mit schmiedeeisernem Gitter, dass sich automatisch öffnete. Licht flammte am entfernten Haus auf und der schwere, schwarze Daimler hielt vor der Haustür.

Sie stiegen aus und Jasper blickte sich um. »Eindrucksvoll!«, brummte er.

Michael seufzte. »Geerbt!«

»Trotzdem eindrucksvoll!«

»Habe ich auch gedacht, als ich es das erste Mal gesehen habe«, meinte Michaels Mutter freundlich. »Ich komme vom Land, weißt du. Bin auf einem Gut aufgewachsen. Dann hatte ich meine Studentenwohnung, bevor ich Ferdinand kennen lernte. War eine Umstellung, das ganze!« Sie lächelte. »Aber man stellt fest, dass es die Leute sind, auf die es ankommt, nicht wo sie wohnen!«

Jasper fühlte sich gleich besser. Michaels Mutter war in Ordnung. In diesem Moment erkannte Jasper, dass er in Michaels Mutter bisher nur die Prinzessin gesehen hatte, nicht jedoch die Frau und Mutter. Michael nickte ihm zu und Jasper folgte ihm ins Haus.

In Michaels Zimmer im ersten Stock, in das ihn sein Freund erst einmal brachte, fühlte sich Jasper gleich wohl. Es war recht leer, denn seine Bücher und persönlichen Sachen befanden sich ja in Leipzig. Doch Die Möbel gaben Jasper ein Gefühl von Gemütlichkeit. Auf dem Bett lag eine bunte Decke. Michael musterte es. »Groß genug für uns?«, fragte er neckisch.

Jasper grinste. »Ich denke schon. Müssen wir eben schlimmstenfalls etwas zusammenrücken!«

Michael trat zu ihm. »Müssen wir wohl!« Er umarmte Jasper, der seine Arme um die Schultern seines Freundes legte. Sie küssten sich.

»Michael, ich denke dein Freund kann das Gästezimmer...«, Amalia von Castell-Hohenzollern brach ab. Sie blickte Jasper und Michael schweigend an. Die beiden hatten die Arme voneinander gelassen und waren purpurrot angelaufen.

»Deja vu«, brummte Jasper. Michael blickte ihn schief an.

Michaels Mutter blickte von einem zum anderen. »In dem Fall kann ich mir die Mühe mit dem Gästebett wohl sparen!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich lasse euch mal alleine. Kommt runter, wenn ihr...«, sie brach ab, machte kehrt und verlies das Zimmer. Die Türe schloss sie hinter sich.

Betreten blickten sich Jasper und Michael an.

»Und jetzt?«, fragte Jasper.

»Keine Ahnung!« Michael seufzte. »So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt!«

»Glaube ich gerne!« Jasper schüttelte den Kopf. »Aber irgendwie war es schon verdammt strange!«

»Scheiße, ja!« Michael ließ sich auf sein Bett nieder. »Was soll ich jetzt machen?«

Jasper setzte sich neben ihn. »Nun, du solltest mit deiner Mutter reden!«

Michael seufzte, dann nickte er. »Stimmt, wohl auch mit meinem Vater!« Er schluckte. »Kommst du mit?«

»Wenn du willst, natürlich!«

Michael erhob sich. »Dann mal auf in die Schlacht!«

Berlin, Villa Hohenzollern,

8. November, 00:34 Uhr

Michaels Mutter nahm einen Schluck aus ihrem Rotweinglas. Ferdinand von Hohenzollern saß neben seiner Frau, ein Glas in der Hand, das er gedankenverloren drehte. Michael saß seinen Eltern gegenüber auf dem Sofa, Jasper hielt seine Hand.

»Überraschend kommt es eigentlich nicht«, brummte Ferdinand. Er blickte seinen Sohn und dessen Freund an. »Mädchen haben dich nie besonders interessiert!«

Amalia nickte zustimmend. »Ich denke, ich brauche einfach ein wenig Zeit, das zu...«, sie suchte fahrig nach einem Wort. »...verarbeiten?«

Jasper nickte verständnisvoll. »Ging meiner Mutter auch so!«

Amalia blickte ihn an. »Ja?«

»Ja!« Jasper grinste schief. »Sie hat mal gesagt, dass es geholfen hat, zu verstehen, dass ich nicht unglücklich bin, sondern damit eigentlich ziemlich zufrieden!« Er lächelte. »Mittlerweile eigentlich noch mehr!« Er drückte Michaels Hand. Dieser grinste, rot im Gesicht, ein wenig verlegen, aber doch recht zuversichtlich.

