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Einen Sommer lang

Teil 4

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Ich hatte jetzt also die Wahl: Ein paar Tage ohne Erik wegfahren, oder meinen Cousin anrufen und ihn fragen, ob ich Erik mit zur Hochzeit bringen kann. Allzu viel Zeit zum überlegen hatte ich nicht, denn wenn ich mich dafür entscheiden sollte Erik mitzunehmen, dann sollte ich besser früher als später Bescheid geben. Die Stimmung der letzten Tage und die damit einhergehenden positiven Erfahrungen führten dazu, dass ich mich dazu entschied meinen Cousin zu fragen. Lieber wäre mir natürlich gewesen, meine Eltern hätten das für mich übernommen, aber ich wusste auch, dass es meine Aufgabe war und wollte mir jetzt auch nicht die Blöße geben, nachdem meine Eltern anfingen mich wie einen Erwachsenen zu behandeln. Als ich ihn anrufen wollte, saß ich erstmal eine halbe Stunde vorm Telefon ohne es anzufassen, dann wählte ich dreimal die Nummer ohne aber auf Anrufen zu drücken. Beim vierten Mal drückte ich dann aus einem Reflex heraus und traute mich aber auch nicht wieder einfach aufzulegen, auch wenn ich es gern gemacht hätte. Mein Cousin Richard ging ran:

„Hallo?“

„Ja, Hallo Richard. Ich bin‘s, Julius.“

„Oh, hey kleiner Cousin. Was gibt es? Ich hab grad nicht viel Zeit.“

„Ich rufe wegen der Hochzeit an.“

„Oh, sag nicht Ihr müsst absagen. Wir hatten schon eine Absage. Ihr müsst kommen!“

„Nein…nein. Ähh wir kommen. Also ganz im Gegenteil, ich wollte, also ich will euch fragen…also vielleicht könnte…“

„Was ist los? Sag schon!“

„Na also ich wollte fragen, ob ich…also vielleicht in Begleitung kommen kann…?“

„Oh, Du hast eine Freundin? Ja aber klar, bring sie mit. Ich freu mich sie kennenzulernen. Ist gar kein Problem. Mach dir da keine Sorgen, das geht klar. So ich muss jetzt aber los. Wir freuen uns dass Ihr kommt. Machs gut.“

„…ja, äh, machs gut.“

Ich könnte sagen, es lag an der Hektik und Eile meines Cousins, dass ich ihn nicht korrigierte und ihm nicht sagte, dass ich keine Freundin, sondern einen Freund hatte, aber eigentlich lag es an meiner Feigheit. Meinen Eltern sagte ich, er hätte nichts dagegen und ich dürfte in Begleitung kommen – sie fragten bei meinem Cousin nicht mehr nach. Dass ich mich nicht getraut hatte Richard zu korrigieren, verschwieg ich. Sie freuten sich für mich und ich konnte nun Erik und seine Eltern fragen, ob er mich begleiten könne und dürfe.

Ich kann nicht sagen, dass er begeistert war. Nicht dass er sich nicht freute, aber er war zu überrascht um in Begeisterung zu fallen. Natürlich fand er die Vorstellung schön, die Tage mit mir wegzufahren, aber er war sich auch der Tragweite bewusst. Seine Mutter sprach es dann auch offen an. Sie fragte uns ob wir sicher waren, uns als Paar vor so vielen Leuten zu präsentieren – und vor allem, da Erik diese Leute alle nicht kannte. Ich glaube sie hatten Angst um ihren Sohn bzw. um uns. Vor kurzem waren wir noch unschuldige Teenager und dann haben wir uns innerhalb kürzester Zeit kennen gelernt, neue Gefühle in uns und für einander entdeckt und noch nicht mal selbst richtig verstanden was das alles bedeutete. Bisher hatte das alles in einem sehr geschützten Rahmen stattgefunden. Die Hochzeit wäre nicht nur der erste Schritt raus aus diesem Rahmen, sondern obendrein auch noch ein drastischer – ohne Probe, ohne Testlauf – ein Sprung ins kalte Wasser.

Erik nahm das scheinbar als Herausforderung, denn er sagte seinen Eltern, dass er schon auf mich aufpassen würde. In mir hingegen löste das ganze jetzt eine gewisse Angst aus, die ich aber versuchte nicht zu zeigen, denn ich wollte Eriks Eltern keinen Anlass zum Zweifel geben. Spätestens jetzt brauchte ich Erik wirklich, um auf mich aufzupassen und um mir etwas die Angst zu nehmen. Letztlich stimmten seine Eltern dann zu, nicht ohne aber nochmal Rücksprache mit meinen Eltern zu halten.

