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Höhen und Herzen
Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst
Teil 13 - Zwischen Traum und Realität
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Informationen
- Story: Höhen und Herzen
- Autor: TrioXander
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Abenteuer, Diverses
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Manchmal beginnt ein neuer Tag mit einem Gefühl, das größer ist als alles andere.
- Schule fühlt sich anders an.
- VERTIX – Der Moment, in dem ich falle und aufgefangen werde
- Unter der Dusche – Der Kampf gegen die Stimmen in meinem Kopf
- Aufgeben ist keine Option – Das Training beginnt
- Die letzten Reserven – Und doch nicht genug
- Zwischen Atemzügen und elektrischer Nähe
- Berührung, die tiefer geht
- Kopf gegen Herz – Mentaltraining mit Clara
- Heimweg mit Leo – Wenn Müdigkeit stärker ist als Worte
- Nächtliche Ruhe – Ein Kuss, der bleibt
Vorwort
Wenn der Morgen alles verändert und Nähe zur stärksten Kraft wird
Manchmal beginnt ein neuer Tag mit einem Gefühl, das größer ist als alles andere.
Ich wache auf mit einem Lächeln, das ich nicht mehr loswerde. Mein Kopf ist noch irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit. Zwischen den Berührungen von gestern. Zwischen Leos Lippen, die nach Minze schmeckten, und seinem Blick, der mir den Atem raubte.
Mein Körper fühlt sich anders an. Nicht erschöpft, nicht schwer – eher… leicht. Fast so, als würde ich in einer ganz anderen Schwerkraft schweben. Mein Herz schlägt ruhig, aber irgendwo tief in mir summt eine unterschwellige Energie, die mich nicht loslässt.
Ich strecke mich langsam, spüre die Wärme unter meiner Decke. Dann erinnere ich mich.
Gestern.
Die Art, wie wir uns angesehen haben. Das leise Einatmen kurz bevor seine Lippen meine berührten. Die Wärme seiner Hand an meiner Wange. Der Moment, in dem ich wusste, dass ich mich nie wieder anders fühlen will als genau so.
Ich schließe die Augen noch einmal, lasse den Moment wieder aufleben. Sein Duft – leicht nach Zitrone und Waschmittel. Die leichte Erschütterung, als seine Stirn gegen meine gelehnt war. Die Art, wie seine Fingerspitzen sich kurz in meinen Nacken gegraben haben, bevor er mich losließ.
Es fühlt sich wie eine neue Realität an. Mein Kopf sagt: Langsam. Du kennst ihn noch nicht wirklich. Lass dir Zeit. Aber mein Körper erinnert sich: Es hat sich richtig angefühlt. Ich öffne die Augen. Licht sickert durch die halb geschlossenen Jalousien, zeichnet schmale Linien über mein Bett. Ich drehe mich zur Seite, strecke die Hand aus – suche mein Handy. Es muss irgendwo hier sein. Als ich es endlich ertaste, drücke ich den Bildschirm an. 46 ungelesene Nachrichten.
Ich blinzele. Okay. Ich hatte erwartet, dass die neue Kampagnenphase gestern Nacht offiziell online gegangen ist, aber… so viele? Mein Blick springt über die Absender. Finn. Malik. Jonas. Tom. Unbekannte Nummern. Freunde. Sebbi. Instagram. Eine Erwähnung auf Twitter. Irgendwas von einer Online-Zeitschrift. Ich könnte es jetzt alles durchgehen. Aber ich tippe stattdessen auf einen einzigen Namen. Leo.
Ein einziges ungelesenes Herz-Symbol neben seinem Namen. Mein Herz setzt kurz aus. Ich wische über den Bildschirm, öffne den Chat. Leo: Morgen, Justin. Gut geschlafen? Irgendwie kann ich noch immer dein Gesicht vor mir sehen. PS: Falls du vergessen hast, wie ich aussehe – ich kann dir ein paar Selfies schicken.
Ich lache leise. Er ist so ein verdammter Show-off. Ich: Ich hab nicht vergessen, wie du aussiehst. Mein Kopf ist noch voll von gestern. Ich starre auf den Text. War das zu direkt? Tippe schnell noch hinterher: Ich: Ja, gut geschlafen. Aber du darfst mir trotzdem ein Selfie schicken. Sofort sehe ich die „Tippt…“-Anzeige. Mein Puls beschleunigt sich leicht.
Leo: Oh, du willst also eins? Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Haare gemacht. Dann ein Bild. Leo, zerzauste Haare, noch im Bett, mit einem dieser leichten Schmunzler, die nur andeuten, was er eigentlich denkt.
Ich schließe kurz die Augen. Versuche, mein eigenes Gesicht nicht komplett grinsend vorzustellen.
Ich: Sieht gut aus.
Leo: Und du? Oder bist du ein Chaos?
Ich: Warte, ich schau mal nach…
Ich drehe mich auf den Rücken, öffne die Frontkamera. Zerzauste schwarze Haare, müder Blick, ein leichter Abdruck vom Kissen auf meiner Wange. Ein leises Stöhnen entfährt mir.
Ich mache trotzdem ein Foto. Ungefiltert. Unperfekt. Ich schicke es ihm. Ich: Definitiv Chaos.
Leo: Sieht trotzdem gut aus.
Mein Magen flattert. Ich will eine Antwort tippen, aber dann – „JUSTIN! FRÜHSTÜCK ODER HUNGERTOD?“ Bobby.
Ich stöhne auf, lasse das Handy auf mein Gesicht fallen. Dann schiebe ich mich auf die Bettkante und zwinge mich, aufzustehen.
Im Flur wartet Bobby bereits mit verschränkten Armen. „Alter, du hast heute eine verdächtig glückliche Aura.“
„Quatsch.“ Ich versuche, an ihm vorbei in die Küche zu gehen. Er blockiert mich. „Justin. Willst du mir irgendwas erzählen?“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Über was genau?“ Bobby grinst. „Wie war’s gestern mit Leo?“ Mein Magen zieht sich zusammen. Aber nicht unangenehm. „War gut.“
„War gut?“ Bobby macht eine bedeutungsvolle Pause. „Du läufst hier rum, als hättest du gerade deine ganz persönliche romantische Indie-Film-Szene hinter dir.“
„Halt den Mund“, murmele ich und klaue ihm eine Scheibe Brot aus der Hand.
„Nein, wirklich, ich bin stolz auf dich. Also, solange ihr anständig wart.“
„BOBBY!“ Ich werfe ihm einen Krümel an den Kopf.
