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Der Weihnachtsmann

Weihnachtschallenge 2009

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„Autsch!“ Mühselig rappelte sie sich wieder vom Boden auf. „Scheiß Blitzeis!“ Vor Wut schäumend schmiss sie das Regal mit den Weihnachtskeksen um. Mich immer noch vor Lachen krümmend, half ich der Fee vom Boden auf.

„Jaja, lach du nur!“, beleidigt klopfte sie sich den unsichtbaren Dreck von den Klamotten. Jedenfalls musste er unsichtbar sein, denn ich sah keinen. „Schau, was du angerichtet hast“, verwies ich sie tadelnd auf die auf den Boden herumfliegenden Kekse.

„He ihr da!“, schallte es von der Ladentheke unfreundlich zu uns herüber. „Macht das wieder in Ordnung. Und die kaputten bezahlt ihr!“ Mit raschen Schritten war der Verkäufer bei uns, ein älterer Herr mit beginnender Glatze und einem griesgrämig verzogenem Gesicht.

Beschwichtigend hob die Fee ihre Hände. „Ist ja schon gut, nur keine Panik.“

„Ich warte“, fast schon trotzig verschränkte er seine Arme vor der Brust. Die Fee rollte nur mit den Augen und begann all den Süßkram wieder vom Boden aufzuklauben. Ich als edler Gentleman half ihr natürlich.

Laut meckernd verließen wir schließlich den Laden. Nach der Eskapade mit den Keksen war meiner temperamentvollen Begleitung die Lust vergangen noch Geld loszuwerden.

„Die Schokolade dort war ohnehin schlecht, das habe ich gerochen! Du musst wissen, wir Feen – erm ich meinte… meine Familie hat eine hervorragende Nase und wir riechen so etwas von mehreren Metern weit, auch durch dichteste Verpackung hindurch. Die Elfen dagegen sind wahre Jammerlappen… also ich meinte Freunde von meiner Familie…“

„Stop“, unterbrach ich ihren wirren Redeschwall, „du musst dich nicht mehr verbessern.“ Ich grinste sie an, „du hast dich nämlich schon gestern so dermaßen verplappert, dass ich mittlerweile weiß, was du bist. Und du hast es mir auch schon durch Demonstration bewiesen. Gerade eben übrigens auch wieder, oder seit wann kann ein Mensch zerbröselte Kekse wieder zu ganzen werden lassen?“

Mit einem schon leicht blöden Gesichtsausdruck starrte sie mich an. „Eh, ja. Entschuldige, aber das ist Gewohnheit. Normalerweise ist es uns nämlich höchst verboten, den Menschen unsere Identität preiszugeben. Aber!! Ich bin nicht die einzige die darin versagt. Oder woher kommen sonst die ganzen Weihnachtsgeschichten mit dem Weihnachtsmann, den Elfen und dem ganzen anderen Kram?“

„Es gibt einen Weihnachtsmann?“, überrascht riss ich die Augen auf. Diesen dicken vollbärtigen Typ mit dem roten Schlafanzug… eh Entschuldigung, dem roten Mantel gab es tatsächlich? „Gibt es dann auch Rudolph das Rentier?“

Beleidigt verzog sie das Gesicht und vergrub ihre Hände tiefer in die Taschen ihres Mantels. „Ja, es gibt einen Weihnachtsmann“, bei seiner Erwähnung verdüsterte sich ihre Miene unmerklich „und Rentiere gibt es auch, kann auch sein, dass eines oder sogar mehrere davon Rudolph heißen, allerdings ist mir noch keines mit einer roten Leuchtnase begegnet. Würde ja auch zu dämlich aussehen…“

„Wieso?“, fragte ich leicht dümmlich.

„Na hör mal… wie würde das denn aussehen, wenn du mit einer roten leuchtenden Nase durch die Welt rennen würdest?“ – „Okay, okay… gibt es Gremlins?“

„Schluss jetzt.“ Entschieden blieb sie stehen. „Ich habe gerade wirklich keine Lust über all den Blödsinn ausgequetscht zu werden. Viel mehr interessiert mich, wer dich denn so interessiert. Du weißt schon.“ Schälmisch zwinkerte sie mir zu.

„Ich weiß was?“

„Ach!“ Mit einer wegwerfenden Handbewegung drehte sie sich um. „Hier ist ein schlechter Platz um darüber zu reden.“ Wir standen mitten in der Fußgängerzone, die zwar nicht übervoll, aber auch nicht gerade leer war. Der große Weihnachtssturm hatte die Läden noch nicht erreicht, aber seine Vorboten traten schon genug die Türen ein. Außerdem war es kalt. Am Morgen hatte eine dünne Schicht Schnee die Welt bedeckt, der allerdings im Laufe des Tages wieder geschmolzen ist. Doch der Wind war beißend und vor allem jetzt, am späten Nachmittag wurde es noch einmal merklich kühler.

„Hier“, triumphierend streckte sie den Arm aus. Ihr Finger wies auf irgendetwas, doch ich konnte es nicht erkennen, da gerade eine laute Truppe junger Teenager an ihr vorbeilief und das Zielobjekt bedeckte. Doch dann sah ich es – eine Cafeteria. Ich war noch nie dort gewesen, doch es sah von außen ganz gemütlich aus und so hatte ich nichts dagegen. Zudem konnte ich wirklich eine heiße Schokolade gebrauchen.

Wir suchten uns einen Tisch in einer leicht verdeckten Ecke aus. Oder vielmehr, sie suchte sich den Tisch aus, ich folgte ihr wie ein braver Hund. Ob sie nur auf mich diese Wirkung hatte oder auch auf alle anderen? Oder war das sogar so ein Feen-Ding?

„Also“, sie holte Luft und steckte gleichzeitig ihre Nase in die Karte „du lädst mich doch ein, nicht? Hach bist du nett, dass wird bestimmt wieder eine süße Geschichte dieses Jahr.“

„Hä?“, war mein geistvoller Beitrag dazu. Zu einer weiteren Bemerkung kam ich leider nicht mehr, da schon die Kellnerin angerauscht kam und voller Tatendrang ihren Bleistift zückte.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

„Ich nehme einmal diesen Weihnachtspunsch und für den Herrn eine heiße Schokolade mit extragroßer Sahnehaube und einem Keks“, bestellte sie gleich für mich mit, mich dabei angrinsend. Himmel, woher wusste sie was ich wollte und vor allem meine Vorliebe für die Sahnehaube? Der Keks war ihre Idee. Und natürlich bin ich wieder knallrot angelaufen. Warum ist es auch so heiß hier drin? Wer ist denn so verrückt und dreht die Heizung dermaßen auf?!

„Sonst noch etwas?“ – „Nein danke“, fast schon aristokratisch wedelte sie die Kellnerin praktisch von unserem Tisch fort.

Mit funkelnden Augen lehnte sie sich vor und stützte ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab. Obwohl ich sie erst seit gestern kannte wusste ich ganz genau, dass dieser Blick nichts Gutes bedeuten konnte.

„Da du meine Frage von vorhin wohl nicht verstanden hast, konkretisiere ich mich mal. Auf wen stehst du?“

Wären sie nicht festgewachsen, meine Augen wären aus ihren Höhlen gekullert, so groß wurden die auf einmal. Musste sie immer so direkt sein? Und vor allem, war es wirklich so offensichtlich? Ich habe mich bemüht, ja?! Und ich bin sogar der festen Überzeugung, dass ich mich beherrscht und keinem Typen hinterher geschaut habe. Woher also, Gott verdammt, wusste sie, dass ich schwul war? Oder wenigstens eine Ahnung hatte.

Mir wurde kalt, nein heiß… nein kalt… ach keine Ahnung. Ich schwitzte jedenfalls, ziemlich. Sollte ich sie anlügen? Aber würde sie das nicht merken? Ich meine, sie ist eine Fee… hey wach auf. Einer Fee wirst du es wohl doch noch beichten können. Schau, ist das nicht cool, die erste Person die davon erfährt ist eine Fee! Ich wette, das können nicht so viele von sich behaupten.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Dabei merkte ich gar nicht, dass ich sie wohl eine ziemlich lange Zeit einfach nur dumm angestarrt hatte.

„He, aufwachen. So kommst du auch nicht aus der Affäre raus. Wenn du nichts sagst, suche ICH dir nämlich jemanden aus!“ Irgendwie klang das bedrohlich in meinen Ohren, jedenfalls befreite es mich aus meinem Gedankenknäuel. „Erm… ja…“, begann ich loszustottern. Ich hätte nie gedacht, dass das so schwer sein würde… was war schon dabei zu sagen ‚Ich bin schwul‘? Und vor allem vor einer Fee. Feen sind doch von Herzen auf gut.

„Also…“, stockte ich wieder los. Abwartend hob sie eine Augenbraue. „Ja…“, ich räusperte mich, „ich mag J… Jungs“, das letzte Wort wisperte ich vielmehr als das man es wirklich als ‚sagen‘ bezeichnen könnte. Ich wartete vergebens auf die Welle der Erleichterung, die einem danach ja überfluten sollte. Mich schien sie irgendwie auszulassen.

Genervt rollte sie mit den Augen. Was war jetzt schon wieder los? Falsche Antwort? Oh scheiße, vielleicht hatte sie gar nicht gedacht, ich wäre schwul, sondern ganz harmlos die Frage gestellt, aber ich Depp hatte wieder das Schlimmste angenommen?

„Das weiß ich doch, du Idiot. Ich meine, auf welchen Jungen genau? Gibt es da einen Süßen in deinem Leben, dem du einfach auf den Arsch glotzen musst, sobald er in dein Blickfeld gerät?“ Bedröppelt starrte ich sie an. Sie hatte es gewusst. Eventuell sogar schon von Anfang an. Und sie schien kein Problem damit zu haben. Na danke, der ganze Stress war also umsonst. Hätte sie mir ja auch schon früher sagen können!

Die Kellnerin gewährte mir noch einmal kurze Schonfrist bevor ich auf den zweiten Part der Aussage eingehen musste.

Gedankenverloren starrte ich in meine Tasse, den Löffel in meiner Hand. Ja, gute Frage. Auf wen stand ich denn? Wer war mein Schwarm? Ich könnte ganz viele süße Jungs aufzählen, Sänger, Schauspieler… aber um solche Personen ging es gerade nicht. Es ging um welche, die in meiner realen Welt auftraten.

Genau ein Gesicht trat vor mein inneres Auge. Strahlend blaue Augen – nicht so ein verwaschenes graublau oder so ein ultrahelles blau, nein, ein tiefes, strahlendes Blau -, kurze mit Gel leicht verwuschelte Haare, eine süße kleine Stupsnase, schmale und sanfte Konturen. Timo, der Mädchenschwarm schlechthin unserer Schule. Und nicht nur Mädchenschwarm, sondern auch mein Schwarm. Aber da er natürlich Hetero ist, ist er für mich unerreichbar.

Als könnte sie meine Gedanken lesen, wurde ich wieder rot. Nie und nimmer würde ich ihr verraten, dass ich auf ihn stand. Sie würde mich auslachen. Hallo? Der Gedanke an ihn als meinen Freund war utopisch. Eher würde ich der Freund von Brad Pitt werden als von ihm. Okay, vielleicht nicht gerade Brad Pitt, aber ich denke, ich war mit diesem Beispiel verständlich genug.

„Also? Ich höre?“, neugierig lehnte sie sich weiter vor und versuchte mich mit ihren lila Augen zu durchbohren. Als ich diese das erste Mal sah, dachte ich ja, sie trüge farbige Kontaktlinsen…

„Nicht wieder mit deinen Gedanken abschweifen!“ Tadelnd klopfte sie auf den Tisch. „Was bist du auch für ein Träumer. Kein Wunder, dass du die ganze Zeit nur zu Hause in deinem Zimmer sitzt und Löcher in die Luft starrst. Wie heißt er?“ – „Timo.“ Stille entstand, bis ich realisierte, was ich gerade von mir gelassen hatte. Erschrocken schlug ich mir eine Hand vor den Mund. Oh sch… das war unfair gewesen! Sie hatte mich abgelenkt.

„Timo?“ Nachdenklich schlurfte sie ihren Weihnachtspunsch. „Du meinst den Timo? Der Star deiner Schule? … ja… ich glaube, ihr würdet ein sehr schnuckeliges Paar abgeben.“ Sie schaute mich regungslos an, studierte mein Gesicht, welches ich schnell hinter meiner Tasse verbarg. Über deren Rand konnte ich jedoch erkennen, dass sich ein breites Grinsen auf ihrem sichtbar gemacht hatte. „Na dann, Timo Jansen. Und ich hatte schon befürchtet, dass du dich in einen Hetero verknallt hast. Ist meistens der Fall, weißt du, aber ist nicht so tragisch, da es haufenweise süße schwule oder bisexuelle Schnuckel gibt. Doch bei dir ist es ja geradezu ideal!“

„Was?“ Hatte ich das gerade richtig verstanden? „Timo ist… aber woher weißt du das?!“

„Jungchen, ich bin eine Fee, schon vergessen? Und Feen sind dafür da, die Menschen durch das glücklich zu machen, was man nicht kaufen kann. Die Elfen wiederum machen die Menschen mit Materiellem glücklich, aber wirklich glücklich wird man ja nur durch… oh nein! Du bist unmöglich! Jetzt habe ich schon wieder zu viel erzählt. Alles deine Schuld, du hast so eine Aura um dich herum, da muss man einfach losplaudern. Hach! Wenn der alte Santa Claus das hören würde… aber das tut er ja nicht. Und der neue… urgh, schon wieder.“ Trotzig schloss sie resolut ihren Mund.

Interessiert spitzte ich meine Ohren. Der Neue?

„Denke nicht darüber nach! Vergiss es. Lass uns lieber darüber nachdenken, wie du dich mit Timo bekannt machen kannst“, versuchte sie meine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Was ihr leider auch halbwegs recht gut gelang. Timo… wollte sie wirklich versuchen uns zusammen zu bringen? Vielleicht würde das doch nicht wieder so ein tristes Weihnachten wie all die letzten Jahre zuvor werden…

Sie war verrückt. Aber was konnte man auch anderes von einer Fee erwarten? Wie war eigentlich nochmal ihr Name? Sie hatte ihn mir gestern Abend noch in der Cafeteria verraten. Er war ziemlich merkwürdig gewesen… also ihr Spitzname war Cala… das weiß ich noch. Irgendetwas mit ganz vielen a’s… Calalalala… nein. Aber war jetzt auch egal, dieses Problem befreite mich leider nicht von ihrer verrückten Idee, wie ich Timo kennenlernen sollte.

Ich hatte nichts mit ihm gemeinsam, er ging in die dreizehnte Klasse unserer Schule, ich in die zwölfte, also eine Stufe darunter. Er war im Fußballverein unserer Kleinstadt, und soll auch ziemlich gut sein. Das war auch schon alles, was ich von ihm wusste. Ach ja, er sollte zurzeit solo sein. Ein Grund unter vielen, warum er in den Pausen dauernd von tausenden von Mädchen umringt wurde. Doch laut Cala hatten die ohnehin keine Chance bei ihm.

Aber ich schweife ab, wie immer. Calas Idee. Der Ursprung meiner Alpträume der letzten Nacht. Ich sollte zu ihm hingehen… zu ihm hingehen! einfach so!!... und ihn nach Mathenachhilfestunden fragen. Laut ihrer dubiosen Quellen soll er ja ein Mathegenie sein. Wie klischeehaft ist das denn. Mathenachhilfestunden. Der lacht mich doch aus. Vor allem - ich habe keinerlei Probleme in Mathe. Aber das hatte Cala ja nicht hören wollen. Noch klischeehafter…

Jetzt stand ich hier in einer Ecke des Pausenhofs, die Mütze tief über meine Ohren gezogen, die Hände in der Jackentasche vergraben. Heute Nacht hatte es wieder Frost gegeben, die Straßen waren glatt gewesen. Dieses Jahr gab es wirklich gute Aussichten auf weiße Weihnacht, schließlich hatte das Wetter noch 6 Tage Zeit abzukühlen, so dass es Schnee geben konnte, der liegen blieb.

Timo stand etwa am anderen Ende des Platzes, dennoch konnte ich ihn ohne Probleme ausmachen. Einfach einen riesigen Pulk von Mädchen suchen und dann die Mitte anvisieren. Gut, vielleicht nicht ganz so extrem, aber die Situation war nahe dran. Nie und nimmer konnte ich da jetzt hingehen und ihn ansprechen. Jeder wusste auch was für ein Streber ich war. Naja, wenigstens die aus meiner Stufe, die mit mir gleiche Kurse belegten. Die anderen kannten mich wahrscheinlich gar nicht.

Doch natürlich beinhaltete der Pulk auch Mädchen meiner Kurse.

Ein Klingeln erlöste mich aus der Kälte. Nur leider blieben meine nagenden Gedanken. Woher wusste ich, dass ich nicht zu ihm hingehen würde? Und ich hatte es Cala gesagt, aber sie… ach vergesst es.

Hastig packte ich meine Schulsachen zusammen, als die Klingel ertönte. Schulschluss. Schnell nach Hause, nicht dass ich noch Timo sehe und mein Gewissen mich zwingt irgendetwas ganz schrecklich Dummes zu tun. War ohnehin heute der letzte Schultag… zweieinhalb Wochen Ferien. Yehaa… was werde ich wohl diesmal wieder Spannendes unternehmen? Im Zimmer sitzen? Lernen? Oder gar ein Buch lesen? Am besten dabei noch eine Tasse Tee trinken und sie dann ausversehen über das Bett kippen.

Ich war der erste an der Tür, was auch nicht oft vorkommt. Fast schon ängstlich öffnete ich sie, rauschte dann jedoch blind durch sie hindurch und prallte geradewegs gegen etwas warmes, aber auch festes Etwas. Ehe ich mich versah lag ich auf meinem Allerwertesten, der Schulranzen hing schwer an meinem Rücken und versuchte mich in die Käferhaltung zu ziehen. Zum Glück bin ich nicht gar so ein Schwächling und konnte ihm widerstehen.

Benommen starrte ich auf den Boden, mein Blick war halb durch die schief gerutschte Mütze verdeckt.

„Alles in Ordnung?“, ertönte es von oben auf mich herab. Oh mein Gott. Diese Stimme würde ich überall in jeder erdenklichen Situation erkennen, auch wenn ich sie nicht wirklich oft hörte. T i m o.

Langsam hob ich meinen Kopf, bis dieser fast in meinem Nacken lag, bedingt durch die nervige Mütze. Ich schaute geradewegs in diese blauen Augen. Ich könnte darin schwimmen.

„He Sascha, du blockierst den Weg“, meckerte es hinter mir schrill. „Hey Timo! Was für eine Überraschung, was tust du denn hier vor meinem Saal?“, quiekte die Stimme gleich überfreundlich los. Timo blickte wieder hoch. Irrte ich mich oder sah ich einen leicht genervten Zug, der sich jedoch schnell wieder in ein freundliches Lächeln wandelte?

„Hallo Sabine. Ich wollte mich noch mit Sascha unterhalten. Und da ich leider in Eile bin, habe ich dafür nicht allzu viel Zeit. Wenn du uns also entschuldigen würdest?“, gewinnend strahlte er sie an, und reichte mir dabei seine Hand um mir aufzuhelfen. Zitternd ergriff ich sie und wurde daraufhin durch einen festen Händegriff wieder auf meine Beine gezogen. Er wollte sich mit mir unterhalten? War das jetzt gut oder schlecht? Hatte er etwa meine Blicke bemerkt? Oh nein…

„Bye Sabine“, er winkte ihr mit einer Hand zu, die andere hatte immer noch meine fest umklammert, dann drehte er sich um und zerrte mich hinter sich her. Kann mir mal bitte einer verraten, was hier gerade abgeht? Danke.

Er bog mit raschen Schritten um eine Ecke und blieb abrupt stehen. Erst jetzt ließ er meine Hand los. „Hui, wie ich das hasse.“ Er lachte mich an. Hum, hatte er perfekte Zähne.

„Was?“ Mein Körper wusste nicht so recht ob er Symptome der Angst oder Freude aussenden sollte, so endete alles darin, dass ich unkontrolliert zitterte und dämlich grinste.

„Die Mädchen können manchmal verdammt penetrant sein. Egal wo man ist und was man macht, immer dieses quicken. Entschuldigung übrigens, dass ich dich einfach so entführt habe. Du warst in Eile nicht wahr? Und ich nerve dich dann auch noch mit meinen Problemen. Verzeihung.“ Er hatte Grübchen, wenn er lachte. Wie süüüüüüüüüüüüüß. Und sein Lachen ohnehin, so klar und frisch.

„Kein Ding“, atmete ich erleichtert aus. Er schien mich also doch nicht verprügeln zu wollen. Mein Grinsen vergrößerte sich.

„Ist irgendwas?“ Stirnrunzelnd fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, „Oder warum grinst du so?“

„Nein, ist nichts“, erwiderte ich weiter grinsend.

„Natürlich ist etwas!“, schrie es tadelnd hinter mir. Erschrocken zuckte ich zusammen. Nein, es war kein nervendes Mädchen… vielmehr eine nervende Fee. Wobei man diese auch unter Mädchen zählen könnte.

Schwungvoll trat Cala neben mich. Woher sie jetzt wieder kam?

„Höre nicht auf ihn, manchmal schaltet sich sein Gehirn ab oder vielmehr er ist mit allem möglichem anderem Zeug beschäftigt, nur nicht mit dem gerade Wesentlichen. Ich bin übrigens Cala… und du bist Timo, ich weiß. Ich bin eine Freundin von Sascha.“ Sie streckte ihm ihre Hand hin, die er überrumpelt ergriff.

„Hallo Cala.“

„Hast du heute Abend schon was vor? Sascha und ich wollten ins Plump und bisschen feiern. Seine Ferien willkommen heißen, du weißt schon.“

Irritiert schaute ich die Fee an. Plump? Was war das?

„Oh, ich habe zwar schon was vor, aber zufälligerweise werde ich auch mit meinen Freunden ins Plump gehen. Dann sieht man sich ja“, lächelte er leicht verunsichert. Cala schien ihn schier zu überfahren.

„Super. Dann bis heute Abend.“ Sie winkte ihm zu, packte meinen Arm und zerrte mich hinter sich her. Das heute jeder mich irgendwohin zerren musste? Hilflos hob ich meine Hand zum Abschied, und schon war er aus meinem Blickfeld verschwunden.

„Plump? Was ist das?“, erkundigte ich mich, während sie mich durch die Gegend zog. Sie antwortete allerdings erst, als wir an einem Auto stehen blieben, ein kleines limettengrünes Ding. Ich wusste gar nicht, dass sie ein Auto hatte. Wie alt war sie eigentlich? Wie alt wurden überhaupt Feen?

„Du weißt nicht was das Plump ist? Okay, ich gebe zu der Name ist horrorartig… wer hat sich das nur ausgedacht? Jedenfalls, dass ist DIE Jugendbar der Stadt. Hauptkunden Jugendliche von 16 bis 17 Jahre… die 18-Jährigen gehen dann meist in Schuppen ab 18. Dein Timo ist zwar schon volljährig, aber ein paar seiner engen Freunde nicht. Übrigens läuft da heute ein Weihnachtsspezial. Wird witzig, Elfen haben das organisiert.“ Sie schubste mich zwinkernd auf den Beifahrersitz und ließ sich dann selbst hinters Steuer fallen, um das kleine Gefährt anschließend mit quietschenden Reifen zu starten.

Vermerk: Feen können nicht Autofahren – jedenfalls nicht lebensUNgefährlich. Ich kann immer noch nicht fassen, wie sie es geschafft hat, uns heil und ohne Schaden zu mir nach Hause zu manövrieren. Vor allem es war glatt auf den Straßen. Der Streuwagen hatte heute anscheinend frei gehabt.

Meine Mutter hatte es mit der Heizung wieder übertrieben und sie volle Kanne aufgedreht. Aber ganz ehrlich? Ich war froh darum! Ich friere nämlich ziemlich schnell… kam auch schon vor, dass ich bei 30°C in der prallen Sonne gefröstelt habe. Ein Grund warum ich den Winter nicht so mag. Weihnachten an sich ist eigentlich ganz ok, man wird so schnell romantisch, was ja schön ist. Nur manchmal ist Weihnachten auch einfach nur frustrierend. Wie all die letzten Jahre. Irgendwie steigt das Verlangen nach jemandem zum Kuscheln während dieser Zeit enorm. Und ich hatte natürlich niemanden. Wie auch? Ich habe ja nicht einmal wirklich Freunde. Also nicht so flüchtig-oberflächliche-nette Bekanntschaften, sondern Freunde.

„Hui, gemütlich habt ihrs hier.“ Cala schaute sich neugierig in unserem Flur um und schälte sich derweil aus ihrem Mantel. Ich kann vieles über meine Mutter sagen, aber nicht, dass sie einen schlechten Geschmack hat. Unser Haus hatte sie dezent aber absolut goldig weihnachtlich geschmückt. Über der Wohnzimmertür hing ein Kranz von Tannenbaumzweigen, auf dem Tischchen neben der Garderobe hatte sie liebevoll Kerzen aufgestellt. Aber das Beste war immer noch der Duft. Ein leichter Zimtgeruch lag in der Luft, dessen Ursprung aus der Küche herrührte.

