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Trost 2

Kapitel 147-150

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Inhaltsverzeichnis

147

Leon öffnete erst ein Auge, dann ein zweites, dann grinste er schläfrig. "Hehey...Kai, du schaust herrlich aus, wenn du so feurig bist." Er stöhnte leise auf und drehte sich etwas. "Die... Cocktailkarten sind geliefert worden, nicht wahr?"

"Die werden alle noch heute verbrannt, du intriganter Arsch!"

Die Schwester trat nun mit gerunzelter Stirn zum Bett und hob an "Herr Pranitz hatte heute erst... "

Kai starrte sie wütend an. "Mir doch egal!"

Leon grinste dämlich und nahm seine zur Faust geballte Hand. "Schwester, ist er nicht zauberhaft? Ein herrliches Geschöpf."

"Leon! Hör auf, so abgedröhnt zu lallen und sag mir, dass diese Karten sofort auf den Müll wandern, klar?!"

Die Schwester trat noch einen Schritt dichter. "Ich muss Sie jetzt wirklich bitten,..."

Leon hob eine Hand. "Schwester, geben Sie mir mal bitte ein Stück Papier und einen Stift."

Verwirrt sah sie zwischen Kai, mit verschränkten Armen und sehr düsterem Gesicht, und Leon, der etwas weiß im Gesicht und ziemlich zugedröhnt, aber noch immer elegant und in Kontrolle im Bett saß, hin und her. Dann nickte sie, war aber nicht gewillt, ihren Posten zu verlassen, sondern reichte Leon ihren Kuli und ein Pappkärtchen mit Blutwerten. Seinen Blutwerten.

Kai betrachtete sich den Zustand von Leons Blut und entnahm der Geschichte, dass der Mann sowohl eine Infektion als auch eine stärkere Blutung gehabt hatte. Vielleicht raffte die Natur ihn ja hin, und er brauchte nicht wegen Mordes in den Knast gehen.

Leon schrieb etwas zittrig und schief drei Zahlen auf die Karte. Er setzte mehrmals ab und brauchte ziemlich lange. Die Schwester nahm während dessen Bambi wahr, der niedlich schräg grinste und sie zwischen dichtem Ponyhaar treuherzig anblinzelte.

Als nächstes nahm sie die Cocktailkarte auf und betrachtete sie mit kritischem Blick. "Oh. Das... das sind ja Sie!" Sie blickte forschend von Kai zum Bild.

Er entriss ihr die Karte und fauchte böse "Vergessen Sie das sofort! Klar?!"

"Och... schaut wirklich gut aus das Bild. Ist das realistisch?" Irgendwie nebensächlich entwendete sie ihm die Karte erneut.

Leon grinste und sagte überschwänglich froh "Realistisch. Das ist ja der Vorteil der Bilder. Ist er nicht schön? Wie ein Engel? Sagen sie doch auch mal was, Schwester."

"Hm." Die Schwester nahm die Karte wieder auf und schob sich eine Lesebrille auf die Nase. Der Blick seinen Körper entlang schien Kai auszuziehen. Er verschränkte die Arme und brütete.

Leon reichte ihm die Blutwerte mit den von ihm geschriebenen Ziffern. "Schau dir diese Zahlen an, Kai."

"Hm." Ablehnend entzifferte Kai das Gekritzel.

"Die erste ist das, was ich dir für die Bilder und das Verwendungsrecht einmalig zahle. Die zweite das, was ich dir einmal monatlich für das Verwendungsrecht zahle, solang ich sie verwende und das dritte..." Er ächzte leise, die Schwester schob an seinem Kopfkissen und drehte ein wenig an der Infusion.

Kai starrte die Summen an und blinzelte in Kopfrechenaufgaben verstrickt. Er blinzelte wieder und fragte heiser "Und das dritte?"

Leon war leider eingeschlafen. Wütend rüttelte Kai ihn wieder wach. "Hey! Was ist das dritte?!"

Desorientiert blinzelte Leon von ihm zum Zettel. "Ach... hm. Deine Gehaltserhöhung." Er gähnte herzhaft. "… in.... Prozent..." weg war Leon leider schon wieder.

Schockiert blinzelte Kai eine Weile lang auf den Zettel. Die Schwester blinzelte auch darauf und meinte "Junge, das würde ich nicht ausschlagen."

Bardo nahm die Cocktailkarte und blickte darauf, dann zu der Karte mit den Zahlen. "Hm. Krass..."

Kai nickte leicht. Er rüttelte Leon rigoros noch einmal wach. "Okay, du blöder, intriganter, widerlicher..."

"Abgemacht?" Leon hielt seine eine Hand hin.

Kai entfernte erst das Pulsoximeter, um ihm die Hand darauf reichen zu können. "Abgemacht." Noch während er seine Hand hielt, um das Oximeter wieder am Zeigefinger zu befestigen, schlummerte Leon erneut fort. Nuschelig sagte er noch. "Siehsssu, alles guuut." Dann blinzelte er sich wach. "Ach... sind die Tassen und Poster auch schon gekommen?"

Das führte dazu, dass Kai mit vor Wut rotem Kopf und Bardo mit Kicheranfall von der Station wankten. Die Cocktailkarte hatte ihnen die Schwester abgeknöpft und nicht mehr hergegeben. Kai hielt ziemlich viel Geld in den Händen, wenn auch nur in Form einer kleinen Pappkarte mit Blutwerten. Aber er hatte Zeugen. Hastig schrieb er sich den Namen der Intensivschwester auf, für alle Fälle.

Als er mit Bardo vor die Tür der Uniklinik in die warme Abendluft trat, stand Jan dort schon an den Wagen gelehnt und winkte ihnen zu. Die Seekuh hatte dank des hohen Lebensalters leider keine Klimaanlage, so dass sie alle drei vollkommen verschwitzt waren, als sie wieder vor dem LPP standen. Dort sagte Bardo hastig: "Meine Eltern wissen, dass ich länger unterwegs sein könnte, so bis zehn oder so. Kann ich noch zu euch fahren? Ich fahr auch selber mit dem Rad."

Jan nickte das ab und ging mit Kai in den Laden rein, während Bardo sein Fahrrad holte. Bastian und er begrüßten sich mit Handschlag und verfielen in eine Unterhaltung über neue Spieler und das Jugendteam von Jan. Kai trank ein Wasser mit Eis und gab Bastian dann die Verwendung der Cocktailkarten frei. "Leon hat mich gekauft", sagte er als Erklärung nur dazu. Dann wanderte er in das Büro und schrieb Leon einen Brief, dass er dann also den gesamten August und September nur noch lernen und nicht mehr arbeiten würde, da er genug Geld habe.

Mies grinsend freute er sich über die kleine Rache der Sklaven und ging gleich mal zu Bastian, um ihm zu sagen, dass der Dienstplan etwas geändert werden musste. Bastian lehnte sich mit verschränkten Armen an den Tresen und blickte das Bild von Lena an. "Hm. Ich ruf Henrike gleich mal an und sag ihr das weiter."

"Henrike?"

"Hm." Bastian versuchte einmal erfolglos die Karte in den Halter zu fummeln und reichte sie Jan weiter. "Henrike macht die Dienstpläne seit einem Monat. Leon nickt die nur noch ab. Sie soll ab Herbst auch die Bestellungen machen."

"Oh. Soll die aufsteigen?"

"Na ja. Leon ist oft weg. Ich bin zwar Geschäftsführer und darf vieles mitbestimmen hier, aber ich bin eben auch mal daheim und..." Bastian zögerte, dann grinste er breit. "Hasi und ich wollen jetzt ein Kind. Ich will bald mehr Frühschichten machen deswegen."

Kai unterdrückte ein Stöhnen. Jan schob an der Cocktailkarte herum und ließ den Halter und die Karte dann auch wieder auf den Tresen fallen. Endgültig sagte er "Ich will jetzt los, Kai. Willst du hier abhängen?"

"Auf keinen Fall!"

Bastian sah zwischen ihnen hin und her und fragte "Wann bist du wieder hier?"

"Montag erst. Ich hab ein paar Tage frei und wir fahren ans Meer hoch."

"Viel Spaß dann auch." Bastian reichte Bardo die Cocktailkarte. "Dann machst du ab morgen früh hier erst einmal die Karten fertig, Bardo. Ich hab vorhin noch zwei Kartons bekommen mit To-Go-Bechern mit Logo. Außerdem noch Gutscheinkarten und da war noch was."

Misstrauisch stürzte Kai Sekunden später erneut in das Büro durch und kramte sich einen Becher aus der Kiste. Für etwa einen großen Milchkaffe gut geeignet, mit Metalldeckel und innen klassischer Isoeinlage. Hochwertig und er lag gut in der Hand. Die Becher waren alle schwarz und trugen außen nur das Logo vom LPP in den verschiedenen Farben mit Glitzereffekt. Bastian lachte darüber und meinte gut gelaunt "Die in Rosa nennen Farid und ich schon Barbietasse, die geht bestimmt und ist als erste ausverkauft."

Kai durfte einen der Becher gleich mitnehmen und wählte einen rein schwarzen ohne Farbeffekte. Die Gutscheine trugen leider wieder die Bilder von Lena und ihm oder dem rein schwarzen Logo. So ließ Kai sich mit Kaffeebecher und nach dem letzten Wutanfall wegen der Gutscheine mit wieder ganz guter Laune von Jan kutschieren. Pläne durchkreuzten sein Hirn. Alles Pläne, die mit der Investition des unerwarteten Geldsegens befasst waren. Er berechnete gerade im Kopf, dass er wirklich nur noch lernen musste und der Urlaub dennoch locker drin war, als Jan ihm einen Dämpfer verpasste. "Willst du für das Ding auch Geld zurücklegen?"

Kai wartete nicht mal, bis Jan den Schlüssel nach dem Einparken abgezogen hatte, sondern hechtete aus dem Wagen. "Nein! Scheiße, Jan. Bis eben war ich noch gut drauf."

"Ist ja gut, Baby. Das Bild ist wirklich scharf. Vielleicht sollten wir uns so eine Cocktailkarte über das Bett hängen. Dann sparste dir das Nacktfoto für mich." Jan grinste Kai fröhlich an.

Kai grinste dämlich zurück, als ihm einfiel, dass er Jan eines der Bilder ja tatsächlich zum Geburtstag schenken würde. Zum Glück aber ein Motiv, das sich nicht über die Stadt verstreut finden würde, sondern nur seinem Freund gehörte. Er drehte die kleine Pappkarte mit Leons Zahlungsvorschlag in den Fingern und meinte überlegend: "Wie soll ich denn noch Geld sparen? Ich ..., mein Konto ist immer schon leer, wenn ich drauf schaue und..."

"Vielleicht monatlich einen kleinen Betrag? So eine Art Spardings, da kann Leon dir sicherlich helfen, Kai."

Bardo kam zu ihnen und erfuhr von Jans Vorschlag zu Kais Zukunftsinvestitionen. Ganz sorgloses Bambi war er voll dafür und berichtete aus dem Schatz der eigenen Erfahrungen: "Meine Eltern haben für jeden von uns so einen Sparvertrag. Da dürfen alle Verwandten dann einzahlen. Das erspart einem, dass sie das Geld zu Feiern mitbringen oder schicken, wo es dann verloren gehen könnte. Wir kriegen Geld immer auf das Konto geschenkt. Wenn wir was davon brauchen, verfügen unsere Eltern darüber, bis wir das mit achtzehn bekommen. Ansgar hat sich von der Kohle sein Musikstudio eingerichtet."

"Und du?"

"Ich weiß noch gar nicht. Mal sehen. Ich hab mir erst einmal von allen Leuten Geld gewünscht, das zahlen meine Eltern mir dann für diese Reise im nächsten Sommer aus."

"Wieso willst du da eigentlich so unbedingt hin?"

"Die Stadt ist toll, oder nicht? Außerdem ist ein Schulfreund von mir dorthin gezogen, weil seine Eltern ausgewandert sind. Wir schreiben uns seit einigen Jahren Briefe und Mails. Es ist nur so eine Brieffreundschaft, aber er hat mich eingeladen, ihn zu besuchen. Ich wollte dann für fünf Wochen hin. Für zwei Wochen kommen die Eltern mit Nantwin und Halvar noch hinterher und wir fahren ein wenig herum."

"Ah. Weiß der, dass du schwul bist?"

"Das nicht, nein. Aber ist doch auch egal, oder?" Bardo verschränkte die Arme.

Jan und Kai enterten die Küche, wo Jan Bier aus dem Kühlschrank holte und Kai einen Salat schnippelte und sich Toast vom LPP dazu legte. Er kippte Fertigsoße darüber und schleppte einen Teller auf die Terrasse, nachdem er Bardo erlaubt hatte, sich auch etwas zu nehmen. Bardo kam jedoch nur mit einem Glas Wasser zu ihm und ließ sich neben dem Miniteich auf dem Boden nieder.

Müde vom Stress und von der Hitze dippte Kai mit Toastecken in der Salatsoße und meinte endlich: "Und? Was willst du jetzt zu deinem Geburtstag haben, Bardo?"

"Ich wünsche mir echt voll, dass du mit mir in das Stroboskop gehst."

Kai blinzelte müde, dann schüttelte er den Kopf: "Nein. Alles nur das nicht, Bardo. Stroboskop ist laut, beknackt und... und... blargh. Außerdem bist du auch nächste Woche noch zu jung dafür."

"Och, Kai! Allein trau ich mich nicht."

"Mach das mit der krassen Anna. Wünsch dir was anderes, okay?"

"Hm. Vielleicht sollte ich Jan fragen, ob das okay ist, bevor ich mir das wünsche."