Er lacht, greift sich einen Kaffee und mustert mich aus den Augenwinkeln. „Heute große Aufregung wegen der Kampagne?“
Ich nehme einen Bissen. Kaue. Schlucke. Dann zucke ich die Schultern.
„Eigentlich nicht. Ich meine…, diesmal fühlt es sich anders an. Ich hab das Interview gesehen. Und das Bouldervideo, das Finn hochgeladen hat. Es ist okay. Ich bin gespannt, nicht ängstlich.“
Bobby mustert mich für einen Moment. Dann nickt er. „Du bist echt gewachsen, Kleiner.“
Nach dem Frühstück schnappe ich mir meinen Rucksack und werfe mir meine Jacke über. Draußen ist die Luft noch frisch, aber nicht unangenehm kalt. Der Himmel ist ein gleichmäßiges, sanftes Grau, typisch für einen Montagmorgen. Mein Atem ist sichtbar in der Morgenfrische, als ich den ersten Schritt auf den Gehweg setze.
Der Fußweg zur Schule ist mir vertraut, fast schon in meine Muskeln eingebrannt. Links die Bäckerei mit den schiefen Fenstern, aus denen ein Hauch von warmem Gebäck nach draußen zieht. Rechts die kleine Buchhandlung mit der altmodischen Kasse, die immer noch in Mark und Pfennig anzeigt. Ich laufe an der Bushaltestelle vorbei, wo sich bereits eine Traube von Schülern versammelt hat. Normalerweise würde ich den Bus nehmen. Heute will ich laufen. Jeder Schritt hilft, meine Gedanken zu sortieren.
Ich spüre es – diese unterschwellige Aufregung, die nicht mehr wie Angst schmeckt. Mehr wie… Spannung. Erwartung. Ein Gefühl, das sich irgendwo zwischen meinem Brustkorb und meinem Magen einrichtet, sich langsam ausbreitet.
Meine Hand greift nach meinem Handy in meiner Jackentasche, fast automatisch. Ich könnte Leo noch eine Nachricht schicken. Irgendwas Lockeres. Aber ich halte inne. Er ist da. Ich weiß es. Das reicht.
Meine Füße kennen den Weg, auch wenn mein Kopf heute woanders ist. Jeder Schritt auf dem Pflaster ist ein bisschen zu leicht, ein bisschen zu schwebend. Vielleicht bilde ich es mir ein. Vielleicht ist das einfach, wie es sich anfühlt, wenn man glücklich ist. Dann biege ich um die letzte Ecke – die Schule kommt in Sicht.
Und plötzlich spüre ich es. Blicke. Nicht direkt frontal, nicht aggressiv. Aber sie sind da. Flüchtige, verstohlene Seitenblicke, die über mich hinwegziehen. Ein Murmeln, das nur gerade laut genug ist, um es nicht mehr als Zufall abzutun.
Mein Blick springt über den Schulhof. Ich erkenne Maik, Johannes – sie stehen in ihrer üblichen Gruppe, aber Maik hebt ganz leicht eine Augenbraue, als er mich sieht. Ein Mädchen aus meiner Klasse – Miriam? – dreht sich in meine Richtung, sagt etwas zu ihrer Freundin, die dann ebenfalls rüber schaut.
Okay. Kein Grund zur Panik. Ich gehe weiter, zwinge mich, nicht an mir runterzuschauen, nicht hektisch mein Handy aus der Tasche zu ziehen, nicht auf die Idee zu kommen, irgendwo zu verschwinden. Einatmen. Claras Stimme klingt irgendwo in meinem Kopf. Mach den Raum groß. Bleib bei dir. Dein Körper kennt das. Ich bleibe bei mir.
So strecke ich meine Schultern ein bisschen und lasse meine Hände locker in den Taschen. Laufe mit genau der richtigen Geschwindigkeit, nicht zu schnell, nicht zu langsam. Ich kann den Blicken nicht entkommen – also lasse ich sie einfach über mich hinwegfließen.
Dann, kurz bevor ich die Tür erreiche, vibriert mein Handy. Ich ziehe es mit einer Bewegung heraus, als hätte ich genau darauf gewartet. Eine neue Nachricht. Von Leo: Falls du aufgeregt bist: Ich bin heute Nachmittag da. Ich fang dich auf.
Mein Mundwinkel zuckt. Ich schiebe das Handy zurück in die Tasche. Atme einmal tief ein. Dann trete ich durch die Tür.
Noch bevor ich meinen Spind erreiche, haben mich Maik und Johannes am anderen Ende des Flurs erreicht. Sie haben mich entdeckt.
„Ey, Justin!“ Maik winkt wild und rennt fast in einen vorbeilaufenden Siebtklässler. „Alter! Alter, was zur Hölle war DAS wieder?“
Ich grinse verlegen und tue so, als hätte ich keine Ahnung, wovon er redet. „Was meinst du?“
„Was meine ich?! Bist du ernsthaft so drauf?“ Johannes schiebt sein Handy vor mein Gesicht. „DAS hier! Der Clip! Ey, das sieht aus wie ein verdammter Profi-Werbespot! Und dein Gesicht am Ende… Bro, das ist Hollywood!"
