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My Eyes Have Seen You

Teil 3 - I looked at you

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I looked at you

Paul lag bereits in seinem Schlafsack, als Pete in sein Zimmer zurückkehrte, und schien zu schlafen. Pete zog sich um, löschte das Licht und warf sich auf das Bett. Noch immer viel zu aufgebracht, um einschlafen zu können, verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und starrte die Decke an. Für ihn war natürlich vollkommen klar, dass McHarrington Unrecht hatte, dennoch ging ihm dessen Einschätzung nicht aus dem Kopf.

Allein schon der Gedanke, Paul könnte - könnte! - etwas für ihn empfinden, war absurd. Trotzdem es, wie Pete sich eingestehen musste, theoretisch ein keineswegs unangenehmer Gedanke wäre. Wie stand er denn selbst zu Paul? War er für ihn nur ein Kommilitone, den er eben etwas besser kannte als andere? Clyde Jefferson gegenüber hatte er Paul als Freund bezeichnet, doch war er das wirklich? War für eine Freundschaft nicht wesentlich, den anderen auch zu kennen? Was wusste er von Paul? Beurteilte er ihn wirklich nur, wie McHarrington gesagt hatte, aufgrund der Masken, die er zur Schau trug? Wer war Paul wirklich?

Pete schloss die Augen und holte sich verschiedene Bilder ins Gedächtnis zurück: Paul betrunken am Klubtresen; Paul aufmüpfig im Seminar; Paul, in der Mensa mit drei Kommilitoninnen gleichzeitig flirtend; Paul, der ihm Frühstück gemacht hatte; Paul mit Lea; Paul mit Liz. Was war echt, was war nur Maske? Pauls Hände fielen ihm ein; sie hatten gezittert, nachdem Jefferson ihm das blaue Auge verpasst hatte. Der Schock über diese Erfahrung war echt gewesen. Paul hatte Angst gehabt, und das hatte er vor ihm, Pete, nicht verborgen. Zumindest für diesen kurzen Moment. Später war er wieder darüber hinweggegangen, als sei nicht gewesen. Dennoch - hätte Paul auch jemand anderem gegenüber diese Schwäche gezeigt?


Den ganzen Sonntag über bemühte sich Paul ganz offensichtlich, Pete so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen. Schon am Morgen war Pete reizbar gewesen, und so hatte Paul es vorgezogen, den Tag in der Stadt zu verbringen. „Ich geh’ ins Kino“, kündigte er an, bevor er das Zimmer verließ, und er ließ sich auch tatsächlich den ganzen Tag über nicht blicken. Erst gegen Abend kehrte er ins Studentenwohnheim zurück.

Pete, der bei seiner Rückkehr nur kurz von seinen Büchern aufsah, registrierte, dass Paul ungewohnt nachdenklich wirkte. „Ist irgendwas?“, wollte er wissen.

Paul warf ihm einen Blick zu, den Pete nicht zu deuten vermochte, und schüttelte den Kopf.

Auch das Abendessen verlief in ungewohnter Ruhe. Pete konnte das eigentlich nur recht sein. Andererseits jedoch war ihm Pauls Verhalten nicht ganz geheuer. Der junge Mann wirkte ernst und in sich gekehrt, und das war nun wirklich ganz und gar untypisch für ihn.


Die folgenden Tage vergingen in einer ähnlich angespannten Atmosphäre. Am Dienstagabend kam Pete endlich dazu, nach seinen Vorlesungen die Bibliothek aufzusuchen und sich um die Bücher zu kümmern, die er sich am Sonnabend hatte zurücklegen lassen. Erstaunlicherweise waren sie noch alle verfügbar. Oft prügelten sich die Studenten fast um besonders beliebte oder benötigte Exemplare. Zugute kam ihm wahrscheinlich, dass die meisten seiner Kommilitonen sich erst zum Ende des Semesters ernsthaft Gedanken um Prüfungen, Noten und somit auch Fachliteratur machten.

Pete suchte sich einen möglichst abgeschiedenen Platz im Lesesaal und verbrachte die nächsten Stunden damit, zu lesen, sich Notizen zu machen, wichtige Stellen zu exzerpieren, Analogien aufzustellen und sich gelegentlich die Haare zu raufen. Als nach einiger Zeit eine Bibliothekarin zu ihm trat und ihn darauf aufmerksam machte, dass die Bibliothek in fünf Minuten schließe, blickte er unwillig auf, packte dann jedoch schweigend seine Sachen zusammen, gab die Bücher zurück und verließ das Gebäude.

Vor dem Eingang stieß er fast mit Paul zusammen, der auf den Treppenstufen herumlungerte. „Was suchst du denn hier?“, knurrte Pete abweisend. „Seit wann treibt es dich freiwillig in die Nähe von Büchern?“

„Ich wollte ungestört mit dir reden.“ Paul vergrub die Hände in den Taschen seines dunkelbraunen Wollmantels. „Auf neutralem Terrain. Können wir vielleicht irgendwo hingehen?“ Er wirkte ein wenig verfroren, wahrscheinlich hatte er schon länger in der Kälte gestanden.

Pete warf ihm einen dunklen Blick zu. „Zum Studentenwohnheim. Ich bin müde und habe nicht die geringste Lust, meine Zeit noch irgendwo anders zu vertrödeln. Reicht dir der Weg, um dein Anliegen loszuwerden?“

Paul verzog das Gesicht. „Muss das sein?“

„Deine Entscheidung.“ Pete zuckte mit den Schultern und setzte sich in Bewegung.

Paul blieb nichts anderes übrig, als sich ihm anzuschließen.

