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Am Ende die Nacht

Teil 4 - Rebecca (Interludium)

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Informationen

Vorwort

Tja, da habe ich es also wieder nicht geschafft, die Geschichte "schnell" zu beenden, sondern sitze 5 Jahre nach dem letzten Teil mit all den losen Enden da und versuche sie zu entwirren. Allen, die am Anfang dabei waren und schon auf Miguels Teil zu lange warten mussten, kann ich nur sagen: Sorry, sorry, sorry. Falls überhaupt noch jemand von diesen Leuten das Ende lesen wird / mag. Ich komme mir schon fast vor wie G.R.R Martin; aber anders als er WERDE ich die Geschichte beenden. Es hat sich auch etwas anders entwickelt als zu Beginn geplant, aber dazu am Ende des letzten Teiles mehr. Ich habe mich zwar noch mal durch die ersten Abschnitte gepeitscht, aber es kann durchaus vorkommen, dass in Detailfragen die "Continuity" auf der Strecke geblieben ist … vielleicht sollte ich die gesamte Story überarbeiten und neu veröffentlichen, ohne dass dazwischen beinahe ein Jahrzehnt vergeht.

Zu diesem vierten Teil sei nur angemerkt, dass er eine Brücke darstellt, niemals so lange angelegt war wie die anderen Teile und quasi die Hintergrundmotive für manche Handlungen offenbart. Das Ende der Story erwartet euch aber erst im fünften Teil …

Rebecca

Der Polsterüberzug der Armlehne des Sessels knisterte leise, als sich ich ihre Finger erneut darin verkrampften, wie sie es während der vergangenen halben Stunde so oft getan hatten. Immer dann, wenn aus dem Strudel ihrer Gedanken wieder dieses Bild aufgetaucht war, das sie stets gefürchtet hatte zu sehen. Seitdem sie diesen Anruf erhalten hatte, hatte sie oft daran gedacht, wie das Ganze aussehen würde, aber jetzt bekam sie die Szene nicht mehr aus dem Kopf. Da war es ihr nur willkommen, dass die dicken Regenwolken draußen das Tageslicht in ein schummriges Grau verwandelt hatten, das man gut und gerne auch für Abenddämmerung hätte halten können. Die Dunkelheit passte einfach viel besser zu ihrer Stimmung.

Sie legte ihre Hand an den Kopf und massierte mit Daumen und Mittelfinger ihre Schläfen. Seit sie wieder zu Hause war, hatte sie furchtbare Kopfschmerzen bekommen. Aber die waren nichts im Vergleich zu dem anderen Schmerz, den sie verspürte. Wieder krallten sich ihre Finger in das Polster des Sessels. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie genau an der Stelle saß, an der sie Daniel an jenem Abend vorgefunden hatte. Damals, als ihr Leben noch in Ordnung war – obwohl genau von da ab alles auseinander fiel. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Wenn Rebecca Rheinhardt später von Freunden oder Kollegen gefragt wurde, wie sie Daniel kennengelernt hatte, sagte sie immer gerne, dass es Schicksal gewesen sei. Zufall hätte es allerdings besser getroffen. Immerhin war ihre Geschichte nicht eine von den Liebe-auf-den-ersten-Blick-Sachen, wie man sie gerne erzählt, von denen aber so gut wie jeder weiß, dass das meistens nicht wirklich zutrifft. Nein, Rebecca hatte Daniel eigentlich schon lange gekannt, bevor das mit ihnen losgegangen war, aber nie wirklich wahrgenommen. Daniel war nämlich einer der schüchternen Jungen gewesen, die keinem wirklich auffallen, der seinen festen Freundeskreis nie verließ und selten neue Leute kennenlernte. Dazu kam, dass Rebecca sich lange nur für Jungs interessiert hatte, die älter als sie selbst waren.

