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Julinacht

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Tiefste Nacht. Eine laue Sommernacht. Ich liege am Rand eines kleinen Waldes und schaue in den Himmel. Keine Wolke verdeckt die Sicht auf die unsagbar schönen Sterne. Es müssen hunderte, nein, tausende sein, die ich in diesem Moment mit einem einzigen Blick erfassen kann. Wenn nicht sogar mehr. Irgendwo in der näheren Umgebung heult eine Eule. Frische Waldluft durchströmt meine Lunge. Noch weiter entfernt als die Eule höre ich das Wummern der Bässe der Party, von der ich vor einer kleinen Ewigkeit abgehauen bin. Ich habe den Abstand davon gewonnen, den ich gewinnen wollte. Nach meinem Coming Out. Und keiner Reaktion darauf.

Als ich vor knapp vier Monaten aus meiner Heimat in der Nähe von Berlin fort ging, weil ich in Mannheim, am anderen Ende der Republik, einen Studienplatz gefunden hatte, habe ich gehofft, dass es mir leichter fallen würde, mit meiner Homosexualität umzugehen. Beim Wechsel von einer Klein- in eine Großstadt dachte ich, dass ich es besser ausleben könnte. Intensiver als noch daheim, wo ich zur Schule gegangen bin und wo es bis heute nur zwei, drei Leute wissen. Und meine Rechnung schien aufzugehen. Meine neuen Freunde, die ich hier gefunden habe, schienen alle nichts gegen Menschen zu haben, die anders sind als sie. Das war mein Eindruck, entstanden in zahlreichen Gesprächen. Ich hatte wirklich geglaubt, dass ich es ihnen sagen konnte. Und das habe ich vor genau drei Stunden und 17 Minuten getan. Vor alle Gäste meiner Geburtstagsparty habe ich mich gestellt und drei kleine Worte gesagt: "Ich bin schwul." Eine Sekunde nach meinem Coming Out habe ich mir noch gedacht, Hey, so schlimm war's doch gar nicht. Ich war erleichtert. Dann ließ ich meinen Blick durch die Runde schweifen, sah mir Gesicht um Gesicht an. Aber was ich sah, ließ meine Erleichterung schwinden. Es hat mich niemand böse oder verächtlich angesehen.

Nein, ich konnte nichts erkennen. Keines der Gesichter ließ mich erkennen, was meine Freunde dachten. Nichts, keine einzige Regung. Achtzehn Paar Augen waren auf mich gerichtet und mein soeben durch mein Outing gestärktes Selbstbewusstsein begann, wieder zu schwinden. Es war, als hätte jemand die Zeit angehalten. Keiner hat sich bewegt, keine Regung war zu spüren. Sogar die Musik schien verstummt zu sein, zumindest kann ich mich nicht erinnern, noch welche gehört zu haben. Nach einer weiteren Ewigkeit voller Schweigen, bin ich gegangen. Oder besser: abgehauen. Fortgerannt. Ausgerissen von meiner eigenen Geburtstagsparty. Hinein in den dunklen Wald. Weg von den nichts sagenden Blicken meiner Freunde.

Und hier liege ich nun. Im Wald. In dem Wald, in den ich geflohen bin. Und frage mich, was die anderen jetzt wohl machen.

Reden sie über mich? Versuchen sie, es zu verdrängen? Haben sie es als Scherz aufgefasst? Ich weiß es nicht. Und ich denke, es wäre besser gewesen, ich hätte nie etwas gesagt. So, habe ich wohl meine eigene Party ruiniert. Aber jetzt ist es zu spät. Ich habe es gesagt, meine Freunde wissen jetzt mehr über mich als meine Eltern. Ich hatte mir den Abend nur etwas anders vorgestellt.

Plötzlich streift mich ein Lichtstrahl. Das Licht einer Taschenlampe. Ich richte mich auf und blicke genau in das Licht. Wer die Lampe hält, kann ich nicht erkennen.

"Hier bist du also. Wir haben dich schon gesucht."

Nein. Nicht auch noch er. Nicht Flo. Es waren noch so viele andere auf der Party. Warum er? Was soll ich jetzt denken? Flo. Einer der besten Freunde, die ich je hatte. Flo.

Als ich im Alter von zwölf, dreizehn Jahren mitgekriegt habe, dass ich schwul bin, habe ich mir geschworen, mich nie, aber wirklich nie in einen Freund zu verlieben. Und ich hatte es geschafft. Bis ich ihn kennen gelernt habe. Florian. Flo.

Sein Gesicht, seine Augen, seine Stimme. Zuviel an ihm ist perfekt, als dass ich es jetzt alles beschreiben könnte. Flo. Der süßeste Junge den ich kenne, aus der niedersächsischen Provinz.