Jan kam mit ausgezeichnetem Timing um die Ecke: "Was fragen, Bambi?" Er sah zu Kai runter und kniete sich zu ihm auf die Liege, um ihn einmal auf den Nacken zu knutschen, leider auch um ihm nebenbei den Teller mit Essen zu stehlen.

Bardo winkte ab: "Nichts, nichts!", worauf Jan mit dem Salat, der ihm wohl geschmeckt hatte, die Flucht ergriff.

Seufzend bestellte Kai bei seinem entschwindenden Freund: "Ein Wasser mit Eis, bitte, wenn du schon meinen Salat klaust!" Er sah zu Bardo und murrte: "Rück schon raus! Wenn du Jan fragen willst, dann ist es was, das ich dir auch verweigern kann, Bardo."

Mit einem Seufzen senkte Bardo den Blick auf seine Finger, dann sagte er: "Bitte, komm doch mit ins Stroboskop. Nur ein Freitag, nichts schlimmes, ja? Wir gehen auch um zwölf wieder."

Kai lachte auf: "Oh nein! Bambi, das Stroboskop betrete ich garantiert nicht vor eins halb zwei, vorher ist es dort viel zu..."

"Eben. Was soll schon passieren? All deine Freunde machen das auch so. Niemand wird dich sehen und ich kann das mal kennen lernen."

"Ich hatte irgendwie gehofft, dass du rumknutschen willst und ich das einfach so ablehne und dir dann verbiete, jemals davon zu sprechen."

Bardo wurde rot und grinste ihn hoffnungsvoll an: "Würdest du?"

"Das verbieten? Auf jeden Fall, du notgeiler Teenager!" Seine Entrüstung wurde ihm von Bardos albernem Gekicher ein wenig kaputt gemacht, weil er mitlachen musste.

Jan reichte Kai sein Wasserglas, aber telefonierte bereits mit Holger wegen der fehlenden Grillutensilien für den Abend und ihren geplanten Ausflug ans Meer, ohne sich einzumischen.

Hoheitsvoll nippte Kai Wasser und schlug vor: "Ich werde dir einfach ein T-Shirt schenken. So wie du jetzt angezogen bist, nehme ich dich doch sowieso nicht mit, egal wohin."

Sein Handy rappelte. Es war Lolli mit einer Anfrage, ob Kai wüsste, wo ihr Pizzaroller hingekommen sein konnte. Die Abteilung für kreative Idiotie verlieh Lolli den Ehrenpreis.

"Lolli. Nicht dein Ernst jetzt! Weiß ich doch nicht!"

"Maus, du hast den doch dauernd gebraucht."

"Du auch... hattest du damit nicht mal irgendwelches Bastelzeug zerschnitten? Oder deine Haschpflanzen?"

"Oh, ja! Jupididuh, Maus! Genau!" Es raschelte, dann fand Lolli den Roller wohl auf seiner Fensterbank zwischen den Pflanzen wieder: "Danke, du süßer, oberpraktischer Sachensucher, du. Und? Bei dir mal wieder Chaos?"

"Oh Gott! Natürlich!" Kai ächzte und musste dann eine ganze Weile lang erzählen, wie das mit der Hochzeit gewesen war. Dann wurde er unerwünscht umfangreich über Lollis Pläne für die nächsten Wochen informiert. Viele Pläne davon beinhalteten ärgerlicherweise Flohmärkte, um noch mehr Kram zu verkaufen. Im Endeffekt hatte Kai ein Date mit Lolli zu einem Wochenende, zu dem ein Besuch bei der Meierschen anstand.

"Ach ja, Maus. Es ist CSD in Berlin und wir gehen ja sowieso alle da hin."

"Alle?"

"Du kommst mit!"

"Hm. Ist ja gut. Wer noch?"

"Lukas fährt uns. Lena und Henrike wollen hin, sind mal wieder megalesbisch drauf, wobei ich glaube, dass Henrike wirklich lesbisch ist. Außerdem natürlich Pascal, der wohl sowieso die Meiersche dauernd volljammern fährt. Hab ich dir nicht gesagt, dass sie jetzt voll mit der verdammten Depri-Bau-Mich-Auf-Nummer zu tun kriegt? Gott sei ihrer großen, guten Seele gnädig. Ja und du und Jan kommen auch, klar. Wir schlafen zum Teil bei Carlchen, zum Teil schlafen wir bei Anna, der Kollegin von ihm."

Jan stellte Kai den Salatteller wieder auf die Liege und hielt sein Handy locker in einer Hand. Er hatte sich übergeduscht und ein frisches T-Shirt an. Kai verabschiedete sich schon einmal von seinem Freund für diesen Abend: "Jan, können wir am übernächsten Wochenende zum CSD nach Berlin fahren?"

Jan drehte das Handy in einer Hand hin und her, dann schüttelte er den Kopf: "Du kannst schon, ich kann nicht. Ich bin an dem Wochenende bei den Eltern. Mein Vater hat Geburtstag."

"Och, Menno." Auf seinem Ohr sabbelte Lolli Kai voll von den Aktivitäten des Wochenendes. Sie würden nur den einen Tag hinfahren und nach vollbrachter Fete kollabieren und dann am nächsten Mittag nach Schlafen und Frühstück zurück eiern. Das hatte Lukas bereits so festgelegt, weil er noch andere Pläne hatte für das Wochenende. Kai sagte Lolli halb zu, um ihn loszuwerden und der wollte sich sowieso um seine Pizza kümmern.

Jan beugte sich einmal zu Kai und sagte: "Ich bin weg, wir sehen uns morgen... am Abend fahren wir hoch. Wenn du nicht gepackt hast, kommst du ohne Tasche mit. Ist das klar?!"

Kai verschränkte die Arme und grummelte: "Klar. Ich packe jetzt gleich."

Damit verschwand Jan, nach einem Gruß an Bardo, und Kai erhob sich müde, um seinen restlichen Salat in die Küche zu stellen. Er musste auch noch die Soße, das Messer, das Schälmesser und sein Frühstücksgeschirr wegräumen, aber fühlte sich zu matt dafür, noch die Salatschale abzuwaschen. Nachdem er die Soße weggestellt hatte, wankte er in sein Zimmer, um eine Tasche zu packen.

Bardo folgte ihm: "CSD, was ist das?"

"So eine Veranstaltung, die vielleicht mal was bedeutet hat... in grauer Vorzeit. Warte... die Buchstaben stehen für Christopher Street Day, schau mal selber im Internet, wie das genau war. Jetzt ist das eine Parade mit Regenbogenfahnen überall, mit Musik und zwar sehr lauter Musik und dann kann man sich schwul fühlen und rumpfeifen und auf der Straße rumknutschen, auch wenn so Retro-Rentner da sind und es tauchen tausend schwule oder lesbische oder andere Vereine auf, von denen noch kein Aas wusste." Allerdings war das Kais diffuse Erinnerung an seinen ersten und bislang einzigen CSD, auf den die Meiersche und Lolli ihn in seinem ersten Sommer in der WG geschleppt hatten.

Damals war Kai froh gewesen, endlich nicht mehr mit all den anderen zu schwitzen und die laute Musik zu ertragen, als er sich hatte absetzen können. Er hatte Lukas damals noch nicht gekannt, aber erinnerte sich jetzt daran, dass er ihn und Lena auf dieser Veranstaltung knapp verpasst hatte, weil er statt nach dem Umzug in die Disco zu gehen, einfach mit dem Zug schon nach Hause gefahren war.

Kai öffnete seinen Kleiderschrank und blickte forschend die T-Shirts entlang. Sein Lieblingshemd war in der Wäsche, da ging es schon mal wieder los. Gereizt packte er für etwa die doppelte Anzahl Tage Klamotten auf das Bett rüber, entschied sich für Jans große Sporttasche und packte seinen Kram hinein. Er holte die Sonnenmilch und eine Aprés Sun Lotion aus dem Bad und warf beides oben auf. Nach kurzem Zögern holte er eine Packung Kondome und mogelte sie zwischen die T-Shirts. Während dessen berichtete er von seinen Erinnerungen an die damalige Veranstaltung.

"Und das ist doof?"

"Natürlich ist so ein Gruppentucken total bescheuert!"

Bardo blickte ihn ein wenig erwartungsvoll an und weckte Kais Erziehungsgen: "Nein." Er ließ sich auf dem Bett nieder. "Eigentlich ist es nicht doof. Es ist sogar nötig. Sonst denkt kaum wer an unsere Rechte und daran, wie schlecht es darum steht und wie ungerecht es noch immer zugeht. Überall in der Welt, aber auch hier. Jan hat mir erst unlängst wieder so einen Aggro-Vortrag gehalten wegen Ding. Es ist nur so albern. Man fühlt sich für einen halben Tag bunt und lustig und mutig und..."

Kai faltete sein Strandlaken etwas anders und quetschte das neben die Shorts und seine Shirts in die Tasche. "… die allermeisten verschwinden doch dann gleich am Abend wieder im normalen Leben. Eben wie es immer so ist. Mit Freunden, die einen nicht akzeptieren, mit Eltern, die spießig werden, mit Nachbarn, die einen unzüchtig finden, mit den ganzen Nachteilen durch den Gesetzgeber, mit dem ganzen Verschweigen oder Verstecken auf der Arbeit. Lolli ist wenigstens immer so drauf, wie er sein will. Ich..., manchmal beneide ich ihn."

Kai versenkte ein doofes T-Shirt zum Schlafen in die Tasche und hatte mit einem Mal die Eingebung: "Aha! Das schenk ich dir zum Geburtstag."

"Hm? Was?"

"Na, was wohl? Du kommst mit nach Berlin. Hast du Zeit am Wochenende?"

"Ja, schon, aber..."

"Nix aber, das wird lustig. Wir pennen eine Nacht dort, bei der Meierschen auf dem Sofa oder so. Bring mal lieber eine Isomatte mit. Du fragst heute noch deine Eltern, ob du mit uns fahren darfst, ich werde das rauskriegen, wenn die das nicht erlauben, klar?!"

Und Bardo freute sich. Er hopste herum und sabbelte Kai davon voll, wie schön Berlin war und wie sehr er sich freuen würde und wie lustig das werden würde. Endlich wurde Kai das Bambi los und konnte sich selber, nachdem die Tasche immerhin zur Hälfte gepackt war, ins Bett legen und kollabieren.

Er träumte schlecht, von Ding, und von seiner Verantwortung. Außerdem von den Nacktbildern von ihm überall in der Stadt, und er träumte von Bianca, was ein schlechtes Zeichen war, weil er mit diesem einen Alptraum auf jeden Fall die nächsten Tage leben musste.

148

Die Fahrt in Jans Geburtstagsaktion begann vollkommen friedlich und total gut. Kai hatte seine Tasche fertig. Komplett. Er hatte nichts vergessen. Sein Lieblingshemd hatte er noch am Morgen gewaschen und gebügelt und obenauf gelegt. Er hatte die Sonnenmilch mit Faktor fünfzig für Babyhaut, sein Strandlaken, eines von Hannah, aber ohne Blumen, seinen neuesten Krimi und die aktuelle Auswahl Lehrbücher und Skripte dabei.

Er war frisch geduscht, hatte seine Haare hinbekommen und fühlte sich von Kopf bis Fuß gut, weil er dem Lernziel aus dem Plan schon deutlich voraus war und die letzten Probetests für ihn total super gelaufen waren.

Kai hatte das große Bild für Jan nicht dabei, natürlich nicht. Das würde er unter vier Augen überreichen. Stattdessen hatte er ein echt geiles T-Shirt eingepackt, das er Jan besorgt hatte. Es war dunkelbraun mit goldener Schrift, die schnörkelig irgendwelchen lateinischen Unsinn darstellte und das hatte ihn sofort an die schönen Augen von Jan erinnert, als er es bei Lolli im Laden entdeckt hatte. Kurzfristig überlegte Kai, ob er auch das zurück lassen sollt. Irgendwie war es ihm peinlich, Jan vor seinen Fußballfreunden etwas zu schenken, egal was.

Sie waren für sich zusammen und er war sich sicher. Vor anderen war es Kai noch immer unangenehm, wenn er und Jan als Paar auftraten. Vor allen Dingen vor dieser dummen Bianca. Dass die aber auch unbedingt mitkommen musste! Aber der Paarauftritt hatte noch reichlich Zeit. Zunächst war das gar nicht nötig und auch nicht möglich. Es wurde eine Gruppenaktion. Jan packte die Taschen zu seinen Grillsachen, Sportgeräten und Getränkevorräten in den Wagen und fuhr bei Bianca vorbei. Er rief sie per Handy an und bestellte sie runter, aber sie bestellte ihn leider in ihre Wohnung hoch.

Kai kam mit, weil er nicht im heißen Wagen warten wollte. Matt schleppte er sich in die Wohnung hinein, wo Jan von Bianca mit einer Umarmung und Kuss auf die Wange begrüßt wurde und Kai einen bösen Blick abbekam und eine Art Gedankenfunk empfing, der ihm den Auftrag erteilte, rasch mal zu krepieren. Mutig, und von der blöden Tante gereizt, ging er mit seinem Freund dennoch bis in ihr Zimmer. Dort folgten eine nutzlose halbe Stunde Wartezeit und ein plattdeutscher Disput, weil Bianca mit dem Packen noch nicht fertig war.

Sie wohnte mit zwei anderen Mädchen in einer WG an einer recht befahrenen Straße, dafür aber in einem schönen Eckhaus mit zwei großen Balkonen. Die Wohnung war chaotisch, vollgestopft und unaufgeräumt. Die Garderobe war durch diverse Kommoden und Schränke wie ein Hindernisparcours und wurde zu weiten Teilen von Biancas Reitklamotten eingenommen. Es roch im Flur nach Pferd und Leder. Die Küche war komplett vollgemüllt, die Spüle stand bis oben zu mit dreckigem Geschirr und der Boden war voller Altglaskisten und Zeitungen. Der Esstisch war unter einer Flut von Papieren versteckt, offensichtlich studierte eine der Mitbewohnerinnen Tiermedizin und steckte auch in einer Prüfungszeit.

