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Trost 2

Kapitel 151-154

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

151

Jan kam ihnen von den Nachbarn entgegen, wo er Wein aus dem Keller seiner Eltern abgeladen hatte. Er blinzelte und stockte kurz beim Anblick von seinem Kumpel und seinem Freund in dieser ihm sehr fremden Einigkeit, doch Thilo ließ Kai gleich darauf schon wieder los, nahm ihm die Tüte ab und nickte Jan in der gewohnt ausdruckslosen Art zu. "Kai und ich waren schon bei Krause. Jetzt musst du nur noch feiern."

"Superklasse! Danke euch!" Jan strahlte sie unbekümmert an. "Wir haben Glück! Die Altmanns fahren heute wieder, weil sie am Wochenende noch weg fliegen und die Müllers sind schon ziemlich taub und ließen sich mit zwei Flaschen Wein gut bestechen. Außerdem dürfen wir ihre Parkbuchten nutzen."

Kai wurde durch einige Freunde von Jan einer Antwort enthoben, weil sich im Garten bei den Zelten eine Ameisenplage aufgetan hatte und die Schlafplätze umorganisiert werden mussten. Die Frage verschob Jan großzügig und praktisch orientiert auf die Nacht, wenn alle voll waren und es ihnen egal war, wo sie pennten, aber lief in den Keller, um noch zwei Isomatten hervor zu kramen.

Kai sah sich schon in der Horde Besoffener liegen und leiden und packte hastig seine Tasche, um sie aus dem Weg zu schaffen. Außerdem kramte er seine Angriffshose raus. Holger und Jan organisierten darauf dann gemeinsam mit Matze das Grillen und Kai entschuldigte sich zum Duschen.

Im Badezimmer traf er erneut auf Thilo, der sich rasieren wollte. Kai bremste mit seinem Kram unter dem Arm. "Mist, immer ist schon wer hier, wenn ich duschen will. Brauchst du noch lange?"

Thilo nickte einmal, während er lauter Tiegel und Flaschen für seine Haare aufbaute und einen Fön hervor kramte. Dann machte er eine einladende Bewegung. "Du störst mich nicht."

Zögerlich blickte Kai sich um, aber Maren rief in diesem Moment von unten, dass sie jetzt sofort Hilfe in der Küche wollte, aber zack zack! Hastig trat Kai ein und schloss ab. Er hatte das T-Shirt ausgezogen und hörte Thilo leise zischen, bevor ihm die Galerie Knutschflecke wieder einfiel, die Jan ihm verpasst hatte.

Unsicher blickte er zu Thilo rüber und hob die Schultern. "Ich bin eh total sonnenempfindlich und mag nicht am Strand abhängen", meinte er dann vage eher an seine Kulturtasche gerichtet, während er knallrot Frauenduschgels und Shampoos aus der Ablage fischte, um Platz für sein Zeug zu schaffen.

Thilo wandte sich wieder dem Spiegel zu und sie schwiegen, während Kai hastig duschte und dann seine eigenen Haare einfach sein ließ, weil der frische Wind sie ohnehin nach Minuten vollkommen zerzausen würde. Er pellte sich stattdessen in seine grüne Hose, fühlte sich dekadent und sexy darin und hoffte, dass Thilo ihn nicht über den Spiegel beobachtete. Dann zog er das schwarze T-Shirt dazu an. Seufzend blickte er sich im freigewordenen Spiegel an, während Thilo sich gelassen ein neues Hemd anzog und außerdem seine Haare super gut hinbekommen hatte.

Die Frisur zog eine Diskussion um Haargel, Wachs und Schaum nach sich, die Kai sehr informativ fand. Er hatte gar nicht gewusst oder darauf geachtet, dass Thilo sich so viel aus seinen Haaren machte. Als sie gemeinsam, in diese Unterhaltung vertieft, aus dem Bad kamen, stand ihnen Bianca gegenüber. Sie kommentierte diese neue Einigkeit ebenfalls nicht, sondern schloss hastig die Tür. Sie hatte natürlich eine enge Jeans und einen ausgeschnittenen Pullover mit, um auch an kühlen Tagen sexy sein zu können. Die Blicke, die sie mit Thilo gewechselt hatte, waren nicht unbedingt ermutigend gewesen.

Seufzend wandte sich Kai der Treppe nach unten und damit der Feier zu. Es würde schrecklich stressig werden, in diesem Aufzug zu feiern, Thilo an zu flirten, obwohl er das nicht wollte und außerdem die Finger von Jan zu lassen, nach dem Kai sich schon wieder viel zu sehr sehnte. Außerdem wollte er sich mit seinem Freund wieder richtig vertragen, nachdem sie am Strand so rumgestritten hatten, aber er bekam keine Chance. Jan war nie auch nur halbwegs allein.

Er war zunächst mit Grillen und Essen und dann natürlich mit Trinken beschäftigt. Kai hatte echt schon fast Stress, überhaupt mal in seine Nähe zu kommen. Thilo dabei zu haben, war scheinbar unmöglich. Nach dem Essen wurde Musik angeworfen und das Wohnzimmer umgeräumt. Im kaum noch feuchten Garten hatte Matze zwischen zwei Bäumen eine Slackline aufgehängt, lachend balancierten einige Freunde und Freundinnen von Jan zur Musik hin und her und hatten Spaß.

Kai hielt sich im Hintergrund und wurde von Jan nicht beachtet, weil ihre Wege sich gar nicht kreuzten. Nach dem Essen sah Jan ihn aber endlich doch in der Hose und das auch noch genau in dem richtigen Moment. Die Intrigengroßmeisterin wäre sicherlich stolz gewesen. Kai und Thilo standen per Zufall nebeneinander und steckten die Köpfe zusammen, allerdings ging es in ihrer Unterhaltung um die Fotos, die Matze am Tag von der Schlammschlacht gemacht hatte und ihnen auf dem Laptop zeigte. Diese Bilder zeigten leider viel zu oft, dass Bianca sich an Jan herangemacht hatte.

Thilo blickte Kai gerade an und meinte leise: "Und das nach der Sache mit dem Wecker...", als sich eine Hand auf Kais Hüfte legte und gleich darauf unter das T-Shirt strich und Jan sich, für ihn untypisch, zwischen sie drängte. Im nächsten Moment folgte Bianca ihm leider und drängte sich total mies dazu, anstelle zu Thilo zu gehen und der verließ sie fast sofort.

Die Bilder von der Schlammschlacht wurden gleich darauf von Jan und einigen anderen gemeinsam mit Bianca belacht. Kai ließ sich mal wieder aus der Runde heraus schieben. Aber er hatte seinen Freund auf die Hose aufmerksam gemacht und erhaschte einen Blick in Jans Augen, bevor er sich in den allmählich dunkler werdenden Garten entzog. Da Jan kein sonderlich interessierter Gastgeber war und, dank Maren und Matze, ein gutes Team Leute hatte, die sich um Küche und Grill kümmerten und, dank Holger, einen Mann hatte, der sich um die Getränke kümmerte, hatte er sogar den Moment Zeit, Kai in den Garten zu folgen.

Aber bevor er Kai einholen konnte, erreichte ein Fußballfreund ihn, der seinen Rat wegen eines Vereinswechsels wollte und so wurde Jan leider wieder weggefangen. Bianca war Jan natürlich gefolgt und organisierte, dass man auf der Terrasse tanzen konnte, indem sie mit ein paar anderen den Tisch und die Stühle einfach auf den Rasen zwischen die Zelte vom neugegründeten Ameisenzuchtverein stellte.

Die Stimmung blieb super gut, zugleich nicht zu hysterisch oder versoffen, obwohl es überreichlich Alkohol gab. Die Slackline wurde für Limbo ausprobiert, auf der Terrasse wurde getanzt und Marens Lichterkette machte sich nun sehr gut dort. Weiter hinten im Garten hatte jemand Fackeln angezündet, so dass überall ein nettes Licht herrschte. Im Wohnzimmer gingen Pärchen dazu über, auf dem unbequemen Sofa zu knutschen. In der Küche knutschten Matze und Maren wie bescheuert. Für die lief der Abend auf jeden Fall super.

Unsicher blickte Kai sich auf der Suche nach einer ruhigen Ecke um und entdeckte Thilo mit einer Flasche Wein in der Hängematte. Ihre Blicke trafen sich und Thilo hob einladend die Flasche an. Jan ließ sich von Bianca antanzen, also wandte Kai sich resolut seinem Flirtopfer zu und ließ sich zu Thilo in die Hängematte plumpsen.

Wortlos hielt Thilo ihm den Wein hin. Weißwein, schon etwas warm, aber man opferte sich ja für die Liebe auf. Rasch nahm Kai einen Schluck und schob sich ein Kissen in den Rücken, während er Jan mit Blicken folgte, der lachend zwischen Grill und Terrasse hin und her pendelte und trotz bescheuerter Klamotten scharf aussah.

Schweigsam blinzelte Thilo seiner Exfreundin hinterher und Kai fragte hilflos: "Ist wirklich endgültig Schluss?"

Thilo runzelte die Stirn, als fände er diese Frage erstaunlich: "Natürlich. Pause, so ein Blödsinn. War schon vorher so, dass sie um Jan nicht herum kam und mich das genervt hat. Und jetzt ist es endgültig nicht mehr in Ordnung. Wir streiten nur noch, seit ich lerne. Sie kann nicht verstehen, dass mir die Prüfung wichtiger ist als ein Nachmittag mit ihr. Als ob wir nicht im September wieder genug Zeit hätten für alles."

"Wer weiß?"

"Wie?"

"Na ja. Man lebt nur einmal. Wenn mir die Prüfung wichtiger gewesen wäre als mein Freund, dann wäre ich nicht hier." Er hob den Kopf. "Und du ebenfalls nicht."

Blinzelnd nahm Thilo die Weinflasche entgegen und trank einen Schluck. Er seufzte schließlich und meinte unbestimmt: "Du deprimierst mich."

"Wieso?" Kai schob sich an das eine Ende der Hängematte und Thilo tat es ihm nach und rangelte sich mit einem großen Kissen auf die andere Seite, bis sie einander gegenüber saßen. Ihre Beine berührten sich, aber es war nicht unangenehm.

"Du bist dir immer so sicher."

"Hä?" Kai war sich sicher bei vielen Dingen. Eines davon war, dass er sich nicht sicher war.

Anstelle sich zu erklären sagte Thilo leise: "Ich konnte dich lange nicht ab, Kai. War sogar total sauer auf dich."

"Echt?"

"Hm. Tut mir leid, das war... nicht richtig."

"Hört sich nach einem Aber an." Ungemütlich dachte Kai daran, dass er tatsächlich immer den Eindruck gehabt hatte, dass Thilo ihn nicht mochte. Er hatte sich immer damit getröstet, dass man Thilo nicht einschätzen konnte und es vermutlich nicht so war.

Thilo nahm einen Schluck Wein, dann erzählte er: "Wieso? Ja, irgendwie schwer zu erklären."

"Aber du warst nicht so was wie eifersüchtig, oder?" Misstrauisch beäugte Kai den Kumpel von Jan und fragte sich einmal mehr, was hinter der ausdruckslosen Stirn so vor sich ging.

Thilo blinzelte ihn an, dann schüttelte er den Kopf: "Nicht so!" Er seufzte und trank noch einen Schluck. "Jan und ich, wir haben diese Unterhaltung gehabt, die man halt so hat, wenn es mit einem Mädchen ernster wird."

"Unterhaltung?" Kai nahm die Weinflasche noch einmal an und trank einen Schluck, aber es schmeckte ihm wirklich nicht. Hastig reichte er sie Thilo zurück: "Was denn für eine Unterhaltung?"

"Jan ist das total wichtig, dass seine Freunde nicht zuletzt kommen. Er hat dauernd Freundinnen gehabt... So ziemlich seit ich ihn kenne, ist er nie ohne Mädchen gewesen, hatte schon im Kindergarten eine Freundin. Ohne mehr dafür zu tun als denen im Weg zu stehen und dumme Sprüche zu machen. Aber immer wenn er mehr als nur ein paar Wochen mit einer zusammen war, kam er an und hat versprochen, dass wir ihm wichtig sind."

"Wer wir? Matze und du?"

"Nein... vorher noch." Thilo nickte rüber zu der Gruppe der Schulfreunde. "Wir waren immer zusammen in der Schulzeit. Bolle, Mücke, Jan und ich. Matze kam erst später dazu."

"Aha. Alle anderen waren Kumpel und wollten zusammenhalten, aber Jan hatte dann auch noch dauernd Mädchen?"

"So in etwa. Und da hat er uns immer diesen Vortrag gehalten, dass es nichts ändert, dass er immer für uns da ist, dass wir vorher schon wichtig waren und das immer bleiben, weil ihm eben seine Kumpel wichtig sind." Thilo trank einen Schluck. "Außerdem ist Jan halt so, muss immer über so peinliche Sachen labern."

Kai grinste und nickte dazu, mechanisch nahm er die Flasche zurück und trank noch einen Schluck, obwohl er den Wein nicht mehr mochte. Er verschluckte sich daher heftig, als Thilo als nächstes sagte: "Bei dir nicht. Bei dir kam er an und sagte uns, dass du wichtiger bist und wir damit klar kommen müssen."

Hustend hielt Kai sich die Brust und setzte sich auf: "Was?!"

Thilo lehnte sich vor, nahm ihm die Weinflasche ab und klopfte ihm auf den Rücken. Sie sahen sich an. "Hm. So hat er das gesagt und ich war deswegen längere Zeit sauer auf dich."

"Doch eifersüchtig?"

Thilo lehnte sich wieder zurück: "Nein..." Er zögerte: "Doch, aber nicht darauf, was du bist, sondern eben auf... hm, schwer zu sagen."

"Hattest du Angst, dass Jan weg ist? Wegen mir?"

"Ja. Aber nicht wie bei einem Mädchen halt, sondern schlimmer. Richtig weg. In einer anderen Welt irgendwie."

Das war komischerweise genau was Jan einmal zu Kai gesagt hatte, ganz am Anfang. Er hatte das Gefühl, dass ihm Kai in eine fremde Welt entkam. Seufzend fragte er sich, wieso die Heterojungs annahmen, dass seine Welt so viel fremder und anders war, sogar irgendwie unbetretbar für sie. Von ihm aus betrachtet war es die gleiche dumme, lahmarschige Welt und Mauern, Grenzen, Zäune oder andere Hindernisse hatte er auch noch nie erblickt. Nicht einmal auf der Treppe zum Subzero.

Er hatte wohl ein verständnisloses Gesicht gemacht, weil Thilo sich etwas aufsetzte und zu erklären versuchte. "Als er dich im LPP geknutscht hat, da waren wir alle natürlich geschockt. Matze ist total ausgetickt. Und am nächsten Tag lief das Telefon heiß. Mücke und Bolle haben das mitbekommen und angerufen. Erst ihn, um einen guten Lacher zu haben. Jan, der Frauenbeschwörer, hat einen Mann geknutscht, zu komisch. Aber Jan hat keinen Humor bei dir. Er hat den beiden gesagt, dass du wichtig bist, und sie die Fresse halten sollen, bis sie wissen, wovon sie reden." Thilo lehnte sich wieder zurück und setzte die Flasche an: "Hm... leer." Er blickte sich suchend um, vermutlich, weil er Nachschub wollte.

Kai rangelte rum, um aufzustehen: "Ich hole eine neue, warte..."

"Nein!" Thilo hielt ihn fest: "Gleich." Er sah Kai forschend an. dann krabbelte er herum, um sich neben ihn zu legen. Erstaunt ruckelte Kai zur Seite, aber sie rollten zusammen, das konnte man in der Hängematte nicht verhindern. Kommentarlos schob Thilo sein Kissen zurecht, dann redete er leiser weiter: "Bolle und Mücke haben mich natürlich angerufen."

"Ich weiß. Alle waren sauer auf mich."

Thilo sah Kai kurz an, dann schüttelte er den Kopf: "Nein. Nur ich. Die anderen nicht. Alle waren geschockt von Jan. Du warst für die anderen ein Schattengebilde, formlos, unvorstellbar. Bis zur Einweihungsparty natürlich nur. Und danach wussten sie ja genau wie ich, dass Jan eben nicht weg ist. Das hat ihnen gereicht. Sie kommen klar."

"Und du?"

"Ich dachte in dem Moment, dass Jan dann jetzt also schwul ist und weg, nicht mehr mein Freund. Und er und ich, wir sind Freunde gewesen seit... immer."

"Definiere immer."

Thilo blinzelte und hob die Schultern, dann sagte er mit einem schiefen Grinsen: "Meine Mutter und seine Mutter haben sich im Schwangerschaftsturnen kennen gelernt."