»Nun, ich denke, leicht wird es nicht werden«, meinte Michael Vater. »Wir...«, er brach ab, knallte sein Weinglas auf den Tisch. »Ach, verdammt!« Er erhob sich und starrte aus dem Fenster.

»Ferdinand!« Amalia blickte ihren Mann überrascht an, und auch Michael und Jasper waren von dem Gefühlsausbruch getroffen. Ferdinand von Hohenzollern wand den Blick vom Fenster ab und blickte seine geschockte Familie an. »Ist doch wahr!«, brummte er. »Die Reporter werden sich mit Feuereifer auf die Story stützen. Die beiden werden keine ruhige Minute haben, wenn das raus kommt!« Er seufzte. »Einmal im Leben will ich nicht einen berühmten Namen tragen müssen und das Erbe von Jahrhunderten mit mir rumschleppen!« Müde rieb er sich die Augen.

»Oh, Papa!« Michael war aufgesprungen und fiel seinem Vater in die Arme. Vater und Sohn umarmten sich fest. In beider Augen standen Tränen.

Michael schniefte leicht. »Wo wir gerade von Erbe sprechen...«, meinte er plötzlich. »Ich..., wir brauchen die Karte, Papa!«

Ferdinand von Hohenzollern blickte seinen Sohn überrascht an. »Die Karte?«, fragte er steinern.

Michael nickte. »Die Karte, also den anderen Teil der Karte!«

»Den anderen Teil?«

»Ja, den anderen Teil!« Jasper hatte sich erhoben und die Ledermappe aus seiner Umhängetasche gezogen.

Ferdinand von Hohenzollern starrte die Ledermappe in Jaspers Händen an. »Der Stein der Waisen!«

Berlin, Villa Hohenzollern,

9. November, 9:51 Uhr

Michael und Jasper betraten die Küche gemeinsam. Michaels Mutter war gerade dabei, die Spülmaschine einzuräumen. »Guten Morgen ihr beiden! Na, ausgeschlafen?«

Michael und Jasper nickten. »Ja, soweit schon!«, brummte Michael.

»Frühstück steht im Esszimmer«, erklärte Amalia.

»Ist Papa schon weg?«

Michaels Mutter nickte. »Ganz früh, ich denke, er wird bald wieder hier sein! Frühstückt einfach solange!«

Die beiden Jungen nickten und machten sich über das Frühstück im Esszimmer her.

»Langsam könnte ich mich an diese Frühstückerei gewöhnen!«, meinte Jasper. Er war bisher nie der Typ gewesen, der mehr als eine Schale Cornflakes zum Frühstück gegessen hatte. Solange es Kaffee gab, war ihm alles andere egal.

Eine halbe Stunde saßen sie wohl beim Frühstück, als sie vor dem Haus einen Wagen vorfahren hörten. Als Ferdinand von Hohenzollern das Haus betrat, erwarteten ihn sein Sohn und dessen Freund im Eingangsflur. In seiner Hand trug der Erbprinz eine kleine, schmale Schatulle.

»Gehe wir in mein Arbeitszimmer!«, meinte er. Amalia wischte sich die Hände an einem Handtuch ab und folgte ihnen.

Vorsichtig stellte Michaels Vater die Schatulle auf den Tisch. »Allein die Schatulle hat seit Generationen kaum jemand zu Gesicht bekommen«, brummte Ferdinand. Er zog ein Tuch ab, dass er zum Schutz um die Schatulle gewickelt hatte. Auf schwarzem Lack prangte das Wappen von Hohenzollern. Er drückte auf das Wappen und es hob sich leicht an. Unter dem Wappen fand sich ein kleiner Hohlraum, in welchem ein kleiner Schlüssel lag. Ferdinand nahm ihn heraus, schob ihn mit zitternden Fingern ins Schloss und drehte ihn herum. Er atmete einmal tief durch, dann öffnete er den Deckel.