"Was machst du hier?" fragt er mich.

"Ich schau mir die Sterne an."

"Warum bist du abgehauen?"

Ich zögere einen Moment.

"Weil ... weil ... ja ... weil ich eure Blicke nicht mehr ertragen habe. Alle habt ihr mich angeschaut und wirklich nicht eine einzige Regung hat mir gesagt 'Toll, dass du es uns anvertraust', 'Ups, dich werde ich wohl nicht mehr umarmen' oder 'Ich glaub, ich muss hier weg.' Nichts."

"Hast du es dir so vorgestellt, dass wer von uns abhaut?"

"Ich habe es nicht hundertprozentig ausgeschlossen."

"Es ist aber keiner abgehauen. Alle sind noch da."

"Aber ich weiß trotzdem nicht, woran ich jetzt bin. Eure Blicke waren so nichts sagend."

"Was meinst du?"

"Naja, selbst wenn keiner abgehauen ist, weiß ich noch immer nicht, wie ihr darüber denkt. Ob es allen egal ist, ob es euch überrascht hat, ob ihr damit leben könnt."

"Du solltest vielleicht einfach mal zurückkommen auf die Party und mit uns darüber reden. Dann würdest du merken, wie wir darüber denken. Und vielleicht solltest du mal aufhören, dir so viele Gedanken zu machen und uns allen ein bisschen mehr vertrauen."

"Meinst du wirklich, ich sollte da noch mal aufkreuzen, nach der Aktion?"

"Hör mal, du redest hier mit mir doch auch schon darüber. Warum sollst du es nicht auch mit den anderen können? Und immerhin ist es deine Party."

Stimmt. Ich rede mit ihm. Flo. Mit dem Jungen, der wohl mehr von meiner Homosexualität betroffen ist, als alle anderen. Nur dass er das noch nicht weiß.

"Was denkst du jetzt über mich?", frage ich ihn direkt.

Flo schweigt einen Moment. Ein Moment der Stille am Waldrand. Ich allein mit Flo unter hunderten von Sternen. Irgendwie romantisch. Vielleicht sollte ich ihm hier direkt noch hinterher sagen, dass ich ihn liebe. Aber wie wird er darauf reagieren? Wird er nie wieder mit mir reden, wird alles so wie immer sein, oder wird er mir eine Ohrfeige geben?

"Was ich denke?", unterbricht er meine Gedanken, "Nun ja, wenn ich ehrlich bin, überrascht hat es mich schon irgendwie. Aber ich hätte vorher auch nie vollkommen ausgeschlossen, dass du schwul bist. Immerhin hast du in der ganzen Zeit, in der wir uns jetzt kennen, nicht ein einziges Mädchen angemacht, auch keine Freundin gehabt oder so. Also in jedem Fall macht es mir nichts aus. Ich bin aber froh, dass du es uns gesagt hast. Dass du uns dieses Vertrauen entgegengebracht hast, auch wenn es kurz danach wohl schon wieder weg war."

"Dass ich es getan habe, ist auch für mich eine riesige Erleichterung. Zumindest im ersten Moment."

"Lass einfach gut sein. Du hast es gesagt, komm wieder mit auf die Party und amüsiere dich noch ein bisschen. Die anderen haben auch schon wieder damit angefangen. Es kommen wirklich alle damit klar."

Mit diesen Worten erhebt er sich, sieht mich an und scheint darauf zu warten, dass ich seinem Beispiel folge. Er lächelt. Für dieses Lächeln könnte ich sterben. Das typische Flo-Lächeln. Mit den kleinen Grübchen in den Mundwinkeln. Eigentlich zwecklos, dass ich es hier versuche zu beschreiben, es ist unbeschreiblich schön.

"Flo?"

"Ja?"

Mein Herz schlägt rasend schnell. Ich sehe ihn an und weiß, jetzt werde ich es ihm sagen. Unter den tausenden Sternen am Nachthimmel. Ich werde ihm sagen, dass ich ihn liebe.

"Danke für deine Hilfe. Lass uns wieder zu den anderen gehen."

"Okay.", pflichtet er mir bei, und wir machen uns auf den Weg zurück zur Party.