"Oh Gott."

"Alle Mädchen kamen und gingen. Aber nicht nur die Mädchen. Auch die anderen vielen Kumpel beim Sport, in der Schule, danach in der Uni. Immer war es für Jan wichtiger, mit mir, mit uns, was zu machen, bis du gekommen bist."

"Und jetzt bist du nicht mehr eifersüchtig und sauer?"

Thilo lachte: "Nee, natürlich nicht. Als Jan dich geknutscht hat, da hab ich es ja erst erfahren. Vorher hatte ich keine Ahnung. Wirklich. Gar keine... Holger, der wusste das wohl schon länger, ich hab nix gecheckt. Jan war komisch, klar. Er war im Stress, hat mit Bianca so komisch gestritten und mit Matze diskutiert, aber ihr zwei habt das nicht abgestrahlt. Ich dachte, dass du einer dieser Kumpel bist, die kommen und gehen, wie die vielen anderen. Holger, Piet, Kalle, vielleicht auch Matze... die sind mal da, mal weg, nicht wichtig."

Kai starrte Thilo an und blinzelte. Er war total überrascht davon, wie eng diese Beziehung zwischen Jan und seinem Schulfreund war. Und er war total von Thilos Offenheit überrascht. Vermutlich war das durch den Wein und den Stress und würde ihm morgen wieder leidtun. Vorsichtig brachte er an: "Jan meinte, dass du wegen Bianca auf mich sauer warst."

"Nein. Natürlich nicht... ich hab das so gesagt, aber... nein. Ich war sauer auf dich, weil ich dachte, dass du ihn jetzt wegnimmst."

"Hab ich nicht. Werde ich nicht. Echt jetzt..."

"Weiß ich doch. Hab doch gesagt, ich dachte. Eben nur, bis ich gerafft hab, dass ihr schon total lange zusammen wart, als er dich im LPP geküsst hatte. Und er war nie weg gewesen wegen dir. War er selber geblieben, hatte mit uns seine Abende und Wochenenden verbracht. Ich konnte mich auf ihn verlassen, wie immer."

"Na klar. Dachtest du, dass Jan wirklich vollkommen anders wird? Nur wegen mir?"

"Na ja. Doch, das dachte ich. Aber dann erfahre ich, dass ihr schon seit dem letzten Sommer zusammen seid, dass er deswegen jeden Mittwoch und Sonntag nur ans Handy gegangen ist und nie in seinem Zimmer im Wohnheim war. War schon komisch, aber irgendwie war er auch sonst viel unterwegs, erst hinterher ist mir klar geworden, dass er da bei dir war. Stimmt doch, oder?"

"Hm. Mittwoch und Sonntag nach den Spielen", gab Kai zu. "Das waren eben die freien Tage."

Thilo drehte den Kopf und sah Kai forschend an: "Mir ist klar geworden, dass das an dir liegt. Und seitdem bin ich nicht mehr sauer und komme klar."

"Was liegt an mir?"

"Jeden Samstag geht Jan mit uns in die Disco, auf private Feten, in die Kneipe. Jeden Donnerstag macht er irgendwo Uniparties klar, organisiert, dass wir uns dort treffen. Er organisiert die Mädchen, hat den heißen Draht zu den bei ihnen angesagten Sachen. An allen anderen Abenden ist er beim Unisport dabei. Wenn wer fragt, ob er noch auf ein Bierchen mitkommt, geht das klar. Ach was! Meist ist er derjenige, der uns fragt. Noch nie hab ich ihn sagen hören, dass er jetzt los muss, weil du wartest. Und überall ist er so wie immer. Er macht Party, hat gute Laune, er ist unkompliziert, kümmert sich, kriegt alles mit. Er flirtet ein wenig, macht die Mädchen klar, er ist locker und es macht Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Und das macht er ohne dich und trotz dir."

"Wir haben ein Abkommen, uns nicht auf den Geist zu gehen. Er hängt nicht im LPP rum, kommt nicht mit zu meinen Freunden zum Videoabend oder geht mir bei Feiern auf den Geist, um mich dumm zu bewachen. Ich geh ihm nicht bei seinen Hetenfeiern oder seinem Sport auf den Geist."

"Das ist doch ziemlich geil, dass das so läuft bei euch, oder?"

"Ja. Ist es. Hast Recht." Kai schob sich etwas bequemer zurecht und meinte: "Ich dachte in den letzten Wochen, dass du an Bianca ran willst und deswegen voll sauer auf Jan bist und auf mich, weil ich einfach so der Feind von Bianca bin oder so."

Thilo lachte einmal auf, dann schüttelte er den Kopf: "Nee, wieso das denn?" Er blickte in die Zweige vom Baum hoch und runzelte die Stirn. "Ich war natürlich total sauer auf Jan, als er sie geschasst hat, im Herbst. Ich fand, dass sie diese Tour von ihm nicht verdient hat."

"Tour?"

"Die Jan-Tour, wenn er keinen Bock mehr auf ein Mädchen hat. Einfach nicht mehr kümmern, unsensibel sein, extramacho tun und so weiter... kennste doch."

Kai hob die Schultern. Er hatte da nicht so darauf geachtet, aber Tini hatte ihm schon einiges in der Richtung erzählt, das stimmte.

"Bei Bianca hat er das auch gemacht, aber schon bevor sie zusammen waren. Die hat es ja sogar vorher schon ausgehalten. Sie hat außer ihm keinen beachtet, das liegt wohl am Platt..., unter anderem." Mit einem schrägen Blick verbat Thilo Kai von Sex zu sprechen und der nickte dröge, wollte nicht daran denken.

Thilo seufzte. "Und er hat sie dauernd mies behandelt, hat dauernd nicht darauf geachtet, was sie will. Ich war eine Weile sauer auf dich, weil es in meinen Augen deine Schuld war." Thilo grinste etwas schief: "War es nicht. Es war nur das erste Mal, dass mich Jans Gleichgültigkeit bei einer Freundin gestört hat. War irgendwie das erste Mal, dass ich Mitleid hatte mit ihr, anstelle sie als Störfaktor in unserer Freundschaft zu sehen."

Kai blickte zur Terrasse rüber, wo Jan mit einer Flasche Bier in der Hand in der Tür lehnte und mit einigen niedlichen Fußballjungs diskutierte. Bianca war natürlich genau neben Jan, stand auf ihren hohen Sandalen da und sah ihm fast von oben herab ins Gesicht.

Thilo stellte fest: "Du magst sie nicht."

"Ich hab ehrlich gesagt Angst vor ihr."

Thilo war seinem Blick gefolgt. "Ich fand sie gut, von Anfang an. Sie schaut gut aus, hat total viel Energie, ihr Humor passt, sie ist schlau und fleißig und gut drauf. Außerdem kann man so ziemlich alles mit ihr unternehmen. Ihre Familie ist toll, allerdings wird sie dort ganz schön verwöhnt. Die jüngste Tochter, die Geschwister sind alle viel älter und sind schon auf den Hof, einen Nachbarhof und einen guten Job verteilt. Alles läuft bei denen so seinen Gang. Sie ist sozusagen die Spaßtochter, an die keine Ansprüche mehr gestellt werden. Dann war sie immer ziemlich brav, immer gut in der Schule, wird jetzt Ärztin. Ich glaube, dass ihre Eltern total verliebt in sie als Tochter sind."

Missmutig grummelte Kai, dass er jetzt wirklich Wein haben wollte, aber Thilo hielt ihn fest. "Gleich. Ich war in sie verschossen, eben wegen all dieser Sachen. Aber das ist das Problem bei ihr. Sie ist wie eine Prinzessin und das strahlt sie ab. Sie weiß was sie will, weiß, dass sie das bekommen wird."

Da konnte Kai nur nickend bestätigen. Bianca strahlte diese Sicherheit, dass ihr Leben nach ihren Wünschen lief, tatsächlich ab.

"Als sie mich wollte, wollte ich auch, dass sie mich bekommt. Aber jetzt... nach den Wochen, in denen wir tatsächlich zusammen waren, ist mir klar geworden, dass sie innen drin eben doch nur ein verwöhntes Kind ist."

"Hm." Kai wollte die Arme verschränken, aber schaffte das wegen der Enge nicht. Das Thema Bianca war total nicht sein Ding.

Doch dann, mit einem Mal, machte Thilo Sinn: "Sie kann dich nicht ab, Kai."

"Danke, weiß ich bereits."

"Nein... du weißt nicht warum. Hast das nicht gerafft. Sie ist die Prinzessin, hat immer alles bekommen, was sie wollte. Mit einem Mal geht es nicht mehr, weil jemand gekommen ist, der 'nein' gesagt hat. Das warst du und das war Jan. Jan war ihr Wunschprinz und der hatte keinen Bock in ihrem Märchen mitzuspielen."

"Hm. Das kommt wohl hin."

"Jan hat nicht mitgespielt und du bist für sie wie das andere Kind im Sandkasten, das die rote Schaufel hat, die sie haben will, gleich wie viele blaue Schaufeln sie haben kann. Und deswegen hab ich Schluss gemacht."

Kai blinzelte, dann sah er Thilo kurz ins Gesicht: "Ich hab keinen Bock von ihr als die verdammte blaue Schaufel angesehen zu werden, die sie ja doch haben kann!"

"Hm. Okay. Pause, ich brauch echt mehr Alkohol." Kai rangelte sich endlich frei und ging zur Terrasse rüber, an Jan vorbei und in die Küche, wo Maren und Matze noch immer knutschten. Mit einer Weinflasche aus dem Kühlschrank bewaffnet ging er wieder zur Terrasse zurück und ließ sich Zeit, in der Nähe von Jan und Bianca am Tisch den Korken zu ziehen, bevor er zur Hängematte zurückging.

"Halt mal." Kai reichte Thilo die Flasche und rangelte sich zu ihm. "Dann bin ich ab jetzt das Kind, das ihr die rote und die blaue Schaufel weggenommen hat?"

Thilo lachte auf und trank einen Schluck. Dann nickte er, reichte Kai die Flasche zurück und drehte sich zu ihm. Aus seinen Katzenaugen blickte er ihn einmal forschend an. "Es macht richtig Spaß, mit dir zu lernen und zu trinken, Kai. Hätte ich nicht gedacht." Gemütlich und nebensächlich schob er seinen Arm unter Kais Kopf und lehnte sich entspannt zurück.

"Und jetzt?" Von der ungewohnten und ihm auch nicht wirklich angenehmen Nähe zu Thilo nervös ruckelte Kai ein wenig herum.

"Jetzt betrinken wir uns und warten ab. Kann nicht mehr lange dauern." Thilo trank noch einen Schluck und Kai stimmte seufzend zu. Vor allem, weil er betrunken auf jeden Fall bessere Chancen hatte, die nächste Nacht auf dem Sofa zu überstehen.

Sie bekamen tatsächlich kaum Gelegenheit, sich zusammen so richtig zu betrinken. Jan tauchte nach wenigen Augenblicken vor der Hängematte auf wie eine Gewitterwolke, die Brauen zusammengezogen, die Wangenknochen angespannt. Der Körper wie unter Strom. Er sah alles in allem verdammt gefährlich aus. Kai blinzelte ihn erschrocken an, aber Thilo hob falsch lachend und überzogen fröhlich die Flasche, um es schlimmer zu machen. "Hey! Wir haben nur Wein hier. Wenn du mit uns trinken willst, dann..."

"Thilo! Das ist mein Freund." Jans Stimme klang ziemlich gefährlich.

Kais Hirn miepte und ging in den altbekannten Leerlauf. Nervös blinzelte er Jan an.

Thilo war cooler. Er reichte Kai die Weinflasche und grinste ihn doof an. "Der hier? Ist das dein Freund?" Leger legte er seine Hand auf Kais Bauch.

"Thilo!" Jans Finger verkrampften sich zu einer Faust.

Thilo ließ Kai los und rangelte sich aus der Hängematte. Direkt vor Jan blieb er stehen. Sie starrten sich an. "So? Soll ich dir mal was sagen?"

"Ja, sag mir mal was. Das wäre nett!" Jan sprach nur durch die Zähne und Kai miepte nun sogar richtig.

Thilo nickte unbeeindruckt in Richtung Terrasse: "Das da drüben, das war meine Freundin."

Jans Gesicht war gleich darauf der Inbegriff der Verwirrung mit Mischung 'Aha-'Moment. Er sah Thilo in die Augen und zog seine Unterlippe zwischen die Zähne. Man konnte seinem offenen Gesicht ansehen, dass er nachdachte, erschrak und mit seinem Schuldbewusstsein zu kämpfen hatte. Er ließ den Blick zu Bianca schweifen, dann zurück zu Kai und seinem Schulfreund. Im nächsten Moment umarmte er Thilo so heftig, dass Kai erschrocken zusammenzuckte. "Tut mir leid, Mann!"

"Ach, hör schon auf, Jan!"

"Oh Gott! Das ist bei ihr so Gewohnheit und ich..."

Thilo lachte auf, es klang befreit: "Weiß ich doch. Du bist nicht schuld, wenn bei uns Schluss ist, okay?"

"Echt jetzt?"

"Echt. Und nein, bist du nicht. Frag erst gar nicht."

Jan holte Luft, aber Thilo hob eine Hand. "Frag auch das nicht. Bloß nicht."

"Aber, bist du...?"

"Nein, Mann."

Jan nickte, von diesen kryptischen Halbsätzen offensichtlich vollkommen informiert. "Und?" fragte er ebenso kryptisch zurück.

Thilo seufzte: "Das weißt du doch." Sie sahen sich an und Thilo fügte leise hinzu: "Aber mach's nicht wieder, sonst gewöhn ich mich noch an deinen Freund. Klar?"

Jan sah zu Kai runter, dann lachte er auf: "Oh, so was von, Alter."

Kai verstand nur Bahnhof, aber es schien alles gut, weil Jan und Thilo sich meschugge angrinsten. "Hm. Wenn euch das klar ist, dann ist es gut. Ich versteh gar nichts mehr."

Thilo und Jan sahen ihn gleichzeitig an, dann wieder einander. Die blöden Idioten mussten im nächsten Moment lachen, bis sie auf den Rasen sanken und sich die Bäuche hielten. "Oh Mann, Thilo. Du bist echt... Danke, Mann, das war eine Nummer!"

"Tja. Wofür hat man Freunde?" Thilo stützte sich auf und sah Jan ins Gesicht. Seine Stimme wurde wieder ernst: "Geh mir mal aus dem Weg, okay?"

"Hm. Geht klar. Hey, ich sag gleich mal Holger, dass er mit ihr die Betten tauscht."

Thilos Hand hielt Jan auf. "Nein. Ich sag ihm das." Er nahm Kai die Weinflasche weg. "Die brauch ich noch." Er beugte sich noch mal dichter: "Bis morgen zum Lernen."

"Nee, Thilo. Morgen gehört Kai mal mir. Meine Eltern kommen und die werden uns nett trutschig mit der Kutsche mitnehmen und du bist auch schön dabei, Freundin und Prüfung hin oder her!" Er ließ sich von Thilo aufhelfen, aber hielt ihn noch einmal an der Schulter fest. "Also, sauf nicht so viel. Mach bei meinen Eltern keinen schlechten Eindruck. Die spielen noch immer Karten mit deinen Eltern, klar?" Dann kletterte er zu Kai in die Hängematte und rangelte sich mit ihm zurecht.

Thilo winkte einmal ab und ging an den anderen vorbei zur Garage rüber.

Kai atmete tief durch, weil er so erleichtert war. Die Nummer mit Thilo hatte voll hingehauen. Anders als geplant, vollkommen anders. Irgendwie hatte Thilo ihn benutzt, statt andersherum. Und dann auch noch für etwas gänzlich anderes als gedacht, aber es war zum Guten gewesen. Für alle. Kai gab es für sich zu. Darüber, dass er nicht der Einzige war, der durch das Zusammenglucken von Bianca und Jan eifersüchtig wurde, hatte er gar nicht nachgedacht.

Über ihnen flimmerten die Sterne am Himmel, um sie her lachten und tanzten und feierten Jans Freunde. Kai linste über den Rand der Hängematte hinter Thilo her, der am Grill auf Holger zutrat. Und es waren auch seine Freunde, das hatte er endlich kapiert. Lächelnd blickte er seinen süßen, eifersüchtigen Jan an. Der sah ihm in die Augen. Die goldenen Funken sprühten und Jan seufzte leise: "Gott, Baby. Tut mir leid, dass ich..."

Kai schüttelte den Kopf: "Halt die Klappe, vertu hier nicht so viel Zeit." Dann küssten sie sich endlich. Jans Finger strichen seinen Hals entlang und Kai erschauderte wohlig. Mit einem Mal war die Welt schön, fast zu schön, um es aushalten zu können.

