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Einen Sommer lang

Teil 1

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Informationen

 

Als ich Erik kennenlernte war ich gerade 15 Jahre alt und meine Sommerferien hatten gerade begonnen. Seine Familie und er zogen in ein Haus in unserer Straße. Seine Eltern hatten beide eine Stelle an der Uni angenommen und so kam es, dass sie sich auch recht schnell mit meinen Eltern anfreundeten, da meine Mutter ebenfalls an der Uni tätig war. Ich war anfangs nicht begeistert als meine Eltern wollten, dass ich zu den Besuchen mitgehe um mich mit ihrem Sohn anzufreunden – nicht weil ich die Mangolds nicht leiden konnte, sondern weil ich von arrangierten Freundschaften nicht viel hielt. Es ist aber so ein Phänomen, dass befreundete Eltern auch davon ausgehen, dass sich ihre Kinder mögen. Letztlich waren es aber auch meine eigenen Unsicherheiten, die meine Lust darauf gering hielten: Was wenn man sich nichts zu sagen hätte, wenn man unterschiedliche Interessen verfolgt oder den anderen schlichtweg nicht leiden konnte? Man hätte gute Miene zu bösem Spiel machen müssen, oder sich dem ganzen verweigern – was letztlich vielleicht die Freundschaft meiner Eltern belastet hätte. Also ließ ich mich drauf ein und ging mit zu einem Grillabend der Mangolds.

Ich putzte mich raus, schließlich wollte ich dann doch einen guten Eindruck machen. Zudem legten meine Eltern immer Wert darauf, dass ihr Sohn anständig aussah, wenn wir eingeladen wurden. Es war ein warmer Sommertag, also entschied ich mich für eine Jeans und ein dazu passendes Hemd. Meine Eltern steckten Wein als Gastgeschenk ein und mein Vater gab mir zwei Bier, die ich Erik als Angebot unter Gleichaltrigen machen sollte.

Ich kannte die Eltern von Erik bereits von Besuchen bei uns. Sie waren äußerst nett, sehr gebildet, aber das waren meine Eltern ja auch und offensichtlich sehr lustig, denn meine Eltern und sie lachten immer sehr viel.

Als wir ankamen, gingen wir direkt hinters Haus in den Garten. Meine Eltern kannten sich hier schon aus und waren offenbar schon so vertraut mit den Mangolds, dass ein Klingeln nicht mehr nötig war. Als wir in den Garten kamen, war Frau Mangold gerade damit beschäftigt das Fleisch auf den Grill zu legen. Ihr Mann begrüßte meine Eltern und dann mich, wobei er auf die zwei Bier in meiner Hand zeigte:

„Hallo Julius, du willst doch nicht etwa meinen Sohn zum Trinken verführen?“

Ich schaute meinen Vater vorwurfsvoll an, schließlich war es seine Idee, doch noch bevor er reagieren konnte, legte Herr Mangold seine Hand auf meine Schulter und gab mir zu verstehen, dass es nur ein Spaß war. Wir begrüßten seine Frau und Herr Mangold meinte, dass Erik etwas weiter hinten im Garten sei und ich ihn ruhig holen könne, da es eh bald Essen gebe.

Ich machte mich durch den wirklich schönen und recht großen Garten auf die Suche und fand Erik auf einer Liege am Pool. Er schien sich in der Abendsonne noch etwas zu sonnen und hatte die Augen geschlossen. Um ihn nicht zu erschrecken, wenn ich plötzlich neben ihm stand, machte ich mich schon auf die Distanz mit einem „Hallo“ bemerkbar.

Er öffnete die Augen, setzte seine Brille auf und schaute in meine Richtung: „Hallo. Ich nehme an Du bist Julius! Haben sie Dir Bier in die Hand gedrückt um mich milde zu stimmen?“

„Sozusagen“, antwortete ich, „mein Vater meinte es sei eine nette Geste um das Eis zu brechen.“

„Arrangierte Freundschaften, darauf können auch nur Eltern kommen“, sagte er kopfschüttelnd.

„Exakt“, meinte ich energisch und setzte mich auf eine Liege neben ihm und reichte ihm ein Bier.

Wir malten uns aus wie unsere Eltern verschwörerisch zusammensaßen und Pläne schmiedeten, damit wir uns anfreundeten. Wir regten uns darüber auf, dass sie uns quasi dazu zwingen würden uns gut zu verstehen und machten uns lustig darüber, dass sowas nie funktionieren würde und ohne es zu bemerken freundeten wir uns an diesem Abend an.

