zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Schöne heile Welt

Teil 1 - Building Thangingen

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

1

Das grelle Licht, das durchdringende Quietschen, der Geruch nach verschmortem Gummi und dieser furchtbare, markerschütternde Schrei; das war alles, woran ich mich noch erinnern konnte, bevor die Dunkelheit mich umfangen hatte. Jetzt fühlte ich mich ganz leicht, fast so wie vor diesen Ereignissen. Der Abend war doch so schön gewesen! Ich verstand immer noch nicht so ganz, was eigentlich geschehen war.

Doch dann drangen wieder diese Bilder in meine Erinnerung vor: Der Nebel, das plötzliche Aufleuchten von Scheinwerfern und dann, wie sich die Welt um uns drehte. Uns? Meine Gedanken liefen träge dahin, ohne Ziel. Wieso uns? Wen gab es denn noch außer mir? Wen …Nick!

Ich schlug die Augen auf und sah … erst einmal nicht viel mehr als zuvor, denn die Welt war wie hinter einem zarten Schleier verborgen. Ich konnte lediglich undeutliche Schemen wahrnehmen, dann wurde mir ein grelles Licht ins Auge gerichtet. Ich stöhnte leise und schloss sie wieder. Aus meiner Umgebung vernahm ich ein gedämpftes Grummeln, das sich nach wenigen Augenblicken wiederholte. Erst beim vierten Mal oder so konnte ich daraus Worte dechiffrieren und ihnen einen Sinn zuschreiben.

"Herr von Behring, können Sie mich hören?"

Ich wollte antworten, doch meine Zunge versagte mir ihren Dienst. Also versuchte ich zaghaft zu nicken, was sogar leidlich gut gelang.

"Das ist schön. Fühlen Sie sich stark genug, die Augen zu öffnen?"

Ich trat den Beweis dazu an und versuchte diesmal etwas mehr zu erkennen. Aus den nebligen Schemen löste sich allmählich die Gestalt eines jungen Mannes heraus, der in einen weißen Kittel gekleidet über mich gebeugt war und mir halb erfreut, halb ernst ins Gesicht sah.

"Schön, dass Sie wieder unter den Lebenden weilen. Wir hatten schon die Befürchtung, dass Sie nie wieder aufwachen könnten." Dann sprach der Arzt noch eine Weile weiter, aber die Worte verloren schnell ihren Sinn, beziehungsweise ich konnte die Worte nicht mehr mit dem dazugehörenden Sinn verknüpfen. Also schloss ich die Augen und versuchte mich an irgendetwas zu erinnern, das mir dabei helfen konnte. Doch zu allererst fiel mir nur irgend jemand ein.

"Wwwwwooo … Nnnnnick?", brachte ich stockend und beinahe würgend heraus. Ich sah den Arzt fragend an und als sich sein Gesicht verfinsterte, breitete sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus.

"Eigentlich hatte ich vor, Sie damit jetzt noch nicht zu belasten, Herr von Behring, aber Ihr Freund … Nick, er hat es leider nicht geschafft. Die Rettungsärzte konnten ihn lediglich tot aus Ihrem Wagen bergen. Es tut mir leid." Er senkte den Kopf und vermied es, mir in die Augen zu sehen. Ich atmete tief ein, um meine Gefühle im Zaum zu halten. Doch mein Zustand war anscheinend alles andere als gut, sodass mich das eine derart große Anstrengung kostete, dass ich drohte, in die Dunkelheit zurückzufallen. Also zwang ich mich, mich zu entspannen und sah den Arzt erneut an.

"Wwwaas … ppppassssiierttt?"

"Sie hatten einen Unfall mit Ihrem Wagen. Offenbar sind Sie auf glatter Straße in den Gegenverkehr geraten und frontal mit einem Lastwagen kollidiert. Dabei wurde Ihr Fahrzeug beinahe vollständig zerstört. Die Rettungskräfte hielten es für ein Wunder, dass Sie überlebt haben. Allerdings, das muss ich Ihnen leider sagen, ist das Ganze nicht ohne Spuren an Ihnen vorbeigegangen." Er machte eine Pause. Ich biss mir auf die Lippe und forderte ihn durch Kopfnicken dazu auf, fortzufahren.

"Ja wissen Sie, es hat sich ein Blutgerinnsel in Ihrem Rückenmarkskanal gebildet, das auf Ihre Nerven drückt. Sie können momentan Ihre Beine nicht bewegen. Wir haben zwar schon in mehreren OP's versucht, den Druck zu verringern, aber die Blutblase füllt sich immer von Neuem. Daher müssen wir abwarten. Sie werden bald nochmals operiert, dann hoffen wir, damit das Problem in den Griff zu bekommen. Aber es kann niemand sagen, ob Ihr Rückenmark nicht vielleicht schon irreparabel geschädigt ist."

Ich konnte dem Arzt nicht länger in die Augen sehen und drehte meinen Kopf zur Seite. Das war doch alles nur ein Traum. Das MUSSTE ein Traum sein. Nick sollte tot und ich ein Krüppel sein? Das konnte nicht wahr sein, es durfte nicht wahr sein. Aber tief in mir wusste ich, dass es so war, auch wenn ich nicht bereit war, Nicks Tod einfach so zu akzeptieren.

"Sie brauchen jetzt erst einmal Ruhe, daher werde ich Sie alleine lassen. Ich komme später noch mal vorbei, um nach Ihnen zu sehen." Damit entfernte er sich aus meinem Gesichtsfeld und nach kurzer Zeit hörte ich ihn zur Tür hinausgehen.

Da lag ich nun alleine, nur mit meinen Gedanken, die nunmehr rasten, in diesem Zimmer und starrte an die Decke. War das alles real und nicht vielleicht nur ein ganz furchtbar böser Traum? Und wenn es real war, wie sollte ich das bitte schön alles ertragen? Das war einfach zu viel auf einmal. Ich schloss die Augen und versuchte ganz fest an die glückliche Zeit mit Nick zu denken.

Als ich wieder erwache, hörte ich meinen Arzt leise auf eine weitere Person einreden.

"Ich bitte Sie jetzt noch einmal zu gehen. Der Patient braucht momentan nur Ruhe und nichts sonst. Ich kann Sie benachrichtigen lassen, sobald es ihm soweit wieder gut geht, dass er Sie empfangen kann."

"Dr. Schirmer, Sie kennen sicherlich die Henriette-von-Behring-Stiftung, die Ihrer Klinik jedes Jahr eine nicht unerhebliche Summe zur Verfügung stellt, nicht wahr? Und diese Stiftung wird zu einem Hauptteil von den Geldern der Firma finanziert, die ich hier repräsentiere. Da wird es doch wohl nicht zu viel verlangt sein, dass ich kurz mit dem jungen Mann spreche."

"Frau Ferno, diese Fakten sind mir alle hinreichend bekannt. Daher möchte ich Sie darauf hinweisen, dass mir an erster Stelle das Wohl meiner Patienten wichtig ist. Und meiner Meinung nach ist es für seine Genesung nicht förderlich, wenn Sie ihn jetzt mit geschäftlichen Dingen belagern."

"Ich kann auch mit unserem Anwalt …"

"Schschschon okay, Herr Dododoktor", stotterte ich. Die beiden drehten sich überrascht zu mir um, anscheinend hatten sie nicht damit gerechnet, dass ich wach sein könnte.