152

Nach einer sehr ausgiebigen Knutscherei in der Hängematte seufzte Kai endlich einmal auf und verkündete: "Das ist eine echt gute Feier." Er sah Jan in die Augen: "Und ich hätte nie gedacht, dass Thilo so cool ist, hab eure Unterhaltung aber leider nicht gerafft."

Jan hob den Kopf und blickte besorgt in den Garten. Um sie her war es ruhiger geworden. Die Slackline war verwaist, die meisten saßen auf den Gartenstühlen oder Picknickdecken, die jemand auf die Terrasse zurück geräumt hatte. Die Gruppe hatte sich in Schlafsäcke und Decken gehüllt. Thilo war nicht zu sehen, Bianca allerdings auch nicht.

Leise berichtete Kai von seinem Gespräch mit Thilo, von seinem Eindruck, dass Bianca eben doch nur ein kleines Kind war, das die rote Schaufel nicht haben konnte.

Jan war beeindruckt: "Thilo ist immer so still. Es ist immer wieder sogar für mich total überraschend, was er so denkt und sieht." Er küsste Kai noch einmal: "Und dann hat er das für dich gemacht, einfach so? Mich eifersüchtig zu machen ist so gar nicht sein Stil."

Kai ruckelte etwas, dann gab er zu. "War meine Idee, oder vielmehr Lollis Einfall." Er hob einen Finger und imitierte Lollis Gestik: "Die Intrigengroßmeisterin ist anwesend!" Jan lachte leise und Kai seufzte grinsend. "Thilo hat das aber irgendwie voll für sich ausgenutzt, damit hatte ich nicht gerechnet."

Jan hob eine Hand an seine Stirn: "Oh Mann! Ich bin aber auch ein blöder Arsch gewesen. Mich wundert, dass er mich noch als Freund will."

"Mich nicht." Kai lächelte und schob seine Hand über Jans: "Wundert mich gar nicht."

Jan drehte sich etwas weiter: "Danke, Baby." Er zupfte mit zwei Fingern an Kais Haaren: "Und? Alles wieder gut? Morgen früh räume ich allein auf. Du hast genug gemacht, klar?"

"Nein. Natürlich machen wir das alle zusammen. Tut mir leid, dass ich so zickig war." Kai schloss die Augen und legte seinen Kopf an Jans Schulter. Die Hängematte war nicht sonderlich gemütlich, aber er würde sich hüten, diese schöne Chance auf ein Kuscheln ungenutzt verstreichen zu lassen.

Leider wurden sie gestört. Von Bianca auch noch. Kai zog die Brauen zusammen. Es war die Pest mit der blöden Kuh.

Jan war auch nicht für sie: "Zieh Leine, du störst!"

Bianca stockte kurz, dann stemmte sie eine Faust in die Hüfte und meckerte auf Platt herum. Schließlich sagte sie knapp: "Ick soek Thilo."

"Wozu?" Träge sie betrachtend mogelte Jan seine Hand unter Kais T-Shirt.

"Hallo? Mein Freund haut einfach ab, darf ich den nicht suchen oder was?"

"Exfreund."

"Was?"

Jan stützte sich neben Kai auf und hob den Kopf. "Kann nicht sein, dass du das nicht weißt. Wenn Thilo Schluss macht, dann macht er Schluss."

"Was?! Das hat der doch nicht ernst gemeint."

"Thilo verfügt über keinen Humor, von dem ich wüsste. Das war's, Bianca."

"Er hat 'Pause' gesagt. Pause und Schluss sind nicht das gleiche, Jan! Du kannst mir nicht sagen, dass er einfach so..."

Kai schloss die Augen. Ging das schon wieder los. Er verabschiedete sich in Gedanken von seinem Freund für die restliche Nacht, aber Jan unterbrach sie knapp. "Dann sagt er es dir gleich selber. Er ist auf dem Garagendach und betrinkt sich."

Sie blickten zugleich zum Flachdach der Garage und richtig, da lag Thilo rum und unterhielt sich mit Mücke oder Bolle. Die konnte Kai noch nicht auseinander halten.

Zum Glück machte Bianca Attacke und ließ sie wieder allein. Aber Kai rangelte rum und verkündete: "Nach diesem Urlaub muss ich Henri buchen, damit ich diese scheiß Rückenschmerzen wieder los werde. Das Sofa kommt direkt aus der Hölle, und ich merke gerade, dass diese Hängematte auch nicht viel besser ist."

Jan lachte und half ihm auf:9 "Wat denn? Henri? Willst du mich noch einmal eifersüchtig sehen oder was?"

"Jan!"

"Nein, ich meine nur, dass ich dir natürlich den Rücken selber massieren werde. Ist doch klar."

Tatsächlich verpasste Thilo Bianca wohl den Todesstoß, sie rannte recht bald davon. Jan streckte sich einmal und seufzte.

Kai nickte zur Garage rüber und schlug vor: "Geh du mal rüber und hol Thilo vom Dach runter, der ist total blau und schafft das sonst nicht mehr lebend, Jan."

"Total blau?"

"Hm. Zwei Flaschen Wein. Er hat ganze Sätze mit mir geredet."

Jan lachte, dann seufzte er: "Aber du haust mir nicht ab, klar?"

"Nö. Bin viel zu müde."

Mit sicheren Bewegungen kletterte Jan über die Regentonne auf das Garagendach zu Thilo hoch. Das Dach war sicherlich früher schon ihr Ort zum Abhängen gewesen. Aber natürlich ging das Abholen von Thilo nicht so rasch, es musste erst einmal betrunken lamentiert werden. Kai wartete also auf seinen Freund, bis dieser ihn nach bestimmt einer Stunde abholte. "Thilo schläft mit Holger zusammen auf dem Sofa und wir kriegen das Bett. Na, wie ist das?"

"Und Bianca?"

"In dem Kinderbett oder so. Mal sehen, wo die anderen unterkommen..." Uninteressiert streifte Jan die Zelte mit einem Blick. Jemand, vermutlich Maren, hatte eine Backpulversperre gegen die Ameisen errichtet, so dass es vielleicht sogar möglich war, dort zu schlafen. Noch interessierten Jans Freunde sich auch nicht so richtig dafür.

Jan umfing Kais Schultern mit einem Arm und zog ihn mit sich zur Terrasse: "Aber erst einmal werden wir hier mit den anderen noch ein wenig..." Er schnüffelte und blieb stehen. "… kiffen, wie es ausschaut."

Und das taten sie. Allerdings machte Kai nicht mit. Er mochte rauchen nicht. Jan machte auch nicht mit. Er sagte nur knapp, dass er Hasch nicht ab konnte und ihn das viel zu sehr beim Besaufen stören würde. Dafür saßen sie entspannt auf der Terrasse zusammen und Kai genoss es, dass er nach den anstrengenden Tagen an Jan gelehnt sitzen konnte und nichts sagen oder tun musste. Außerdem konnte er dem blöde-trägen Gekicher der anderen nichts abgewinnen und Jan ging es vielleicht ähnlich. Schon bald schleppte er Kai in das Schlafzimmer seiner Eltern, wo sie auf einer Betthälfte zusammen übernachteten, während auf der anderen leider Bolle schnarchte. Später lagen noch Holger und Thilo auf Isomatten bei ihnen mit im Zimmer, weil sie den Mädchen wegen der fortbestehenden Ameisenplage das Sofa überlassen hatten.

Der Morgen begann sehr früh. Bolle schnarchte Kai schon im Morgengrauen wach und der ging rasch duschen, bevor noch alle anderen wollten. Er kam nicht dazu, sich die Haare zu machen, weil vor der Badezimmertür schon eine kleine Pipi-Schlange entstanden war, und er durch nachhaltiges Klopfen auf die Dringlichkeit aufmerksam gemacht wurde. Als er in das Schlafzimmer zurückkam, war Jan aufgestanden, hatte die anderen geweckt, das Bett abgezogen, war am Lüften und hatte aufgeräumt. Unten im Haus war wieder dieses wilde Stimmgewirr zu hören. Frühstück wurde zur Mission, in der Küche plärrte Musik los.

Als Kai sich gestählt und angezogen hatte, war Jan bereits unten im Haus aktiv gewesen, hatte schon Brötchen für alle geholt und kam aus der Küche, einen Becher Milchkaffee in der Hand. "Baby, du bist ja auch schon auf und fertig mit allem! Maren ist der Hit. Sie hat die Küche aufgeräumt und Frühstück gemacht! Bianca hat wohl die Nacht zum Garten aufräumen genutzt. Gott, ich liebe meine Exfreundinnen manchmal echt! Komm, setz dich auf die Terrasse, die anderen kommen auch gleich." Jan schob Kai zur Bank an den gedeckten Tisch und verpasste ihm ein Sitzkissen und den Kaffee, düste aber selber wieder los, um Geschirr und Besteck zu holen.

Maren brachte gerade Marmeladen, Honig und ein Riesenglas Erdnussbutter, was dann für alle das Frühstück definierte. Die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten mit Erdnussbutter wurden durchgespielt, die anderen zogen sich Isomatten heran, brauten sich ihre persönliche Kaffeemischung und gähnten von Strand und Sonne murmelnd. Bianca blieb unsichtbar. Thilo war als letzter ins Bad gekommen und Holger sah nach den neusten Mails wegen der aktuellen Fregattenbilder.

Jan umschwirrte Kai und machte ihm ein Brötchen fertig, drängelte sich zu ihm auf die Bank und trank seinen Tee während er dafür sorgte, dass Kai sitzen blieb und in Ruhe gelassen wurde. Bis leider die Wespen der Umgebung wach und auf sie aufmerksam wurden, so dass ihr Frühstück abgebrochen werden musste. Aber auch dann bestimmte Jan, dass Kai einfach sitzen bleiben sollte, während die Fußballmannschaft und seine Schulfreunde zum Küchendienst abkommandiert wurden.

Kai lächelte und ließ sich von seinem Freund verwöhnen. Jans gute Laune überstrahlte den Kater der anderen, den Ärger über versprengte Ameisen in den Zelten, Wespen im Frühstück und eingesaute Klamotten. Jan trank seinen Tee, dann räumte er das Wohnzimmer auf und zog darauf dann überall im Haus die Bettwäsche ab. Damit scheuchte er Bianca auf, die zerknittert im Bad verschwand. Die Waschmaschine durchlief gerade die zweite Runde, als Jans Eltern am Haus ankamen.

Jan reagierte auf ihre Ankunft, indem er nahezu alle seine Freunde aufforderte, das Haus nun bitte zu verlassen. Er forderte Bianca nicht auf, sie zu verlassen, aber als sie zu ihm kam und ihm nach einer Umarmung sagte, dass sie mit Maren und Matze schon früher zurück fahren würde, nickte er nur einmal und sagte nichts weiter dazu. Im Geiste war er offensichtlich noch dabei zu überlegen, ob die Abdrücke der Zelte im Garten seinen Eltern unangenehm auffallen würden.

Für Kai begann der Besuch von Jans Eltern anstrengend. Vor allem, weil er so viel von sich erwartete, obwohl sie total freundlich und locker waren. Lasse begrüßte ihn warm mit einem: "Hallo, Kai, mein Junge. Geht es dir gut?" und Jans Mutter bot ihm noch einmal vehement den Vornamen Charlotte an, bevor sie mit Thilo und Maren über deren Eltern redete.

Die ersten Stunden verbrachte Kai mit angespanntem Lauschen auf sich selber, mit Selbstbeobachtungen und den sehr verkrampften Versuchen, auf keinen Fall zu schwul zu sein. Schon beim Anziehen war es an diesem Morgen für ihn fraglich gewesen, ob die Dreiviertelhose und das Langarmhemd zusammen getragen werden sollten. Zaudernd hatte er zwischen Sandalen und Turnschuhen abgewogen und nun versuchte er sich gerade zu halten, nicht zu viel zu Jan zu sehen und ihn schon gerade nicht anzufassen.

Nachdem die meisten Freunde von Jan abgefahren waren, Jan seine Eltern mit Holger bekannt gemacht hatte und Jans Eltern sich im Haus und Garten umgesehen hatten, folgte der Ausflug. Kai hatte das unverschämte Glück, dass Lasse Holgers Wissen im Bereich des Segelns sehr interessant fand und sich mit ihm auf dem Weg zu dem Stall, von dem die Kutsche starten würde, darüber unterhalten wollte.

Sie fuhren in einer Kutsche mit zwölf Leuten und Kai und Jan saßen mit Jans Mutter in der letzten Sitzreihe, so dass Kai sich endlich entspannter an Jan anlehnen konnte, während der mit seiner Mutter über die Neuigkeiten redete. Allen voran wohl ihr neuer Wagen, der Ersatz für die Seekuh.

Jan erwähnte Tini und das namenlose Ding mit keinem Wort, was Kai sehr erleichterte. Aber für Jan war das Ding vielleicht auch kein so präsentes Problem wie für Kai selber, der auf seinem Handy schon wieder etliche kurze Nachrichten und dämliche Bilder von Babykleidung hatte löschen müssen.

Lustiger Weise fragte Jans Mutter gleich erst einmal, ob sie sich nicht auf dem schrecklich unbequemen Sofa zu Schaden gekommen seien. Damit machte sie sich bei Kai beliebt, weil Jan ihn nur wegen der Rückenschmerzen ausgelacht hatte. Bedauernd fügte sie an, dass sie sich zu spät daran erinnert habe, dass Lasse und sie das Sofa schon vor Jahren einmal hatten austauschen wollen und noch nicht dazu gekommen waren.

Ansonsten erlitt Kai die Kutschfahrt eher, als dass er sie genießen konnte. Pferde waren überhaupt nicht sein Ding und der Schlamm umher war auch nur mäßig interessant. Es war schucklig und ruckelig, unbequem und langweilig. Aber das Wetter war günstig, für Kai jedenfalls. Es war leicht bewölkt, so dass er nicht zu viel Angst vor Sonnenbrand haben musste und ein kühler Wind sorgte dafür, dass sie nicht schwitzten.

Für den Rückweg wollten sie alle zusammen mit der Fähre fahren, wenn die Flut wieder eingesetzt hatte. Die Unterhaltungen mit Thilo und Holger beschäftigten Jans Vater für den halben Tag ausgezeichnet. Kai wurde allerdings auf der Insel, auf dem Wanderweg zum Café, dann doch von Lasse gestellt und über die Fortschritte in der geplanten Studie informiert. Bei Tee mit Kandis und Sahne, viel zu starkem Kaffee und Apfelkuchen wurde Kai über die geplanten Operationen informiert und seine notwendige Hilfe dabei. Der Gedanke, für das Praktikum nicht mit endlosen Blutentnahmen und anderen Botendiensten befasst zu sein, sondern sehr interessanten Operationen, bei denen er sogar mitmachen durfte und nicht nur daneben stehen, war sehr attraktiv für Kai.

Verlangend bewegte er die Frage in seinem Hirn, ob es sich machen ließe, diese vier Wochen Praktikumszeit ohne Job zu überstehen. Wenn Jan an den Freitagen abends zurück fuhr, könnte er vielleicht die Spätschicht am Samstag im LPP machen und so nicht gänzlich in die Miesen rutschen. In diese Überlegungen vertieft aß Kai viel zu viel Kuchen, obwohl er die leise Befürchtung hatte, dass er auf der Fähre seekrank werden würde.

Jan lungerte in ihrer Nähe, schien ihr Gespräch zu belauschen, aber mischte sich nicht ein. Nervös sah Kai immer mal wieder zu seinem Freund rüber, um per Blickfunk vielleicht einen Rat zu bekommen, aber sobald er das tat, redete Jan mit Holger oder seiner Mutter und tat, als merkte er nichts.

Am Ende sagte Kai sogar zu, in der Famulatur bei der Studie mit zu arbeiten und sich dann erst zu überlegen, ob das eine Doktorarbeit werden konnte oder nicht. Er wurde, als Höhepunkt der Sache, von Lasse für die Dauer des Praktikums nach Haus eingeladen.

Ein neuer Stressmoment tat sich für Kai auf. Erstaunt fragte er zurück, ob das wirklich in Ordnung sei und meinte dann unbestimmt, dass es sicherlich auch ein Zimmer im Schwesternwohnheim für ihn geben mochte. In Wirklichkeit hatte er selber gar nicht so weit gedacht, seine noch immer recht ermattete Vernunft schimpfte ihn auch tüchtig aus, während die Erziehungsgene Lasse sehr fähig und vorbildhaft fanden.

Im Folgenden fragte Lasse hinterhältig seinen Sohn, ob der nicht auch sein Praktikum am Ort machen wollte. Dann könnten sie doch zusammen einfach bei ihnen übernachten und mussten sich keinen Stress machen. Außerdem, so mischte sich Charlotte ein, könnte sich die Familie auch mal wieder mehr sehen und etwas unternehmen.