Was habe ich getan? Wie feige war das denn jetzt? Im einen Moment weiß ich, was ich sagen will, aber im nächsten Moment sage ich etwas ganz anderes. Soviel zum Thema Selbstbewusstsein. Jetzt gehe ich neben ihm durch den Wald, die Taschenlampe erhellt unseren Weg. Und er weiß noch immer nichts von meinen Gefühlen. Aber das kenne ich ja schon. Neben ihm herlaufen, und denken dass ich es ihm jetzt sage und dann doch wieder kein Wort rausbringen. Seit ich weiß, dass ich ihn liebe, ist das so. Seit drei Monaten, achtundzwanzig Tagen, einer Stunde und sieben Minuten. In dieser Zeit hatte ich sehr oft das Verlangen, ihm alles zu sagen. Aber ich habe es immer so gemacht, wie vor einigen Minuten. Und schon wieder mache ich mir zu viele Gedanken. Ich werde einfach versuchen, die Gefühle für ihn zu vergessen. Ab sofort.

Als wir wieder auf der Party ankommen, passiert eigentlich nichts. Meine Freunde behandeln mich so, wie sie es vor meinem Outing getan haben. Das überrascht mich, aber gleichzeitig zeigt es mir auch, dass es letztendlich doch die richtige Entscheidung war, es allen zu sagen. Offenbar bin ich wirklich grundlos in den Wald gelaufen. Nach einigen kleinen Konversationen, die mich von Flo abgelenkt haben, setze ich mich ein eine ruhige Ecke und schaue den anderen beim Tanzen zu. Nebenbei genieße ich mein kaltes Bier. Ich beobachte die anderen und trinke mein Bier. Und ich beobachte die anderen und trinke mein Bier. Und ich beobachte die anderen und ... ach was soll's, ich beobachte gar nicht die anderen. Ich beobachte nur ihn. Flo. Einzig und allein Flo wird konsequent von meinen Augen erfasst. Was soll ich nur tun? Ich kann meine Gefühle für ihn nicht vergessen. Mit jeder Bewegung, die er macht, schaut er niedlicher aus, jede Bewegung macht ihn attraktiver. Als er seine Arme beim Tanzen in die Luft hebt, gibt sein T-Shirt einen Teil seines Bauches frei. Und den Bund seiner dunkelroten Shorts, der über die Hose hinausragt. Das macht mich geil. Für diesen Anblick könnte ich sterben. Wie gern würde ich jetzt zu ihm gehen und ihn küssen und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Ihn küssen und nie wieder loslassen. Aber das einzige, was ich mache, ist ihn anschauen und mein Bier trinken. Ihn hypnotisiert beobachten und Bier trinken.

"Hey Dennis, alles klar bei dir?"

Eine Stimme reißt mich aus meinem hypnotischen Zustand. Es ist Sabrina.

"Ja klar, es könnte nicht besser gehen.", antworte ich.

"Man sieht's. Du sitzt hier rum als wenn du gekifft hättest. Als wenn du gar nicht mehr zurechnungsfähig wärst."

"Doch, doch, das bin ich schon noch."

"Worüber habt ihr beide vorhin gesprochen."

"Wer?"

"Du und Florian, als er dich zurückgeholt hat."

"Er hat mich nur ein bisschen aufgemuntert. Nachdem ich mir ob eurer Reaktion auf mein Outing nicht wirklich sicher war, was ihr über mich denkt."

"Mehr nicht?"

"Nein. Warum willst du es denn so genau wissen?"

"Nur so, aus Interesse."

"Soso, nur aus Interesse. Das kannst du mir nicht erzählen. Sag schon, warum hast du gefragt?"

"Ich, ach, ich dachte, ihr hättet da nach deinem Outing eine Kleinigkeit geklärt. Dachte er hätte dir auch etwas gesagt. Das hab ich wieder von meiner Neugier. Jetzt hab ich schon wieder viel zu viel gesagt."

"Wir haben es doch geklärt, er hat mir gesagt, dass er kein Problem damit hat, dass ich schwul bin. Ich versteh jetzt nicht, was du meinst. Ich denke nicht, dass das irgendeinen negativen Einfluss auf unsere Freundschaft hat."

"Weißt du was, red' einfach noch mal mit ihm. Ich glaub, ihr habt noch was zu besprechen."

"Ja was denn? Ich versteh nicht, was du meinst."

"Achte einfach mal darauf, wie du ihn ansiehst. Schon seit Wochen hast du diesen Blick, wenn du ihn ansiehst. Seit heute Abend weiß ich, warum."

"Ja schön, dann weißt du es halt, aber behalte es besser für dich. Es muss ja nicht jeder wissen."

"Aber mindestens einer sollte es noch erfahren. Und du solltest bald mit ihm reden. Es wird dir helfen."

"Vielleicht ist es besser, wenn er es nicht weiß."