Wieso also Schicksal? Es passierte in der neunten Klasse. Damals hatten so gut wie alle aus der Klasse Tanzkurs – warum, wusste eigentlich keiner, denn in den Diskotheken wurde ja schließlich nur selten Disko-Fox getanzt. Aber eine Woche vor dem Abschlussball kam Rebeccas Tanzpartner Markus zu ihr und bat sie um einen Gefallen.

"Du Becki, würde es dir was ausmachen, mit jemand anderem am Abschlussball zu tanzen?"

"Wieso das denn?", hatte sie gefragt.

"Ich würde gerne mit Kerstin tanzen." Rebecca hatte nur die Augen verdreht. Markus hatte erst zwei Wochen zuvor was mit Kerstin angefangen.

"Muss das sein?"

"Hmm, wär' schon cool von dir. Sie ist 'n bisschen eifersüchtig."

"Mensch Markus, das ist doch kindisch. Wir TANZEN nur zusammen, sonst ist da doch nix."

"Ja, natürlich. Aber sie fänd' es halt besser, wenn …"

"Okay, von mir aus. Mit wem soll ich dann tanzen?"

Und wie es das Schicksal (!) wollte, war Daniel eigentlich als Kerstin Tanzpartner vorgesehen gewesen. Rebecca war zuerst überhaupt nicht davon begeistert, denn sie kannte Daniel ja nur aus der Schule als diesen stillen, schüchternen Jungen, der zwar dank Pubertät nicht unbedingt schlecht aussah, aber irgendwie nicht ihr Typ war. Zumindest nicht, bis sie miteinander tanzten. Daniel war ein Naturtalent, dessen Füße scheinbar von selbst dem Takt folgten, der Rebecca auf der Tanzfläche herumwirbelte und ihr Figuren "aufzwang", die sie zuvor noch nie getanzt hatte. In den kurzen Zwischenpausen, in denen sie gezwungen waren, am Tisch zu sitzen, kam allerdings wieder sein stilles Wesen zum Vorschein und sie verbrachten diese Zeit fast nur schweigend. Aber Daniel konnte es nie erwarten, sie wieder zurück auf die Tanzfläche zu ziehen, und der Abend verging wie im Flug. Und so kam es am Ende dazu, dass sie ihn fragte, ob er nicht Lust hätte, mit ihr was trinken zu gehen. Nach vielem Stottern hatte er ihr zugesagt und war dann schnell verschwunden. Rebecca verließ den Ball mit einem Lächeln – Markus und Kerstin gingen getrennt, nachdem er sie auf der Toilette mit einem anderen erwischt hatte. Ironie des Schicksals.

Das erste Date mit Daniel verlief zuerst genauso wie die Tanzpausen am Abschlussball: stumm. Erst als Rebecca ihn gefragt hatte, ob er irgendwelche Hobbys hätte, taute er ein wenig auf.

"Ja ich spiel' ganz gut Tennis. Bin der Beste in der Mannschaft", sagte er – wobei es Rebecca so vorkam, als ob er sich etwas schämte, so damit zu prahlen. Aber sie lächelte nur, denn irgendwie fand sie diesen schüchternen Jungen immer sympathischer.

"Ich find's echt schön, dass wir uns nochmal getroffen haben", meinte sie nur.

"Ja schon. Ich hab' da ja schon ein bisschen drauf gewartet", murmelte Daniel und wurde sofort rot, als Rebecca nachfragte: "Was meinst du?"

"Naja, Wir sind ja schon seit der Fünften in einer Klasse und ich fand dich schon immer … nett."

"Nett? Du weißt, dass nett der kleine Bruder von scheiße ist, ja?", neckte sie ihn und musste sofort lachen, als sie sein entgeistertes Gesicht sah.

"Was … ich … nein … also", stammelte er.

"Das war'n Witz. Du bist echt süß." Rebecca lachte noch mehr, als Daniels Verunsicherung immer größer wurde. Dann beugte sie sich zu ihm und küsste ihn auf die Backe. Daniel zuckte zusammen, so dass sich plötzlich ihre Lippen berührten. Und obwohl Rebecca das Ganze ja initiiert hatte, war es für sie doch ein elektrisierendes Gefühl, das sie so noch nie gespürt hatte. Sie sah ihm lange in die Augen, bevor sie sich mit einem weiteren Kuss verabschiedete.