"Herr von Behring, ich kann das wirklich nicht verantworten."

"Lassen Ssssie mal gut sein. Lucy, was gibt's?", fragte ich dann die Marketingchefin und stellvertretende Geschäftsführerin von Macrocore, dem Software-Riesen, den mein Vater aufgebaut hat und dessen Chef ich – zumindest auf dem Papier – war.

"Firmeninternes", sagte sie nur und sah Dr. Schirmer herausfordernd an. Der seufzte nur und verließ den Raum. "Also", fuhr Lucy Ferno dann fort, "zuerst einmal wollte ich Ihnen im Namen der gesamten Belegschaft ausrichten, dass es uns freut, dass Sie den Unfall so gut überstanden haben."

"Das nennen Sie gut?" Ich verzog säuerlich mein Gesicht. "Nick ist tot und ich kann vielleicht nie wieder meine Beine bewegen."

"Ja, das ist in der Tat bedauernswert." Ihr Tonfall war alles andere als mitleidig. Lucy Ferno war eine kühle Geschäftsfrau, der Gefühle jeglicher Art fremd waren. Für sie zählte lediglich der Verstand etwas, denn der brachte einen im Leben voran, sagte sie immer. "Aber es ist auch eine großartige Chance."

"Könnten Sie mir das bitte genauer erklären?"

"Sie wissen doch, dass wir zurzeit an einem revolutionären Spielprinzip arbeiten. Second World. Und Sie sind in Ihrer Lage geradezu als Testperson prädestiniert."

"Worum geht es dabei noch einmal?"

"Second World ist das erste Spiel, das den Spieler real mit einbezieht. Die gesamte Spielwelt, alle Ereignisse und Personen basieren lediglich auf der Phantasie des Spielers. Er bekommt ein Elektrodenband um den Kopf geschnallt, das all seine Gedanken erfasst und in eine digitale Spielwelt umwandelt. Solange der Spieler aktiv in dieser Welt verbleibt, kann er sie formen, wie es ihm gefällt. Wenn er das Band abnimmt, sorgen leistungsstarke Rechenchips dafür, dass die Zeit in dieser Welt nicht stehen bleibt. Sie berechnen, was nach den gegebenen Grundparametern als Nächstes passieren muss.

Kommt der Spieler zurück, kann er diese Weiterberechnung verändern oder teilweise rückgängig machen, wenn sie nicht mehr in sein Spielkonzept passt. Auf diese Weise erhält er uneingeschränkte Macht über die Spielwelt."

"Das hört sich ja wirklich interessant an", meinte ich gelangweilt. Dieses Computerzeug hatte mich noch nie interessiert. Ich war nur durch die Ideen meines Vaters reich geworden, nachdem er und meine Mutter vor vier Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren. Die Firma hatte mir ein sorgloses Leben ermöglicht, alles andere war mir egal, sie wurde von fähigen Managern geleitet. "Aber warum sollte gerade ich in meiner Lage der ideale Spieler für Second World sein?"

"Weil Sie im Spiel ein Gott sein werden. Man kann dort alles machen, zum Beispiel geliebte verstorbene Menschen wiedertreffen, glückliche Erinnerungen nachholen – oder wieder laufen, wenn man dieser Fähigkeit beraubt wurde."

Jetzt wurde ich doch hellhörig. Wenn das hier tatsächlich die Realität war, und diese so grausam war, vielleicht konnte ich mich ja dann in eine Welt flüchten, in der es mir wieder gut ging, in der nichts von dem, was geschehen war, passiert war. "Gibt es Grenzen?"

"Nein. Das heißt, nur die Grenzen Ihrer Vorstellungskraft. Alles, was Sie sich vorstellen können, wird in Second World Wirklichkeit."

"Kostet das nicht massig Speicherkapazität?" Ein klein wenig verstand ich schon von dem ganzen Zeugs.

"Nein. Auf dem angeschlossenen System wird lediglich der Stand der erschaffenen Welt gespeichert, in dem Sie ihn verlassen. Das System berechnet dann bei Neustart in Abhängigkeit von der Zeit, die zwischen zwei Spieleinheiten vergangen ist, die Umgebung neu, sodass es dort niemals Stillstand gibt."

"Gibt es noch Risiken? Fehlerhafte Programmierungen?"

"Bisher ist uns nichts aufgefallen. Aber daher bin ich ja auch hier. Der Aufsichtsrat hat vorgeschlagen, dass wir das öffentliche Interesse an Ihrem Unfall als Publicity nutzen sollten, um Second World marktreif zu bekommen. Wenn Sie den letzten Entwicklungsschritt aktiv begleiten und aller Welt erzählen, wie grandios es sich für Sie in Ihrem Zustand angefühlt hat, das Spiel zu spielen, werden alle ganz verrückt danach sein. Das zusätzliche Geld aus den Einnahmen können Sie im Moment gut gebrauchen, wenn Sie die fähigsten Ärzte für Ihre Genesung engagieren wollen."

"Geben Sie mir bis morgen Zeit, ja? Ich werde darüber nachdenken."

"In Ordnung. Morgen werde ich mit der Apparatur wiederkommen und Sie entscheiden dann, ob Sie ins Spiel einsteigen wollen oder nicht." Lucy Ferno nickte kurz, dann machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ mein Zimmer. Ich seufzte kurz und starrte wieder einmal die Decke an. Eigentlich – wurde mir gerade klar – hatte ich meine Entscheidung ja schon getroffen.

Eine Welt nach meiner Vorstellung, in der die Schrecken der Realität nicht mehr als ein dunkler Traum sein würden. Eine Welt, in der ich wieder mit Nick vereint wäre, meine Eltern wiederträfe und in der alles nach meinem Willen geschehen würde. Das war einfach zu verlockend, um sich großartig Gedanken darüber zu machen. Wer hätte sich da anders entschieden? Mein Leben lag in Scherben und das Einzige, was mir geblieben war, war mein Geld.

Doch Geld allein macht nicht glücklich. Ich musste es richtig einsetzen und dieses Angebot meiner Firma kam mir da schon recht. Und die Ferno war wirklich eine geniale Werbestrategin, denn sie hatte völlig recht: Wenn ich als gelähmter und vom Schicksal übel abgestrafter Junge in diesem Spiel neue Lebensfreude entdecken könnte, wenn ich durch das Spiel von meinen düsteren Gedanken abgelenkt würde, dann war das eine grandiose Werbung für Second World und auch für Macrocore als Firma. Die Aktienpreise würden in ungeahnte Höhen klettern, denn das Spielprinzip war ja in der Tat revolutionär und jede andere Firma würde es übernehmen wollen. Allein die Lizenzeinnahmen dafür würden vermutlich den Jahresumsatz verdoppeln.

Ich hatte auch keinerlei Zweifel daran, dass dieses Spiel bereits jetzt schon fehlerfrei war. Die Marktreife war im Prinzip nur noch eine Formalität, die durch meine Beteiligung eine ganz besondere Note erhalten würde. In der Firma arbeiteten wirklich die größten Visionäre der Branche und die Idee, die sie diesmal gehabt hatten, war – das musste ich zugeben – schlichtweg genial.