"Nun, das denke ich nicht. Red' einfach mit Flo über deine Gefühle. Am besten noch heute. Ich denke, du wirst es nicht bereuen. Es ist besser für euch, wenn du offen mit ihm redest. Besser, als wenn er es hintenrum erfährt.", verspricht Sabrina und verschwindet mit einem Lächeln auf den Lippen.

Ich sehe wieder auf die Tanzfläche. Flo ist noch immer dort, bewegt sich elegant. Leidenschaftlich. Einfach perfekt. Ich soll mit ihm über meine Gefühle reden. Ha, habe ich das heute Abend nicht schon mal probiert? Und das war nicht sehr erfolgreich. Aber kann es sein dass Sabrina mehr über Flo weiß als ich? Wieder ein paar Gedanken mehr, die ich mir machen kann. Kann es sein, dass er auch... schwul ist? Wie wahrscheinlich ist das denn, dass ausgerechnet er...? Nein, das kann nicht sein, so oft wie er über Mädchen redet. Und er redet quasi jeden Abend davon. Aber trotzdem habe ich mich in ihn verliebt. Damals. Vor drei Monaten, achtundzwanzig Tagen, drei Stunden und vierundvierzig Minuten. Wir haben bei ihm zu Hause gesessen und einen Film geschaut. Ich saß auf dem Sofa, er auf dem Sessel davor. Es war eigentlich wie immer. Schon oft hatten wir bei ihm gesessen und Filme geschaut. Ich weiß nicht mehr, was wir an jenem Abend gesehen haben, aber ihm muss langweilig gewesen sein, denn er ist in seinem Sessel eingeschlafen. In dem Moment, in dem ich ihn dort so schlafend sitzen sah, ist es passiert. Ich bekam plötzlich so ein Kribbeln im Bauch. Er sah so unbeschreiblich schön aus. Mich überkam das Verlangen, ihn zu küssen. Aber ich habe mich nicht getraut. Ich spürte das Verlangen, ihn zu berühren. Aber ich habe mich nicht getraut. Also tat ich nichts, außer ihn mit einem kreativen "Hör auf zu pennen!" wieder zu wecken.

Das Schlimme ist, dass er seitdem jeden Tag schöner wird. Jedes mal, wenn ich ihn sehe, liebe ich ihn mehr. So auch im Laufe dieses Abends. So sehr ich vorhin auch geflucht habe, dass ausgerechnet er mich zurückgeholt hat, so glücklich war ich darüber, dass ausgerechnet er mich zurückgeholt hat. Und jetzt sitze ich wieder hier und starre ihn an. Aber mit Sicherheit werde ich auch heute nicht den Mut aufbringen, mit ihm zu reden.

Ich stehe auf, hole mir noch ein Bier, setze mich wieder und... mache nichts. Wie spät ist es eigentlich? Offenbar schon sehr spät, die ersten wollen schon gehen. Ich gehe hinüber zur Tür und verabschiede sie. Umarme einen nach dem anderen und danke ihnen. Für ihr kommen. Für ihre Toleranz. Einfach für alles. Als ich mich wieder setze, sehe ich, dass nur noch fünf Leute auf der Party sind. Thorsten und Sabrina und Marek auf der Tanzfläche. Flo sitzt an einem der Tische, auf denen noch Chips stehen. Und ich sitze wieder in der Ecke. Schaue Flo an. Er steht auf und kommt ihn meine Richtung. Mein Herz beginnt, seine Schlag zu beschleunigen. Er setzt sich direkt neben mich, ich kann die Wärme spüren, die von seinem Körper ausgeht, auch wenn er mich nicht berührt. Ich atme seinen Duft ein. Einfach grandios. Ich könnte über ihn herfallen.

"Und“, beginnt er, "war es nun so schlimm, wieder her zu kommen?" Schweiß rinnt über seine Stirn. Sein Gesicht glänzt. Es schaut richtig geil aus. Und das macht mich seine Anwesenheit auch.

"Nein, war es nicht."

"Hab ich doch gesagt. Aber mir glaubt ja immer keiner."

"Danke, dass du mir vorhin Mut gemacht hast."

"Keine Ursache, ich würd' es jederzeit wieder tun."

"Mindestens einmal werde ich auch noch Mut brauchen."

"Wozu?"

Jetzt oder nie. Wann wenn nicht heute Abend soll ich es ihm sagen? Ich muss es tun. Für unsere Freundschaft, oder vielleicht auch für mehr.

"Flo, kommst du grad mal mit raus, ich muss was mit dir besprechen."

"Sicher, ein bisschen frische Luft kann nie schaden."

Immer dieser Optimismus.