Genau dorthin begab ich mich jetzt auch, Cala auf den Fersen. „Hey Mum“, begrüßte ich meine herzallerliebste Mutter, die geschäftig vor dem Backofen herumwerkelte. Beiläufig blickte sie in meine Richtung und richtete ihre Aufmerksamkeit dann wieder vor sich auf… Kekse? Bitte lass es Kekse sein! Meine Mutter ist echt der Starbackkoch in Sachen Weihnachtskekse. Spekulatius dürfte doch allseits bekannt sein, nicht? Schmecken lecker, findet man an jeder Ecke zu kaufen. Aber die schmecken bei weitem nicht so gut wie Mamas Spekulatius. Ein wahrer Traum. Göttlich… ich könnte für sterben. Sie hatte mir schon versucht beizubringen, die selbst zu machen, aber irgendwie schmecken ihre immer noch besser. Ich habe wohl den Dreh noch nicht ganz raus.

„Hallo Frau Kammer!“, flötete Cala hinter mir und schob sich in den Vordergrund. Überrascht schaute meine Mutter wieder auf. Sie hatte die Fee hinter mir nicht bemerkt, hatte wohl auch gar nicht damit gerechnet, dass ich nicht alleine nach Hause gekommen bin. Wieso auch, hatte ich eigentlich jemals irgendwen mit nach Hause genommen? Ich kann mich nicht daran erinnern.

„Huch, Besuch?“ Mum richtete sich auf und musterte Cala neugierig. Hoffentlich dachte sie jetzt nicht das Falsche. Mütter haben manchmal ja so krude Gedanken…

„Ja“, lachte die Fee. „Ich bin Cala, eine Freundin von Sascha. Ich freue mich ja so, sie endlich kennenzulernen. Und wie ich sehe haben sie wieder ihren berühmten Spekulatius gebacken? Sascha hat mir schon so viel davon erzählt! Später müssen sie mir unbedingt verraten, wie sie den so hingezaubert bekommen.“ Ähm… okay. Ich hatte ihr definitiv nichts von meiner Mutter und ihrem Spekulatius erzählt.

„Oh, natürlich“, strahlte Mum die Fee nichts ahnend an. „Willst du einen probieren? Sind noch warm!“

„Klar.“ Die beiden Damen lächelten praktisch um die Wette. Hilfe, wo war ich wieder gelandet. Um Beschäftigung zu bekommen, klaubte ich mir auch schnell einen Spekulatius.

„Sascha, warum hast du Cala mir gegenüber denn nie erwähnt?“, neugierig richtete Mum ihr Visier wieder auf mich.

„Ja… weiß nicht. Irgendwie gab es nie die Gelegenheit dazu“, versuchte ich mich aus der Klemme zu retten. Verdammt Cala, ständig brachte sie mich in unbehagliche Situationen!

Mir nicht wirklich meine Aussage abnehmend, zog sie eine Augenbraue hoch, beließ es dann aber zum Glück dabei.

„Essen gibt es in einer halben Stunde. Bitte bis dahin nicht den ganzen Keksvorrat plündern, sonst habt ihr keinen Hunger mehr. Du isst doch mit uns Cala, oder?“

Die Fee nickte. „Ja, hatte ich eigentlich vor.“

„Ok, rufst du uns dann Mum? Wir gehen hoch in mein Zimmer.“

„Ja ist gut. – Ach übrigens, nicht wundern, deine Gardinenstange ist herunter gekracht. Papa wollte sie eigentlich wieder befestigen, doch heute Morgen war dann so viel Stress und er durfte ja seinen Flug nicht verpassen. Er wird es aber wieder richten, wenn er wieder da ist.“

„Flug?! Habe ich irgendetwas nicht mitgekriegt?“, wirbelte ich geschockt wieder herum.

„Oh, stimmt ja, du warst gestern Nachmittag ja nicht da. Dein Vater hat kurzfristig einen Auftrag bekommen, der es ihm leider unvermeidlich macht, die nächsten Tage in China zu verbringen. Sein Flug ging heute Morgen los.“

Genau das ist meine Familie. Es wird einem einfach mal verschwiegen, dass der eigene Vater die nächsten Tage in China verbringen wird, und das zur Weihnachtszeit! Außerdem hatte ich ihn gestern Abend auch noch gesehen! Was waren seine Worte zu mir gewesen? ‚Gute Nacht Sohnemann‘… wie jeden Abend. Meine Eltern konnten manchmal echt ignorant sein.

„Toll, dass ich das auch mal erfahre“, ließ ich auch meinem Unmut Luft. „Und wann ist er wieder da?“

„Am 23.12. Also keine Angst, an Heiligabend ist die Familie wieder komplett“, lachte meine Mutter mich zuckersüß an. Ich schnaubte nur wütend und stapfte, Cala im Schlepptau, die Treppe hoch.

Oh mein Gott, so werde ich das Haus ganz bestimmt nicht verlassen. Die letzten Stunden hatte ich weitestgehend im Badezimmer verbracht, Calas Folter stumm ertragend. Was hat die Fee bitte schön mit meinen Haaren angestellt? Ich gebe zu, meine alltägliche Frisur ist nicht gerade der Hit… ich belasse meine Haare so wie sie sind, wenn ich aus dem Bett krabbele. Somit sind sie eigentlich immer ziemlich platt und lasch. Da ich sie aber auch einigermaßen kurz trage ist das nicht so tragisch.

Jedenfalls, Cala hat bestimmt eine Tonne Gel hinein geschmiert und jetzt standen sie verwuschelt in alle Himmelsrichtungen ab. Nicht dass das unbedingt schlecht aussah – nur es war so anders und damit gewöhnungsbedürftig. Aber das wirklich schlimme waren nicht die Haare, sondern meine Klamotten. Nein, das stimmt nicht. Es waren gar nicht meine, sondern Calas. Nein, nein, ich trug keine Frauenklamotten. Die Fee hatte komischerweise in ihrem Auto Stofffetzen gefunden, die sie als absolut hippe Kleider zufällig in meiner Größe titulierte. Die Jeans war eng, das T-Shirt war eng und … ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Es hatte rote Strasssteine vorne drauf in der Form eines… ja was für eine Form eigentlich? Ich sah nur ein rotes Wirrwarr. Wenigstens hatte sie meine Schuhe akzeptiert und meine Unterhose… ach ja und die Socken. Also war ich wohl doch nicht vollkommen hoffnungslos in Sache Mode…

Meine Mutter hat mich die erste Minute nur sprachlos angestarrt, als wir die Treppe heruntergepoltert kamen. Die nächsten Minuten wurde sie von der Fee zugequakt, die ihr in bunten Worten das ‚Plump‘ beschrieb und wie sicher es doch sei und so weiter. Ich hatte nicht wirklich zugehört, da mich irgendwie die Ahnung beschlich, dass nicht alles ganz so genau stimmte, was die Dame von sich gab. Doch ihre Ausführung führte zu dem von ihr gewünschten Ergebnis – ich durfte mit ihr losziehen und musste erst um eins wieder zu Hause sein. Wieso konnte sie meine Mutter auch nur so gut um ihren kleinen Finger wickeln?

Um Zeit zu schinden und meiner Mutter die Gelegenheit zu geben, noch einmal über alles nachzudenken, ließ ich mir extra lange Zeit meine Jacke anzuziehen, mir den Schal um den Hals zu drapieren, die Handschuhe über die Hände zu streifen, die Stiefel… ungeduldig packte Cala meinen Arm und zerrte mich ohne ein weiteres Wort vor die Haustür. Hey!! Mein linker Stiefel war noch offen… und es war schweinekalt.

Einbeinig hüpfte ich hinter ihr her, während mein linker Fuß beinahe abfror.

„Musst du immer so hetzen?“, keuchte ich schließlich auf dem Beifahrersitz, mich zu meinen Füßen hinunter beugend, um mich endlich fertig anzuziehen.

„Nein, aber du musst auch nicht immer so unnötig trödeln“, entgegnete sie schnippisch und trat aufs Gaspedal.

„Autsch“, mit einem lauten ‚wumm‘ knallte mein Kopf gegen das Armaturenbrett. Schmerzhaft rieb ich mir meine Stirn und richtete mich wieder auf.

„Was willst du eigentlich von mir? Ich meine, ich kenne dich erst seit vorgestern… und so langsam habe ich das Gefühl, du willst mich auf eine höchst dramatische Weise umbringen“, maulte ich sie an. Ich hatte absolut keine Lust auf dieses komische ‚Plump‘. Auch wenn Timo dort sein würde. Seien wir doch mal ehrlich – ich hatte ohnehin keine Chance bei ihm. Selbst wenn Cala recht hatte und er tatsächlich schwul war, wieso sollte er dann gerade mich als Freund nehmen? Es gab bestimmt tausende von cooleren Schwulen, sogar in unserer verdammten Kleinstadt hier.

„Ach Schatzi, ich bin eine Fee, schon vergessen? Wir geben den Menschen den Anstoß, den sie brauchen um glücklich zu werden – und zwar mit den Dingen, die man nicht kaufen kann. Im Gegensatz zu den Elfen… ach das weißt du ja schon. Nun ja, und ich gebe dir eben den Anstoß um Timo als Freund zu gewinnen, was dich zweifelsohne glücklich machen wird, nicht? Also nörgel nicht dauernd herum!“

„Was für einen Anstoß bitte schön? Deine Idee für heute Vormittag war ja mal absolut schlecht gewesen. Wäre ich nicht gegen ihn gerannt, dann würde ich heute auch nicht mit ihm gesprochen haben.“

„Hätte ich nicht diese klischeehafte nutzlose Idee gehabt, wärst du nie als erster aus dem Klassensaal gerannt und hättest somit auch nicht versucht ihn umzunieten. Merk dir eines Schnuckiputzi, wir Feen arbeiten indirekt, nicht direkt.“ Sie zwinkerte mir aus dem Augenwinkel zu.

Schnuckiputzi… beleidigt verzog ich meine Miene. Seit wann fing sie an, mir solch lächerliche Spitznamen zu geben?

Das Plump war eine, hm… Bar. Es war noch nicht sonderlich viel los, was wohl an der Uhrzeit lag. Es war gerade einmal halb zehn und selbst ich Stubenhocker wusste, dass man frühestens um zehn irgendwo auftauchte. Ein weiterer Grund Cala wegen ihrer unnötigen Stresserei zu verfluchen.

Ich weiß nicht, wie das Plump normalerweise aussieht, aber passend zur Weihnachtszeit war es sehr festlich geschmückt. Überall hingen Tannenzweige herum, ein Vanille-Zimt-undefinierbar-Geruch lag in der Luft, die Ohren wurden mit Weihnachtsliedern malträtiert… Weihnachtslieder in Technoversion wohlgemerkt…, rote Elektrik-Kerzen standen auf den Tischen und man konnte auch etliche Weihnachtsmännchen und Engelchen ausmachen. Moment mal… Engel… gab es die etwa auch?! Ich meine nur, wenn es den Herrn im roten Mantel wirklich gibt, die Elfen und Feen, wobei ich mich immer noch frage, in welcher Weihnachtsgeschichte eine Fee vorkommt, dann konnte es doch auch Engel geben, oder? Und das Christkind?

Ärgerlich schüttelte ich den Kopf, jetzt fing ich schon über so einen Schwachsinn an nachzudenken. Als gäbe es nichts Interessanteres… zum Beispiel Timo. Der war natürlich auch noch nicht da.

Cala schleifte mich gleich nach hinten in irgendeine Ecke… oh stop, zu einer Tür die in irgendeiner Ecke verborgen war. Energisch klopfte sie dagegen. Hohoho… hier kommt der Weih… eh die Weihnachtsfee… hahaha bin ich heuten wieder witzig.

„He Schanbus, aufmachen. Ich bin es, Calalapaka!“, schrie sie gegen den Musiklärm. Calalapaka war also ihr Name… hatte doch gesagt, irgendetwas mit Calalalala… da wird man ja ganz deppert.

Zaghaft öffnete sich die Tür und ein leicht pummeliger junger Mann lugte hervor. Als er uns erblickte, öffnete er die Tür ein Stück weiter und winkte uns hastig hinein. Das ganze kam mir jetzt doch leicht komisch vor. Wir traten in einen Raum, in dem sich noch zwei weitere Personen befanden, eine junge, extrem dünne Frau und ein… ehm… ich weiß nicht. Ein Etwas. Nein, das ist gemein. Ich glaube, es ist ein Kerl. Aber bin mir nicht so sicher. Also, die Person ist hochgewachsen, schmal und dünn, aber nicht schlaksig, eher… Modelfigur halt. Die Haare waren gelockt, mit so kleinen Locken und standen ziemlich wild und unbändig vom Kopf ab. Normalerweise mag ich keine kleinen Locken, doch diese Frisur passte irgendwie zum Rest der Gestalt und sah somit in dem Zusammenhang auch gei… gut aus. Das Gesicht war fein geschnitten, die Haut etwas dunkler.

Ich glaube es ist wirklich ein Kerl. Er hat nämlich einen kleinen Bart. Oder eher Flaum. Dennoch schielte ich immer wieder auf seine Brust, um mich auch wirklich zu vergewissern, dass da nicht mehr war, als bei einem Mann eigentlich da sein sollte.

Himmel, noch nie habe ich einen Mann gesehen, der trotz Bart so feminin aussah. Ob ich das toll fand? Kann ich nicht sagen, es war jedenfalls faszinierend.

„Soso, hätte es mir ja denken können, dass du dir das nicht entgehen lässt“, riss mich die tiefe Stimme des Pummligen aus der Starre. „Und wen hast du mitgebracht?“ Seine kleinen Augen richteten sich auf mich. Sie hatten einen warmen freundlichen Blick.

„Oh, das ist Sascha, mein Schützling“, lachte Cala.

„Sascha“, sie wandte sich an mich, „das ist Schanbus“, sie zeigte auf den Pummligen, „Meklalo“, die magersüchtige Frau nickte mir zu, „und Alexandis. Alle drei sind Elfen.“

„CALA!“, empört sah Schanbus die Fee an, „hast du dich schon wieder verplaudert?“

Leicht verlegen scharrte die Getadelte mit dem Fuß. „Ja… aber er ist ein ganz lieber und wird auch nichts sagen! Da bin ich mir ganz sicher. Nicht wahr, Süßer?“ Sie klimperte übertrieben mit den Wimpern in meine Richtung. Natürlich lief ich prompt rot an und die Tatsache, dass alle ihre Augen nun auf mich gerichtet hatten, half nicht sonderlich weiter.

„Na, du musst es wissen“, murrte Schanbus schließlich nur aufgebend. „Wir müssen uns fertig machen. Also“, er wandte sich an die beiden anderen Elfen, „jeder kennt seinen Part?“ Als die beiden einstimmig nickten, klatschte er erfreut in die Hände. „Na dann, umziehen!“

„Wie viel Zeit haben wir denn noch?“, erkundigte sich Meklalo.

„Eine dreiviertel Stunde, um halb elf ist planmäßiger Beginn.“ Eine Sekunde noch herrschte Ruhe im Raum, dann setzte das geschäftige Treiben ein.

Ich stand die nächste Viertelstunde eigentlich nur unnötig im Raum herum und schaute staunend zu. Schanbus sollte wohl den Weihnachtsmann spielen, da er sich in ein rotes Weihnachtsmannkostüm zwängte, sich den Bauch mit einem Kissen ausstopfte und sich auch einen weißen Bart ins Gesicht klebte, beziehungsweise ihn sich von Cala ankleben ließ. Ich konnte ihn danach kaum mehr wiedererkennen. Hätte Cala nicht gesagt, er wäre ein Elf, ich hätte ihn glatt für den wirklichen Weihnachtsmann gehalten. Was mich wieder zu der Frage brachte, was es mit diesem auf sich hatte.

Meklalo und Alexandis verkleideten sich als Engel. Normalerweise müsste ich jetzt sagen als einen weiblichen und einen männlichen, doch Alexandis passte nicht wirklich in die Rolle des männlichen, allerdings auch nicht in die des weiblichen. Aber war das nicht gerade perfekt? Engel waren doch an sich geschlechtslos. Ha, vielleicht ist er ja tatsächlich ein Engel? Auch wenn Cala ihn als Elf vorgestellt hatte?

Jedenfalls ging irgendetwas von ihm aus. Ich kann es nicht beschreiben, aber es führte dazu, dass ich ihn die ganze Zeit anstarrte. Er schien es dann auch nach einer geraumen Weile bemerkt zu haben, denn plötzlich starrte ich direkt in seine Augen. Grün, sie waren grün… eher so ein dunkles grün, aber eindeutig grün.

„Kannst du mir kurz helfen?“, seine Stimme war weich, sehr wohlklingend… und doch hatte sie etwas kühles und unnahbares, aber dennoch nicht unfreundliches in sich mitschwingen. Ich brauchte einen kurzen Moment bis ich registrierte, dass er mich angesprochen hatte. Verwirrt nickte ich und kam unbeholfen auf ihn zugestapft. Plötzlich kam ich mir wie der reinste Trampel vor. Er war so grazil und… ich kann es nicht genau beschreiben. Etwas Katzenhaftes hatte er an sich, auch seine Bewegungen waren geschmeidig und – ja, leise.

Er hielt mir seine Engelsflügel aus weißen Federn vor die Nase. „Hier, wenn ich sie anhabe, kannst du sie bitte zurechtrücken?“

„Klar.“

Er streifte sich die Flügel über sein weißes Gewand. Das Kostüm stand ihm wirklich fantastisch. Das weiß betonte hervorragend seine dunkle Haut. Ich wagte kaum an seinen Flügeln herumzuruckeln, um nicht irgendetwas kaputt zu machen, doch schließlich hatte ich sie in eine ihm zufriedenstellende Lage gebracht.

„Dankeschön“, er lächelte flüchtig, doch ich hatte es gesehen. Und es reichte mir vollkommen, auch wenn es nur so kurz gewesen war. Dieses kurze Lächeln machte mich irgendwie glücklich. Vielleicht war er ja wirklich ein Engel? Ich wusste nicht mehr, was ich glauben konnte und was nicht.

„So, genug geflirtet, Saschilein. Dein Schwarm wartet draußen im Schankraum auf dich! Tztztztztz, da ist er noch nicht einmal vergeben und schon geht er ihm fremd, sowas aber auch“, giggelte Cala lachend und zog an meinem Ärmel. Mein Gesicht glich bestimmt dem einer roten Tomate. Musste sie das unbedingt sagen? Ich wollte ja gar nichts von ihm! Was kann ich dafür, dass er mich so beeindruckte. Nicht sexuell, einfach so halt.

Ohne zu meiner Verteidigung etwas beisteuern zu können oder noch einen weiteren Blick auf Alexandis zu werfen, um seine Reaktion mitzubekommen, wurde ich gnadenlos aus dem Raum geschleift.

Der Raum hatte sich während der letzten halben bis dreiviertel Stunde gefüllt. Es schien mir, als wäre die ganze Jugend der Stadt hier anwesend.

Zu meiner Erleichterung ließ Cala mich nicht los, ich hätte sie in dem Gewimmel garantiert verloren und irgendwie kam ich mir gerade verdammt hilflos und eingeschüchtert vor. Sie führte mich zu einem Tisch. Und oh Wunder, an diesem saß Timo. Er hatte ein Glas Bier vor sich stehen, zwei Mädels jeweils zu seiner Seite und lachte. Es war glockenhell und einfach nur wunderschön.

Cala boxte einen Typen, der vor Timo stand, zur Seite und quetschte sich zwischen eines der Mädchen und Timo, mich hinter sich herzerrend, sodass ich letzten Endes halb auf ihr und peinlicherweise halb auf meinem Angebeteten lag.

Das verdrängte Mädchen schrie gellend auf, sodass mein Trommelfell kurz vorm Platzen war. „Hiiiii Timo!“, quietschte Cala. „He Sascha, was machst du denn da?“, fragte sie mich mit honigsüßer Stimme. Urgh, ich könnte sie umbringen. Wenn ich es nicht bald tue, bringt sie mich ansonsten noch unter die Erde.

Ächzend versuchte ich mich aufzurichten und stützte mich dabei auf Timos Schenkel. Dass das gefährlich war, bemerkte ich allerdings erst dann, als ich abrutschte. Nun, Gott hatte mich nicht ganz verlassen, da meine Hand wenigstens nicht direkt auf seinen Schwanz landete, dafür fiel mein Kopf vornüber und kam diesem nahe… sehr nahe. Eine Hand packte mich energisch am Arm und zog mich in die Senkrechte. Nun ja, wenigstens teilweise, ich saß jetzt auf Calas Schoß. Sie war es auch, die mich aus dieser höchst brisanten Lage gerettet hatte.

Timo starrte mich nur verwirrt an, bis sich schließlich wieder sein altbekanntes Lächeln, wenn auch anfangs nur zaghaft, auf seine Lippen zurückschlich.

„Hey Sascha, hallo Cala“, begrüßte er uns und rückte zur Seite, um mir einen Platz zum Sitzen zu beschaffen. Erleichter rutschte ich von Calas Schoß. Es war verdammt unangenehm dort gewesen und dementsprechend sah auch wieder meine Gesichtsfarbe aus.

Ein Klingeln verhinderte jedes weitere Gespräch. Sofort trat Stille im Raum ein.

„Hohoho“, dröhnte es. Der Weihnachtsmann war da.

Schanbus trat in die Mitte des Raumes, Meklalo und Alexandis im Gefolge. Die beiden Engel schleppten zwei prallgefüllte Säcke hinter sich her. Lauter Applaus ertönte und hin und wieder ein Gröhlen.

„Ich lasse mal den Part mit dem ob ihr alle brav ward aus, da das der Nikolaus macht und wir für den ein bisschen spät dran sind. Im Übrigen seid ihr momentan ja ohnehin nur an eines interessiert, nicht?“ Belustigt zwinkerte er mit seinen Augen.

Meine Aufmerksamkeit blieb allerdings nicht lange auf den Weihnachtsmann. Unwillkürlich und ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, wanderte mein Blick zu Alexandis. Gelangweilt stand er an seinen Sack gelehnt, leicht hochnäsig anmutend in die Luft starrend.

Die Show lief etwa eine halbe Stunde lang. Ich fand sie nach kurzer Zeit ziemlich langweilig, das einzig spannende an ihr war eigentlich Alexandis. Wie eine ägyptische Hauskatze schlich er durch die Reihen.

Mit Timo und Cala war auch nichts anzufangen gewesen. Timo war vollkommen auf den Weihnachtsmann oder eher auf Schanbus fixiert. Irgendwie konnte man da so zwei Tickets zu einem total coolen Konzert gewinnen. Nun, ich kannte die Band nicht und habe ihren Namen auch schon wieder vergessen. Cala fand einfach alles nur süß und romantisch und kitschig – ich glaube zu viel Weihnachten ist schädlich für sie.

Doch dann waren die drei schließlich wieder durch die Tür nach draußen geschlüpft, um dann, wie mir Cala zuflüsterte, durch den Hintereingang wieder in den Raum, in dem wir vorher waren, zurückzukehren.

Seufzend ließ sich Timo wieder neben mir nieder.

„Kein Glück gehabt. Aber war ja klar.“ Ich konnte deutlich seine Enttäuschung aus der Stimme heraushören.

„Oh…. Hm schade. Wer hat die Tickets denn gewonnen?“, heuchelte ich Mitleid vor.

„Ach, irgend so ein Junge. Noch ein halbes Kind“, nuschelte er und griff zu seinem Glas. War jetzt etwa Frusttrinken angesagt? Bitte nicht, dass kann ich gar nicht ab. Ich meine, ich habe nichts gegen Trinken. Aber dann bitte mit Hirn.

„Und, wie war euer Tag so?“, erkundigte sich Timo schließlich bei Cala und mir.

„Och“, plapperte die Fee gleich los, „ich durfte den besten Spekulatius der Welt probieren. Ich sage dir, sagenhaft. Dann haben wir zwei noch mit einer Gardinenstange gekämpft und sind elendig gescheitert. Ansonsten habe ich Sascha mal ein bisschen aufpoliert.“ Ihr Grinsen wirkte schon richtig diabolisch.

„Spekulatius? Gardinenstange?“, fragend hob er eine Augenbraue.

„Ja, meine Mutter kann recht guten Spekulatius backen. Wenn du willst, kann ich ja mal welchen mit in die Schule nehmen. Und wegen der Gardinenstange… die ist in meinem Zimmer heruntergekracht. Eigentlich wollte mein Vater sie noch fixieren, aber der ist heute für die nächsten Tage bis zum 23. nach China geflogen. Muss ich wohl ohne Vorhänge auskommen“, seufzte ich ergeben. Ich hasste es mit offenen Vorhängen zu schlafen, das gab mir immer so ein Gefühl der Schutzlosigkeit.

„Oh…“, nachdenklich starrte Timo in sein Glas, „eventuell kann ich sie ja wieder befestigen. Jedenfalls kann ich es versuchen“, strahlte er mich an – und mein Herz setzte für die nächsten Sekunden einfach aus.

Er wollte mir – mir, Sascha Kammer – helfen. Dabei war ich eine total unwichtige Person, die eigentlich so gut wie niemand kannte und er wahrscheinlich der beliebteste Typ der Stadt. Mein Herz setzte wieder ein, allerdings mit doppelter Geschwindigkeit.

„Das, das würdest du tun?“, vergewisserte ich mich zaghaft.

„Klar, wenn du willst gleich morgen. Wann hast du Zeit?“

„Oh… vormittags wollte meine Mutter mit mir Geschenke für Verwandte kaufen. Aber am Nachmittag hätte ich Zeit.“ Meine Hände wurden feucht, mein Mund trocken und spröde. Ich konnte es nicht glauben, Timo wollte zu mir nach Hause kommen?

„Super, das passt. Ich bin dann so um drei bei euch okay? Ach ja, deine Adresse brauche ich natürlich noch“, lachte er und zückte sein Handy, so ein megaschickes Hightech-Ding.