Lange Zeit liefen sie wortlos nebeneinander her. Pete war in Gedanken versunken, und Paul schien aus irgendeinem Grund mit sich zu ringen. Von Zeit zu Zeit warf er Pete einen zaghaften Seitenblick zu, doch der reagierte nicht darauf. Sie hatten die belebten Geschäftsstraßen bereits verlassen und näherten sich, einen kleinen Park links liegenlassend, langsam aber sicher dem Wohnheim.

Schließlich brach Paul das Schweigen: „Ich muss dir was sagen.“ Er starrte geradeaus, während er weiterlief. Seine Stimme klang ungewohnt unsicher. „Es ist wichtig.“

„So?“

„Ehrlich.“ Paul blieb stehen und zwang auch Pete anzuhalten. „Weißt du, es fällt mir wirklich nicht leicht, das kannst du mir glauben, aber ...“ Er stockte erneut.

Pete sah ihn ungeduldig an. „Beeil dich, es ist kalt.“

„Ich ...“ Paul grinste schwach. „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt ...“

„Was?!“

„Ich liebe dich“, wiederholte Paul und ging im nächsten Moment zu Boden.

Pete hatte wortlos ausgeholt und ihm die Faust ins Gesicht geschlagen. Dann wandte er sich wutentbrannt ab und ließ Paul zurück, der mitten auf dem Weg saß und völlig überrumpelt sein schmerzendes Kinn rieb.


Ein energisches Klopfen an der Zimmertür riss Pete aus seiner Arbeit. Gereizt blickte er von seinen Notizen auf, als die Tür, die er nachlässigerweise nicht abgeschlossen hatte, aufgestoßen wurde und Jake McHarrington sichtlich aufgebracht hereinstürmte.

„Du bist ein Arschloch, Pete Hall!“, fauchte Jake und pflanzte sich vor ihm auf. „Ein gottverdammtes Arschloch!“

Pete erhob sich langsam, und wer ihn kannte, ergriff in solchen Momenten normalerweise wohlweislich die Flucht. Sein Gesichtsausdruck verhieß jedenfalls nichts Gutes.

Doch McHarrington ignorierte diese alarmierenden Anzeichen und ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Was hast du mit Paul gemacht?“, fuhr er in lautem, wütendem Tonfall fort. „Was denkst du dir eigentlich dabei? Weißt du, dass er jetzt in meinem Zimmer sitzt und völlig am Boden zerstört ist? Aber das interessiert dich wahrscheinlich einen Scheißdreck! Was hat er dir eigentlich getan?“

„Er hat behauptet, er würde mich lieben“, gab Pete mühsam beherrscht zurück. Seine Augen funkelten drohend.

„Na wunderbar! Wenn jeder darauf so reagieren würde wie du, gäbe es auf der Erde nur noch ein großes Hauen und Stechen. Bist du völlig übergeschnappt? Andere an deiner Stelle würden sich freuen!“

„Verdammt noch mal, es geht hier um Paul!“, fuhr Pete ihn an. „Du weißt schon - diesen egoistischen, überheblichen, schmarotzenden Typen, dem alle anderen Menschen völlig egal sind. Wieso soll ich dessen Geschwätz ernst nehmen, zum Teufel?!“

„Weil er es ernst meint!“, brüllte McHarrington.

„Ach ja? Woher willst du denn das wissen?!“, gab Pete in gleicher Lautstärke zurück.

„Weil ...“ McHarrington knirschte mit den Zähnen, schaffte es jedoch tatsächlich, seine Stimme zu senken. „Weil er es mir gesagt hat.“

„Und du glaubst ihm?“ Pete lachte wütend auf.

„Ja, ich glaube ihm“, erklärte Jake und sah ihn ernst an. „Herrgott noch mal, der arme Mensch sitzt in meinem Zimmer und ist völlig verzweifelt, weil du ihm nicht traust, falls es dich interessiert.“

„Verzweifelt?“ Pete wurde nachdenklich. „Meinetwegen?“

McHarrington schnaubte. „Weswegen denn sonst? Kannst dich gern selbst davon überzeugen.“

„Und was soll ich machen?“

McHarrington erkannte an der Stimme, dass Pete ihm langsam zu glauben schien. „Geh zu ihm, rede mit ihm. Dann kannst du immer noch entscheiden, ob er es ernst meint.“

Pete zögerte kurz, dann ging er entschlossen zur Tür.

„Ach, und noch was“, rief ihm Jake nach. „Versuch bitte, ihn nicht gleich wieder zu verprügeln, ja?“


Vor McHarringtons Zimmertür blieb Pete stehen. Er klopfte kurz an und betrat den Raum.

Paul saß auf dem Bett und hob den Kopf, als er eintrat. Im hellen Deckenlicht waren seine Augen verräterisch gerötet, dennoch schaffte er es, Pete einen wütenden Blick zuzuwerfen. „Bist du gekommen, um mir noch ein paar reinzuwürgen?“

„Nein.“ Pete blieb zögernd an der Tür stehen. „Ich wollte mich entschuldigen - für vorhin. Ich habe da wohl ein bisschen überreagiert.“

„Ein bisschen ist gut“, knurrte Paul. „Jede andere Reaktion wäre mir lieber gewesen.“ Er sah wieder auf. „Wieso hasst du mich eigentlich so?“

„Ich hasse dich doch nicht! Nur ... Ich kenne dich. Woher soll ich denn wissen, ob du das wirklich ernstgemeint hast?“

Paul schnaufte. „Denkst du, ich renne den ganzen Tag herum und erkläre wildfremden Männern, dass ich auf sie stehe?“

„Das wohl nicht. Aber was ist mit Liz und Lea und Ronda und Vicky und Teresa?“ Pete war noch weit davon entfernt, sich überzeugen zu lassen.