Wir verlassen die kleine Laube, die die Vermieter meiner Wohnung mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Ich atme frische Luft ein. Es ist angenehm hier draußen. Flo scheint dasselbe zu empfinden. Und ich merke, es muss schon sehr spät sein, das erste Licht des neuen Tages ist bereits am Horizont zu erkennen.

"Also, was hast du noch auf dem Herzen?"

Er grinst mich an. Das typische Flo-Grinsen. Das bringt mich total aus dem Konzept.

"Die Sache ist die, also ich bin schwul und ..."

Ich gerate ins Stottern. Mal wieder.

"Und? Sprich dich aus.", versucht er mir Mut zuzusprechen.

"Hehe, ich hab ja gesagt, dass ich wieder Mut von dir brauche."

Jetzt aber. kurz und schmerzlos.

"Also wie gesagt, ich bin schwul, das hab ich ja jetzt schon oft genug gesagt heute Abend. Aber hier kommt was Neues ... Flo, ich habe mich in dich verliebt."

So. Jetzt weiß er es. Und ich fühle mich um einiges leichter. Zumindest genau dieselbe Zeitspanne wie vorhin nach meinem Coming Out.

"Hm.", sein Grinsen ist verschwunden. Sein Blick ist ernst. Er weicht meinem aus. Verdammt, Flo. Jetzt sag schon was. Verdammt noch mal. Sag irgendwas. Sag dass du mich auch liebst. Sag, dass wir Freunde bleiben können. Sag irgendwas. Bitte!

"Und, was denkst du jetzt?", frage ich ihn.

"Ich frage mich gerade, wie ich dir das, was ich jetzt sagen will, am besten sage."

Er macht es wieder sehr spannend. Verdammt noch mal.

"Sag es einfach. So schlimm kann es ja nicht sein."

"Stimmt. Also pass auf...", er sucht nach den richtigen Worten, "ich fühle mich geehrt, dass du dich in mich verliebt hast. Wirklich. Aber du solltest deshalb nicht zuviel von mir erwarten. Denn ich bin nicht schwul."

Mein soeben von tausenden Steinen entlastetes Herz scheint in tausend Stücke zu zerspringen.

"Kommst du damit klar?", fragt Flo.

"Ja“, lüge ich, "irgendwie muss ich ja." Und das muss ich wirklich. "Es war mir ja schon fast vorher klar, dass das nichts wird mit Liebe zwischen uns." Immerhin weiß er es jetzt. Und ich weiß, woran ich bin.

"Ja, was anderes kann ich dir halt nicht sagen. Ich mag dich als Freund. Aber mehr ist von meiner Seite aus einfach nicht drin. Das musst du verstehen."

"Werd ich auch, irgendwie." Hoffe ich zumindest.

"Lass uns ein Stück spazieren gehen, wenn du nichts dagegen hast."

"Nein, habe ich nicht."

So gehen wir in Richtung Waldrand, an die Stelle, von der Flo mich vorhin zurückgeholt hat. Vor uns schiebt sich gerade ein roter Feuerball über den Horizont.

"Eins verstehe ich aber nicht.", erkläre ich.

"Was denn?"

"Vorhin habe ich mit Sabrina gesprochen, und sie hat gemeint, dass wir nach meinem Coming Out unbedingt mal miteinander sprechen sollten. Und deshalb dachte ich..."

"...dass ich auch schwul bin? Das tut mir leid, wenn du dir Hoffnung gemacht hast."

"Ja, ich hab es zumindest ein bisschen gehofft. Was hat sie denn gemeint?"

"Nun, ich habe ihr mal erzählt, dass Max, der Freund von zu Hause, der neulich zu Besuch war, auch schwul ist und dich ganz niedlich fand. Darüber haben wir vorhin, als du hier herumgelegen hast, schon mal kurz gesprochen. Aber sie sollte dir eigentlich nichts davon erzählen."

"Achso. Naja das ist ja immerhin etwas. Vielleicht solltest du ihn noch mal einladen."

"Das hab ich vorhin schon gemacht. Denke, es ist ganz gut für dich, wenn du mal mit einem 'Gleichgesinnten' sprechen kannst."

"Danke Flo."

"Und du wirst sehen, einen Freund werden wir auch noch für dich finden. Ganz sicher. Dann wirst du schon über mich hinwegkommen. Wirst du doch, oder?"

"Sicher werde ich das. Wenn du mich schon so dabei unterstützt, kann es ja nicht mehr lange dauern."

Dann umarmt er mich, ich umarme ihn, im Hintergrund übersteigt der rote Feuerball vollständig den Horizont und ich weiß, dass das der mit Abstand schönste Geburtstag war, den ich je erlebt habe. Ein neuer Tag beginnt und mit ihm ein neues Leben.

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