Michael, Jasper und Amalia blickten hinab in die Schatulle. Ein ledernes Kästchen war zu sehen, eine seltsame lederne Rolle und ein schwerer, versiegelter Briefumschlag. Prinz Ferdinand ergriff die lederne Rolle und hob sie heraus. »Unsere Familie bewahrt diesen Teil seit Generationen. Von einem Sohn zum anderen wurde es weiter vererbt! An sich wäre es an deinen Bruder Georg gegangen, Michael!«

Dieser nickte. »Er kann sie auch wiederhaben, wir...«, er seufzte. »Wir leihen sie uns nur aus!«

Ferdinand von Hohenzollern nickte. »Also gut, in diesem Fall. Und weil mich ein Eid und unsere Familienehre bindet!« Mit einem leichten Zögern reichte er Michael die Rolle. Dieser nahm sie entgegen und begann, die Verschnürung zu öffnen. Ein lederner Deckel öffnete sich und gab den Blick auf das Innere frei. Michael zog vorsichtig eine in Ölpapier eingewickelte kleine Rolle hervor. Mit nervösen Fingern löste er das Siegel, das bereits sehr brüchig war. Unter dem Ölpapier wurde ein Stück Pergament sichtbar. Michael holte einmal tief Luft. Er löste das Pergament aus seiner Umhüllung und legte es vorsichtig auf den Tisch.

Auch nicht weniger nervös öffnete Jasper nun die Ledermappe und entnahm ihr den zweiten Teil der Karte, legte sie neben das sein Gegenstück. Nach Jahrhunderten war die Karte wieder eins.

Berlin, Villa Hohenzollern,

9. November, 17:44 Uhr

»Mit dem letzten Teil habe ich noch einige Schwierigkeiten«, erklärte Prinz Alexander. »Ich werde Robert anrufen und es mit ihm besprechen. Aber ich schicke euch jetzt die Übersetzung und meine Anmerkungen rüber!« Er klang aufgeregt. »Ich wünschte, ich könnte euch begleiten, aber mein Arzt verbietet mir, das Haus zu verlassen! Haltet mich auf dem Laufenden!«

»Werden wir, Onkel Alexander!«

»Pax vobiscum, Fratres!«

»Pax tecum, Frater!«, antwortete Michael und legte auf.

Mit einem Piepsen meldete sich das Faxgerät. Langsam zitterte das Blatt aus dem Gerät, gefolgt von einem weiteren. Prinz Alexander hatte ganze Arbeit geleistet. Auf mehreren Seiten hatte er den ursprünglichen Text, den ihm Michael und Jasper per Fax geschickt hatten, übersetzt. Natürlich hatten die beiden nicht die Originalseiten in das Faxgerät gesteckt. Prinz Ferdinand hatte die Karte mit seiner neuen Digitalkamera fotografiert und Michael an dessen PC die Seiten entsprechend vergrößert und ausgedruckt. Diese hatten sie zu Prinz Alexander gefaxt, ihrem Spezialisten für alte Sprachen.

»Da ist es!« Jasper nahm das erste Blatt aus dem Fax. Michael an seiner Seite begannen sie zu lesen. »Da haben wir aber eine Fahrt vor uns!«, meinte Michael nachdem er den ersten Teil gelesen hatte. Jasper nickte.

Ferdinand von Hohenzollern nickte zustimmend. »Ich wünschte, ich könnte mitkommen, aber ich muss morgen in Bremen sein! Ich kann die Verhandlungen nicht mehr absagen!«

»Das wäre ein Albtraum!« ,stimmte Amalia zu. »Eigentlich sollten wir schon auf dem Weg sein!«

»Nehmt den Zug und ich reserviere euch einen Mietwagen«, meinte Ferdinand. »Und seid um Himmels Willen vorsichtig! Wer weiß, was diese Karlsritter sonst noch anstellen! Onkel Alexander haben sie schon niedergeschlagen!«

»Lass mal, Papa. Das geht schon gut!« Michael lächelte seinem Vater zu. Dieser seufzte. »Wenn euch wenigstens jemand begleiten könnte!«

»Ach, uns passiert schon nichts! Jasper passt doch auf mich auf!«, meinte Michael grinsend.

Ferdinand von Hohenzollern nickte. »Und wer passt auf ihn auf?«

»Ich natürlich!« erklärte Michael, woraufhin Jasper auflachte.