Ich begann mir bereits die Grundzüge meiner Welt vorzustellen. Ich ersann ein kompliziertes Ökosystem, in dem jedes Wesen von einem anderen abhängig war und es keinerlei "Überrassen" gab, die niedere Kreaturen ausnutzten und ausbeuteten. Jedes Nehmen musste durch ein Geben kompensiert werden. Zwar sollten dort auch Menschen wohnen – ich wollte ja nicht, dass Nick und ich dort ganz alleine waren, obwohl es eine verlockende Vorstellung war – aber diese sollten sich nur sporadisch tierischer Nahrung bedienen, da die Flora alles zum Leben bereithalten würde.

In Gedanken an dieses wunderbare Paradies, an mein Utopia, verfiel ich ganz langsam in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Wider Erwarten sah ich bei meinem Erwachen nicht die Ferno mit einem futuristischen Apparat vor mir, sondern Dr. Schirmer, der besorgt auf sein Klemmbrett starrte. Als er merkte, dass ich wach war, versuchte er seine Stimmung zu verbergen.

"Guten Morgen, Herr von Behring. Haben Sie gut geschlafen?"

Ich nickte nur und schielte auf das Klemmbrett. Dr. Schirmer bemerkte das und ging sofort darauf ein.

"Wir werden im Laufe des Tages noch einige Tests machen müssen. Sie werden heute hier im Haus weit herumkommen." Er zwinkerte mir zu. "Jetzt geht's erst mal zur Radiologie, dann zum CT und heute Nachmittag hab Sie ein Date mit dem Anästhesisten, der überprüft, ob Sie fit für eine weitere OP sind."

"Aber Frau Ferno kommt doch dann …", wollte ich einwenden.

"Die hat heute bei Ihnen gar nichts zu suchen, Sie sind krank, haben gerade mit Müh' und Not einen Unfall überlebt und sind daher absolut nicht befähigt, sich mit geschäftlichen Dingen auseinandersetzen zu müssen."

"Das sollten Sie ja wohl mich entscheiden lassen! Aber da ich ja einsehe, dass Untersuchungen nur dazu dienen, mich schnell wieder gesund zu machen, will ich Ihnen nicht widersprechen. Könnte man Frau Ferno dann bitte ausrichten, dass ich Ihr Angebot annehme und Sie das Gerät bitte hier irgendwo abstellen möge."

Dr. Schirmer sah mich zweifelnd an, nickte aber schlussendlich.

"Gut. Na dann mal los, ich denke, ich habe heute viel zu tun." Ich wurde samt Bett aus dem Zimmer gerollt und dann bekam ich wirklich sehr viel vom Krankenhaus zu sehen.

Als ich gegen Abend endlich wieder alleine in meinem Zimmer war und auch wirklich Ruhe vor allen Schwestern hatte, bemerkte ich das kleine Paket auf meinem Nachttisch. Ein Zettel lag darauf, der mit Lucy Fernos akkurater Handschrift beschrieben war.

Schön, dass ich Sie überzeugen konnte. Zum Spielen einfach das Band um den Kopf legen, mit dem "MacroCube" verbinden und diesen einschalten. Dann einfach zurücklegen, entspannen und losfantasieren. Schöne Grüße, Ihre Lucy Ferno.

Ich öffnete gespannt das Päckchen. Darin befand sich ein schwarzes Band, an dessen Innenseite mehrere metallene Knöpfe in den Stoff eingenäht waren und von dem ein Kabel mit HDMI-Anschluss abging. Daneben ein erstaunlich kleines Kästchen, nicht viel größer als ein MP3-Player, mit dem passenden Gegenstück. Ich befolgte also die Anweisung und legte das Band um den Kopf, sodass ich die Metallknöpfe dicht auf meiner Haut spüren konnte. Dann steckte ich den Stecker in das Kästchen, sorgte dafür, dass dieses mit Strom gefüttert wurde, und drückte den großen On/Off-Knopf in der Mitte.

Ein leichtes Kribbeln fuhr über meine Kopfhaut, nicht einmal sonderlich unangenehm. Dann schaltete ich meine Nachttischlampe aus, lehnte mich zurück und schloss die Augen.

Das Erste, das ich sah, war eine absolute Schwärze. Ich hatte schon Angst, dass ich bei der Verkabelung etwas falsch gemacht hatte, und es daher nicht funktionierte, aber dann fiel mir der Satz von der Ferno ein: "Weil Sie im Spiel ein Gott sein werden." Und wie hieß es doch so schön in der Bibel: Es werde Licht! Und siehe da, kaum hatte ich das gedacht, fuhr ein gleißender Lichtblitz vom Himmel und erhellte meine Umgebung. Was ich sah, war sehr deprimierend. Nur ödes und karges Land, ohne jegliches Leben.

Aber das konnte man ja ändern. Ich entsann mich der Welt, die ich mir am Abend zuvor ausgedacht hatte, und sie begann vor meinen Augen zu entstehen. Zuerst gruben sich aus dem Nichts Bäche und Flüsse in den braunen Untergrund und vom Wasser aus ergrünte meine Welt. Bäume schossen in Sekundenschnelle empor, jeder in seiner Form genauso, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Blumen und Blüten, in allen nur möglichen Farben, verliehen dem Grün mehr Leben.

Dann kamen die Tiere. Wesen, wie sie die Natur der Erde niemals hervorgebracht hatte, bevölkerten meine Welt. Gefiederte Frösche mit acht Beinen, Schnecken von der Größe eines Zebras, kuhähnliche Wesen mit dem Kopf eines Kolibris, die aus den großen Blütenkelchen der Bäume Nektar saugten, Vögel, die wie Schmetterlinge aus Puppen schlüpften. Mit der Zeit begann ich die Gesetze der normalen Physik außer Kraft zu setzen, so sehr beflügelte mich meine Kreativität. Da gab es Schwäne, von der Masse eines Nashorns, die elegant wie ihre Vorbilder durch die Lüfte schwebten oder in Seen ihre Kreise zogen. Affen mit vier Armen, zwischen denen eine ledrige Haut gespannt war, sprangen und segelten zwischen den Wipfeln der Bäume hin und her.

Es war einfach unglaublich. Ich schloss die Augen und ließ die Schaffenskraft nur so aus mir herausfließen. Als ich wieder hinsah, hatte sich meine Welt schon wieder weiterentwickelt. Die Wälder waren teilweise großen Wiesen gewichen, auf denen katzenähnliche Wesen mit dickem Wollfell umherstreiften und hier und da Insekten aus der Luft mit einer langen klebrigen Zunge aufschnappten. Am Rand des Waldes waren große Palisaden errichtet worden, wie zum Schutz vor etwas Gefährlichem. Hinter diesen angespitzten Baumstämmen schmiegten sich mehrere Stoffzelte aneinander und vor diesen brannte ein großes Lagerfeuer.

Neugierig ging ich darauf zu (ich konnte laufen, es war ein wahres Wunder!), während meine Phantasie immer weiter arbeitete und alles einer stetigen Veränderung unterzog. So wurden die Katzenschafe von Hundeziegen abgelöst, die sich in kleinen Herden in der Nähe der Palisaden aufhielten, als wüssten sie um den Schutz, den es dort gab. Aus einem der Zelte trat nun ein Mensch, oder zumindest das Abbild eines Menschen in dieser Welt, denn er hatte am ganzen Körper dichtes, gelb-schwarz-gestreiftes Fell und anstelle von Füßen große, mit Klauen bewehrte Hufe.

Als die Kreatur mich sah, stockte sie in ihrer Bewegung, warf sich urplötzlich auf den Boden und bewegte ihren Oberkörper auf und ab. Ich fragte mich, was das wohl sollte.

