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Denn gemeinsam sind wir stark

Teil 1

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1. Kapitel

---Thore---

Es war unnatürlich. Januar... und 10 Grad über dem Gefrierpunkt.

Thore war froh, dass seine Oma darauf bestanden hatte, die dicke Daunenjacke anzuziehen, trotz der frühlingshaften Temperaturen. Und er war ebenso froh, dass er ausnahmsweise mal auf seine vorrübergehende Erziehungsberechtigte gehört hatte.

Denn ein 'Frosty' war der braunhaarige Mittelstufenschüler ohne Zweifel.

Mit vor Kälte zitternden Knien überquerte er die Straße, um zu seiner Schule zu gelangen.

Am Schultor, welches dank des Rostes schon sehr brüchig aussah, erwartete ihn wie jeden Morgen schon sein bester Freund.

Kilian. Grau gefärbte, hüftlange Haare, grüne Kontaktlinsen, leicht russischer Akzent.

So war er am Besten und am Erschreckensten zu beschreiben.

Genauso einschüchternd war auch sein Charakter. Unausstehlich, kratzbürstig und morgens grundsätzlich mies gelaunt, eine männliche Zicke ersten Grades ; ohne dabei tuckig zu wirken. Doch zu Thore war er immer anders.

---Kilian---

Dieser grau-nasse Januartag begann wie viele Tage im Leben Kilians. Er war früh morgens aufgestanden, um sich fertig zu machen. Im Gegensatz zu vielen anderen Jungs in seinem Alter hatte er nämlich keine Mutter, die vor ihm aufstand, um ihm sein Frühstück fertig zu machen. Das musste er schon immer alleine machen. Das erste, was ihm nach dem Aufstehen entgegenschlug, war der Alkoholgeruch, der überall in der Wohnung hing. Es schien, als habe sich sein Vater wieder einmal besoffen. Und mit dieser Annahme hatte Kilian durchaus Recht. Als er, nachdem er sich fertig gemacht hatte, durch die Wohnung schlich, sah er seinen Vater auf dem Sofa liegen und schnarchen. Die Bierflasche noch in der Hand. Kilian seufzte leise, nahm sich einen Apfel aus einer Schale und verließ das Haus. Während er stumm den Weg zur Schule entlangging, hing sein Blick an dem dunkelgrauen Himmel.

Er stand erst ein paar Minuten am Schultor, als sein bester Freund auftauchte.

Thore. Dieser hatte braune Haare, die vom Kinn ausgehend nach hinten immer kürzer wurden. Die dunkelbraunen, fast schwarzen, Augen versteckte er gerne hinter ein paar Haarsträhnen. Auf andere musste er furchtbar eingeschüchtert wirken, dachte sich Kilian. Aber er wusste nicht, was er ohne Thore tun würde. Freundlich lächelnd ging er einen Schritt auf diesen zu. „ Na, gut geschlafen?“

---Thore---

Der Braunhaarige legte die Arme fest um seine Brust, um sich selbst zu wärmen. Mit leiser, krächzender, durch die Kälte gefrorener Stimme gab Thore ein furchtbar heiseres »Guten Morgen« zurück. Seine Zähne schlugen aufeinander als er empfahl, doch in das verhasste Schulgebäude zu den noch verhassteren Mitschülern zu gehen.

Leider befand sich gerade in dem Folterhaus die rettende Heizung, also hatte Thore zwischen dem Übel Kälte und Menschen wählen müssen. Nicht, dass ihn die andern nicht mochten... sie hatten schlichtweg kein Interesse an ihm. Auf sie wirkte er langweilig, typischer Durchschnitt eines Weicheis halt. Deswegen waren sie -die Mädchen ganz besonders- wohl auch so neidisch auf ihn, weil er mit dem coolsten Typen in der Schule rumhing.

Immerhin war Kilian zwei Klassenstufen über ihm und durch sein Äußeres extrem beliebt, obwohl er allen damit Angst machte oder im allgemeinen Aufsehen erregte. Insgeheim fanden ihn alle toll und niemand konnte verstehen, warum sich dieser krasse Typ von menschlichem Leben mit so einer Couch-Potatoe abgab.

Der 9.Klässler zupfte noch einmal seine recht unauffälligen Klamotten unter der dicken Jacke zurecht und überlegte, welche Blicke ihm heute wieder zugeworfen wurden und sah seinen Gegenüber fragend an, wartete auf seine Entscheidung.