Ihr Zimmer hatte Bianca jedoch schon in übertriebener Art und Weise aufgeräumt. Somit glaubte Kai ihrem Vorwurf an die Mitbewohnerin, die mit Aufräumen und Putzen dran war, sofort. Es war nahezu klinisch ordentlich mit säuberlichst umgebautem Bettsofa, einem sehr leeren Schreibtisch und einem Kleiderschrank, in dem alle Klamotten schnurgerade aufgereiht hingen oder lagen. Bianca trug knappe Frotteeshorts und ein halterloses Oberteil, das durch ihren Busen in Bedrängnis gebracht wurde.

Während sie, mit Jan zankend, zwischen Schrank, Bad und Tasche hin und her ging und Bikinis, Shorts und BHs einpackte, gaffte Jan sie an und Kai im Zimmer umher. So gestaltete sich die Wartezeit für Jan ziemlich angenehm, immerhin konnte der Arsch dem Anblick ihres knappen Tops was abgewinnen, außerdem schien er die Diskussion entspannend zu finden.

Kai ließ sich von ihren hektischen Bewegungen ein wenig hypnotisieren und dachte ein 'blöde-Kuh-blöde-Kuh'-Mantra. Endlich zog Bianca sich mitten im Satz auch noch das Top über den Kopf, so dass Kai vollkommen unvorbereitet ihre Brüste vor Augen hatte und sich verschreckt abwandte, während sie das Top in aller Ruhe zusammen legte und es durch BH und ein T-Shirt ersetzte.

Anklagend verschränkte Kai die Arme und starrte auf ein Poster von einem Polospieler auf einem dunkelbraunen Pferd in vollem Galopp. Bei näherem Hinsehen, was er nun tat, um Bianca in nackt zu entgehen, erkannte er, dass sie selber auf dem Bild dargestellt wurde. "Bist du das?" fragte er überflüssigerweise.

"Ja. Das war im letzten Sommer in Italien auf einem Turnier. Mein Bruder hat mir aus einem Schnappschuss das Poster gemacht." Von der friedlichen Antwort beruhigt, blickte Kai kurz zu ihr rüber. Leider streifte Bianca als nächstes ihre Shorts vom Hintern und entblößte den knappsten Tanga, den Kai jemals gesehen hatte und das war in Konkurrenz zu Lolli eine echte Leistung. Anklagend starrte er zu Jan rüber.

Jan legte den Kopf schief und grinste, hörte auf mit ihr zu zanken und trug ihr dann sogar die Tasche runter, während sie nach dem Einkleiden in eine Jeansshorts noch einen schweren Korb mit Flaschen und, komischerweise, Backzutaten Kai zum Schleppen vor den Latz knallte und selber nur ein Set Bettwäsche nahm.

Der nächste Stopp war bei Thilo. Dessen WG war, dank der Semesterferien, ausgestorben. In seiner Bahnhofshallenküche war ein Kühlschrank leergeräumt und stand offen da. Thilo hatte auch noch nicht gepackt und blickte sie desorientiert zwischen seinen Skripten an, weil er den Tag durch gelernt hatte. Jan schüttelte den Kopf, hinterließ Bianca als Wachposten und verkündete:"Wir holen Holger, bis gleich."

Holger saß gemütlich in der Abendsonne auf seinem Balkon und winkte ihnen einmal zu: "Ich komme runter!" Und genau fünf Minuten später stand der Mann mit einer kleinen Tasche und einer Kiste Bier vor dem Wagen. Kai war wegen der Hitze ausgestiegen und ließ sich einmal von Holger zur Begrüßung umarmen.

Der war frisch rasiert und roch gut. Eine gesunde Sommerbräune ließ seine scharfen, blauen Augen noch schärfer wirken, außerdem war er beim Friseur gewesen. Mit breitem Grinsen stellte er den Bierkasten in den Kofferraum und warf seinen Schlafsack hinterher. Dann plärrte er ohne Vorwarnung los: "Es wird ein Kerl! Das hat er gut gemacht!" Kais Haare wurden einmal derb gewuschelt, Holger brach ihm mit lockerem Klopfen fast die Schulter.

Jan startete lachend die Seekuh, während Kai sich ächzend rettete und hinten anschnallte, um dem großen Holger den Vordersitz zu überlassen: "Was wird ein Kerl? Ding? Echt jetzt?"

Kai seufzte und überließ Holger die neusten Neuigkeiten in Sachen Ding, samt einiger Ultraschallbilder, die Tini geschickt hatte. Jan wurde von der Meldung, ähnlich wie Holger, in Freude versetzt. Grinsend blickte er sich an einer Ampel zu Kai um. "Ein Junge! Jawoll! Das haste gut hinbekommen."

"Genetik kann man nicht hinbekommen, verdammt noch mal! Das war Zufall und Unfall und hört endlich auf!"

Sie kamen bei Thilo an und der wurde von Jan im Befehlston per Handy runter bestellt. "Thilo ist mit seiner Kramerei fast so schlimm wie du, Kai."

Holger verließ das Thema Ding noch nicht. "Jetzt kommt doch das Wichtigste. Der kleine Kerl braucht einen guten Namen." Er rieb sich die Hände. "Wie nennen wir ihn denn jetzt? Kai, du musst den Namen klar machen, Mann. Auf dich hört sie! Außerdem...", Holger drehte sich im Autositz herum, "…musst du sie rasch die Tage davon abhalten, einen superteuren amerikanischen Kinderwagen zu kaufen. Die ist da echt entfesselt."

Kai rieb sich die Augen. "Definiere superteuer", murmelte er matt. Und Holger schockierte ihn mit einer Summe, die seine Monatsmiete überstieg ..., sogar die realistische und nicht die Sparversion von Jan, die er gerade zahlte.

"Und das ist ohne diese komischen Sachen, die da wohl noch bei sein müssen. Autoschalenadapter, Regenhaube und Fußsack aus Lammfell oder so. Ich wollte ja immer Kinder haben, aber aktuell muss ich gestehen, dass ich mir das gar nicht werde leisten können. Nicht mit dieser Frau jedenfalls."

Jan blickte zurück. "Ein Name muss her, Holger hat Recht." Er rieb sich das Kinn. "Hm, wie wäre es mit..."

"Jan! Keine friesischen Missgeburten! Ich will, dass das ein normaler Name wird, hab ich mich klar ausgedrückt?!"

Biancas Stimme ließ ihn herumfahren: "Normaler Name? Wofür?" Sie hatte die Wagentür geöffnet und krabbelte auf die Rückbank.

Jan grinste: "Ding wird ein Junge."

Hinten schlug Thilo die Kofferraumklappe zu und kam mit seinem Skript unter dem Arm herum geschurft. "Jan, haste diese Scheiße mit der Physiologie von der Leber schon gesehen, Mann? Alter, ich kacke total ab bei den Probetests. Ich sterbe!" Er sah auch nicht gut aus.

Jan grinste entspannt und nickte zu Kai rüber: "Kai kann das alles im Schlaf, Thilo. Der bringt dir das morgen einfach bei."

"Oh, Gott." Ächzend rieb Thilo sich die Augen. "Du bist echt krank, Mann. Macht dich das nicht fertig, dass Kai immer schon alles kann?"

"Nö. Ich lass mir das dann auch von ihm erklären... wo ich im Physikum doch leider nicht bei ihm abschreiben kann. Aber, hey! Der ist bei dir im Raum. Schreib du doch von Kai ab, dann haste weniger Stress, Mann!"

Thilo röchelte und klappte sein Skript auf, Panik im Blick.

Bianca schob sich auf den mittleren Sitz neben Kai und ließ Thilo einsteigen, aber blieb bei ihrem Thema: "Und was habt ihr mit dem Namen für Tinis Baby zu schaffen? Ist das nicht Tinis und Holgers Sache?"

Holger grinste froh: "Ding ist nicht von mir. Ich bin raus aus der Nummer!"

Bianca lehnte sich vor: "Was?! Und da lachst du so fröhlich? Bist du krank?!"

Kai kriegte leichtes Kopfweh und starrte aus dem Fenster. Scheiß Tini mit ihrer Geheimniskrämerei. Hatte die ihrer dämlichen Freundin doch die wichtigsten Details vorenthalten. Mies gelaunt sagte er ohne Umwege: "Ding ist von mir und somit ist das mein Problem."

"WAS?!!"

Thilo, der in einem Skript lesend eingestiegen war, sich angeschnallt hatte und offenkundig weder Augen noch Ohren für anderes gehabt hatte, zuckte zusammen und blickte sich verwirrt um: "Was was?"

Jan kriegte einen Lachanfall, Holger lachte mit, Bianca kreischte Thilo die Erklärung ins Ohr, aber der winkte nur ab, schien ihr gar nicht zuzuhören und Kai hatte gleich darauf starke Kopfschmerzen. Die Abteilung Abartigkeiten meldete sich ermüdet zu Wort. Kai war derart abartig, dass diese Abteilung schon Überstundenfrei brauchte.

Bianca nutzte die nächste Zeit, um Kai auszufragen und kritisch voll zu labern. Sie war definitiv nicht sein Fan. Es begann bei der Art, mit der er Tini immer schlecht behandelt hatte und hörte beim Unfallsex noch lange nicht auf. Wenn Kai in den letzten Wochen durch ihre neue Beziehung mit Thilo und ihr Erlebnis mit der genähten Stirn ein paar Gummipunkte gut gehabt hatte, so waren diese offensichtlich verbraucht.

Mies gelaunt setzte Kai sich zur Wehr, wusste aber nicht viel zu den Gründen für den Sex zu sagen, weil er nicht wusste, wie viel Tini mit Bianca noch nicht teilte. Den Sexunfall bei Tinis erstem Mal würde er wohl kaum hier ausbreiten. Seine Kopfweh halfen der Sache eben so wenig wie eine mangelhafte Beteiligung von Holger und Jan an dieser Diskussion um Sex und Treue, Verhütung, Verantwortung, Verwicklungen und Verlogenheit.

Es schien Kai beinahe, als sei ein Großteil dieser Unterhaltung aber eigentlich eher für Jan gedacht, wohl um Kai extra schlecht zu machen. Schlecht wurde dann auch Jans Laune nach und nach. Man konnte es daran sehen, dass er recht oft die Musik umstellte. Endlich hob Jan eine Hand und blaffte nach hinten: "Bianca, gah mi aff! Dat is nech dien Ding. Kai het allens jut en de Bucht kriegen. Do hest nix to ordelen over em en se!"

Verwirrt blinzelnd starrte Thilo kurz hoch und meinte: "Jo, genau Jan... was auch immer."

Nach dieser Ansprache wurde es kurz still im Wagen. Thilo versank seufzend in seinem Skript, Holger stellte den Radiosender wieder etwas lauter und Kai holte erleichtert Luft. Dann begann der Namensreigen.

Holger machte den Anfang. Vermutlich wollte er einfach ein leichteres Thema als Tinis und Kais sexuellen Kontakt und dessen Folgen aufbringen, aber es half Kai gerade nicht bei der schlechten Laune weiter. "Ein Junge. Okay, das ist doch total leicht. Ben..., der Sohn. Ist auch schön kurz."

Jan nickte zustimmend, vergaß bereits seine Gereiztheit wieder und meinte: "Das fand ich bei Jan auch immer super."

Bianca schnaubte. "Ben..., klingt total doof. Benjamin, wenn schon. Das wird dann immer abgekürzt als ..."

"Benni!? Auf den kann ich grad voll nicht! Abgelehnt!" Kai verschränkte die Arme.

"Sebastian? Basti find ich..."

"Nein." Allein der Umstand, dass Bianca einen Namen vorschlug, musste diesen doch echt unattraktiv machen.

"Felix, der Glückliche? Den kann er, bei dem Vater, ja auch echt brauchen."

Da bekam Jan offensichtlich Felix-Assoziationen. "Ne, nicht so gut."

"Karsten? Kalle klingt so niedl..."

"NEIN!"

Bianca ruckelte etwas und stützte das Kinn in ihre Hände: "Dass du das mit Tini wirklich getrieben hast. Meine Güte, Kai. Echt ekel..."

Resigniert hob Kai die Händ: "Whisky-Cola. Ich war voll. Hab auch keine Erinnerungen mehr daran." Er starrte einen kurzen Moment auf seine eigene Reflexion in der Autoscheibe. Das Problem war, er hatte..., nach und nach waren die Erinnerungen an ihre Unterhaltung, an sein Gefühl der Verbundenheit mit ihr und an seinen Entschluss, das für sie und mit ihr zu tun, wieder gekommen.

Biancas Stimme riss ihn aus den Gedanken heraus: "Doch, bald hast du Erinnerung. Reichlich. Die wächst und gedeiht dann schön so weiter." Sie lachte mies dazu.

Holger und Jan fanden das komisch. Jan stellte seine eigene Musik an und Kai rieb sich die Schläfen.

Dann wagte Holger noch einen Vorstoß: "Niklas."

"Nicolaus, oder was? Nein."

"Maximilian..."

"So heißt jeder zweite Junge heute", kam Bianca Kai mal zur Hilfe, aber fuhr dann fort: "Jani, was meinst du denn?"

Jan lenkte entspannt mit einer Hand, ließ sich per offenem Schiebedach die Haare vom Fahrtwind durchwuscheln und lachte: "Meine Vorschläge fand Kai alle scheiße. Er mag friesische Namen nicht."

"So? Welche?"

"Hauke."

"So heißt mein Onkel, der ist total langweilig", bemerkte Holger kritisch.

"Thees, Jonte, Jannes..."