Ich lache, schlage seine Hand weg. „Ja, ja, übertreib mal nicht.“
„Übertreiben? Alter, du warst wie ein verdammter Superheld! Ich meine, wir wissen ja, dass du klettern kannst, aber DAS? Die Kameraführung, die Musik, wie du da an der Wand hängst – das sieht aus, als wärst du schon ein internationaler Athlet oder so!“
Tom kommt von hinten dazu, seine Kopfhörer noch um den Hals. „Junge, ich hab mir das Video dreimal angeschaut. Dreimal! Und jedes Mal dachte ich mir: Justin, du kleiner Angeber, wieso hast du uns nie gesagt, dass du so ein Star bist?!“
Ich seufze und lehne mich an meinen Spind. „Weil ich kein Star bin? Es war einfach ein Shooting.“
Maik schüttelt den Kopf und tippt wild auf seinem Handy herum. „Nix einfach. Die Kommentare explodieren! Die sagen, du siehst aus wie der nächste große Sport-Influencer. Ey, warte, warte… hier: ‚Dieser Justin hat so eine unfassbare Ausstrahlung, als wäre er für die Kamera gemacht.“ Er blickt mit einem breiten Grinsen auf. „Bruder. Ich schwör, du bist ab jetzt offiziell famous.“
Ich spüre, wie meine Wangen warm werden. Johannes nickt nur zustimmend. „Ich mein’s ernst. Leute in den höheren Stufen haben sich das heute Morgen schon angeschaut. Du bist Gesprächsthema Nummer eins.“
„Und nicht nur in der Schule“, mischt sich Tom ein. „Das Ding hat schon tausende Views! Und die Kommentare? Alle feiern dich.“
Ich öffne meinen Spind und schnappe mir meine Bücher, versuche dabei, möglichst cool zu bleiben. „Ich hatte keine Ahnung, dass das Ding so durchstartet.“ Kopfschüttelnd schüttele ich den Kopf und schließe meinen Spind. „Also, ihr tut gerade so, als hätte ich Olympia gewonnen. Es war nur ein Shooting.“
„Bruder, das war nicht nur ein Shooting!“ Maik scrollt durch die Kommentare. „Ey, pass auf: ‚Diese Kameraarbeit ist insane. Wie er sich bewegt – es sieht aus wie eine Mischung aus Tanz und roher Kraft.' Und dann hier: ‚Dieser eine Moment, als er sich an die Wand lehnt und sagt: Klettern ist Freiheit… Gänsehaut pur!‘“
Tom nickt heftig. „Oh ja, genau der Teil! Du hattest so einen Blick drauf… So, als wärst du komplett in deiner Welt. Hast du das geprobt oder kam das einfach so?“
Ich kratze mich verlegen am Hinterkopf. „Äh… ehrlich gesagt, hab ich gar nicht so drüber nachgedacht. Kai hat mich einfach gefragt, was mir am Klettern gefällt, und ich hab geantwortet. Die Kamera hab ich irgendwann vergessen.“
Johannes lacht. „Ja, das sieht man! Das wirkt so natürlich. Wie in so einer krassen Doku oder einem Nike-Werbespot.“
Maik spielt eine Stelle aus dem Clip ab. „Hier, guckt mal! Dieser Move hier… BOOM, dieser dynamische Sprunggriff. Junge, das sah aus, als wärst du Spider-Man.“
„Ja, Mann!“, stimmt Tom zu. „Und dann dieser Close-up auf deine Hand mit dem weißen Zeug, direkt nach dem Sprung. Ey, ich wette, das wird der neue Standard für Sportclips.“
Ich lache und schüttle den Kopf. „Ihr spinnt total.“
Maik tippt wieder auf seinem Handy. „Nicht nur wir. Ich hab ein paar Namen durch die Kommentare gecheckt – das geht gerade echt viral.“
Ich runzle die Stirn. „Viral?“
„Na ja, sagen wir mal so… wenn du morgen in die Stadt gehst, könnten dich Leute erkennen.“
Mein Magen zieht sich leicht zusammen. „Oh…“
Johannes stößt mich leicht mit dem Ellbogen an. „Sag mal ehrlich, wie war das für dich? Also als du da geklettert bist? Ich meine, wir sehen ja nur die epische Endversion – aber wie war das wirklich?“
Ich atme tief durch und denke an den Moment zurück. „Es war… intensiv. Aber nicht wegen der Kameras oder so. Kai hat mich voll ins Training gezogen, und ich war einfach in meinem Element. Ich hab das Drumherum vergessen, es war nur ich und die Wand.“
Tom nickt langsam. „Ja, das sieht man. Diese Szene, wo du kurz innehältst und tief durchatmest, bevor du den nächsten Zug machst – das fühlt sich so echt an.“
„Es war auch echt“, sage ich ehrlich. „Ich hab nicht mal gemerkt, dass sie das gefilmt haben.“
Maik grinst. „Das macht’s ja gerade so gut! Kein Fake, kein Übertriebenes… das ist einfach DU.“
Ich spüre wieder das Kribbeln im Bauch, aber es ist kein unangenehmes Gefühl. Es ist ein gutes Gefühl.
Während wir den Gang entlanggehen, spüre ich die Blicke der anderen. Manche nicken mir zu, andere flüstern und werfen verstohlene Blicke auf ihr Handy. Ich kann mir denken, was sie sehen.
Mein Gesicht an der Boulderwand. Mein Fokus, meine Bewegungen. Meine Worte über Freiheit und Vertrauen.
Ich atme tief durch. Ob ich es will oder nicht – mein Leben hat sich über Nacht ein bisschen verändert. Langsam lasse ich lasse die Luft langsam aus meinen Lungen entweichen, versuche, die Spannung aus meinen Schultern zu nehmen. Mein Körper kennt das – Blicke, Aufmerksamkeit. Auf der Kletterwand sind es die Zuschauer, die still stehen und beobachten, ob du fällst oder ob du fliegst. Das hier ist nicht anders. Rede ich mir zumindest ein…
Aber diesmal bin ich nicht allein da oben.
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, während Maik immer noch aufgeregt mit Johannes über die besten Szenen des Clips diskutiert. Mein Daumen schwebt kurz über dem Bildschirm, bevor ich den Chat mit Leo öffne. Seine letzte Nachricht ist immer noch sichtbar.
Falls du aufgeregt bist: Ich bin heute Nachmittag da. Ich fang dich auf.
Ich grinse. Dann tippe ich schnell eine Antwort.
Dann lass mich heute nicht zu lange fallen.
Kaum habe ich die Nachricht abgeschickt, spüre ich einen Ellenbogen gegen meine Seite. „Junge, du bist komplett raus, oder?“ Maik grinst mich an. „Mit wem schreibst du. Mit diesem Leo?“
„Und wenn schon?“ Ich schiebe mein Handy in die Tasche.
„Sag doch einfach, was läuft da?“
Ich rolle mit den Augen, aber meine Wangen fühlen sich verdächtig warm an.
Wir erreichen den Klassenraum. Ich bin nicht der Erste. Ein paar Leute sitzen bereits auf ihren Plätzen, ihre Köpfe gesenkt, aber ich spüre es – die kurzen, verstohlenen Blicke, die sich von den Handybildschirmen lösen und unauffällig zu mir wandern.
Ich ziehe meinen Stuhl zurück und lasse mich langsam darauf sinken, lege meine Arme locker auf die Tischplatte. Tue so, als wäre alles wie immer.
Aber dann –
„Justin?“
Ich drehe mich um. Ein Mädchen aus meiner Klasse – Anna, glaube ich – hat ihr Handy leicht angehoben, als würde sie es mir gleich direkt unter die Nase halten. Ihre Augen leuchten auf eine Weise, die irgendwo zwischen Aufregung und echter Bewunderung liegt.
„Das Video… das bist echt du?“
Ich schmunzle leicht. „Ich hoffe doch.“
Sie sieht mich einen Moment lang an, dann grinst sie. „Krass. Also wirklich… krass. Du warst so…“ Sie sucht nach dem richtigen Wort.