»Wann wollt ihr aufbrechen?«, fragte Amalia.

»In einer Stunde«, meinte Jasper. »Wir suchen nur schnell noch ein paar Sachen zusammen! Und ich muss noch mit meiner Mutter telefonieren!«

»Kann ich mit ihr sprechen?«, fragte Michaels Mutter. »Ich denke, es ist leichter, von Mutter zu Mutter solche Dinge zu erklären!«

Jasper sah sie erfreut an. »Danke!«

»Kein Problem!« Amalia lächelte. »Immerhin gehörst du zur Familie!«

Michael strahlte bei den Worten seiner Mutter.

Kapelle der Heiligen Drei Könige,

10. November, 14:33 Uhr

»Da wären wir also!« Michael schüttelte den Kopf und blickte sich um. Die einstige Kirche war verfallen und alt. »Kaum zu glauben, dass es hier mal eine Stadt gegeben haben soll!«

Jasper zog die Mütze, die ihm Michael geliehen hatte, tiefer ins Gesicht. »Es ist schweinekalt!«

»Ziemlich sehr, doch!«

Sie hatten ihren Mietwagen in einiger Entfernung abgestellt und waren den Weg bis zur alten Kirche zu Fuß gegangen. Vor ihnen ragte eine die kleine Kapelle auf, einst eine kleine Pfalzkapelle.

»Komm!« meinte Michael und ging voran. Jasper folgte ihm.

Sie betraten die kleine Kapelle und blickten sich um. Nur kalter, grauer Stein war zu sehen. Das einstige Dach der Kapelle war abgetragen. Die Wintersonne schien in die kalten Mauern, doch vermochte sie nicht die Umgebung zu wärmen. Die Bodenplatten lagen schief. Ein kleiner Altar, ein einfacher, schwerer Stein, lag vor einer kleinen Nische.

»Wo der Kaiser/Imperator/Augustus den Heiligen Waisen zum oder aus dem Morgen seine Ehrerbietung erwies, folgt dem Heiligen Stern. Er weist euch den Weg zum Einzigen!«, las Michael erneut die letzten Zeilen. Kopfschüttelnd blickte er sich um. »Der Heilige Stern! Wo sollen wir hier den Heiligen Stern finden?«

Jasper zuckte müde die Achseln. »Sämtlichen Schmuck hat man hier schon vor Jahrhunderten weggeschafft!«

Er blickte sich um. Der graue Stein war rau, die Wände unverputzt. Er schüttelte den Kopf. »Wenn hier einst ein Kaiser gebetet hat, dann war es aber eine verdammt armselige Kaiserkapelle!« Er trat zu dem kleinen Altar und blickte auf diesen herab. Nichts, keinerlei Verzierungen deuteten auf einen Stern hin. Michael trat zu ihm. Die beiden sahen sich ratlos an.

»Hier werden wir auch keinen Keller oder eine Krypta finden!«, meinte Michael.

Jasper lachte auf. »Nein, das bezweifle ich wirklich!«

Die Kapelle war nicht groß, und bald hatten sie jeden Winkel abgesucht, ohne Erfolg. Jasper seufzte. »Wenn es so einfach wäre, dann wäre er sicherlich auch früher schon durch Zufall gefunden worden!«

Michael nickte. »Irgendwas müssen wir übersehen!« Er blickte auf die Kopien der Karte und die Übersetzungen seines Onkels.

Jasper trat aus dem kleinen Gotteshaus und wanderte ein Stück weiter, umrundete es und suchte nach Spuren. Doch nichts fand er. Bald eine Stunde suchten sie nun schon, und Jasper wurde langsam ungemütlich kalt. Er blickte zum Himmel und betrachtete die grauen Wolken. Wenn sie Pech hatten, dann würde es bald schneien. Weihnachten wäre auch bald. Er schüttelte den Kopf. Der Heilige Stern hatte doch die Ankunft Jesus’ den Weisen aus dem Morgenland gewiesen. Sie waren aus dem Morgenland gekommen. Morgen! Jasper blickte auf.