---Kilian---

Kilian nickte kurz ohne noch etwas zu sagen. Er sah, wie kalt Thore war und auch wenn er keine Lust hatte in die Schule zu gehen und wieder von den ganzen Mädchen begafft zu werden, wollte er es seinem Freund nicht antun noch länger draußen in der Kälte verweile zu müssen. Seine Schritte richteten sich automatisch auf das große, anscheinend schon uralte Gebäude. Ein leises Seufzen entfuhr seinen Lippen, dann aber lächelte er Thore wieder ruhig an. „Und? Was erwartet dich heute so an Unterricht?“ Eigentlich kannte Kilian Thores Stundenplan auswendig, aber er mochte diese Stille einfach nicht. Er empfand es als Qual lange zu schweigen. Zumindest in manchen Momenten. Als sie das Schulgebäude betraten, sah er sich eine Zeit lang um. „Und wohin jetzt? Ich hab noch keine Lust in meinen Klassenraum zu gehen. Wie ich die Weiber kenne lauern sie mir da schon wieder auf...“ Seine Stimme klang genervt, als er von den Mädchen sprach. Und das entsprach auch vollkommen dem, was er fühlte. Es kotze ihn bildlich an, wenn eine Gruppen von zehn Mädchen hinter ihm herrannte, teils total begeistert, teils mit einer mystischen Angst und Gebanntheit. Und er hatte Recht gehabt. Schon sah er eine dieser Gruppen anrollen. Schnell, schon fast panisch zog er Thore in einen leeren Klassenraum, schloss die Tür und verweilte schweigend. Nach einer Weile, nachdem er gehört hatte wie die Gruppe an der Tür vorbeigezogen war, seufzte er vor Erleichterung. „Tut mir leid, aber noch habe ich keine Lust auf dieses Getratsche.“

---Thore---

Grinsend setzte Thore sich auf einen der vorderen Tische. »Schon klar, Großer.«

Insgeheim stimmte er Kilian voll und ganz zu, es war schon lästig, wenn Kilis Groupies ihm sogar bis aufs Klo folgten. Der Braunhaarige ließ seine Schultasche von seiner Schulter neben sich auf das schon leicht morsche Gehölz gleiten, welches erheblich knarrte.

Dann erinnerte er sich an die Frage, die sein Freund ihm gestellt hatte und entschloss sich, darauf zu antworten, obwohl er wusste, dass der Grauhaarige seinen Stundenplan in und auswendig kannte.

»In der ersten hab ich heute 'ne Freistunde, weil die Meyer krank ist«, freute er sich, »dann Mathe, Doppelstunde Chemie- ich glaub ich kotz gleich, ich hab die Hausaufgaben nicht! Und dann Franz und Bio.«

Thore dachte einen Moment lang nach, bevor er sich mit seinen großen Raben Augen noch einmal schüchterner an Kilian wand.

»Du hast doch Englisch in der ersten, ne?« Er setzte seinen treuesten Hundeblick auf, »kannst du den Heidrich nicht fragen, ob ich mit in den Unterricht kommen darf?«

Nun verlor sein Gesicht, welches von der Kälte draußen immer noch gerötet war, wieder an Niedlichkeit und wurde zu einer grinsenden Visage. Siegessicher zeigte er dem Anderen das Victory- Zeichen.

---Kilian---

Kilian lehnte sich mit dem Rücken an die Zimmerwand. Er schwieg eine Weile, bevor er antwortete: „Ja, ich kann ihn ja mal fragen. Aber du kennst ihn ja. Der würde nie nein sagen. Irgendwas hat der ja an dir gefressen.“ Dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht. Es machte ihn rasend, wenn er sah, wie Heidrich Thore immer begaffte. Was sollte das denn? Leise grummelnd blickte Kilian aus dem Fenster. //Ich mag es einfach nicht, wenn dieser alte Knacker meint sich an jungen Schülern vergreifen zu müssen.// Ein kurzer Schauer von Hass durchlief seinen Körper, aber das ließ er Thore nicht merken. Thore und all die anderen an dieser Schule hatten keine Ahnung was wirklich in ihm vorging. Noch nicht einmal Thore wusste das wirklich. Wie sollte er auch? Er hatte ja noch nicht einmal einen blassen Schimmer davon, was bei Kilian Zuhause vor sich ging. Bis jetzt hatte Kilian es immer vermieden Thore mit zu sich zu nehmen und erzählt hatte er erst Recht nichts. Es war ja auch nicht gerade ein Thema, das man gerne besprach. Es war sein eigenes Problem und so sollte es auch bleiben. Thore hatte schließlich auch seine eigenen Konflikte, die er lösen musste.