Zwei Wochen später hatten sie ihr erstes Mal. Also eigentlich war es nur Daniels erstes Mal, denn Rebecca hatte zuvor bereits Freunde gehabt, aber es war das erste Mal mit Daniel zusammen. Der war so aufgeregt, dass es bei ihm vorbei war, bevor sie überhaupt zusammen nackt im Bett lagen. Er hatte sich eine Weile im Bad eingesperrt, bis Rebecca ihm endlich glaubhaft machen konnte, dass das für sie nicht schlimm wäre und er sich nicht schämen brauche. Danach hatte alles super funktioniert und Rebecca hatte den besten Sex ihres noch jungen Lebens genossen. Die nächsten Male hatten sie es dann immer so gemacht, dass Daniel sich zuerst einen runtergeholt hatte, um seine Anspannung zu lösen, und sie dann miteinander schliefen. Und es wurde jedes Mal besser.

Nachdem sie beide 18 geworden waren, beschlossen sie zusammenzuziehen. Viele Freunde hatten gewarnt, weil es ja für sie die eigentlich erste richtige Beziehung war, aber das war ihnen egal gewesen. Und es hatte bestens funktioniert, denn Rebecca und Daniel ergänzten sich perfekt. Wo sie chaotisch war, war er organisiert. Wann immer sie Termine vergaß, hatte er schon alles geregelt und dafür gesorgt, dass sie nicht als unpünktlich dastand. Immer wenn Daniel mal wieder zu impulsiv handelte, konnte sie die Schäden hinter ihm beseitigen und ihm wieder in ein normales Leben helfen. Kurz gesagt, alles war perfekt. Und so war es nur logisch, dass beide heirateten und Kinder bekamen. Die beiden Kinder waren Rebeccas Leben. Ein Leben, das ihr eigentlich schon dazu bestimmt schien, es ewig mit Daniel zu verbringen.

Doch kam dieser Tag. Dieser eine Tag, der alles verändert hatte. Rebecca erinnerte sich noch daran, wie sie Daniel an diesem Abend hier im Wohnzimmer gefunden hatte, wie er erzählt hatte, was in der Arbeit passiert war. Daran, wie sie ihm vorgehalten hatte, ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen, weil er seinen Job so leichtsinnig in Gefahr brachte. Daran, wie Daniel einfach das Haus verlassen hatte.

"Wohin geht Papi", hatte sie da Jakob von der Treppe her fragen hören. Sie war zu ihm hingegangen, hatte versucht ihre Tränen zu verbergen und ihm über sein Haar gestrichen.

"Der hatte nur Ärger in der Arbeit, mein Schatz. Er trifft sich mit ein paar Freunden."

"Kommt er wieder?"

"Aber natürlich, Liebes." Zumindest hatte sie das gehofft. Doch in dieser Nacht war der Daniel, den sie bislang gekannt hatte – oder zu kennen geglaubt hatte –, gegangen und nie wiedergekommen. Das erste Mal, das ihr das bewusst geworden war, war, als sie den Anruf von Annette, Daniels Arbeitskollegin, bekommen hatte. Die hatte sich mit ihr treffen und über Daniel reden wollen. Rebecca hatte lange überlegt, ehe sie zusagte. Aber Daniel erschien ihr in dieser Zeit seltsam verändert und ihr gegenüber verschlossen, so dass sie schließlich auf Annettes Vorschlag eingegangen war.

Die ganze Zeit, die sie in dem kleinen Café auf Annette gewartet hatte, war sie alle mögliche Szenarien in ihrem Kopf durchgegangen. Unter anderem auch, dass Daniel in jener Nacht gar nicht getrunken hatte, sondern zu Annette gefahren war und dass die beiden eine Affäre hatten. Doch das, was auf sie wartete, hatte sie sich nicht vorstellen können.

"Ein Mann?", hatte sie Annette entgeistert gefragt.