„Mit Vicky hatte ich nie was“, verbesserte Paul leise. „Und die anderen ... Ich weiß, dass ich mich ihnen gegenüber meistens wie ein Arschloch benommen habe, dass sie mir relativ egal waren. Ich glaube, es ging mir nur um den Sex. Wahrscheinlich auch um mein - wie sagst du immer? - übersteigertes Selbstwertgefühl. Darüber hinaus ... Ich liebe sie nicht; ich glaube, das habe ich nie getan ...“

„Ach. Aber dass du mich liebst, da bist du dir sicher?“ Pete klang gereizt. „Vielleicht geht es dir ja auch bloß wieder um Sex und dein Image?“

„Nein.“ Pauls Stimme zitterte kaum merklich. „Es geht mir um dich. Du bist ein unglaublich spannender Mensch, und ... ich habe das erst merken müssen. Ich habe dich kennenlernen müssen, um zu verstehen, wer du bist. Und wer ich bin. Verdammt noch mal, ich habe mich eben in dich verliebt. Ich kann es ja selbst nicht wirklich begreifen, aber so ist es nun mal.“

Pete zögerte noch immer. Vor ihm saß kein eingebildeter, selbstsüchtiger Dandy, sondern nur ein verletzlicher, unsicherer junger Mann. Und dennoch zögerte er.

„Ich weiß“, fuhr Paul leise fort, „dass du dir nichts aus mir machst, aber ich wollte wenigstens, dass du weißt, dass ich mir eine ganze Menge aus dir mache.“

Pete sah ihn nachdenklich an. „Steh auf“, sagte er dann.

„Warum?“ Paul blickte verwirrt zu ihm hinüber.

„Steh auf und komm her.“

Misstrauisch kam Paul der Aufforderung nach und trat vor Pete hin. „Und jetzt? Soll ich schon mal die Deckung hochnehmen?“

„Nein“, erklärte Pete ruhig. „Das wird nicht nötig sein.“ Damit beugte er sich zu Paul und küsste ihn.

Paul war im ersten Moment überrascht, doch er fasste sich schnell und erwiderte den Kuss nun seinerseits mit einer Intensität, die Pete fast den Atem raubte. Minuten schienen zu vergehen, und erst als sich hinter ihnen die Zimmertür öffnete, ließen sie erschrocken voneinander ab und wandten sich um.

Jake stand im Türrahmen und grinste. „Ich dachte schon, ihr hättet euch gegenseitig umgebracht, als es auf einmal so still wurde.“

„Du hast gelauscht?“ Pete warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.

„Reine Vorsichtsmaßnahme“, erklärte McHarrington aufgeräumt. „Außerdem ist das hier immer noch mein Zimmer. Du hast ein eigenes, wenn ich mich richtig erinnere.“

„Der wirft uns raus“, stellte Paul belustigt fest. „Komm.“ Er griff nach Petes Hand und zog ihn mit sich.


„Und jetzt?“ Pete ließ sich in seinen Sessel sinken und blickte zu Paul auf, der vor ihm stehenblieb.

Paul grinste ein wenig verlegen. „Keine Ahnung. Du bist der Experte auf diesem Gebiet.“

„Dafür hast du aber so ziemlich alle Register gezogen, die mir bekannt sind.“

„Ich hatte ja auch ein großes Ziel. Und einen steinigen Weg.“ Paul grinste weiter.

Pete runzelte die Stirn. „Und - hat es sich gelohnt?“

„Natürlich. Was denkst du denn?“

„Verdammt noch mal, ich hab keine Ahnung, was ich denken soll!“ Pete senkte den Kopf und starrte finster auf eine Staubfluse, die sich neben dem vorderen Tischbein festgesetzt hatte. „Ich hoffe nur, du meinst es wirklich ernst und spielst nicht nur wieder“, fügte er leiser hinzu.

Paul wurde schlagartig ernst. „Himmel, nein!“ Er ließ sich auf der Bettkante nieder und sah ihn bestürzt an. „Pete, ich bin verrückt nach dir, so wahr ich hier sitze! Ich verstehe es ja selbst noch nicht ganz, aber es ist so. Ehrlich.“

Pete blickte auf. „Weißt du eigentlich, dass ich dich wirklich liebe?“ wollte er ruhig wissen.

Pauls Augen begannen zu glänzen. „Und weißt du, dass das der schönste Satz ist, den ich je von dir gehört habe? Abgesehen vielleicht von: ‚Ich schlag dir die Fresse ein‘“, fügte er spöttisch hinzu.

„Arschloch“, knurrte Pete, aber es klang nicht sehr überzeugend.

„Pete?“

„Hm?“

„Komm her.“ Paul streckte seine Hand aus.

Pete warf ihm einen misstrauischen Blick zu, erhob sich dann jedoch, ergriff die dargebotene Hand und ließ sich von Paul heranziehen. Nachdenklich sah er von oben auf den vor ihm sitzenden jungen Mann herab und fuhr ihm zaghaft durch die dichten Locken.

Paul blinzelte zu ihm hinauf und bleckte die Zähne. Dann ließ er sich nach hinten sinken und zog Pete mit sich.

„Warte mal, was hast du vor?“ Pete fing sich mit den Händen ab und kam so über Paul zu liegen.