Jan hob die Schultern und nickte das erstaunlich leichtfertig ab. "Ich mach eine Zeit in der Psychiatrie auf dem Nervenberg, Papa, das war doch schon klar. Ich find das gut."

Als Kai sich nach dem Kaffeetrinken auf dem Rückweg zum kleinen Hafen bei seinem Freund für diese hinterrücks eingefädelte Sache entschuldigen wollte, meinte Jan nur nebenher: "Nein, das ist besser so. Ich bin froh, dass es jetzt so laufen kann."

"Besser so?"

Sie gingen etwas hinter den anderen her und Jan blieb im Schatten eines windschiefen Baumes stehen. Er lehnte sich an den Stamm an und zog Kai dichter: "Irgendwie hat Papa mir das vorweggenommen. Ich möchte auch nicht ohne dich dort Praktikum machen, Kai. Ich wusste nur nicht, ob wir das hinbekommen, dass du die Zeit ohne den Job im LPP machen willst."

"Oh. Und wenn ich jetzt nein gesagt hätte?"

Jan legte den Kopf schief: "Psychiatrie gibt das ja überall, dann hätte ich mir was gesucht. Aber in der Zeit können meine Eltern sich doch super an dich gewöhnen und ich kann im Verein zu Hause mittrainieren und verpasse den Anschluss nicht. Ich muss nur für die Spiele rüber fahren, das wird schon. Ich freu mich, dass wir das so locker hinbekommen."

"Oh, das passt ja gut, dann sage ich Leon für die Zeit, dass ich die Samstage machen möchte und könnte mit dir fahren, nicht?"

"Super, oder? Passt doch bestens."

Es klang nicht, als sei das etwas Besonderes, aber Kai beugte sich dennoch dichter und schob sein Gesicht einmal gegen Jans, um leise 'Danke' zu sagen, bevor er sich hastig losriss, um den anderen zu folgen.

Der Rückweg auf der Fähre war noch trutschiger als die Hinfahrt auf der Kutsche. Es wurde an langen Tischen gesessen und schreckliche, etwas blecherne Shantymusik beschallte jeden möglichen Winkel des Schiffs, so dass man ihr nicht entkommen konnte. Omas und Opas mit ihren Enkelkindern schunkelten freudig dazu, eine versprengte Gruppe von einer Fahrradtour über die Insel zeigte sich die Sonnenbrände des Tages und zwei Jugendgruppen, die zur Insel gewandert waren, wie Jan mit seinen Freunden erst kurz zuvor, mussten sich den engen Raum teilen. Es roch nach Sonnenmilch, Salz und Algen und wegen des kleinen Imbiss an Bord auch kräftig nach Frittenfett. Aber das Schiff schwankte gar nicht und Kai wurde überhaupt nicht übel, von daher war er mit der Fahrt, auch trotz der Musik, einverstanden.

Eigentlich hatten sie in der Pferdekutsche, beim Kaffee trinken und auf der Fähre nur rumgehockt, aber Kai gähnte zu erschöpft, um es zu unterdrücken, bevor sie das Haus am Abend wieder erreicht hatten. Jan war auch ein wenig angeschlagen und Thilo und Holger verkündeten, dass sie jetzt dringend mal eine Nacht im eigenen Bett und ungestört schlafen wollten.

Alle waren sie unglaublich dankbar, als Jans Mutter in der Einfahrt resolut sagte: "Packt zusammen, Jungs, wir übernehmen hier den Rest Aufräumarbeiten. Wie wäre es, wenn wir noch zusammen Abendbrot essen und dann fahrt ihr nach Hause?"

Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Und das Essen wurde entspannt. Die Reste von der Grillfeier wurden zusammengetragen, es gab dazu den obligatorischen Hagebuttentee und für Jans Eltern einen Rotwein. Jans Vater war sehr angetan davon, dass sein Weinkeller nahezu intakt geblieben war, seine Mutter hatte sich im Internet schon einmal nach einer neuen Schlafcouch umgesehen und sprach mit ihrem Mann über die verschiedenen Modelle. Holger kam mit Jans Eltern prima aus, erzählte fröhlich von seinen Erlebnissen auf See, weil Jans Vater die Geschichten genoss und ihn dazu wieder und wieder aufforderte.

Thilo kannte Jans Eltern sowieso gut, wurde von ihnen mit der gleichen nebensächlichen Freundlichkeit behandelt, die auch Kai mehr und mehr erlebte. Ein wenig gleichmütig auf der Oberfläche, aber in der Tiefe bekamen sie alles mit. Charlotte sprach Thilo sogar auf den Krach mit Bianca an, allerdings ohne ihn mit bohrenden Fragen zu nerven. Sie formulierte es auf ihre analytische, etwas distanzierte Art als Feststellung. "Ich wusste gar nicht, dass du auch mit Bianca befreundet warst." Die Vergangenheit in diesem Satz deprimierte Thilo vielleicht, aber er zuckte mit den Schultern und beantwortete die versteckte Frage mit: "Jan und ich haben eben doch irgendwie den gleichen Geschmack."

Stressig für Kai wurde es nur, als Jan ihn zu sich auf den Schoß zog, als er nach einem Gang zur Küche, um Ketchup zu holen, zu dicht an seinem Sessel vorüber kam. Sich peinlich zu wehren, war nicht in Kais Sinne, aber unter den Blicken von Jans Eltern auf dem Schoß von ihrem Sohn zu sitzen, war ihm auch unangenehm. Nach einigem Winden ließ Jan ihn dann auch entkommen.

Jan aktivierte schließlich seine Restenergie, um den Wagen mit ihrem Kram zu beladen und Kai übernahm die Küchenarbeiten. Dank Maren und ihrer Tatkraft war die Küche aber fast fertig aufgeräumt. Thilo und Jans Vater brachten Teller und Besteck vom Terrassentisch, aber verschwanden gleich wieder. In ihrer Unterhaltung drehte es sich um Ameisenplagen und die Mittel dagegen.

Müde räumte Kai die letzten Geschirrteile vom Abendbrot in die Geschirrspülmaschine und dehnte seinen Rücken ächzend. Es dämmerte bereits, vor dem Fenster hörte er die laute Stimme von Holger und Jans Lachen. Lasse lachte mit, hatte eine sehr ähnliche Stimmlage. Müde beobachtete Kai die anderen beim Packen und räumte die Spülmaschine ein.

Charlotte stand sehr plötzlich hinter ihm und erschreckte ihn zu Tode, indem sie Licht anknipste, als er gerade dabei war, die Tassen in der Spülmaschine etwas besser zu sortieren, um Raum für eine kleine Schale zu schaffen. "Kai?" Er fuhr herum und sie lächelte nachsichtig. "Entschuldige, warst du in Gedanken?"

Unsicher lehnte er sich gegen den kleinen Esstisch und sah sie abwartend an. "Etwas müde nur."

Sie strich sich die Haare hinter die Ohren: "Du warst sehr still den Tag über. Wie geht es in der Wohnung zusammen?"

Wieder eine versteckte Frage, die Kai zu ignorieren beschloss. Er wollte ihr nicht sagen, dass es ihn noch immer erschöpfte, wenn er vor Jans Eltern mit Jan zusammen war. "Gut." Misstrauisch suchte er sich etwas, um seine Hände zu beschäftigen. Die Reste vom Essen fielen ihm in die Finger, und er begann, den Butterkuchen in Alufolie zu verpacken. Die Salate waren alle aufgegessen, im Kühlschrank lag nur noch einiges an Grillfleisch, schon fertig gegrillt. Unsicher überlegte Kai, ob sie das mitnehmen sollten.

Charlotte lächelte schon wieder so merkwürdig, es sah bemüht aus, sorgfältig, als sei sie es nicht gewohnt und wollte es gut machen: "Ich freue mich, weißt du? Ich freue mich, weil ihr das so gut hinbekommen habt. Die Sorge darum, wie das gehen wird mit euch, für euch, hat Jan ganz nervös gemacht und mich damit auch natürlich. Er war so verschlossen, bis er seine Homosexualität mit uns hat besprechen können."

Unsicher starrte Kai sie an. Allein diese Unterhaltung kam ihm, verglichen mit denen mit seinen Eltern, hochgradig surreal vor.

Sie räumte noch eine Teepackung fort und redete im selben, etwas unterkühlten Tonfall weiter: "Ich hab in diesen letzten Wochen richtig gespürt, wie es ihm jeden Tag etwas besser gegangen ist. Er war befreit von dieser Last des Verschweigens..., so hat er das genannt." Aus dem Schrank unter der Spüle holte sie eine Tablette Spülmaschinenmittel.

Von der entspannten Art, in der sie ihn ansprach, wieder etwas beruhigt, wandte Kai sich zu ihr um. Aber natürlich war sie noch nicht fertig gewesen. Sie gab das Spülmittel in die Lade, schloss die Spülmaschine und trug ihm auf: "Nehmt das Grillfleisch besser mit. Das essen wir doch nicht."

"Danke." Mechanisch verpackte Kai das Fleisch in Alufolie und freute sich über die Aufgabe für seine Finger, auch wenn er sie dabei oft im Rücken hatte.

Sie nahm ihm den leeren Teller ab und wandte sich der Spülmaschine erneut zu, um den Teller noch unter zu bringen. "Ich bin vermutlich auch etwas mehr erleichtert, weil ich zuvor so übertrieben besorgt war." Sie seufzte: "Natürlich war ich zu Beginn eurer Beziehung nicht begeistert, das gebe ich zu. Ich hatte sogar eine lange Zeit gedacht, dass er etwas ausprobieren will, dass du ihn lässt und mehr ist es gar nicht. Das hatte mir Sorgen bereitet, weil ich mir für meinen Sohn eigentlich eine stabile und gesunde emotionale Basis erhofft hatte." Sie seufzte unglücklich: "Und ganz ehrlich, gerade in emotionalen Angelegenheiten war Jan bislang immer sehr unruhig, unstet und ganz und gar nicht glücklich. Allmählich verliert sie sich, diese Unruhe."

Charlotte schloss die Spülmaschinentür und lehnte sich dagegen: "Er war eine lange Zeit, seit Beginn des Studiums, so schrecklich verschlossen gegen uns. Das war mir unheimlich, das hat es zuvor nie gegeben zwischen uns. Aber jetzt ist er wieder offener geworden. Jan erzählt uns endlich wieder, was ihn bewegt, und er lässt dich nicht mehr heraus dabei. Er sagt sogar, dass er dich lieb hat. Das hat er so noch nie gesagt vorher! Du musst dich übrigens nicht komisch fühlen, wenn er uns das nicht nur erzählen, sondern auch zeigen will. Lasse und ich haben schon darüber geredet." Sie lachte auf: "Wir haben uns seelisch schon auf den Anblick vorbereitet, wie bei einem Test, bei einer Versuchsreihe. Es war zu komisch, wie wir zwei wissenschaftlichen, erfahrenen Menschen uns gefragt haben, ob es eine Art Knigge für solche Dinge gibt. Peinlich, ich weiß, ich weiß..." Kichernd schüttelte sie den Kopf und sah mit einem Mal gar nicht mehr so kühl und entfernt aus: "Ich hatte wirklich gedacht, dass ich mich winden werde und unwohl fühlen." Scharf sah sie ihn an: "So wie du vorhin."

Kai spürte, dass er rot wurde und verschränkte die Arme. Ein wenig leidend blickte er aus dem Küchenfenster auf die Straße raus, wo Jan und sein Vater zweifelsohne ihr Kauderwelsch miteinander sprachen.

Charlotte trat dichter zu ihm: "Und, ganz ehrlich, Kai. Eigentlich war das nicht nötig. Es tut mir gut, euch zusammen zu sehen. Ich hätte meine letzten Forschungsergebnisse darauf gewettet, dass das Gegenteil passiert. Aber es tut mir gut. Er ist so ernst mit dir. Außer beim Fußball hat er sich früher immer nur uninteressiert, oberflächlich gezeigt. Gerade bei Beziehungen. Außer bei seinen Freunden Thilo und Markus, Stefan vielleicht noch, war er eigentlich immer nur egoistisch und oberflächlich. Und selbst seine Freunde übergeht er doch dauernd, wenn es ihm so passt."

Kai ertappte sich beim Nicken, nachdem ihm und auch Jan durch ausgerechnet Thilo in Erinnerung gebracht worden war, wie sich solches Übergangen werden anfühlte.

Sie betrachtete ihn kurz ernsthaft, dann sah sie rasch aus dem Fenster: "Das hat mir Sorgen gemacht. Sorgen, ob er einsam enden würde, so wie Hannah mit ihrem sturen Kopf. Trotz der vielen Freunde. So war sie doch. Nie allein und doch einsam, ohne einen besonderen Menschen an der Seite. Sonst war es bei ihm immer so ein 'wir passen doch ganz gut, gleiche Interessen, gleicher Studiengang, schaut doch total hübsch aus, oder? Wir mögen beide diese oder jene Musik, diesen oder jenen Sport'. Mit dir ist er endlich erwachsen geworden, scheint es."

Ihre dunklen Augen blickten erneut forschend in seine, Kai konnte den Blick gar nicht abwenden, auch wenn er sich sehr unwohl fühlte dabei. "Bei dir fing es gleich im ersten Semester an, als noch gar nichts von all dem hier in Sicht war. Jan kam nach Haus und erzählte mir, dass er einen neuen Freund habe. An der Uni. Er sagte mir 'Kai Hellmann. Er ist schrecklich schlau und fleißig, lässt mich voll cool abschreiben. Aber der kann wirklich nicht feiern, sich locker machen, ist immer viel zu still und langweilig.' Und ich dachte bei mir, dass ich den Namen nie wieder höre. Langweilig, das musste doch ein endgültiges Urteil sein. Doch am nächsten Wochenende kommt Jan durch die Tür und zeigt mir ein Bild von dir. Es waren lauter Studienfreunde darauf, auch Franka, mit der er zu dem Zeitpunkt zusammen war und auch Bianca. Gesagt hat er aber nicht 'Das ist meine neue Freundin.' Gesagt hat er 'Schau mal, das hier hinten ist Kai. Alle Mädchen sind in den verknallt. Wenn der mehr aus sich rauskommen würde, hätte er Chancen an allen Enden!' Es schien ihn zu nerven, dass du so schüchtern bist. Und dann kamen die ersten Prüfungen. Er hat mit einem Mal panisch gelernt, um nicht hängen zu bleiben. Nicht, um das Studium zu schaffen hat er gelernt, nein. Er hat sich nur so reingehängt, um weiter mit dir studieren zu können."

Sie betrachtete Kais Gesicht einen Augenblick lang eingehend, dann holte sie Luft und fuhr fort: "Früher bei den Freundinnen ging es so 'Die will Samstag vorbei kommen? Spinnt die? Da ist Pokalendspiel!' Oder noch besser 'Ich hab Schluss gemacht, dauernd sollte ich mich nach ihr richten. Ihre Freundinnen waren so nervig. Ist mit der sowieso doof gewesen, immer Dienstag hatte sie Zeit, da hab ich doch zwei Trainingseinheiten und kann nicht.' Ich hab bei mir wirklich oft gedacht 'Was hab ich da für einen egozentrischen Macho heran gezüchtet? Wie ist das nur passiert?' und mich ein wenig geschämt dabei."

Kai musste lachen, auch weil sie Jans sturen Tonfall für Beleidigungen super hinbekommen hatte. Dieses Selbstgeständnis passte irgendwie zu der Erkenntnis, dass Jan wirklich ein blöder Machoarsch sein konnte, wenn er keinen Bock hatte.

Im nächsten Moment lehnte sie sich dichter und sagte ernsthaft: "Bei dir sagt er 'Es ist so schön, dass wir beide Mittwoch frei haben, seit ich mein Krafttraining getauscht hab. Sonst würden wir uns kaum sehen.' Er sagt 'Ich komme nicht zur Fußballgrillfeier mit hin. Ich bin jetzt doch in einem anderen Verein und außerdem hat Kai am Donnerstag davor Geburtstag, ich will was mit ihm machen.' Er sagt 'Kais Freunde sind überhaupt nicht mein Ding und mögen mich auch nicht so richtig. Bin ich froh, dass die mich grade so akzeptieren und er nichts auf die Meinung von allen anderen gibt.' Darüber war ich, glaube ich, ein wenig im Schock."

Das war Kai auch. Sprachlos starrte er sie an.