---Thore---

Und jener wusste, dass er langsam wieder etwas sagen sollte, denn wenn er schon etwas wusste über jemand anderen, dann dass Kilian langes Schweigen nicht ausstehen konnte.

Also brach er den Ring des Schweigens, der sich über die beiden Schüler gelegt hatte.

»Hmm... an mir gefressen... Hör auf so was zu sagen, das ist ja eklig.

Aber andererseits, bei dem Heidrich kann ichs mir gut vorstellen, nur weiß ich nicht, was er an mir finden könnte.»

Kritisch besah er sein Alter Ego von oben bis unten und kam zu dem Schluss, dass er noch unauffälliger sein musste als die Staubmäuse auf den Klassenschränken.

---Kilian---

„Eklig vielleicht, aber Tatsache. Du weißt doch genau, wie dich dieser alte Lustmolch in den Sportstunden immer anglotzt. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du das nicht merkst.“ Kilian blickte ein wenig zweifelnd. Das musste Thore doch einfach aufgefallen sein. Oder genoss er diese Aufmerksamkeit vielleicht sogar? Kilian wusste ja, dass der braunhaarige immer das Gefühl hatte nicht bemerkt zu werden. Bei den meisten war es auch so. Thore fiel einfach nicht sonderlich auf. Er war nicht besonders sportlich oder intelligent. Er war in allem guter Durchschnitt. So etwas fiel nicht so schnell auf. Aber für ihn war der Kleine immer sein Weltmittelpunkt. Auch wenn dieser das nicht wusste. „Was er an dir finden könnte?“ Kilian murmelte diese Worte leise vor sich hin. Diese Frage war gar nicht so schwer zu beantworten. Es waren einfach diese dunklen Augen, die einen in ihren Bann zu ziehen schienen. Und das war nicht das einzige. Doch dann schüttelte der grauhaarige den Kopf. Er durfte das nicht denken. Thore war sein bester Freund. Er konnte das durch seine Gefühle nicht aufs Spiel setzen.

---Thore---

»Ja, ich bin nichts besonderes«, murmelte Thore in dem selben Tonfall zurück, grinste dabei.

»Aber so langsam sollten wir zu deiner Klasse gehen, damit wir 'the one and only master Heidrich' noch vorm Klingeln erwischen, es ist drei Minuten vorm Klingeln.«

Gemächlich ließ sich der 9.Klässler vom Tisch gleiten und schulterte seinen Rucksack.

Er wuschelte sich noch einmal durch seine kurzen Haare und öffnete die Tür des Klassenraumes, warf einen scheuen Blick aus der Tür und meinte dann gespielt verängstigt:» Ich traue mich kaum raus, ich hab Angst vor deinen Fans, die rennen mich immer um!«

Kichernd gab er der Tür einen Schubs, so dass sie gegen die Wand schlug. Einige der kleineren Schüler blickten ihn geschockt an, doch er lächelte nur zurückhaltend und gab Kilian einen Wink mit seiner Hand.

»Es ist keiner da, wir haben freie Bahn bis zu deiner Klasse. Und Herr Heidrich ist auch schon im Anmarsch.«

---Kilian---

„So meinte ich das doch gar nicht, er ist etwas Besonderes...“, dachte Kilian für sich, aber er wiedersprach nicht. Dann stieß er sich von der Wand ab und ging hinter Thore her. „Mach dich nicht immer darüber lustig, dass ich von diesen Weibern verfolgt werde. Mir macht das auch keinen Spass.“ Er grummelte leicht vor sich hin, während er in Richtung Klassenzimmer ging. Kurz vor der Tür fing er Heidrich ab. „Wäre es möglich, wenn Thore heute mit in den Unterricht kommt?“ fragte er wiederwillig. Natürlich hatte Heidrich nichts dagegen. Das hätte Kilian auch sehr gewundert. Er trat in die Klasse, in der sich sofort alle Augen auf ihn richteten. Genervt blickte er in die Runde und setzte sich dann in die hinterste Reihe, um nicht die ganze Zeit die Blicke der anderen im Nacken zu haben. Ob Thore ihm wohl folgen würde? Ganz bestimmt. Außer Heidrich würde ihn wieder vorne behalten, um ihn besser begaffen zu können. Bei diesem Gedanken durchfuhr ihn wieder ein Schauer von Ekel. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Thore nicht ihm gehörte; Wenn ein anderer ihn für sich beanspruchte. Bis jetzt hatte er aber noch nie etwas in diese Richtung zu Thore gesagt, und das sollte sich auch nicht so bald ändern. Thore würde sich entweder totlachen oder etwa sich vor Abscheu von ihm abwenden und beide Alternativen gefielen ihm nicht.