"Naja, Nathan, du bist eben ihr Gott und Herrscher", kam es da von rechts. Ich erstarrte, denn der Klang dieser Stimme war einfach zu schön. Ich hatte befürchtet sie nie wieder zu hören, und den zugehörigen Menschen nie wieder zu sehen. Daher drehte ich mich ganz langsam zur Seite. Was meine Phantasie geschaffen hatte, war eine wahnsinnig verklärte Version von Nick. Er stand auf einem Hügel, die Sonne (oder viel mehr das Licht, denn eine Sonne hatte ich bisher nicht erschaffen; das änderte sich aber, sobald mir der Gedanke daran gekommen war) ließ sein goldblondes Haar flammend aufleuchten und ich war nicht gerade überrascht, dass er dort oben ganz nackt stand. Schließlich hatte ich ihn so am intensivsten in Erinnerung.

"Nick?!", rief ich, vor lauter Freude fast heiser, und stürmte auf ihn zu. Er kam mir mit offenen Armen entgegen, in die ich hineinlief und ihn dann ganz fest hielt. "Ich dachte, ich hätte dich für immer verloren", meinte ich nur schluchzend.

"Solange ich da drin bin", meinte er und zeigte auf meinen Kopf, "wirst du wohl noch etwas länger mit mir leben müssen."

"Es ist so schön, dich zu sehen, Nick. Gefällt dir diese Welt?"

"Ja, sie ist wirklich herrlich geworden. Du warst schon immer ein grandioser Visionär. Aber im Moment fehlt mir besonders eines: Ein gemütliches Häuschen, und ein Bett, in dem ich mich ganz eng an dich kuscheln kann."

"Das dürfte kein Problem sein", lachte ich, und im selben Augenblick lagen wir zusammen unter einer warmen Decke vor einem prasselnden Kaminfeuer und begannen uns innig zu lieben.

Nicht ganz freiwillig kehrte ich in die Realität zurück. Ich hatte vernommen, wie jemand unentwegt meinen Namen gerufen hatte. Daher hatte ich mich nach einer endlosen Zeit, die allerdings viel zu kurz gewesen war, von Nicks Vision losgerissen und war zurückgekehrt. Nun sah ich Lucy Ferno etwas erbost an.

"Was ist denn los?", fragte ich.

"Ich wollte nur hören, ob Sie mit dem Spiel zurechtkommen."

"Ja klar, es ist absolut genial und … und … und naja, einfach genial."

"Das freut mich zu hören." Auf ihrem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. "Wie sieht es mit der Steuerung aus?"

"Total intuitiv. Alles, was man sich vorstellt, wird sofort real und fassbar, alles Unmögliche wird machbar, es ist einfach grandios." Ich geriet ins Schwärmen und begann ihr von meiner Welt zu erzählen, von den Wesen, die ich erschaffen hatte, von dem Kommunikationssystem unter allen Wesen dieser Welt, das ich bei meinem nächsten Spiel einführen wollte, um den Kontakt zwischen den Spezies zu verbessern. Die Ferno hörte mit einem dauerhaften Lächeln geduldig zu, obwohl ich mehr als einmal das Gefühl hatte, dass ihr mein Gerede ziemlich auf den Geist ging. Als ich geendet hatte, hatte sie nur eine Frage.

"Wie wollen Sie denn Ihre Welt nennen?"

"Hm, da hab' ich jetzt so noch gar nicht drüber nachgedacht. Aber wie wäre es denn mit Behringsland?"

Die Ferno sah mich an, als ob sie fast im Stehen einschlafen würde. "Das ist etwas, naja, unkreativ, finden Sie nicht?"

"Was halten Sie von Thangingen?"

"Viel besser."

"Okay, dann werde ich jetzt noch ein bisschen nach Thangingen reisen, ja?"

Sie nickte und ich schaltete den MacroCube wieder ein.

2

Mir fiel sofort auf, dass sich in meiner Abwesenheit einiges verändert hatte. Es gab inzwischen mehrere Siedlungen, die von den Palisadenzäunen geschützt wurden, die Wälder bestanden nun hauptsächlich aus zehn Meter hohen Farnen und Pilzen, unter deren Hüten die gefiederten Frösche ihre Nester gebaut hatten. Ich lief mit Nick Hand in Hand durch diesen wunderlichen Wald und konnte mich einfach nicht sattsehen. Hinter jedem Strauch tauchte eine neue unglaubliche Weiterentwicklung der Wesen auf, die ich erschaffen hatte. Der MacroCube hatte echt Arbeit geleistet in der kurzen Zeit, die ich nicht in Thangingen gewesen war.

"Sag mal, wie lange war ich weg?", fragte ich Nick, weil mich die Zeitrechnung meiner Welt interessierte.

"Eine Sekunde und zugleich eine Ewigkeit. Die Zeit hier drinnen richtet sich allein nach deiner Vorstellungskraft. Je mehr du verändern und erschaffen willst, desto schneller entwickelt sich die Welt, wenn du Thangingen verlässt. Wenn du mit den Vorgaben gehst, dass nur langsame Fortschritte erzielt werden sollen, dann wird das so geschehen."

"Aha." Das war zwar etwas verwirrend, aber ich sah es als Art Speicherstand des Spieles an, den man nach Belieben festsetzen und verändern konnte. Die Programmierer hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.

"Du, Nathan?" Nick sah mich aus großen Augen fragend an. "Was hältst du davon, wenn wir hier wirklich wie Könige herrschen? So mit Palast und all dem?"

"Hm, eigentlich hatte ich nicht vor, Thangingen mit bevorteilten Wesen zu bevölkern."

"Aber wir sind GÖTTER, Nathan. Das macht uns zu etwas Privilegiertem, zu außergewöhnlichen Wesen. Wir müssen das zeigen."

"Naja, ich weiß nicht so recht. Aber wenn du es so sehr willst." Ich hatte Nick noch nie einen Wunsch abschlagen können. Also wurde vor unseren Augen der Wald niedergewalzt, die Tiere die darin lebten vertrieben und die Pflanzen vernichtet, und aus den Resten erhob sich ein gewaltiger marmorner Palast, dessen Ausmaße wirklich unüberschaubar waren. Es sah zwar wirklich wunderschön aus, aber irgendwie erschien er mir als Monstrosität, als etwas, das hier absolut nicht hingehörte. Aber der freudige Ausdruck in Nicks Gesicht beschwichtigte meine Zweifel.

Da meine Kreativität immer noch ungebrochen war, dauerte es nicht lange, bis der Palast die erste Änderung der Welt bewirkte: Um ihn herum versammelten sich die humanoiden Bewohner meiner Welt und schlugen dort ihre Zelte auf. Sie betrachteten Nick und mich ehrfürchtig, während sie ihrem normalen Leben nachgingen.

"Siehst du? Schon bald wird das hier die Hauptstadt unseres Reiches sein, von der aus wir alles beherrschen können", meinte Nick.

"Aber das wollte ich doch gar nicht", erwiderte ich zweifelnd. Ich hatte doch eine Welt voll Gleichheit im Sinn gehabt, weil die Realität mich immer gelehrt hatte, dass gewisse Menschen gleicher als andere waren. Und so etwas hatte ich vermeiden wollen.

"Ach was redest du denn da?", lachte Nick. "Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du dich nicht über unsere kleine Welt freust, in der wir einfach nur wir sein können. Wo es nur uns und unsere Liebe gibt."