Sie lächelte, rückte an den Flaschen mit Essig und Öl auf dem Tisch und fuhr fort: "Er sagt, dass er sich überlegt hat, es ist besser, wenn ihr die Dachwohnung nehmt, weil die dir sicherlich mit dem großen Balkon am besten gefällt." Sie legte den Kopf schief, ihre Stimme war warm und weich, ein wenig amüsiert. "Weil du Pflanzen und Blumen magst, aber keine Gartenarbeit. Und er hat mich gefragt, ob ihr die Möbel von Hannah umarbeiten lassen könnt, damit du dich darin wohl fühlst und er sie behalten kann. Er hat... diese teure Lichtanlage in der Garage und den Schuppen einbauen lassen, weil du im Dunkeln Angst bekommst seit dem Überfall. Es ist ihm ernst mit dir. Bei solchen Sachen, da ist er wie Hannah, ganz oder gar nicht. Bei seinen Freundinnen war er, gerade auch uns gegenüber, immer sehr offen, er hatte sie gern, das konnte man sehen. Er hat sie bewundert für ihre Fähigkeiten, ihren Sport, ihren Körper oder ihre Intelligenz und doch blieb es auf der Oberfläche. Aber bei dir sagt er uns immer, was ihn so alles stört und fragt, ob es okay ist, jemanden zu lieben, der so viele Fehler hat." Sie lachte leise, weil Kai sie mit roten Ohren anstarrte: "Und er fragt, ob er liebenswert genug ist, mit all seinen Fehlern. Er ist sich nicht sicher. Er hat Angst, dich zu verlieren."

Kai starrte sie mit offenem Mund an, sicherlich knallrot im Gesicht. Beschämt zog er die Schultern an.

Sie sah Kai aus ihren scharfen, intelligenten Augen ein Weilchen lang intensiv an, dann senkte sie den Kopf und trat an das Fenster, weg von ihm. Mit fast schon abweisenden Gesten zog sie ihre graue Strickjacke um sich: "Es fällt mir schwer, dich das zu fragen, Kai. Ich fühle mich, als ob ich ihn verrate dabei, mich zu sehr einmische." Sie blickte aus dem Fenster zu ihrem Mann und Sohn. Holger und Thilo traten gerade dazu, warfen letzte Sachen in den Kofferraum. Sie hob eine Hand an die Stirn, schob den Pony zurecht. "Aber es muss sein. Es ist mir wichtig. Besser jetzt als wenn es zu spät ist. Kai... ist es dir genauso ernst mit ihm?" Sie hob in einer hilflosen Geste die Schultern. "Ich hab euch heute beobachtet, aber man sieht es dir nicht an, deswegen muss ich einfach fragen."

Kai blinzelte sie an, verwirrt und beschämt von ihrer ehrlichen Art. Aber auch beschämt davon, dass Jan sich permanent nur um ihn zu kümmern schien, und er das gar nicht merkte. Rasch senkte Kai den Kopf wieder und nickte. Er fand nicht die richtigen Worte, endlich presste er hervor: "Absolut. Mehr geht nicht."

Es schien ihr zu reichen. Sie tätschelte auf ihre etwas entfernte Art einmal seinen Arm und nickte. "Dann ist's ja gut. Dann bin ich mir nämlich sicher, dass wir dich die nächsten Jahre an Weihnachten unter unserem Baum sehen werden, Kai. Und..., ich freue mich darauf."

Damit wandte sie sich ab, stellte die Spülmaschine an und ging ebenfalls nach draußen, hinterließ ihn mit einem heftig schlagenden Herzen und leichter Übelkeit.

153

Jan fand Kai wenig nach dieser Unterhaltung in der Küche, die Alufolie in der Hand, den Blick verwirrt auf die laufende Spülmaschine gerichtet. "Hey! Alles okay?" Besorgt kam er sofort dichter und hielt eine Hand an Kais Wange: "Hast du zu viel Sonne abbekommen heute?"

Kai schüttelte den Kopf: "Nein. Ich bin nur müde." Sie sahen sich kurz an und Jan rieb ihm einmal über die Schultern. Er nahm die Alupäckchen vom Tisch auf: "Was ist das alles?"

"Reste. Kuchen und Fleisch... das dort sind die Spieße." Kurz zögerte Kai und beschloss, dass ein anstrengendes Gespräch mit Jan gleich nach einem mit seiner Mutter wirklich den Rahmen seiner Kraft sprengen würde. "Ich bin hier soweit fertig, nimmst du den Kram mit zum Auto? Wir sollten das Zeug aufteilen. Hm, vielleicht hat Holger ja noch Bock darauf." Kurz sah er Charlotte draußen zwischen den Autos entlang gehen. Lasse und Holger hantierten mit leeren Bierkästen. "Ich schau nur noch mal schnell ins Bad, ob ich dort alles raus habe."

"Hast du längst. Da sind nur noch zwei Shampoos von den Mädchen, die lassen wir einfach." Jan sammelte die Alupäckchen ein. "Dann wollen wir mal, was? Ich glaube, dass ich mir was zum Aufpuschen an der Tanke kaufen muss. Ich bin vielleicht erledigt, Kai. Kai?"

Kai zuckte zusammen. Er hatte schon wieder gestarrt: "Ich auch. Echt. Aber war doch ein schöner Geburtstag... für fast alle, oder?"

Jan legte ihm den Arm um die Schultern und zog ihn mit sich: "Hm. Werde morgen mal mit Bianca schnacken."

Am Auto bestimmte Holger gähnend: "Kai, setz dich vor, ich will hinten pennen, okay? Dann hältst du Jan wach für uns."

So hielt Jan an der Tanke und holte zwei Dosen Gummibärchenbrause für sich und Kai. Daran zu nuckeln beschäftigte Kai und hielt ihn besser wach als die chemischen Anteile darin, die ihm dies versprachen. Und so verging die Rückfahrt unter Guaranaeinfluss und Jans Musik sehr ruhig und erholsam. Thilo schlief ebenfalls ein, das Skript noch in der Hand. Unsicher blickte Kai ihm nach, als sie ihn absetzten. Es war so ein Impuls. Als Kai den gepeinigten Blick von Thilo zu seinem Skript sah, öffnete er die Wagentür, um ihm hinterher zu rufen: "Thilo! Wir... lernen jeden Dienstag mit Renate und Holger. Ab zehn bei uns in der Wohnung."

Thilo blinzelte zu Jan rüber, dann nickte er: "Okay. Ja." Er trat noch einmal zum Wagen und lehnte sich hinein: "Und danke für gestern."

Kai war zu müde für neckische Blicke, daher nickte er nur träge.

In ihrer Wohnung angekommen mussten sie erst einmal durchlüften, um die stickige Sommerluft zu vertreiben. Kai aktivierte seine Reserveenergie und goss die Blumenkübel in denen schlappe Blumen ihn augenscheinlich sehr vermisst hatten, doch schon bald warf er sich zu Jan ins Bett und wollte nichts mehr sehen und hören.

Als sein Wecker am Montag ging, konnte er nicht glauben, dass es schon wieder soweit war. Der vorletzte Arbeitstag im LPP, danach machte er Lernpause. Zufrieden streckte Kai sich im Bett aus, im nächsten Moment fiel sein Blick auf das eingeschlagene, gerahmte Bild.

Jan war leider nicht im weckbaren Zustand, daher ging Kai sich fertig machen. Als er zur Arbeit los musste, sagte er seinem nur halb lebenden Freund: "Das dort ist auch noch dein Geschenk. Ich muss jetzt los, hoffentlich findest du das so in Ordnung." Jan knurrte nur unbestimmbare Laute. Mit einem Grinsen machte Kai sich auf zur Arbeit.

Er zuckte ein wenig zusammen, als sein Blick gleich nach dem Umziehen auf die neue Cocktailkarte mit seinem nackten Körper fiel. Aber irgendwie war das Bild zu abgehoben, zu wenig real, um ihn wirklich zu peinigen. Dazu fiel ihm zeitgleich ein, dass er da eine Pappkarte mit drei Versprechungen von Leon besaß. Er hoffte zumindest, dass sein Chef sich an diese Abmachung hielt, und sich zuvor zumindest daran erinnerte.

Hinter der Theke wirbelte an diesem Morgen Henrike bereits herum und fischte die Blumen aus dem Kühler, um sie in die Minivasen zu versenken. "Kai! Ich hab das schon gehört. Mist, verdammter. Willst du wirklich den Sommer gar nicht mehr arbeiten? Das ist jetzt echt blöde. Wegen der Semesterferien haben wir zwar reichlich Kellnerinnen, aber für die Bar fehlt mir dann jemand."

Kai strich das T-Shirt glatt und bereitete die Kaffeemaschinen vor. "Wieso?"

"Weil Basti nicht immer da sein kann, und du der einzige andere bist, der die Maschinen vernünftig bedient."

"Das ist kein Argument, Henrike. Das kann ja wohl jeder lernen."

"Nee. Die Sache mit dem Milchschaum kann eben leider nicht jeder lernen. Es ist mir ja auch ein Rätsel, aber ich zum Beispiel bekomm das einfach nicht hin." Sie trug Jeans an diesem Tag und Sandalen mit hohem Absatz. Außerdem hatte sie ihre Haare in einem krassen Blond gefärbt, das ihr gut stand. Ein wenig hektisch wedelte sie mit einer Bestellungsliste Luft gegen ihren Hals, während sie die Flaschen im Kühler zählte.

Nachdenklich lehnte Kai sich an die Bar. "Wenn es um die Kaffeemaschinen geht, dann kann ich gern eine Frühschicht in der Woche machen. Mehr aber nicht."

"Hm."

"Was hm?"

Sie seufzte und meinte unbestimmt. "Es wäre toll, wenn du eine Spätschicht in der Woche machen könntest. Da haben wir mehr Cocktails und du bekommst viel mehr Trinkgeld. Na? Wie ist das?"

Kai seufzte und streckte sich. "Ich überleg mir das." Er machte dann erst einmal Milchkaffee für sie beide und den Koch, der so allmählich zur Arbeit kam. Als nächstes schaute Bardo um die Ecke und freute sich auf eine Cola.

Kai umarmte ihn einmal, dachte an Jan mit der Abhärterei und küsste ihn einmal hektisch auf die Wange, um ihm nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren. "Wie war es denn, Bambi?"

Bardo lehnte seinen schlaksigen Körper in der Durchreiche an und zuckte mit den Schultern. "Ich hab das Geld bekommen, aber die Erlaubnis für die Reise hängt von meinen Noten ab."

"Und sonst?"

"Du, das ist superkrass! Ortrud hat sofort gesagt, dass wir die Zimmer tauschen. Wir räumen die in den nächsten Tagen leer und dann streichen wir. Du, Kai?"

"Nein."

"Du weißt doch gar nicht, was ich will."

"Ich helfe dir definitiv nicht beim Renovieren oder Möbel räumen!"

Bardo blinzelte überrascht. "Nein! Natürlich nicht. Ich wollte fragen, ob ich für zwei Wochen bei euch übernachten kann, während die Maler in der Wohnung sind und die Farbe trocknet."

"Was? Du hast eine ziemlich große Wohnung allein zur Verfügung!"

Bardo blinzelte, dann lachte er. "Ach so. Nein, nein. Wir renovieren die ganze Wohnung. Alle Wände werden gestrichen. Auch die in der Musikschule. Wir wollten das in den Ferien jetzt machen lassen, wenn alle bis auf mich weg sind."

"Hm. Du bist ja eh den ganzen Tag unterwegs, oder? Also meinetwegen." Da er schon mal dabei war, seine weiche Seite zu zeigen, wollte Kai gerade Henrike den Samstagabend als Arbeitskraft zusagen, als Jan ihn anrief.

"Baby! Danke! Das ist ja ein geiles Geschenk! Toll!"

Kai blinzelte, dann fiel ihm das Bild wieder ein. "Ja. Bitte."

"Ich hab das gleich aufgehängt. Ja, das mit der dunkelblauen Wäsche ist total scharf zu deiner hellen Haut... sag mal, wie lang musst du noch arbeiten, wo ich dich hier so nackt vor Augen hängen habe?"

Misstrauisch fragte Kai sofort: "Wo?"

Jan lachte. "Neben dem Bett natürlich. Da kann ich von meiner Seite voll gut drauf schauen, hab den Fernseher zur Seite gerückt."

Erleichtert seufzte Kai und befand, dass er Nacktbilder von sich jetzt wirklich ausreichend weit verstreut hatte. Er sagte Jan, dass er am frühen Abend zurück sein würde und legte rasch auf, bevor Jan ihn noch peinlich fragen konnte, welchen Sex Kai sich so wünschte. Er hob erneut an, Henrike wegen des Samstags anzusprechen, aber sein Handy störte schon wieder. Es war Lolli.

"Meine Maus! Wie sieht es aus, wie stehen die Dinge?" Er lachte: "Hat die Intrigengroßmeisterin dein Leben gerettet?"

"Ja, ausnahmsweise hat sie. Danke. Bei Gelegenheit erzähle ich gern mehr von dem Wochenende, jetzt bin ich auf der Arbeit."

"Ah, ich will auch nicht lange stören..." Und es folgte ein zwanzig Minuten langer Sermon über die Fortschritte des Umzugs à la Lolita.

Kai stellte derweilen Kaffee her, räumte die Spülmaschine aus und bediente zwei Schüler der Theaterschule mit geeisten Getränken. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Lolli was wollte. Vermutlich war es der Umstand, dass Lolli ihm nervös und hektisch einige Sachen doppelt erzählte.

Und richtig, endlich rückte Lolli raus. "Es ist so, dass Benni sich für einen Nachmieter für mich entschieden hat. Auweia, Maus. Ich muss es so sagen. Ich habe ja kein Mitspracherecht in der Sache, aber das war echt gemein von ihm. Hätte ich nicht gedacht. Nicht einmal bei ihm. Dass er mich so..."

"Lolli! Komm zum Punkt! Ich bin, wie ich schon sagte, auf der Arbeit!"

"Benni hat Renate gefragt, ob sie mein Zimmer übernehmen will und sie hat zugesagt."

"Was?! Auweia. Okay, du hast mein Mitleid." Es fühlte sich eher an wie Schadenfreude, wenn Kai einmal ehrlich war, er unterdrückte ein Grinsen nur mit Mühe.

"Jetzt ist das so, dass sie im August gern renovieren will. Sie zieht erst nach der Prüfung um, und ich muss auch erst dann richtig raus, aber ich bin ab August schon dauernd in London bei Jiffi. Sie will wohl erst einmal streichen. Hat mir die totale Packung verpasst, weil ich im Zimmer geraucht hab und das war keine Kurpackung, sag ich dir. Die Frau macht mir PMS. Kann ich für ein paar Tage bei euch nächtigen, wenn die zum Renovieren anrollt?"

Kai blinzelte und murrte dann: "Stell dich hinten an. Bardo will auch streichen und nächtigen. Gratulier ihm zum Geburtstag, war jetzt Freitag. Tschüss." Und er reichte mit Erleichterung einen hysterischen Lolli an Bardo in die Küche durch.

Kai wandte sich Henrike erneut zu, aber in dem Moment bekamen sie dann richtig viel zu tun, weil eine größere Gruppe bei ihnen einfiel, außerdem brachte die Mittagszeit danach dann viele Leute zu ihnen. Im Nu waren alle Tische besetzt und es wurde hektisch.

Am nervigsten waren die Blicke von der Cocktailkarte zu Kai und zurück, begleitet von einem mehr oder weniger freundlichem Grinsen. Und dann die hin und wieder gewagten Fragen: "Eh... bist du das?" oder schlaue Erkenntnisse: "Hey, schaut dir total ähnlich das Bild."

Erst als Kai sich erschöpft sein eigenes T-Shirt übergezogen hatte, um sich hinten in der Küche zu verstecken, kam er wieder dazu, mal was mit Henrike zu besprechen. Sie hockte auf der Kühltruhe und baumelten mit den Beinen, hatte ihr eigenes, ärmelloses Top an und dieses zeigte bei knappem Sitz, dass sie über der Hüfte eine Tätowierung trug, die Kai zuvor noch nie gesehen hatte. Es war merkwürdigerweise ein Schwarm winziger Fledermäuse.

Sie hatte Kais Blick bemerkt und zuckte mit den Schultern. "Bevor ich punkig drauf war, war ich gothic drauf. Ich sage dir, Kai. Sollte ich jemals Kinder haben, Gott, der Gedanke allein, dürfen die sich erst mit Mitte Zwanzig was tätowieren lassen, wenn sie wirklich wissen, was sie wollen. Zum Glück hat Tanja das gemacht, da ist das Bild wenigstens sauber gestochen."