"Min Broder heest Jonte", unterstützte Bianca diesen Vorschlag.

"Leeve mag ich gern."

Bianca lachte auf: "Dat du mien leevsten büst, hm?"

Jan blieb ernst: "Ist Ding doch dann auch. Für uns. Uns leevste."

Kai hob den Kopf. "Hä?"

"Mien leevsten. Mein Liebster", übersetzte Bianca und sah ihn hinterhältig an.

Kai erinnerte sich wie Jan sich am Telefon hin und wieder mit 'Heb di leev' verabschiedet hatte und wurde rot.

Jan war noch nicht fertig. "Sander, Eike, Tamme..."

"Sag mal, wie kannst du denn diese ganzen Namen so runterspulen, Jan?"

"Na, das sind die Namen meiner Cousins. Ich hab da schon ein paar von. Na gut, Eike ist ein Mädchen, aber der Name geht auch für Jungs."

Kai verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. "Die Namen sind abgelehnt."

"Kai, ihr könnt den Kleinen nicht Ding taufen, so sehr du das willst."

"Das alles hat noch Zeit, klar?"

Bianca lehnte sich ein wenig mehr an Thilo, der aber am Bleistift kauend nichts um sich her wahrnahm. Wenn der Kerl lernte, lernte der wirklich. Kai bewunderte seine stoische Ruhe. Sie fragte ein wenig, im Kopf rechnend. "Wann ist der Termin denn?"

Leidend senkte Kai den Blick: "Vierzehnter November."

Bianca blinzelte und meinte ein wenig enttäuscht: "Echt... noch total lang hin." Und darauf senkte sich eine kleine Weile lang Ruhe über den Wagen. Jans schräge Musik jammerte ihnen um die Ohren, Thilo lernte und Bianca lehnte sich vor, um mit Jan und Holger die Verlockungen der nächsten Tage zu bereden. Sie stütze sich dabei auf Jans Schulter auf, den das nicht so sehr zu stören schien wie Kai. Immer wieder stichelte sie dabei in Kais Richtung, dass der ja so rasch in der Sonne verbrennen würde, dass er ja sicherlich keine Lust auf ein Joggen am Meer oder eine längere Wattwanderung hätte und dass Kai sicherlich keinen Bock auf diese geile Dorfdisco im Nachbarort hatte.

Davon genervt holte Kai schließlich, trotz seines Kopfwehs, auch ein Skript hervor, wandte sich von ihr ab und dem Fenster zu und schwieg. Er lernte natürlich nicht, sondern ließ die Straße vor seinen Augen vorbeihuschen und konnte sich auch vor dem Vorbeihuschen schlimmer und noch schlimmerer Namen für Ding nicht erwehren. Zum Glück waren die Straßen nicht überfüllt, bald konnten sie von der Autobahn abfahren und nach kurzer Tour durch das Industriegebiet und die Wohngegend vor dem Reihenhaus aus dem Wagen, und damit aus klebriger, schwitziger und außerdem leicht gereizter Atmosphäre, entkommen.

Die Seekuh wurde gemeinsam ausgeladen. Vor allen Dingen hatte Jan Grillkohle, Strandlaken, einen Volleyball, einen Fußball und noch weitere Sportartikel im Wäschekorb mitgeschleppt und lud das meiste in die Garage. Kai brachte seine Sachen in das Wohnzimmer, wo er mit Jan auf der Couch schlafen würde. Jan sabbelte Platt mit Bianca während Thilo ihre und seine Tasche in das Schlafzimmer oben brachte. Holger kam aus Jans Kinderzimmer zurück und berichtete froh, dass er knapp in das Bett passen würde. Die Stimmung war durch Bianca hysterisch und unruhig. Sie wollte sofort los, etwas tun, an den Strand, in den Hafen, war zappelig und irgendwie unzufrieden.

Thilo war mit Lernen noch nicht durch und schob weiterhin Panik bei dem Gedanken an seine Wissenslücken. Er installierte auf dem Küchentisch seinen Laptop und versenkte sich hektisch in eine Probeklausur, während Kai im Wohnzimmer noch versuchte, das Sofa auszuklappen und sich die Finger dabei klemmte.

Davon gereizt setzte Kai sich in die Küche ab, um Eis für die schmerzenden Finger zu holen. Dort folgte eine schöne Überraschung. Auf der Arbeitsplatte am Fenster lag an eine Sektflasche, gelehnt ein Brief von Jans Eltern mit einem Gutschein der hiesigen Schlachterei, wo sie sich ihr Grillfleisch und Salate besorgen gehen sollten. Außerdem ein Gutschein über Backfisch, in dem Fischlokal am Hafen, wo Jan und Kai auch immer hin gingen.

Der Kühlschrank war bereits gefüllt mit Melonen und anderen Sachen, die Jan mochte. Seine Laune stieg und er ging ans Telefon, Platt mit seinem Vater zu sabbeln. Natürlich wollten die Eltern, dass Jan noch die Hecke schnitt und den Rasen mähte, außerdem sollte er mal versuchen, das Unkraut aus den Steinen auf der Auffahrt zu bekommen.

Die Liste Arbeiten war unattraktiv, aber andererseits war Kai sich sicher, dass Jan zwischen Party, Sonne, Strand und Lernen auch das gut schaffen konnte. Außerdem berichtete Jan ihnen freudig, dass seine Eltern am Sonntag ganz früh kommen wollten und ihnen dann die Kutschfahrt durch das Watt bis zur Insel, samt dort dann stattfindendem Kuchenessen, ausgeben würden.

Mal wieder bewunderte Kai die Energie seines Freundes und freute sich an dessen guter Laune. Es war ansteckend. Jan wirbelte durch das kleine Haus, räumte rum, gab Bettwäsche raus und kramte im Keller nach der großen Hängematte, die nach wenigen Momenten hinten im Garten zwischen dem alten Apfelbaum und der Garagenecke sachte im Wind schwang. Dann räumte er den Grill aus der Garage, sabbelte mit den Nachbarn über das Schneiden der Hecke und brachte mit Holger zusammen Bierkisten in den Keller, wo der zweite Kühlschrank angeworfen wurde.

Die ganze Zeit summte Jan das plattdeutsche Lied, das Bianca ihm auf der Autofahrt in Erinnerung gebracht hatte. Seine raue Stimme schuf Kai eine krabbelige Gänsehaut, als Jan ihm beim Ausklappen vom bockigen Schlafsofa das Lied direkt ins Ohr sang. Außerdem verliebte Kai sich gerade noch eine Ecke mehr, falls das noch möglich war, denn Jan, der ihm vorsang: 'dat du mien leevsten büst', war doch glatt mal wieder romantisch. Die Romantikabteilung hob zum Jubel an.

Sie sahen sich in die Augen und Kai wollte seinen Freund gerade küssen, als Bianca um die Ecke blickte und krakelte: "Wie lang dauert das denn noch hier? Ich will los!" und damit die Atmosphäre vernichtete, weil Jan auf ihren doofen Tonfall ansprang und zurück maulte, dass sie ja bei den Arbeiten helfen könne, wenn sie früher los wollte. Daraufhin beteiligte Bianca sich an den Arbeiten, leider in der Form, dass sie das Sofa mit ihnen bezwang und sich lachend mit Jan darauf warf. Mies drauf sammelte Kai seine Klamotten zusammen, um duschen zu gehen und seine Eifersucht Bianca gegenüber in Sauberkeit zu ertränken.

149

Kai wurde im Bad von Thilo verdrängt, der nun endlich ausgelernt hatte und sich vor dem Abend am Strand auch frisch machen musste.

Bianca folgte ihrem Freund in das Bad, was Jan und Holger zum Feixen brachte, aber Kai eher erleichterte. Leider war Thilo nach wenigen Minuten mit nassen Haaren aus dem Bad raus, weil er rasch vor ihrem Ausrücken doch noch etwas nachlesen wollte. Bianca war deswegen ziemlich mies drauf. Offensichtlich war ihre tägliche Dosis Sex überfällig. Kai wollte ungern darüber nachdenken, aber Jan machte passende dumme Sprüche.

Diese Tante war schrecklich nervig und außerdem schon wieder auf Krawall, das spürte er deutlich. Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, wie einen Fleck, den man aus der neuen Hose nicht mehr rausbekommt. Als würde er ihr Bild von dem Ausflug stören. Sie hatte auf der Autofahrt schon jede Chance gesucht, um ihn mies zu machen und die Vorlage mit dem Baby von Tini voll ausgenutzt. Und wenn die nicht mit Jan am Flirten war, dann wusste er auch nicht, wie er das noch nennen sollte.

Aber dafür war Jan super gut drauf, Holger hatte das Lernen bereits gut geschafft und war nach einem Chat mit seiner Süßen total gut drauf, weil sie mit ihm romantisch das Suchen der neuen Wohnung und das Anstreichen des Kinderzimmers in hellblau geplant hatte. Er hatte ihre Namensvorschläge über sich ergehen lassen, und sie hatte ihm vorgerechnet, dass der Kinderwagen doch nicht so teuer wurde, weil der kanadische Dollar nicht so gut stand. Außerdem sollte der Wagen zu weiten Teilen ein Geschenk ihrer Großeltern werden, wie das Babyzimmer ein Geschenk der anderen Großeltern werden würde. Am Ende fand sie außerdem die Idee, seine Mutter zu besuchen, total schön. Für Holger bewegte sich das Leben gerade wie auf ruhiger See, mit leichtem Wind mit acht Knoten voran, wie er so schön sagte.

Nach einem friedlichen, weil Bianca-freien, Rumräumen, Lüften und Gartenmöbel-Rücken kam sie endlich aus dem Bad. Nach einem kurzen Streit zwischen Bianca und Thilo, vordergründig um in der Dusche vergessene Handtücher, hintergründig vermutlich um in der Dusche vergessenen Sex, brachen sie schließlich zu fünft auf zum Hafen, um Fisch und Krabben zu essen. Kai, Holger und Jan in Shorts, Sandalen und T-Shirts. Thilo in den für ihn etwas zu schlabberigen Jeans und einem echt schönen Hemd und Bianca in einem megaknappen Kleid und Sandalen mit hohem Absatz.

Jan machte einen passenden Spruch zu dem Aufzug. Für ihn war der unter Umständen auch gedacht gewesen, denn Thilo hatte dafür keinen rechten Blick. Er diskutierte Prüfungsfragen, und die möglicherweise falsche Interpretation, mit Kai und Holger. Bianca versuchte, mit Jan über Urlaubspläne zu reden, aber der telefonierte dann fast den ganzen Weg mit Freunden vom Fußball, aus der Schule und der Uni, die alle zu seiner Geburtstagsfeier auflaufen wollten.

Der Abend begann dann endlich nett zu werden. Sie sicherten sich einen guten Tisch an der Ecke draußen. Jan saß neben Kai auf einer Bank, auf der anderen Seite saß leider Bianca, anstatt sich zu ihrem Freund zu setzen. Thilo war ausgehungert, weil er vor lauter Lernen nichts gegessen hatte und war entsprechend schweigsam, bis er endlich ausreichend Backfisch gegessen hatte. Der Fisch war frisch, lecker und viel zu viel, wie immer. Jan war ein totales Ass im Krabben pulen, weswegen er und Kai sich damit vollstopfen konnten, ohne dass Kai einen Finger rühren musste.

Kai überließ die Hälfte seiner Portion Holger ihm gegenüber, was Diesen froh machte. Thilo schaufelte schweigend Fisch in sich hinein und taute schließlich doch auf und freute sich auf die Sonne und den Strand. Jan und er begannen mit Kindheitserinnerungen, weil Thilo seit der Kindheit häufiger mit Jan im Ferienhaus gewesen war. Holger war von dem Fischladen begeistert, weil er problemlos satt wurde, Jan sabbelte beim Krabben pulen auf Platt mit dem Besitzer und Bianca nutzte die Restsonne, um ihre reichlich nackte Haut hinein zu halten und die neben ihnen noch anwesenden männlichen Urlauber nervös zu machen.

Es war warm und trocken, so dass sie barfuß am Strand zurückgingen. Sie holten sich noch Bier und den Sekt aus dem Haus, Bianca musste sich dem kühlen Wind beugen und eine Jeans und einen Pullover überziehen, so dass ihr Aufzug nicht mehr ganz so extrem übersexy war. Sie saßen schließlich noch länger am Deich unter einem sehr schönen Sternenhimmel zusammen und unterhielten sich. Das hieß, die anderen unterhielten sich. Kai saß friedlich neben Jan und genoss, dass er nicht mehr der Namenssuche ausgesetzt war.

Holger ging als erster ins Bett und Kai schloss sich ihm an. Thilo folgte ihnen wohl wenig später. Aus der Küche drang bald Licht und er schien noch einmal in seinen Laptop zu schauen. Es war mal wieder klar, dass Bianca und Jan am längsten aushielten. Kai konnte ihre Stimmen noch von der Terrasse hören, während er sich im Halbschlaf umdrehte, weil das Sofa nicht nur scheiße auszuklappen war, sondern auch nicht so gemütlich, wie er gehofft hatte.

Am anderen Morgen wurde Kai wegen der großen Fenster mit nur leichten Gardinen und einem sehr verlegenen Rücken früh wach. Er humpelte stöhnend in die Küche und machte Kaffee für alle und Tee für Jan. Dann ließ er sich mit einem Milchkaffee und seinem Skript zum Lernen am Gartentisch nieder. Die Nachbarterrassen bevölkerten sich ebenfalls und irgendwo wurde der erste Rasenmäher angeworfen. Recht bald kamen Jan und Bianca aus dem Nirvana hervor. Jan fit, gut gelaunt und ausgeschlafen. Sie zu knapp bekleidet, etwas zerknautscht und zumindest unternehmungslustig.