"Doch schon, aber …"

"Kein aber! Du wirst sehen, dass es genau DAS war, was du wolltest. Du konntest es dir nur vorher nicht vorstellen."

"Wenn du meinst. Aber ich möchte trotzdem für eine universelle Kommunikation zwischen allen Wesen von Thangingen sorgen."

"Tu, was du nicht lassen kannst", meinte Nick gelangweilt. "Ich geh schon mal vor. Das Bett aufwärmen." Er zwinkerte mir verführerisch zu, doch als ich keinerlei Anstalten machte, ihm zu folgen, zog er beleidigt von dannen. Ich fragte mich, ob ich in meiner Welt auch die Launen meines Freundes beherrschen konnte, und nahm mir vor, es bei der nächsten Gelegenheit auszuprobieren.

Dann wollte ich aber das Äquilocutium erschaffen, wie ich meine Konversationsidee nannte. Und zwar funktionierte sie nach der Vorstellung, dass um jedes Wesen, ja jegliche Materie in Thangingen, eine Art Aura existierte, über die diese Wesen miteinander und mit allen anderen Kreaturen Thangingens in Kontakt treten konnten. So konnten Tiere mit den Pflanzen "reden", welche sie zum Leben brauchten, und die Wesen fühlten miteinander, sodass es nie ein Ungleichgewicht geben dürfte, dass niemals eine Rasse die andere beherrschen könnte.

Ich war von dieser Idee wirklich extrem begeistert. Eine direkte Verbindung zwischen Menschen und Tieren hätte in der Realität vieles anders werden lassen. Und genau das wollte ich ja: Eine Evolution, die gänzlich anders verlaufen sollte als auf der Erde. Wer hier in Thangingen ein anderes Wesen tötete, sollte dabei gewissermaßen auch einen Teil von sich selbst verlieren, denn über das Äquilocutium waren alle miteinander verbunden. Ich hoffte, dadurch die Machtergreifung einer Spezies durch Gewalt über eine andere Art von vornherein unterbinden zu können. Denn diese Gewalt würde sich auch gegen ihren Urheber richten. Alle Entartungen der Realität waren meiner Meinung nach nur aufgetreten, weil es vielen Menschen Spaß bereitete, Macht durch Gewalt zu erlangen.

Nachdem ich selbst einmal das Äquilocutium getestet hatte und mit meiner Welt in Kontakt getreten war, machte ich mich auf die Suche nach Nick.

"Nathan?", riss mich eine recht bekannte Stimme aus meiner Welt. Unwirsch nahm ich das Elektrodenband ab, ließ den MacroCube aber noch an, weil ich vorhatte, bald zurück nach Thangingen zu gehen.

"Melanie, das ist ja eine Überraschung."

"Oh, Nathan, ich bin ja so froh, dass es dir gut geht."

"Melanie, mir geht's nicht gut. Ich kann vielleicht nie wieder laufen und …"

"Mann, Nathan, sie meinte, dass du das überlebt hast", warf eine andere Person ein. Leicht verwundert wandte ich mich zur Seite.

"Andy? Was machst du denn hier? Ich dachte, du kannst Krankenhäuser nicht ausstehen."

"Kann ich auch nicht. Aber Mel und Julia haben mich überredet, mit herzukommen."

"Julia ist auch da?"

"Ja, sie holt bloß grad Kaffee. Müsste jeden Moment wieder hier sein."

"Aber jetzt sag mal", fragte Melanie. "Was ist das für ein komisches Gerät, an dem du da angeschlossen warst. Man konnte unter deinen Lidern die Augen hin und her rasen sehen. Und du hast immer wieder deinen Mund bewegt, als ob du was sagen wolltest.

"Das? Och, das ist nur so eine Erfindung meiner Firma. Ich sollte sie nur mal testen und …"

"Sind die bescheuert?! Du hast gerade einen schweren Autounfall überlebt und die wollen, dass du ein Spiel TESTEST? Das werd' ich dir gleich mal wegnehmen." Sie machte tatsächlich Anstalten, um mein Bett herumzukommen und den MacroCube an sich zu nehmen.

"Nein!", rief ich etwas barsch und zog das Gerät näher zu mir heran. Melanie sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.

"Nathan, ich will, dass du mir dieses Dings da gibst. Du brauchst Ruhe und Erholung."

"Das ist wie Schlafen, keine Sorge, nicht im Geringsten anstrengend. Ehrlich."

Melanies Gesicht machte mir deutlich, dass sie mir nicht annähernd glaubte, aber gerade als sie etwas sagen wollte, kam Julia mit drei Kaffeebechern in der Hand ins Zimmer. Julia Orthner war meine älteste Freundin, quasi eine Sandkastenbekanntschaft. Ihre Familie hatte sich dann um mich gekümmert, als meine Eltern gestorben waren, daher war sie auch so etwas wie eine Schwester für mich geworden.

Ihr hatte ich auch als Erster von meiner Beziehung zu Nick erzählt, den ich damals auf einem Rhetorikseminar kennengelernt hatte. Die Erinnerung daran trieb mir die Tränen in die Augen.

"Also so schlimm ist es auch nicht, dass ich hier bin, oder?", scherzte Julia und setzte sich an mein Bett, nachdem sie den anderen ihren Kaffee gegeben hatte.

"Oh, ich freu mich so, dich zu sehen, Ju."

"Was meinst du, wie sehr ICH mich freue, dass du noch am Leben bist, Nate. Als wir hörten, dass Nick …"

Sie wurde von Melanie unterbrochen, die zischend mit ihrer Hand eine abhackende Geste machte. Tatsächlich verschwamm bei der Erwähnung von Nicks Namen die Welt wieder hinter einem Tränenschleier. Ich wünschte, ich wäre wieder in Thangingen, wo er in einem warmen Bett auf mich wartete und wir, solange wir wollten, vögeln konnten.

"Hör mal, Nathan. Ich weiß, dass es hart für dich sein muss, aber …"

"Ach ja?", schrie ich Andy an. "Weißt du das? Nein tust du nicht! Du hast weder deine Eltern noch den Menschen, den du liebst, verloren. Du hast nicht die geringste Ahnung davon, wie's mir grade geht. Also halt die Klappe, ja?!"

"Hey, mal langsam Nathan!", fuhr mich Julia an. Dass sie meinen normalen Vornamen benutzte, zeigte mir, dass sie echt sauer war. "Er wollte nur nett sein, ja? Wir sind deine Freunde, wir haben uns Sorgen gemacht, und du hast nichts Besseres zu tun, als uns anzumachen, dass wir nicht wissen, wie's dir geht? Natürlich können wir das nicht wissen. Niemand, der nicht das Gleiche durchgemacht hat, kann das. Aber wir können trotzdem mit dir fühlen. Wir sind genauso fertig wie du und erschüttert über Nicks Tod."

"Tschuldigung", murmelte ich in Andys Richtung.

"Schon okay. Ich denke", meinte er dann zu den anderen Zwei, "dass wir ihn jetzt wieder in Ruhe lassen sollten. Dieser Dr. Schirmer hat gemeint, er soll sich nicht zu arg aufregen und viel schlafen. Das wäre das Beste für ihn im Moment."

"Okay", meinte Julia, hauchte mir einen Kuss auf die Stirn und flüsterte grinsend: "Dass man dir aber immer noch den richtigen Umgang mit Menschen zeigen muss."