Ein paar Tage später ging es los. Geplant war ein Tag vor der Hochzeit hin und zwei Tage danach wieder zurück zu fahren. Meine Mutter wollte bei der Gelegenheit gleich noch etwas Zeit bei ihrer Schwester verbringen. Die Autofahrt nutzte meine Mutter um Erik unsere Familie zu erklären und zu erzählen, wer alles zur Hochzeit kommen würde. Zu fast jeder und jedem hatte sie eine Anekdote zu erzählen und Erik amüsierte sich köstlich – ich hingegen kannte all die Geschichten schon und war eher besorgt, wie die Verwandten reagieren würden. Über meine Gedanken schlief ich irgendwann ein und erwachte erst als wir am Hof meiner Tante ankamen. Auch mein Cousin und seine zukünftige Frau wohnten mit auf dem Hof.

Ich mochte den Teil der Familie sehr. Früher hatte ich hier viel Zeit in den Ferien verbracht und obwohl Richard einige Jahre älter war als ich, verstanden wir uns prima. Er hatte ebenso wie ich keine Geschwister und so war unser Verhältnis immer auch etwas von Brüderlichkeit geprägt. Als ich älter wurde und mein Cousin seine Freundin kennen lernte, wurden die Besuche weniger – nichtsdestotrotz blieb unser Verhältnis sehr gut. Seine Freundin und bald Frau Karolin, mochte ich ebenso. Sie war extrem nett und behandelte mich schon wie einen Erwachsenen, als ich für die anderen in der Familie noch ein Kind war.

Als wir ausstiegen stand schon die ganze Familie bereit um uns zu begrüßen. Meine Tante, mein Onkel, Richard und Karolin. Meine Mutter fiel allen gleich um den Hals und auch mein Vater schob sich zur Begrüßung noch vor mich. Erik hielt sich im Hintergrund. Mich begrüßte zuerst Karolin, die mich herzlich umarmte. Als Richard mich drückte fragte er, wer denn da noch mitgekommen sei und meinte damit Erik: „Ich dachte du bringst deine Freundin mit.“ – Sofort stieß Karolin ihm in die Seite, ging auf Erik zu, stellte sich vor und drückte auch ihn. Mein Cousin war verdutzt und konnte die Situation nicht recht einordnen. Auch meine Tante und mein Onkel kamen jetzt dazu, begrüßten mich und auch sie stellten die Frage wer der junge Mann denn sei. Meine Eltern waren sichtlich überrascht – schließlich hatte ich ihnen gesagt, ich hätte Bescheid gegeben. „Das ist Julius‘ Freund Erik.“ sagte meine Mutter. „Ich dachte er hätte dich informiert Richard.“ – während sie mich etwas böse anschaute. Mein Cousin war noch immer verwirrt: „Er hat mir gesagt, dass er seine…“ – „Richard hat das sicher nur falsch verstanden“, unterbrach ihn Karolin: „Wir freuen uns sehr, dass Du mitgekommen bist Erik.“

Die Situation schien bei allen, außer Karolin und mir, Verwirrung auszulösen. Bei Karolin nicht, weil sie sehr schnell schaltete und die Situation direkt verstand und bei mir nicht, weil ich der Auslöser dieses Missverständnisses war. Trotz dieser Situation freuten sich alle sich zu sehen und auch Erik wurde sehr herzlich aufgenommen – auch wenn Richard erst wirklich verstand, als Karolin ihn nochmal zur Seite nahm. Nach dem Abendessen ging Richard nach draußen um eine zu rauchen. Da Erik gerade den Geschichten meiner Tante lauschte, und sie sich auch hinreißen ließ Peinlichkeiten über mich zu erzählen, nutzte ich die Gelegenheit um meinem Cousin nach draußen zu folgen. Ich stellte mich neben ihn und schaute stumm in den Abend.

„Warum hast du nichts gesagt?“ setzte er an.