Cala hatte der Konversation nur mit spitzen Ohren zugehört und zupfte mich schließlich am Ärmel, als ich fertig war, meinem Schwarm meine Adresse zu nennen. „Du gehst morgen Weihnachtsshoppen? Kann ich mit euch kommen? Ich liiiiiiiiiiiiiebe Weihnachtsbummel!“

Etwas verwirrt starrte ich sie an, nickte dann aber.

Timo verstaute derweil wieder sein Handy. „Hui, heiß hier drin“, ächzte er. „Ich geh mal kurz raus, kommst du mit, Sascha?“ Feen arbeiten indirekt… ich sollte es langsam begriffen haben. Ihr Plan war mich durch ihn umzubringen.

Kalte Luft schlug uns entgegen und ich zog sofort fröstelnd meine Jacke über. Wie konnte man nur freiwillig in diese Kälte hinaus. Timo schien sie allerdings nichts auszumachen. Er schlenderte ein paar Schritte vom Eingang weg und bemühte mich somit, ihm hinterher zu hasten.

„Du sag mal“, fing er an, „wer ist eigentlich diese Cala? Ich habe sie vorher noch nie gesehen.“

„Erm…“, war ja klar, dass er mit mir nicht über mich oder so reden wollte, sondern über ein Mädchen. Und der sollte schwul sein? Eher war er der Weihnachtsmann, ha!

„Sie ist erst vor kurzem hierher gezogen.“

„Ach, unsere Stadt scheint gerade in zu sein.“

„Wieso?“, fragend warf ich ihm einen Blick zu. Er blieb stehen und lehnte sich an die Hauswand der Bar.

„Nur so, sind in letzter Zeit so einige hierher gezogen. Und das an Weihnachten. Hatte eigentlich eher vermutet, dass die Leute zu dieser Zeit nicht so sehr umziehen als zu anderen Zeiten.“

„Wer ist denn noch hergezogen?“, erkundigte ich mich neugierig, wusste aber auch gleich, dass ich mit der Antwort nichts anfangen konnte. Ich kannte ohnehin fast niemanden hier, da fiel mir auch nicht auf, wenn wer neu hergezogen ist. Cala hätte von mir aus genauso gut auch ihr ganzes Leben hier wohnen können, hätte sie mir nicht gesagt, dass sie neu in der Stadt war. Das war vor zwei Tagen gewesen, als wir uns das erste Mal getroffen hatten.

„Ich glaube, die kennst du ohnehin nicht“, war dann auch Timos Antwort.

Ich zuckte nur mit den Schultern, was sollte ich auch sonst darauf erwidern.

Wir liefen ein paar Schritte weiter. Meine Nase war kurz davor abzufallen, so kalt war sie. Von meinen Fingern ganz zu schweigen. Es fehlte echt der Schnee, ohne ihn war Weihnachten einfach nicht dasselbe.

Stimmen aus einer kleinen Seitengasse neben der Bar ließen uns stoppen. Ich glaube, das war der Weg zum Hintereingang. Ich verstand nichts, aber mein Instinkt schrie eindeutig Flucht. Timo schien keinen zu haben oder ihn zu ignorieren, er näherte sich nämlich neugierig der Geräuschquelle.

Da ich nicht als Angsthase vor ihm dastehen wollte, folgte ich ihm, versteckte mich allerdings unwillkürlich hinter seinem Rücken.

Als er abrupt stehen blieb, schielte ich vorsichtig hinter ihm hervor in die dunkle Gasse. Zuerst konnte ich nichts erkennen, aber ein dumpfes Knurren drang an meine Ohren. Ein Schauer lief meinen Rücken hinunter. Würde ich nicht schon durch die Kälte frösteln, ich würde jetzt durch diesen Laut damit anfangen.

„Ihr pisst mich an“, dunkel war die Stimme und kalt. Nicht reserviert kühl, sondern einfach kalt, so wie die Luft momentan.

Meine Augen hatten sich endlich an die Dunkelheit gewöhnt und konnten zwei Menschen ausmachen. Ein schmal gebauter, athletischer Körper, etwas größer als ich, hatte einen kleineren Mann am Kragen gepackt und presste ihn an die Hauswand.

„Ignorier uns einfach“, keuchte der Untergebene. Ein Zischen entwich meinem Mund – Schanbus!

Sofort flog der Kopf des anderen in unsere Richtung. Dies gab Timo das Startsignal. Entschlossen hatte er sich mit zwei großen Schritten den zweien genähert. „Hey, lass ihn los“, forderte er.

Schanbus’ Peiniger schaute ihn an, als wäre er ein ekliges Insekt, zog es dann aber wohl vor, ihn einfach zu ignorieren, denn er richtete seinen Blick wieder auf den Elf. „Verschwindet. Und hört ein für allemal auf mich zu verfolgen. Sonst wünschst du dir, mich nie gesehen zu haben.“ Die letzten Worte hatte er nur geflüstert, doch sie wirkten um ein vielfaches bedrohlicher als die Worte zuvor. Ich hatte nicht erwartet, dass dies möglich war.

Er ließ Schanbus aus seinem Griff, drehte sich abrupt um und stolzierte an uns vorbei. Timo ignorierte er weiterhin vollkommen, doch mir warf er einen kurzen Blick zu. Und ich wünschte, er hätte mich ebenfalls ignoriert. Die Augenfarbe konnte ich in dem wenigen Licht nicht erkennen, doch sie waren dunkel. Selbst wenn sie hellblau sein sollten, sie strahlten etwas Dunkles aus.

Dann war er fort, wie ein Spuk, den es nie gegeben hatte. Doch der Beweis für seine Existenz lag direkt vor uns in Form von Schanbus. Timo war sofort zu ihm gestürzt und half ihm gerade auf.

„Hey, geht es dir gut? Was war das denn für ein Spinner!“, erkundigte er sich und fluchte besorgt.

Schanbus winkte nur ab. „Jaja, keine Sorge, mir geht es bestens. Macht euch um ihn keine Sorgen, er kann manchmal sehr theatralisch sein.“ Der Elf schien das alles sehr locker zu nehmen, was mich erstaunte. Ich hätte mir in seiner Situation garantiert in die Hosen gemacht – auch wenn das alles andere als heldenhaft ist. Aber ich bin ja auch kein Held.

„Wirklich?“, auch Timo schien die Reaktion des Elfen zu verwundern.

„Ja, wirklich“, versicherte Schanbus. „Dennoch danke für euer Auftauchen.“ Der Pummelige strahlte uns an, ein Strahlen, das ich heute schon bei vielen Leuten gesehen habe. „Ich muss aber jetzt auch los. Man sieht sich“, er zwinkerte uns zu, drückte Timo noch einmal den Arm, und verschwand in dieselbe Richtung, die der unheimliche Typ genommen hatte.

Timo und mich ließ er verwirrt zurück.

„Okay, was war bitte das?!“, rief er verzweifelt aus.

„Keine Ahnung?“, erwiderte ich schwach. Fassungslos schüttelte er den Kopf und starrte die nächsten Sekunden dumpf vor sich hin, die Szene wahrscheinlich noch einmal gedanklich abspielend. Schließlich zuckte er mit den Schultern.

„Komischer Kerl. Wenn mich so ein Idiot bedrohen würde, würde ich nicht alleine durch die Nacht wandern. Na ja, lass uns wieder reingehen“, entschied er. Ich folgte ihm nur dankbar, da es langsam wirklich zu kalt wurde.

Ich fand allerdings nicht nur Schanbus’ Reaktion komisch, sondern auch die Worte des anderen. Nachdenklich betrat ich wieder die Bar. Eine höchst aufgeregte Cala sprang uns an der Tür entgegen.

„Da seid ihr ja endlich wieder. Was habt ihr so lange da draußen gemacht?“ Ihre Augen waren kugelrund. Irgendetwas war vorgefallen, doch ich konnte nicht ausmachen was. Aber sie wirkte fahrig.

„Boah, du wirst es nicht glauben“, fing Timo an zu erzählen und gab die Geschichte in Folge ziemlich anschaulich wieder. Ich durchlebte alles noch einmal, dieser unheimliche Kerl und vor allem sein Blick, den er mir am Ende noch zugeworfen hatte.

Die Fee runzelte die Stirn. Ihr gefiel das ganze ganz und gar nicht. „Ist alles in Ordnung?“, fragte ich sie besorgt.

„Jaja“, erwiderte sie hastig. Zu hastig für meinen Geschmack. Doch ich wollte nicht weiterhaken. So würde ich ohnehin nichts Weiteres aus ihr herauskriegen. Die einzige Hoffnung bestand darin, dass sie sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder verplapperte – und die Wahrscheinlichkeit war gar nicht so gering.

Timo ließ uns beide allein und lief zu seinen Freunden, um ihnen vom Vorfall zu berichten. Cala tippte nur auf ihre Uhr. Es war kurz vor zwölf. „Wir müssen.“

„Warum? Ich muss doch erst um eins zu Hause sein“, widersprach ich. Die Fee machte mir Sorgen. „Ja, aber der Staat sagt, du musst um zwölf hier raus.“ Da hatte sie recht. Mist. Kein weiteres Argument mehr parat habend, um noch länger hier verweilen und vor allem bei Timo sein zu können, gab ich mich letztlich geschlagen.

Cala setzte mich bei mir zu Hause ab und fuhr dann weiter zu ihr, wo auch immer das genau war. Ich ging gleich ins Bett, nachdem ich mich kurz bei meiner Mutter gemeldet hatte. Sie war die ganze Zeit noch aufgeblieben, um sicher zu sein, dass ich heil zurückkomme.

Im Bett wirbelten konfuse Gedanken durch meinen Kopf. Timo, Alexandis und dieser unheimliche Typ tauchten immer wieder auf.

„Sascha, aufstehen! Wir wollen doch noch einkaufen gehen.“ Unangenehm störte die viel zu hohe und laute Stimme meinen Schlaf. Grummelnd vergrub ich mich tiefer in mein Kissen und unter die Decke. Doch es half ja doch nichts. Wenn ich spätestens in fünf Minuten nicht unten in der Küche auftauchte, würde meine Mutter hochkommen. Und das konnte nur noch nervender werden.

Müde schleppte ich mich ins Bad. Ich schaute erst gar nicht in den Spiegel, sondern klatschte mir nur kaltes Wasser ins Gesicht. Nachdem ich mich noch schnell umgezogen hatte, stolperte ich mehr schlecht als recht die Treppe herunter.

„Da bist du ja endlich. In einer halben Stunde wollen wir los.“ Ich schaute sie kurz böse an, bevor ich mir mein Frühstück machte.

Ich wollte eigentlich noch ankündigen, dass Cala mit wollte. Doch da fiel mir auf, dass ich gar keine Nummer von ihr hatte. Meine Mutter würde bestimmt skeptisch werden, falls sie das herausfinden sollte, also sagte ich lieber gar nichts. War Cala halt selbst schuld, dass es nicht klappte, weil ich sie nicht erreichen konnte.

Von wegen keine Cala… wir waren noch keine zehn Schritte weit in der Fußgängerzone, da tauchte sie plötzlich unter den Menschenmassen auf. Während der letzten zwei Tage hatte sich die Situation vollkommen geändert. Aber eventuell lag das auch einfach nur daran, dass Wochenende war – und auch noch das letzte vor Weihnachten. Kein Wunder das viele ihre Geschenkeinkäufe heute erledigen wollten, meine Mutter zählte schließlich auch darunter.

Die nächsten Stunden trottete ich eher gelangweilt hinter den beiden Frauen her. Meine Mutter alleine ist schon schlimm, nie kann sie sich entscheiden. Findet sie mal etwas Süßes, dann legt sie es dennoch wieder zurück, weil es ja sein könnte, dass sie noch etwas Niedlicheres in einem anderen Laden findet. Letztendlich kehrt sie aber doch immer wieder zurück.

Cala war nun leider mindestens genauso schlimm. Sie wollte ja gleich immer alles kaufen. Jedenfalls machten die beiden nacheinander jeden Laden unsicher und ich war das elendige Opfer, das sich die Füße wundtrabte. Ich hätte genauso gut zu Hause bleiben können, ich wurde nämlich nicht gebraucht. Oh stop, so ganz stimmte das nicht. Eine Aufgabe hatte ich, nämlich die des Packesels. Irgendwann waren meine Arme so lang und meine Füße so lahm, dass ich einfach resolut stehen blieb.

Cala und Mum liefen einfach weiter, nicht bemerkend, dass ich nicht mehr folgte.

„He!“, rief ich, um Aufmerksamkeit heischend. Ich hatte nicht erwartet, dass sie mich hören würden, doch die Fee tat es. Sofort drehte sie sich herum und schaute mich fragend an.

„Ich brauche eine Pause, ich krache gleich zusammen unter eurem Schro… ehm… euren Fundstücken“, jammerte ich.

„Schon?!“, rief Cala erstaunt.

„Sascha, ich habe aber noch nichts für Tante Abi. Und deine Großeltern hatten sich noch einen neuen Topf gewünscht, den muss ich auch noch suchen“, antwortete meine Mutter genervt.

„Das ist mir egal. Ich setze mich jetzt in das Café da drüben. Meine Hände frieren nämlich auch ab.“ Ich hatte zwar Handschuhe an, aber irgendwie halfen die nicht so viel. Gut, ich gebe zu, es waren eher so Pseudohandschuhe, meine Fashionhandschuhe. Aber diese dicken Skidinger waren halt einfach unpraktisch.

„Dann setzt ihr euch halt rein, ich hole euch dann wieder ab“, gab meine Mutter seufzend nach und wandte sich schon wieder um. Keine Ahnung warum sie so stresste. Wahrscheinlich war sie heute einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden.

Cala kam seufzend zu mir geschlendert. „Nicht so der große Shopper?“

„Kommt darauf an. Aber bestimmt nicht, wenn meine Mutter dabei ist und für Geschenke für Verwandte sucht, das ist nämlich wirklich langweilig. Vor allem weil deine Meinung nichts zählt.“

Skeptisch schaute Cala mich an. „Also meine Meinung hat sie immer sehr zu schätzen gewusst.“

Ich schnaubte nur und schlurfte zur Cafeteria. Warme Luft schlug mir entgegen und ich streckte mich erst einmal befreiend. Der Winter kann schon gemütlich sein, allerdings muss man dafür im Haus sein und nicht draußen.

„Sieh mal einer an, wen haben wir denn da – Calalapaka“, lachte es höhnisch seitlich von uns. Wie ein Blitz wirbelte die Fee herum, ich selbst war nur Sekundenbruchteile langsamer. Diese Stimme kannte ich.

„Nikolaj“, zischte Cala mit zusammengebissenen Zähnen. Der unheimliche Typ von gestern Abend, ja genau der, der Schanbus bedroht hatte, saß gelangweilt an einem Tisch, eine Tasse Kaffee vor sich habend, und schaute – mich an. Schnell wandte ich meine Augen wieder von ihm ab, seinem Blick nicht standhalten könnend.

„Und wie immer vollkommen in ihrer ‚Mission‘ aufblühend… setzt euch doch“, man konnte deutlich den Spott in seiner Stimme heraus hören. Ich fragte mich, woher Cala ihn kannte, doch er hatte ja auch Schanbus anscheinend gekannt. War er auch ein Elf oder eine Fee? Nein, warte… gab es etwa doch Gremlins? Nur dass diese halt wie Menschen aussahen? Ich war sicher, dass die Fee ablehnen würde. Deshalb war ich dann ziemlich von den Socken, als sie sich, zwar höchst widerwillig, aber dennoch einen Stuhl griff und sich zu ihm an den Tisch setzte. Allerdings rückte sie so weit wie möglich von ihm weg. Irgendwie wirkte sie auch sehr sprungbereit, so als würde sie erwarten, gleich fliehen zu müssen.

Ich war mir nicht sicher, was ich machen sollte. Schließlich ergriff ich mir ebenfalls einen Stuhl und setzte mich so nah wie möglich neben Cala. Sie wirkte auf einmal sehr schutzbedürftig.

Dieser Nikolaj schien nichts zu bemerken oder es arrogant zu ignorieren. Gelangweilt lehnte er sich zurück und trank einen Schluck aus seiner Tasse.

„Ich muss leider sagen, dass ich nicht verwundert bin, dich hier zu treffen.“ Seine Stimme war emotionslos, so als würde er simple Fakten herunterleiern.

„Na und. Ich kann hingehen wohin ich will“, erwiderte sie trotzig. „Außerdem solltest du uns danken“, setzte sie aggressiv hinterher. Ich verstand nur Bahnhof.

Er zuckte mit den Schultern. „Kaffee, Sascha? Ich lade dich ein.“ Meine Kinnlade klappte herunter. Woher kannte er meinen Namen?

„Nein danke“, stammelte ich, „ich mag keinen Kaffee.“

„Dann bestell dir halt etwas anderes“, erwiderte er gereizt und winkte die Kellnerin heran. Was wird das bitte hier?

„Ja bitte?“, fragend schaute die Angestellte in die Runde. Nikolaj nickte mit dem Kopf zu mir, was mir ihre Aufmerksamkeit schenkte. Ich wurde rot. Wieso lud er mich ein? Und wieso auch nicht Cala? Ich hatte sehr wohl bemerkt, dass die Einladung nur mir galt.

„Eine… heiße Schokolade“, bestellte ich schließlich die Ungeduld der Kellnerin bemerkend. Eigentlich hätte ich sein Angebot abschlagen sollen. Wirklich, wie konnte ich es nur annehmen? Aber mir war kalt und ein heißes Getränk war jetzt genau das richtige. Und trotzdem, es war eben doch nicht richtig.

„Lass deine elendigen Finger von ihm!“, fuhr Cala ihn wütend an.

„Ich muss dich leider darauf hinweisen, dass meine Finger gerade auf meinen Oberschenkeln liegen und nicht auf seinen.“ Er schaute die Fee an, als wäre sie eine vollkommene Idiotin. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass es gerade um mich ging. Und mir gefiel das ganz und gar nicht.

„Nik!“, rief es euphorisch hinter unserem Rücken. Diese Stimme katapultierte mich in eine noch größere Verwirrung, falls dies überhaupt möglich war. Alexandis. Was machte der hier? Was machte überhaupt Nikolaj in Kombination mit Alexandis hier? Was machte ich hier? Meinen Füßen eine Pause gönnen…

Alexandis hatte eine Jogginghose an und eine… kennt ihr diese extrem kurzen ‚Winterjacken‘, - eigentlich sind es keine, denn sie sind nicht wirklich warm, da zu kurz, - die vornehmlich von all den Tussis getragen werden? Gut… so eine trug er nämlich. Und eine Sonnenbrille, mit absolut schwarzen großen Gläsern, die er allerdings gerade abnahm und seine grünen Augen zum Vorschein brachte.

In seiner Hand hatte er keine Handtasche. Er trug eine einfache Plastiktüte, die ihren Inhalt nicht preisgab. Fast schon etepetete setzte er sich neben Nikolaj. Uns ignorierte er galant.

„Hi Alexandis“, begrüßte ihn Cala, anscheinend genauso überrascht wie ich. War ich immerhin nicht der einzige Dumme.

Irritiert schaute der Elf zu uns, so, als hätte er uns erst jetzt bemerkt. „Oh, hi Cala, hi Sascha“, murmelte er beiläufig, um sich dann wieder Nikolaj zuzuwenden. Die nächsten Minuten verbrachten die beiden in einer mir unbekannten Sprache redend. Calas Gesicht nach zu urteilen konnte auch sie nichts verstehen. Es klang russisch, aber ich könnte mich auch irren. Osteuropäisch, sagen wir mal.

Ich beugte mich zur Fee rüber. So langsam wollte ich doch wenigstens etwas Klarheit haben. „Woher kennst du den?“ Ich musste nicht erwähnen, dass ich Nikolaj meinte, das wusste sie auch so.

Dennoch zögerte sie. „Von früher, wir sind uns schon des Öfteren zufällig über den Weg gelaufen“, antwortete sie ausweichend.

Dampfend wurde meine heiße Schokolade vor mir hingestellt. Sie hatte sogar eine Sahnehaube, wenn auch etwas zu klein für meinen Geschmack.

Nikolaj schob der Kellnerin einen Fünfer zu. „Passt schon.“

„Hey, ich will auch was. Einen Cappuccino, bitte“, bestellte sich Alexandis. „Du zahlst, nicht?“, wandte er sich an Nikolaj. Der nickte nur abwesend.

Die nächste Person, die den Schauplatz betrat, war meine Mutter. Sie hatte erstaunlich schnell Tante Abis Geschenk und Omas Kochtopf gefunden, wie ich fand.

„Hey ihr zwei, da bin ich wieder“, schrie sie uns glücklich und zufrieden an. Warum musste sie eigentlich immer so schreien, wenn sie gut drauf ist? „Oh, ihr habt Freunde von euch getroffen?“, setzte sie gleich hinterher und strahlte Nikolaj und Alexandis an. Nikolaj schaute mürrisch zurück, Alexandis nur gelangweilt.

„Warum lädst du sie denn nie zu uns ein, Sascha?“, beklagte sie sich beleidigt. Toll, was sollte ich jetzt darauf erwidern? Dass das gar nicht meine Freunde sind?!

„Wie auch immer“, fuhr meine Mutter fort, da ich nicht gleich zu einer Antwort angesetzt hatte. „Ihr könnt gerne mal zu uns kommen“, bot sie den beiden an.

Nikolaj hob eine Augenbraue, das blieb dann aber auch seine einzige Reaktion. Immerhin mehr als Alexandis zu bieten hatte. Leicht verwirrt schaute Mum sie an, und wandte sich schließlich wieder unsicher an Cala und mich. „Ich wäre dann soweit. Wollt ihr noch bleiben oder kommt ihr mit nach Hause?“

„Ich komme mit“, schoss ich schnell hervor. Meine Mutter runzelte die Stirn. „Und was ist mit deiner heißen Schokolade?“ Ja… die hatte ich vergessen. Hastig setze ich an, um sie in einem Zug herunterzubringen, verbrannte mir allerdings die Zunge. Mit schmerzverzerrtem Gesicht musste ich mein Vorhaben abbrechen.

„Ach, Sascha! Du kannst doch noch hierbleiben. Nimm einfach den Bus. Oder laufe, so weit ist es ja nicht. Ich bin dann weg, bis später, Großer.“ Winkend entfernte sie sich wieder. Und ließ mich alleine mit diesen Idioten.

„Na toll…“, grummelte ich.

„Ich kann dich nach Hause fahren“, grinste Nikolaj mich vielsagend an. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.

„Mit dir fahre ich bestimmt nicht.“ Kann sein, dass ich mich gerade wie ein kleines Kind benahm. Aber das war mir egal.

Fragend hob er eine Augenbraue.

„Du bedrohst Menschen in dunklen Gassen… warum sollte ich freiwillig zu dir ins Auto steigen?“ Damit hatte ich ihm unmissverständlich klar gemacht, dass ich ihn wiedererkannt hatte.

„Er hat kein Auto“, warf Alexandis ein, fast schon königlich in seinem Cappuccino rührend. Er schaffte es tatsächlich, jede auch noch so alltägliche Bewegung aristokratisch wirken zu lassen. Und bei ihm war es nicht einmal lächerlich. Es passte zu ihm.

Nikolaj schaute mich nur an. Viel zu lange und vor allem viel zu intensiv für meinen Geschmack. Dann lächelte er auf einmal. „Dich würde ich nie in einer dunklen Seitengasse bedrohen.“

Okay, was sollte das jetzt? Der Typ spinnte.

„Sascha fährt mit mir“, informierte Cala uns bestimmt. Ärgerlich fixierte sie Nikolaj.

Die Stimmung näherte sich dem Gefrierpunkt. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf meine heiße Schokolade. Im Moment drehte sich einfach viel zu viel um mich. Ich bin es nicht gewohnt, der Mittelpunkt des Gesprächs zu sein.

„Na dann“, meinte Alexandis.

Aus dem Augenwinkel sah ich Nikolaj die Schultern zucken. „Wie du willst, Calalapaka“, spottete er.

Cala schnaubte. „Bist du endlich fertig, Sascha?“, fragte sie mich gereizt. Hui, da war aber jemand schlecht drauf. Sie schien diesen Nikolaj wohl überhaupt nicht leiden zu können. Hatte sie sogar ein bisschen Angst vor ihm?

Hastig trank ich, meine mittlerweile lauwarme Schokolade aus. „Jaja, wir können los.“

Energisch ergriff sie meinen Ärmel und zog mich davon. Unsicher warf ich noch einen letzten Blick auf die beiden. Alexandis beachtete uns nicht, doch Nikolaj schaute mich an.

Cala fuhr mich in ihrem typisch eigenen Fahrstil nach Hause. Wie konnte ich den nur vergessen? Ich denke, da war sogar Nikolajs Angebot sicherer.

„Viel Glück“, wisperte sie mir noch zu, bevor ich aus dem Auto stieg. Sie meinte Timos Besuch. Und Glück konnte ich wahrlich gebrauchen, bei meinem sozialen Talent. Zudem hatten mich Alexandis, aber vor allem Nikolaj ziemlich verwirrt.

„Mit was für komischen Typen verkehrst du denn seit Neuestem, Sascha?“, fragte meine Mutter mich, als ich die Tür herein kam.

„Eh… war glaube ich nicht deren Tag“, druckste ich ausweichend herum. „Ach… ist es okay, wenn ein Freund heute vorbeikommt? Er wollte versuchen meine Gardinenstange zu fixieren.“

„Klar, wer von den beiden denn?“

„Gar keiner, ist jemand anderes. Timo.“

Überrascht warf sie mir einen Seitenblick zu. „Du meinst doch nicht etwa Timo Jansen?“

„Eh, doch. Woher kennst du ihn?“, entgegnete ich mindestens ebenso verblüfft.