Dann verabschiedeten sie sich alle und verließen mein Zimmer. Und ich verließ es auch – nach Thangingen.

"Halt mich bitte ganz fest, hörst du?", bat ich Nick. Ich lag mit ihm in einem riesigen Himmelbett, das so furchtbar kitschig war, dass ich mich ernsthaft fragte, wessen Phantasie es erschaffen hatte. Meine bestimmt nicht. Konnte Nick hier in Thangingen auch Veränderungen bewirken, weil er als meine Erinnerung viel bedeutsamer war als meine gesamte Vorstellungskraft? Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Was, wenn auch andere Erinnerungen aus den Tiefen meines Unterbewusstseins emporsteigen konnten, um Thangingen zu manipulieren? Ich würde bei meinem nächsten Besuch in der Realität mal die Ferno fragen, ob sie dazu eine Antwort wüsste.

"Ich muss dir dann später mal die Stadt zeigen. Du wirst begeistert sein."

"Die Stadt?"

"Na, bevor du gegangen bist, hast du doch noch die erste Besiedlung rund um den Palast gesehen. Es hat sich einiges getan. Offenbar hast du vergessen, die Zeitschiene auf langsam einzustellen.“

"Kann ich mir das mal gleich anschauen?", fragte ich mit einem unguten Gefühl im Bauch.

"Hm, eigentlich wollte ich noch ein bisschen mit dir kuscheln. Aber ich denke, dass wir dazu noch genug Zeit haben werden, nicht wahr?" Nick warf sich einen hellblauen Bademantel über und reichte mir einen Schwarzen. Ich schlüpfte schnell hinein, dann folgte ich ihm zum Balkon unseres Zimmers. Von dort aus konnte man die ganze Stadt überblicken, die in meiner Abwesenheit aus dem Boden gewachsen war.

Vom Wald war so gut wie nichts mehr übrig. Nur noch ein paar parkähnliche Baumgruppen erinnerten an das, was ich einmal erschaffen hatte. Dafür standen überall Häuser aus weißem Stein, vor denen die humanoiden Wesen auf gepflasterten Steinen herumliefen, auf großen Plätzen Märkte abhielten und sich lebhaft unterhielten. Dank des Äquilocutiums konnte ich ihre Sprache verstehen, die auf einfachen Klicklauten basierte. Aber als ich meine Gedanken mit dem allgegenwärtigen Äquilocutium verband, verstummten ihre Gespräche schlagartig.

Alle Bewohner der Stadt, die nahe genug am Palast waren, drehten sich ehrfürchtig zu mir herum, warfen sich dann auf den Boden und huldigten mir. Dann verfielen sie in eine Art Singsang, aus dem ich immer wieder "Unser König, unser Gott" vernahm. Einerseits schmeichelte mir das, andrerseits konnte ich es nicht ausstehen. Ich hatte aus Thangingen doch etwas total anderes machen wollen und jetzt begann es sich doch wieder so zu entwickeln wie die Erde.

"Ist unser Volk nicht wundervoll?", schwärmte Nick. Ich sah ihn skeptisch an.

"UnserVolk?", fragte ich. "Du bist hier doch genauso meine Schöpfung wie die da unten. Wieso hältst du dich für etwas Besonderes?"

"Bin ich das etwa nicht?" Nick verzog seine Lippen zu einem Schmollmund und sah mich mit seinem Welpenblick an, dem ich noch nie widerstehen hatte können.

"Doch, das bist du."

"Ich liebe dich, Nathan. Und weißt du, was wir als Nächstes unbedingt machen müssen? Du musst unsere schönsten Erlebnisse wieder heraufbeschwören. Ich möchte das so gerne nochmal alles erleben, was wir hatten."

"Ich auch Nick. Ich möchte am liebsten nie wieder fort von hier."

"Dann bleib doch."

"Das geht nicht. Aber ich werde so oft kommen, wie ich kann, um in unseren 'Erinnerungsraum' zu gehen."

"Was soll das sein?"

"Dreh dich um."

Nick tat, was ich ihm gesagt hatte und schrie vor Freude auf. Denn hinter ihm lag nicht mehr unser Schlafzimmer, sondern der Saal des Hotels, in dem wir uns auf dem Rhetorikseminar zum ersten Mal begegnet waren. Meine Erinnerung daran war noch immer nicht verblasst und ziemlich genau. Man hatte mehrere Tische U-förmig angeordnet, sodass jeder zum Rednerpult und dem Rhetoriktrainer sehen konnte. Nick nahm auf der mir gegenüberliegenden Seite Platz, genau wie damals. Neben mir saßen Julia und Andy, Melanie war damals nicht dabei gewesen.

Kaum hatten wir unsere Plätze eingenommen, begann die Erinnerung lebendig zu werden.

"Hey, Nate, der Typ da drüben starrte dich die ganze Zeit an", flüsterte Julia mir zu. Sie war bis dahin die Einzige, die über meine Sexualität Bescheid wusste, und versuchte mich daher andauernd mit irgendwelchen Kerlen zu verkuppeln, was auf die Dauer ziemlich nervig war. Aber bei diesem Jungen hatte sie voll ins Schwarze getroffen. Sein schulterlanges blondes Haar rahmte sein Gesicht mit den symmetrischen Gesichtszügen ein und unterstrich das süße Lächeln, das auf seinen Lippen lag.

Während des gesamten Vortrags konnte ich mich überhaupt nicht mehr auf die Techniken des Redens konzentrieren, sondern musste nur ihn ansehen. Und er sah mich an. Wir versanken in den Augen des jeweils anderen und vergaßen die Welt um uns herum, bis der Seminarleiter eine kurze Pause verkündete. Etwas zu auffällig sprang ich von meinem Stuhl hoch und versuchte vor dem Unbekannten an der Tür zu sein, um ihn abzupassen.

"Hey, ich bin Nathan", stellte ich mich wenig einfallsreich vor. "Woher kommst du denn?"

"Oh hi Nathan. Ich bin Nick. Ich komm von der Schule in der Nachbarstadt. Du bist doch der Sohn von diesem verstorbenen Computergenie, oder?"

Na toll, dachte ich. Das war bestimmt wieder nur einer von der Sorte, die nur auf mein Geld aus waren.

"Öhm, ja", gab ich zu.

"Oh Mann, eure Spiele und Programme sind die besten, die ich je gesehen hab'. Ohne Macrocore wäre die Computerwelt nur halb so interessant und innovativ. Ich bewundere das, was dein Vater aufgebaut und geschaffen hat."

Ich war wirklich verblüfft. Dieser Kerl war doch anders, als ich gedacht hatte. Die meisten hatte es immer nur interessiert, wie viel Geld mir mein Vater nun wirklich hinterlassen hatte, weil in den Medien immer nur über das Behring'sche Vermögen spekuliert werden konnte. Doch Nick hatte davon in der ganzen Stunde, die wir im Anschluss miteinander redeten, kein einziges Mal gesprochen. Es schien ihm sogar ernsthaft darum zu gehen, ja nicht auf das Thema zu kommen.