Sogar unsere Eltern waren überrascht. Meine, weil ich sonst sehr schwierig Freundschaften schloss, und Eriks Eltern, weil er sonst eher ein ruhiger Typ war. An diesem Abend hörten wir beide aber nicht mehr auf zu reden. Wir redeten darüber wie wir uns unser Leben in Zukunft vorstellten, welche Länder wir bereisen wollen, erzählten uns von Dingen die wir erlebt hatten und verloren uns in Erzählungen über unsere Lieblingsbücher und über Comics und Musik. Unsere Eltern fingen an über uns lachen, da wir uns immer noch lauthals darüber beschwerten, wie unsinnig der Versuch sei eine Freundschaft einzufädeln. Der Abend verging wie im Flug und als wir nach Hause gingen stand fest, dass ich einen neuen Freund hatte.

Die folgenden Tage verbrachten wir fast pausenlos miteinander. Wir fuhren mit dem Rad durch die Gegend, ich zeigte ihm meine Lieblingsplätze, wir gingen Eis essen. Die meiste Zeit jedoch verbrachten wir im Garten und am Pool der Mangolds. Oft lagen wir einfach auf den Liegen, unterhielten uns oder lasen jeder ein Buch. Manchmal las der eine auch dem anderen etwas vor und wir unterhielten uns danach darüber.

Erik hatte einen unglaublichen Humor. Er war nie bissig oder schadenfroh. Seine Art eine Geschichte zu erzählen brachte mich einfach zum Lachen. Wir verstanden uns unheimlich gut, auch zum Wohlgefallen unserer Eltern. Ich war eigentlich nur noch zum Schlafen zu Hause, selbst zu den Mahlzeiten blieb ich bei den Mangolds. Meinen Eltern war es anfangs noch unangenehm, aber Eriks Eltern versicherten, dass es vollkommen ok sei, schließlich mussten meine und seine Eltern auch arbeiten und so waren wir zumindest nicht den ganzen Tag allein. Meine Eltern bestanden aber darauf unseren Konsum an Softgetränken und Eis zu finanzieren und so fehlte es uns eigentlich an nichts.

Wirklich viel Zeit verbrachten wir mit Büchern. Es mag unüblich gewesen sein in unserem Alter so viel zu lesen, aber genau das verband uns. Immer mehr gingen wir auch dazu über dem jeweils anderen vorzulesen. Für mich kann ich auf jeden Fall sagen, dass ich ihm unglaublich gern zuhörte. Seine Stimme, seine Ausstrahlung, einfach seine ganze Art hatten etwas an sich, dass ich mich einfach wohl fühlte. Im Garten gab es eine Hängematte und manchmal las der eine vor während der andere in der Hängematte lag und leicht schaukelte. Nicht selten passierte es, dass derjenige dann dabei einschlief. Nicht weil das Zuhören langweilig war, sondern weil man in diesem Moment mit sich vollkommen im Reinen war und einfach abschalten konnte.

An einem der Tage waren wir uns uneinig, wer von uns beiden lesen würde und wer in die Hängematte könnte. Wir stritten nicht darüber, eigentlich stritten wir nie – Meinungsverschiedenheiten mündeten immer in Diskussionen und das Ringen um das beste Argument und endeten meist mit viel Gelächter über uns selbst und unsere Verbissenheit für manche Themen. Auch bei der Frage um die Hängematte an diesem Tag folgte ein Argument auf das Andere. Es wurde aufgezählt, wer wann wie oft schon gelesen hatte und wer wie oft drin lag. Und Eriks Recht als Eigentümer wurde gegen mein Recht als Gast aufgewogen. Irgendwann brachte Erik einen Kompromiss, er würde freiwillig lesen, wenn er aber mit in die Hängematte könne – groß genug war sie ja. Das war ein Kompromiss der mir gefiel, schließlich hatte ich keinen Verlust dadurch. Dass ich die Hängematte teilen müsste war mir egal, schließlich mochte ich Erik und nah aneinander zu liegen störte mich nicht, schließlich hatten wir uns beim Baden oder beim Eincremen des Rückens mit Sonnenmilch schon mehrfach berührt.

Wir legten uns beide in die Hängematte, zwangsläufig sehr nah. Meinen Kopf legte ich auf Eriks Schulter und hörte ihm zu wie er mir vorlas. Irgendwann schlief ich ein und auch Erik muss irgendwann eingeschlafen sein. Als sein Vater uns fand, lagen wir schlafend enganeinander, mein Kopf auf seiner Schulter und sein Kopf an meinen gelegt und beide nur in Badeshorts bekleidet. Wir merkten nicht wie er uns fand und uns so daliegen sah. Was wir allerdings merkten war das kalte Wasser aus dem Gartenschlauch. Wir schreckten hoch und schlugen uns vor Schreck gleich mehrfach gegenseitig. Als wir uns endlich aus der Hängematte gekämpft hatten sahen wir Eriks Vater in Richtung Terrasse gehen und sagen: "Julius, deine Eltern kommen gleich und es gibt Essen."