Ich könnte ihr helfen. Ich weiß, was ich in diesem Video war. Frei. Aber ich lasse sie selbst weitersprechen.
„So selbstsicher“, sagt sie schließlich. „Ich meine, in der Schule bist du eher ruhig, aber da…, da sah es aus, als wärst du genau an dem Ort, an den du gehörst.“
Etwas in mir zieht sich zusammen. Sie hat Recht. Dort, an der Wand, mit Magnesia an den Fingern und dem Adrenalin in meiner Brust, war ich. Ohne Filter, ohne Nachdenken. Und jetzt?
Jetzt muss ich herausfinden, ob ich dieses Gefühl auch mit auf den Boden nehmen kann. Ich lehne mich zurück, lasse meinen Blick noch einmal durch den Raum schweifen. Die Stimmen, die Blicke, das leise Murmeln. Ich bin Gesprächsthema. Vielleicht für einen Tag. Vielleicht für eine Woche. Vielleicht länger. Aber eine Sache weiß ich jetzt schon.
Wenn ich heute Nachmittag Leo sehe, wenn seine dunklen Augen mich mustern und sein Grinsen genau diesen einen Moment zu lange bleibt, dann ist es nicht wegen eines Videos. Dann sieht er mich. So, wie ich bin.
Schule fühlt sich anders an.
Nicht, weil die Wände plötzlich eine andere Farbe haben oder die Stühle bequemer geworden sind. Nicht, weil der Unterricht spannender wäre oder die Pausen länger. Sondern weil ich es bin, der anders ist. Sie sehen mich jetzt. Ich spüre es in den Fluren, in den Pausen, in den flüchtigen Blicken, die sich auf mich heften, wenn ich an einer Gruppe vorbeigehe. Ich höre es im Murmeln, in den halblauten Kommentaren, wenn jemand das Video auf seinem Handy abspielt und leise „Ey, das ist doch der Typ aus dem Clip!“ raunt.
Eigentlich sollte ich es ja wissen. War ja letzte Woche schon nach der ersten Veröffentlichung so. Aber diesmal ist es noch heftiger. Finn hatte mich vor einem möglichen Hype gewarnt und ich dachte, diesmal bin ich vorbereitet, aber… Es ist seltsam. Einerseits bin ich stolz. Ich wollte das. Ich wusste, dass es passieren würde. Die Kampagne ist draußen, die Clips laufen auf Social Media, auf Werbebannern, sogar auf der Startseite der VERTIX-Website. Meine Stimme spricht über Klettern, über Freiheit, über das Gefühl, eins mit der Wand zu sein – und jetzt sitze ich hier, in meinem Klassenzimmer, und versuche, mich auf eine Gleichung zu konzentrieren, während mein Name durch den Raum flüstert wie ein Lauffeuer.
Ich sollte mich gut fühlen. Aber stattdessen fühlt es sich an, als wäre ich aus meinem eigenen Körper gerutscht. Im Klassenzimmer versuche ich, mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Aber mein Name treibt durch den Raum wie eine stille Welle.
„Justin…“
„… der aus dem Video…“
„… wie peinlich kann man sein?“
Es brennt. Nicht wie eine offene Flamme, sondern wie kalte Klingen, die immer wieder an meiner Haut entlangziehen.
Es ist große Pause, ich stehe mit meinen Freunden im Pausenhof und lehne an der Mauer, starre auf meine Wasserflasche, während Johannes mir irgendetwas über sein neues Skateboard erzählt. Ich nicke an den richtigen Stellen. Aber meine Gedanken sind woanders.
Ein paar Meter entfernt, eine Gruppe aus der Parallelklasse. Sie stehen im Halbkreis, zu fünft oder sechst, lachen, ein Handy wandert von Hand zu Hand. Einer von ihnen – groß, breite Schultern, dunkle Augen unter einer tief ins Gesicht gezogenen Cap – hält das Display hoch. Ich erkenne den Clip sofort. Mein Gesicht, eingefangen in Bewegung. Mein Sprung, meine Hände, die sich in die Wand krallen. Mein Blick in die Kamera, die Worte, die ich gesagt habe.
Und dann sein Grinsen. „Alter, das ist so gestellt. Niemand bewegt sich so beim Klettern.“ „Ja, und dieses ‚Klettern ist Freiheit‘-Ding? Wer denkt sich so einen Scheiß aus?“ „Als würde ihn das irgendwie besonders machen. Ey, der hat doch nur Glück gehabt, dass VERTIX ihn genommen hat. Ich mein, guckt ihn euch an.“
Sein Blick wandert über mich. Ich merke, wie meine Schultern sich anspannen, wie mein Griff um die Flasche fester wird. „Ja, Mann“, stimmt ein anderer zu. „Glaubt der jetzt, er ist irgend so ’n Influencer oder was?“ „Ey, guck mal, da ist er ja.“ Alle drehen sich zu mir um.
Mein Herzschlag setzt für eine Sekunde aus. Dann rast er. „Na, Instagram-Model? Wie fühlt sich der Fame an?“ Ich will nicht reagieren. Ich will es ignorieren. Aber sie hören nicht auf. „Justin, Digga, sag mal ehrlich – musstest du für das Video extra schmachten, oder guckst du immer so?“ „Vielleicht hat er sich ja in die Wand verliebt.“
Lachen. Das Lachen tut weh. Nicht, weil es laut ist. Sondern weil es aus einer Ecke kommt, die sich anfühlt, als könnte sie mich einfach auslöschen. „Ey, denkst du, die Mädels feiern das?“ Der Typ mit der Cap grinst. „Kletter-Boy mit seinen tiefgründigen Sprüchen? Oder denkst du, du bist jetzt was Besseres?“ „Hauptsache, er hält sich für krass.“ „Ja, Mann, bald gibt’s bestimmt 'nen Werbedeal für Kletterseil-Shampoo oder so.“
Ich spüre, wie mein Magen sich zusammenzieht. Ein dumpfer Druck breitet sich in meiner Brust aus. Johannes merkt es. „Alter, lass die reden“, murmelt er. Aber seine Stimme kommt von weit weg.
„Was ist los, Justin?“ Der Typ mit der Cap tritt einen Schritt näher. „Bist du zu cool zum Antworten? Ist das nicht dein Ding – Aufmerksamkeit genießen?“
Ich beiße die Zähne zusammen. Spüre, wie mein Kiefer sich verkrampft.