Am Abend war ich dann mit meinen Freunden im Wellness-Bereich des Hotels, in dem das Seminar stattfand, um dort zu entspannen. Es gab eine Sauna, ein Dampfbad und Whirlpools. Nach einem ausgiebigen Saunagang verabschiedete ich meine Freunde auf unser Zimmer, weil ich noch einige Runden im Schwimmbecken drehen wollte. Schwimmen war schon immer meine große Leidenschaft gewesen, es lag so viel Eleganz in dieser Sportart. Ich war gerade einmal dabei, am Beckenrand zu wenden, als ich aus den Augen eine Bewegung wahrnahm. Schnell tauchte ich so weit wie möglich unter und beobachtete, was geschah.

Nick kam gerade aus dem Saunatrakt, nur mit einem schmalen Handtuch um die Hüften, und seine Haut glänzte vor Schweiß. Er sah aus wie ein junger Gott, wahnsinnig gut durchtrainiert und der Vorwölbung des Handtuchs nach gut bestückt. Ich tauchte noch ein Stückchen tiefer ein, sodass ich beim nächsten Atemzug Wasser aspirierte und heftig husten musste. Nick sah ein klein wenig erschrocken, aber amüsiert zu mir herüber.

"Spionierst du mir hinterher oder sitzt du einfach gerne gut versteckt in Schwimmbecken herum?"

"Ich … äh … nein … ich … sorry", stammelte ich und merkte, wie ich ganz rot wurde.

Nick kam zum Beckenrand her und ging in die Hocke. "Du siehst echt süß aus, wenn du dir was peinlich ist", bemerkte er dann lächelnd, wodurch ich noch röter wurde. "Schön, dass dir das gefällt, ich war mir nämlich nicht sicher, ob du auch", er suchte nach dem richtigen Wort, "so bist wie ich."

"Schwul?", hakte ich zögerlich nach.

"Ja", meinte er und grinste. Dann, ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich zu sich herangezogen und geküsst. Mir wurde ganz schwindelig, doch es gefiel mir. Es war wirklich toll und im Rausch des Glücks zog ich ihn zu mir ins Wasser. Er gab einen erstaunten Laut von sich, ehe er untertauchte. Als er prustend wieder an die Oberfläche zurückkehrte, presste er sich fest an mich, umklammerte meinen Körper und küsste mich erneut.

Damit begann die Erinnerung zu verblassen und Nick und ich standen eng umschlungen in unserem Schlafzimmer.

"Das war schön damals, nicht wahr?", hauchte er mir zärtlich ins Ohr.

"Oh ja. Und ich bin froh, dass ich es hier noch einmal erleben konnte. Nick, ich glaube, ich muss mal kurz zurück, so leid es mir tut."

"Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben", meinte er flehentlich. In seine Augen trat wieder dieser Ausdruck, der alles in mir zum Schmelzen brachte. Also gab ich ihm nach und wir hatten einmal mehr lang ausdauernden Sex.>

Ich hatte mich in die Realität zurückgestohlen, nachdem Nick eingeschlafen war, und es kam mir schon fast wie Betrug vor, obwohl er ja nur eine Projektion meiner Phantasie war. Doch irgendetwas sagte mir, dass ich auch mal hin und wieder von Second World Abstand nehmen sollte; auch wenn dieses etwas immer leiser mahnte.

"Guten Tag Herr von Behring", sagte da Dr. Schirmer. "Schön Sie einmal in der wahren Welt begrüßen zu dürfen."

"Was meinen Sie damit?" Ich verstand nicht ganz.

"Nun ja, sie waren einen ganzen Tag mit ihrem … Spiel beschäftigt und ich wollte sie ungern davon trennen. Den Blutwerten zufolge scheint es Ihnen gut zu tun, da die sich kontinuierlich bessern. Die Blase in Ihrem Rückenmark hat sich auch verkleinert, es sieht also sehr gut für Sie aus."

"Na das sind doch mal gute Nachrichten!", rief ich voller Freude. "Was meinen Sie, wann ich wieder laufen kann?"

"Das ist nur eine Frage der Zeit. Wenn Sie regelmäßig mit einem Physiotherapeuten üben, den wir Ihnen hier zur Verfügung stellen, müssten Sie schon bald wieder auf den Beinen sein. Im wahrsten Sinne des Wortes."

"Ja wunderbar. Ich denke, dass ich das alles nur Ihren Fertigkeiten zu verdanken habe, danke schön." Insgeheim war ich mir aber sicher, dass sich allein mein Aufenthalt in Thangingen und die dortige Nähe zu Nick meine Genesung so gut vorantrieb. Aber ich behielt das lieber für mich.

"Das ist mein Job", meinte Dr. Schirmer nur schmunzelnd und verließ dann wieder mein Zimmer. Ich dagegen schloss mich sofort wieder an den MacroCube an und tauchte wieder nach Thangingen ein, jetzt, da ich mir sicher war, dass es mir gut tat, ohne jeglichen Zweifel.

Ich lag mit Nick an einem weißen Sandstrand, der von hohen Dattel- und Kokosnusspalmen gesäumt wurde und in ein saphirblaues Meer mündete, das in kleinen Wellen unsere Füße umspülte. Es war Nicks und mein erster gemeinsamer Urlaub. Ich konnte es noch immer gar nicht fassen, dass ich endlich einen Freund hatte. Immerhin hatten wir uns ja erst zwei Monate zuvor kennengelernt auf diesem – zumindest erschien es mir im Nachhinein so – wundervollen Rhetorikseminar.

"Ist es nicht grandios?", fragte Nick. "Wir hier ganz alleine. Es hat also doch Vorteile einen reichen Typen zum Freund zu haben. Ein EIGENER Strand, zu geil."

"Ja, wir waren früher oft hier. Aber als Kind weiß man das Ganze gar nicht so zu schätzen. Da wünscht man sich viele andere Kinder zum Spielen, zum Sandburgenbauen und Herumtollen im Meer. Jetzt bin ich aber ganz froh, dass hier niemand anderes außer uns beiden ist."

Ich beugte mich zu Nick hinüber und küsste ihn, während meine Hand sich in seine Badeshorts schob.

"Schon wieder?", lachte Nick. "Wir haben doch heute schon viermal …"

"Egal. Ich bin so glücklich mit dir, dass ich dich den ganzen Tag über f…"

"Ich mag es, wenn du so versaut redest", sagte Nick grinsend und schlang seine Arme um meinen Hals. "Nimm mich, Tiger!"

"Verarschen kann ich mich auch selber." Ich schob ihn gespielt beleidigt von mir weg. Das war so unser Ding, damit zogen wir uns gegenseitig auf, das törnte uns an.

"Das bisher noch fast keiner gemerkt hast, dass du 'ne Schwuchtel bist, ist echt ein Wunder. Du bist voll die Diva."

"Als ob dir das nicht gefallen würde."

"Das hab ich ja auch nicht gesagt." Nick lachte wieder und zog mich wieder zu sich heran. Gerade als er mich küssen wollte, begann sein Bild zu verblassen und aus dem Nichts drangen Stimmen zu mir hervor, die unentwegt meinen Namen riefen.

Zornerfüllt landete ich unvermittelt in der Realität, wo ich sah, dass Julia neben mir stand und das Anschlusskabel aus dem MacroCube gezogen hatte.

"Sag bist du bescheuert?! Was fällt dir eigentlich ein du blöde F…"

"Ich freu' mich auch dich zu sehen, Nate." Julia sah mich nachdenklich an. Neben ihr stand Melanie, die ein recht entsetztes Gesicht machte.

"Du solltest mal dein Gesicht sehen, Nathan", meinte sie mit dünner Stimme. "Da kann man ja echt Angst kriegen."