"Ja, ich denke, dass du das wissen solltest."

"Aber, aber … wie und … wieso?"

"Also, soweit ich weiß …"

"Woher willst du das überhaupt wissen?"

"Der andere hat es mir erzählt."

"Hä?" Zu mehr war Rebecca zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage gewesen.

"Ach, es gibt da diesen Jugendfreund von mir, Jan, der mal mit meinem Bruder zusammen gewesen ist, zur Zeit seines Outings. Das war für beide unschön gewesen, aber sie hatten es mir zuerst erzählt, deshalb bin ich sowas wie seine beste Freundin geworden. Und auch sein Kummerkasten nach seiner Trennung von Miguel wegen der HIV-Diagnose und …"

"Moment mal. Daniel trifft sich mit einem AIDS-kranken Schwulen??"

"Ich denke, dass er darin nur eine Hilfestellung sieht für seine Problembewältigung."

"Welches Problem?"

"Na, wegen seiner Krankheit."

"Welche …?"

"Oh, ich dachte ehrlich, dass er dir wenigstens das erzählt hätte. Okay, eigentlich will mich ja nicht noch weiter einmischen, aber was soll's. Du musst mir aber versprechen, nicht von dir aus mit Daniel darüber zu sprechen. Er muss das schon selber machen."

"Hmm." Rebecca wusste zu diesem Zeitpunkt gar nichts mehr.

"Er hat Bauchspeicheldrüsenkrebs."

"Dieser Jan?"

"Nein, Daniel."

"Bitte was? Wieso erzählt er mir sowas nicht??"

"Ich denke, er will dich nicht belasten. Deswegen hängt er wahrscheinlich auch mit Jan rum. Allerdings muss ich dir jetzt auch noch eine weitere unangenehme Nachricht überbringen. Sie haben sich geküsst."

Rebecca machte nicht mal Anstalten, darauf etwas zu erwidern, sondern sah Annette einfach nur traurig an.

"Und bevor du das vermutest: Es ging von Daniel aus."

Rebecca schüttelte nur kraftlos den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein.

"Aber um ehrlich zu sein: Ich glaube, dass das alles nur eine Übersprunghandlung war, weil er da gerade die Diagnose erhalten hat und Jan eben in der Nähe war."

"Wieso kommt er damit nicht zu mir?"

"Er hat Angst, Rebecca. Er hat Angst vor dem, was kommt."

"Aber ich würde ihn nie alleine lassen."

"Weißt du, ich glaube, davor hat er am allermeisten Angst. Dass du ihn leiden sehen musst. Und deswegen macht er das alles. Selbstschutz. Aber keine Sorge, ich hab' einen Plan."

"Wie, einen Plan?" Rebecca war ehrlich verwirrt.

"Ich werde dafür sorgen, dass Jan Daniel vergisst. Ich habe ein Druckmittel, das ich gegen Jans Ex-Freund einsetzen kann, um ihn dazu zu bewegen, wieder mit Jan zusammenzukommen. Dann wird er Daniel vergessen und der kann mit seinen Problemen zu dir kommen."

"Was für ein Druckmittel?"

"Sagen wir, als Tochter des Bürgermeisters habe ich gewisse Möglichkeiten, von denen dieser Ex-Freund nur profitieren kann. Es ist schon alles in die Wege geleitet. Keine Sorge, du hast Daniel bald wieder zurück."

"Warum machst du das?"

"Was?"

"Mir helfen."

"Rebecca, ich kenne Daniel, seitdem er in der Bank angefangen hat. Ich bin eine gute Freundin von ihm und will nur das Beste für ihn. Und ich bin überzeugt, dass du das bist."

"Danke."

"Kein Problem. Ich melde mich wieder, sobald ich sicher weiß, dass es vorbei ist."