Paul grinste anzüglich und seine dunklen Augen funkelten. Dann lachte er leise auf. „Keine Angst, ich werde schon nicht gleich über dich herfallen. Zumindest jetzt nicht. Ich will dich nur umarmen. Das ist doch wohl drin, oder?“

Pete ließ sich auf ihn sinken und legte seine Arme um ihn. Dann spannte er seine Muskeln an und drückte zu. „Gut so?“, wollte er liebenswürdig wissen.

Paul hatte das unbestimmte Gefühl, in eine Schrottpresse geraten zu sein. Seine Rippen knackten schon verdächtig. „Wunderbar“ röchelte er. „Bin mir nur nicht sicher, wie lange ich das überlebe.“

Pete ließ ihn frei und musste grinsen, als Paul theatralisch nach Luft rang.

„Du Grobian!“

Ungerührt nahm ihn Pete erneut in den Arm, aber diesmal hatte Paul keinen Grund, sich zu beschweren.


Der Alltag wurde einfacher; der Alltag wurde komplizierter. Petes Zimmer bot immer noch zu wenig Platz für zwei Menschen, aber sie arrangierten sich, so gut es ging. Pauls Klamotten wanderten zu Petes in den schmalen Kleiderschrank, seine Bücher stapelten sich neben Petes auf dem Tisch und in der Ecke unter dem Fenster. Der Rest seiner Habseligkeiten fand in zwei Kartons Platz, die sie unter das Bett schoben.

Dass Paul nicht mehr genötigt war, im Schlafsack unter dem Schreibtisch zu nächtigen, verstand sich von selbst. Auch wenn es nun häufiger vorkam, dass Paul in einer frühen Vorlesung einnickte und Pete trotz reichlichem Kaffeekonsum nur mit Mühe den Ausführungen der Dozenten folgen konnte, ohne dass ihm die Augen zufielen. Besagte Dozenten nahmen dies zwar missbilligend zur Kenntnis. Da sich die Leistungen der beiden zeitgleich jedoch nicht verschlechterten und sich ganz im Gegenteil bei Paul sogar die Phasen der absoluten Ignoranz gegenüber dem Lehrstoff reduzierten - was nicht zuletzt daran lag, dass Pete ihm erfolgreich klargemacht hatte, dass es vollkommen albern war, sich dümmer zu geben als man war, nur um sein Image zu polieren -, blieb dieses Verhalten ohne Konsequenzen.

Gegenüber den Kommilitonen auf dem Campus und im Wohnheim reichte Petes Ruf aus, um auch Paul einzuschließen und ihn zu schützen. Selbst die Vollpfosten um Clyde Jefferson ließen ihn unbehelligt, obwohl die Blicke, die sie den beiden zuwarfen, wenn sie sich über den Weg liefen, ihren Hass auf Paul und mehr noch auf Pete deutlich zeigten.

Eine weitere Entwicklung war, dass sich Jake McHarrington ihnen stärker anschloss. Häufiger saßen sie in der Mensa beisammen oder liefen sich auf dem Campus oder in den von den Studenten frequentierten Lokalitäten über den Weg. Manchmal kreuzte Jake aber auch einfach so bei ihnen auf. Pete war das wahlweise egal oder es ging ihm auf die Nerven.

Allerdings ertappte er sich auch dabei, dass er die gelegentlichen soziologischen Diskussionen mit dem jüngeren Kommilitonen inspirierend fand. Jake war ähnlich belesen wie er selbst und schaffte es, komplexe Zusammenhänge schnell zu begreifen und teils überraschende Schlüsse daraus zu ziehen. Sie verbrachten ganze Abende damit, bei Tee und Zigaretten die Probleme der menschlichen Gesellschaft zu analysieren. Zunächst in der Regel in McHarringtons Stammcafé, und wenn dieses schloss, fanden diese von beiden Seiten manchmal höchst verbissen geführten Diskussionen häufig noch eine Fortsetzung in Jakes oder Petes Zimmer. Selbst Paul, den solches Theoretisieren eher langweilte, ließ sich zeitweise anstecken – wenn er diese Abende nicht gerade lieber im Kino, im Pub oder auf irgendwelchen Partys verbrachte und spätabends angetrunken und euphorisiert auftauchte, um Pete loszueisen oder Jake freundlich rauszuwerfen.


Eines Abends hatte McHarrington mal wieder an ihre Tür geklopft und sich mit drei Flaschen Weißwein Einlass erkauft, von denen inzwischen nur noch eine halbe übrig war. Jake hatte sich den Sessel gesichert, während Paul im Schneidersitz auf dem Bett saß, Pete neben ihm mit angezogenen Knien. Auf dem Schallplattenspieler drehte sich eine von Pauls geliebten Doors-Platten, die Lautstärke war jedoch so weit heruntergedreht, dass es möglich war, sich zu unterhalten, ohne unnötig laut zu werden. Den Wein tranken sie in Ermangelung von adäquatem Geschirr aus Wassergläsern, was dem Geschmack und der Wirkung jedoch keinen Abbruch tat.