„Du warst so schnell am Telefon, ich konnte gar nicht richtig reagieren…und getraut habe ich mich auch nicht recht.“

Wir schwiegen und schauten beide einfach nur in die Landschaft. Als er fertig war, gab er mir einen Kuss auf die Stirn und sagte: „Ich freu‘ mich, dass du da bist.“

Erik und ich bekamen ein Gästezimmer mit eigenem Bad, in einer der Hofseiten. Ich liebte den Hof. Er erinnerte mich an schöne Zeiten, die ich als Kind hier verbrachte und ich hatte über die Jahre miterlebt, wie ihn meine Tante und mein Onkel immer mehr ausbauten und in eine Oase der Erholung verwandelten. Überall war es grün und es gab viele Ecken, wo man einfach gemütlich zusammensitzen konnte und die Tage und Abende genießen konnte. Karolin machte mit uns einen großen Rundgang, zeigte Erik den ganzen Hof und mir, was sich seit dem letzten Besuch verändert hatte. Wir redeten über die morgige Hochzeit und Karolin fragte uns aus, wie wir uns kennen gelernt hätten. Sie hatte eine tolle Art, die dem Gegenüber das Gefühl gab ernst genommen zu werden und sie schaffte es, Leute in ein Gespräch zu holen und ihnen Raum zum Erzählen zu geben, ohne sie zu überfordern. Der Abend endete für alle recht früh. Niemand wollte am kommenden Tag müde und verschlafen sein. Erik und ich bezogen unser Zimmer, redeten noch eine Weile über den Tag und schliefen engumschlungen ein.

Der nächste Tag war knallhart durchstrukturiert. Morgens frühstückten wir alle gemeinsam, wobei da schon eher Aufregung und Hektik als Gemütlichkeit auf dem Programm stand. Noch am Vormittag sollte es zum Standesamt gehen, wo die ersten Gäste warteten, dann zum Saal in dem Gefeiert wird, wo es Mittagessen für alle gab und zum Kaffee und Kuchen würden dann die restlichen Gäste zum Feiern kommen. Am Abend sollte es Buffet geben, wo dann bis in die Nacht gefeiert werden sollte.

Bis dahin gab es noch einiges zu tun. Frisuren machen, Make-up für die Braut, Blumen abholen usw. Alle bekamen Aufgaben, auch Erik und ich wurden eingespannt. Ich sollte mit Richard die Blumen abholen fahren und Erik sollte schon mit meinem Onkel und meinem Vater Kuchen und Torten zur Location fahren. Ich fand die Idee erst nicht so prickelnd, wollte ich Erik doch nicht allein lassen, aber der war sofort voller Tatendrang und widmete sich seiner Aufgabe. Richard und ich machten uns auch auf den Weg und hatten nochmal Gelegenheit zu zweit zu reden. Ich sagte ihm, wie sehr ich mich für ihn und Karolin freute und verdeutlichte nochmal, wie sehr ich sie mochte. Auch er sagte mir, dass er Erik sehr sympathisch fand und entschuldigte sich nochmal für den Vortag. Er meinte er wäre sehr verwirrt gewesen und hätte einfach nicht damit gerechnet. Ich sagte ihm, dass ich auch nicht damit gerechnet hätte und es für mich alles neu sei und entschuldigte mich dafür, dass ich es am Telefon nicht gleich deutlich gemacht hatte. Ich war deutlich nah am Wasser gebaut und hätte schon wieder heulen können, aber Richard machte nochmal klar, dass er sich für mich freute und sehr froh war, dass ich da sei, als moralische Unterstützung, an so einem wichtigen Tag.

Als wir zurück waren war es Zeit sich langsam fürs Standesamt fertig zu machen. Erik und ich zogen uns in unser Zimmer zurück und gingen nacheinander duschen – erst er und dann ich. Als ich aus der Dusche kam, war Erik schon komplett angezogen. Mir muss der Mund offen gestanden haben, denn wie er so dastand, im Anzug und mit Fliege sah er einfach atemberaubend aus. Er schaute mich an, weil ich einfach nur da stand und ihn anschaute: „Was ist?“, fragte er.

„Du bist einfach nur wunderschön“, stammelte ich.

Er kam auf mich zu, küsste mich und öffnete das Handtuch um meine Hüften, wie er es schon einmal getan hatte. Sofort war ich erregt. Er warf das Handtuch auf einen Stuhl, gab mir einen Klaps auf den Hintern und sagte: „Heute nicht, du musst dich anziehen, wir müssen bald los“, und grinste. Ich ließ mich aufs Bett fallen und seufzte: „Das kannst du doch nicht mit mir machen.“ – „Ich werd noch ganz andere Dinge mit dir machen. Aber jetzt musst du dich anziehen.“ Ich wurde knallrot und verdeckte schnell meine Erektion. Nicht, dass er sie nicht schon gesehen hätte, aber es war mir dann doch etwas peinlich – schon wieder war er komplett angezogen und ich war völlig entblößt und zudem erregt. Ich zog mich an, wir küssten uns nochmal sehr innig und gingen rüber ins Haus meiner Tante, wo wir uns alle treffen wollten. Meine Mutter, meine Tante und Karolin waren schon vorgefahren. Erik bot an von den Männern der Familie ein Bild zu machen und mein Onkel, Richard, mein Vater und Ich stellten sich auf und ließen uns knipsen. Richard bedankte sich, sichtlich gerührt, für diese Geste bei Erik und bestand drauf, ein Bild von Erik und mir zu machen. Das so entstandene Bild kam nach der Hochzeit, an mich und Erik adressiert, in zweifacher Ausführung per Post und stand dann für eine sehr lange Zeit auf meinem Schreibtisch.