„Oder magst du es nur, wenn die Kommentare nett sind?“ Noch ein Lachen. Ein Mädchen aus der Gruppe – blond, hochgezogene Augenbrauen, die Nägel makellos lackiert – wirft mir einen langen Blick zu. Dann lehnt sie sich zu ihrer Freundin und flüstert so laut, dass ich es hören muss: „Ich versteh den Hype echt nicht. Ich mein, er sieht halt einfach… normal aus. Aber Hauptsache, alle tun so, als wäre er was Besonderes.“
Ich merke, wie mir der Boden unter den Füßen wegrutscht. Normal. Kein Star. Kein Talent. Einfach nur irgendwer, der gerade ein bisschen zu viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Die Welt dreht sich, aber ich kann mich nicht bewegen.
„Komm, Justin.“ Johannes zupft an meinem Ärmel. „Lass die Idioten. Die haben nichts Besseres zu tun.“ Aber es hilft nicht. Denn die Worte haben sich längst eingenistet.
Matheunterricht, ich sitze am Fenster, den Kopf in die Hand gestützt. Die Zahlen auf dem Blatt verschwimmen vor meinen Augen. Ich versuche, mich zu konzentrieren, aber es ist wie ein Rauschen in meinem Kopf.
Die Stimmen von draußen hallen in mir nach.
„Er sieht halt… normal aus.“
„Als wär er irgendein Star oder so.“
„Glaubt der jetzt, er ist was Besseres?“
Mein Herz pocht in meiner Brust, aber es fühlt sich nicht wie ein Rhythmus an. Mehr wie ein dumpfes Dröhnen, das alles andere überlagert. Ich kann nicht atmen. Meine Knie wippen unkontrolliert unter dem Tisch. Mein Puls rast. Mein Nacken ist steif, mein Brustkorb fühlt sich zu eng an. Ich versuche, mich zu konzentrieren. Ich versuche, mich in eine Gleichung zu flüchten. In Zahlen. In Logik. Aber mein Kopf schreit. Ich will, dass es aufhört. Ich will, dass sie alle aufhören. Ich will nicht, dass sie mir das kaputt machen. Ich schiebe meine Hände unter die Tischplatte, balle sie zu Fäusten.
Fokus auf das Jetzt. Fokus auf den Atem. Aber das Jetzt fühlt sich an wie ein dunkler Raum ohne Türen. Ich brauche… Ich brauche Leo. Ich brauche ihn. Ich brauche seine Stimme. Seinen Blick. Seine Art, mich mit einer einzigen hochgezogenen Augenbraue wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aber er ist nicht hier.
Stattdessen sitze ich in diesem viel zu hellen, viel zu stickigen Klassenzimmer, während die Minuten in Zeitlupe vergehen. Mein Herz rast immer noch viel zu schnell, meine Brust fühlt sich eng an, mein Kopf ist voller Stimmen, die ich nicht loswerde.
Ich starre auf die Uhr. Noch eine Stunde. Noch dreißig Minuten. Noch zehn. Mein Bein wippt unkontrolliert unter dem Tisch. Meine Finger krallen sich immer wieder in die Tischkante. Ich merke, wie meine Atmung flacher wird, wie sich eine taube Schwere über meine Schultern legt. Es ist dieses Gefühl, als würde ich in einem Flugzeug sitzen, das im freien Fall ist. Und niemand drückt den Rettungsschirm. Ich versuche, mich an Claras Worte zu erinnern. Versuch, das mentale Schutzschild zu aktivieren. Versuch, mir einzureden, dass diese Stimmen mir nichts anhaben können. Aber sie sind zu laut. „Ey, guck mal, da ist er ja.“ „Instagram-Model.“ „Als wär er irgendein Star oder so.“ „Er sieht halt… normal aus.“ Normal.
Ein Wort, das mich heute mehr verletzt als alles andere. Ich weiß nicht, warum es so wehtut. Ich wusste doch, dass nicht jeder es feiern würde. Ich wusste, dass es Kritik geben würde. Aber es ist etwas anderes, es selbst zu hören. Es aus den Mündern von Leuten zu hören, die mich jeden Tag sehen. Die mich beobachten, als hätten sie das Recht, mich zu bewerten, mich auseinanderzunehmen und sich dann darüber lustig zu machen, was übrig bleibt.
Die Schulglocke reißt mich aus meinen Gedanken. Endlich. Ich bin der Erste, der seine Sachen packt. Ich ziehe die Kapuze tief ins Gesicht, setze meine Kopfhörer auf – aber die Musik ist nur weißes Rauschen. Keine Melodie kann das Chaos in meinem Kopf übertönen. Keine Basslinie kann das Zittern in meiner Brust beruhigen.
Vielleicht haben sie ja Recht. Vielleicht war das alles übertrieben. Vielleicht sieht es wirklich peinlich aus. Mein Daumen bewegt sich über den Bildschirm meines Handys, fast automatisch. Ich tippe auf den VERTIX-Clip. Drücke Play. Ich sehe mich klettern. Sehe meine Finger in das Magnesia tauchen. Sehe meinen eigenen Blick in die Kamera. Sehe die Entschlossenheit in meinen Augen. Aber es fühlt sich nicht mehr wie ich an. Es ist, als würde ich jemand anderen beobachten. Jemanden, der besser, stärker, selbstbewusster wirkt, als ich es in diesem Moment bin.
Ich spüre, wie mein Magen sich zusammenzieht, als ich den Bildschirm ausschalte. Mein Kopf lehnt für einen Moment gegen das kalte Busfenster. Ich will schlafen. Ich will abschalten. Aber mein Körper ist angespannt, als würde er jeden Moment explodieren.
Ich brauche ihn. Ich brauche ihn jetzt.
Der Bus hält. Meine Beine fühlen sich taub an, als ich aussteige. Die Stadt rauscht um mich herum, Stimmen, Autohupen, der Klang von Sneakers auf Pflastersteinen. Aber alles ist gedämpft. Als wäre ich unter Wasser. Meine Schritte werden schneller, als ich mich VERTIX nähere. Mein Herz rast. Nicht vor Aufregung. Vor Panik. Meine Finger umklammern den Türgriff. Dann drücke ich sie auf. Und sehe ihn.
Leo. Er lehnt lässig mit verschränkten Armen gegen den Tresen an der Rezeption. Seine braunen Haare sind ein bisschen zerzaust, sein Blick schläfrig und wach zugleich. Ein Lächeln spielt um seine Lippen, dieses typische Leo-Grinsen, als würde ihn nichts auf dieser Welt aus der Ruhe bringen.
Sein Blick fällt auf mich. Ich sehe, wie er sich verändert. Wie seine Augen sich verengen. Wie das Lächeln langsam verschwindet. Wie er innerhalb von Sekunden scannt, was mit mir los ist. Er sieht es. Er sieht mich.