Kai lachte und hockte sich zu ihr, weil ihm Jan eine Nachricht geschickt hatte, dass er ihn auf dem Rückweg vom Training abholen kommen würde. "Ich bin nicht mehr dazu gekommen, aber es ist okay. Ich kann den Samstag auch spät arbeiten. Oder den Donnerstag. Beide Tage schaffe ich nicht und die anderen Vormittage fallen auf jeden Fall aus, wegen is nich. Ich will die Prüfung bestehen, wenn ich mich dafür schon so peinlich prostituiert habe."

Grinsend blickte Henrike rüber, wo an der Küchenwand zwei Gutscheine zur Ausstellung angeklebt waren. Hübsch mit seinem nackten Körper kontra Lenas. "Ich bin dafür, dass du dich prostituierst, Kai. Und bei Lena sowieso. Schaut super aus und hat schon Leute angelockt. Wir haben die Tage ungefähr zwanzig Cocktailkarten verloren, alle geklaut. Ist gute Werbung, meint Leon. Wir müssen nur rechtzeitig nachbestellen. Aktuell führen wir eine Wettkampfliste, welche mehr geklaut wird. Lena liegt mit zwei vorn."

"Na toll." Kai verschränkte die Arme und starrte dumpf vor sich hin, dann fragte er mit Blick auf die Liste in ihren Händen: "Und musst du darüber jetzt Buch führen, solange Leon außer Gefecht ist?"

Sie nickte und gähnte. "Das ist echt stressiger als ich dachte, mit den Bestellungen und den Dienstplänen. Leon hat das immer so locker aussehen lassen."

"Wie kommt das eigentlich, dass du das jetzt machst?" Kai trank von seinem Wasser und gähnte, aber verschluckte sich fast, als sie antwortete.

"Na, ich soll den Laden wohl eines Tages mal übernehmen. Die erste Zeit wollte ich das nicht, hab dann für Geld rein geschnüffelt, weißt ja, wie Leon einen überreden kann. Aber in den letzten Monaten hat mir das viel mehr Spaß gemacht und jetzt bin ich richtig stolz, wenn die Abrechnung kommt und in der Zeit, in der ich zuständig war, alles gut gelaufen ist. Ich hab sogar einen Buchhaltungskurs besucht."

"Du sollst das LPP übernehmen? Wieso das denn?"

Henrike hob die Schultern noch mal unbestimmt. "So ist er halt. Er ist nicht der Meinung, dass man etwas einfach kriegen soll. Man soll es sich verdienen."

"Eh? Aber... wieso gerade du?"

Sie sah ihn von der Seite an, dann lachte sie auf. "Ach du Scheiße! Du wusstest das gar nicht? Leon ist mein Vater. Tja. Er und meine Ma haben sich verkracht, als ich ein Jahr alt war. Er hat die Mutter von Anna geheiratet und meine Ma hat auch wieder geheiratet und meine Halbschwester bekommen. Die dumme Nuss, die jetzt dauernd Kinder wirft. Kriegt jetzt das dritte."

"Hm? Hat deine Schwester voll jung angefangen oder was?" Etwas gepeinigt dachte er an seinen eigenen, bald recht jugendlichen, Familienstand.

"Nee, sie wird jetzt dreißig. Ich bin schon gut drüber, Kai. Ich bin eine lahme Sau."

Beeindruckt warf Kai einen Seitenblick. Henrike hätte er wegen der quirligen Art und ihrer wilden Klamotten und Frisuren definitiv immer jünger geschätzt. Viel jünger. Auch zu wissen, dass sie über dreißig war, half nicht, sie älter aussehen zu lassen.

Henrike nahm ihm die Wasserflasche weg und trank auch einen Schluck. "Ich studiere ja so vor mich hin, hab noch nicht so richtig Lust auf irgendwas gehabt und mich ein wenig hängen lassen. Ich war eine Zeit auch echt total 'Scheiß-egal' drauf. Leon hat sich das mit angesehen, hat nie was für oder gegen gesagt. Er hat für mich gezahlt, sich um eine Wohnung gekümmert, als ich unbedingt ausziehen wollte, aber sich sonst nichts aus mir gemacht, so dass ich den Mann auch nie auf der Rechnung hatte. Für mich war das der Arsch, der mir an Geburtstagen und Weihnachten Geld schenkt und sonst gab es da noch ein paar Fotos von ihm mit mir als kleines Baby, kurz nach der Geburt, mehr nicht. Aber als ich so abgedriftet war, so zwischen Gothic- und Punkszene, da war ich so siebzehn oder achtzehn, mit zu viel Alkohol, mit viel zu wenig Schlaf, ohne Interessen, in der Schule am Boden des Notenschnitts, da war er dann doch da. Anders als von meiner Ma gedacht allerdings. Er hat mir den Job verpasst. Felix eine Therapie. Ich musste mit diesem Typen drei Wochen lang in der Wildnis Überlebenstraining machen. Alter, das war vielleicht schrecklich! Danach war ich aber mit einem Mal sicher, wer ich bin, was ich will, und vor allem, was ich nicht will. Hab nie wieder zuviel getrunken, nie wieder Drogen genommen und hab die Realschule fertig gemacht, hab dann das Abitur geschafft, jetzt studiere ich sogar."

"Okay." Kai schielte auf Henrike und versuchte zu sehen, ob sie Leon irgendwo ähnlich war. Mit einem Mal sah er es. Die Augen waren tatsächlich gleich. Dunkel und intensiv, scharfsinnig blickend.

Sie lachte über seinen Gesichtsausdruck und erriet seine Gedanken: "Ich komm nach meiner Mutter. Die Größe, der Mangel daran vielmehr, das Gesicht und auch so der schlechte Geschmack. Aber ich bin immerhin lesbisch, das kommt dann wohl von meinem Vater. Übrigens hab ich es Felix und ihm zu verdanken, dass ich das überhaupt gemerkt hab."

Kai rang um Worte und hielt sich dann an Bard: "Krass."

Henrike und er einigten sich darauf, dass er, im Wechsel donnerstags und samstags, arbeiten würde und Kai war froh, als Jan ihn abholte und selber total müde war und von der Geburtstagsfeier noch zu geschafft, um aus zu gehen oder um ihn im Schlafzimmer zu überfallen. Obwohl er das Nacktbild von Kai in der blauen Bettwäsche als Inspiration genommen hatte, ihr Bett passend zu beziehen. Sie schafften es trotz dieser Inspiration nur zu kuscheln und zu knutschen.

Der Dienstag begann aber nicht ohne Sex für Kai und Jan, so dass Kai noch in der Dusche war und Jan verfluchte und sich zugleich insgeheim wünschte, dass er das, was ihm eben gerade im Bett eingefallen war, noch einmal tun könnte, als es an der Tür klingelte. Es war Thilo, samt Skripten, Büchern und Panik.

Kai hörte Jan und ihn auf der Dachterrasse reden und ließ ihnen einen Moment ungestörte Zeit. Außerdem brauchte er selber noch etwas, um sich herzurichten. Gähnend kam er aus dem Bad und betrachtete in dem alten Jugendstilspiegel von Hannah seinen Hintern in der neuen Shorts mit neuem Knutschfleck, als Renate und Holger zu ihnen kamen und er sich zum Anziehen in sein Zimmer flüchten musste. Und genau in diesem Moment wurde es natürlich stressig.

Zuerst zeigte Renate Kai die Fotos von der Hochzeit und fragte, ob er Abzüge haben wollte. Das wollte er nicht. Dann lotste sie ihn in die Küche, während Thilo und Jan draußen auf der Terrasse noch redeten und fragte leise, ob seine Eltern sauer waren, wegen der gebrochenen Nase des DJs.

Kai schnitt den Salatkopf auf, den sie ihm gereicht hatte und schüttelte den Kopf. "Die haben nichts davon mitbekommen."

Sie sah ihn von der Seite her a:. "Hat Jan dir gesagt, weswegen ich so... ausgerastet bin?"

Kai häufte die Salatschnipsel in die große Schale mit den Sonnenblumen, die sie von Hannah hatten und starrte sie an. "Was? Natürlich nicht!" Und sämtliche Abteilungen, von der unbelehrbaren Neugierde abgesehen, wollten auch nichts davon hören.

"Ich meine ja nur. Ihr teilt doch eure Geheimnisse, oder nicht?"

"Ja, aber nicht anderer Leute. Wenn er sagt Arztgeheimnis, dann meint er das auch."

"Willst du das gar nicht wissen?" Sie rührte die Soße um und kippte noch etwas Salz nach.

"Auf keinen Fall! Danke!"

Renate lachte auf, dann seufzte sie: "Nur falls... frag Jan. Ist in Ordnung, wenn er dir das erzählt." Sie sprang dann im Thema zu Tini und von dort zu ihrem Umzug, während sie draußen den Gartentisch deckten. Vorsichtig fragte sie Holger, ob er ihr beim Tragen von ein paar Möbelteilen aus der alten in die neue Wohnung helfen konnte. "Wir lösen die Wohnung komplett auf. Die dritte im Bunde will vielleicht mit ihrem Freund dann zusammen dort weiter wohnen. Mal sehen."

Auf die Idee, mit Benni zusammen zu ziehen war tatsächlich Benni selber gekommen. Renate war erstaunlich zurückgelehnt, was ihn anging. Natürlich war sie zugleich ihren Prinzipien treu. "Ich hab ihm gesagt, dass ich nicht dauernd über seine Freunde stolpern und es wissen möchte, wenn er Party macht. Er meinte aber, dass er mir versprechen kann, dass er in der nächsten Zeit durch sehr viel Arbeit wenig da sein wird. Ich bin eigentlich froh, dass es so gekommen ist. Wir zwei passen eben gut zusammen."

Kai betrachtete diese neue Entwicklung aber mit Sorge. Wenn Benni und Renate die Wohnung brauchten und Renate sie selber blieb, mit ihrer spießigen Ader, dann würde Lolli in Zukunft seine Besuche in der Stadt sehr wahrscheinlich von Kais Wohnung aus abhalten. Davon genervt, dass er dies vermutlich nicht würde verhindern können, blaffte er Lolli an, dass er sich jetzt mal ein paar Tage am Stück konzentrieren müsse und keine dummen Anrufen mehr wolle, als dieser ihn wegen irgendwelcher Pläne für die Tage in Berlin und die nächsten Flohmärkte anrief.

Als nächstes nahm Renate sich Jan vor, von dem sie auch gern Hilfe für die Möbelaktion haben wollte. Jan rückte ihr auf die Pelle und führte zur Strafe für ihre spießige Art ein psychologisches Gespräch in der Küche mit ihr, während Kai mit Thilo und Holger auf der Dachterrasse die Sonne und einen kleinen Panikanfall von Thilo genoss. Der Name Bianca fiel nicht zwischen ihnen und Kai konnte nicht erkennen, ob Jan und Thilo noch einmal darüber geredet hatten. Aber er wünschte sich, nicht wieder davon hören zu müssen.

Nachdem Renate sich ihre neuste psychologische Packung abgeholt hatte und dann Holger und Jan für den Umzug rekrutiert waren, entspannte sie sich und erklärte Thilo das nächste Horrorthema. Dies befreite den armen Kerl von seiner Panik für diesen Tag. Es war aber auch ein Horrorthema. Die Hormonkreisläufe um die Nebennieren. Kai hatte die auch noch nicht ausreichend gelernt und hörte zu, weil Renate gut erklären konnte. Holger und Jan kreuzten die passenden Fragen drinnen am anderen Tisch. Erst gegen drei Uhr am Nachmittag waren sie durch mit dem Thema. Kai war erschöpft und ihm tat der Hintern weh, vom vielen Sitzen.

Die nächsten Tage, sogar das nächste Wochenende, gingen tatsächlich so entspannt weiter. Zwischen Lernen, davon erholen, Sport, und erstaunlich viel Sex mit seinem Freund, kam Kai kaum dazu, sich noch um die dicke Fregatte Sorgen zu machen, die da in Kanada lauerte und sehr bald wieder zurück sein würde, um Ärger zu machen.

Und das Wochenende in Berlin, bei der Meierschen, wartete mit einer ziemlich großen Überraschung auf. Nicht nur für Kai, aber vor allen Dingen für ihn. Und das, obwohl das Wochenende sehr friedlich und unschuldig begann.

154

Bardo hatte von seinen Eltern die Erlaubnis erhalten, mit Kai nach Berlin zu fahren. Kai wusste dies aus erster Hand, denn Merle Fröhlich hatte ihn persönlich angerufen und informiert, dass sie ihre Erlaubnis erteilt hatte. Äußerst gekonnt hatte sie Kai ausgefragt, mit wem diese Tour stattfinden würde. Kai schaffte es mit einer recht ordentlichen Verschlagenheit, ihr Lolli zu verheimlichen.

Dann wurde Kai noch über das Ferienhaus in der Toskana und die Planung für die Renovierungsarbeiten in der Wohnung und auch der Apotheke informiert. Außerdem wollte Merle ihn sicherheitshalber wissen lassen, dass Bardo auf Sonnenöle mit bestimmten Zusätzen allergisch reagierte und keine Freigabe zum Alkoholgenuss hatte.

Aber da konnte Kai sie beruhigen. Er versicherte ihr, dass sie die Parade ansehen würden, danach dann vermutlich noch irgendwo gemeinsam Kaffee trinken und dann, bei der Meierschen, ein Abendessen vertilgen. Alkohol würde zur Verfügung stehen, aber das war ja auch bei Jan und Kai der Fall und Bardo hatte noch nie etwas getrunken.

Im Verlauf der Woche hatte Jan das Geburtstagspaket von Kais Mutter von der Post geholt und vor Kais großen Augen tatsächlich eine Fleeceweste enthüllt, die der von Kai sehr ähnlich sah. Erschaudernd befahl Kai, dass Jan das Teil niemals tragen durfte, wenn die, egal wie immer geartete, Chance bestand, dass Kai seine Weste auch trug und sie zusammen damit gesehen werden konnten.

"Was? Wieso das denn, Baby? Die ist voll gut zum Radfahren." Jan zog die Weste über und Kai holte seine hervor, um das Argument zu untermauern. Anklagend hielt er sie neben Jans. Er hatte sich tatsächlich geirrt. Es waren nicht fast dieselben Westen, es waren genau dieselben! Anklagend rief er: "Jan! Wenn wir im Partnerlook irgendwo auftauchen, sterbe ich!"

Daraufhin musste Jan sich über seinen Freund totlachen, aber stimmte zu, dass er Partnerlook auch nicht anturnend fand und das lieber erst im Rentenalter machen wollte. Er beruhigte Kai dann damit, dass er versprach, die Weste nur abends anzuziehen, während Kai seine dann morgens anziehen sollte. "Aber das aus deinem Munde, wo du doch in letzter Zeit dauernd meine Pullis trägst, Kai, das hätte ich nicht gedacht." Jan wartete Kais Rache für diese Attacke nicht ab, sondern rief bei Martina an und bedankte sich wohlerzogen und begeistert und machte sich dann, zu Kais Horror, gemeinsam mit ihr über den möglichen Partnerlook lustig.

Am Morgen der geplanten Reise nach Berlin tyrannisierte Lolli Kai mit tausend Anrufen zum Thema 'Dinge, die wir brauchen'. Übersetzt hieß es natürlich 'Dinge, die eine Lolita braucht' und Kais Tasche füllte sich mit Sonnenmilch, Klamotten für verschiedene Anlässe und seinem Krimi. Auf seinen Wunsch, und auf Lollis Wunsch, mit diversen Klamotten, die er nicht brauchte, mit einer Parfümprobe, die Lolli haben wollte, mit seinem Skript zu Muskeln und Gelenken, das Lolli allen in Berlin zeigen wollte, weil die Autoren einen attraktiven Sportstudenten auf einigen Seiten als Model genutzt hatten. Mit Bildern von den Möbeln bei ihnen und, laut Lolita auf Wunsch von Carl, mit einem Bild von Jan. Carl hatte wohl eines in nackt und appetitlich bestellt.

Kai verweigerte dies und lud sich mit Jans Hilfe ein paar Bilder auf sein Handy, darunter zwei von ihm vollkommen dreckig mit Fußballklamotten. Endlich verbot er Lolli, noch einmal anzurufen und musste seine Tasche dann noch einmal komplett neu packen, weil er seine Schuhe vergessen hatte und die Sonnenmilch sich anschickte, auf seinem Lieblings-T-Shirt auszulaufen.

Als Kai endlich erschöpft zum letzten Mal aufgelegt hatte und sich auf der Sonnenliege ausstreckte, stand Jan vor ihm, Vorführklamotten am Leib und mit nachdenklichem Gesichtsausdruck: "Ist was?"

Jan lächelt: "Sonntag."