Das lockere Gespräch war bisher insbesondere um das Thema Musik gekreist und vor allem von Paul und Jake bestritten worden. Pete hatte mit mäßigem Interesse zugehört, sich jedoch auch nicht gelangweilt. Es war vielmehr ein angenehm träges Gefühl der Entspannung, das sich seiner bemächtigt hatte. Vielleicht hatte Jake doch recht. Der hatte in einem bierseligen Moment behauptet, dass Paul ihm, also Pete, spürbar guttun würde. „Du bist viel ausgeglichener, seit ihr zusammen seid“, waren seine Worte gewesen. Und Pete war nahe daran, ihm zu glauben. Jakes Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

Der Erstsemester hatte einen tiefen Schluck aus seinem Glas genommen und sich dann an sie beide gewandt. „Darf ich euch etwas Indiskretes fragen?“

Die Antworten kamen gleichzeitig; von Pete mit finsterem Blick, von Paul mit einem spöttischen Funkeln in den Augen begleitet: „Nein!“ – „Ja.“

„Beachte ihn einfach nicht.“ Paul warf einen Seitenblick auf Pete, der sich verärgert zurücklehnte und die Arme vor der Brust verschränkte, und grinste. „Was willst du wissen?“

„Ich habe mich bei euch gefragt …“ Jake stockte kurz und blickte unschlüssig zwischen den beiden jungen Männern hin und her, doch der Alkohol schien ihm Mut zu geben. Er räusperte sich und fügte betont gelassen hinzu: „Wer wen?“

Pete fuhr auf. „Das geht dich einen verdammten Scheißdreck an!“, herrschte er ihn an und war einen Moment lang unschlüssig, ob er McHarrington nur aus dem Zimmer werfen oder ihm vorher für seine Unverschämtheit noch eine reinwürgen sollte.

Paul hingegen hatte mit der Frage offensichtlich keine Probleme. „Lass ihn doch“, meinte er unbefangen und zupfte Pete am Pullover, um ihn dazu zu bringen, sich wieder hinzusetzen. „Da ist doch nichts dabei.“

Nein, natürlich nicht! Es betraf lediglich Petes Privat-, schlimmer noch: Intimsphäre! Pauls natürlich auch, aber dem schien es ja egal zu sein, ob er mit solchen Details hausieren ging oder nicht. Pete knirschte mit den Zähnen.

Paul ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und musterte nun seinerseits Jake, der bei dem Wutausbruch zusammengezuckt war, mit Interesse. „Warum fragst du?“

McHarrington warf einen forschenden Blick auf Pete, der sich wieder auf seinem Platz niedergelassen hatte, ihn aber finster anstarrte, zurückgehalten nur von Pauls Hand, die locker auf seinem Knie lag. Dann wandte er sich Paul zu, der sich leicht vorgebeugt hatte, um sich mit der freien Hand Wein aus der Flasche nachzuschenken, die auf dem Boden stand. „Nennen wir es meinetwegen philosophisches Interesse“, begann er. „Ich meine, es gibt soviel Gerede, so viele Gerüchte, Vorurteile und Behauptungen zu … Sex … zwischen Männern ..., und ihr beide seid – jeweils für sich – sehr starke und“, hier musste er unwillkürlich grinsen, „sehr eigensinnige Charaktere, so dass ich mich gefragt habe …“ Er stockte und suchte nach einer passenden Formulierung.

„Wie bei uns die Arbeitsteilung ist?“, schlug Paul vor und kicherte.

Pete schnaubte empört. „Was für ein Schwachsinn!“, knurrte er und sprang wieder auf.

Jake blickte ihm nach, wie er zum Fenster trat und aufgebracht in die Dunkelheit hinausstarrte, bevor er sich wieder Paul zuwandte. „Ja, vielleicht das. Ich meine, ist es entscheidend, wer wie mit wem vögelt? Ist es eine Schwäche, sich ficken zu lassen?“

Paul grinste. „Also, sich von Pete ficken zu lassen hat nichts Schwächliches, das kann ich dir versichern. Das kann eher sehr anstrengend werden, aber es ist in jedem Fall sehr geil.“ Amüsiert registrierte er, dass Jakes Gesicht sich rötlich färbte.

Pete, der noch immer aus dem Fenster starrte, zog es vor, dazu wütend zu schweigen.

„Aber“, dozierte Paul mit leicht verklärtem Blick bereits weiter, „mit Pete zu schlafen ist sowieso und in jeder möglichen Variante geil. Egal, ob Lippen, Zungen, Zähne, Finger beteiligt sind, egal, ob er mich fickt oder ich ihn. Wenn du das, was du gerade tust, gerne tust und immer wieder tun würdest, wenn du dich großartig dabei fühlst, wenn du dich fallenlassen und komplett vertrauen kannst, dich ganz öffnest, deine Seele mitschwingen lässt, wenn du liebst und wiedergeliebt wirst, dann ist es völlig egal, wer in dem Moment oben und wer im anderen unten liegt.“ Er nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas und blickte zu Pete hinüber, der sich umgedreht hatte und ihn mit dunklen Augen ansah. Dann grinste er und fügte hinzu: „Oder steht. Oder sitzt. Oder – was auch immer.“

Pete schluckte. „Wenn auch nur ein Wort von dieser Unterhaltung diesen Raum verlässt“, sagte er tonlos, „dann bringe ich euch um. Alle beide. Eigenhändig.“ Er stieß sich vom Fensterbrett ab und war mit zwei Schritten am Bett. Vorsichtig nahm er Paul das Weinglas aus den Fingern und stellte es auf dem Schreibtisch ab. Dann beugte er sich wieder zu Paul herüber, umfasste mit beiden Händen dessen Gesicht und küsste ihn gierig.

Paul schmeckte nach Wein und lachte leise in den Kuss, während er Pete am Pullover packte und zu sich auf das Bett zog. „Wir haben noch Besuch“, murmelte er, als sich ihre Lippen nach einer Weile wieder voneinander lösten.