Er sieht, dass meine Schultern angespannt sind, dass meine Atmung zu flach ist, dass meine Augen ein bisschen zu glasig sind, weil ich mich die letzten Stunden gegen eine Welle gewehrt habe, die mich trotzdem mitgerissen hat. „Du siehst aus, als wärst du aus einem brennenden Haus gerannt.“ Seine Stimme ist locker, aber ich höre es. Die versteckte Sorge darunter.
Ich bleibe stehen. Meine Brust hebt und senkt sich schnell. Dann… „Kannst du mich auffangen?“ Es ist ein Scherz. Eigentlich.
Aber als Leo sein Grinsen verliert, als er mich einfach nur ansieht – ruhig, offen, ohne das übliche Spielerische – weiß ich, dass er verstanden hat. Seine Arme senken sich von seiner Brust. Seine Haltung verändert sich. Er streckt die Hand aus. Und ich zögere nicht.
VERTIX – Der Moment, in dem ich falle und aufgefangen werde
Leos Blick verändert sich in dem Moment, in dem er mich richtig ansieht. Das Grinsen ist weg, seine Augen werden weicher, ernster. Seine Stirn legt sich leicht in Falten, als würde er in Sekundenbruchteilen alles analysieren – meine Haltung, meine Atmung, die Art, wie meine Schultern leicht zittern, obwohl ich mich zwinge, still zu stehen. Er sagt nichts. Er tut nur eines. Er kommt auf mich zu, schließt den Abstand zwischen uns mit zwei schnellen Schritten – und dann sind seine Arme um mich.
Ich merke erst, wie kalt ich bin, als ich gegen seine Wärme pralle. Sein Körper ist fest, stabil, wie ein Anker in einem tobenden Sturm. Ich will mich erst nicht ganz fallen lassen, versuche, mich zusammenzunehmen, aber dann spüre ich seine Hand an meinem Rücken, die sich fester schließt, als würde er mir wortlos sagen: Es ist okay.
Ich schließe die Augen. Und lasse los. Meine Finger krallen sich in das Material seines Pullovers, graben sich in den weichen Stoff, als könnte ich mich an ihm festhalten, während alles andere um mich herum ins Wanken gerät. Und erst jetzt merke ich, wie sehr ich zittere. Nicht nur wegen der Wut oder der Enttäuschung, die ich in den letzten Stunden heruntergeschluckt habe, sondern weil ich mich plötzlich erschöpft fühle. Als hätte mich der Tag ausgelaugt, bevor er überhaupt richtig angefangen hat.
Leos Hand bewegt sich langsam über meinen Rücken, sein Griff fest, aber nicht erdrückend. Er hält mich einfach nur. Ohne Fragen, ohne Druck, ohne den üblichen frechen Kommentar, den ich von ihm gewohnt bin. Er lässt mich sein. So, wie ich jetzt gerade bin. Ein einziger tiefer Atemzug reicht, und es fühlt sich an, als würde ich wieder ein Stück in meinen Körper zurückfinden.
Dann erst spricht er leise. „Hey.“
Ich nicke gegen seine Schulter, schaffe es aber nicht, wirklich zu antworten.
„Justin… was ist los?“ Seine Stimme ist ein Hauch über meinem Ohr.
Ich öffne den Mund. Will irgendwas sagen. Aber da ist nur dieses Wirrwarr aus Stimmen in meinem Kopf, aus den hämischen Kommentaren, den Selbstzweifeln, dem Gefühl, dass plötzlich etwas in mir einen Riss bekommen hat. Ich schüttele den Kopf. „Ich weiß es nicht“, murmle ich schließlich, ehrlich.
Leo löst sich ein Stück von mir, aber nur so weit, dass er mich ansehen kann. Seine Hände liegen immer noch an meinen Armen, Daumen streifen unbewusst über den Stoff meines Hoodies.
Er mustert mich einen Moment, dann schnaubt er leise. „Okay. Dann fangen wir anders an.“ Er setzt ein schiefes Lächeln auf, sanft, aber mit dieser unaufdringlichen Sicherheit, die ihn ausmacht. „Sag mir eine Sache, auf die du dich heute freust.“
Ich will instinktiv sagen: Nichts. Weil es sich genau so anfühlt. Ich hatte mich so sehr auf heute gefreut. Auf das Training. Auf den Moment, in dem ich mich an der Wand wieder frei fühlen würde. Auf das Adrenalin, wenn ich einen neuen Zug schaffe, wenn meine Finger sich in den Griffen verankern, mein Körper sich in der Bewegung verliert. Aber irgendwie ist das alles weg. Und das macht mich fertig. Weil ich weiß, dass ich das hier will. Dass ich VERTIX will. Dass ich trainieren will, stärker werden will. Aber gerade fühlt es sich an, als hätte mir jemand die Freude daran herausgerissen. Das Einzige, das mich hier hält, ist Leo.
Seine Präsenz. Seine Wärme. Die Art, wie er mich ansieht, als würde er verstehen, ohne dass ich es erklären muss. Die Suche nach Halt. Die Suche nach seiner Liebe.
Ich atme ein. „Duschen“, sage ich schließlich.
Leo zieht leicht eine Braue hoch, wartet eine Sekunde, ob noch etwas kommt. Als ich nichts sage, nickt er langsam. „Duschen also“, wiederholt er leise.
Ich will das Wasser auf meiner Haut spüren, will den bisherigen Tag wegwaschen, das Brennen in meiner Brust, das Kribbeln in meinem Kopf. Ich will das Gewicht loswerden, das sich an meine Schultern geklammert hat, seit ich heute Morgen die ersten Blicke gespürt habe.
Leos Mundwinkel zuckt leicht. „Guter Anfang.“
Ich schaffe ein schwaches Lächeln.
Er zieht mich noch einmal kurz an sich, fester als zuvor. Seine Hand an meinem Rücken übt für einen Moment sanften Druck aus, fast so, als wollte er sicherstellen, dass ich nicht in mich selbst zerfalle, sobald er mich loslässt.
Dann schiebt er mich sanft in Richtung Umkleide. „Geh duschen, Justin. Nimm dir Zeit. Ich such dir währenddessen was Nettes zum Anziehen raus. Ich finde was Schönes, was dir gefällt.“
Ich nicke, spüre, dass meine Beine sich mit jedem Schritt sicherer anfühlen. Eigentlich haben wir immer einen festen Ablauf. Erst setzen wir uns hin, gehen den Tag durch, sprechen über die nächsten Stunden. Ich erzähle ihm, wie ich mich fühle, was ich mir vom Training erwarte.