„Ach, er spielt bei der Kirchentheatergruppe mit. Und du weißt doch, dass Magda die leitet.“ Magda war Mums beste Freundin. Leider, denn sie war extrem nervig. Immer warf sie unnötige Kommentare ein und stellte Fragen, deren Antworten offensichtlich waren. ‚Ach sind das schöne Blumen, sind die orange?‘…

Okay, nicht ganz so blöde, aber fast.

„Oh, das wusste ich nicht.“ Also, dass Timo da mitspielte. Wie konnte er sich diese Frau nur antun?

„Du solltest mehr mit deinen Freunden unternehmen, dann wüsstest du so etwas“, kritisierte meine liebe Mutter mich. „Morgen haben sie übrigens eine Aufführung. Ich kann leider nicht kommen, habe Schicht.“ Meine Mutter ist Krankenschwester. „Aber hey, warum gehst du nicht? Magda würde sich sicher freuen und Timo bestimmt auch“, schlug sie begeistert vor. Wie ich die Idee fand, wusste ich nicht so recht. Einerseits interessierte es mich schon, wie sich Timo auf der Bühne präsentierte, andererseits musste ich dann auch zwangsläufig Magda ertragen. Denn die würde mich hundert prozentig unter den Zuschauern erspähen, vor allem da Mum sie vorwarnen würde. Und dann würde sie mich spätestens direkt nach der Aufführung stundenlang zuschwallen.

Aber ich hatte ohnehin keine Entscheidungsfreiheit, das sah ich schon in den Augen meiner Mutter. Somit war mein Sonntag zumindest zur Hälfte schon verplant.

Pünktlich um drei Uhr nachmittags klingelte es an der Tür und beendete mein sinnloses Durchwühlen meines Kleiderschrankes. Um zwei Uhr war ich nach oben getrottet um mir etwas Vorteilhafteres anzuziehen statt des Schlapperpullovers und der abgewetzten Jeans, die ich vorher anhatte. Nur leider hatte ich fast nur solche unförmigen Kleider.

Durch mein Verzweifeln hatte ich dann natürlich die Uhr aus dem Auge verloren. So klingelte es, als ich gerade in Unterhose vor dem Spiegel stand, eine Cordhose in der Hand.

Hastig zog ich mir blindlings etwas über. Dennoch war ich zu langsam. Meine Mutter war natürlich vor mir an der Tür.

„Hallo Timo!“, gluckte sie auch schon los. Ich trampelte ziemlich unschicklich die Treppe herunter, aber das war mir in dem Moment egal. Hauptsache nur so schnell wie möglich meine Mutter bremsen. Sie konnte nämlich wirklich peinlich werden, wenn man sie nur lange genug auf jemanden einreden lies.

Sie streckte ihm ihre Hand hin. „Schön dich auch einmal kennen zu lernen. Magda hat mir schon viel von dir erzählt. Du sollst ja ein Naturtalent sein was das Schauspielen angeht!“ Ich konnte ihr übertriebenes Lächeln förmlich sehen, obwohl ich auf ihren Hinterkopf starrte. Endlich zwängte ich mich zwischen sie und Timo und konnte auch sein Strahlen bewundern, perfekt wie aus einer Zahnpastawerbung entsprungen.

„Hallo Timo“, keuchte ich.

„Hi Sascha, hallo Frau… „, fragend ergriff er ihre Hand, direkt an mir vorbei. Dabei kam sein Arm gefährlich nah in meine Nähe.

„Kammer, Frau Kammer.“

„Wollen wir gleich hoch?“, versuchte ich ihn von den Klauen meiner Mutter zu befreien. Er schaute mich zuerst irritiert an, hatte wahrscheinlich noch gar nicht seine Notlage erkannt. Doch zu seinem Glück zuckte er schließlich die Schultern, warf meiner Mutter einen entschuldigenden Blick zu – für was eigentlich? – und folgte mir.

Die Gardinenstange hatte er im Endeffekt schnell wieder an ihre Halterung befestigt. Ich weiß nicht, was Cala und ich falsch gemacht hatten, bei ihm sah es so einfach aus.

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Es war ein Bild für die Götter, wie er so da am Fenster stand und das Licht ein bezauberndes Farbenspiel in seinen Haaren hervorrief. Wie blöd glotzte ich ihn an.

Meine Rettung entpuppte sich als meine Mutter. Ja, sie kann auch zu etwas gut sein. Denn genau sie platzte ungefragt in mein Heiligtum mit einer Schüssel voller Spekulatius. „Hier ihr beiden, habt ihr was zum Knabbern. Ach Sascha, ich habe Magda angerufen. Sie freut sich ja so, dass du morgen zur Aufführung kommst. Und dir Timo wünsche ich viel Erfolg. Du spielst ja wieder die Hauptrolle, habe ich erfahren.“

„Oh, ja. Kommen Sie morgen auch?“, sprang Timo widerspruchslos in die Konversation ein. Die nächste halbe Stunde laberten die beiden über Theater, über Magda und allen anderen langweiligen Kram. Echt, so hatte ich mir seinen Besuch eigentlich nicht vorgestellt. Gut, wirklich viel hatte ich auch nicht erwartet. Eher hatte ich die Befürchtung gehabt, dass er gleich wieder gehen würde, nachdem die Gardinenstange wieder an ihrem Platz war. Doch dass er mich langweilte – nein, das ist mir nicht in den Sinn gekommen. Allerdings bot er mir auch eine hervorragende Gelegenheit ihn anzustarren. Sein perfektes Lächeln, das so gut wie nie aus einem Gesicht wich. Wie eingemeißelt umschmeichelte es seine Lippen.

Schließlich ging sogar meiner Mutter der Gesprächsstoff aus, oder auch sie wurde gelangweilt, denn er war mittlerweile zu Fußball übergegangen. Das war eines der wenigen Themen, die sie überhaupt nicht interessierte. Und ehe ich mich versah, war sie aus meinem Zimmer wieder verschwunden. Der Spekulatius allerdings auch, die beiden hatten den nämlich während ihres Gespräches aufgefuttert und so platziert gehabt, dass ich nicht wirklich drankam, ohne Timo im Weg zu sein. Also hatte ich den beiden nur leidend beim Naschen zugeschaut.

„Nette Mutter hast du“, informierte mich mein lang… argh, mein traumhafter wollte ich sagen… Schwarm.

„Hm kann sein“, stimmte ich ihm halbherzig zu.

„Haha, du bist süß, weißt du das?“, lachte er mich an und ließ sich auf mein Bett fallen. Wie bitte? Süß? Ich? Ist der blind geworden? Ich war bestimmt nicht süß.

„Ich mag es, wenn du so schmollst. Das macht dich gleich noch viel goldiger, als du eh schon bist“, grinste er mich da schon fies an. Trotzig schob ich meine Unterlippe noch weiter vor. Erst ewig mit meiner Mutter reden und mich dann auslachen.

„Du, ich muss leider wieder los. Sorry, jetzt haben wir fast gar nicht miteinander geredet“, lachte er. „Aber mein Vater wollte mit mir noch einen Weihnachtsbaum holen.“

Das überraschte mich dann doch. Und enttäuschte mich wahnsinnig. „Oh, ok“, erwiderte ich geknickt. Mein Schmollmund war wie weggeblasen.

„Tut mir wirklich leid“, entschuldigte er sich und schaute mich mitleidsheischend an. Da musste man ihm einfach vergeben. „Ich wollte die Zeit eigentlich nutzen, um mit dir zu plaudern. Aber habe wieder nicht auf die Zeit geachtet. Tut mir so leid…Oh, weißt du was?“, strahlte er allerdings gleich wieder, „warum kommst du nicht heute Abend mit auf den Weihnachtsmarkt? Ich und Frank wollten uns dort treffen. Komm doch mit, um sieben am Glühweinstand.“ Frank war Timos bester Freund, und zum Glück eine Hete, er hatte nämlich eine Freundin. Ich vermute ja, dass die Freundin in Wirklichkeit etwas von Timo will, nur da er nichts von ihr will, hat sie halt den wesentlich unattraktiveren aber eben besten Freund Frank genommen. Jaja, verstehe einer die Frauen!

Wie schwerlich zu erraten, machte ich mich um kurz vor sieben auf zum Weihnachtsmarkt. Okay, okay… es war nicht ganz kurz vor sieben. Ich war nämlich viel zu nervös ja nicht zu spät zu kommen. Also bin ich schon um halb sieben losgelaufen, obwohl ich höchstens zehn Minuten brauchte.

Der Weihnachtsmarkt unserer Stadt ist nicht wirklich groß, aber er war sehr stimmungsvoll und ich ging gerne hin. Vor allem versetzte er einen sofort in Weihnachtsstimmung, ob nun Schnee lag oder nicht.

Ich stand also schon zwanzig vor sieben am Glühweinstand. Ich bestellte mir einen Kinderpunsch. Kein Glühwein, da ich keinen Alkohol trinke, schmeckt mir nicht und mein Kopf wird dann immer so schwummerig. Aber der Kinderpunsch war ebenfalls in der Lage mich aufzuwärmen. Meine klammen Finger um die Tasse geschlungen, starrte ich versunken auf den riesigen Weihnachtsbaum, der etwa in der Mitte des Marktes aufgestellt worden war.

Dort herrschte auch geschäftiges Treiben. Eine Gruppe baute gerade ziemlich viel Weihnachtsschnickschnack herum auf… noch mehr, meine Güte. Mir offenbarte sich aber auch bald der Grund des Trubels. Wie schon am vorigen Abend im Plump würde der Weihnachtsmann kommen und Geschenke verteilen.

Im ersten Moment dachte ich, der Weihnachtsmann wäre wieder Schanbus, doch ein genauerer Blick in sein Gesicht verriet mir, dass es mir jemand Unbekanntes war.

Es dauerte nicht lange, da hatte sich eine Schlange kleiner Kinder gebildet. Fasziniert schaute ich dem Schauspiel zu. Es war einfach nur schön die strahlenden Augen zu sehen, wenn die Kleinen ihr Geschenk entgegen nahmen. Es bestand aus einem kleinen Schokonikolaus, Nüssen und einer Mandarine.

Eine Hand landete auf meiner Schulter. Erschrocken zuckte ich zusammen. „Hey Sascha, bist ja schon hier.“ Timo war hinter mich getreten. Mit klopfendem Herzen drehte ich mich zu ihm herum. Leider ließ er seine Hand dann auch wieder sinken. Er hätte sie ruhig dort liegen lassen können…

„Frank ist noch nicht da?“ Ich schüttelte nur stumm den Kopf, nicht zu einer Antwort fähig.

„Hier bin ich ja schon“, brummte es seitlich von uns. Dort stand ein schnaufender Frank, die Hände tief in den Taschen vergraben. Wenigstens war ich nicht der einzige, der fror.

„Ich brauche jetzt erst einmal einen Glühwein. Willst du auch einen Timo?“

„Klar. Das ist übrigens Sascha. Sascha, das ist Frank“, stellte er uns beide vor. Frank nickte mir knapp zu, verschwand dann wieder Richtung Glühweinausschank.

Schweigend standen wir uns gegenüber, keiner wusste so recht was er sagen sollte. Timo lächelte nur wieder sein typisches Lächeln, ich starrte in meinen Punsch und wandte meine Aufmerksamkeit letztlich wieder dem Weihnachtsmann und den Kindern zu.

Ich war nicht der einzige, der das weihnachtliche Treiben beobachtete. Es hatte sich ein Zuschauerring um ‚Santa Claus‘ gebildet. Auch die kleinen Kinder wurden immer mehr. Plötzlich kam eine große Gruppe von den kleinen Knirpsen. Sie waren sehr aufgeregt und fast schon ehrfürchtig schauten sie zum Weihnachtsmann.

„Hey, sind das nicht die Waisenkinder?“, meldete sich Frank zurück und hielt Timo sein Glühwein vors Gesicht. Dieser runzelte die Stirn und musterte die Gruppe, bis er schließlich zögernd nickte.

„Ich glaube schon.“

Bis dato hatte ich nicht einmal gewusst, dass es ein Kinderheim hier in der Nähe gab. Lieber nicht meiner Mutter beichten, die würde sonst wieder einen Aufstand wegen meiner ‚Unsozialheit‘ und vor allem allgemeinen Uninteressiertheit an allem veranstalten.

Ein kleiner Junge, er gehörte zu den Waisenkindern, war der nächste, der an der Reihe war. Santa Claus reichte ihm wie allen anderen Kindern das kleine Geschenk. Der Junge betrachtete es nachdenklich, bis er plötzlich den Schokoladennikolaus wieder zurückhielt.

„Ich möchte aber einen Schololadenhasen“, nuschelte er schüchtern.

„SchoKoladenhase, nicht Schololadenhase… und den gibt es an Ostern. Zurzeit ist Weihnachten“, schallte es spöttisch aus den Zuschauerreihen.

Der Weihnachtsmann warf einen ärgerlichen Blick in die Richtung der Stimme. Wieder freundlich lächelnd wandte er sich an den kleinen Jungen. „Ich habe leider keinen Schokoladenhasen. Aber der Schokonikolaus schmeckt genau so gut.“

„Ich will aber leinen Weihnachtsmann!“, erwiderte er trotzig.

„Warum denn nicht?“, hakte Santa Claus väterlich nach.

Der Junge scharrte verlegen mit dem Fuß. „Der macht mir Angst“, flüsterte er schließlich so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.

Lachen erklang aus den Zuschauern, allerdings nur von einer einzelnen Person. Ärgerlich versuchte ich diese ausfindig zu machen. Doch die vorderen Leute verdeckten den Verantwortlichen hinter sich.

Der Weihnachtsmann reagierte nicht auf die unliebsame Störung. „Hm… dann hier, kriegst du zwei Mandarinen. Und an Ostern gibt es dann deinen Schokoladenhasen.“

Der Junge blickte schüchtern auf die zweite Mandarine, ergriff sie schließlich und rannte schnell zurück zu seiner Gruppe.

Dies war auch der Moment, in dem sich die Zuschauerreihe etwas lichtete und die Person zum Vorschein brachte, die so unsensibel ihre Kommentare dazwischen gerufen hatte.

Zu meinem Erstaunen war sie mir nicht unbekannt. Aber es wunderte mich auch nicht, dass es gerade diese Person war. Sah sie auch noch so gut aus, das schwarze kurze Haar gekonnt verstrubbelt, eine modische Lederjacke und eine … ich kann nur sagen heiß sitzende Jeans an. Doch seine Art machte einfach alles zunichte. Nikolaj. Was machte der überhaupt hier? Er kam mir so unweihnachtlich vor. Dennoch traf ich ihn immer irgendwo mitten oder eher gesagt direkt neben dem größten Weihnachtsrummel.

Ich erhaschte nur einen kurzen Blick auf ihn, doch ich war nicht der einzige. Auch Timo hatte ihn gesehen. Und er erkannte ihn ebenfalls von gestern Abend.

„Was macht der Arsch denn hier?“, knurrte er verärgert.

„Wer?“, fragte Frank ahnungslos.

„Ach, ich habe dir doch vom Plump gestern erzählt und von dem irren Typen, der sinnlos irgendwelche Leute bedroht. Das ist der, der sich über den Jungen lustig gemacht hat eben.“

„Okay… Leute gibt’s.“

„Das kannst du laut sagen... - Hey, weißt du schon, wir kriegen einen neuen Trainer für die nächste Saison“, stimmte er ihm zu, um im selben Augenblick abrupt das Thema zu wechseln und über Fußball zu labern.

Frank stimmte leider, nicht wie meine Mutter, begeistert mit ein. Der Abend gestaltete sich dadurch als ziemlich langweilig. Leider tauchte keine Cala aus irgendeiner Ecke auf. Die beiden redeten Stunden, wie mir schien, nur über Fußball. Ich habe nichts gegen diesen Sport, schaue sogar auch ganz gerne mal einem Spiel im Fernsehen zu. Doch die beiden redeten über den Verein unserer Kleinstadt und dann meistens über interne Angelegenheiten, über die ich erstens keine Ahnung und zweitens auch kein Interesse hatte. Die Stadt interessierte mich im Allgemeinen nicht sonderlich.

Letztlich war es doch nur eine geschlagene Stunde, die wir so vor dem Glühweinstand verbrachten. Den beiden wurde es dann doch zu kalt in der Kälte herumzustehen. Also schlenderten wir gemütlich von Stand zu Stand. Ich fand einen mit Kerzen, die sehr weihnachtlich dufteten. Spontan kaufte ich eine für meine Mutter als Weihnachtsgeschenk, was ich bis dahin natürlich noch nicht hatte.

Für meinen Vater fand ich ein Schnitzmesser mit der Weihnachtsgeschichte im Griff eingeritzt. Ich weiß, Kitsch, aber ich fand es schön.

Ich suchte auch etwas für Cala, doch was schenkt man einer Fee? Keine Antwort findend beließ ich es dann auch mit den zwei Beutestücken. Timo und Frank hatten ebenfalls kleine Geschenke gekauft. Geredet hatten wir auch. Zwar mehr so belangloses Zeug, aber was sollte man schon am Anfang erwarten?

Timo schien jedenfalls an dem interessiert, was ich zu sagen hatte. Das kam auch nicht so oft vor, meistens beachtete man mich ja nicht einmal. Es stimmte mich wahnsinnig glücklich.

Um zehn Uhr verließen wir dann den Weihnachtsmarkt. Alleine lief ich nach Hause, die Straßen nur durch die Laternen erhellt. Mir war etwas mulmig zumute und ich beschleunigte meine Schritte. Als ich um eine Ecke bog, wäre ich beinahe hingeflogen. Es war doch ganz schön rutschig, auch wenn der Streuwagen heute Morgen Salz gestreut hatte.

Doch ich fing mich wieder, bevor ich Bekanntschaft mit dem Boden machte und setzte – jetzt vorsichtiger – meinen Weg fort. Fröstelnd zog ich den Kopf ein und starrte auf das Pflaster. So bemerkte ich das Auto erst, als es fast auf meiner Höhe war. Viel zu schnell kam es mir entgegen. Es quietschte, ich riss erschrocken meine Augen hoch. Die Scheinwerfer blendeten mich, sodass ich schützend meine Arme vor die Augen hielt. Es war nah, viel zu nah.

Etwas stieß mich in die Seite und hart landete ich auf den Boden.

Ich brauchte eine Weile bis ich meine Situation registrierte. Ich war nicht ernsthaft verletzt, jedenfalls vermittelte mir das mein Unterbewusstsein. Doch etwas lag definitiv schwer und sehr angenehm weil warm auf mir. Die Zeit schien wie eingefroren, weder ich bewegte mich, noch das ‚Etwas‘ auf mir, sofern es überhaupt ein Lebewesen war. Allerdings war das anzunehmen.

Quietschende Reifen rissen mich in die Gegenwart zurück. Das Auto fuhr davon. Dass es überhaupt angehalten hatte, wunderte mich. Ich hatte zuerst angenommen, es hätte nicht einmal gebremst.

Das Geräusch schien auch die Person auf mir aus dem Bann gerissen zu haben. Ächzend rollte sie sich von mir. Vorsichtig bewegte ich einen Finger nach dem anderen, um sicher zu gehen, dass mir wirklich nichts fehlte. Als ich keine Schmerzen spürte, setzte ich mich langsam auf. Mein Retter lag ausgestreckt neben mir auf dem Gras. Und halleluja, es hatte angefangen zu schneien, denn eine Schneeflocke landete genau in dem Moment, in dem ich die Person erkannte, auf meiner Nasenspitze. Ich glaubte nicht recht zu sehen. Nein, nicht wegen dem Schnee, darüber freute ich mich eher unbewusst, sondern wegen der Identität meines Retters. Ich bin ihm jetzt in relativ kurzer Zeit bemerkenswert oft und zwar immer zufällig begegnet. Es war Nikolaj. Er lag da, ausgestreckt wie ein Märtyrer und hatte die Augen geschlossen, die er allerdings plötzlich abrupt öffnete, da er wohl meinen Blick auf sich gespürt hatte.

Ich sagte nichts, jeglicher Gedanke war von mir fortgewischt.

Nikolaj richtete sich jetzt ebenfalls auf und sprang elegant auf seine Füße. Weitaus unbeholfener folgte ich seinem Beispiel.

„Danke“, rutschte mir schließlich doch heraus. Er zuckte nur mit den Schultern.

„Wie bist du so schnell dagewesen?“, fragte ich dann doch neugierig. Ich hatte nämlich niemanden weit und breit auf der Straße gesehen. Gut, ich hatte auf den Boden gestarrt, aber trotzdem.

Er nickte zum Haus auf der anderen Straßenseite. Es war ein Mehrfamilienhaus, etwas heruntergekommen. Ein Motorrad parkte vor dessen Tür. „Ich wohne dort.“

„Oh“, war meine ziemlich geistreiche Antwort.

Er zuckte nur, drehte sich dann ohne ein weiteres Wort um und lief über die Straße zum eben hingewiesenen Gebäude. Stumm starrte ich ihm nach, bis er schließlich im Inneren verschwunden war. Der Typ wurde mir immer rätselhafter. Entweder waren Gremlins einfach so komisch, falls es überhaupt welche gab und er einer war, oder er hatte einfach einen Knacks.

Noch lange schaute ich auf die hinter ihm zugefallene Haustür, bis ich mich langsam wieder auf den Weg nach Hause machte. Es passierte auch nichts mehr Spektakuläres. Meine Mutter saß gebannt vorm Fernseher und sah ‚Kevin allein in New York‘. Ich sagte ihr nur schnell Gute Nacht und schlüpfte ins Bett, ohne vom Vorfall zu erzählen. Sie würde sich nur unnötige Sorgen für nichts und wieder nichts machen. Mir ging es ja immerhin gut.

Als ich am nächsten Morgen aufstand war die Welt weiß. Es hatte die Nacht über geschneit und eine dünne Schneeschicht hinterlassen.

Es war nicht viel, und würde wahrscheinlich über den Tag hinweg auch wieder schmelzen, dennoch versetzte es mich sofort in Weihnachtsstimmung. Von mir aus könnte heute Heiligabend sein. Weiße Weihnacht wäre so schön.

Auf den Weg zur Kirche lief ich in jeden Schneehaufen, der mir begegnete. Wie ein kleines Kind freute ich mich. Das Knirschen unter den Schuhsohlen zu hören war einfach herrlich.

Nass und verfroren aber glücklich betrat ich schließlich die warme Kirche. Es waren schon viele da und natürlich waren die vorderen Reihen schon besetzt. Doch mir machte das nichts aus, ich hätte mir ohnehin weiter hinten einen Platz gesucht, um möglichst weit weg von den Klauen Magdas entfernt zu sein.

Ich musste nicht lange warten bis das Stück begann. Es war die Weihnachtsgeschichte, allerdings in einer modernisierten Form. So reisten Joseph und Maria mit einem Auto und steckten natürlich im Stau fest. Als es Zeit wurde eine Unterkunft zu finden, war jedes Hotel schon ausgebucht. Schließlich hielten sie an einer Raststätte und fragten die Lastwagenfahrer, ob die hochschwangere Maria in deren Koje nächtigen könnte, da ihr kleines Auto zu unbequem für sie und das Baby war.

Einer hatte dann auch Erbarmen mit ihr. Nun, sie gebar den kleinen Jesus in einem Lastwagen und es dauerte nicht lange, bis andere Lastwagenfahrer herbeikamen mit kleinen Geschenken. Alles in allem war es ganz witzig.

Timo spielte Joseph und schien wirklich talentiert zu sein. Ich starrte eigentlich nur ihn die ganze Zeit an. Die abgewetzten, heruntergekommenen Klamotten standen ihm viel zu gut, fand ich.

So schön die Vorführung war, so schrecklich war es danach. Magda hatte mich ausfindig gemacht und mich wild hergewinkt, obwohl sie noch halb auf der Bühne stand und sich bei allen bedankte. Mein Plan war ja gewesen, direkt nach der Aufführung zu verschwinden, doch keiner war aufgestanden, als Magda die Bühne betreten hatte und so hätte sie mich garantiert auch verschwinden sehen. Also war ich sitzen geblieben.

Als sie endlich fertig war, ihre Klatschgeschichten an mich weiterzugeben, die ich nicht einmal mitkriegte, da ich ihr nicht zuhörte, war Timo schon fort. Na super, hätte der nicht auf mich warten können? Sichtlich mürrisch trabte ich wieder nach Hause. Der Schnee war auch schon fort und hatte lediglich widerlichen braunen Matsch auf den Straßen hinterlassen.

Genervt polterte ich durch die Haustür und wurde von einer Schüssel voller Spekulatius begrüßt. Meine Laune stieg schlagartig.

„Hey Sascha, na wie war es?“, erkundigte sich meine Mutter neugierig.

„Ganz witzig“, gab ich zu.

„Schön. Hey, ich hatte mir gedacht, dass du deinen neuen Freunden doch etwas Spekulatius zu Weihnachten schenken könntest? Ich habe extra mehr gemacht!“ Begeistert zeigte sie in die Küche. Dort sah ich noch zwei weitere volle Schüsseln. Meine Mum schien verrückt geworden zu sein. War es wirklich so dermaßen außergewöhnlich, dass ich Freunde hatte, dass sie gleich so ausflippen musste? Sie schien wohl Angst zu haben, dass ich diese durch meine Untätigkeit wieder verlieren könnte.

„Hier“, sie drückte mir eine der Schüsseln in die Hand. „Geh doch gleich, sonst vergisst du es wieder.“

„Eh Mum… bitte mal langsam ok?“, versuchte ich sie zu bremsen. „Ich kann doch nicht einfach mit einer Schüssel Spekulatius auftauchen!“

„Warum nicht? Die Schüssel können sie dir ja später wieder zurückgeben“, erwiderte sie unbesorgt und lief pfeifend ins Wohnzimmer.