Beim Standesamt traf sich dann die ganze Familie. Die Familie meiner Mutter war nicht sehr groß, es gab nur meine Großeltern, meine Mutter und meine Tante. Die Familie von Richards Vater hingegen war viel größer. Zum Teil kannte ich die schon von anderen Familienfeiern, aber viele kannte ich auch nicht. Der Fokus lag natürlich auf dem Brautpaar und da die Leute sich untereinander nicht alle kannten, fielen Erik und ich nicht sonderlich auf. Selbst meine Großeltern, die mich natürlich herzlich begrüßten, widmeten sich natürlich eher Richard und Karolin und gaben Erik nur beiläufig die Hand, wie sie es mit allen anderen auch taten. Wir hielten keine Hände oder küssten uns, aber Erik rückte keinen Meter von meiner Seite. In dem Moment suchte er wohl die Sicherheit in all dem Trubel.

Die Trauung war wirklich schön – mehreren Leuten kamen die Tränen und auch ich hatte zu kämpfen. Danach gab es den üblichen Autokorso vom Standesamt zur Feierlocation, wo es Essen gab. Die Gäste waren auf mehrere runde Tische verteilt. Am Tisch vom Brautpaar saßen noch Richards Trauzeuge und seine Partnerin, Karolins Trauzeugin mit Freund und natürlich die Eltern der beiden. An unserem Tisch saßen meine Eltern, meine Großeltern, Erik und ich und ein Onkel von Richard mit seiner Frau und ihren zwei Kindern. Ich wusste, dass es zu einer Vorstellungsrunde am Tisch kommen würde und ich wollte nicht, dass meine Großeltern nebenbei von Erik erfuhren. Vor dem Essen war es eh noch ein großes Durcheinander, jeder versuchte dem Brautpaar zu gratulieren, die Leute fanden sich in kleinen Grüppchen zusammen und waren in Gespräche vertieft. Meine Großeltern hatten sich schon an unseren Tisch gesetzt, ich schnappte mir Erik und zog ihn zu ihnen hin. Ich stammelte mal wieder etwas, weil ich nicht recht wusste was ich sagen wollte. Ich sagte ihnen schließlich, dass ich ihnen jemanden vorstellen wolle, jemanden der mir sehr wichtig sei. Erik gab beiden förmlich die Hand und sagte, dass er sich freue, sie kennen zu lernen. Beide schauten mich erwartungsvoll an, denn noch hatte ich nicht gesagt wer Erik nun eigentlich sei. Ich fasste meinen Mut zusammen und sprach es das erste Mal überhaupt laut aus: „Das ist mein Freund.“

Ohne etwas zu sagen drückten mich beide nacheinander, dann zog meine Oma Erik zu sich ran und fragte ihn aus. Meine Oma bestand darauf, dass wir während des Essens neben ihr saßen und meine Großeltern erzählten uns vom Bruder meines Opas. Ich hatte ihn nie kennen gelernt, denn er war nur wenige Jahre nach meiner Geburt gestorben. Es stellte sich raus, dass mein Großonkel auch schwul war. Meine Oma meinte, dass man das damals nicht direkt darüber sprach und auch niemand danach fragte, aber zumindest das direkte Umfeld Bescheid wusste. In einer festen Beziehung war er nie, zumindest gab er das nicht bekannt – er war der Klassiker des ewigen Junggesellen. Meinem Opa standen ein wenig die Tränen in den Augen, als er von seinem Bruder erzählte und man merkte deutlich, wie sehr er ihn geliebt hatte. Ich wollte mehr über meinen Großonkel erfahren und fragte, ob Erik und ich sie in den nächsten Tagen nochmal besuchen könnten, damit sie von ihm erzählten – und versuchte das Thema dann wieder auf etwas Fröhliches und die Hochzeit zu lenken. Meine Oma sagte zu, drückte mich und gab sowohl mir als auch Erik einen Kuss auf die Wange.