Bianca schlug tausend und eine Möglichkeit vor, den Tag rum zu bringen und Jan war ganz dafür, aber betrachtete den zu hohen Rasen mit Sorge. Für Kai war klar, dass er lernen würde, um in seinem Plan zu bleiben. Auch ohne den Job nebenbei war die Stoffmenge ausreichend beeindruckend und bald würde Tini zurück sein und ihm Zeit stehlen, das war klar. Thilo und Holger gaben Kai mit dem Lernen Recht. Also teilten sie sich auf.

Kai lernte mit Holger und Thilo am Gartentisch. Jan lernte mit Turbo und ohne Interesse im Wohnzimmer seinen Lernplan runter und rannte dann mit dem Rasenmäher durch den Garten und kümmerte sich sogar noch um Rasenkanten und die Sträucher hinten. Bianca lernte, mit Turbo und ohne Interesse, und schaffte mehr als neunzig Prozent im Probetest, was Thilo total deprimierte, weil er nur vierzig Prozent geschafft hatte. Dann lag sie im knappen Bikini auf einer Decke Jan im Weg und machte dumme Sprüche und deprimierte ihren Freund mehr und mehr.

Zwischendrin holte Jan Brötchen vom Bäcker, jeder aß, wann er wollte, bis die Mittagszeit Bianca mit strahlender Sonne endlich komplett von ihrem Buch und dem Sonnenbad auf dem nun perfekten Rasen ablenkte. Sie bequatschte Jan, das Unkraut in der Auffahrt sein zu lassen und zerrte ihn zum Strand davon.

Jan verabschiedete sich mit einem: "Kai, wir sind an dem Aufgang, wo wir immer hingehen. Meine Eltern haben da einen Standkorb mit blauer Nummer, gleich am Deich." Er schrieb Kai die Nummer auf den Rand vom Skript und zog davon.

Thilo klappte sein Buch auf, runzelte die Stirn und kaute an einem Brötchen, vermutlich ohne es zu merken. Holger holte sich eine Flasche Wasser und blieb ebenfalls sitzen. Erstaunt fragte Kai ihn: "Willst du gar nicht mit?"

"In der Mittagshitze? Auf keinen Fall. Ich bin nicht Jan, der Sonnenbrand gar nicht zu kennen scheint." Holger streckte sich zufrieden in seinem grell-roten T-Shirt und der Shorts aus. "Ich bleib hier bei dir im Schatten und lass mir von dir die Physiologie der Leber erklären. Oder war das nur Schnack von Jan, dass du das kannst?"

"Nein. Kann ich gut. Das war mein Referatsthema." Kai blätterte im Skript zurück. Den Teil hatte er schon erledigt. "Okay. Klar. Dann lernen wir die Leber."

Thilo hob den Kopf, von dem Reizwort aufgeschreckt: "Leber? Ist Leber dran bei euch?!" Er raufte sich die Haare, sein schlankes Gesicht verzog sich, in einer Parodie von Edvard Munchs bekanntem Schrei: "Oh Gott! Ich raffe das nicht! Ich raffe das alles nicht!"

Kai blinzelte, von dessen Panik überrascht, und Holger riet Thilo zu Kais Atemübung: "Die macht er immer, wenn er ein Motorrad hört. Das hilft voll gut bei Panik, nicht wahr?"

Misstrauisch blickte Thilo ihn aus seinen schönen Augen an, dann verzog sich sein Mund abschätzend. "Okay." Er versuchte das mit der Übung, aber brach bei den ersten Probeaufgaben sofort wieder in Panik aus, so dass Kai sich zu ihm setzte, um alles noch einmal zu erklären. Holger hörte schweigend zu, schien alles aber deutlich rascher zu verstehen als Thilo und nickte endlich. Sie wandten sich erneut den Fragen zu und machten jeder für sich den Test noch einmal, sprachen ihn dann durch. Bei dieser Runde hatte Thilo alles gerafft und sogar die gemeinen Fangfragen erkannt. Er entspannte sich wieder. Und so verbrachte Kai mit Holger und Thilo einen sehr angenehmen frühen Lernnachmittag.

Zur späten Kaffeezeit rief Jan dann an und bestellte sie an den Strand, weil das jetzt echt genug gelernt sei und außerdem wohl wirklich mal Volleyball angesagt war. Kai ließ sich überreden, gemeinsam mit Holger überredete er dann Thilo, dass es seiner Panik nicht helfen würde, wenn er sich dumm und dämlich lernte.

Matt stimmte Thilo zu, warf aber einen verlangenden Blick zu den Probeklausuren.

Kai bekam Mitleid und schlug leise vor: "Wenn du möchtest, können wir die Klausuren heute Abend noch einmal kreuzen. Ich wiederhole sie auch gern noch mal nach einer Pause und schaue, was wirklich hängen geblieben ist."

Das Argument überzeugte Jans Kumpel dann endgültig. Er schlängelte seinen schlanken Körper in Badehose, Shorts und T-Shirt und ließ sogar das Skript liegen, als er Musik, ein Handtuch und eine Wechselshorts in seinen Rucksack packte. Da Thilo auch eher einen dunklen Hauttyp hatte, brauchte er sich nur etwas Sonnencreme ins Gesicht schmieren. Mit einer recht teuren Sonnenbrille wurden die schönen Augen versteckt, dann lehnte er im Flur und wartete auf Kai und Holger, den Blick in ein Lehrbuch von Kai versenkt.

Holger packte einen großen Rucksack mit Essen, zwei Flaschen Wasser, einer Dose mit Melone aus dem Kühlschrank und nahm ein Kartenspiel mit. Kai panierte sich mit Sonnencreme und rüstete sich mit Sonnenbrille, Krimi und Strandlaken aus, um gemeinsam mit den anderen auszurücken.

Holgers praktischer Ader war es zu verdanken, dass sie ausreichend zu trinken, zu essen und Kuchen dabei hatten. Bianca und Jan überfielen sie erst einmal ausgehungert, dann wurden Holger und Thilo zum Beachvolleyball überredet. Jan und Kai fanden sich allein im Strandkorb wieder, wo Jan sich noch etwas ausruhte.

Seufzend streckte Kai sich aus und nahm seinen Krimi aus der Tasche.

Jan stupste ihn mit der Schulter an: "Na?"

Kai grinste zurück: "Selber na." Er sah sich um: "Wie vor einem Jahr, mit dem Strandkorb und so, oder?" Er dachte an die Knutscherei am Strand zurück. War das ein toller Abend gewesen. Sein Leben war von dem Abend an so viel schöner geworden. Dank Jan. Lächelnd sah Kai seinen Freund an. Braun und fit und gut drauf mit funkelnden Augen.

Jan nickte und grinste noch breiter. "Ja. Genau so. Als ich gemerkt hab, dass ich... schwul bin."

"Bi, so wie du Bianca eben auf den Busen und Hintern gegafft hast." Die hatte ja mal wieder einen echt knappen Bikini an. Mies drauf starrte Kai ihr hinterher.

Jan zuckte mit den Schultern: "Dafür sind die da. Dein Hintern ist süßer, beim Busen kannste natürlich nicht mithalten."

Kai grinste Jan an und freute sich über das Kompliment.

Jan lehnte sich dichter und sah Kai in die Augen: "Hey, danke."

"Hm?"

"Na ja. Ich weiß ja, dass du keinen Bock hast, am Meer rumzuhängen und Angst vor Sonnenbrand hast und so. Und dann bin ich auch noch den ganzen Tag unterwegs. Schön, dass du trotzdem dabei sein willst."

Kai warf einen Kontrollblick umher, dann küsste er Jan einmal kurz: "Natürlich. Weißt doch, dass ich das nicht gut ab kann, wenn du gleich tagelang weg bist." Ihre Hände fanden sich einen Augenblick lang, bevor das zu warm wurde. Jan seufzte zufrieden und trank noch einen Schluck und Kai lehnte sich erneut in seine Ecke in den Schatten zurück, um sich in seinen Krimi zu vertiefen. Das Meer hatte sich zum Glück zurückgezogen, so dass er sich nicht einmal der Frage, ob er schwimmen gehen wollte, stellen musste. Und so ging der Mittwoch für ihn schön, und sogar ein wenig romantisch, vorüber.

Am Abend fuhren Jan, Bianca und Holger in eine Disco. Kai lernte pflichtschuldig mit Thilo die Klausuren noch einmal und bewies ihm so, dass er das Thema doch halbwegs gerafft hatte. Thilo grämte sich und war mies drauf, weil er vor der Prüfung so viel Angst hatte und Biancas Frohsinn und Faulheit daher als beleidigend empfand. Außerdem hatte sie ihm vorgeworfen, dass ihm die Prüfung wichtiger sei als Zeit mit ihr, was er als Fakt verstanden hatte. Natürlich war ihm die Prüfung aktuell wichtiger als Essen, als Schlafen und vor allen Dingen viel wichtiger als Zeit oder gar Sex mit seiner Freundin. Das war für ihn logisch. Für sie natürlich nicht.

Kai dachte daran, dass er bei Jan auch hin und wieder verzweifelte, wenn der vor Prüfungen so gemein entspannt und locker war, vor allem, wenn Jan dann einfach so bestand, ohne gelernt zu haben und nickte zu Thilos Lamenti tragisch. Er legte sich früh schlafen, während Thilo noch am Küchentisch lernte. Kai fühlte sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen überhitzt und schlief erschöpft früh ein, obwohl sein Rücken das Sofa bei erneutem Gebrauch noch weniger mochte.

Jan weckte Kai kichernd im Morgengrauen, als er nach genug dummer Disco, ausreichend Alkohol und einer Dusche zu ihm kam und Sex wollte. Kai war, nachdem er wach geworden war, natürlich nicht abgeneigt und gratulierte ihm dann sehr bereitwillig auf sehr intime Art zum Geburtstag. Die anderen schliefen oben, die Tür war zu und so hatten sie für sicherlich eine gute Stunde noch Geburtstagssex mit Beilagen und Wünsch-Dir-Was für Jan, der das ziemlich mies ausnutzte. Ausreichend befriedigt konnte Kai sich danach sogar an den außerordentlich befriedigten Jan kuscheln und noch ein paar Stunden schlafen, weil es sich über Nacht abgekühlt hatte.

Jans Geburtstag begann daher ohne Jan und mit einem etwas mitgenommenem Kai, der sich ohne T-Shirt nicht am Strand würde blicken lassen, weil sein Freund, diese miese Ratte, ihm Knutschflecken verpasst hatte, dass es schon nicht mehr feierlich war, außerdem an kreativen Stellen. Etwas zerknautscht bereitete Kai den Frühstückskaffee. Er setzte gerade den Tee für Jan auf, als er von einer gleichermaßen zerknautschten wie ängstigend unternehmungslustigen Bianca überrascht wurde, die in die Küche einfiel wie eine Horde, um hektisch, und zugleich ziemlich begabt, Geburtstagskuchen zu backen.

Es wurde komischerweise ein Butterkuchen. Kai wurde bei Rückfrage hochnäsig darüber aufgeklärt, dass dies Jans Lieblingskuchen war. Er speicherte die Information sofort für späteren Gebrauch ab. Dann entging er Bianca, indem er Brötchen holte und beim Schlachter das Fleisch und Salate vorbestellte. Dies hatte Jan ihm in der Nacht noch so halb aufgetragen, weil ihm zu spät eingefallen war, dass der Schlachter einen Tag Zeit brauchte. Kai brachte zwei Salate, die besonders lecker aussahen, zur Probe mit. Von dem Bäcker brachte er auch gleich die, von Jan am Vortag, bestellten Baguette mit, so dass er sich ziemlich abschleppen musste.

Als er zum Haus zurück kam, roch es von oben bis unten nach Butterkuchen und Jans schwarzem Tee und zwei Kai unbekannte Wagen parkten vor der Tür. Mit den Wagen waren ein paar Schulfreunde und Freundinnen von Jan gekommen, die im Garten schon mal zwei Zelte zum Übernachten aufbauten. Zwei kannte Kai von ihrer Einweihungsfeier. Außerdem war ein Auto wohl das von Maren gewesen. Sie bot eine außerordentlich gute Konkurrenz zu Bianca, weil sie in einer knappen Kombi aus Bikinitop und Shorts mit Badelatschen im Garten bereits am Aufhängen einer bunten Lichterkette auf der Terrasse war. Auch Maren kannte das Ferienhaus gut und war mit Erinnerungen an Urlaube hier befasst. Zum Glück war sie noch immer mit Matze zusammen, den sie auch gleich mitgebracht hatte.

Gemeinsam mit einigen anderen Freunden betrat Kai das Haus und brachte die Brote weg, während die Kumpel von Jan diesen fröhlich grölend überfielen und gratulierten. Ein Stimmengewirr herrschte, dass es Kai in den Ohren klingelte. Zwischen Glückwünschen, Erzählungen vom letzten üblen Stau, Fragen nach einem Parkplatz, dem Weg zum Strand, einem Platz für Bier und Fleisch oder der Schlafverteilung sowie einem guten Platz im Garten für Zelte wurde der Gartentisch gedeckt.

Irgendwer begann das Schenken, vermutlich war es Bianca gewesen, als sie den dampfenden Butterkuchen auf den Tisch stellte. Ein paar Freunde von Jan, die Kai latent bekannt vorkamen und vielleicht auch auf der Einweihungsfeier gewesen waren, überreichten meist flüssige Geschenke in Flaschen oder Kisten. Lachend freute Jan sich auf ein Gelage der epischen Variante für die nächste Nacht.

Kai stand im Hintergrund dabei und begutachtete die Auswahl Essen, die von Maren mitgebracht worden war. Doch dann beruhigte sich die Runde. Jan packte einen Krimi aus und hielt ihn Kai hoch, der den noch nicht kannte und interessiert den Titel las. Als nächstes griff Jan sich sein Geschenk vom Tisch. Rasch trat er dichter, um leise zu sagen: "Das ist von mir. Herzlichen Glückwunsch noch einmal."