„Ich habe aber Hunger“, maulte ich. Mein Magen knurrte nämlich schon.

„Na gut na gut… war ja nur ein Vorschlag!“ Jetzt war sie beleidigt. Frauen… ich kann es immer wieder sagen – schrecklich!

Nach dem Mittagessen wurde ich dann aber endgültig mit der Schüssel Spekulatius aus dem Haus geworfen. Und dabei wusste ich nicht einmal wo Cala oder Timo wohnten. Und andere Freunde hatte ich nicht. Falls Timo überhaupt ein Freund war. Momentan war er ja eher noch ein Bekannter. Und Cala? Konnte man eine Fee als Freundin bezeichnen? Ja. Das half mir aber trotzdem nicht weiter, da ich immer noch nicht wusste, wo sie wohnte.

Ratlos stand ich vor unserer Haustür, mir die Finger abfrierend und wusste nicht wohin. Zurück konnte ich jedenfalls nicht bevor ich nicht diese Schüssel losgeworden war. Und alles aufessen war auch keine gute Option, spätestens bei der Hälfte würde ich mich übergeben müssen.

So lief ich einfach los, in der Hoffnung irgendwann einen Einfall zu bekommen. Er kam auch, nämlich in der Straße, in der ich beinahe mein Leben verloren hätte. Ich hatte mich ja noch gar nicht richtig bei Nikolaj bedankt. Gut, er war arrogant, aber er hatte mich gerettet. Also gab es auch eine gute Seite an ihm.

Vor der Tür zum Mehrfamilienhaus, in dem er wohnen sollte, parkte ein Unimog. Ein ziemlich komisches Bild, so überhaupt nicht in die Umgebung passend.

Zögernd lief ich zur Haustür und wurde mit einer Reihe von Klingelschildern konfrontiert. Natürlich stand auf keiner Nikolaj und seinen Nachnamen kannte ich nicht. Ich war kurz davor wieder umzudrehen. Ich hätte das auch getan, hätte ich dann nicht immer noch das Problem mit der Schüssel gehabt.

Zögernd drückte ich also wahllos auf eine Klingel. Ich musste nicht lange warten, bis ein Knistern aus der Lautsprecheranlage ertönte. „Ja?“

„Äh, hallo. Ich habe ein Problem. Ich möchte zu Nikolaj, kenne aber seinen…“

„Hier gibt es keinen Nikolaj!“, wurde ich unhöflich unterbrochen. Ein letztes ärgerliches Rauschen erklang und die Anlage verstummte wieder. Der war aber wirklich nett gewesen.

Schon aufgebend ging ich noch einmal die Schilder durch. Natürlich war immer noch kein Nikolaj zu finden. Allerdings zwei Namen mit ‚N.‘ vorne dran, wobei das eine Schild noch ein ‚+ A.‘ hatte. Es hätte mich mehr aufgeheitert, wenn alle Schilder den Anfangsbuchstaben des Vornamens vorzuweisen hätten, was leider nicht der Fall war. Ich drückte zuerst auf das Schild mit nur dem ‚N.‘.

Nervös wartete ich das Rauschen ab. Es kam allerdings keines. War wohl niemand zu Hause. Ich überlegte, ob ich weggehen und später wieder kommen sollte. Ich hätte ja auch eine Entschuldigung für meine Mutter.

Ich weiß nicht, was es war, aber letztlich drückte ich dann doch noch auf das andere Schild mit ‚N. + A.‘. Da zeigten sich ja plötzlich ganz neue Seiten bei mir. Normalerweise war ich viel zu schüchtern, um bei wildfremden Leuten zu klingeln. Ich wartete. Und wartete. Heute war mal wieder mein Glückstag, war wohl auch niemand da.

„Hallo?“, rauschte es.

Hastig hetzte ich zur Sprechanlage, nicht vorbereitet auf die doch noch kommende Reaktion gewesen. „Hi“, keuchte ich. „Ich suche einen Nikolaj. Allerdings kenne ich seinen Nachnamen nicht und…“

„Nikolaj? Der ist gerade nicht da. Aber wer ist da?“, wurde ich abermals, diesmal aber wesentlich höflicher, unterbrochen. Mein Herz schlug hundert achtzig. Hatte ich anscheinend die richtige Klingel erwischt.

„Sascha“, gab ich Auskunft. Als Antwort ertönte ein Summen an der Tür und die Anlage verstummte. Fluchend sprang ich zur Tür und drückte sie gerade noch in letzter Sekunde auf. Wieso mussten die Sprechanlage und die Tür auch so weit voneinander entfernt angebracht werden?

Das Treppenhaus war sehr düster, da es nur kleine, extrem verschmutzte Fenster gab. Zudem wurde es draußen auch schon langsam dunkel. Da fiel mir ein, morgen war der kürzeste Tag des Jahres. Kein Wunder also, dass schon so früh die Sonne unterging.

Ängstlich tastete ich mich die Stufen hoch. Wäre jetzt gut zu wissen, in welchem Stock sich die gesuchte Wohnung befand. Ich war leider auch zu blöd gewesen genau auf den Nachnamen zu schauen, denn ich wusste ihn immer noch nicht.

Da erblickte ich einen Lichtstrahl, der durch eine offene Tür drang. Puh, hatte man also an mein Kommen gedacht. Vorsichtig spähte ich durch den Spalt und blickte in ein ziemlich unordentliches Zimmer.

„Hallo?“, rief ich zaghaft.

„Komm rein!“, erklang es von drinnen. Die Stimme kam mir eigenartig bekannt vor, nur konnte ich sie gerade nicht zuordnen.

Ich betrat also die Wohnung und schloss die Tür hinter mir. Neugierig schaute ich mich um. Ich stand im Wohnzimmer. Ein gemütlich ausschauendes Sofa lud zum Verweilen ein, auf dem Boden lagen Klamotten herum, der Tisch war voller Gerümpel. Aber alles in allem schaute es sehr wohnlich aus.

„Nikolaj wird in der nächsten Viertelstunde kommen. Kannst dich so lange setzen. Willst du etwas trinken?“ Erschrocken wirbelte ich herum.

Da stand Alexandis im Türrahmen zum Bad hin, einen Bademantel angezogen und ein Handtuch auf seinen Kopf gewickelt.

„Eh…“ Shit, ich hatte ihn wohl beim Duschen gestört.

Er tapste in die Küche, eine nasse Fußspur hinterlassend. „Kaffee? Tee?“

„Tee, bitte“, krächzte ich. Erledigt ließ ich mich aufs Sofa fallen, die Schüssel auf meinen Schoß. Ich war auch zu blöd. Wie konnte ich Volltrottel auch nur auf die Idee kommen, Nikolaj ein Geschenk vorbeizubringen? Hallo? Ich kannte ihn ja gar nicht. Und er war noch nicht einmal nett! Mir geschah es nur recht, dass ich jetzt in dieser höchst peinlichen Situation war. Zudem sah Alexandis verboten gut aus im Bademantel.

Dieser kam mit einer Tasse zurück. „Muss noch ziehen.“ Dann ließ er mich alleine, wieder im Bad verschwindend. Bei dem hatte ich es mir wohl auch gerade vermasselt.

Ich fühlte mich extrem unwohl. Am liebsten wäre ich gleich wieder verschwunden. Wie hilfesuchend umklammerte ich meine Tasse und schaute in meinen Tee.

Aus dem Bad hörte ich den Föhn. Ansonsten herrschte Stille.

Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und im selben Atemzug auch wieder zugeknallt. Ich erschrak mich fast zu Tode.

„Alex!“, rief Nikolaj und ließ eine Reihe mir unverständlicher Worte folgen. Mich schien er nicht bemerkt zu haben. Schnurstraks lief er zum Bad und riss ohne anzuklopfen die Tür auf.

Alexandis erwiderte irgendetwas Ärgerliches. Wildes Gestikulieren folgte, unterstützt mit Wortschwallen.

„Du hast übrigens Besuch!“, warf ihn Alexandis letztlich aus dem Bad und knallte die Tür vor seiner Nase zu. Das Umdrehen des Schlüssels beendete die Diskussion endgültig. Falls es eine Diskussion war und die beiden nicht immer so miteinander redeten, selbst wenn es ums Wetter ging.

Nikolaj starrte einen Moment verdattert auf die verschlossene Tür, drehte sich dann aber mürrisch um. Seine Augen erfassten nun endlich auch mich.

„Hi“, durchbrach ich schüchtern, die entstandene Stille nicht mehr ertragen könnend. Ich stand auf, da es mir seltsam vorkam, der einzige zu sein, der saß. Er hob als Erwiderung nur neugierig eine Augenbraue.

„Ich habe Spekulatius mitgebracht. Als… Dankeschön“, das letzte Wort flüsterte ich so leise, dass ich nicht wirklich sicher war, ob er es gehört hatte.

Ich stellte unbeholfen meine noch volle Tasse Tee ab und reichte ihm die Schüssel.

Sein Gesicht wusste ich nicht zu urteilen. Es wirkte leicht verwirrt, aber auch misstrauisch. Dennoch glaubte ich einen leicht belustigten Zug um seinen Mund ausmachen zu können. Er nahm mein Geschenk entgegen und verschwand in der Küche, um ohne die Schüssel wiederzukommen.

„Wusste ich doch, dass du kommen würdest.“ Fast schon überheblich lächelte er mich an.

„Warum?“, fragte ich nicht wirklich schlau.

Mit einem Satz war er bei mir, ganz nah. Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück, stieß jedoch gegen das Sofa, was mir diesen Fluchtweg versperrte.

„Ich sehe es in deinem Blick“, fast schon lieblich hauchte er mir die Worte entgegen „ - und ich bin halt einfach heiß“, fügte er lachend hinzu. Mein Mund klappte wie automatisch auf. Ich musste wie ein Dorftrottel ausgesehen haben.

„Nun ja, leider habe ich momentan keine Zeit für dich. Es tut mir leid, aber gewisse Personen meinen, mich andauernd nerven zu müssen.“ Genervt rollte er mit den Augen. „Das muss ich regeln. Doch morgen habe ich den ganzen Tag nur für dich.“

„Äh… okay“, erwiderte ich überrumpelt.

„Gut, ich hole dich ab. Bis dann“, entschied er.

Ohne einen weiteren Kommentar drehte er sich um und verschwand hinter einer Tür, womöglich sein Zimmer. Erstarrt glotzte ich ihm hinterher. Ich fragte nicht, wann er mich überhaupt abholen wollte, nicht dass ich noch den Eindruck erweckte, wirklich daran interessiert zu sein. Denn das war ich nicht!

Ich hatte gerade wieder die Beherrschung über meine Glieder erlangt, als Alexandis aus dem Bad kam. Diesmal hatte er zum Glück mehr Kleider am Körper.

„Du gehst schon?“, fragte er mich beiläufig. Er rauschte an mir vorbei und nahm seine Jacke vom Haken. Als er gerade im Begriff war sie anzuziehen, entschied er sich dann aber doch wieder um und drückte sie mir in die Hand. Vor sich hinmurmelnd lief er wieder zurück, ebenso wie Nikolaj zuvor hinter einer Tür verschwindend, allerdings einer anderen.

Und da stand ich, wie bestellt und nicht abgeholt. Oder eher wie ein Kleiderständer. Nebenbei mal so gefragt, wieso teilte Alexandis eigentlich mit Nikolaj eine Wohnung? Nach Cala war Alexandis ein Elf. Was Nikolaj war, wusste ich nicht, aber bestimmt nichts Gutes. Vielleicht ein Gremlin. Meinem Wissensstand weiter nach zu urteilen waren Elfen und Gremlins Feinde.

Gut, ich weiß, das ist lächerlich. Aber wieso lebten die beiden verdammt nochmal zusammen?

Ich musste unbedingt Cala sprechen. Aber ich konnte die liebe Fee ja nicht erreichen.

„Wohin musst du?“, riss mich der Elf aus meinen Gedanken.

„Nach Hause“, antwortete ich stupide.

„Wo ist das?“

Über seine Gesprächigkeit überrascht, nannte ich ihm die Adresse.

„Ich kann dich mitnehmen.“ Er hatte einen Schal umgeschlungen, den er wohl in seinem Zimmer gefunden hatte und nahm mir jetzt die Jacke wieder aus der Hand.

„Oh, danke, aber das musst du nicht.“

„Natürlich nicht“, schnaubte er. „Komm, oder willst du doch noch bleiben?“

Das wollte ich nicht, Nikolaj schien unsere Konversation ja für beendet zu halten. Und da mir auch keine passende Erwiderung weiter einfiel, folgte ich ihm.

Auf der Straße erfuhr ich dann auch, wer der Besitzer des kruden Unimogs war. Ja genau, Alexandis. Ich sollte so langsam eigentlich Überraschungen gewohnt sein. Es waren einfach zwei vollkommen verschiedene Welten. Alexandis und ein Unimog. Das passte definitiv nicht zusammen.

So abgenutzt das Gefährt von außen aussah, so kuschelig und modern sah es von innen aus. Zudem sehr kitschig. Die Innenwände, soweit man das bei einem Auto sagen kann, waren mit rotem Samt bezogen, an allen möglichen und unmöglichen Stellen hingen Tannenzweige und Walnüsse und ein lustiger Weihnachtsmann baumelte an der Frontscheibe. Es sah auch nicht nur sehr weihnachtlich aus, es duftete auch so. Nach Zimt, Mandarinen und Keksen. Das war definitiv ein Elfenauto. Da konnte sich selbst Cala noch etwas abgucken, ihr Auto hatte nämlich lediglich einen Weihnachtsmann in einem Schlitten hinten auf die Rückscheibe geklebt.

Es wurde rasch warm im Auto und angenehm stellte ich fest, dass eine Sitzheizung vorhanden war. Das Auto war echt Wahnsinn. Und vor allem, keiner würde auf die Idee kommen, es zu klauen. Außer man warf einen allzu genauen Blick ins Innere, wobei die Fenster wiederum leicht abgedunkelt waren.

Im Gegensatz zu den Feen konnten Elfen Auto fahren. Ich hatte ja schon Angst gehabt wieder um mein Leben bangen zu müssen, aber Alexandis fuhr sehr sicher.

„Darf ich dich was fragen?“, rutschte mir schließlich doch neugierig heraus. Alexandis war ein Elf, also würde er mich wohl kaum töten. Auch wenn er selbst jetzt noch in diesem absolut heimeligen Auto steif und kühl wirkte.

„Hm?“, war seine Reaktion.

„Wieso lebst du mit Nikolaj zusammen?“ Ich weiß, ich wollte das eigentlich Cala fragen. Aber wer wusste schon, wann ich sie wiedersehen würde und eventuell wusste sie den Grund nicht einmal. Die Antwort war simpel und dennoch wäre ich nie darauf gekommen.

„Er ist mein Bruder.“

B r u d e r. Ich kenne mich in Elfenangelegenheiten nicht gut aus, vor allem nicht was Familie, Verwandtschaft und so angeht. Aber bei uns Menschen bedeutet Bruder in den meisten Fällen jedenfalls, dass man dieselben Eltern hat… Nikolaj war ein Elf?!

Am nächsten Tag wachte ich viel zu früh auf. Am Abend hatte ich ewig nicht einschlafen können, immer und immer wieder an Nikolaj und Alexandis denken müssend. Ich hätte eher angenommen, dass die beiden ein Paar waren. Alexandis wirkte ja schon schwul, aber Brüder… oh mein Gott.

Dementsprechend war ich auch müde. Noch schlaftrunken stolperte ich die Treppe herunter. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es kurz nach neun war.

Natürlich war meine Mutter schon auf. Nuschlig wünschte ich ihr einen Guten Morgen und machte mir mein Frühstück.

„Hey Sascha, gut geschlafen?“, flötete sie viel zu laut und fröhlich.

„Hmpf“, grummelte ich nur.

„Deine Freundin hat übrigens angerufen. Sie wird in“, sie schaute rasch auf ihre Uhr, „zehn Minuten da sein.“

Ratlos schaute ich sie an. „Meine Freundin?“ Seit wann hatte ich eine?

„ Na Cala!“, rief meine Mutter tadelnd.

Ich hatte lediglich Zeit gehabt, mir schnell mein Frühstück hinunterzuwürgen und mir was Akzeptables anzuziehen, da klingelte es auch schon an der Tür.

Ich weiß nicht, was sie gemacht hat, aber irgendwie sah sie heute anders aus. Verwirrt starrte ich sie an.

„Hey Sascha“ begrüßte sie mich leicht missgestimmt. Als Mum den Flur betrat, setzte sie allerdings sofort wieder ihr strahlenstes Lächeln auf. „Hallo Frau Kammer. Schön Sie zu sehen.“

„Hallo Cala. Komm doch rein. Möchtest du etwas trinken?“

„Oh nein, wir wollten gleich los. Aber vielen Dank für das Angebot.“ Strahl, lächel, glänz. „Kommst du, Sascha?“ Meinen Namen betonte sie dabei mit deutlichem Nachdruck. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind. Und das gefiel mir definitiv nicht. Schien mich zurzeit ohnehin jeder herumzuschubsen, wie es ihm gerade passte.

Allerdings musste ich auch zugeben, dass ich mich keinen Meter weit wehrte, sondern ihr gehorsam zum Auto folgte.

Was ich leider gleich wieder bereute. Langsam müsste ich ihren Fahrstil aber wirklich kennen.

Zum Glück fuhren wir nicht weit, nämlich nur in die Innenstadt. Sie schleifte mich in eine Cafeteria. Diesmal bestellte ich auch Kaffee. Ich war einfach noch zu müde. Als wir ihn endlich vor uns stehen hatten, und ich sie immer noch verwirrt dauernd anstarren musste, weil mir immer noch etwas seltsam an ihr vorkam, brach sie endlich wieder ihr Schweigen.

„Halte dich von ihm fern!“ Ihre Aussage klang endgültig.

„Von wem?“ Ich verstand nur leider nicht, was sie genau von mir wollte, was ihre Worte um ein Erhebliches abschwächten.

„Nikolaj.“ Sie spuckte den Namen schon förmlich vor mir auf den Tisch.

„Was ist mit ihm?“, stellte ich mich weiter dumm.

„Er ist kein guter Umgang für dich.“

Okay, jetzt wurde ich langsam ärgerlich. „Woher sollst du das wissen?“ Trotzig schaute ich sie an.

„Weil ich ihn – leider – schon ziemlich lange kenne und ich weiß, wie er tickt. Er ist ein Idiot. Und bestimmt nicht treu.“

„So, du bist ihm also schon ZUFÄLLIG öfters über den Weg gelaufen und meinst deshalb, ihn gut zu kennen? Kann ja sein, dass du ihn besser kennst als ich, was nicht sonderlich schwer ist. Aber ich lasse mir bestimmt von niemandem sagen, mit wem ich etwas unternehmen darf.“ Aufgebracht war ich aufgestanden. Ich toleriere ja vieles, und lasse mich oft widerspruchslos herumdirigieren, aber eben auch nicht alles.

„Übrigens“, mir ihren letzten Satz einfallend… „ich will auch nichts von ihm.“

„Ganz ruhig. Erstens habe ich nie angenommen, dass du was von ihm willst. Dann hätte ich mir wirklich Sorgen um deinen Geschmack gemacht. Du solltest es trotzdem wissen, nur für den Fall. Und von mir aus, hänge halt mit ihm herum, so viel du willst“, jetzt wurde sie patzig. „Aber ich sage dir nur eines… heule dich danach nicht bei mir aus, wenn er dich maßlos enttäuscht. Denn das wird er!“ Sie unterstrich ihre Worte mit einer bedeutenden Geste.

„Keine Sorge. Ich bin kein kleines Kind oder dumm oder so und kann gut auf mich alleine aufpassen.“

„Dann ist ja gut. Setz dich wieder und trink deinen Kaffee. Tut mir leid, wenn ich etwas überreagiert habe, aber zurzeit habe ich so viel Stress und irgendwie… vergiss es einfach, okay?“ Entschuldigend lächelte sie mich an. Sie hatte aber einen schnellen Stimmungswechsel.

Allerdings lächelte sie wirklich so goldig, dass ich ihr nicht mehr lange böse sein konnte.

„Gut… dann erzähl mal von Timo.“ Mit leuchtenden Augen beugte sie sich zu mir. Timo… ja…

„Ich weiß nicht“, musste ich ehrlich zugeben.

Sie seufzte theatralisch. „Nanana, du solltest aber etwas wissen. Wir müssen das gleich einmal ändern.“ Voller Tatendrang klopfte sie auf den Tisch.

„Zufälligerweise weiß ich, dass er heute Schlittschuhlaufen ist.“

„Oh nein… nein, nein. Ich kann kein Schlittschuhlaufen“, lehnte ich gleich vehement ab. Das letzte was ich wollte war, mich vor Timo zum Affen zu machen.

„Ach, das kannst du lernen“, lachte sie nur fröhlich.

Das Schlittschuhlaufen war nicht weit entfernt, doch zu meinem Leidwesen im Freien.

Ich hatte schon Probleme beim Anziehen der Schuhe. Diese schrecklich langen Schnürsenkel, und dann kann man ja auch nicht richtig stehen ohne Gefahr zu laufen umzukippen. Cala war auch keine große Hilfe, sie lachte mich vielmehr aus. Sie fühlte sich anscheinend wie zu Hause auf den Ungetümen.

„Jetzt mach schon endlich“, drängte sie mich kichernd und schob mich zur Eisfläche hin. Ängstlich klammerte ich mich an sie.

„Cala, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist. Wirklich…“

„Ach, sei kein Weichei!“, schlug sie meinen Einwand beiseite.

Auf dem Eis war es dann letztlich noch viel schlimmer, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich hing die ganze Zeit eigentlich nur an der Bande fest und kam kaum vorwärts. Cala hatte es bald aufgegeben mich von meiner Stütze fortzubekommen und war davon gesaust. Sie hatte ja ihren Spaß.

Krampfhaft starrte ich auf meine Schuhe. Was ich am allerwenigsten wollte, war hinzufallen. Ich hatte schon genug Horrorgeschichten von abgetrennten Fingern gehört, als dass ich mich wirklich angstfrei auf dem Eis bewegen konnte.

Zudem war es kalt. Meine Handschuhe bewiesen wieder einmal ihre Nutzlosigkeit. Da ich mich auch nur im Schneckentempo bewegte, wurde mir nicht einmal durch meine ‚sportliche Betätigung‘ warm.

„Hey Sascha, was für ein Zufall“, lachte es hinter mir. Timo sauste an mir vorbei, drehte eine geschmeidige Kurve und kam vor mir zum Stehen. Erschrocken stoppte ich und wäre dabei beinahe hingeflogen. Nur meine eiserne Umklammerung an der Bande rettete mich.

„Olala, vorsichtig.“ Timo kam zu mir hin und hielt mich zusätzlich fest. Ich lächelte nur gequält. Na super, jetzt wusste er schon gleich, was für eine Niete ich war.

„Zum ersten Mal auf dem Eis?“, kam auch prompt seine Frage.

„Ja“, gab ich gequält zu. Lügen hätte ohnehin nichts gebracht.

„Hui, na dann. Bist du alleine hier?“

„Nein, ich bin mit Cala gekommen. Aber die ist verschwunden.“ Suchend sah ich mich nach der Fee um, aber konnte sie nicht entdecken.

„Oh ok. Soll ich dir helfen? Dann musst du nicht hilflos durch die Gegend schlittern“, bot er mir an. Ich nickte nur dankbar.

Nachdenklich legte er kurz den Kopf schief. Hach wie süß. „Hm, warte, versuchen wir es einmal so. Gib mir deine Hände.“

Erschrocken sah ich ihn an. Allerdings wirkte er ziemlich sicher, wie er mir so seine hinhielt. Langsam löste ich meine Finger von der Bande und ergriff schnell seine. „Gut, lass dich einfach ziehen.“ Und dann begann er wirklich rückwärts loszufahren.

Auch wenn Timo mich übers Eis zog, wirklich entspannen konnte ich mich nicht. Er bewies zwar ziemlich schnell, dass er ein wahrer Meister im Schlittschuhlaufen war, doch er fuhr immer noch rückwärts und selbst er hat keine Augen hinten auf den Kopf.

Aber ich musste zugeben, wenn ich mal nicht zu sehr nachdachte, machte es sogar Spaß. Das Beste war ohnehin bei ihm zu sein. Er lächelte mich die ganze Zeit an. Es war einfach traumhaft.

„Vorsicht!“ Hörte ich noch seitlich, da fuhr jemand Timo auch schon volle Kanne um, was mich natürlich gleich mit aufs Eis hinunterzog. Ziemlich unelegant verlor ich meinen Halt und knallte schmerzhaft auf.

Timo war begraben unter einem weißen Haufen. Der weiße Haufen entpuppte sich schnell als Mensch. Fluchend rappelte sich dieser auf. Es war ein Mädchen, etwa in unserem Alter. Aber bei denen weiß man ja nie, da können zwölfjährige wie zwanzigjährige aussehen und anders herum.

„Oh, Entschuldigung“, zerknirscht sah sie uns an und hielt Timo ihre Hand hin. Dieser nahm sie dankend an und half anschließend mir wieder auf die Kufen. „Tut mir wirklich leid, aber dieser Idiot musste mich auch durch die Gegend wirbeln.“ Mit genervt gerollten Augen zeigte sie hinter sich.

„Haha, du bist auch zu dumm“, lachte es da und eine weitere Person kam auf uns zugefahren. Eine Person in einer schwarzen Lederjacke und auf hüfthohe sitzenden Jeans. Schlimmerweise kannte ich sie.