„Stimmt.“ Pete hob den Kopf und blickte über die Schulter hinweg zu Jake hinüber, der es sich im Sessel bequem gemacht hatte und hochinteressiert das Schauspiel verfolgte, das sich ihm bot. Falls er darum bemüht gewesen sein sollte, möglichst vergessen und unentdeckt zu bleiben, war ihm das nur kurzfristig gelungen. „Da ist die Tür“, knurrte Pete und wies mit dem Finger in die entsprechende Richtung.

Seufzend stellte Jake sein Glas auf den Tisch und erhob sich. „Gerade, wo es spannend wird“, murrte er. „Kann ich nicht noch etwas bleiben? Ihr würdet doch eh nichts mitbekommen.“

„Tür!“, wiederholte Pete mit drohender Stimme. „Sonst ersatzweise gerne auch Fenster.“

Jake sah zu, dass er schleunigst aus dem Zimmer kam.


Ein paar Tage später stieß Pete in der Bibliothek beinahe mit Clyde Jefferson zusammen, als er um eine Regalecke bog.

Jefferson fiel dabei ein Buch aus der Hand und er bückte sich fluchend danach. „Kannst du nicht aufpassen, du Freak?“, blaffte er.

„Lass mich bloß in Ruhe“, knurrte Pete, „oder ich polier’ dir die Fresse.“

Jefferson winkte ab, und in seinen Augen glomm etwas auf, das Petes Misstrauen verstärkte: Überlegenheit und Siegesgewissheit. „Du kannst mir drohen, soviel du willst, Hall. Wer zuletzt lacht, lacht immer noch am besten. Du solltest dich schon mal warm anziehen. Damit du’s weißt: Deine Tage hier sind gezählt.“

Petes Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen. „Was soll das heißen?“, wollte er mit drohendem Unterton in der Stimme wissen.

Jefferson grinste, doch sein Blick blieb hasserfüllt. „Das wirst du schon noch sehen.“ Damit machte er sich aus dem Staub.


Bald wurde klar, was Jefferson gemeint hatte.

Paul hatte seinem vorlesungsfreien Nachmittag in einem Musikcafé verbracht und sich bestens unterhalten. So war er in ausgesprochen guter Stimmung, als er das Wohnheimzimmer betrat, die Tür hinter sich schloss und seine Jacke achtlos aufs Bett warf. Erst dann bemerkte er, dass Pete, der am Tisch saß und bei seinem Eintreten kurz von den Papieren vor sich aufgeblickt hatte, ungewohnt verschlossen wirkte.

Paul trat zu ihm, zauste ihm leicht die Haare und ließ sich in den Sessel fallen. „Was ist los?“, wollte er wissen.

„Nichts weiter. Mir wurde nur das Zimmer gekündigt.“

„Was?“ Paul glaubte, sich verhört zu haben. „Wieso denn das?“

„Hier, lies es selbst.“ Pete schob ihm einen Briefbogen zu.

Paul faltete ihn auseinander und begann zu lesen: „‚Sehr geehrter Mister Hall, aufgrund des mehrfachen Verstoßes gegen die Hausordnung des Studentenwohnheims sehen wir uns gezwungen, Sie darauf hinzuweisen ...‘ Blabla ... ‚Mit Ihrer Unterschrift unter den Mietvertrag haben Sie sich zur Einhaltung der im Mietvertrag niedergelegten Hausordnung verpflichtet. Nachdem es wiederholt zu Beschwerden über Sie seitens anderer Mieter des Wohnheimes gekommen war, haben wir eine Überprüfung der Vorwürfe eingeleitet und mussten feststellen, dass ein eklatanter und wiederholter Verstoß gegen die vertraglich festgelegte Ordnung, insbesondere gegen die Paragraph X (sachgemäße Nutzung des Wohnraumes), Y (Verbot der Untervermietung) und Z (Beherbergung Dritter), vorliegt. Dieser Vertragsbruch Ihrerseits zwingt uns, auch im Interesse unserer anderen Mieter, Ihnen hiermit die Kündigung auszusprechen. Aus diesem Grund fordern wir Sie auf, die Ihnen zugewiesenen Räumlichkeiten ...‘ Das ist ja toll: ‚Räumlichkeiten‘! Ist das deren Ausdruck für Abstellkammer? ‚... Räumlichkeiten bis spätestens 31.01.197... zu räumen. Mit freundlichen Grüßen ...‘“ Paul ließ das Blatt sinken. „So ein Quatsch!“, empörte er sich. „Das ist doch nur ein billiger Vorwand!“

„Natürlich ist es das.“ Pete nahm ihm das Schreiben aus der Hand.

„Und was wirst du jetzt tun?“

„Was wohl?“ Pete schnaubte wütend. „Ich kann nichts tun. Die Kündigung ist rechtsgültig.“ Er blickte auf. „Ich gehe zurück nach L.“

„Was?!“ Paul starrte ihn an, während er das ganze Ausmaß dieser Aussage begriff. „Soll das heißen, du brichst dein Studium ab? Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Was soll ich machen? Eine Mietwohnung kann ich mir nicht leisten; du weißt, dass mein Budget verdammt begrenzt ist. Der Platz im Wohnheim war eine Grundbedingung für das Studium.“

„Und wenn du dir einen Job suchst?“

Pete schüttelte entschieden den Kopf. „Das habe ich auch schon durchgerechnet. Aber nebenher arbeiten würde heißen, dass ich viel weniger Zeit zum Studieren habe - ich bräuchte insgesamt wesentlich mehr Zeit und würde meinem Vater länger auf der Tasche liegen. Das geht alles nicht. Er ackert jetzt schon wie ein Verrückter, um mich durch die Uni zu bringen. Nein, ich werde nach L. gehen und mir dort Arbeit suchen. Das ist das vernünftigste.“