Kai blinzelte blöd und grübelte. Sonntag sagte ihm jetzt nichts Besonderes, außer vielleicht, dass er unbedingt wieder bei Jan sein wollte. Ihm reichte die Fahrt von Freitag auf Samstag voll und ganz. "Ich werde schon Samstag, spätestens am Abend, hier sein, darauf kannst du Gift nehmen!"

Jan kniete sich auf die Liege zwischen seine Beine und blickte Kai ein wenig lauernd an. "Sonntag ist der Tag, an dem wir vor einem Jahr..."

"Ach. Du. Scheiße!" Kai blinzelte, erinnerte sich an den holperigen ersten Sex und lief rot an.

Mit lautem Lachen legte Jan den Kopf schief. "Du wirst so niedlich rot. Ich will unbedingt wissen, was du gerade denkst."

Unruhig blickte Kai auf seine Finger runter: "Ich muss grad an den Sex denken. Als du mich so unerwartet überfallen hast."

Mit einem Lächeln senkte Jan den Blick und nickte: "Überfallen..., ja, du hast immer so getan, als sei es allein meine Idee gewesen, nicht wahr?"

"Nein! Ich war nur so..., damals war ich...," Kai blinzelte, fand die Worte nicht, um seine Überraschung, Freude, Ekstase zu beschreiben. Über die Erkenntnis, dass es eine Chance gab, für ihn und Jan. Er holte Luft: "Ich war in dem Moment zu glücklich, um es zu raffen, das ist alles."

"Zu..." Jan holte Luft, dann seufzte er, sein Körper spannte sich an und Kai bekam schon Angst, das Falsche gesagt zu haben, aber Jan ließ den Kopf auf seine Brust sinken und schob die Hände an Kais Oberkörper entlang zu den Schultern: "So ging es mir auch."

Kai drückte seinen Freund einmal fest an sich. Jan roch so gut, der angespannte, unruhige Körper fühlte sich mal wieder perfekt an. Kai wollte ihn gar nicht mehr los lassen und schloss kurz die Augen. "Ich... Jan, ich..." 'Ich liebe dich. Verdammt noch mal, ich liebe dich!' Das wollte er unbedingt sagen, brachte es nicht über die Lippen. Erschaudernd holte er noch einmal Luft, mit der festen Absicht endlich mal diese Worte so zu sprechen, wie er sie fühlte, Jan kam ihm zuvor.

Er hob den Blick und lächelte: "Ich weiß." Nur ein Flüstern, aber Kai spürte, dass Jan es wirklich wusste. Er sah noch einen Moment lang in die schönen braunen Augen, die Goldfunken sprühten fröhliches Licht, wie beim ersten Mal, als sie sich angesehen hatten.

Die Abteilung miese Momente wollte ihn an die Fregatte erinnern, aber Jan küsste ihn in diesem Augenblick und als ihre Zungen sich berührten und Kai seine Finger endlich in diese nette Hose hinein und auf die Shorts gemogelt hatte, verschwommen alle anderen Gedanken gegen den Wunsch, seinen Freund nie wieder loszulassen.

Jan ging es da ähnlich, aus dem Kuss wurde eine Knutscherei und daraus wurde sehr rasant mehr. Kai war erst wieder halbwegs auf Sendung, als er auch schon gekommen war, in seiner Hose, auf der Dachterrasse! Hektisch sah er sich um, dann begann er zu schimpfen, dass so was ja immer ihm passieren musste. Dass Jan ein Monster sei. Dass er ja wirklich überfallen worden war. Jan konterte, dass Kai die Finger auch nicht mehr so recht von seinem Schwanz hatte lospellen können. Kai konterte, dass er Sauereien hasste. In seiner Lieblingsjeans, verdammter Scheiß und außerdem ... Jan lachte ihn aus und zog ihn an der Hand mit zum Bad, um seine Vorführklamotten locker in die Wäsche zu befördern.

Gleich darauf standen sie nebeneinander vor dem Kleiderschrank. Kai zog sich eine Shorts über und ein frisches T-Shirt, Jan ein neues Oberhemd und eine helle Stoffhose, in der Kai ihn noch nie gesehen hatte. "Gott, Jan! Dabei hatte ich das Hemd grade erst gebügelt. Hätten wir nicht nur knutschen können?"

Jan hielt ihm seinen linken Ärmel zum Zuknöpfen hin: "Apropos. Baby, denkst du dran, dass du Bardo knutschen musst? Zur Feier des Tages und weil er das zum Geburtstag haben wollte?"

"Jan! Kann ja wohl nicht angehen! Ich will nicht."

Jan grinste, offensichtlich zufrieden mit der Antwort: "Hm. Vielleicht besser so. Sonst will er das noch später dauernd mit dir machen. Du kannst so gut küssen..., ich vergesse immer wo ich bin, wenn du das machst."

"Das hab ich eben gesehen." Aus seiner Entrüstung wurde ein Lachen, als Kai sich erinnerte, dass auch sein Kopf eben gerade komplett leergefegt worden war. "Das gilt aber auch für dich. Ich mein... auf der Dachterrasse, Jan!"

Jan feixte: "Geile Idee, lass uns..." Er umfing Kais Handgelenk.

"Oh nein!"

"Oh ja! Jederzeit wieder."

"Ein Glück sind Leon und Felix nicht da."

"Na und?" Jan entließ Kais Handgelenk und hielt Kai seinen anderen Ärmel hin. Er seufzte: "Mach nicht zu viel mit dem Bambi rum, okay?"

Kai knöpfte pflichtschuldig zu, dann schmuste er sich dichter und küsste Jan auf den Hals: "Hör zu. Wir fahren nach Berlin, schauen uns die bunten Wagen und lustigen Leute an. Gaffen ein paar Jungs auf den Hintern und auf die eingeölten Körper und in den Schritt, und ich hoffe sehr, dass Lolli sich nicht anfummelt und noch mehr, dass die Meiersche als Carl kommt. Mehr wird nicht passieren!"

"Warten wir das mal ab, Baby." Jan strich sein Hemd glatt: "Ich für meinen Teil bin pessimistisch. Hast du dein Handy aufgeladen?"

"Hm. Natürlich."

Jan seufzte, blickte unschlüssig zur Uhr, dann seufzte er noch einmal: "Nächstes Jahr..."

"Jan! Nein! Ich fahr nicht zum Kaffee zu deinen Großeltern, da kann dein Vater noch so Geburtstag haben und du kannst da noch so geil aussehen in diesen Hosen!"

"Ist ja gut." Jan grinste ihn an: "Ich bin morgen wieder hier."

"Ich auch! Auf jeden Fall!"

"Heb di leev." Jan küsste ihn noch einmal rasch, dann schnappte er seine Tasche und verschwand.

Kai war gerade erneut auf der Sonnenliege kollabiert, nachdem er sie misstrauisch nach Flecken abgesucht hatte, und hatte seine Augen gerade wieder seufzend geschlossen und genoss, dass es noch nicht so affenartig heiß war, als ein Schatten auf ihn fiel und Bardo da stand. Wuselig glücklich und voller Vorfreude auf den Tag.

Kai und Bardo tranken zusammen noch ein Wasser und verglichen ihre Taschen, als es schon wieder an der Tür klingelte und sie abgeholt wurden. Lukas hatte seinen Noppi dabei, war super gut gelaunt und sah super gut aus. Trainiert, braun, gesund und voller Energie. Die Haare stürmisch frisiert, was ihn jünger machte. Er küsste Bardo auf die Wange und Kai auf den Mund, bevor er sie einsteigen ließ. "Lena war noch nicht fertig. Wie kann man nur auf die Idee kommen, sich die Haare eine halbe Stunde vor Abfahrt noch zu färben?"

Noppi lächelte Kai zu, umarmte ihn und Bardo, und er schien auch voller Vorfreude auf den Ausflug nach Berlin. Allerdings hatte er dort auch einige Freunde, von denen er auf der kurzen Fahrt zu Lolli berichtete.

Lolli kam in Form von Lolita in einem ziemlich scharfen Sommerkleid, zu Korksandalen mit Absätzen, zu denen Lukas mutmaßte, dass er die sehr bald gegen Latschen würde austauschen müssen. Lolli kümmerte das nicht, aber seine Fröhlichkeit hatte einen aggressiven Unterton. "Ihr Lieben! Ich bin in Ekstase! Das Wetter ist geil, ich habe meine Nägel hinbekommen. Schaue sich einer nur diese süße Farbe an und perfekt zum Kleid!"

Missmutig verschränkte Kai seine Arme. Die Abteilung Stil und Stilbruch schrie stumm auf und ergriff die Flucht, während Noppi vorsichtig mutmaßte: "Es könnte am Licht hier im Bus liegen, aber schaut ziemlich heftig nach Neonpink aus, Lolli."

"Ba-nau-seee! Pink! Das ist herzallerliebstes Rosé! Außerdem fühlt mal meine Beine! Es ist ein Traum, diese neue Enthaarungscreme macht aus mir eine echte Diva. Vor allem unten rum, wo man sonst immer diese ekelig stacheligen..."

Entsetzt blendete Kai Lollis Intimrasurerlebnisse aus, während Noppi und Lukas vorn diskutierten, ob sie die eine oder andere Strecke zur Autobahn wählen sollten. Noppi gewann mit dem Argument, dass auf der von ihm vorgezogenen Strecke diese superheiße Unterhosenreklame aufgestellt war. Bardo war derweilen mit dem Handy beschäftigt. Als Kai einmal rüber blickte, sah er, dass es sich um eine Unterhaltung mit der geilen Anna, Leons Tochter, handelte und sah rasch wieder fort, um nicht aus Versehen Dinge zu lesen, die er nicht lesen wollte.

Lolli war noch immer bei den Beinen und es ereilte natürlich Kai. Er saß am nächsten und musste fühlen, weil ihm die anderen per Blickfunk schon Waffen vor die Nase hielten, damit jemand Lolli endlich mal auf ein anderes Thema brachte. Hastig tätschelte er Lollis Knie und fragte etwas hilflos "Lolli, willst du so zur Parade?"

"Nein! Natürlich nicht! Wo denkst du hin!"

Kai wollte schon erleichtert aufatmen, als Lolli hinter sich wies, wo Lukas Mühe gehabt hatte, seine Taschen und Kleidersäcke zu verstauen. "Für diesen besonderen Anlass werde ich natürlich die gute Perücke aufsetzen und das neue Glitzerkleid anziehen, das passt dann auch perfekt zu den Nägeln. Vielleicht aber auch den Traum in weiß... mal sehen, eigentlich ist ja keine White-Party, aber zwischen all den Regenbogenfarben fällt man mit Weiß vielleicht mehr auf. Hach, ein Glück ist Lena dabei, die versteht was von Frisuren." Er strich sich noch einmal über die Beine und seufzte selig, bis Lukas ihm mitteilte, dass das Zeug offenkundig einen Kaktus in einen Babypopo verwandeln könne, wenn der Effekt bei Lolli so ausgezeichnet war.

Böse grinsend zog Lolli eine gemalte Augenbraue nach oben und versetzte: "Und? Ich leih dir das dann besser mal für deinen Rücken! Sparste dir das Geld, was du sonst dauernd für Wachs rausschleuderst."

Lukas lachte: "Autsch. Hast du deine Tage, oder was, Lolita?"

Er kannte Lolli offenkundig gut, denn der antwortete auf die Fingerkrallen blickend: "Es ist irgendwie komisch. Die Meiersche hat einen neuen Freund." "Und? Seine Toys haben ihn doch nie verändern können und ihr Tanten seid die besten Freundinnen, oder nicht? Wo ist das Problem?"

Der Weg zu Lenas Wohnung wurde kurzweilig. Sie diskutierten, was Lolli vom neuen Freund wusste, im Vergleich zu seinen letzten, was erstaunlich informativ für Kai war, obwohl Lolli noch nicht sonderlich viel hatte herausfinden können. Es war wohl Carls Art, die Freunde immer persönlich vorzustellen, damit keine falschen Bilder entstanden. Diese sogenannten Spielzeugfreunde der Meierschen schienen alle einem sehr genauen Schema zu folgen. Sie waren gestylt, jung, trainiert, meist noch nicht lang oder noch gar nicht in der Szene unterwegs und in der Regel obermegamackig. Die meisten hatte Carl sich über das Internet wegen Problemen aufgerissen, die aus diesen Macken entstanden waren. Die Meiersche wollte den CSD nutzen, um seinen Neuen bei allen vorzustellen und hatte Lolita anscheinend um wohlerzogenes Benehmen gebeten.

Etwas gereizt tat Lolli bei Lena vor dem Haus kund: "Auf keinen Fall werd ich mich verstellen, um diesem Spielzeuglover zu gefallen! Ist doch eh immer das gleiche. Probleme und Problemchen machen aus Carl den Retter in der Not. Kaum ist die Rettung perfekt, kommt ein Prinz daher und schnappt sie ihm weg. Kaum geht es mit dem in die Binsen, kommen sie angekrabbelt und machen ihm ein schlechtes Gewissen. Und dann ist er für Wochen depri, bis die nächste Prinzessin um Hilfe schreit. Gott! Hanno, allein schon wieder!"

Lukas lachte auf, nicht bereit, sich auf Lollis miese Stimmung einzulassen. "Er macht es aber richtig. Erst wird gerettet, dann gebettet!"

Kai prustete und fand Lukas klasse und seine gute Stimmung ansteckend. Bardo blinzelte verwirrt und schwieg vorsichtshalber.

Lolli war humorlos: "Jajaja, lach du nur. Aber ich finde es echt pathetisch! Die sind keine zwanzig, sehen aus wie Barbies Ken in jungen Jahren, perfekt, glatt, leer und hohl..." Er seufzte auf.

Lukas grinst: "Und geil und niedlich und jung und... erwähnte ich geil?"

Kai rückte mit Bardo nach hinten, um Lena und Henrike zu Lolli auf die Bank zu lassen und seine Ruhe haben zu können. Lukas öffnete die Wagentür und lehnte sich zu Lolli hinein: "Und du, Lolita? Biste jetzt mit einem Mal eifersüchtig darauf? Du magst seine Jungs doch nie, das wissen wir alle."

"Ich mag nicht, was sie Carlchen antun..., irgendwann!" Lolli warf die Hände in die Luft, aber stieg dann aus, um seine langen Beine zu strecken und Lena anmutig neben die Wangen zu knutschen. Zu Henrike sagte er etwas mit den Fingern deutend: "Ich begrüß dich auf die Ferne. Wenn ich mich zu dir runterbeuge, Henrike, dann hab ich hinterher schlimmere Bandscheiben als Lukas."

Lukas hob die Brauen: "Autsch! Immer auf mich! Hast du keinen Sex bekommen oder was?"

Lolli verdrehte die Augen zum Wagenhimmel und seufzte. Lukas fuhr gemächlich los, während sie sich noch anschnallten und sortierten. Er bog auf die Kreuzung ab und sie seufzten einmal alle, als die Unterwäschereklame in Sicht kam.

Kai grinste, das war den Umweg in der Tat wert. Jan war natürlicher, außerdem gehörte Jans trainierter Körper samt der Muskeln überall ihm persönlich und daher war er in seinen Augen geiler, aber der Anblick des Models am späten Morgen ging durchaus in Ordnung.

Bardo fand das nicht, kritisch meinte er: "Wer trägt denn so enge Unterwäsche? Das ist doch krass unbequem."

Erstaunt sah Noppi sich u:. "Unbequem? Die sind herrlich. Und man sieht sie kaum, spürt sie kaum, ist wie nackt laufen. Die sind den Preis echt wert."

"Und die Teile drücken mir die Eier ab. Ich zieh die auch nicht an", unterstützte Lukas Bardo, aber kam auf Lolli zurück: "Na, was hat denn meine Lolita gebissen?"

Lolli verzog den Mund und verschränkte die Arme, dann platzte er übelgelaunt heraus: "Es ist Geoffrey! Er will nicht..."

"Eh." Kai blinzelte und fragte wage hoffnungsvoll: "Nicht mehr mit dir zusammenziehen?"

Lolli drehte sich um und starrte ihn unter dicken schwarzen Wimpern her an: "Ficken!" ,zischte er dann übellaunig.

Bardo lief an wie eine Ampel, über mittelrot zu dunkelrot. Kai schwieg sauer darüber, dass er in die Falle getappt war. Die Fraktion Klatsch und Tratsch schlug vor, Lolli um die näheren Details zu bitten. Die Abteilung Abartigkeiten fand Lolli sowieso abartig hoch zehn und war auch interessiert. Mies gelaunt verschränkte Kai die Arme.

Lukas' Stimmung war nicht zu ruinieren. Er lachte auf: "Aha. Da haben wir den Salat. Lolita hat nicht genug bekommen und ist jetzt..."