„Hey, Sascha“, grinste Nikolaj mich auch gleich anzüglich an, „was machst du denn hier?“

„Du kennst den?“, überrascht schaute Timo mich an. Der hatte ihn natürlich gleich als die Person identifiziert, die sich schon zweimal in seiner Gegenwart unmöglich benommen hatte.

„Äh… ein bisschen“, wich ich der Frage aus.

„Nur nicht so bescheiden, Sascha“, warf Nikolaj ein und begann um uns im Kreis herumzufahren, rückwärts wohlgemerkt. Warum fahren alle rückwärts? Ich fand vorwärts schon ein Ding der Unmöglichkeit.

„Okay Leute… bitte kein Krieg mitten auf dem Eis. Ich bin übrigens Kira, da ihr euch wohl alle irgendwie zu kennen scheint“, stellte sich nun auch das Mädchen vor.

„Timo“, nickte dieser ihr zu.

„Cool, freut mich dich kennen zu lernen. Und du bist also dieser Sascha, interessant.“ Freundlich lächelte sie mir zu, trotzdem wurde mir unwohl zumute. Man hatte also schon von mir gesprochen?

„Was ist daran so interessant?“, hakte ich dann auch gleich misstrauisch nach.

„Ach, ich weiß nicht. Ich bin einfach eine neugierige Person, da ist fast alles interessant“, kicherte sie nicht wirklich auf meine Frage antwortend, wie ich fand.

„Mir ist langweilig, ich höre auf für heute. Sascha, kommst du mit? Dir macht das doch auch keinen Spaß“, verkündete Nikolaj. Ich wollte schon ablehnen, als ich Cala unter den Menschenmassen erblickte. Sie schüttelte wild den Kopf und zeigte auf Timo. „Vermassel nicht deine Chance wegen diesem Idioten“, formten ihre Lippen… und seltsamerweise erklangen die Worte auch in meinem Kopf.

Nur leider bewirkten sie genau das Gegenteil. Cala sollte sich gefälligst raushalten, mit wem ich mich abgab. Trotzig nickte ich und ergriff Nikolajs Hand, die er mir dargeboten hatte.

„Ja, ich bin müde. Danke Timo, war echt nett von dir.“ Ich warf ihm ein hoffentlich süßes Lächeln zu. „Vielleicht können wir das ja mal wiederholen, aber meine Beine sind einfach zu wabbelig. Bin die Bewegungen wohl einfach nicht gewohnt.“ Das war nicht einmal gelogen. Ich spürte wirklich meine Glieder.

Timo schaute mich leicht enttäuscht an, wie mir schien. Doch dieser Eindruck blieb nur ein paar Sekunden, bis sich wieder sein Lächeln auf seine Lippen schlich. „Klar, kannst mich anrufen, wenn du Zeit hast. Meine Nummer steht im Telefonbuch. Tschau.“ Er winkte mir zu und fuhr davon. Doch ich bemerkte noch den seltsamen Blick, den er kurz zu Nikolaj geworfen hatte.

„Na, ich fahre noch ein paar Runden. Muss ja üben, haha“, spottete Kira über sich selbst und entfernte sich ebenfalls.

Plötzlich fühlte ich mich verdammt alleine mit Nikolaj, obwohl wir von lauter Leuten umgeben waren.

„Du bist zu verkrampft.“ Er packte meine Hand und zog mich hinter sich her.

„Was?“, fragte ich verständnislos nach.

„Du bist wie ein Brett, wie willst du so anständig Schlittschuhlaufen?“

Da ich keine Antwort darauf wusste, blieb ich stumm. Wir waren dann zum Glück auch bald von der Eisfläche. Erleichtert löste ich mich von ihm und wollt davontappen. Nur leider hatte ich vergessen, dass ich noch immer diese dämlichen Schuhe anhatte. Ehe ich mich versah, schwankte ich, als wäre ich auf einem Schiff in Seenot. Nur zwei kräftige Arme, die mich unter den Achseln packten, retteten mich vor einem erneuten Sturz.

„Du bist echt witzig. Aber auch niedlich. Oder gerade deswegen“, murmelte Nikolaj hinter mir und ließ mich wieder los, nachdem er sicher war, dass ich wieder alleine stehen konnte. Leicht errötend nuschelte ich ein schnelles Danke und stapfte nun vorsichtiger zur Bank hin. Seufzend setzte ich mich.

„Wo sind deine Schuhe? Ich hole sie dir“, bot er mir an. Ich gab ihm kommentarlos den Schlüssel für den Spint. Das war wirklich ein Angebot, dass ich nicht ausschlagen konnte. Es kam viel zu sehr meiner Müdigkeit entgegen, die sich so abrupt eingestellt hatte. Machte sich jetzt wohl doch der wenige Schlaf bemerkbar.

Nachdem ich endlich wieder in meine richtigen, bequemen und auch brauchbaren Schuhe geschlüpft war, streckte ich mich seufzend. Ein Knurren begleitete meine Bewegung.

„Hunger?“ Belustigt hob Nikolaj eine Augenbraue.

„Hm… ja“, gab ich zu.

Er deutete mit dem Kopf zu einer Imbissbude. „Eigentlich wollte ich dich ja heute Abend zum Dinner ausführen“, lachte er, „aber ich glaube, das behagt dir ohnehin nicht so, was?“ Ich wurde knallrot. Er hatte nämlich verdammt recht.

„Was willst du?“, fragend schaute er mich an, als wir uns in die Schlange stellten.

„Eine Currywurst“, antwortete ich, nachdem ich die Karte mühsam zwischen den Köpfen entziffert hatte.

Nachdem wir beide unser Essen in der Hand hatten, schlenderten wir rüber zur Bande und schauten den Schlittschuhläufern zu.

„Was willst du eigentlich von mir?“ Ich schaute angestrengt auf meine Wurst, nicht wagend ihn bei den Worten anzuschauen.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, dass er mich intensiv musterte. Ich gab allerdings vor, es nicht zu bemerken.

„Du bist süß. Und irgendwie habe ich in deiner Gegenwart immer das Gefühl, dich beschützen zu müssen. Du wirkst so hilflos“, meinte er nach einiger Zeit.

Empört sah ich ihn jetzt doch an. „Hilflos?“

Er grinste. „Ja. Deine Art hat so etwas an sich.“ Skeptisch fuhr ich mir mit einer Hand über die Nase. Da beugte er sich zu mir, den Mund ganz nahe an meinem Ohr. „Außerdem – du willst mich doch auch. Obwohl du es dir nicht zugestehen willst.“

Er richtete sich wieder auf und lächelte mich sicher an. Am liebsten hätte ich ihm eine geohrfeigt. Doch das hätte wirklich zu tussihaft gewirkt. Wie konnte er so etwas nur behaupten? Er kannte mich nicht einmal richtig!

„Hey Sascha, warst aber schnell wieder vom Eis runter“, flötete Cala betont fröhlich auf uns zukommend. Dennoch konnte sie mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihr meine derzeitige Situation überhaupt nicht gefiel. Aber wen kümmerte es, mich im Moment jedenfalls nicht.

„Ja, wurde auf einmal so müde“, erklärte ich ihr. Ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass sie mir meine Worte nicht abnahm. Dabei stimmten sie doch. Auch wenn das nur teilweise der Grund war.

„Nun ja, ich habe mit Timo ausgemacht, dass wir uns heute Abend bei mir treffen. Und du kommst auch“, teilte sie mir mit. Erfreut lächelte ich auf. Timo gegenüber fühlte ich mich nämlich ein bisschen schuldig. Er hatte seine Zeit für mich Anfänger geopfert, und dann ließ ich ihn einfach wegen meiner Trotzigkeit stehen. So würde er bestimmt nie mein Freund werden wollen.

„Super. Wann? Und wo wohnst du überhaupt?“, brabbelte ich begeistert los.

„Ach, ich hole dich ab. So um acht. Muss noch bei wem vorbei. Übrigens, Nikolaj…“, jetzt schaute sie auch ihn an, „lass das, okay? Du kannst deine Spielchen treiben, mit wem du auch immer willst, außer ihm, klar? Wenn du uns schon nicht hilfst, dann behindere uns wenigstens nicht.“

Musste man das jetzt verstehen? Und hatte ich das gerade richtig verstanden, dass sie wieder versuchte den Kontakt zwischen Nikolaj und mir zu unterbinden? Nur diesmal von der anderen Seite? Hallo? Rede ich Chinesisch? Ich will das nicht!

Nikolaj zuckte nur gelangweilt die Schultern. Cala schnaubte.

„Sascha, soll ich dich noch nach Hause fahren? Ich muss los“, wandte sie sich wieder an mich. Am liebsten hätte ich nein gesagt, doch mein Verstand hatte sich zum Glück noch nicht ganz abgeschaltet, und so sagte ich ja. Die Alternative wäre nämlich laufen gewesen… was dann aber wohl darin geendet hätte, dass Nikolaj mich chauffierte. Und das wollte ich nach seiner Überheblichkeit ganz bestimmt nicht.

Calas Wohnung war klein, aber sehr gemütlich. Eine alte abgewetzte Couch nahm fast vollständig das winzige Wohnzimmer ein. Sie wirkte verdammt gemütlich, und nachdem ich mich probehalber einmal draufgeschmissen hatte, bestätigte sie mir auch, dass sie es tatsächlich war. Der Boden war mit einem flauschigen dunkelroten Teppich bedeckt und überall lagen Kissen und Decken herum.

Auf dem Wohnzimmertisch hatte die Fee Kekse und sonstige Weihnachtsnaschereien bereit gestellt. Und dann natürlich der Fernseher. Ein sehr modernes Gerät mit einem großen Screen, das geradezu zum Fernsehen verführte.

Kurz nachdem wir angekommen waren, traf auch Timo ein. Dick eingemummelt in seinen Schal hatte ich ihn im ersten Augenblick gar nicht erkannt.

„So ihr beiden, macht es euch gemütlich. Ist Weihnachtstee recht?“ Fragend schaute die Gastgeberin in die Runde. Wir beide nickten und folgten ihrer Anweisung.

Timo rückte ganz nah zu mir, ich spürte seinen warmen Körper an meiner Seite. Ich wagte nicht, mich zu bewegen, da ich Angst hatte, er könnte sich wieder von mir entfernen.

Doch dann beugte er sich sogar noch zu mir rüber, pustete mir leicht auf die Wange. „Du bist süß, weißt du das?“, hauchte er.

„Was?“, quiekte ich leicht erschrocken. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerettet.

„Ich bin so froh, dass du in mich gerannt bist. Bist du dir eigentlich klar, wie lange ich darüber nachgedacht hatte, wie ich dich am unverfänglichsten ansprechen könnte? Aber du bist so still und warst nach der Schule immer gleich wieder verschwunden…"

Ich wusste darauf erst einmal nichts zu erwidern. Mir war bis dahin nicht einmal bewusst gewesen, dass er mich überhaupt bemerkt hatte. Und jetzt gestand er mir indirekt, dass er wohl an mir interessiert war.

Cala enthob mich allerdings einer Antwort, denn sie kam mit dem Tee, hübsch dekoriert auf einem Tablett, zurück.

„Ich hatte gedacht, wir schauen uns einen Weihnachtsfilm an und machen es uns bequem. Und bevor irgendwelche Einwände kommen… ich habe einen wirklich klasse Weihnachtsfilm, den ihr bestimmt noch nicht kennt.“ Sie bedachte uns mit einem schelmischen Zwinkern und legte die DvD ein.

Der Film war echt gut, was allerdings auch an der Umgebung liegen könnte. Timo direkt neben mir, der Weihnachtstee, die Kekse und der Spekulatius, den meine Mutter mir noch schnell in die Hand gedrückt hatte.

Ich weiß nicht, wann der Film endete, oder wie, denn ich bekam das nicht mehr mit. Der Tag hatte mich so ausgelaugt, dass ich tatsächlich einfach eingeschlafen war. Erst als sich Timo vorsichtig unter mir bewegte, wachte ich auf.

Im Schlaf war mein Kopf auf seine Schulter gerutscht und schließlich auf seiner Brust liegen geblieben.

„Oh, Entschuldigung. Ich wollte dich nicht wecken“, flüsterte er mir zu. Ich setzte mich auf und rieb mir schlaftrunken die Augen.

„Ach, ist schon in Ordnung“, winkte ich beschwichtigend ab. „Ich habe dich ja auch einfach ungefragt als Kopfkissen missbraucht.“ Zaghaft lächelte ich ihn an.

„Oh… warum bist du aufgewacht. Das war so süß, ihr beiden“, schallte es von der Küche her. Cala stand im Türrahmen und sah uns beide enttäuscht an. Ich schaute von ihr zu Timo, und Timo schaute ebenfalls von ihr zu mir… bis wir schallend anfingen zu lachen. Cala murrte beleidigt, stimmte dann allerdings doch mit ein.

Es lief nicht mehr viel am Abend, wir alle waren müde. Meine Mutter hatte mir zum Glück erlaubt, bei Cala zu übernachten, auch wenn mir ihr Blick dabei ganz und gar nicht gefallen hatte. Aber wie auch immer, ich hatte nämlich überhaupt keine Lust mehr hinaus in die Kälte zu müssen.

Timo verabschiedete sich dann auch bald. Doch zu meiner Freude hatten wir für den nächsten Tag ausgemacht, uns im kleinen aber netten Einkaufscenter zu treffen. Dort sollte eine Weihnachtsshow laufen. Es gab dieses Jahr irgendwie ziemlich viele von denen.

Als Timo dann auch schließlich gegangen war, kuschelte ich mich wieder zurück auf die Couch, die diese Nacht mein Bett darstellte. Sie roch noch nach ihm. Zufrieden senkte ich meine Lider. Doch zu meinem Erstaunen tauchte nicht sein Bild vor meinem inneren Auge auf, sondern Nikolajs. Allerdings war ich zu müde, um wirklich darüber nachzudenken und auch ziemlich schnell eingeschlafen.

Als ich aufwachte, brauchte ich erst einen Augenblick, bis ich registrierte, dass ich überhaupt nicht in meinem Bett, sondern auf Calas Couch lag. Müde streckte ich mich, um mich anschließend aufzusetzen. Die Sonne schlich sich durch die Gardinen und erhellte den Raum.

„Auch schon wach?“, erklang es fröhlich hinter mir. Die Fee schien putzmunter und voller Tatendrang.

„Hm“, muffelte ich als Antwort. Es tut mir ja sehr leid, aber am Morgen ist nicht viel mit mir anzufangen.

„Du solltest dich etwas beeilen, Süßer. Es ist bereits halb zwölf und um eins wolltest du dich mit deinem Schatz treffen. Ich weiß ja nicht was dein Plan war, aber ich denke, du wolltest davor noch kurz bei dir zu Hause vorbeischauen?“

Ihre neckenden Worte versetzten mir einen Schock. Halb zwölf schon? Es kam mir vor wie acht Uhr morgens. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und beeilte mich, mich fertig zu machen.

Cala schaute mir nur kopfschüttelnd hinterher, als ich aus ihrer Wohnung rannte.

Eineinhalb Stunden scheinen zwar auf dem ersten Blick genug, doch ich wollte noch essen, duschen, mich ‚hübsch‘ machen und schließlich konnte ich mich auch nicht von einem Ort zum anderen beamen.

Ich kam nur ein paar Minuten nach ein Uhr im Einkaufscenter an. Sofort erspähte ich den Schauplatz der Show. Diese sollte um halb zwei beginnen.

Es hatte sich auch schon eine Menschenmenge gebildet, vornehmlich von kleinen Kindern beherrscht, die aufgeregt dem Kommenden entgegenfieberten. Ich wusste nicht einmal, was genau das für eine Show war. Cala hatte nur gemeint, ich solle mich überraschen lassen und Timo hatte auch nicht wirklich Ahnung gehabt.

Suchend ließ ich meinen Blick über die Leute schweifen, bis er an einem blonden Haarschopf hängen blieb. Im selben Augenblick hatte Timo auch mich erspäht und winkte mir nun eifrig zu.

„Hey“, keuchte ich lächelnd.

„Tag, du“, grinste er, was seine süßen Grübchen zum Vorschein brachte. „Und, gut geschlafen bei Cala?“

„Ja… und du gut nach Hause gekommen?“

„Klar. Frank und ein paar andere Kumpels werden übrigens auch noch kommen“, informierte er mich, was mich irgendwie überhaupt nicht begeisterte. Nichts gegen seine Freunde, aber ich kannte sie nicht und kam mir in ihrer Gegenwart unnötig vor.

„Musst nicht so ein Gesicht ziehen, die beißen schon nicht“, lachte Timo meine ‚Freude‘ bemerkend auf.

„Das will ich mal hoffen“, versuchte ich einen Witz, der allerdings nicht wirklich gelang.

Zu meinem Verdruss tauchte da auch schon Frank auf, im Gefolge einen weiteren Jungen und ein Mädchen. Ab da war ich abgeschrieben, und zwar auch bei Timo. Die vier redeten über Fußball, Partys und lauter Personen, die ich nicht kannte. Gelangweilt stand ich daneben, versuchte möglichst interessiert und involviert auszusehen.

Als die Show dann endlich begann, mit fünfzehnminütiger Verspätung, hatte ich endlich etwas, auf was ich meine Aufmerksamkeit lenken konnte.

Es war eine Weihnachts-HipHop-Aufführung. Die Tänzer waren als Elfen und Rentiere verkleidet, und es gab auch einen Weihnachtsmann. Die Musik war natürlich Weihnachtsmusik. Die Show war sehr nett gemacht, doch ich konnte sie nicht wirklich genießen. Dies lag wohl daran, dass ich mir die Situation mit Timo ganz anders vorgestellt hatte. Mein Plan war nämlich gewesen, mit ihm alleine die Show anzuschauen und am besten noch ich an ihn gekuschelt. Aber der Herr hatte sich, wie mir schien, möglichst weit von mir entfernt hingestellt und ignorierte mich.

Versunken glotzte ich also auf die rote Nase von Rudolph. Dank Cala wusste ich, dass es diese in Wirklichkeit nicht gab, aber das war mir in dem Moment dann auch egal.

„Was macht eigentlich der hier?“, hörte ich im Hintergrund das Mädchen und konnte mir vorstellen, wie sie dazu ihre Nase rümpfte, als würde sie keine Person, sondern einen Haufen Schweinedreck meinen. Ich hätte diesen Kommentar eine Sekunde später wieder vergessen, hätte ich nicht in der folgenden Erwiderung meinen Namen gehört.

„Sascha? Wir haben uns zufällig hier getroffen“, antwortete Timo ihr. Zufällig. Aha… interessant.

„Woher kennst du ihn eigentlich? Kann es sein, dass du in letzter Zeit ziemlich oft mit ihm zusammen herumhängst?“, argwöhnte das Mädchen. So eine dumme Nuss, konnte sie ihre Nase nicht einfach aus Dingen heraushalten, die sie nichts angehen?

„Stimmt, Timo. Der war doch auch mit uns auf dem Weihnachtsmarkt. Und gestern beim Schlittschuhlaufen?“, bekräftigte Frank ihre Behauptung.

„Ich kenne halt viele Leute“, lachte Timo. Ich war mir nicht sicher, doch hörte ich eine leichte Unsicherheit in seiner Stimme?

„He… ist der nicht schwul? Ich habe mal so etwas gehört“, warf der andere Junge ein, dessen Name glaube ich Martin war, falls ich es richtig mitbekommen hatte. Jetzt wurde mir wirklich kalt. Scheiße. Woher kam bitte das Gerücht her? Ich war doch immer so vorsichtig gewesen. Meine Finger begannen zu zittern und krampfhaft versuchte ich meinen Blick auf die blinkende Nase zu fixieren.

„Haha, ich glaube, der will was von dir, Timo“, kicherte das Mädchen.

„Ich denke, ziemlich viele wollen was von mir“, kam die für mich so überraschende Erwiderung. Nikolaj hätte ich diese Antwort zugetraut, nein, ich hätte sie sogar erwartet. Aber bestimmt nicht von Timo. Er war doch nicht so ein Idiot.

„Und du? Willst du denn was von ihm? War der nicht auch im Plump am Freitag bei dir gesessen?“, fragte Martin die wohl nun entscheidende Frage. Unwillkürlich und ohne dass ich es wollte, spitzte ich meine Ohren.

„Natürlich nicht. Ich bin doch nicht schwul. Und am Freitag war der nur bei uns, weil seine Freundin auch da war“, wehrte Timo entsetzt ab. Es war wie ein Stich… ‚Ich bin doch nicht schwul‘… immer wieder hallten die Worte in meinem Kopf nach. Gut, wenn ich ehrlich bin, ich wusste nicht wirklich, ob er schwul war. Die Fee meinte es zwar, doch ob sie da immer richtig lag? Und vielleicht hatte sie mich auch einfach angelogen. Dennoch, es tat weh. Verdammt weh.

Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass er das Ganze noch toppen konnte. „Die kleine, neu hergezogene… ich glaube Cala war ihr Name… ist schon süß, ne.“ Ich wusste, ohne nachschauen zu müssen, dass er schelmisch grinste.

„Jo, da haste recht“, brummte Frank daraufhin nur und beendete das Thema, indem er plötzlich von einer geplanten Silvesterparty losfaselte.

Ich hörte dem folgenden Gespräch nicht mehr weiter zu, aber auch sonst nahm ich nicht viel um mich herum wahr.

Ich fühlte mich verraten. Selbst wenn das stimmte und er nichts von mir wollte, ja nicht einmal schwul war, die Tatsache, dass wir uns hier nur zufällig getroffen hatten, war gelogen. Und was war das mit Cala? Stand er wirklich auf sie? Ich konnte mir das aus irgendeinem Grund nur schwer vorstellen. Er hatte sich einfach nicht richtig dafür verhalten. Soweit ich weiß, hatte er sie gestern Abend nicht einmal mit dem Arsch angeschaut, sondern lieber seinen Arm um mich geschlungen. Der Grund für seine Worte war offensichtlich – er wollte vor seinen Freunden nicht zugeben, mit mir herumzuhängen. Ich war ja der absolute schwule Looser.

Tränen schlichen sich in meine Augen und bevor ich noch anfing, vor den vieren loszuheulen, drehte ich mich abrupt um und kämpfte mich durch die Menschenmenge. Bloß weg hier. Wo war Cala, wenn man sie einmal wirklich brauchte?

Blind stolperte ich durch das Einkaufscenter. Mir war egal, wie die Leute mich wohl anschauen mussten. Sie würden mich ohnehin bei der nächsten Biegung wieder vergessen haben.

Schließlich versiegten die Tränen und trocken schluchzend blieb ich stehend. Ich war im Kreis gelaufen, vor mir befand sich die Zuschauermenge der Show. Sie war kurz vor ihrem Ende und die Tänzer waren gerade bei ihrer Zugabe.

Ich drehte mich herum, um das Gebäude zu verlassen, kam allerdings keinen Schritt weit. Direkt hinter mir hatte jemand gestanden, in den ich nun geradewegs hineinrannte.

Hände packten mich warm und kräftig an den Schultern. Doch statt mich vom Körper wegzuschieben, fuhren sie hinunter auf meinen Rücken und drückten mich fester an diesen. Überrascht keuchte ich auf, vor allem als sie anfingen mich langsam zu streicheln.

Ich stemmte meine Hände gegen den Griff und versuchte freizukommen. Was lief hier bitte ab? Panik überkam mich, als ich merkte, dass meine Bemühungen rein gar nichts bewirkten.

„Ganz ruhig Kleiner, ich bin es nur“, schnurrte es dann über mir. Oh… mein Widerstand erschlaffte. Ich war nicht sicher, ob ich froh darüber war, Nikolaj getroffen zu haben. Konnte ich ihn nun gerade in diesem Moment überhaupt nicht gebrauchen, oder umso mehr?

„Du denkst zu viel.“ Seine Hände wanderten wieder hoch zu meinen Schultern und schoben mich nun doch zurück, sodass ich in sein Gesicht schauen konnte. Seine Augen waren durch eine dunkle Sonnenbrille verdeckt, er trug wie üblich seine Lederjacke, diesmal dazu passend eine schwarze Jeans.

Er lächelte nicht. Und irgendwie fand ich das erleichternd. Jeder lächelte mich immer nur an, meistens dieses strahlende, falsche Lächeln. Das konnte ich gerade wirklich nicht ab.

„Du kannst mich loslassen“, meinte ich nach einer Weile verlegen, in der wir uns nur regungslos angestarrt hatten, wobei ich nicht einmal seine Augen erkennen konnte.

Er lachte trocken, ließ aber seine Hände sinken. „Was für ein Zufall, dich hier zu treffen.“

„Zufall? So langsam glaube ich, dass du mich verfolgst“, unterstellte ich ihm, halb ernst, halb im Spaß.

„Dasselbe könnte ich von dir glauben“, war seine simple Antwort.

„Warum bist du hier?“, ließ ich diese allerdings nicht gelten.

„Alex abholen. Der ist gerade noch durch die Gegend gehopst, aber wie ich sehe, sind sie wohl endlich fertig.“

Überrascht riss ich die Augen auf und drehte mich zur Schaufläche um. Die Zuschauermenge lichtete sich bereits.

„Alexandis tanzte mit? Warum habe ich ihn nicht gesehen?“

„Vielleicht liegt das daran, dass er in braunen Pelz gehüllt ist und eine blinkende rote Nase sein Gesicht verunstaltet?“, grinste Nikolaj und lief zu den Tänzern, die von einer Gruppe kleiner Kinder belagert wurde.

Ich zögerte kurz, doch dann folgte ich ihm. War mir doch egal, ob Timo dort noch herumstand.