Doch dazu war es nicht gekommen. Annette hatte ihr zwar bald erzählt, dass dieser Jan wieder mit seinem Ex-Freund zusammen war, aber Daniel hatte sich ihr immer noch nicht anvertraut. Und das Geheimnis begann so langsam, sie innerlich aufzuzehren. Sie wollte mit Daniel über seine Krankheit reden, aber sie hatte Angst, dass dann auch das Gespräch über Jan unweigerlich folgen musste. Sie wusste nicht, ob sie dem gewachsen war. Sie hatte den anderen Mann zwar in der Zwischenzeit sogar selbst kennengelernt, aber das hatte nicht dazu beigetragen, ihre Zweifel zu zerstreuen. Im Gegenteil, Jan und Daniel schienen sich gut zu verstehen und darüber hinaus fand sie die Stimmung zwischen den beiden aufgeladen mit einer Spannung, die beinahe spürbar war.

Und dann hatte sie es mit eigenen Augen gesehen. Eigentlich hatte sie Daniel nur gesucht und war in ihrer Verzweiflung auf niemand anderen als diesen Jan gekommen, bei dem er hätte sein können. Ihre Finger krallten sich wieder in die Sessellehne, als das Bild vor ihren Augen auftauchte. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht loszuheulen. Sie wusste nicht mehr, wie sie es geschafft hatte, unfallfrei von dem gläsernen Hochhaus nach Hause zu kommen, da sie die ganze Zeit über hatte weinen müssen und daher alles nur durch einen dichten Schleier von Tränen wahrgenommen hatte. Wie hatte er ihr das nur antun können? Wie … Ihre Gedanken wurden von dem Lichtkegel unterbrochen, der durch das Wohnzimmer huschte, als Daniels Auto in der Einfahrt hielt. Rebecca verkrampfte im Sessel, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versucht, gefasst und emotionslos in die dunkle Leere ihres Zuhauses zu starren. Doch als Daniel die Tür aufgeschlossen hatte und leise: "Becki?" flüsterte, musste sie all ihre Beherrschung aufbieten, um die Tränen zurückzuhalten.

Daniel betrat den Raum und seine Hände wanderten suchend zum Lichtschalter, was Rebecca nur deswegen erkennen konnte, weil sich ihre Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.

"Nicht", sagte sie nur tonlos und Daniel erstarrte.

"Becki, ich…"

"Mach dir keine Umstände, es mir zu erklären. Ich weiß über alles Bescheid." Das machst du gut, dachte sie zufrieden. Bleib hart.

"Es tut mir so leid, ich würde so gern …"

"Was? Es rückgängig machen."

"Nein."

Becki zuckte zusammen. Dieses eine kleine Wort hatte alles zerstört, was sie sich in den letzten Minuten überlegt hatte, denn es bedeutete …

"Soll das heißen, dass du es nicht bereust?"

"Becki, es tut mir leid und ich bereue auch, dass du mit in das Ganze reingezogen wurdest. Aber die Sache an sich bereue ich nicht. Ich lie…"

"Wage es ja nicht!", erwiderte Rebecca mit bebender Stimme. "Wenn du das Wort "Liebe" in den Mund nimmst, dann …" Sie wusste selbst nicht, wie sie diesen Satz zu Ende bringen sollte. Daniel machte keine Anstalten näherzukommen.

"Ich habe dich wirklich geliebt, Becki. Aber jetzt…"

"War ich dir nicht genug?" Rebecca verachtete sich dafür, dass ihr schon wieder die Tränen über die Wangen liefen.

"Was? Nein, um Himmels willen, nein." Jetzt eilte er doch zu ihr und nahm sie in den Arm. So sehr sie sich innerlich dagegen sträubte, so sehr war es doch genau das, was sie jetzt brauchte. "Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist. Vielleicht habe ich das immer verdrängt, dass es in mir ist, weil ich mit dir ja auch glücklich war. Nur …"

"… nur eben nicht wirklich?"

Daniel schluckte. Auch in seinen Augen glitzerten Tränen. "Doch. Becki, du musst mir glauben, dass die Zeit mit dir wunderschön war. Aber jetzt ist es …"

"Nein, Daniel! Bitte nicht!" Rebecca schluchzte laut auf.