"Nein! Ich bin natürlich total viel mit Frank in die Kiste, aber...", Lolli warf die Arme hoch: "Sollte es nicht jetzt überromantisch und geil werden zwischen Jiffy und mir? Wir ziehen zusammen, Herrgott noch mal! Wir vertragen uns auch total gut, alles wäre super, wenn er nicht so merkwürdig abgeneigt wäre. Wir werden in dieser total niedlichen Wohnung gemeinsam in einem Bett schlafen und wenn dann da so wenig läuft wie hier, dann sterb ich."

Lena legte den Kopf schief und meinte: "Und wenn er nicht mit dir schlafen will, eben weil du so untreu bist?"

"Das weiß der doch gar nicht. Außerdem war es zwischen uns klar, dass wir eine offene Beziehung führen. War schon von Anfang an so und das war seine Idee! Das war ja das Tolle. Kann mir nicht vorstellen, dass er sich da groß ändern will."

"Solltet ihr das nicht mal vorher besprechen?"

"Reden! Das machen wir dauernd. Reden, reden, reden. Blablablablabla. Über Liebe, Freundschaft, über das Leben, die Philosophie der Badesalze und Treue. Leider nie über Sex, nicht im praktischen Sinne. Da blockt er ab. Vor allem tun mag er nix. Irgendwie ist er voll in der Sinnkrise, seit sein Ex über den Jordan gegangen ist. Ich bin schon total genervt. Immer nur mit Frank ist nicht das Wahre, sonst wäre ich wohl noch mit dem zusammen."

"Hm. Klang das nicht mal anders?" Kritisch erinnerte Kai sich an einen euphorisch treuen Lolli während der HIV-Hysterie: "Warst du nicht mal auf dem Treuetrip?"

"Da dachte ich auch, dass wir zwei dauernd wie verrückt loslegen würden, wie eben vor dieser Krise. Aber seitdem ist er wie..., blockiert eben. Will nur noch kuscheln, romantisch sein. Wir sehen uns allerdings auch kaum, weil er so doofe Arbeitszeiten hat. Und dann ist das alles immer so unspontan. Er kommt von einer Schicht, hat vier Stunden Zeit, da muss man losspringen. Schon logisch, dass er vielleicht auch erstmal mit mir über die Wohnung reden will..., dann reden wir und, hoppla hopp, springt er auf, huscht in die Uniform und ich sitz da, mit meiner Lust."

"Aber warst du nicht auch mal so drauf? Zusammensein und so? Vielleicht ist das wirklich, weil er durch den Ex gesehen hat, was wirklich wichtig ist. Zudem macht es ihn vielleicht nicht gerade an, dass du so anti bist, was positive Leute angeht."

Lukas sah sich kurz um, dann meinte er: "Stimmt. Du bist da ja immer extrem gewesen, hat sich das geändert durch diese Sache?"

"Quatsch! Wäre er positiv, würde ich sicherlich nichts mehr mit ihm machen! Ist ja gruselig, da hätte ich nur noch Schiss! Ist auch total abturnend."

"Lolli! Echt jetzt!" Lena stemmte eine Faust in die Hüfte.

Henrike blinzelte ihn an, offensichtlich zwischen fasziniert und ablehnend noch unentschlossen." Findest du das nicht ein kleines wenig oberflächlich?"

"Wieso? Nein. Es ist so. Ich fühl mich von dem Gedanken allein total abgeturnt und wenn ich das vorher so sage, ist das Ehrlichkeit."

Noppi blinzelte und holte Luft, dann sagte er leise: "Du, ich finde das auch nicht gut. Das kann man nicht so pauschal sagen, Lolli."

"Was weißt du denn schon von so was, du Milchbrötchen!"

"Lolli!" Lukas sah kurz strafend zurück. Kai fand es niedlich, dass er seinen Freund verteidigte und lächelte. Er war insgesamt wieder mal für seinen Exfreund ganz eingenommen, was die Abteilung Treue und ihre Nebenwirkungen mit Sorge anmahnte.

Noppi hob die Schultern, von der Attacke nicht sonderlich beeindruckt. "Mein erster richtiger Freund war positiv. Wir waren fast zwei Jahre zusammen, bis er beruflich ins Ausland gegangen ist. War schon viel älter als ich, hatte einen tollen Job, ganz gut Geld und so. Ich hab alle drei Monate Tests gemacht und wir waren vorsichtig, aber sonst war die Beziehung wie jede andere auch. Er hat ein paar Medikamente genommen, aber ehrlich, das tut Benni auch. Seine Erkrankung ist auch gefährlich, ändert sein Leben, ist immer dabei. Aber davon muss man sich das Leben doch echt nicht komplett versauen lassen. Wenn man sich liebt, dann stellt man sich darauf ein." Er blickte sich um und hob die Schultern, als wollte er sich für seine Einstellung zu den Dingen entschuldigen. Alle anderen starrten ihn stumm an.

Bardo hob den Kopf und meinte, im Gegensatz zu allen anderen, nicht so richtig schockiert und ungemein scharfsinnig in Lollis Richtung: "Dann ist es wohl doch irgendwie so, dass du Geoffrey gar nicht liebst, oder?"

Und Lolli starrte zwischen Noppi und Bardo etwas hin und her und blieb einige Autobahnkilometer lang angenehm sprachlos.

Kai genoss die neue Ruhe, mochte selber zu diesem Thema auch nichts beitragen und wandte sich Bardo zu, um mit ihm die Verhaltensregeln für den Tag zu besprechen und sicher zu stellen, dass Bardo auch wirklich seine Handynummer, und die von der Meierschen, und seine Adresse eingespeichert hatte.

Lolli nahm dies zum Anlass, Kai als Kindergärtnerin zu bezeichnen: "Bastel ihm doch so ein süßes Armband mit deiner Handynummer, Kaichen, dann können Leute, die ihn einsam und verloren auf der Straße finden, gleich bei dir anrufen."

Grummelig verschränkte Kai die Arme und unterdrückte den Wunsch, Lolli den Mittelfinger zu zeigen, während Bardo sich fröhlich bemuttern ließ und Kais Sorgen damit verflüchtigen konnte, dass er tatsächlich die Nummern und Adressen sorgfältig speicherte und sich vergewisserte, dass sein Akku den Tag noch halten würde.

In der Zwischenzeit hatte Lolli sich wieder gefangen, aber beäugte Noppi mit Argwohn. Er telefonierte dann etwa alle zwanzig Kilometer mit der Meierschen, bis diese sich in die Dusche verabschiedet und dann das Handy ausgestellt hatte. Danach war Lena dran.

"Und? Wieder mal lesbisch, meine Liebe?"

Lena hob eine Augenbraue und sah zu Henrike neben ihr. "Lolli, ich bin nicht mal lesbisch und mal nicht. Ich bin immer bisexuell gewesen."

"Ja, das sagen sie dann immer. Mal voll scharf auf einen Kerl, dann wieder mit einer Frau am knutschen...Wat willste denn nu? Nimmst du von beiden Seiten immer die Vorteile für dich, oder nervt dich der Bömmel vorn irgendwann an und dann willste lieber Brüste, oder... ist es nur der Sex, mal so geil und mal so? Und du hältst mir Vorträge wegen Treue."

"Ich bin nicht so verlogen, dass ich hinter dem Rücken meiner Freunde oder Freundinnen rumficke!"

"Nich, ja?" "Das geht dich außerdem einen Dreck an!" "Was biste so gereizt? Die Frage ist ja wohl erlaubt!" "Das könnte ich ja wohl auch fragen. Was ist mit dir los? Natürlich werd ich sauer, wenn man meine Gefühle auf Sex reduziert!" "Ist es was anderes?"

"Natürlich ist es das! Ich bin es verdammt noch mal total leid, wenn diese scheiß Vorurteile immer wieder kommen! Ich bin, hört, hört, in der Lage, ernsthafte Beziehungen und Sex mit beiderlei Geschlecht zu genießen und mir zu wünschen. Ich bin weder von Bömmeln noch Busen genervt, noch find ich Männer doof und dann wieder Frauen zickig. Es ist einfach so, dass ich mich in Personen verliebe, in ihr Lachen, ihre Art, in ihr Aussehen, ihre Energie...

Ich liebe Menschen, nicht auf ein Geschlecht reduziert, und basta! Ich verliebe mich wirklich, Lolli. Es ist schön, es ist frei..., oder es könnte frei sein, wenn die anderen mir nicht immer genau diese Scheiße vorwerfen würden, die du grad anbringst. Auf Neid kann ich verzichten und auf deine dummen Sprüche auch!" Lena verschränkte die Arme.

Lukas betrachtete sie kurz im Rückspiegel des Wagens, dann sagte er "Und? Was, oder vielmehr wer ist es denn derzeit, Lena? Und keif nicht wieder. Ich hab schon länger nichts mehr von dir gehört. Wenn ich ehrlich bin, macht mir das immer Sorgen."

Lena seufzte und blickte aus dem Fenster. Dann betrachtete sie ihren Bruder und tauschte einen Blick im Rückspiegel mit ihm. Unvermittelt lachte sie und lehnte sich vor, um Lukas auf den sauber ausrasierten Nacken zu knutschen. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals: "Hast ja Recht, ich plane was, aber noch nur für mich. Wir reden morgen, versprochen. Hab dich lieb, mein Dicker."

Er lachte und blickte einmal rasch in den Rückspiegel: "Jetzt bin ich total besorgt. Wenn du mich wieder so nennst."

Noppi betrachtete Lukas angespannt. "Dicker?"

"Hm." Lena grinste ihn an. "Lukas war als Kind das totale Moppelchen. Alle haben ihn immer in die Wangen gekniffen und Dicker genannt. Auf dem Hof war das ein Kompliment. Nanna, unsere Oma, hat das angefangen. Die hat sich immer gefreut, dass er so gut im Futter war, weil sie noch vom Krieg in Erinnerung hatte, wie das ist, wenn Kinder hungern müssen. Dick blieb er bis er so dreizehn oder vierzehn war. Mit einem Mal hat er einen Schuss getan und sich verdoppelt, war zwei Jahre lang noch total dünn und dann fing er ja mit dem Sport an."

"Ich bin auch gerade total krass gewachsen und wiege nicht genug", verkündete Bardo, offenkundig froh, dass die Unterhaltung sich einem ungefährlichen Thema zuwandte, bei dem er mitmischen konnte.

"Und du, Kai? Warst du jemals zu dick, zu dünn oder gar, man mag es kaum glauben, ein hässliches Kind?" Lauernd drehte Lena sich um.

Kai hob die Schultern. "Keine Ahnung. Meine Mutter meinte, dass ich immer hübsch war, aber da ist sie sicherlich voreingenommen, wie jede Mutter. Ich war jedenfalls immer zu klein und hab nie einen Wachstumsschub durchgemacht, nicht dass ich wüsste."

"Sei froh." Leidend verschränkte Bardo die Arme. "Tat voll krass weh. Die Knie und in den Hüften. Die sind immer noch nicht so richtig gut."

"Und wir sind vom Thema 'Lenas neuste Beziehung' abgekommen", erinnerte Lolli gnadenlo:. "Bist du etwa solo?"

"In der Tat. Aktuell, hört hört alle mal wieder, bin ich für ein paar Tage mal ohne Mann oder Frau."

Kai blickte von Henrike zu ihr und schwieg. Lolli blickte von Lena zu Henrike und meinte taktlos: "War das doch nix mit euch oder was?"

Henrike lächelte Lena zu und sah dann aus dem Fenster. Lena zuckte mit den Schultern: "Wir sind Freundinnen. Auch das gibt es. Mal ganz ehrlich, wenn man bisexuell ist, muss man doch auch Freunde und Freundinnen haben. Ich kann doch nicht wirklich immer nur meinem Bruder all mein Leid klagen, da wird der ja wahnsinnig."

Unsicher, ob er jetzt mit Henrike Mitleid haben sollte oder nicht, sah Kai auf das Handy in seiner Hand und schickte Jan gleich mal eine sehnsüchtige Nachricht.

Bardo hingegen meinte: "Freunde kann man auch lieben, oder?" Er tat das sicher, um die Stimmung noch mehr anzuspannen. Denn nun sahen alle zu ihnen nach hinten.

Lena drehte sich zu Bardo um, blickte scharf zwischen ihm und Kai hin und her und fragte: "Habt ihr zwei etwa...?" "Nein!" Kai sah sie böse an. "Hallo?" Bardo wurde rot. "So meinte ich das doch gar nicht..."

Henrikes raue Stimme unterbrach Lolli in einem sicherlich taktlosen Kommentar, indem sie fest sagte: "Man kann sich auch platonisch lieben. Das ist keine schlechtere Liebe als eine, die man mit Sex besiegelt."

"Nee, schlechter nicht. Sicher." Lolli sah sie kritisch an: "Aber sicherlich unbefriedigend. Aus meiner Warte kann ich sagen, dass es überaus unbefriedigend ist! Und nur zu eurer Information, ich liebe Geoffrey, wirklich, aber ich brauche Sex. Ich bin eben eine sexfressende Pflanze."

Lukas grinste ihn im Rückspiegel kurz an und verkündete: "Und eine Wunderschöne. Pink steht dir, Lolita." Und das war der Retter in der Not für die Stimmung im Wagen. Das Thema schwenkte um zu Nagellack. Zu ihrer aller Glück kam in diesem Moment außerdem das aktuelle Lieblingslied von Noppi im Radio und wurde von Lukas sofort fürsorglich lauter gedreht. Vorn bei Fahrer und Beifahrer stieg die Laune und das Thema hinten wandte sich ebenfalls der Musik zu. Lena drehte sich zur Rückbank um und erging sich in Fragen und Diskussionen mit Bardo, dessen Wissen zu Musikbearbeitungprogrammen wohl dem seines Bruders in nur sehr wenig nachstand.

Kai begab sich für die restliche Autofahrt nach Berlin zutiefst dankbar in seinen Standby-Modus und genoss die Pause. Und die brauchte er auch, denn die Stimmung zwischen der Meierschen und Lolli war hysterisch, sobald sie einander erblickt und geknutscht hatten.

Kaum angekommen durchwanderte Lolli die Wohnung auf der Suche nach dem neuen Lover, bis Carl, sehr nüchtern gekleidet und gar nicht geschminkt und irgendwie auch überhaupt nicht gut gelaunt, ihnen sagte, dass sein neuer Freund noch nicht da sei, sich vielleicht etwas verspäte, und sie nach dem Essen einfach alle schon mal losgehen sollten. Danach wechselte er das Thema geschickt, zum Essen. Es gab Salat, was bei der Hitze kaum verwunderlich war. Alle aßen auf dem Balkon an Carls Klapptisch, wo sie auch nur ausreichend Platz hatten, weil Noppi bei Lukas auf dem Schoß saß, Henrike sich mit ihrem Teller in einen Sonnenflecken auf den Fußboden setzte und Carl nicht am Tisch mit saß, sondern um sie herum tüddelte und beteuerte, dass er keinen Hunger mehr haben, nachdem er alles beim Vorbereiten hatte abschmecken müssen.

Danach war es an der Zeit, sich in die Stadt zu stürzen, da die Parade schon längst angefangen hatte, auch wenn Carl nicht beunruhigt war. "Ach, bis die Wagen bei meinem Stammplatz vorbei kommen, ist noch etwas Zeit, ihr Lieben." Die Meiersche sah nach seinem Handy und seufzte gestresst: "Geht doch einfach schon los. Ihr könnt unterwegs an der Ecke ein Eis essen. Ich hole euch schon ein, ja?"

Lukas blickte Carl etwas misstrauisch an, aber hatte dann damit zu tun, die Schlafordnung zu klären. Er wollte sich mit Noppi das Schlafsofa teilen. Lena und Henrike würden bei einer Freundin von Lena in der Nähe nächtigen und Lolli bekam das Gästezimmer für sich und wen auch immer er an diesem Tag vielleicht aufreißen wollte.

Für Bardo und Kai blieb der Fußboden neben Lukas und Noppi. Diskussionen um einen möglichen Tausch, um erträglich liegen zu können, schnitt Lukas mit einer Bemerkung zu seinem Rücken ab und so warf Kai sich die Isomatte neben das Zeug von Bardo und verschob jeden weiteren Gedanken an seinen eigenen Rücken auf irgendwann in der Nacht. Wenn es gut lief, war er dann betrunken und so müde von dem Tag, dass er einfach einpennen würde.

Und müde sollte er nach diesem Tag wirklich und wahrhaftig sein. Aber es wurde das Schlafarrangement durch das Schicksal neu gemischt und außerdem war der Grund seiner Ermüdung in der Nacht dann ein gänzlich anderer, als die angenommenen gelatschten Kilometer zur Parade, die laute Musik oder eine Hatz nach einem ihm abhanden gekommenen Bardo.

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