Jan legte das T-Shirt frei und zwei Mädchen kommentierten den unerwartet guten Geschmack im Vergleich mit Jans ausnehmend Schlechtem. Jan ließ diesen Kommentaren Taten folgen. Er zog sich kurzerhand sein Hemd über den Kopf, legte seinen geilen Oberkörper und einen Knutschfleck frei, den Kai ihm in der Nacht unbedacht aus Rache weiter unten am Nacken verpasst hatte. Damit erntete Jan ein Johlen. Dann zog er sich das neue T-Shirt an und Kai klopfte sich innerlich auf die Schulter. Sah das gut aus. Jans Augen wurden betont, und nicht nur die. Seine kräftigen Schultern und der trainierte Bauch kamen gut durch, außerdem der Hintern, weil das Hemd nicht so schlabberig saß.

"Super gut." Freudig strich Jan sich einmal am Bauch entlang. "Bleibt gleich an." Das Gegröle und die Sprüche wurden lauter. Maren ließ es sich nicht nehmen, Jan ein Lob für seinen Körper zu gönnen, das Matze offenkundig zu denken gab. Dieser konterte sehr besitzergreifend und die Bande lachte laut los.

Kai wollte hastig hinter den gerade dazu kommenden Holger in Deckung zurück treten, aber Jan schnappte ihn um die Schultern und knutschte ihn herzhaft ab. Seine Finger schoben sich für eine Umarmung ein wenig rau an der Hüfte unter Kais Hemd und er schmuste sein Gesicht für einen Moment an Kais Hals, was Diesem eine mächtige Gänsehaut bereitete. "Danke, Baby."

Es war sofort kurz still im Raum. Nach dem Gejohle und dem Tumult von zuvor fast ohrenbetäubend. Zwei Herzschläge lang konnte Kai das träge Summen eines Brummers im Raum und Marens beginnende Kicherattacke hören. Steif wand er sich etwas und hasste sich für das zu schnelle Erröten, dann sagte Holger zu laut wie immer: "Alter, geht das hier früh los! Alles Gute wünsch ich dir!" Er umarmte Jan einmal, schob Kai damit in den Hintergrund und nickte rüber zum Tisch.:"Geschenk liegt da drüben irgendwo rum, hatten wir ja schon drüber gesprochen."

Jan reckte den Hals und grinste: "Jawoll! Das kann ich gut gebrauchen, Holger. Cool!"

Kai sah sich nach dem Geschenk um und erblickte ein Werkzeug, das er nicht zuordnen konnte. Sein Handy lenkte ihn jedoch im nächsten Moment ab. Unvorsichtig ging er ran und erlag seiner Mutter.

"Kaichen! Gut, dass ich dich erreiche!"

Kai ging hastig um das Haus herum, weg von dem Trubel. "Morgen, Mama."

"Du wirst es nicht glauben, Kai. Imke ist total aufgelöst!"

"Weswegen?" Es fiel Kai hochgradig schwer, sich Imke in irgendeiner Form der Auflösung vorzustellen. Die Abteilung Abartigkeiten schaffte dies jedoch in abartiger Art und Weise, so dass er mit zusammengekniffenen Augen lauschte, während seine Mutter von dem Onkel berichtete, der die Hochzeitsbilder gemacht hatte.

"Dieser Nichtsnutz war ja erst einmal einen ganzen Tag nicht erreichbar, weil er sich so besoffen hatte. Peinlich war das. In dem Alter! Und dann stellt sich heraus, dass er die Bilder nicht mehr hatte. Alle gelöscht!"

Kai blinzelte. "Was?!"

"Ja. Er muss das im Suff gemacht haben. Statt sie zu bearbeiten oder zu speichern oder was auch immer. Imke hat wirklich fürchterlich geweint. Die Bilder waren ihr als Erinnerung so wichtig! Die gesamte Hochzeit gelöscht. Und jetzt kommt meine Frage. Deine Freundin Renate hat den Abend über doch Fotos gemacht, kannst du so lieb sein und mir rasch ihre Telefonnummer geben, Schatz?"

"Ja, das kann ich... warte mal."

Energisch berichtete seine Mutter, während er zu Jan zurückging, um Renates Nummer aus dessen Handy zu suchen, dass sie Imke nun mit so einem tollen Fotobuch überraschen wolle. Augenscheinlich war seine Mutter in das große Reich der digitalen Bildverarbeitung eingetreten und fühlte sich dort nach nur wenigen Tagen bereits sehr wohl. Ein Kollege auf ihrer Station wollte ihr bei der Zusammenstellung der Bilder helfen.

Als Kai ihr die Nummer gegeben hatte, verlangte sie nach einem Dank dann knapp: "Und jetzt gib mir endlich Jan."

"Was?"

"Na also ehrlich! Natürlich weiß ich, wann dein Freund Geburtstag hat!" Der Tonfall legte nahe, dass sie noch ganz andere Sachen wusste und Kai spürte Hitze in seinem Gesicht. Sein Erziehungsgen freute sich über das Gespräch mit einer echten Kompetenz auf diesem Feld, aber die Abteilung Abartigkeiten war mit der Frage befasst, wieso Kai ein schlechtes Gewissen bekam, wenn er nur mit seiner Mutter telefonieren musste.

Resigniert unterbrach Kai eine lautstarke Unterhaltung über die Vorzüge der Seekuh, verglichen mit dem alten Golf, und hielt Jan sein Handy hin: "Für dich."

Und gleich darauf sabbelte Jan sich lachend durch ein paar Anekdoten von der Hochzeit und bedankte sich für die guten Wünsche. Als er noch versprach, das Päckchen zeitig von der Post zu holen und nicht zu vergessen, war Kai endgültig misstrauisch.

Gleich drauf lehnte Jan sich wieder zu Kai: "Hey, deine Mutter will noch was. Tschüss, Martina, danke für den Anruf!"

Kai schnappte das Handy zurück und verzog sich damit, unter den schwer zu deutenden Blicken von Jans Freunden, erneut, aber seine Mutter wollte nur noch ein Kaffeetrinken mit der Oma mit ihm absprechen und verriet mit keinem Wort, was sie Jan geschickt hatte. Erleichtert sagte er zu, dass er an einem Wochenende in naher Zukunft vorbeisehen werde. Wie nah diese Zukunft war, wusste er zu diesem Zeitpunkt selber noch nicht. Aber der Geburtstag stand ihm erst einmal bevor und dieser Gedanke kostete ihn mehr Kraft als alle anderen Bedrohungen.

Erstaunlicherweise wurde es für Kai gar nicht so stressig. Den restlichen Tag über verbrachte Jan nämlich mit seinen Freunden am Strand, wo wild Beachvolleyball und Fußball gespielt wurden. Kai hielt sich erst im Hintergrund und war nicht am Strand dabei, weil er, mit einem panischen Thilo, die Leber noch einmal lernte und weil er selber keinen Bock auf Sonnenbrand hatte. Danach konnte Kai die verdammte Leber perfekt und Thilo war ihm dankbar. Außerdem war Thilo ihm gegenüber aufgetaut und sprach ganze Sätze mit ihm, was selten genug passierte.

150

Leider hatten Thilo und Kai durch das Lernen irgendwie den Anschluss an Jan und Bianca verpasst und fanden sie den ganzen Nachmittag nicht mehr wieder. Kai erreichte Jan auf seinem Handy auch nicht, bis es gegen Abend ging. Nur zwei, drei versprengte Freunde von Jan kehrten in das Ferienhaus zurück, um Kai misstrauisch zu beäugen und dann zum Eis essen in den Hafen zu verschwinden. Am Abend bekam Thilo per Anruf von seiner Freundin dann endlich heraus, dass fast alle spontan mit der Fähre zu einer Insel rübergefahren waren, um sich dort in ein Funkloch zu begeben und dann durch das Watt zurück zu wandern.

Als sie kurze Zeit später verbrannt und fröhlich in das Haus einfielen, machte Jan, effizient wie immer, Abendbrot fertig, indem er mit einigen anderen gemeinsam Backfisch holte und auf das Baguette und den gut gefüllten Kühlschrank sowie den Biervorrat hinwies. Maren schnippelte Salat und machte Pizzabrote, was super ankam, vor allem bei denjenigen, die keinen Fisch mochten. Das Essen fand im Garten am Tisch und auf Picknickdecken unter Beschreibungen der Erlebnisse des Tages statt. Es war wohl zu einer total lustigen Matschschlacht gekommen. Die Schnappschüsse, die rumgereicht wurden, zeigten Kai, dass sich die Gruppe in eine Zombiemannschaft mit grüngrau beschmierten Körpern und Gesichtern gewandelt hatte.

Natürlich sah Jan auch mit grüngrauem Matsch überall total scharf aus. Bedauernd seufzte Kai, weil er den Anblick nicht wenigstens für einen Moment gehabt hatte. Aber alle hatten sich noch am Strand in der Anlage des Schwimmbads geduscht, um nicht im Haus für Überstunden im Bad zu sorgen.

Maren lachte am lautesten: "Der Schlamm ist ja auch total gut für die Haut, nicht wahr? Morgen sollten wir das noch mal machen." Sie saß bei Matze auf dem Schoß und hatte ihn derart gut im Griff, dass Kai sich wirklich wunderte. Der Typ sagte gegen Kai gar nichts mehr, zog kein Gesicht oder wandte sich ab. Allerdings kam Jan bei all dem Besuch gar nicht dazu, Kai auch nur einmal richtig zu sprechen, vom Küssen einmal gänzlich abgesehen. Gleich nach dem Essen musste Jan im Garten noch Hand anlegen, um die Hecke zu schaffen. Fußballfreunde und ein paar ziemlich niedliche Jungs aus seiner Jugendmannschaft kamen zu dieser Zeit an und sorgten für zusätzlich Trubel in Haus und Garten. Nach der Gartenarbeit verkündete Jan, dass er Joggen gehen müsse und ordnete bei seiner Jungsgruppe an, dass dies ein Trainingslager sei, hopp hopp. Somit trabte eine fitte Runde süßer Jungs samt Jan, Holger und Thilo davon. Kai verfolgte den Abgang vom Küchenfenster aus und überlegte sich, ob er auf diese süßen Fußballer eifersüchtig werden musste, als Maren ihn für die Aufräumarbeiten vereinnahmte.

Kai gab sich geschlagen. Er räumte mit Maren den Tisch ab und kümmerte sich um die Spülmaschine. Matze wollte sich erst auch aufdrängen, wurde von Maren aber fort geschickt. Sie sagte frei heraus, dass sie mal wieder mit Kai reden wolle, dem dies etwas unheimlich war. Misstrauisch hielt er sich von ihr fern, aber das Reden kam erst später. Sie wusch zunächst energisch Töpfe und Schalen ab, kannte sich in der Küche augenscheinlich gut aus. Es sah schon recht bald wieder erträglich aus, obwohl überall noch Schachteln mit Müsli und anderem Zeug rumstanden und die Getränkekisten sich unter dem Tisch stapelten.

Endlich seufzte Maren zufrieden und blickte sich um. "Kai, seit Jan mit dir zusammen ist, feiert er echt geile Partys. Ich freu mich schon auf all das gute Essen morgen, wenn das stimmt, was Jan uns so versprochen hat."

"Seine Eltern haben das spendiert. Wir mussten vorn bei diesem Schlachter Krause nur noch aussuchen gehen, kann morgen abgeholt werden."

"Du hast ausgesucht, nicht wahr? Jan hätte nur Fleisch gekauft und an Salat nicht gedacht."

"Hm. Vielleicht." Es war wahr. Jan hatte Kai die Wahl überlassen, den Gutschein leer zu machen, hatte aber auf seiner Wunschliste nur Fleisch und Würstchen für eine Fußballmannschaft gehabt.

"Hey. Hast außerdem super durchgehalten bislang." Sie hielt eine nasse Schale in seine Richtung.

"Wieso?" Resigniert nahm Kai sich ein Geschirrhandtuch und half ihr.

"Na, Jan ist immer unterwegs mit uns und du kannst nicht so richtig mitmachen."

"Hm." Kai nahm sich einen Topf und trocknete den auch gleich ab.

"Stört dich das nicht?"

"Nö."

Kai lehnte sich gegen den Küchentresen und blickte auf die Straße raus. Jan, Holger und Thilo kamen vollkommen verschwitzt zurück von ihrer Runde und hopsten vor dem Haus auf und nieder. Bianca rollte auf ihren Rollerbladern um sie herum. Kai öffnete das Fenster und reichte ihnen eine Flasche Wasser raus.

"Und diese Bianca!" Maren beugte sich dichter zu ihm. "Wie die an Jan dran ist..., allein schon! Ich meine, macht dich das nicht sauer? Regt dich das nicht auf?"

"Warum?"

Maren wischte sich die Hände ab und blickte nach draußen, dann zischte sie: "Wegen der Ungerechtigkeit! Wegen ihrer Art, einfach davon auszugehen, dass sie so etwas tun darf, nur weil du ein Mann bist! Nur, weil alle sagen, dass das mit euch nur so eine Phase ist bei Jan! Der würde ich die Augen auskratzen!"

"Nö." Kai grinste Maren mit Krallenhand an: "Aufregen ist mir zu nervig."

"Aber ist es das?" Maren nahm sich eine fast leere Colaflasche und leerte sie, um sie dann weg zu stellen.

"Was?"

"Nur so eine Phase?"

Unsicher blickte Kai erneut raus. War es das? Nein, er war sich merkwürdigerweise jetzt auch sicher darüber. Er schüttelte den Kopf: "Nein. Bei mir nicht, definitiv und bei Jan glaub ich das jetzt auch nicht mehr."