Das sollten sie auch! "Ja hallo, ihr könnt mich doch nicht so einfach aus dem Spiel ziehen, verdammt!", blaffte ich sie an.

"Hörst du dir eigentlich mal zu?", fragte Julia. "Das ist nur ein Spiel, Nate."

"Du hast doch überhaupt keine Ahnung, Mann! Second World sorgt dafür, dass es mir besser geht. Es hilft mir, weil ich dort Nick nahe sein kann. Dort kann ich …"

"Du musst Nick loslassen, verstehst du das nicht, Nate?", fragte Julia, die sich tief über mich gebeugt hatte, um mir fest in die Augen sehen zu können. Urplötzlich kochte Wut, Zorn und sogar Hass in mir hoch.

"Ich muss gar nichts! Was weißt du schon? Gar nichts! Du hast doch nicht mal den Hauch einer AHNUNG davon, wie's mir geht. Ich hatte endlich was, wofür es sich zu leben lohnt, und jetzt ist er tot!"

"Ja das ist schlimm", meinte Melanie. "Aber du kannst nicht davor weglaufen. Du musst …"

"RAUS", brüllte ich. Ich hatte mich im Bett aufgerichtet und funkelte beide bitterböse an. "Verschwindet hier! Ich brauche euch nicht. Ich habe Thangingen."

"Nate, bitte", flehte Julia. "Lass das sein."

"Nein! Habt ihr nicht gehört? Ihr sollt verschwinden!" Mittlerweile kochte ich vor Wut. Warum bildeten sie sich ein, über mich und mein Leben bestimmen zu können. Sie hatten keinerlei Ahnung davon, wie es mir im Moment ging, sondern versuchten nur mit hohlen Phrasen ihre Freundschaft zu bekunden. Aber da waren sie an der falschen Adresse! Doch scheinbar hatten sie die menschliche Sprache verlernt, denn sie bewegten sich keinen Millimeter.

"Haut ab! RAUUUUUUUS!", schrie ich nun in nahezu wilder Raserei. Ich wollte nur zurück nach Thangingen, zurück zu Nick, zurück zu einem Leben, wie ich es nie wieder haben würde. Und sie kapierten das einfach nicht. Das brachte mich wirklich zum Explodieren. Offenbar war mein Geschrei nicht unbemerkt geblieben, denn in diesem Moment kam Dr. Schirmer in Begleitung einer Krankenschwester ins Zimmer gestürmt.

"Was ist denn hier für ein Lärm?", wollte er völlig entgeistert wissen.

"Meine Freunde verstehen nicht, dass ich meine Ruhe vor ihnen haben möchte", sagte ich, wobei ich möglichst viel Verachtung in das Wort 'Freunde' legte.

"Aber deswegen müssen Sie doch nicht so herumschreien. Wir sind hier in einem Krankenhaus." Dr. Schirmer sah mich stirnrunzelnd an, hob kurz die Augenbraue, als er das Elektrodenband um meinen Kopf und den Stecker in Julias Hand bemerkte, dann wandte er sich an die zwei jungen Frauen. "Auch wenn Sie es sicher gut meinen, Herr von Behring braucht wirklich sehr viel Ruhe. Wenn Sie also so freundlich wären und das Zimmer jetzt verlassen würden?"

"Aber …", begann Julia, doch Melanie packte sie am Arm und zog sie aus dem Raum. Ich konnte noch ein geflüstertes "Völlig verrückt" von ihr vernehmen, dann knallte sie die Tür hinter sich zu. Dr. Schirmer blickte missbilligend zurück, dann wandte er sich wieder mir zu. Doch ich war bereits damit beschäftigt, den MacroCube anzustöpseln und wieder hochzufahren.

"Halten Sie das für eine gute Idee, Herr von Behring?"

"Was?", fauchte ich, weil nun er meine Rückkehr zu Nick verzögerte.

"Dass Sie Ihre echten Freunde für dieses Spiel vergraulen?"

"Erstens geht Sie das nichts an und zweitens: ES GEHT SIE NICHTS AN!", schrie ich.

"Herr von Behring beruhigen Sie sich."

"Gehen Sie! Dann werde ich mich beruhigen." Ich funkelte den Arzt wütend an und er hielt meinem Blick auch einige Zeit lang stand. Dann seufzte er resignierend und verließ mit der Schwester das Zimmer. Ich schaltete den MacroCube ein und entschwand wieder nach Thangingen.

"Wieso bist du so plötzlich weg gewesen?", fragte Nick mit Tränen in den Augen. "Ich hatte schon Angst, du würdest nicht mehr wiederkommen, weil ich irgendetwas falsch gemacht …"

"Du hast überhaupt keine Schuld", tröstete ich ihn und küsste seine Tränen weg. "Das waren diese Idioten Julia und Melanie, sie haben den Stecker aus dem MacroCube gezogen."

"Das solltest du ihnen aber nicht durchgehen lassen", meinte Nick und der Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich plötzlich. Ich konnte es gar nicht richtig in Worte fassen, aber irgendwie war er mir unheimlich. "Ja, du solltest dich dafür rächen."

"Ach was, so schlimm war das ja gar nicht. Es hat mich einfach tierisch geärgert und…"

"Bestraf sie!"

"Was?"

"Sie sollen dafür leiden. SO dürfen sie nicht mit dir umgehen. Erteil ihnen eine Lektion."

"Wie soll das gehen und überhaupt: Warum sollte ich das tun. Sie sind meine Freunde." Ich wich einen Schritt von Nick zurück.

"Nathan", begann Nick und seine Stimme wurde rau und klang irgendwie verlockend. "Wir sind hier im Reich deiner Phantasie. Wenn du schon draußen im Moment ein Krüppel bist, dann sei hier drinnen ein brutaler Rächer, der sich so was nicht einfach gefallen lässt. Lass sie hier deinen Zorn spüren. Du warst doch so wütend auf sie, nicht wahr?"

"Ja", presste ich hervor. Es war erstaunlich. Meine rasende Wut, bis eben schon fast erloschen, kehrte plötzlich heftiger als zuvor zurück und drohte mich zu überwältigen.

"Na, dann bestraf sie. Hier und JETZT!" Kaum hatte er das letzte Wort ausgesprochen, als ich mich mit Nick in einem finsteren Kellerverlies wiederfand, wie man es aus schlechten Teenie-Slashern kannte. Vor mir waren Andy, Julia, Melanie und auch Dr. Schirmer in furchtbare Folterinstrumente gesperrt (meine Phantasie bediente sich hierbei offensichtlich der zahlreichen SAW-Filme, die ich gesehen hatte, *genaueres wird hier unter Rücksichtnahme auf den guten Geschmack nicht erläutert*).

"Nathan, hilf uns", stöhnten sie alle unter sicher grausamsten Schmerzen. Doch mir gefiel das Ganze. Auch Nick neben mir freute sich diabolisch.

"Du hast echt eine so blühende Phantasie, mein Schatz", grinste er und klatschte vor Freude in die Hände. Ich überließ nun dieser Phantasie alles Weitere und sah meinen Freunden genüsslich beim Sterben zu.

Gewaltsam riss ich mich in die Realität zurück, wo ich schweißgebadet in meinem Bett lag und geschockt zur Decke hinaufstarrte. Was war nur passiert?

Lesemodus deaktivieren (?)