„Aber ... Was wird dann - aus uns?“

„Ich weiß es nicht.“ Pete klang ratlos, und genau das war er auch. Noch vor wenigen Wochen hätte er bei einem ähnlichen Bescheid der Verwaltung kaum gezögert. Sicher, es war ernüchternd, ein fast abgeschlossenes Studium aus finanziellen Erwägungen heraus abbrechen zu müssen, um irgendeinen verdammten Job anzunehmen. Doch zur Not hätte er sich auch damit abfinden können und sich mit dem Gedanken begnügt, das Studium zu einem späteren Zeitpunkt ohne Geldsorgen doch noch beenden zu können. Jetzt allerdings lagen die Dinge völlig anders. Da war Paul. Da war ein Mensch, der ihn liebte. Wirklich liebte. Jemand, der ihm sehr viel bedeutete. Je deutlicher sich Pete diese Tatsachen vor Augen führte, desto weniger sah er einen Ausweg aus seiner Situation.

„Pete, ich liebe dich.“

„Ich weiß ...“

„Ich möchte dich nicht verlieren.“ Pauls Stimme zitterte kaum wahrnehmbar. „Verdammte Scheiße, das können die doch nicht machen ...“ Plötzlich hob er den Kopf und sah Pete mit grimmiger Entschlossenheit an. „Du weißt doch, wem wir das zu verdanken haben, oder?“

„Ich kann es mir denken.“

„Worauf warten wir dann noch?“ Paul sprang auf. Seine Augen funkelten zornig. „Knöpfen wir uns die Hundesöhne vor.“

„Wir?“ Pete lächelte bitter. „Du riskierst, von der Uni geworfen zu werden.“

„Das ist mir scheißegal“, knurrte Paul. „Du willst schließlich dein Studium schmeißen. Wieso soll ich nicht meins dazuschmeißen?“

Pete blieb besonnen. „Ich will nicht, ich muss. Bei dir sieht das anders aus. Deine finanziellen Möglichkeiten erlauben es dir schließlich, eine Wohnung zu suchen und ...“

„Natürlich!“, fiel ihm Paul hastig ins Wort. „Das ist es doch!“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. „Ich Volltrottel, dass ich nicht gleich darauf gekommen bin! Du musst dein Studium nicht abbrechen - wir mieten einfach eine Wohnung!“

Pete schüttelte den Kopf. „Versteh doch, ich habe dafür nicht genug Geld ...“

„Aber ich, du Klugscheißer!“ Manchmal war Pete wirklich schwer von Begriff. Paul strahlte. „Versteh doch, wenn wir uns zusammentun, dann reicht es für ein vernünftiges Dach über dem Kopf.“

„Warte.“ Pete runzelte die Stirn. „Du meinst, wir sollten uns gemeinsam eine Wohnung mieten?“

„Genau das.“

„Aber du kennst die Mietpreise?“

„Nicht wirklich.“ Paul blinzelte. „Ist das wichtig?“

„Ich fürchte - ja. Weißt du, ich glaube, dass ich selbst für ein Zimmer in einer wirklich kleine Wohnung nicht genug ...“

„Das ist egal“, fiel ihm Paul ungeduldig ins Wort. „Zahl so viel wie du kannst, den Rest steuere ich bei.“ Er grinste verlegen. „Du weißt, dass mich meine Eltern finanziell gut ausstatten. Und ich weiß, dass es ihnen keinen Zacken aus der Krone brechen wird, wenn ich notfalls noch etwas mehr Unterhalt verlange. Vertrau mir.“

Pete starrte finster auf das Kündigungsschreiben in seiner Hand. „Ich will nicht von dir abhängig sein“, bemerkte er dunkel.

„Gott im Himmel“, seufzte Paul genervt. „Du wirst nie von mir abhängig sein! Nie im Leben! Wie sollte das auch möglich sein, zum Teufel?“ Er sah Pete ernst an. „Ich will doch nur, dass du hier bleibst.“

Pete zog die Augenbrauen zusammen. „Warum machst du das?“

„Weil du mir verdammt viel bedeutest, du Vollidiot! Ich dachte, das wäre klar!“ Paul war laut geworden, trotzdem war das Zittern in seiner Stimme nicht zu überhören. Aufgebracht starrte er zu Pete hinüber. „Scheiße, Mann! Was soll das? Soll ich mich darüber freuen, dass du die Stadt verlassen willst? Dass du mich verlassen willst? Ich biete dir eine Möglichkeit an, hier zu bleiben, und du ... Ach, scheiß drauf.“ Mit einem Ruck wandte er sich ab, verließ hastig den Raum und warf die Tür hinter sich zu.

Einen Moment zögerte Pete, dann folgte er ihm.


Der lange Wohnraumflur war leer. Pete stieß einen leisen Fluch aus. Wohin war Paul verschwunden? Er rannte zum Treppenhaus, beugte sich über das Geländer und lauschte. Nichts. Keine Schritte, die darauf hindeuteten, dass jemand sich auf oder in der Nähe der Treppe befand. Pete kehrte um. In der Nische mit den Sperrmüllsesseln befand sich niemand, auch in den Toilettenräumen war keiner. Pete hatte vorsorglich jede Kabine abgesucht. Blieben noch die Duschräumlichkeiten. Wenn er dort nicht war ...

Pete öffnete leise die Tür. „Paul?“

Ein Geräusch aus einer der hinteren Duschkabinen ließ ihn aufhorchen. Mit wenigen Schritten durchmaß er den Raum. Die Kabine links neben dem Fenster war mit dem Duschvorhang verschlossen.