Sie hopste auf den Küchentisch und schob Thilos Lernsachen etwas zur Seite: "Das ist nicht leicht, oder? Sich so festzulegen? Ich sehe das bei Matze. Der tut sich schwer, obwohl ihn das ganz gut erwischt hat, wie er so schön sagt. Männer sind schon komisch. Wollen eigentlich alle immer nur ihre Unabhängigkeit?"

"Also, ich war am letzten Wochenende auf der Hochzeit meines Cousins. Der ist in meinem Alter und wollte definitiv heiraten und den stört das nicht, gebunden zu sein. Kriegen aber auch ihr erstes Kind demnächst."

Maren grinste: "Auweia, das ist aber jung! Obwohl, ich glaube, dass meine Mutter auch so jung war. Nee, ich will erst mal was erleben, leben, bevor ich Kinder kriege und dann alles nicht mehr geht und das Leben vorbei ist. Matze und ich gehen nächstes Jahr für ein Urlaubssemester auf Weltreise."

"Hm. Das klingt toll!" Deprimiert dachte Kai an das Ding und daran, dass Maren mit dem Erleben und Leben Recht hatte. Das war eigentlich auch sein Plan gewesen. Bislang hatte ihm das Geld gefehlt und jetzt? Jetzt kam das scheiß verfluchte Ding dazwischen. Seufzend starrte er in den blauen Himmel und verfluchte Whisky mit Cola. Er hopste auf den Küchentresen und ließ die frische Luft aus dem offenen Fenster über seinen verschwitzten Rücken streichen.

Maren erzählte von den Reiseplänen und räumte Grillzeug im Kühlschrank um. Im Hintergrund sprachen Thilo, Jan und Holger über die verdammte Leber und darüber, wie toll Kai das konnte. Jan kommandierte seine Jungs zu einigen Liegestütze, bis diese zusammenbrachen, während Holger voller Wonne verkündete, dass er grad erst warm wurde und sich jetzt wirklich gut fühlte, wenn er die Bande abziehen konnte. Es entbrannte ein Wettbewerb, wer die meisten schaffte, nach einer Runde Geächze und Gestöhne schleppten sich endlich die Jungs zum Duschen ins Haus. Kai musste grinsen als er Holgers Lobeshymne auf seine Bundeswehrausbildung hörte. Schien ihn selber zu überraschen, dass er so fit war. Als Kai sich umblickte, sah Jan ihm direkt in das Gesicht.

"Noch ein Wasser bitte."

Kai seufzte und angelte noch eine Flasche aus dem Kasten, aber bevor er sie Jan geben konnte, hatte der ihn geschnappt und aus dem Fenster gezerrt. "Haha!"

Kai quiekte erschrocken, aber wurde nur eine kurze Runde auf den Rasen gerollt und eingesaut, bevor Jan ihn lachend an der Hand hoch zog: "Tut mir leid, Baby, wenn du da so verträumt rumsitzt und scharf ausschaust, kann ich mich nicht beherrschen."

Kai klopfte sich Grasschnitt von den Klamotten und sah ihn grummelig an, aber war eigentlich froh, dass alles so gut lief. Zugleich war er froh, dass er so überreichlich Klamotten gepackt hatte, so dass Jan ihn gern auch mal einsauen konnte, ohne dass er waschen musste. Im Fenster zur Küche lehnte Maren und grinste ihn an. Biancas Stimme schnitt durch seine gute Laune, weil sie mit Thilo schon wieder zankte. Es ging immer noch um die scheiß Lernerei. Offenkundig wollte Thilo den Abend zum Lernen nutzen, um den Tag der Feier halbwegs frei zu haben.

Die meisten Freunde von Jan wollten in die Disco im Nachbarort, wo Flirtparty angesagt war. Maren wollte komischerweise nicht mit, aber schickte Matze auf den Weg. Matze lehnte sofort das Mitfahren ab, um seine Freundin nicht mit Jan allein zu lassen, dem er in dieser Sache misstraute. Jan lehnte die Disco ab, weil er nicht zwei Tage am Stück dort feiern und außerdem für seine große Party am nächsten Abend fit sein wollte. Für Holger, ihn und Matze stand spontan gleich darauf eine Runde Skat am Gartentisch auf dem Plan.

Maren machte im nächsten Moment fröhlich unbesorgt eine Runde Doppelkopf daraus, was Bianca ziemlich geschickt und hinten herum abschoss. Thilo wandte sich dem nächsten Thema im Lernplan zu. Und so begann der Abend mit Thilos neuer Lernpanik, die Kai nur wenig eindämmen konnte, weil der arme Kerl gleich nach der Leber schon an den Nieren verzweifelte. Außerdem gab es eine entspannte Runde Doppelkopf, bei Wasser, zum Ausgleich für das Gelage am Vorabend, und es gab reichlich Zickenterror, weil Bianca sich langweilte und sowohl Maren anzickte als auch ihren Exfreund. Außerdem störte sie Kai und Thilo beim Lernen. Endlich setzte sie sich zu Jan und kommentierte das Spiel.

Nach einer Weile stieg Jan beim Doppelkopf aus und wurde von Thilo ausgelöst und das war eine schlechte Entscheidung gewesen. Bianca war sauer auf Thilo wegen der Lernerei, die diesem die ganzen Tage schon wichtiger als alles andere gewesen war und zog fast sofort mit Jan davon zu interessanteren Unternehmungen am Ort. Von Trampolinen war die Rede und einem Hochseilgarten mit ermäßigtem Eintritt am Abend. Mies drauf starrte Kai ihnen hinterher. Jan und Bianca kehrten nicht wieder, bevor Kai auf das unbequeme Sofa krabbelte.

Es war sehr spät in der Nacht, als Bianca heimgekehrte. Das kriegte Kai nur durch den Streit mit, den sie mit Thilo vor der Wohnzimmertür austragen musste. Den hatte sie wohl in der Küche beim Lernen in Nachtschicht angetroffen. Der arme Thilo bekam einen Einlauf für das viele Lernen und seine Panik, was Bianca als peinlich bezeichnete und außerdem bekam er eine sicherlich weder von ihm noch von Kai erwünschte Erinnerung daran, dass Jan im Bett besser war und mehr Bock hatte. Daraufhin konterte Thilo mit der für Bianca sicherlich unerwünschten Erinnerung daran, dass Jan es aktuell seinetwegen so oft treiben konnte, wie er wollte, denn das war sicherlich nicht mit ihr, da er ja glücklicherweise jemanden anderen dafür hatte, jemanden komplett anderen.

Sauer starrte Kai die Tür an, wünschte die zwei zur Hölle oder wenigstens einen Raum weiter und versuchte seinen schmerzenden Rücken davon zu überzeugen, dass es doch irgendwie möglich war, auf dem Sofa Schlaf und Erholung zu finden. Außerdem war Jan augenscheinlich seinen anderen Freunden in die Arme gelaufen und mit denen noch mal losgezogen. Die Nacht zuvor war schon anstrengend gewesen mit dem ganzen Geburtstagssex, so dass Kai sich wirklich wunderte, wie Jan das überlebte. Als Kai später am Morgen aufstand, hatte Jan den Weg zu ihm gefunden und schlief. Leider in dem neuen T-Shirt.

Deswegen, und wegen des Ausrückens zur Insel, bekamen sie sich dann in die Haare. Kai war knatschig und wollte die Party, mit noch mehr Freunden von Jan, am Abend auf keinen Fall mehr erleben. Thilo war mies drauf, hatte auf einer Isomatte bei Holger im Zimmer gepennt und machte noch vor dem 'Guten Morgen' mit Bianca Schluss, wobei er es 'Pause bis zur Prüfung' nannte. Darauf ging diese sich, offenkundig nach einer tollen Nacht allein im Doppelbett von Jans Eltern vollkommen erholt, erst einmal bei Jan beschweren.

Sehr zu Kais Missfallen verließen Jan und sie das Chaos am Frühstückstisch. Und mit Jans Freunden und den Fußballjungs, die den Tisch zu belagern begannen, ging es gleich zum Reden an den Strand. An Kai blieb die Organisation des Tages hängen und die Organisation der Unterbringung der, nach und nach eintreffenden, weiteren Fußballfreunde von Jan. Als der Garten voll war und die Straße vollgeparkt und Kai einer Panik nahe, kam Maren ihm zur Hilfe, indem sie mit Rundumschlag alle Jungs und Mädchen an den Strand beorderte.

Als Kai dorthin auf Visite einen Abstecher unternahm, spielten die Freunde von Jan am Strand Fußball, die Mädchen lagen in der Sonne und hörten Musik und Jan und Bianca saßen zusammen im Strandkorb. Kai wurde kalt. Jan, dieses Arschloch, lud sich Hinz und Kunz ein, um dann keinen Handschlag zu tun und dann auch noch mit ausgerechnet dieser Scheißkuh abzuhauen?! Vermutlich war es auch, dass sie im Strandkorb saßen. Irgendwie wollte Kai nicht, dass Jan das mit anderen machte. Mit der ausgerechnet sowieso nicht.

Er tickte aus und zickte sich einmal durch alle Vorwürfe, die ihm einfielen. Angefangen von der ganzen Arbeit, die an ihm hängen blieb, bis zum Lernen, bei dem er dadurch gestört wurde, bis zum guten neuen T-Shirt, in dem Jan geschlafen hatte.

Jan konterte vollkommen vernünftig und zurückgelehnt, dass Kai nicht zur Arbeit gezwungen worden war, dass er die Freunde einfach an Jans Handy hätte verweisen müssen und dass Jan nachts um vier nicht nach einem anderen Hemd hatte kramen wollen, um Kai nicht zu wecken. Es war so verdammt ärgerlich, dass er Recht hatte.

Mies drauf zickte Kai dann noch, dass er keinen Bock hatte, immer im Schatten allein Thilo was beizubringen. Darauf meinte Jan, dass Thilo und seine Panik bislang gut ohne Kai ausgekommen waren und das auch sicherlich an diesen schönen Strandtagen so war und riet Kai, dass er sich locker machen sollte. Bianca stichelte dazwischen, dass Thilo mit seiner Panik bescheuert war, dass Kai ja schon wieder verbrannt war, dass er aufhören solle, auf Aschenputtel zu machen und Kai wollte nicht vor den anderen ausrasten, vor Bianca schon gerade nicht. Die grinste schon wieder so bescheuert.

Vor Wut und Enttäuschung kochend stampfte Kai zum Ferienhaus zurück und warf sich im Garten auf eine Picknickdecke, um dort zu lernen und auf Aschenputtel zu machen. Es war zwischen den Zelten und der Terrasse vollkommen still. Alle waren am Strand wie es schien, einige Bienen summten um ihn herum, in den Nachbargärten hörte er Rasenmäher und Kindergeschrei. Aber insgesamt war bei dem Wetter der Strand der Ort des wirklichen Lebens. Kai wollte auch dort sein, wollte Teil von Jans Feier sein, aber nicht auf diese Art. Außerdem nicht mit der Laune. Verzweifelt stellte er außerdem fest, dass diese bescheuerte Bianca ihm mal wieder das Leben zur Hölle machte und dabei auch noch Spaß hatte, wie es aussah! Sie war von dem Schluss oder der Pause zwischen Thilo und ihr irgendwie merkwürdig unberührt gewesen.

Lolli rief ihn an und weckte ihn aus äußerst unangenehmen Gedanken: "Maus! Du süße Sachensucherin! Hilf mir doch noch mal eben."

"Lolli! Ich hab grad jetzt echt andere Probleme!" Kai hatte es noch nicht zu Ende geschrieen, als Lolli ihn auch schon gekonnt auszuholen begann. Am Ende hatte Kai seine aktuelle Lage noch besser vor Augen, von Lolli super gut zusammengefasst.

"Aha. Ex macht Ärger und sieht auch noch scharf aus dabei. Ich habe verstanden. Außerdem willst du Jan das Wochenende nicht versauen, aber willst ihm noch mal so richtig einen verpassen, als kleine Rache. Maus, perfekt, dass wir uns sprechen. Die Intrigengroßmeisterin ist anwesend, und alles wird gut."

"Alles wird gut?! Lolli! Du bist..."

"Genau. Ich bin mir sicher, dass du meinen Rat nur ausführen musst. Easy peasy, darling."

Erschöpft dehnte Kai seinen verspannten Rücken und murrte: "Rate drauf los, ich höre."

"Mach ihn eifersüchtig."

Kai lauschte, aber mehr Rat kam nicht: "Wie?"

"Hallo? Wie wohl. Wie du das sonst immer so niedlich nebenbei hinbekommst, du dummes Ding! Zieh dich sexy an..., nicht zu knapp bitte. Für dein Wohl hoffe ich, dass du die grüne Hose dabei hast, deine anderen Sachen sind eher..., nicht gut."

"Hm." Das hatte Kai, und es zog sich zu, war den Tag schon so schwül gewesen. Wenn ein Gewitter die Luft abkühlte, würde Kai nicht vor Hitze sterben in der Hose: "Hab ich. Und dann?"

"Süße. Dann flirtest du mit einem gutaussehenden Mann, und ich meine nicht Jan."

"Die sind alle hetero hier... oder nicht geoutet. Holger kann ich nicht anflirten, das nimmt mir Jan nicht ab. Außerdem lacht Holger sich vielleicht tot und ich krieg Stress mit Tini."

Lolli lachte: "Ist denn niemand da, den du einweihen und für den Plan nehmen könntest?"

"Nein."

"Wie lästig! Lass mich nachdenken, was du sonst noch tun kannst." Statt nachzudenken schien Lolli eher eine zu rauchen und in seinem Zimmer zu kramen.