Der Schock lag uns noch etwas in den Knochen, schließlich wurden wir mit kaltem Wasser aus dem Schlaf gerissen. Wir trockneten uns ab und zogen uns etwas Bequemes über. Als wir zum Essen kamen waren meine Eltern schon da. Die Gespräche brachen plötzlich ab und es wurde still. Ohne zu wissen warum waren wir der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und dem breiten Grinsen auf den Gesichtern unserer Eltern ausgesetzt.

Wenn wir sonst alle gemeinsam zusammen saßen redeten Erik und ich und unsere Eltern unterhielten sich miteinander. Diesmal aber waren wir ständig Fragen ausgesetzt: Wie es uns geht? Wie unser Tag war? Was wir gemacht haben? usw.

Es war schräg, aber Eltern sind oft schräg also antworteten wir. Viel zu erzählen gab es ohnehin nicht, wir hatten schließlich das gemacht, was wir die letzten Tage auch gemacht hatten. Nach dem Essen nahm ich zwei Bier und wollte mit Erik zurück zum Pool, als sein Vater uns einen Kommentar hinterherwarf: "Ich hab euch doch gesagt, er will meinen Jungen verführen." Ich schaute mich um und grinste ihn an, weil er den Witz mit dem Bier schon wieder brachte. Aber so lustig war es nun auch nicht und ich war verwundert, dass meine Eltern und Eriks Mutter laut anfingen zu lachen.

Als meine Eltern und ich zu Hause waren nahm meine Mutter mich zur Seite. Sie meinte, sie wolle noch kurz mit mir reden, bevor ich schlafen gehe:

"Du und Erik scheint euch gut zu verstehen", dabei klang es mehr wie eine Frage als eine Feststellung.

“Ja tun wir.”

"Das ist schön. Ich will nur wissen was du von ihm hältst?" Meine Mutter klang fast besorgt als sie mich das fragte, irgendwie verhielten sich unsere Eltern komisch. Aber mir fiel auf, dass wir uns tatsächlich noch nicht darüber unterhalten hatten, seit dem Abend, an dem ich Erik kennen gelernt hatte. Ich deutete es so, dass meine Eltern nun wissen wollten, ob es wirklich so schlimm war jemand neues kennen zu lernen, wie ich am Anfang getan hatte.

“Er ist lustig." Ich hielt kurz inne. Natürlich war er lustig aber plötzlich fand ich, dass es doof klang ihn einfach als lustig zu bezeichnen. "Weißt du", wendete ich mich erneut an meine Mutter, "die meisten Jungs in meinem Alter sind anstrengend. Sie sind Angeber, wollen immer die besten sein und sie prahlen immer damit wie toll sie sind oder sie sind einfach nur plump. Erik ist anders. Er ist klug, er ist freundlich, er hat Humor – ich habe das Gefühl bei ihm einfach ich sein zu können und er scheint mich zu mögen.”

Meine Mutter lächelte, gab mir einen Kuss auf dir Stirn und wünschte mir eine gute Nacht. Als ich im Bett lag dachte ich über den Tag und das Gespräch mit meiner Mutter nach. Die Frage, die sie mir stellte und meine Antwort darauf hallten nach. Natürlich hatte ich auch andere Freunde – aus der Schule – aber in den Ferien machten wir kaum etwas. Mir wurde es auch schnell zu viel, wenn die anderen anfingen sich gegenseitig auszustechen mit Geschichten, oder wenn sie über Sport und Motorräder redeten. Ich war ein Träumer, verlor mich in Büchern und Musik und jagte nicht wie die anderen jedem Rock hinterher. Ständig hatte ich das Gefühl mich beweisen zu müssen, hatte dazu aber keine Lust und das war anstrengend. In der Gegenwart von Erik war das anders. Ich musste ihm nichts beweisen, ich konnte über Dinge reden, die mich wirklich interessierten und die Dinge die er mir erzählte interessierten mich – ER interessierte mich. Unter dem Gedanken schlief ich irgendwann ein.