Pete schob ihn vorsichtig beiseite, trat ein und ließ sich neben Paul nieder, der mit angezogenen Knien auf den trockenen, kalten Fliesen kauerte. „Es tut mir leid“, sagte er ruhig. „Ich wollte dich nicht verletzen.“

Paul schnaubte. Wahrscheinlich sollte das verächtlich klingen, doch es gelang nur mäßig. Erst jetzt blickte er auf und sah Pete wütend von der Seite an. „Manchmal habe ich das Gefühl“, sagte er mit belegter Stimme, „dass ich dir ziemlich egal bin.“

„Das bist du nicht“, versicherte Pete ernst. „Wirklich ganz und gar nicht. Nur, weißt du ... Ich kann oft schlecht zeigen, was in mir vorgeht. Jahrelang hat sich niemand für meine Gefühle interessiert, und ich habe alles immer mit mir selbst abgemacht. Ich bin aus der Übung. Aber du bist mir wirklich alles andere als egal. Entschuldige.“

„Ich will nicht, dass du dein Studium hinschmeißt ...“

„Das will ich auch nicht.“

„Und ich habe Angst davor, dich zu verlieren.“

Pete war gerührt. Vorsichtig legte er seinen Arm um Pauls Schultern und zog ihn ein wenig näher zu sich heran. „Aber ich hätte gern eine Badewanne“, sagte er und musste grinsen, als Paul ihn verwirrt von der Seite anblickte. „Und ein Zimmer für mich allein. Wenn wir schon zusammenziehen, möchte ich trotzdem die Möglichkeit haben, mich zurückziehen zu können, wenn mir danach ist.“

Paul machte sich von ihm los und stand auf. „Manchmal bist du wirklich ein Arschloch“, knurrte er ärgerlich, unsicher, was er von Petes Einlenken halten sollte.

„Ich weiß.“ Pete erhob sich ebenfalls. „Aber eins, dass dich liebt.“

„Sag das noch mal.“ Pauls Augen ruhten auf ihm.

Pete hielt dem Blick stand. „Ich liebe dich.“

„Noch mal.“

„Ich liebe dich.“

„Noch mal.“

Pete grinste. „Ich - liebe - dich.“

„So.“ Paul hob eine Augenbraue. „Und das soll ich dir glaub...“

Was er noch sagen wollte, blieb unausgesprochen. Pete hatte ihn mit seinem ganzen Körper an die Wand der Kabine gedrückt und küsste ihn leidenschaftlich, während seine Hände bereits auf Wanderschaft gingen. Paul erschauderte, als Pete ihm das T-Shirt über den Kopf zog und sein nackter Rücken gegen die kalten Fliesen drückte. Doch schon im nächsten Moment durchfuhr ihn eine heiße Welle, als Pete seinen Hals küsste, mit Lippen und Zunge zu seiner Brust hinabwanderte, eine Weile mit seinen Brustwarzen spielte und sich dann in tiefere Regionen vorwagte. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf nach hinten gegen die Wand, während bunte Kreise vor seinen geschlossenen Lidern tanzten.

Pete mühte sich inzwischen mit dem Reißverschluss von Pauls Jeans ab, der sich erst nach zähem Kampf geschlagen gab. Einen Moment lang hielt er inne und presste seine Stirn gegen Pauls flachen, weichen Bauch. Tief atmete er den Geruch des jungen Mannes ein. Dann zog er ihm den Slip herunter.

Paul zuckte zusammen, als Petes Lippen sein empfindlichstes Körperteil berührten. Alles in ihm schien unter Strom zu stehen und nur darauf zu warten, dass jemand die entscheidenden Knöpfe drückte. Und Pete wusste genau, was er tat. Er ließ Paul genug Zeit, die Situation zu genießen, merkte deutlich, wie sich die Spannung immer weiter aufbaute, bis es dann kein Halten mehr gab. Paul explodierte förmlich. Er biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien, während heftige Kontraktionen seinen Körper erschütterten. Die Knie drohten ihm wegzuknicken, und er spürte, dass Pete ihn festhielt. Als er die Augen öffnete, blickte er in Petes besorgtes Gesicht.

„Alles in Ordnung?“

„Himmel ...“ Paul brauchte noch einen Moment, um sich zu sammeln. „Das ist maßlos untertrieben.“

Die Besorgnis wich aus Petes Blick. „Du kannst einen aber auch ganz schön erschrecken, weißt du?“ Er grinste.


„Also abgemacht, wir suchen uns zusammen eine Wohnung, und an diesem Loch hier kann die Verwaltung meinetwegen ersticken.“ Paul lag auf dem Bett, den Blick zur Zimmerdecke gerichtet, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Trotzdem bin ich dafür, diesen Wichsern aus Jeffersons Clique noch einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Ganz klar, dass die dich auf diese Weise von der Uni haben wollten; die wissen genau, wie knapp du mit deinem Geld haushalten musst.“

„Einverstanden.“ Pete, der neben ihm lag, nickte. Er drehte sich auf die Seite und betrachtete Paul eingehend, dann streckte er die Hand aus und legte sie vorsichtig auf Pauls nackten Bauch. Das Gefühl, das ihn dabei durchflutete, war mehr als Begehren. Es war viel tiefer und wärmer und beständiger.

Paul drehte den Kopf und sah ihn an. Seine Augen glänzten und er musste lächeln. Und Pete war sich in diesem Moment einfach nur vollkommen mit sich selbst im reinen und etwas, von dem er bisher geglaubt hatte, dass es nur als Floskel existierte: glücklich.

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