»Michael, wo ist Osten?«

Michael starrte seinen Freund an. »Warum?«

»Der Morgen! Die Weisen kamen aus dem Osten. Da liegt der Stein. Im Osten!«

Ein Leuchten ging über Michaels Gesicht. Er blickte auf seine Armbanduhr, die einen eingebauten Kompass hatte. »Hier!« Michael führte seinen Freund, die beiden blickten sich an. Eine Ecke der Kapelle zeigte genau nach Osten!

Jasper und Michael ließen sich vor der Ecke nieder. Die Bodenplatten lagen uneben, durch die Witterung verschoben. Michael nahm den Klappspaten zur Hand, den er mitgebracht hatte und trieb ihn zwischen die Bodenplatte in der Ecke. Mit vereinten Kräften hoben sie die Platte an und wuchteten sie zur Seite. Darunter kam eine Schicht Kieselsteine zum Vorschein. Michael und Jasper wischten sie beiseite und starrten auf eine kleinere Platte vor ihnen. Sie war aus Stein. Auf ihr prangte ein Kreuz und dahinter ein zweites, um fünfundvierzig Grad versetzt.

»Der Heilige Stern!« Jasper schüttelte den Kopf. »Wir haben ihn gefunden!«

Michael schluckte. Er setzte den Spaten an. Gemeinsam hoben sie die kleine Steinplatte an und dann zur Seite. Ein kleiner Hohlraum war darunter zu sehen. Eine kleine Kiste aus brüchigem Holz darin. Michael und Jasper starrten sich an. Gemeinsam, ohne dass es Worte bedurfte, hoben sie die Kiste heraus. Die Kiste zerbrach unter ihrem Zugriff. Ein starrer, harter Lederbeutel kam zum Vorschein.

Er war so hart, dass Jasper ihm schließlich mit seinem Taschenmesser zu Leibe rückte. Das harte Leder wiederstand dem Messer nur einen Moment. Purpurner Stoff kam zum Vorschein. Kostbar mit Goldfäden durchwirkt. Eine Münze fiel herab. Sie schimmerte matt golden. Auf ihrer Vorderseite war das Wappen der Ritter vom Heiligen Stern geprägt. Die Rückseite zeigte die Drei Weisen aus dem Morgenland. Michael steckte die Münze sorgfältig ein. Jasper löste das Päckchen vom restlichen Leder, dann schlug er den Stoff beiseite.

Es war sicherlich nur ein Zufall, doch in diesem Moment brach für eine Sekunde die Sonne hervor und der Stein auf Jaspers Handfläche flammte auf wie eine hell lodernde, rotweiße Flamme. Myriaden von Lichtsternen funkelten in ihm, dem Waisen.

München, Hofbräuhaus,

11. November, 14:26 Uhr

»Ich finde, das ist der bescheuertste Ort, den man sich für eine Übergabe hat aussuchen können!«, erklärte Jasper. Er blickte sich in dem vollen Saal des Hofbräuhauses um. Japanische Touristen, manche von ihnen in original bayerischer Lederhose, waren die Mehrzahl der Besucher. Doch auch eine Menge anderer Touristen fanden sich hier.

»Es hat was für sich«, brummte Michael. »In dem Gewusel kann man schnell verschwinden!«

Sie hatten von Onkel Alexander die Mitteilung erhalten, dass man sich im Hofbräuhaus in München um 14:30 Uhr treffen würde. Die Karlsritter würden den Codex gegen den Waisen austauschen. Man hatte einen Tisch auf den Namen „Holzmichl“ reserviert. Michael und Jasper blickten unruhig umher, als sich ein Mann in bayerischer Tracht zu ihnen an den Tisch setzte.

»Grüß Gott!« Er nickte ihnen zu.

»Tag!«, antworteten Michael und Jasper gemeinsam.

»Ihr seid’s net von hier, oder?«

»Wir kommen aus Skyros!«, lautete die Antwort.

»Ich komme aus Karlstein!«

Wie in einem Geheimdienstfilm hatte man sich auf eine Codeabfolge von Sätzen geeinigt, um einander zu identifizieren. Der Fremde nickte ihnen zu. »Ihr habt ihn?«

»Ja, haben wir!«, erklärten die beiden Jungen.

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich wusste, dass der Orden spinnt, aber Kinder hineinzuverwickeln!« Er brummte vor sich hin. »Nun gut! Eure Sache! Wo ist er?«

»Wo ist der Codex!«

Der Mann blickte auf, und als sie seinem Blick folgten, sahen sie einen zweiten Mann mit einem grünen Filzhut, der, eine einfache Tüte in der Hand, auf einer Bank ein paar Tische weiter saß.