Ich war überwältigt. Mir gingen die letzten Wochen nochmal durch den Kopf. Mein Leben hatte eine drastische Wendung genommen, eine Wendung wie ich sie nicht erwartet hatte. Und ich hatte hier in diesem Moment das Gefühl in der letzten Zeit meiner Familie nochmal ein Stück näher gekommen zu sein.

Das Gespräch zwischen meinen Großeltern, Erik und mir, blieb natürlich der anderen Familie nicht verborgen, auch nicht ihrem Sohn, der etwa in unserem Alter gewesen sein musste. Nachdem das Essen vorbei war, lösten sich die Tische wieder auf und alles vermischte sich. Der Junge von unserem Tisch ging zu anderen Kindern und Teenagern, die wahrscheinlich alle über zwei, drei Ecken verwandt waren und Erik und ich waren ganz schnell das Gesprächsthema.

Nicht alle interessierten sich für uns, vielen war es schlicht egal, schließlich kannte man uns ja gar nicht. Einigen merkte man ihr Interesse aber deutlich an. Neugier war dabei ja noch verständlich, leider blieb es aber nicht dabei. Immer mal wieder tuschelten die Leute über uns, oder jemand ging weg, wenn wir irgendwo hinkamen. Unsere Altersklasse mied uns fast gänzlich. Erik machte das sichtlich zu schaffen und nach einer Weile ging er raus um frische Luft zu schnappen. Was dann passierte erfuhr ich erst im Nachhinein und rechne ich meinem Cousin bis heute hoch an. Richard hatte die Tuscheleien auch mitbekommen und irgendjemand war auch zu ihm gekommen und hatte gefragt, ob er das wusste. Als er sah, dass Erik nach Draußen ding, löste er sich von dem Gespräch, in das er gerade verwickelt wurde und ging ihm nach. Er fand ihn draußen allein auf einer kleinen Mauer sitzend. Richard fragte ihn, ob er sich dazu setzen dürfe und bot ihm eine Zigarette an. Erik lehnte ab und fing an sich zu entschuldigen. Als Richard wissen wollte, wofür er sich entschuldigte, fing Erik an zu weinen. Er fühlte sich schuldig dafür, dass die Beziehung zu mir von der schönen Hochzeit ablenkt und die Situation die Stimmung kaputt macht. Es schien ihn sehr zu belasten – zum einen zog er die Aufmerksamkeit auf sich und das als außenstehender Gast und zum anderen erlebte er das erste Mal eine Form der Ablehnung in Bezug auf seine Gefühle zu mir. Was Richard dann zu ihm sagte, erzählten mir beide nie. Erik erwähnte später nur, dass ich einen großartigen Cousin habe, der mich wie einen Bruder lieben würde.

Ich sah nur wie beide wieder reinkamen. Richard hatte seinen Arm um Erik gelegt und er erzählte ihm gerade lachend, wie ich als kleiner Junge mal von Hühnern über den Hof gejagt wurde. Bis zum Abend verbrachten wir die Zeit fast nur an unserem Tisch. Meine Großeltern waren froh meine Mutter und mich mal wieder zu sehen, hatten viel zu erzählen und waren auch noch nicht mit dem Ausfragen von Erik fertig.

Nach dem Buffet eröffnete das Brautpaar die Tanzfläche. Das war natürlich einer der Höhepunkte des Abends und alle Blicke waren nur auf die beiden gerichtet. Mit Beginn des zweiten Liedes kamen die beiden direkt auf uns zu und zogen uns aus der Menschentraube raus. Karolin tanzte mit mir und Richard tanzte mit Erik. Ich denke sie wollten damals ein Statement setzen und ich war sicher, dass diese Idee von Karolin kam, aber sie erzählte mir später, dass Richard auf sie zu kam und sie den Vorschlag nur allzu gerne aufgenommen hatte. Nach etwa der Hälfte des Liedes führten uns die beiden zusammen und übergaben Erik und mich in die Arme des jeweils anderen. Die beiden holten wiederum neue Leute auf die Tanzfläche und für einen kurzen Moment waren wir das einzige Paar das tanzte. Ich wusste, dass viele Blicke auf uns ruhten – einige davon waren sicher nicht unbedingt wohlwollend – aber das war mir in diesem Moment egal. Ich tanzte, so gut ich eben konnte, einfach mit Erik und schaute in seine wunderschönen Augen, die mich anfunkelten.

Die Tanzfläche füllte sich langsam und wir tanzten noch ein paar Lieder zusammen. Zwischendrin sah ich zu meinen Eltern, die mit feuchten Augen und einem Strahlen im Gesicht ihrem Sohn zusahen.

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