Alexandis hatte reichlich Mühe die Kinder von sich abzuwimmeln, die ganz begeistert von ihm oder eher gesagt von Rudolph waren.

Nikolaj stand nur daneben und lachte ihn aus.

Schließlich streifte sich der Elf seine Maske und die Nase ab, was ihn mir auch endlich als Alexandis erkennbar machte. Sofort verschwand das Interesse der Kleinen.

„Hi Nik, hallo Sascha“, begrüßte er uns beiläufig, damit beschäftigt seine Haare zu richten. In meinen Augen sahen sie ja perfekt aus… wie der ganze Rest. Ich fragte mich, wie er es schaffte, selbst in diesem unförmigen Rentierkostüm sexy auszusehen. Jeder andere hätte einfach nur lächerlich gewirkt.

„Kommt Sascha mit?“, erkundigte Alexandis sich.

„Ich würde ihn ja gerne mitnehmen, aber dann müsste ich dich hier zurücklassen“, grinste Nikolaj. Sofort verfinsterte sich die Miene des Elfen aus mir unerklärlichem Grund.

„Sag nicht, du bist mit dem Motorrad hier?!“, erklärte er sich mir dann aber auch gleich ärgerlich.

„Doch, bin ich. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich mit deinem hässlichen Unimog durch die Gegend krieche und dann höchstwahrscheinlich noch hinter einem Streuwagen steckenbleibe?“

„Ja, genau das habe ich geglaubt. Schließlich hast du mir das Gefährt geschenkt.“

„Ich war besoffen“, erwiderte Nikolaj emotionslos.

Alexandis schnaubte nur. „Das ist dein Problem. Ich fahre jedenfalls nicht mit dem Motorrad. Ist dir auch nur kurz in den Sinn gekommen, dass ich dieses hässliche Kostüm anhabe und es draußen kalt ist?“

„Ich habe eine Jacke mitgenommen.“

„Ahhh“, schrie Alexandis nur fluchend auf, „du bist so ein Idiot Nik. Du wusstest ganz genau, dass ich das nicht mag.“

„Dann lauf halt“, rollte Nikolaj mit den Augen.

„Handy!“, forderte sein Bruder stattdessen. Wortlos gab er ihm es.

„Du bist echt unbrauchbar. Und dieses Jahr übrigens bleibst du nüchtern, wenn du mir was schenkst. Ich will einen Flügel… einen hübschen, der schöne Klänge von sich gibt. In Englisch übrigens grand piano… nicht dass ich noch Engelsflügel oder am besten noch einen abgehackten mit Blutresten behafteten Vogelflügel kriege.“

Nikolaj zuckte mit den Schultern. „Ich will eine Stereoanlage. Eine mit richtig fetten Boxen. Und natürlich dem entsprechendem Sound.“

Alexandis antwortete erst einmal nichts darauf, da er am Handy hing. „Hey Schatz“, seufzte er, „kannst du vorbeikommen? Nik, der Arsch, ist mit…“ Er entfernte sich, sodass sich seine Worte verlierten. Schatz? Alexandis hatte also einen Freund. Kein Wunder, bei seinem Aussehen. Aber wieso störte mich der Gedanke daran?

„Und was wünschst du dir?“, wandte sich Nikolaj wieder an mich. Ich war im ersten Moment ziemlich überrumpelt von der Frage.

„Einen Freund“, antwortete ich dann auch ohne groß nachzudenken. Ich bereute es allerdings gleich wieder. Verdammt, was würde er wohl jetzt von mir denken? Dass ich etwas von ihm will? Bestimmt nicht!

„Wünschst du dir auch etwas Materielles?“, kam dann allerdings die von mir unerwartete Reaktion.

„Öhm…“, war dann auch mein geistreicher Beitrag. Klar wünschte ich mir auch etwas Materielles, wer tut das nicht. Aber so auf Anhieb etwas nennen…

„Einen neuen PC.“ Mein jetziger war einfach nur Schrott. Brauchte ewig, bis der mal etwas geladen hatte. Aber er funktionierte, weshalb meine Eltern auch nicht einsahen, mir einen neuen anzuschaffen.

„Ich brauche dich nicht mehr, Nik. Und ich sage bestimmt nicht danke, dass du hergekommen bist!“ Alexandis reichte ihm das Handy zurück.

Nikolaj grinste. „Gut… soll ich dich nach Hause fahren, Sascha?“

Woher wusste ich, dass diese Frage früher oder später gestellt werden würde?

„Ich weiß nicht“, versuchte ich ihn möglichst höflich abzuweisen. „Ich bin noch nie mit einem Motorrad gefahren. Ich habe auch keinen Helm.“

„Ich habe einen zweiten mit. Und eine Jacke. Du hast jetzt ohnehin keine Ausrede mehr. Kann ja nicht angehen, dass du noch nie mit so einem Teil durch die Gegend gesaust bist.“ Keine Widerrede duldend, ergriff er meine Hand und zog mich hinter sich her. Allerdings wehrte ich mich auch nicht wirklich. Neugierig war ich ja schon…

Die Jacke war schwer und zu groß, aber warm. Der Helm passte, allerdings hatte ich das Gefühl, dass mein Kopf gleich von meinen Schultern rollen würde. Unbeholfen kletterte ich auf das Gefährt. Ich kenne mich mit Motorrädern nicht aus, aber selbst ich wusste, dass Nikolajs Modell ein ziemlich teures war.

Ängstlich klammerte ich mich an ihn. Zum Glück waren auch noch ein Paar Handschuhe in den Jackentaschen von der geborgten Jacke gewesen, meine ‚Pseudohandschuhe‘ hätten nämlich rein gar nichts geholfen.

Auch wenn ich merkte, dass Nikolaj extra langsamer fuhr, als er es für gewöhnlich tat, war es für meinen Geschmack zu schnell. Die Kurven waren das Schlimmste. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir gleich den Boden schrammen und in Folge darauf umkippen würden.

Als wir nach einer viel zu langen Zeit endlich vor meinem Haus ankamen, stieg ich erleichtert hinunter und zwängte mich gleich aus dem Helm.

Nikolaj lachte und nahm ebenfalls seinen ab. Wild standen seine Haare vom Kopf, und selbst die dadurch fahrende Hand konnte sie nicht ordnen.

„Ich muss dir leider sagen, dass du ein absolut schlechter Mitfahrer bist“, grinste er. „Aber keine Sorge, nach ein paar mehr Fahrten hast du das auch drauf. Sogar Alex hat das hingekriegt.“

Nun ja, ich hatte nicht vor, noch einmal mit ihm mitzufahren, und jetzt konnte ich seinen Bruder nur zu gut verstehen. Was fanden nur all die Leute so toll an solch Gefährten?

„Sascha?“, schallte es vom Haus her. Meine Mutter stand in der Eingangstür und schaute leicht entsetzt zu uns herüber. „Sag nicht, dass du mit diesem Ding hergefahren bist?!“

„Äh… doch“, musste ich zugeben, da leugnen ohnehin nichts gebracht hätte.

„Sascha!“ Entrüstet schaute Mum mich an, schüttelte dann allerdings nur resignierend den Kopf. „Kommt rein, es wird kalt.“ Sie wandte sich wieder um und verschwand im Inneren.

Leider hatte Nikolaj nur zu gut bemerkt, dass sie den Plural verwendet hatte und sah sich somit höchstpersönlich von der Herrin des Hauses eingeladen. Seufzend trottete ich also hinter ihm ebenfalls in die warme Stube und schloss die Tür.

Nikolaj sah sich interessiert um, während er sich aus der Jacke schälte. „Hätte ich gewusst, dass ich zu dir kommen würde, hätte ich deine Schüssel mitgebracht.“

Ich winkte nur ab. „Wir haben genug von denen, brauchst dich nicht eilen.“

„Wollt ihr etwas essen? Ich habe versucht, einen neuen Kuchen zu backen, scheint ganz gut geworden zu sein. Dazu kann ich euch Tee machen, wenn ihr wollt.“ Mum tauchte im Türrahmen zur Küche auf.

„Klar, gerne“, stimmte Nikolaj ihr zu, ohne mich auch nur fragend anzuschauen. Womit sich der Satz, dass er nur kurz bliebe, als unglaubwürdig erweisen würde… Mist.

„Gut, geht ihr in dein Zimmer? Ich bringe euch dann alles hoch.“

Ergeben nickte ich.

Nikolaj schmiss sich sofort auf mein Bett und machte sich breit. Seufzend schloss er die Augen und streckte sich. „Ich mag dein Bett.“

Ich brummte nur und setzte mich auf den Schreibtischstuhl. Was sollte ich jetzt mit ihm hier?

„Was ist? Du schaust so grimmig.“ Nikolaj stand wieder auf und nahm mein Zimmer unter die Lupe.

„Du machst auch einfach das, was du willst, oder?“, fragte ich ihn.

„Kommt ganz gut hin, ja.“

Meine Mutter unterbrach die beginnende Konversation und brachte uns den versprochenen Kuchen und den Tee. Zum Glück hatte sie nicht wieder angefangen meinen Gast zuzulabern, sondern nur das Tablett aufs Tischchen abgestellt.

Nikolaj ließ sich jetzt in meinen Sitzsack vor den Naschereien fallen und schaute mich an. Unsicher betrachtete ich meine Finger, nicht wissend, was ich tun sollte.

Es vergingen bestimmt Minuten, bis sich Nikolaj endlich regte. „Komm, setz dich zu mir und lass uns den Kuchen deiner Mutter probieren. Wenn der auch nur halb so gut schmeckt wie ihr Spekulatius, ist er definitiv zu schade, um stehen gelassen zu werden.“

Natürlich folgte ich seinen Anweisungen und saß kurz daraufhin neben ihm. Habe ich überhaupt eine eigene Meinung? Dauernd mache ich das, was andere von mir wollen…

Nikolaj schnitt uns beiden jeweils ein Stück ab und reichte mir meines.

„Ich bin auszubildender Bankkaufmann.“

„Hä?“, verwirrt schaute ich ihn an. Was wollte er jetzt damit.

Er zuckte mit den Schultern. „Mir ist aufgefallen, dass wir eigentlich gar nichts voneinander wissen. Also lass uns reden.“

„Oh… ok.“ Er hatte recht. Im Grunde wusste ich so gut wie gar nichts über ihn. Lediglich, dass er wahrscheinlich ein Elf war. Ich meine, sein Bruder war einer, also musste er auch einer sein. Und dass er ein arrogantes, egoistisches aber leider auch ziemlich attraktives Arschloch war.

„Ich bin Schüler und gehe in die 12“, leierte ich meinen Part hinunter.

„Ich bin 21.“

„17.“

„Wir sind vor einem Monat hergezogen, weil Alex eine Lehrstelle hier in der Nähe gefunden hat und ich eine Möglichkeit fand, meine angefangene hier fortzuführen.“

„Was lernt er?“, fragte ich, jetzt doch neugierig geworden.

„Graphikdesign. Was willst du später machen?“

„Ich weiß nicht.“

Nikolaj nickte. Er lehnte sich weiter zurück, umschlang mich mit einem Arm und zog mich halb auf sich. Erschrocken versteifte ich mich. Doch als er nichts weiter tat, entspannte ich mich wieder. So schlimm fand ich die Position irgendwie gar nicht. Er war warm und… kuschelig.

„Ich bin schwul.“ Diese Worte ließen mich kurz zusammenzucken, obwohl ich das ja eigentlich schon von ihm wusste.

Ich spürte seinen Blick auf mir, richtete meine Augen allerdings stur auf seine Brust. Ich ahnte, was er jetzt von mir hören wollte. Aber ich hatte es bisher nur Cala gesagt, und das war schon schwer genug gewesen. Außerdem war sie eine Fee. Zudem könnte meine Mutter jeden Augenblick ins Zimmer platzen und wenn sie das hören würde… halleluja. Es würde einen riesen Aufstand geben und das zu Weihnachten.

„Wenn deine Mutter jetzt reinplatzen und dich so auf mir liegen sehen würde, würde sie es ohnehin vermuten und es gäbe ebenfalls einen Aufstand“, meinte Nikolaj trocken.

Verwirrt schaute ich ihn an. Konnte der Gedanken lesen oder was?

„Du hast laut gedacht“, seufzte er.

„Oh… ehm…“ Ich wurde rot. Wie peinlich war das denn.

„Also?“ Abwartend sah er mich an.

Verschämt blickte ich auf meine Finger, die sich in seinen Pulli gekrallt hatten. Was war schon dabei. Es war nur ein Wort.

„Ich bin auch schwul“, flüsterte ich.

Sanft legte er einen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, so, dass ich ihm in die Augen schauen musste. Dunkelbraun waren sie. Wunderschön. Und dann küsste er mich. Ganz zart, und nur mit den Lippen. Dennoch oder gerade deswegen fühlte ich mich ganz leicht und war in dem Moment einfach… glücklich.

Wir kuschelten den Rest der Zeit nur noch und aßen den wirklich hervorragenden Kuchen auf.

Kurz vor dem Abendessen ist er dann gegangen. Alexandis würde kochen und da war es klüger, anwesend zu sein, meinte er.

Ich schaute ihm noch lange vom Fenster aus nach. Mein Bauch flatterte immer noch aufgeregt und meine Gefühle spielten verrückt. Verdammt, bitte sag nicht, dass ich mich in ihn verliebt habe. Selbst bei Timo hatte ich das nicht in dieser Intensität gespürt. Eigentlich gar nicht, ich hatte nur ein Grinsen im Gesicht, wenn ich an ihn gedacht hatte. Das hatte ich jetzt, wenn ich an Nikolaj dachte, auch, aber eben plus all der anderen Symptome dazu. Oje… Nikolaj, warum ausgerechnet er? Cala hatte mich doch gewarnt. Und ich wusste ja eigentlich, was für ein Idiot er war. Aber trotzdem… verdammt.

Am nächsten Morgen klingelte es um zehn Uhr morgens an der Haustür. Ich hatte noch im Bett gelegen und eigentlich auch vorgehabt, dort für die nächste Stunde liegen zu bleiben. Ich hatte nicht vor wegen dem Getöse aufzustehen, allerdings war mir dann siedend heiß eingefallen, dass ich alleine im Haus war. Mum war um neun losgefahren, um Dad vom Flughafen abzuholen.

Fluchend sprang ich aus dem Bett und öffnete noch im Schlafanzug die Tür. Ich bereute es sofort. Dort stand Timo. Ich wurde augenblicklich rot. Doch er schien es nicht zu bemerken oder einfach zu ignorieren.

Wie ein geknickter Tropf stand er da. „Hallo Sascha“, murmelte er schwach lächelnd.

„Hi“, erwiderte ich abweisend. Was wollte er hier. Ich hatte schon verstanden, dass er nichts mit mir zu tun haben wollte. Jedenfalls öffentlich.

„Es tut mir leid.“

„So, das tut es.“ Er tat mir zu meinem Verdruss in dem Moment auch leid. Doch ich wollte standhaft bleiben. Ich kann vieles tolerieren, aber nicht, wenn man mich um des eigenen Rufes willen verleugnete.

„Versteh doch“, flehentlich sah er mich an, „ich bin tot, wenn das rauskommt. Bei dir spielt das ja keine Rolle, das kümmert keinen. Aber bei mir wäre das ein Skandal.“

Okay, er war ein Trottel. Wie konnte er mir auch nur eine Sekunde lang leidtun? In gewisser Weise verstand ich ihn ja. Aber das bedeutete nicht, dass ich es akzeptierte und damit leben konnte. Ich wollte es auch gar nicht.

„Das ist dein Problem, nicht meines. Weißt du, ich habe echt keinen Bock darauf.“ Ich wollte mich schon abwenden und ihm die Tür auf höchst theatralische Weise vor der Nase zuknallen, als er nun ziemlich angepisst, wie mir schien, erneut ansetzte.

„Ist es wegen ihm?“, zischte er.

„Wegen wem?“ Ich konnte es mir allerdings schon denken.

„Diesem Schläger? Ich hatte dich echt anders eingeschätzt. Aber woher sollte ich auch wissen, dass du auf hirnlose Arschlöcher stehst.“ Und dann drehte er sich theatralisch um und stapfte davon. Toll, hatte er mir meine Show gestohlen!

Zudem verspürte ich eine unheimliche Wut auf ihn. Er kannte Nikolaj nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Da sollte er auch nicht so vorschnell über ihn urteilen und schlecht von ihm reden! Vor allem er ist doch selbst ein Arsch.

Trotzig knallte ich die Tür zu, obwohl keiner mehr da war außer mir selbst, der es hören konnte.

Den Rest der Zeit bis meine Eltern kamen wollte ich schmollend vor dem Fernseher verbringen, doch natürlich kam wieder etwas dazwischen. Oder eher gesagt jemand, nämlich eine gewisse Fee namens Cala.

Diese klingelte nicht lange nach Timos Abgang Sturm. Genervt öffnete ich die Tür und wurde praktisch von ihr überfahren.

„Bist du wahnsinnig geworden?“, schrie sie mich verzweifelt an und stapfte schnurstraks weiter ins Wohnzimmer. Verblüfft starrte ich ihr hinterher.

„Was hatte ich dir gesagt? Ich hatte dich gewarnt! Aber nein, der liebe Herr meint ja unbedingt den Dickkopf spielen zu müssen.“ Missgelaunt stand sie mit verschränkten Armen vor dem Fernseher und schaute mich an, als wäre ich ein kleines Kind, das verboten die Schokolade vom Nachttisch der Eltern gegessen hatte.

„Hey, ganz ruhig“, versuchte ich sie zu besänftigen. Überraschenderweise gelang es mir sogar.

„Gut, ich gebe zu, dass das mit Timo vielleicht auf den ersten Blick nicht perfekt scheint. Aber er braucht einfach noch ein bisschen Zeit, um zu sich selbst stehen zu können. Denk doch an dich selbst, auch du brauchtest Zeit.“ Ihre Worte machten Sinn. Dennoch wusste ich, dass es nicht das Richtige für mich war.

„Weist du Cala, ich hätte kein wirkliches Problem damit, dass er erst einmal nicht offen schwul sein will. Der Punkt ist ein anderer.“

„Der wäre?“, herausfordernd schaute sie mich an.

„Wenn es wirklich darauf ankäme, wenn er mich zum Beispiel beschützen könnte, indem er zugibt, wenigstens mit mir befreundet zu sein, nicht unbedingt ein Paar… ich wäre mir nicht sicher, ob er das tun würde.“

„Aber bei Nikolaj bist du es?“, spöttisch hob sie eine Augenbraue.

„Nein… das bin ich auch nicht“, murmelte ich leise, „aber bei ihm… da ist irgendwie mehr. Ich glaube, für Timo habe ich einfach nur geschwärmt. Bei Nikolaj ist das anders.“

Sie schnaubte. „Schön… wunderbar. Warum geht dieses Jahr auch alles schief? Der Weihnachtsmann ist schlimmer als ich dachte, die meisten Elfen können nicht einmal mehr die einfachsten Zauber, die Feen wissen nicht, wem sie helfen sollen, versuchen jedem zu helfen und erreichen am Ende überhaupt nichts… ich dachte, wenigstens du würdest an und vor allem nach Weihnachten glücklich sein. Aber nein…“

„Äh… wer sagt, dass ich nicht glücklich bin? Und woher weißt du eigentlich von Nikolaj und mir?“

„Ich bin zurzeit deine Fee, Süßer. Und Nikolaj kann dich nur unglücklich machen.“ Sie wirkte fast schon traurig. So, als hätte sie gründlich versagt. Was sie in ihrer Sicht wohl auch hatte.

„Naja, du musst es wissen. Ich muss weiter, versuchen die Krise nicht ganz so schlimm werden zu lassen. Und keine Angst, ich mische mich nicht bei deiner Beziehung oder was auch immer das ist ein.“

An der Tür warf sie mir noch einmal einen Blick zu, murmelte mir „viel Glück“ und raste in ihrem limettengrünen Auto davon.

Warum müssen alle immer so dramatisch sein?

Meine Eltern kamen um die Mittagszeit zurück. Viel sah ich allerdings nicht von ihnen. Dad war vom Jetlag ziemlich müde und verschwand bald im Schlafzimmer, Mom verbarrikadierte sich in der Küche um ein ‚Willkommensabendessen‘ zu kochen.

Mir war ziemlich langweilig, doch dann fiel mir ein, dass ich noch gar keine Geschenke für meine Freunde hatte. Ja, dieses Jahr hatte ich sogar welche, also Freunde.

Ich fuhr mit dem Zug zur nächst größeren Stadt, da dort die Wahrscheinlichkeit geringer war, Timo oder einer seiner Kumpels zu begegnen. In der nächsten Zeit wollte ich keinen von denen sehen.

Es war gar nicht so einfach etwas Passendes zu finden. Was schenkt man einer Fee? Ich lief stundenlang durch die Geschäfte, bis ich letztendlich bei Naschereien landete. Pralinen. Ja ich weiß, ich bin extrem unkreativ. Aber die Pralinen kommen von Herzen… mit schmerzenden Füßen gekauft. Das sollte man schätzen.

Seufzend verließ ich den Laden und suchte nach einem Café, um mir eine Pause zu gönnen und um mich aufzuwärmen. Mein Blick streifte dann allerdings über das Schaufenster eines kleinen Kruschtladens. Ein kleiner Weihnachtsbaum war aufgestellt, behängt mit allerlei Kugeln, Sternen und sonstiger Weihnachtsdekoration. Krippen umgaben seinen Stamm. In einer Ecke war auch Schmuck ausgelegt.

Neugierig betrat ich den Laden. Ich wollte noch etwas für Alexandis und Nikolaj holen. Für den ersteren hatte ich schließlich eine Kette mit einem funkelten ‚A‘ gefunden. Doch was kaufte ich Nikolaj? Ratlos schaute ich mich um, bis ich in einer Ecke hängen blieb. Ich grinste.

Nach dem erfolgreichen Streifzug setzte ich mich aber jetzt doch endlich in eine Cafeteria.

Versunken saß ich vor meiner heißen Schokolade und musste an die letzten Tage denken. Eigentlich war das Ganze ja verrückt. Feen, Elfen und sogar den Weihnachtsmann soll es geben. Das absurdeste war aber, dass ich mich wohl in einen Elf verguckt hatte. Oder Moment mal, hatte ich mich vielleicht nur in ihn verliebt, weil er ein Elf war? Ich weiß ja nicht, was Elfen so für Fähigkeiten haben, aber vielleicht haben sie eine Wirkung auf Menschen, dass diese sie einfach mögen, wenn nicht sogar nach einiger Zeit lieben?

Schaudernd schüttelte ich mich. Der Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht. Und so wirklich wollte ich auch nicht daran glauben. Das passte eher zu einer Fee, fand ich. Aber Elfen – die arbeiten doch, jedenfalls den Geschichten nach, in der Weihnachtswerkstatt am Nordpol. Gut, Nikolaj und Alexandis lebten nicht am Nordpol. Doch ich denke, das ist nur ein unwichtiger Fakt, das Prinzip der Geschenkbereitung könnte ja dennoch stimmen.

Ein rascher Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich mal wieder durch meine kruden Spekulationen die Zeit vergessen hatte. Schnell bezahlte ich und rannte zum Bahngleis. Natürlich fuhr der Zug direkt vor meiner Nase ab.

Ärgerlich trat ich gegen eine Bank und hopste gleich darauf fluchend durch die Gegend. Die Bank war eindeutig stärker als mein Fuß.

Verdrossen schlurfte ich wieder ins Innere des Bahnhofsgebäudes. Draußen war es eindeutig zu kalt. Ein Blick auf den Fahrplan verschlechterte meine Laune noch einmal um ein paar Grad. Der nächste Zug fuhr erst wieder in einer Stunde. Was für ein komischer Ferienplan war das denn bitte? Und das zur Weihnachtszeit? Okay, es war schon spät, aber trotzdem!

Seufzend, da ich ja doch nichts ändern konnte, rief ich meine Eltern an, um ihnen mitzuteilen, dass ich etwas später als geplant daheim sein würde. Selbstverständlich wollten sie mich nicht abholen kommen. Ich konnte mir sogar gut vorstellen, dass sie schon einfach ohne mich anfingen zu essen.

Gelangweilt lief ich die Geschäfte entlang. Mittlerweile hatte ich echt genug von denen. Zudem war es verdammt kalt. Bestimmt war die null bereits unterschritten.

Ich beschloss, mich wieder in ein Café zu setzen. Dort war es wenigstens warm. Ich betrat eines in der Nähe meines Gleises, um nicht erneut den Zug zu verpassen. Es war recht leer, umso mehr überraschte es mich, als ich eine bekannte Person entdeckte. Der lockige Wuschelkopf war in ein Blatt Papier eingehend vertieft.

„Hi“, begrüßte ich ihn schüchtern.

Überrascht hob er den Kopf. „Oh, Sascha.“ Er nickte zum freien Stuhl an seinem Tisch und gab mir somit zu verstehen, dass ich mich zu ihm setzen konnte. Dankbar ließ ich mich darauf nieder.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Blatt und ignorierte mich die nächsten Minuten. Genug Zeit für mich, ihn anzustarren. Lediglich der Kellner störte mich kurz.

Alexandis hatte nichts von seiner Faszination auf mich seit unserer ersten Begegnung verloren. Sein Bärtchen spiegelte sich im Schein des fahlen Lichtes und belustigt beobachtete ich das Lichtspiel, wenn er sich regte.

Schließlich legte er seufzend sein Papier zur Seite und schaute mich an. „Ich kann ihn verstehen. Und dennoch wundert es mich“, meinte er.

„Wen?“, fragte ich ihn verwirrt.

„Nikolaj.“ Nachdenklich streichelte er sein Kinn.