»Machen wir es einfach«, meinte Jasper. »Mein Freund geht rüber und sieht sich das Buch an. Sie können den Stein sehen!«

Der Mann nickte. »Einverstanden!«

Michael erhob sich. Onkel Alexander hatte ihm genau erklärt, wie das Buch zu identifizieren war. Jaspers Blicke folgten ihm. Als Michael ihm zunickte, zog er einen kleinen Stoffbeutel heraus, den er dem Mann reichte. Dieser öffnete ihn, blickte hinein und schluckte. Er schien einen Moment benommen, dann nickte er.

»Ihr habt euren Teil eingehalten, der Codex ist euer! Der Herr mit euch!«

»Pax tecum!«, zischte Jasper und erhob sich. Er trat zu Michael, der die Tüte mit dem Codex an sich nahm, und gemeinsam verließen sie das Hofbräuhaus.

Zug der Deutschen Bahn von München nach Bremen,

11. November, 17:32 Uhr

Michael und Jasper lagen in ihren Sesseln. Man hatte ihnen ein Ticket 1. Klasse gebucht, und so saßen die beiden bequem. Die Hände miteinander verschränkt schliefen beide. Die Anstrengung der letzten Tage forderte ihren Tribut. Noch in München hatten Mitglieder des Ordens ihnen den Codex abgenommen. Im Ordenhaus in München hatte sich eine kleine Delegation aus Skyros eingefunden unter der Leitung des Großkomturs des Ordens, Marcus Antvares. Überschwänglich hatte dieser den beiden Jungen gedankt und versichert, man würde ihren Einsatz niemals vergessen. Man würde sie in Leipzig kontaktieren.

Dann hatte man sie zum Zug gebracht und mit den besten Segenswünschen in den ICE nach Bremen gesetzt, wo sie Michaels Familie und Jaspers Mutter erwarten würde, der Michaels Mutter mittlerweile die Wahrheit beigebracht hatte. Jaspers Mutter war natürlich anfänglich ein wenig aufgebracht gewesen, doch dann machte ihre Aufregung dem Stolz auf ihren Sohn Platz.

Jasper und Michael schliefen lange. Als sie erwachten, war es bereits tief dunkel. In einer Stunde würden sie in Bremen ankommen, und dann konnten sie morgen endlich mit Jaspers Mutter nach Hause. Zur Feier des Tages hatte Michaels Vater jedoch beschlossen, die Familie, zu der er auch Jasper und seine Mutter zählte, in das beste Restaurant der Stadt einzuladen. Seine Verhandlungen ließen seine Abwesenheit zwar nicht zu, aber die Abende konnte er mit seiner Familie verbringen.

Sicher in ihren Innentaschen trugen Michael und Jasper je ihren Teil der Karte. Auch, wenn der Waise nun der Vergangenheit unwiederbringlich angehörte. Die Karlsritter hatten mit ihrem Plan nach Jahrhunderten gewonnen. Es war Michael und Jasper gar nicht recht, dass diese sogenannten Ritter einfach so davon kamen, aber wie Onkel Alexander es so treffend gesagt hatte: Es gibt Tage, da gewinnt man, und Tage, da muss man verlieren!

Die beiden hingen ihren Gedanken nach, bis sie die Stimme des Schaffners hörten. »Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Bremen Hauptbahnhof! Sie haben dort Anschluss...«

Michael und Jasper blickten einander in die Augen. Dann standen sie auf, nahmen ihre wenigen Sachen an sich. Sie küssten sich, als der Zug in den Bahnhof einfuhr.

Bremen, Restaurant Vier Jahreszeiten,

11. November, 23:02 Uhr

Die Familie Hohenzollern hatte sich mit den beiden Grims das Essen wahrlich munden lassen. Michael und Jasper waren natürlich die Helden des Abends. Immer und immer wieder mussten die beiden einen Teil ihrer Geschichte erzählen. Sämtliche Einzelheiten wollten ihre Eltern und Michaels Bruder Georg erfahren, den man heute aus dem Krankenhaus entlassen hatte. Jasper und Michael hatten einen umfassenden Bericht abgeliefert, allein einige kleinere Details hatten die beiden im gemeinsamen, ungesprochenen Einverständnis für sich behalten.