Der nächste Tag war anders. Ich war unsicher. Ich musste feststellen, dass ich die letzten Tage ausgesprochen genoss, aber ich nicht wusste warum eigentlich. Ich machte nichts besonders, sondern lag im Grunde den ganzen Tag nur rum, las und verbrachte ihn mit Erik. Ich fing an Erik zu beobachten, seine Gestik, seine Mimik, wie er redet – ich dachte noch immer über die Frage meiner Mutter nach und wollte sie mir jetzt selbst beantworten: Was halte ich eigentlich von Erik? Und wieso?

Ich fand es faszinierend, mit welchem Enthusiasmus er über Dinge erzählte, die ihn interessierten. Seine Augen fingen dann an zu leuchten und seine Begeisterung übertrug sich auf mich. Ich konnte ihm stundenlang zuhören und ihn dabei einfach nur anschauen. Seine Energie und sein Lächeln steckten mich an. Das schönste allerdings war seine Art. Er war nicht auf sich fixiert, sondern stets auch an meiner Meinung interessiert. Er konnte sich in Geschichten verlieren und erst jetzt fiel mir auf, dass er oft meine Nähe suchte. Anfangs waren es nur kleine Gesten gewesen: Eine Hand, die die meine streifte oder er setzte sich nah an mich ran, sodass unsere Knie sich berührten. Ich glaube es war die Tage zuvor nicht anders, aber an diesem Tag fiel es mir eben besonders auf.

Wir lagen im Gras und er wollte mir einen neuen Comic zeigen, den er gut fand. Er legte seinen Kopf auf meinen Bauch und hielt den Comic so, dass er und ich gleichzeitig reinschauen konnten. Diesmal interessierte ich mich allerdings weniger für das was er mir erzählte. Ich beobachtet ihn einfach: Seine sanften Hände, wie sie die Seiten umblätterten, seine roten Lippen, wie sie sich bewegten wenn er vorlas, seine Ohren, die ganz leicht abstanden, seine wuscheligen Haare die meinen Bauch leicht kitzelten und seinen Bauch, der sich hob wenn er lachte. Ich wusste noch immer nicht genau warum ich ihn mochte – ich wusste nur, dass ich ihn mochte. Irgendwann merkte er, dass ich mit meinen Gedanken nicht bei dem Comic war. Er drehte den Kopf zu mir und schaute mich an: „Hey, hörst du überhaupt zu?“

„Äh,was?“, stammelte ich etwas erschrocken.

„Du wirkst abwesend, ist alles ok?“

„Ich hab nur nachgedacht“, sagte ich, nicht mal gelogen, aber auch etwas ausweichend.

„Worüber?“

Ich versuchte erneut auszuweichen und erzählte ihm nur, dass ich gestern noch ein Gespräch mit meiner Mutter hatte. Auch das war ja nicht gelogen, nur dass es dabei um ihn ging verschwieg ich. Ich schlug vor in den Pool zu springen und stand auf ohne die Antwort abzuwarten. Wir tollten rum, bespritzten uns gegenseitig mit Wasser und waren insgesamt sehr albern.

Der Tag ging schnell rum und irgendwann hatte ich die Gedanken des Morgens wieder vergessen. Erst als ich abends allein im Bett lag kamen sie wieder auf. Ich ließ den Tag Revue passieren und musste wieder an den Moment im Gras denken. Mir kamen seine sanften Hände wieder in den Sinn, seine Ohren und seine Lippen – ich strich mir selbst über meinen Bauch auf dem am Vormittag noch sein Kopf lag und meine Hand wanderte unweigerlich weiter nach unten.

Das war natürlich nicht das erste Mal, dass ich mir selbst Spaß bereitete – schließlich war ich 15, aber es war das erste Mal, dass meine Gedanken dabei konkret wurden. Vorher dachte ich nicht an viel, ich machte es einfach, weil es Spaß machte. Diesmal war das anders, ich dachte an Erik. Ich zeichnete in Gedanken die Konturen seines Körpers nach, ich versuchte mir seinen Geruch ins Gedächtnis zu rufen und ich dachte an jeden Zentimeter nackter Haut, die ich bisher zu Gesicht bekommen hatte. Als ich fertig war, schlief ich vor Erschöpfung direkt ein, ohne mich noch sauber zu machen. Erst am nächsten Morgen, als ich erwachte, wurde mir bewusst was ich getan hatte. Ich hatte beim Wichsen an einen Jungen gedacht. Meine Gefühlswelt war durcheinander. Ich erwischte mich dabei, wie ich breit Grinsen musste, wenn ich an ihn dachte und daran was es in mir auslöste. Aber gleich im nächsten Moment war ich panisch, denn ich wusste auch, dass es nicht normal war. Ich redete mit Freunden aus der Schule über das Thema so gut wie nie, aber wenn, dann ging es um Frauen oder Mädchen und ich wusste auch wie man es nennt, wenn man nicht an Mädchen interessiert war – und dass es kein Kompliment war unter Jugendlichen.