---Thore---

Thore ignorierte die Blicke von Kilians Klassenkameraden wie gewohnt. Die Schüler kannten ihn schon so halbwegs, da er öfter, wenn er Freistunden hatte, bei seinem besten Freund im Unterricht saß. Er folgte dem Grauhaarigen bis in die letzte Reihe, als er von der Stimme des Lehrers aufgehalten wurde.

»Thore, würdest du dich hier vorne hinsetzen? Ich weiß doch, dass du dich gerne mit Kilian unterhalten würdest, doch du siehst sicher ein, dass es ziemlich kontraproduktiv für den Unterricht wäre. Kilian, sie verstehen das doch, nicht wahr?«

Seufzend begab sich der 15-Jährige wieder nach vorne, um in der ersten Sitzreihe Platz zu nehmen. Er holte seinen Bleistift und Zeichenblock raus und begann einige Skizzen zu machen. Nach einer kurzen Weile schon war er sich seiner Umwelt nicht mehr bewusst, versank vollkommen in den Linien und Schattierungen, die, wenn er aus seiner Trance wieder erwachte, ein stimmungsvolles Bild ergeben würden.

Er lächelte bei dem Gedanken daran, dass er dieses Bild Kilian zu seiner Volljährigkeit schenken würde. Sein Freund hatte sich schon immer über die kleinsten Dinge gefreut, selbst Schmierzeichnungen. Hauptsache, sie waren von dem kleinen 9.Klässler mit den dunklen Augen und dem verschlingenden Blick.

---Kilian---

Kilian zuckte kurz zusammen. Als wenn er es geahnt hätte. Er warf Heidrich einen finsteren Blick zu. „Nein, im Endeffekt sehe ich das nicht ein, aber wieso fragen Sie? Ich habe doch eh keine Wahl.“ Genervt ließ er sich auf seinem Stuhl zurückgleiten und starrte an die Tafel. Dieser Idiot von eine Lehrer. Wie er ihn momentan hasste. Während Heidrich seinen Unterricht begann, nachdem er Kilian einen ernsten Blick zugeworfen hatte, machte er sich seine Notizen. Mit den Gedanken jedoch schweifte er weit ab. Er träumte von seinem 18. Geburtstag, der bald sein würde. Noch war er am überlegen, was er mit Thore unternehmen sollte. Vielleicht sollte er mit ihm eine kleine Tour mit seinem Auto machen. Deshalb hatte er ja so eisern für die Prüfung geübt. Er wollte unbedingt, dass er mit Thore, wenn auch vielleicht nur für ein paar Stunden, aus dem ganzen Müllberg, den sie Leben nannten, raus kam. Aber wohin sollten sie dann fahren?

---Thore---

Das Klingeln zum Ende der Stunde riss Thore wie gewohnt aus seiner eigenen Welt. Er packte schnell seine Sachen zusammen, bevor Kilian bei ihm war. Schließlich sollte das ja eine Überraschung werden. Ihm persönlich gefiel das Bild, obwohl er bis jetzt gerade mal die Rohzeichnung fertig hatte. Der Braunhaarige strich seine Haare hinter die Ohren und bemerkte plötzlich wieder alle Blicke. sie schienen wie im Kreuzfeuer auf ihn gerichtet zu sein. Sein Herz klopfte immer schneller, schon fast panisch. Er suchte den Raum nach Kilian ab und sah verängstigt zu ihm, sein Atem beruhigte sich etwas. Wieso musste ausgerechnet jetzt dieser Anfall von Massenpanik kommen? Lag es daran, dass die Fenster zu waren oder an den gemeinen Blicken der Mitschüler? Vielleicht hatte sein Unterbewusstsein auch endlich die geifernden Blicke des Lehrers registriert. Thore wusste nur eins. Und zwar, dass er so schnell wie möglich hier raus musste. Aber seine Beine ließen sich nicht bewegen.

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