Die Eltern und Georg waren voll des Lobes für die beiden, auch, wenn es Ferdinand von Hohenzollern nicht lassen konnte, ihnen vorzuhalten, was alles schreckliches hätte passieren können. Doch seine Frau brachte ihn diesmal schnell zum schweigen.

Als nach dem Dessert der Kaffee serviert wurde, entschuldigte sich Jasper und ging zur Toilette. Michael folgte ihm kurz darauf. Die beiden standen nebeneinander und grinsten sich in dem Spiegel gegenseitig an, der vor ihrer Nase hing. Nachdem sie sich die Hände gewaschen hatten, küssten sie sich.

»Habe ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?«, fragte Michael.

Jasper schüttelte den Kopf. »Nope, aber tu dir keinen Zwang an!«

»Ich liebe dich unglaublich, riesig!«

»Ich dich noch viel mehr!«

Und dann grinsten sich die beiden an. »Bäh, wie kitschig!« Und lachten laut heraus. Sie hatten mal wieder den gleichen Gedanken gehabt. Lachend verließen die beiden die Toilette.

»Jasper Grim? Michael von Hohenzollern?«

Die beiden Jungen blickten lachend auf, als sie ihre Namen hörten. Ein junger Mann, ein paar Jahre älter als sie beide, stand ihnen gegenüber. Misstrauisch blickte Michael ihn an. »Was können wir für Sie tun?«

Der Angesprochene lächelte und seine tiefblauen Augen funkelten. »Mit besten Grüßen aus Skyros!«, erklärte er und reichte den beiden ein kleines Paket in festem Packpapier. Jasper nahm es an sich. »Pax vobiscum, Fratres!« Der Mann deutete eine leichte Verbeugung an.

»Pax tecum, Frater!«, erwiderten beide leise. Sie blickten dem Mann nach, der rasch das Restaurant verlies und in der Dunkelheit verschwand.

Zurück am Tisch berichteten sie ihren Familien von dem seltsamen Ereignis. Michael stupste Jasper an. »Mach auf!« Er deutete auf das Paket. Jasper lies sich nicht lange bitten. Er zerriss das schwere Packpapier, und eine kleine Pappschachtel kam zum Vorschein. Er öffnete diese und heraus fielen drei Kästchen mit purpurrotem Samt bezogen und ein Brief. Michael öffnete den Brief und begann leise vorzulesen:

»Lieber Michael, lieber Jasper,

hiermit möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei Euch für Euren Einsatz, Euren Mut und Eure Tapferkeit bedanken. Ohne Euch wäre unser geliebter Orden dem Untergang geweiht gewesen. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie dankbar ich in diesem Moment bin. Seid versichert, Eure Tat wird vom Orden niemals vergessen werden. In tiefer Dankbarkeit für die geleisteten Dienste übersende ich Euch diese beiden Ringe, nicht als Erinnerung, denn als ein Versprechen:

In einem Jahr von heute an lade ich Euch ein, uns auf unserer Insel in Skyros zu besuchen und trage Euch hiermit die Ritterschaft im Souveränen Orden der Ritter des Heiligen Sterns zu Bethlehem zu Skyros an.

Möge das Licht Euch segnen und beschützen und der Heilige Stern Euch leuchten!

Pax vobiscum, Fratres!

In tiefer und ewiger Dankbarkeit,

Umberto Antonio Fraticelli

Großmeister

P.S. Bewahrt, wie Ihr es gelobt habt und was wahrlich Euer ist. U:A:F«

Vorsichtig öffneten die beiden Jungen die zwei Ringschatullen. Zwei goldene Ringe waren zu sehen, in ihrer Mitte je ein schwerer Rubin, der rot und geheimnisvoll funkelte. Im Inneren der Ringe war das Wappen des Ordens eingraviert. Staunend betrachteten die beiden die Ringe.

Dann nahm Michael das letzte Kästchen und hob den kleinen Deckel ab. Jasper und er blickten hinein und erstarrten. Im Licht der Kerzen funkelte, geheimnisvoll, myriadenfach und in unendlicher Schönheit, der Waise.

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