Knurrig legte Kai sich auf den Bauch und blickte zum Haus rüber. Der Terrassentisch war voll mit dreckigem Geschirr, über dem Wespen kreisten und seine Laune sank weiter. In dem Augenblick schlappte Thilo samt einem Stapel Lehrbücher auf die Terrasse raus. Mit schmalen Augen blickte Kai zu dem Schulfreund von Jan rüber: "Hm..." "Oho... du hmst so schön. Was tut sich?"

"Ich hab eine Möglichkeit entdeckt. Zum Flirt mein ich. Wie soll ich das machen?"

"Nichts zu eindeutiges. Wichtig ist, dass Jan es per Zufall nebenher sieht und zwar erst dann, wenn ihr schon in Gang seid. Aus Versehen, sonst wirkt es nicht."

"Okay. Danke. Dann leg ich mal auf und..."

"Halt! Ich suche den rosa Rasierschaum, den ich von meiner letzten Londontour mitgebracht hab."

Kai blinzelte, dann meinte er vage: "Spiegelschrank? Bestimmt hast du den in meine alte Schublade getan. Hattest du nicht gesagt, dass du die Benni nicht überlassen willst?"

"Feini, Maus! Dich ruf ich von nun an immer, wenn ich was brauche!" Lolli lachte: "Übrigens sind die Cocktailkarten superscharf geworden. Jiffy hat sich nass gemacht vor Freude, als ich ihm eine eingescannt und geschickt hab. Der war sofort scharf darauf, dort einen Cocktail zu schlabbern, das ist unglaublich en vogue mit dir nackt vor Augen!"

"Gott! Weißt du auch schon davon?" Das konnte nur heißen, dass die ganze Stadt schon so ein Teil Zuhause hatte. Kai spürte eine unangenehme Hitze in seinem Gesicht.

Lolli lachte auf und erging sich darüber, wer alles schon eine Karte geklaut hatte. Allein am ersten Abend war das wohl zum Stadtsport geworden.

Kai stöhnte auf, dann winkte er Thilo mit seinem Skript zu und klopfte neben sich auf die Decke. Thilo zögerte nicht mal, sondern trottete dankbar schauend zu ihm rüber, warf zwei Bücher auf die Decke und eine Flasche Wasser daneben, verschwand dann gleich noch einmal und holte weitere Bücher. Auf der Terrasse blieb er stehen, den Blick auf einen Text gerichtet und weggetreten.

Kai seufzte und hoffte, dass Thilo neben den Büchern überhaupt noch Zeit für einen Flirt haben mochte. Andererseits konnte es dann gut sein, dass Thilo und er flirten konnten, ohne dass dieser das überhaupt mitschnitt. Das war eher gut. Ergeben lauschte Kai Lollis Ausfragemodus: "Scharfes Bild finde ich jedenfalls. Wie hat Leon dich dazu bekommen?"

"Geld natürlich. Ich bin eben käuflich."

"Sehr weise Angewohnheit, Schatz."

Kai stöhnte nur auf und hatte Angst vor dem zum Glück recht abwegigen Gedanken, dass seine Eltern die Nummer rauskriegen könnten. "Hast du jetzt auch schon so ein Teil geklaut? Hätte ich dir auch mitbringen können."

"Nö, du. Benni hat aus Angst vor dir das Land verlassen, aber er hat uns Proben von dem ganzen Zeug mitgebracht. Der Kaffeebecher ist super gut. Allein diese süße rosa Glitzerschrift. Er liegt gut in der Hand und passt in den Becherhalter an meinem Fahrrad, das ist supi! Du, ich muss... Jiffy kommt gleich! Tata... viel Spaß beim Flirten!"

"Danke. Ebenso." Kai legte auf und blickte Thilo an, der erneut vor ihm anlangte. "Nicht fertig für den Strand?"

Mit etwas leidendem Gesichtsausdruck murrte Thilo leise "Is mir nicht nach. Ich muss noch Niere raffen."

Kai schaltete sein Handy aus und rutschte zur Seite, um Thilo lockend zu versprechen "Ich lerne die Nieren jetzt auch noch einmal, wollen wir gleich wieder die Fragen durchsprechen?"

Der Plan haute hin. Als die anderen vom Strand kamen, weil es bald regnen würde und die schwüle Luft nervte und die Mädchen sich noch mal hübsch machen wollten, erblickte Jan Kai und Thilo in trauter Einigkeit auf der Picknickdecke in einem Stapel ihrer Lehrbücher, Skripte und Probeklausuren versunken. Sie lagen dicht nebeneinander, um auf Thilos Laptop blicken zu können.

Der erwünschte Eifersuchtseffekt blieb natürlich aus. Jan war etwas gereizt von der Atmosphäre, von dem Müll auf der Terrasse und in der Küche und der Aussicht, dass er wegen des kommenden Gewitters nicht würde grillen können. Er blaffte Kai nur an, dass es ja nicht angehen könne, so viel zu lernen und sich nie mal zu erholen, bevor er sich auf die Aufräumarbeiten stürzte und seine Freunde rumkommandierte.

Thilo muffelte in der Zwischenzeit Bianca an, die braungebrannt und fast schon zu gut gelaunt mit ihren Strandklamotten zu ihnen kam und natürlich auch einen dummen Spruch machte, dass man doch nicht so viel Angst vor der Prüfung haben könne, dass man nur noch lernte. Dass er Schluss gemacht hatte, nahm sie offensichtlich gar nicht wahr. Das war mies Thilo gegenüber und Jan ergänzte den Spruch noch mit einem wenig tröstenden: "Das verdammte Physikum ist doch noch echt weit weg. Macht euch mal locker!"

Davon verärgert blaffte Kai zurück, dass er nur gelernt habe, um den Abend frei zu sein, nachdem sein Morgen mit der Bewirtung von Jans Freunden und dem Vorbereiten für seine Feier draufgegangen sei. Ein dumpfes Grollen brachte sie dann jedoch dazu, statt einer Fortsetzung der Diskussion lieber hastig im Garten aufzuräumen.

Als nächstes ging ein Regenguss im Garten nieder. So begann die Feier mit einem Gewitter und schlechter Laune. Aber es war tatsächlich wie für Kai vom Schicksal vorbereitet. Das Gewitter brachte einen Schwung kalter Luft über sie und während die Freunde, die im Garten zelteten, ihre Sachen auf die Leine hängten und der Rasen dampfend trocknete, kam Wind auf. Typisch für die See war der Wind sofort kühl. Kai rieb sich die Hände und freute sich. Thilo zog sich kommentarlos einen teuren Pulli über, der ihm ausgezeichnet stand und die Mädchen zogen sich etwas enttäuscht Jeans an.

Jan räumte den Grill vom Unterstand in den Garten zurück, trocknete die Stühle und den Tisch und hängte die Hängematte wieder auf. Holger half ihm dabei, bevor er sich für einen Chat mit Tini verabschiedete. Maren machte sich an das Vorbereiten eines Büffets und schnippelte mal wieder Salat, Matze half ihr dabei und fummelte sie an. Die Freunde von Jan begannen mit dem Trinken, kümmerten sich um die Musik und wuschen das Geschirr endlich mal ab. Einige gingen einkaufen.

Kai bot an, das sowieso von ihm vorbestellte Fleisch zu holen, weil Jan noch duschen musste und zu den Nachbarn gehen wollte, um für den Lärm der Feier vorab um Entschuldigung zu bitten. Jan fasste dieses Angebot als Friedenszeichen auf und lächelte ihm einmal auf diese gemein schöne Art zu, aber wurde dann von seinen Fußballjungs abgelenkt. Kai nahm hinterhältig Thilo als Träger mit, der dazu ohne große Überredung bereit war. Vermutlich um seiner Freundin oder Exfreundin zu entkommen, die Jan auf der Pelle hockte, unter dem dünnen Vorwand, dass sie ihm Grillen helfen wollte.

Mit einem Seitenblick betrachtete Kai das von ihm auserwählte Opfer. Thilo war wie der sprichwörtliche stille See, von dem man wirklich nicht wusste, wie tief er war. Man sah ihm nicht an, ob der Krach mit Bianca ihm zusetzte oder nicht. Die Panik, die er wegen der Prüfung hatte, war eine der ersten deutlichen Regungen, die Kai je an ihm wahrgenommen hatte.

Davon abgesehen gab Thilo ein attraktives Opfer ab. Deutlich größer als Jan und Kai, schlaksig gebaut, aber irgendwie war Thilo noch nie Kais Fall gewesen. Zu nüchtern, zu wenig lebhaft, nix dran. Das fand Kai bei sich selber schon so nervig, bei anderen erst Recht. Thilo war nicht unsportlich, das war es nicht. Er spielte Fußball, aber natürlich auf gänzlich anderem Niveau als Jan. Außerdem war er in einer Leichtathletikgruppe der Uni, konnte sehr ausdauernd laufen. Seine krassen Augen und der schöne Körper wurden ein wenig von dem stets recht ausdruckslosen, weder schönen noch interessant hässlichen Gesicht ausgeglichen.

Ohne die Augen wäre Thilo nie irgendwo so richtig aufgefallen. Außerdem war Thilo an Äußerlichkeiten anders als Jan sehr interessiert, aber auf unkreative Art. Er sah immer aus wie aus dem Ei gepellt, saubere Sachen, angesagte Klamotten, die Frisur auch immer wie sie gerade sein sollte. Ein wenig bilderbuchartig, fast schon unlebendig und dazu noch wie man es eben bei zig anderen Jungs sehen konnte. Es war nix besonderes. Er trug gern etwas schlecht sitzende Jeans und aktuell enge Hemden, weil das eben gerade in war. Kai fragte sich, ob Thilo so etwas wie einen eigenen Geschmack hatte oder wirklich immer einfach das kaufte, was er in den Medien angepriesen bekam.

Als sie kurz vor der Schlachterei waren, nahm Kai seinen Mut zusammen und fragte "Könntest du mir einen Gefallen tun, Thilo?"

"Klar."

"Klar? Du weißt doch gar nicht, worum es geht."

Thilo blieb stehen, lehnte sich gegen eine gusseiserne Zierlaterne und nahm die Sonnenbrille ab. Der Blick aus seinen Katzenaugen machte Kai sofort etwas nervös. "Seit wir hier sind, lernst du Sachen mit mir, die du schon längst durch hast. Statt mit den anderen Spaß am Strand zu haben auch noch. Du bist längst deinem Lernplan voraus."

"Woher...?"

"Wir haben den gleichen Plan. Den von Renate, oder nicht? Ich bin hoffnungslos hinterher. Das ist diese verdammte Blockade in meinem Kopf. Es ist wie eine Tür, die zuknallt, sobald ich an die Prüfung denke!" Thilo haute sich mit der Faust gegen die Stirn. "Aber dank deiner Erklärung hab ich zwei echt miese Themen gerafft."

Kai holte Luft, dann platzte er heraus "Würdest du mit mir flirten?" und wurde umgehend rot im Gesicht. Ärgerlich senkte er den Blick auf seine Schuhe und beobachtete Thilo aus dem Augenwinkel heraus.

Thilo blinzelte ihn ausdruckslos an, dann hob er unbestimmt die Schultern, aber raffte sofort, worum es ging. "Du willst Jan eifersüchtig machen? Hast du nicht Angst, dass das nicht klappen könnte?"

"Deswegen frage ich dich."

"Wieso?" Thilo stieß sich von der Laterne ab und wandte sich der kleinen Ladenzeile zu, in der ihr Ziel lag.

"Ich will natürlich gar nicht, dass es so durch und durch klappt." Da Thilo weder abgelehnt noch gelacht hatte, fasste Kai Mut und erklärte seinen Plan genauer. Es war leicht, ihm etwas zu erklären. Der Junge war nicht dumm, nur panisch wegen seiner Prüfungsangst und in sozialen Dingen hatte er zwar kein gutes Sonar, aber Fakten verstand er sofort.

Vor dem Schlachter angekommen fasste er zusammen. "Du willst rumsticheln und ich muss nur so da sein und nichts tun?"

"Gar nichts tun. Wir werden uns einfach unterhalten, über die verdammten Nieren oder so."

Kritisch sah Thilo ihn an und stellte fest "Das ist sehr wahrscheinlich das, was sowieso passiert wäre. Warum weihst du mich überhaupt ein?"

"Um dir eine Wahl zu lassen." Kai betrat den Laden und reihte sich hinter zwei Urlauberfamilien ein, die sich Grillfleisch und Würstchen auf die Hand holten.

"Welche Wahl?"

"Ob du die Chance nutzt, um Bianca eifersüchtig zu machen." Optimistisch grinsend sah Kai Thilo in die schönen Katzenaugen. "Oder zumindest zu ärgern."

Thilo legte den Kopf schief und durchdachte die Sache. Endlich lachte er leise und schüttelte den Kopf. "Das werde ich bereuen. Außerdem hab ich schon Schluss gemacht mit ihr." Es klang erstaunlich final.

"Und? War das total endgültig? Hattest du nicht Pause dazu gesagt?"

"Hm." Unbestimmt schob Thilo die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Fußballen.

Kai war dran und brauchte nur den Namen zu nennen, um zwei große Tüten mit Sachen überreicht zu bekommen. Bezahlt war alles schon und die Verkäuferin wünschte ihnen eine schöne Feier und schenkte ihnen noch lustige Partyspieße mit Fähnchen dran. Beladen traten sie den Heimweg an.

Endlich sagte Thilo. "Ich mach mit, aber nicht wegen Bianca. Das regeln wir anders."

"Weswegen dann?"

Thilo wechselte die Tüte in seine andere Hand und grinste mit einem Mal ziemlich frech. "Einfach", sagte er erstaunlich locker "um Jan mal wieder so richtig nett austicken zu sehen." Und im nächsten Moment legte er Kai den Arm um die Schultern und sie begegneten Jan noch während Kai Thilo anstarrte.

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