"Es ist an der Zeit, dass wir beide nach vorne schauen und …"

"Was soll da für mich sein, wenn du nicht da bist?"

"Jemand, der dich so liebt, wie du es verdienst. So wie ich es getan habe und es jetzt nicht mehr kann."

"Und du machst das nicht nur, damit ich dich leichter gehen lassen kann wegen … deiner Krankheit?"

"Du weißt davon?" Daniels Blick ging ihr durch Mark und Bein.

"Ja", hauchte sie. "Und ich hätte dich niemals alleine gelassen. Niemals!"

"Ich weiß."

"Hast du ihn dir deshalb ausgesucht? Weil er auch krank ist?"

Daniel sah sie traurig an. "Das hat damit nichts zu tun. Hätte ich es mir aussuchen können, dann wäre all das nicht passiert und du würdest jetzt mit mir die Therapie durchstehen. Auch wenn ich es schwer ertragen könnte, dir die Last mitaufzuhalsen."

"Geteiltes Leid ist halbes Leid." Mehr als diesen abgedroschenen Spruch bekam Rebecca nicht zustande.

"Aber es hätte mir noch mehr wehgetan, dich mitleiden zu sehen. Deswegen ist es so vielleicht doch besser."

"Was soll daran besser sein?!" Rebecca musste sich bremsen, nicht zu schreien, denn sie wollte die Kinder nicht wecken. "Was soll besser daran sein, dass du mich belogen, betrogen und verraten hast? Dass du mir nicht einmal soweit vertraut hast, mir das mit dem Krebs zu erzählen, sondern nur ihm."

"Jan war eben einfach da und …"

"Ich wäre AUCH für dich da gewesen, verdammt! Ich wäre mit dir den ganzen Weg gegangen, bis zu jedem möglichen Ende. Und sag jetzt nicht, dass das zu viel für mich gewesen wäre. Dass du mich geschont hast, weil du mich liebst. Das kannst du dir schenken!"

"Aber so war es doch."

"Pah! Was ist das bitte für eine Liebe? Während du dich schon mit einem anderen vergnügst, kommst du hierher, um einen auf heile Welt zu machen, obwohl das eine einzige große Lüge ist! Wo ist das denn Liebe?!"

"Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen und warten, bis du dich beruhigt hast."

"Da kannst du warten, bis du schwarz bist!"

Daniel sah sie verletzt an. "Tut mir leid, wenn du das so siehst. Ich …" Er wurde von seinem Handy unterbrochen. "Ja. Hey, du, es ist grad schlecht. Ich bin bei … ER HAT WAS? Ja okay, bleib da, ich bin gleich bei dir." Er legte auf und sah Rebecca entschuldigend an. "Ich muss dringend zu Jan."

"Bitte was?", schrie Rebecca. "Das ist ja jetzt wohl nicht dein Ernst!"

"Doch, er braucht mich jetzt." Daniel machte sich auf den Weg zur Tür.

"Wenn du jetzt gehst, brauchst du nie, nie, nie wieder zu kommen, hast du das verstanden?!"

Der Blick in Daniels Augen brachte sie schier um den Verstand, denn darin zeichnete sich schon das ab, was seine Handlung gleich darauf bestätigte. Er griff zu Tür und verschwand. Rebecca sackte weinend im Stuhl zusammen. Jetzt hatte sie endgültig verloren. Draußen leuchteten die Scheinwerfer auf und huschten durch das Wohnzimmer. Die plötzliche Helligkeit blendete Rebecca und ließ sie anschließend in noch tieferer Dunkelheit zurück. Am dunkelsten ist die Nacht, bevor das Licht angeht, hatte ihr mal jemand in ihr Poesie-Album geschrieben. Eigentlich sollte das Hoffnung machen. Doch Rebecca sah, dass das alles nur eine große Lüge war. Denn am dunkelsten war die Nacht, direkt nachdem das Licht ausgegangen war. Und das stand Rebecca nun bevor. Nacht.

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