„Was ist mit ihm?“, hakte ich weiter nach, da ich immer noch nichts verstand.

„Du weist es nicht? Nun, dann wirst du es noch selbst rausfinden.“ Geniale Antwort. Mit der konnte ich auch so viel anfangen.

„Bist du alleine hier?“, fragte er mich und wechselte somit das Thema.

„Ja… und ich habe meinen Zug verpasst, darf also noch“, ich schaute schnell auf meine Uhr, „eine halbe Stunde hier herumsitzen.“

„Wenn du willst, kann ich dich mitnehmen“, bot er mir an. Und ja, was soll ich sagen – ich nahm dankbar an.

Der Unimog war zum Glück sehr warm. Draußen wurde es nämlich irgendwie kälter und kälter.

„Morgen wird es schneien“, meinte Alexandis im Auto.

„Das wäre schön“, tat ich meine Begeisterung darüber kund. „Wir hatten schon lange keine weiße Weihnacht mehr.“

„Ja… aber ich denke dieses Jahr wird es klappen.“

Ich strahlte und meine gute Laune war wieder hergestellt. Endlich mal wieder romantische Weihnacht. Fehlte nur noch der Freund, aber vielleicht… vielleicht war Nikolaj ja gar nicht der Idiot, als den Cala ihn immer bezeichnete. Und vielleicht liebte er mich ja auch wirklich. Wenn ich es nur wissen würde, dann wäre alles so viel einfacher.

Am nächsten Tag, dem 24. Dezember, fuhren mein Vater und ich morgens früh zu einem Weihnachtsbaumhändler und ergatterten eines der wenig übrig gebliebenen Bäumchen. Es sah nicht so übel aus, aber natürlich waren die wirklich schönen schon verkauft gewesen.

Zu Hause durfte ich es dann schmücken.

Meine Mutter stand derweil in der Küche und kochte die traditionelle Weihnachtsgans. Mein Vater saß auf dem Sofa, schaute mir zu und gab seine nervigen Kommentare ab.

„Diese Stelle ist kahl. Dort hängt zu viel. Die Kerze kann dort nicht hin. Die Kugel kann man nicht sehen…“ Schrecklich. Wieso machte er es nicht gleich selbst?

Als ich endlich fertig war, stürmte ich nach oben, holte meine Geschenke und ging noch einmal aus dem Haus. Schließlich musste ich sie noch an die jeweiligen Personen überreichen.

Es war bereits am dunkel werden. Und tatsächlich, es schneite. Zuerst hatte ich es gar nicht bemerkt, die Flocken waren so klein und spärlich. Doch es wurden immer mehr und bald sah man auch eine weiße Schicht die Welt bedecken. Er blieb sogar liegen.

Ich lief zuerst zu Calas Wohnung. Die Fee war auch glücklicherweise zu Hause. Überrascht über mein Geschenk lud sie mich noch kurz zu sich ins Haus und gab mir eine Dose voller Kekse. Ihr Geschenk an mich. Na, hatte ich wohl doch nicht so daneben gegriffen mit den Pralinen. Das zeigte mir dann auch ihr freudiges Gesicht, nachdem sie die Geschenkpackung aufgerissen hatte.

„Oh, ich liebe Pralinen“, strahlte sie. „Woher wusstest du das?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Naja, ich mag die auch.“

Sie knuffte mir spielerisch in die Wange. „Du bist goldig. Aber ich will dich nicht länger aufhalten als nötig, du hast ja noch einige Päckchen abzugeben. Wie der Weihnachtsmann… was für ein Zufall.“ Den letzten Satz murmelte sie eher vor sich selbst hin, als dass sie ihn wirklich zu mir sagte, doch ich hatte ihn verstanden.

„Ja… bist du alleine heute?“, fragte ich sie noch verwundert.

„Oh nein“, wehrte sie jedoch gleich entsetzt ab, „in einer Stunde kommen Schanbus und Meklalo.“

„Dann ist ja gut“, lächelte ich erleichtert. Wäre wirklich traurig gewesen, wenn die Fee niemanden zum Feiern gehabt hätte. Aber dies war natürlich nicht der Fall.

„Frohe Weihnachten“, wünschte ich ihr. Sie umarmte mich daraufhin überschwänglich. „Dir auch, Großer.“

Beschwingt trat ich wieder auf die Straße. Jetzt noch schnell zu den Elfenbrüdern, und dann wieder ab nach Hause zu den Eltern.

Mittlerweile fiel der Schnee ziemlich dicht und ich hatte Mühe, etwas zu erkennen. Aber die Schneeschicht wurde immer dicker und dicker. Alexandis hatte recht behalten.

Hastig lief ich die Straßen entlang und passierte den Weihnachtsmarktplatz. Die Stände hatten bereits geschlossen, doch der Weihnachtsbaum war hell erleuchtet. Staunend blieb ich unter ihm stehen. Das war ein wunderschönes Bild. Es schneite, der Baum, die Sterne… nahezu perfekt.

„Aber, aber, wen haben wir denn da?“, ertönte eine Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich herum. Dort stand Martin, der Junge, der mit bei der HipHop-Aufführung gewesen war.

„Haben deine Eltern endlich herausgefunden, was für eine Schwuchtel du bist? Wie tragisch, und das an Heilig Abend“, gespielt bemitleidend schaute er mich an. Unsicher wich ich einen Schritt zurück.

„Was willst du von mir?“, fragte ich, bemüht meiner Stimme einen festen Klang zu geben. Dennoch hörte ich das leichte Zittern heraus. Und leider, wie es schien, er auch.

„Ich? Gar nichts… solch ein Abschaum wie du hat hier nichts zu suchen.“ Bedrohlich näherte er sich mir. Scheiße…

„Lass mich…“, versuchte ich schwach Widerstand zu leisten.

Ich schritt weiter rückwärts, doch kam nicht sonderlich weit, da ich gegen etwas stieß. „He, pass auf!“, herrschte es mich an und schubste mich nach vorne. Frank.

Ich stolperte direkt in Martin hinein. Dessen Faust begrüßte mich in der Magengegend. Stöhnend sank ich auf die Knie.

„Das ist dafür, dass du mich angeschaut hast, schwule Sau“, zischte er.

„Und das ist für deine bloße Existenz!“ Ich sah die Faust auf mein Gesicht zukommen. Den Schlag erwartend riss ich meine Hände hoch.

Ein überraschtes Keuchen erklang. „Was zum Teu…“ Verwirrt ließ ich sie wieder sinken, als die erwartete Peinigung ausblieb. Ich konnte gerade noch erkennen, wie jemand Martin seinerseits niederschlug.

„Was soll das?“, quiekte Frank verwirrt hinter mir auf. Er schien die Situation noch nicht wirklich begriffen zu haben.

„Was das soll?“, knurrte mein Retter wütend. Leider fiel das Licht zu ungünstig, als das ich ihn erkennen konnte.

Mit einem Satz war er bei Frank und hatte ihn am Kragen gepackt. Ich nahm die Gelegenheit wahr und richtete mich auf. Endlich konnte ich auch erkennen, wer mir zu Hilfe geeilt war. Und es war nicht die Person, die ich vermutet hatte. Und komischerweise war ich sogar froh darum.

„Ihr bedroht meinen Freund und du fragst, was das soll?“, gefährlich leise war seine Stimme geworden. Jedoch anders als beim letzten Mal, als ich sie in diesem Tonfall gehört hatte, kroch kein kalter Schauder über meinen Rücken. Sie gab mir viel eher ein Gefühl der Sicherheit.

Er stieß Frank von sich. „Verschwindet, oder ich mache euch alle.“

Das musste er nicht zweimal sagen. Frank wandte sich augenblicklich um und rannte davon. Martin krabbelte ächzend auf die Füße und hastete ihm ungelenk hinterher.

Ich schaute den beiden stumm nach. Nie hätte ich gedacht, dass sie so homophob waren. Kein Wunder das Timo so war, wie er war. Wahrscheinlich hasste er sich sogar selbst.

„Denke nicht darüber nach. Jedenfalls nicht heute an Heilig Abend.“ Nikolaj war zu mir getreten und schlang nun seine Arme um mich. Erleichtert schmiegte ich mich an seine Brust. Ja, nicht heute Abend. Jetzt war ich ja in Sicherheit.

„Was machst du zu so einer Zeit noch hier draußen? Solltest du nicht bei deinen Eltern sein und Bescherung feiern?“, fragte er mich, seine Nase in meinen Haaren vergraben.

„Dasselbe könnte ich dich fragen“, nuschelte ich als Antwort.

Er lachte, wurde allerdings schnell wieder ernst. „Meine Eltern sind tot. Und Alex ist seine bessere Hälfte abholen.“

„Und ich wollte euch noch eure Weihnachtsgeschenke vorbeibringen.“

„Na dann… komm, hier ist es kalt. Und den Baum siehst du auch von meinem Zimmer aus. Zudem haben wir einen im Wohnzimmer.“

Er ergriff meine Hand und zusammen schlenderten wir zu seiner Wohnung.

Die Brüder hatten einen kleinen, aber sehr niedlichen Weihnachtsbaum. Das krasse Gegenteil waren die Geschenke. Man konnte bei den beiden den Ausdruck ‚die Geschenke unter den Baum legen‘ wirklich wörtlich nehmen. Der Baum stand nämlich auf einem der Geschenke. Auf dem Größten wohlgemerkt. Es war zwar in Geschenkpapier eingewickelt, dennoch konnte man nur zu deutlich erkennen, was es war. Ein Flügel. Ich hatte nicht geglaubt, dass überhaupt einer in das Zimmer reinpasste. Aber es war ja nicht nur ein eingepackter Flügel. Auch fünf weitere große Pakete standen im Raum.

Ich war einfach nur baff. Dagegen wirkten meine Geschenke wirklich mickrig. Und ich hatte gedacht, die Geschenkwünsche von den beiden waren nur ein Scherz gewesen. Woher hatten die überhaupt das Geld dafür? Ich vermutete nämlich stark, dass die anderen Pakete eine Stereoanlage mit riesigen Boxen verbargen.

„Leg deine Päckchen grad unter den Baum.“ Oder auf den Flügel, haha. Ich folgte seiner Anweisung und ließ mich dann erschöpft aufs Sofa sinken. Wirklich erstaunlich wie sie alles ins Zimmer reingequetscht hatten.

„Etwas trinken?“

„Nein danke, ich kann ohnehin nicht lange bleiben.“

„Heute Nacht wird es einen Schneesturm geben. Beziehungsweise, er hat eigentlich schon angefangen.“ Er deutete aufs Fenster. Dort konnte ich sehen, was er meinte. Es schneite wirklich heftig, sehr heftig.

„Oh, dann sollte ich wohl jetzt lieber gleich los.“ Bedauernd stand ich auf.

„Hey Nikolaj! Frohe Weihnachten“, lachte es von der Wohnungstür her. Ich stoppte in meiner Bewegung. Ein Mädchen in riesigen Plateauschuhen stürzte auf Nikolaj zu und umarmte ihn überschwenglich.

„Hallo Sascha“, begrüßte sie nun auch mich und winkte spielerisch. Es war Kira. Verblüfft starrte ich sie an. Sie sah so anders aus als beim letzten Mal. So… extrovertiert.

„Hallo“, betrat jetzt auch Alexandis die Wohnung. „Ach wie schön, Sascha ist auch hier“, bemerkte er lächelnd.

„Ja… ich muss aber jetzt leider los“, traurig sah ich ihn an. Wie gerne wäre ich jetzt hier geblieben!

„Hm… ich an deiner Stelle würde noch eine halbe bis ganze Stunde warten. Dann wird sich der Schneesturm wieder gelegt haben. Ich oder Nik können dich dann bestimmt auch nach Hause fahren. Nur jetzt sollten wir unsere Fahrzeuge wohl lieber stehen lassen.“

Ich blieb unsicher stehen. Einerseits reizte mich sein Vorschlag schon, andererseits würden meine Eltern sich sorgen machen.

„Hier, ruf doch an.“ Nikolaj hielt mir sein Telefon unter die Nase. Zögernd ergriff ich es, tippte aber dann doch entschlossen die Nummer ein.

Wider mein Erwarten stimmten meine Eltern Alexandis vollkommen zu.

„Super, dann kannst du mit uns Bescherung feiern“, strahlte Kira. „Hier sind übrigens meine Geschenke. Für dich habe ich jetzt leider nichts Sascha…“ Entschuldigend sah sie mich an. Ich winkte nur ab. „Macht nichts, ich habe ja auch nichts für dich.“

„Gut“, voller Tatendrang kramte sie zwei kleine Päckchen aus ihrem Beutel und legte sie neben meine Geschenke. Puh, war ich wenigstens nicht der einzige der keine XXL-Pakete darbieten konnte.

„Also… wie machen wir es dieses Jahr?“, fragte Alexandis in die Runde.

„Zuerst Plätzchen und Tee her, dann wird gelost!“, schlug Kira vor. Jeder stimmte zu und somit verschwand Alexandis in der Küche und bereitete alles vor.

„Und ihr seid jetzt also endlich zusammen?“ Neugierig schaute Kira uns an. Prompt wurde ich rot. Zu meinem Entsetzen konnte ich die Frage auch nicht einmal beantworten.

Nikolaj tat das dann allerdings auch schon für mich. „Ich denke schon, wenn er will.“ Dabei lächelte er mich an. Und konnte ich da sogar eine Spur Unsicherheit erkennen? Das bei Nikolaj? Oh Gott, wie süß…

„Haha, seinem Blick zu urteilen wohl ja“, lachte Kira und riss mich aus meiner Versunkenheit. „Gott, herzlichen Glückwunsch euch beiden. Ihr wisst gar nicht wie froh ich darüber bin, vielleicht redet Alexandis dann mal wieder über etwas anderes.“

„He! Ich habe bestimmt nicht dauernd über die beiden gesprochen“, empörte sich dieser, der gerade mit einem vollen Tablett wieder ins Zimmer trat.

„Wie auch immer.“ Kira klaubte sich einen Keks. Huch, das war ja der Spekulatius meiner Mutter. Hm… sofort landete meine Hand ebenfalls in der Schüssel.

Die nächsten Minuten verbrachten wir naschend auf der Couch, ich an Nikolaj gelehnt und Alexandis an Kira. … … irgendetwas verwirrte mich daran. Alexandis an Kira… Kira?! Aber… sie ist doch ein Mädchen!

„Was ist, mein Engel?“, flüsterte Nikolaj in mein Ohr. Ich drehte mich zu ihm um, um ihm in die Augen schauen zu können. Sie strahlten eine Wärme aus, die mein Herz hüpfen ließ. Ich streckte mich nun meinerseits zu seinem Ohr hin.

„Alexandis und Kira sind…?“ Ich beendete die Frage nicht, doch er verstand mich auch so. Er grinste. „Ja, sie sind. Du wirkst so überrascht?“

„Ach es ist nur… ich dachte Alexandis wäre schwul!“

Nikolaj fing daraufhin an leise zu lachen. „Nein, nicht wirklich. Er ist so hetero, wie man nur sein kann.“

„Hey, ihr könnt später weiter flirten, ihr Turteltäubchen“, unterbrach Kira unsere Flüsterei. „Ich will Geschenke!“

Jetzt mussten wir beide lachen, und auch Alexandis stimmte mit ein.

Das erste Los zog sie dann auch. Aufgeregt sprang sie auf und suchte die Geschenke nach den Namensschildern ab. Vor einem der großen Pakete blieb sie schließlich stehen.

„Wieder eins von euch beiden? Wisst ihr wie geizig ihr seid?“ Sie lachte. „Ihr könntet mir auch jeder einzeln etwas schenken.“

„Bist du gierig“, grinste Alexandis. Ich war ziemlich überrascht über die Dreistigkeit Kiras, aber noch mehr über die offensichtliche Gelassenheit der Brüder darüber. Oder hatten die beiden wirklich so viel Geld… aber warum lebten die dann hier in so einer kleinen Wohnung?

Kira ließ sich zu keiner Antwort mehr herab, sondern begann das Geschenkpapier herunterzureißen. Es war ein längliches Paket gewesen. Und es zeigte sich mir auch jetzt warum – eine E-Gitarre.

„Oh cool, der Bass ist echt Hammer!“ Oh ok, eine E-Bass-Gitarre. Begeistert fuhr sie mit den Fingern über das Holz. „Boah… der ist noch viel schöner, als ich ihn mir vorgestellt hatte.“ Voller Überschwang umarmte sie zuerst Alexandis, dann Nikolaj.

„Nächstes Los, nächstes Los!“ Wie ein kleines Kind klatschte sie in die Hände. Man könnte meinen, dass ihr Geschenk noch Anstand und sie es nicht gerade erst geöffnet hatte.

Der nächste war Alexandis. Der musste nicht wirklich lange für seine Geschenke suchen. Kiras und meines lagen auf dem Flügel, und der Flügel selbst war Nikolajs an ihn.

Erleichtert konnte ich feststellten, dass ihm die Kette anscheinend gefiel, jedenfalls zog er sie sofort an. Kira hatte ihm eine… Sonnenbrille? geschenkt. Er hatte sie auch kurz auf, aber dann auf Grund des Lichtes hochgeschoben. Sah aber wirklich gut aus.

Dann war der Flügel an der Reihe. Nikolaj hob den Weihnachtsbaum an, sodass sein Bruder das Geschenkpapier darunter wegreißen konnte.

Zufrieden betrachtete er sein neues Musikinstrument.

„Und, alles nach deinen Wünschen?“, erkundigte sich Nikolaj.

„Klar“, antwortete er, „dieses Jahr warst du ja auch anscheinend bei Verstand!“

Nikolaj rollte nur mit den Augen.

„Spiel uns was vor“, forderte Kira. Sie musste kein zweites Mal bitten. Ihr Freund klappte sogleich den Flügel auf, setzte sich auf den zugehörigen Stuhl und schlug die Tasten an.

Er spielte zu meiner Freude kein Weihnachtslied. Die konnte ich mittlerweile nämlich nicht mehr hören. Er spielte irgendetwas Modernes, doch ich wusste den Namen gerade nicht. Jedenfalls, es war einfach nur cool. Man, konnte der spielen. Kira sprang wie wild durch die Gegend, soweit es der Platz eben zuließ, und tanzte in ihren HighHeels. Ich wunderte mich, dass sie überhaupt darauf stehen konnte und nicht umkippte.

Auch ich wippte unwillkürlich mit zur Musik. Nikolaj lehnte sich obercool an die Wand und schaute uns zu. Aber mir machte das nichts aus, dass er sich so machomäßig verhielt. Ich glaube, ich mag Machos. Haha.

Der nächste an der Reihe war ich. Mich wunderte, dass es überhaupt ein Geschenk für mich gab. Doch Nikolaj meinte nur, ich solle doch einfach mal nachschauen. Ich kam mir extrem doof vor. Ich sah kein Paket außer noch den restlichen vier großen und den zwei kleinen von Kira und mir. Und die waren bestimmt nicht für mich. Ratlos stand ich also im Raum und starrte die drei an.

Nikolaj lachte. Na wunderbar, wurde ich auch noch von meinem Freund ausgelacht. „Schau doch mal auf die Schilder der restlichen vier großen Geschenke.“ Er zwinkerte mir zu.

Überrascht darüber folgte ich seinen Worten. Und tatsächlich, beim dritten Paket stand ‚Sascha‘.

„Warum liegt hier ein Geschenk für mich?“, fragte ich verwirrt.

Nikolaj zuckte mit den Schultern. „Ich wollte es dir später vorbeibringen, hatte es hier nur schon aufgestellt. Sah ganz gut aus und füllte den Raum.“

Neugierig was es sein könnte, begann ich das Papier aufzureißen. Ich stoppte allerdings gleich wieder. Das konnte doch nicht wahr sein, oder? War das tatsächlich… ich lugte erneut durchs Papier. Ja, es war ein Computer. Und ich dachte wirklich, das wäre nur ein Scherz gewesen.

„Was ist? Gefällt es dir nicht?“, grinste Nikolaj. Der wusste ganz genau, wie verblüfft ich war.

„Du bist verrückt“, bemerkte ich nur, entfernte dann aber endgültig das Papier. Ich bin kein Computergenie, aber das Teil sah jedenfalls sehr, sehr teuer aus.

„Ihr hättet das nicht machen müssen“, meinte ich krächzend.

„Natürlich nicht“, stimmte Nikolaj mir zu, „aber das ist kein großes Ding für uns. Also freue dich einfach.“ Ich hatte allerdings vielmehr ein schlechtes Gewissen.

Als letzter kam dann auch schließlich er dran. Er öffnete zuerst Kiras Päckchen und fand eine CD vor. Ich kannte die Band nicht.

Dann war Alexandis’ Geschenk dran. Und ja, wie ich vermutet hatte, eine Stereoanlage. Sie beanspruchte drei Pakete, zwei für die Boxen. Sie war wirklich schick. Nikolaj testete sie gleich, indem er die neue CD einlegte.

Als letztes war mein Geschenk dran. Es war mir ja schon peinlich. Das Geschenk war eigentlich nichts besonderes, sogar mehr so als Witz gedacht. Doch die hatten hier alle so ernste und tolle Geschenke… da war selbst mein Geschenk für Alexandis besser. Ich wurde knallrot. Nikolaj bemerkte es, noch bevor er überhaupt mein Päckchen angefasst hatte.

Dadurch wurde er leider nur noch neugieriger darauf. Vorsichtig riss er das Papier auf… abrupt ließ er seine Hände sinken und starrte mich an. Ich konnte seine Miene nicht beurteilen. Oh Mist, ihm gefiel das ganz und gar nicht. Unsicher lächelte ich.

„Woher weißt du das?“, flüsterte er.

Verwirrt schaute ich ihn an. „Woher weiß ich was?“

„Dass ich der Weihnachtsmann bin.“ … wa… hä? Weihnachtsmann? Nikolaj? Meine Augen wurden kugelrund.

„Ich… ich dachte du wärst ein Elf?!“

„Der Elf bin ich“, kicherte Alexandis. Der fand die ganze Situation wohl nur zu komisch.

Nikolaj warf ihm einen bösen Blick zu. Jedenfalls fand er das auch nicht witzig.

„Aber ich dachte ihr seid Brüder?“

„Sind wir auch“, seufzte Nikolaj.

„Ja und?“ Fragend schaute ich von einem zum anderen.

„Meine Mutter ist eine Elfin, mein Vater ist, beziehungsweise war der Weihnachtsmann. Der Weihnachtsmann ist ein Mensch, der zur Weihnachtszeit … hm… gewisse Fähigkeiten hat. Zeit anhalten und so. Nun ja, wenn ein Elf und ein Mensch zusammen Kinder bekommen, dann wird es zu einer einviertel Wahrscheinlichkeit ein Elf und zu dreiviertel ein Mensch. Mischlinge gibt es nicht. Das älteste lebende Kind des Weihnachtsmanns wiederum wird den ‚Job‘ erben, wenn dieser stirbt, allerdings muss es ein Mensch sein. Ich bin nun sowohl der älteste, als auch ein Mensch. Also habe ich die zweifelhafte Ehre…“ Nikolaj verstummte. Mein Mund hatte sich wie automatisch geöffnet.

Auf einmal machte so viel Sinn. „Und du machst deinen Job nicht, stimmt’s?“

„Hm, ja“, grinste Nikolaj.

Ich schüttelte den Kopf. „Kein Wunder, dass Cala dich nicht mag.“

Er zuckte mit den Schultern. „Ja, zum einen ist es das. Aber ich sehe nicht ein, mir den Arsch für all die kleinen Blagen aufreißen zu müssen, die so oder so von ihren Eltern verwöhnt werden. Die Welt braucht keinen Weihnachtsmann mehr. Und nach mir ist dann ohnehin Schluss.“

„Wieso?“ Verwirrt runzelte ich die Stirn.

„Schon vergessen? Ich bin schwul. Und Alex ein Elf. Also nix mit Weihnachtsmann. Ich bin der letzte.“

„Das ist ja alles schön und gut“, mischte sich Kira in die Unterhaltung ein, „aber was hat Sascha dir denn jetzt geschenkt?“ Neugierig versuchte sie einen Blick durchs Geschenkpapier zu werfen, was ihr natürlich nicht gelang.

„Oh“, seine Miene verfinsterte sich wieder. Er riss nun endgültig das Papier von seinem Geschenk. Als Alexandis es erblickte, brach er wieder in schallendes Gelächter aus.

„Oh Sascha“, kicherte er, „du bist echt genial. Wirklich, das perfekte Geschenk. Haha… los Nik, anziehen! Anziehen!“

Missgestimmt brummelte Nikolaj etwas unverständliches, zog sich dann aber doch ergeben die Nikolausmütze über. Überraschenderweise sah sie nicht lächerlich, sondern einfach nur niedlich an ihm aus. Ich lächelte, kam zu ihm herüber und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Einfach so, ohne darüber nachzudenken. Das brachte auch wieder das Lächeln auf seine Lippen zurück.

Er hielt mich zurück, als ich mich wieder zurückziehen wollte und drückte mir nun seinerseits einen Kuss auf. Allerdings auf den Mund.

Ich war glücklich. Ja, das erste Weihnachten seit langem, an dem ich wieder wirklich glücklich war. Und auch wenn Cala es eigentlich anders geplant hatte, indirekt hatte sie dafür gesorgt, dass ich jetzt hier war. Aber hatte sie nicht ohnehin gesagt, dass Feen indirekt arbeiten? Wie wahr!

Und insgeheim wusste ich, dass sie nicht recht gehabt hatte. Vielleicht war Nikolaj arrogant und egoistisch, halt einfach ein Idiot, aber er war das eben nicht nur. Die Welt ist nun einmal nicht schwarz und weiß.

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