An dem Tag ging ich nicht zu Erik. Ich rief an und ließ ihm ausrichten, dass ich mich heute nicht so gut fühlte und den Tag lieber zu Haus verbrachte. Ich versuchte mich abzulenken, allerdings klappte das nicht wirklich. Ich las ein Buch und wusste schon nach einer Seite nicht mehr, was ich eben gelesen hatte. Ich schaute einen Film, wurde aber unruhig und konnte der Handlung nicht folgen. Ich fing an mich wirklich nicht gut zu fühlen. Das einzige was half war das Fenster zu verdunkeln und mich mit Musik auf den Kopfhörern im Bett zu verkriechen. Meine Mutter bekam erst durch den Anruf von Eriks Eltern mit, dass ich nicht drüben war. Sie kam in mein Zimmer, nachdem ich auf das Klopfen nicht reagiert hatte. Ihren Fragen, nachdem was los sei, wich ich aus. Ich sagte wahrheitsgemäß, dass ich mich nicht so gut fühlen würde, aber sie ließ nicht locker. Sie kannte mich. Wenn ich krank war verkroch ich mich nicht, sondern hing im Wohnzimmer auf dem Sofa rum und wollte, dass sich alle um mich kümmerten. Aber das? Das war ein neues Verhalten, was meiner Mutter sichtbar Sorgen bereitete. Sie setzte sich zu mir aufs Bett und versuchte vorsichtig zu erfragen ob etwas vorgefallen sei und versicherte mir, dass ich mit ihr über alles reden könne. Ich stammelte nur unzusammenhängende Sätze, weil ich nicht mit der Sprache rausrücken wollte. Aber es mir auch auf der Seele brannte. Der Druck entlud sich dadurch, dass ich anfing bitterlich zu weinen. Ich schluchzte wie ein Schlosshund an der Schulter meiner Mutter, die mich einfach nur festhielt und mir sagte, dass ich es raus lassen soll. Als ich mich wieder etwas gefangen hatte, bot sie an mir ein Eis zu holen. Ich war zwar keine neun mehr, aber irgendwie war es genau das was ich jetzt brauchte.

Als meine Mutter wieder nach unten ging, rief sie Eriks Eltern an und wollte wissen ob am Vortag etwas vorgefallen sei und wir uns gestritten hätten. Sie erzählte ihnen, dass ich geweinte hatte und sie nicht wisse warum. Sie fragten Erik, der natürlich auch keine Erklärung dafür hatte, aber darauf bestand bei mir vorbei zu schauen.

Es klopfte an meiner Zimmertür und ich sagte „herein“, davon ausgehend, dass meine Mutter mir das Eis bringt, auch wenn es sehr lange gedauert hatte. Als Erik plötzlich im Zimmer stand war ich schockiert. Noch immer war ich verheult. Ich wischte mir schnell die letzten Tränen aus dem Gesicht und tat aufgesetzt locker, als Erik sich an mich wendete:

„Ich hab uns Eis mitgebracht, aber ich weiß gar nicht ob Vampire Eis essen“, sagte Erik und spielte auf den verdunkelten Raum an.

Seinem Lächeln konnte ich nicht widerstehen und musste selbst anfangen zu schmunzeln, selbst wenn sein Gesicht auch einen Ansatz von Sorge zeigte.

„Solange es kein Knoblaucheis ist...“, gab ich kleinlaut zurück und streckte meinen Arm nach dem Eis aus.

Er gab mir das Eis und setzte sich neben mich aufs Bett. Mit dem Rücken an der Wand lagen wir da und aßen schweigend unser Eis. Irgendwann unterbrach Erik das Schweigen: „Du hast geweint!?“ - Es klang weniger wie eine Frage, mehr wie eine Feststellung. Ich wusste nichts darauf zu sagen, also schwieg ich. Seine Anwesenheit machte mich nervös und beruhigte mich zeitgleich. Erneut setzte er zu einem Gespräch an: „Habe ich was falsch gemacht?“

Ich schaute ihn erschrocken an. Dachte er wirklich ER hätte was falsch gemacht?

„Du…du hast nichts falsch gemacht“, stammelte ich. „Ich habe, bin…ich weiß auch nicht.“

Er legte seine Hand auf meine, womit er offensichtlich versuchte mich zu ermutigen. Ich schaute ihn an und blickte in seine wunderschönen Augen und dann…

…dann küsste ich ihn einfach.

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