Aber heute nicht. Heute entscheidet Leo für uns. Er streicht unseren Ablauf, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, übernimmt einfach die Führung, weil er merkt, dass ich es nicht kann. „Ich rede auch mit Kai“, sagt er beiläufig, während er mich weiter in Richtung Umkleide schiebt. „Wir müssen heute was ändern.“
Ich runzle leicht die Stirn, sehe ihn fragend an. „Du brauchst kein Training, das dich weiter runterzieht. Heute geht es nicht um neue Rekorde. Heute geht es darum, dass du dich wieder gut fühlst. Ich kümmere mich drum.“
Ich starre ihn an.
Leo hebt eine Braue. „Vertrau mir einfach, ja?“
Ich schließe kurz die Augen, dann nicke ich. „Okay.“
Er klopft mir auf die Schulter. „Dann mach jetzt, bevor du mir hier noch weiter zusammenklappst.“
Ich schenke ihm ein kleines, dankbares Lächeln. Dann gehe ich.
Unter der Dusche – Der Kampf gegen die Stimmen in meinem Kopf
Das heiße Wasser prasselt auf meine Haut, rinnt über meinen Nacken, meine Schultern, meine Arme. Ich lehne die Stirn gegen die kühlen Kacheln, schließe die Augen und versuche, mich auf nichts anderes zu konzentrieren als auf die Wärme.
Einatmen. Ausatmen.
Ich will die negativen Gedanken loslassen. Aber sie sind hartnäckig.
„So bewegt sich doch keiner beim Klettern.“
„Peinlicher geht’s nicht.“
„Als wär er irgendein Star oder so.“
Die Worte brennen sich in meinen Kopf, wiederholen sich in Endlosschleife.
Seit ich acht Jahre alt bin, ist Klettern mein Ding. Mein Rückzugsort. Der Ort, an dem ich mich immer frei gefühlt habe. Ohne Vergleiche, ohne Erwartungen. Einfach ich und die Wand. Aber jetzt… Jetzt fühlt es sich an, als hätten sie mir das kaputt gemacht. Ich presse die Lippen zusammen, spüre, wie meine Hände sich zu Fäusten ballen. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass sie mir das nehmen. Ich will nicht, dass ein paar dumme Kommentare mich aus dem Gleichgewicht bringen. Ich atme schwer aus, lasse das Wasser über mein Gesicht laufen. Aber selbst die Hitze schafft es nicht, den Kloß in meiner Brust aufzulösen. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier stehe, verloren in Gedanken, als ich auf einmal ein Geräusch höre.
Schritte in der Umkleide. Dann Leos Stimme, leicht gedämpft. „Justin? Alles okay?“ Ich blinzele, hebe den Kopf. „Ja“, rufe ich, aber es klingt nicht sehr überzeugend. Ein Moment Stille. Dann ein leichtes Klopfen gegen die Tür. „Wenn du noch länger brauchst, sag’s einfach. Aber du bist jetzt schon fast zehn Minuten drin, und ich weiß nicht, ob du gerade meditierst oder eingeschlafen bist.“
Ich schnaube. „Beides nicht.“
„Sicher? Weil, falls du ohnmächtig wirst, wäre das echt blöd. Ich meine, du bist nackt, und ich bin nicht sicher, ob ich für so einen Notfall schon ausgerüstet bin.“
Ich lache, ein echtes, kleines Lachen. „Dann musst du mich halt in ein Handtuch wickeln und heldenhaft retten.“
„Oh, das wäre mein Moment, was? Ich könnte dich auf meinen starken Armen aus der Dusche tragen, wie in so einer Hollywood-Rettungsszene.“
Ich lache erneut, leise, aber diesmal fühlt es sich wärmer an. Leichter.
Leo bleibt für einen Moment still. Dann atmet er hörbar aus.
„Okay, Justin. Hol tief Luft, lass das Wasser nochmal über dich laufen, und dann komm raus. Ich hab dir Klamotten rausgelegt.“
Ich bleibe noch einen Moment unter dem Wasser, lasse es über meinen Körper laufen, versuche, die Zweifel mit ihm fortzuspülen. Dann drehe ich den Hahn ab. Ich trockne mich schnell ab, binde mir das Handtuch um die Hüften und trete nach draußen.
Und da liegt es. Ein frisches Outfit auf der Bank. Ich erkenne sofort Leos Handschrift. Schlicht, aber gut kombiniert. Eine enge, schwarze Sporthose, die leicht über die Knöchel geht. Ein lockeres Tanktop in dunklem Grün, das leicht auf der Haut liegt. Darüber eine dünne Jacke, für später. Ich lasse meine Finger über den Stoff gleiten. Irgendwie fühlt es sich wie ein stilles Versprechen an. Als ich mich anziehe, merke ich, dass meine Beine sich fester anfühlen. Mein Herz schlägt ruhiger. Leo hat mich wieder zusammengesetzt, ohne dass er es überhaupt richtig gemerkt hat. Ich schiebe mir die Ärmel der Jacke über die Handgelenke, als ich Leos Schritte wieder höre.
„Hey“, sagt er leise.
Ich sehe auf. Er lehnt im Türrahmen, Arme locker verschränkt, sein Blick prüfend, als würde er versuchen, in meinem Gesicht zu lesen, wie es mir jetzt geht.
Ich will sagen, dass es besser ist. Dass die Dusche geholfen hat. Aber dann sehe ich, wie er leicht die Stirn runzelt. Er weiß, dass ich lüge, bevor ich es überhaupt ausspreche.
Leo seufzt, schließt die Tür hinter sich und kommt langsam auf mich zu. „Justin…“. Sein Ton ist anders. Tiefer. Sanfter.
Ich schlucke. Senke den Blick.
Er bleibt direkt vor mir stehen. Nicht zu nah. Aber nah genug, dass ich seine Wärme spüren kann.
Ein Moment Stille.
Dann…
Seine Hand hebt sich, langsam, vorsichtig.
Seine Finger streichen an meinem Arm entlang, ein leichtes Streifen über den Stoff.
Ich spüre die Berührung durch das Shirt hindurch.
Elektrisch. Beruhigend.
Er hebt meine Hand an, dreht sie leicht, seine Daumen fahren über meine Fingerknöchel. Dann gleiten sie höher, an meinem Unterarm entlang, langsam, fast suchend.
Meine Haut kribbelt.
Ich hebe den Kopf, treffe seine Augen.
Sein Blick ist ruhig, aber intensiv.
„Hör auf, das alles in dich reinzufressen“, sagt er leise.
Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen – doch dann passiert es.
Er bewegt sich.
Zieht mich sanft an sich, seine Arme schließen sich um mich, stärker als vorher. Fester.
Meine Stirn landet an seiner Schulter, meine Hände an seinem Rücken. Ich spüre seinen Atem an meinem Nacken, warm, beruhigend.
Und dann, … seine Finger wandern unter mein Shirt. Nur ein Stück. Seine warme Haut auf meiner.
Ich erschaudere. Nicht vor Kälte. Nicht vor Unsicherheit. Sondern weil es sich anfühlt, als würde er mit dieser einen Berührung all das Chaos aus mir herausziehen.
Seine Hände gleiten weiter, vorsichtig, fast ehrfürchtig, über meinen Rücken, seine Finger streifen über jede Anspannung, die sich in meinen Muskeln festgesetzt hat.
Ich atme aus. Und als ich es tue, spüre ich, wie ich wirklich wieder Luft bekomme.
Leos Hand gleitet an meiner Seite entlang, ruht sanft an meiner Taille. Ein leichter Druck, als würde er mich in der Realität verankern.
Und dann hebt er langsam meinen Kopf. Seine Finger unter meinem Kinn, sanft, aber bestimmend.
Ich sehe ihn an. Und ich weiß, was passieren wird, bevor es passiert.
Kein Zögern. Kein Nachdenken. Seine Lippen berühren meine. Sanft. Warm.
Ich atme ein, und es fühlt sich an, als würde ich zum ersten Mal an diesem Tag wirklich Sauerstoff in meine Lungen bekommen.
Sein Mund bewegt sich langsam, erkundend. Ich schließe die Augen, lasse mich in die Berührung fallen. Seine Hände gleiten weiter über meine Haut, streichen sachte über meine Rippen, als wollte er mich daran erinnern, dass ich hier bin. Dass ich echt bin.
Ich spüre ihn überall. Seine Wärme. Seine Kraft. Seine ruhige Sicherheit.
Ich weiß nicht, wie lange der Kuss dauert. Sekunden? Minuten? Alles verschwimmt.
Als er sich langsam zurückzieht, bleibt seine Stirn an meiner gelehnt.
Wir atmen beide schwer.
Er lächelt. Zieht seine Finger leicht über meine Wange.
„Jetzt“, sagt er leise: „Jetzt siehst du wieder aus wie du selbst.“
Ich blinzele. Spüre nach, wie mein Herz nicht mehr rast, sondern ruhig schlägt.
Leo. Er hat mich wieder zusammengesetzt. Und diesmal weiß er es.
Aufgeben ist keine Option – Das Training beginnt
„Also, was wird’s, Justin?“ Leo lehnt locker an der Wand, die Arme verschränkt, sein Blick ruhig, aber wachsam. Er hat mir die Wahl gelassen. Hat mir gesagt, dass ich selbst entscheiden kann, ob ich jetzt klettern will oder ob ich mich komplett auspowere.
Aber, eigentlich… war es keine echte Wahl. Kai hat mit Leo gesprochen, und ich weiß genau, dass er das Gleiche gesagt hat wie ich gerade denke: Wenn ich jetzt klettere, wird mich mein Kopf sabotieren. Ich werde den Fokus verlieren. Ich werde mich nicht auf meine Griffe verlassen. Aber, wenn ich meinen Körper an seine Grenzen bringe…, dann bleibt keine Energie mehr für Zweifel.
Ich atme tief ein, dann sehe ich Kai an. „Power.“
Kai nickt, kaum merklich, aber ich sehe, dass er es gut findet. Kein Lächeln, keine Bestätigung – einfach nur ein kurzes, zufriedenes Nicken, das mir sagt: Richtige Wahl.
„Gut“, sagt er knapp. „Dann mach dich bereit und bringe deine verdammte komplette Willenskraft mit“. Der Trainingsraum ist leer, bis auf uns drei. Kai, Leo und ich.
Oder besser gesagt: Kai, heute der Drillmaster. Leo, der stille Beobachter. Und ich, der Typ, der sich gleich selbst zerstören wird. Ich weiß, was auf mich zukommt. Ich habe schon einige Male mit Kai trainiert. Aber heute ist anders. Heute ist kein normales Training, aber das brauche ich auch nicht! Heute gibt es keine halben Sachen. Heute gibt es nur eins: Alles!
Kai beginnt mit Basics.
Ich mache mich warm, lockere meine Muskeln mit Dehnübungen, schüttele meine Arme aus. Aber selbst das fühlt sich heute härter an. Meine Beine sind schwer, mein Rücken fühlt sich angespannt an, als hätte sich die ganze Last der letzten Stunden dort festgesetzt.
„Rein in die Bewegungen, Justin. Kein Rumstehen.“
Kai lässt mich sofort ans Campusboard – ein Board mit Holzleisten in unterschiedlichen Höhen, an denen ich mich nur mit den Fingern hochziehen kann. Ohne Beine. Ohne Schwung. Nur pure Fingerkraft.
Ich hänge mich dran, ziehe mich hoch, Stück für Stück. Fühle, wie meine Finger brennen.
„Sauber arbeiten. Keine halben Züge. Kontrolliert bleiben.“
Ich presse die Lippen zusammen, konzentriere mich nur auf die Bewegung. Auf das Ziehen, das Halten, das Nachgreifen. Als ich wieder unten bin, rollt Kai die Schultern und deutet auf das Gewicht an meinem Gürtel. „Pack fünf Kilo drauf. Und nochmal.“
Ich zögere nur eine Sekunde – dann nicke ich. Ich spüre Leos Blick auf mir. Spüre, dass er beobachtet, ob ich es durchziehe. Ich tue es.
Der zweite Satz ist schlimmer. Das Brennen kommt schneller, meine Unterarme fangen an zu zittern. Ich presse die Zähne aufeinander, zwinge mich, noch zwei, drei Züge zu machen.
„Noch zwei“, sagt Kai ruhig.
Ich mache zwei.
„Noch einen.“
Ich mache ihn.
„Und jetzt hältst du.“
Ich keuche, meine Finger fühlen sich taub an, mein Körper zittert – aber ich halte.
Zehn Sekunden.
Zwanzig.
Ich bin kurz davor, loszulassen.
„Nicht jetzt!“ Kais Stimme ist scharf.
Ich schaffe noch fünf. Dann rutsche ich ab.
„Besser“, sagt er nur.
Ich schüttle meine Arme aus, versuche, das Zittern rauszubekommen.
Leo reicht mir eine Trinkflasche. „Atme, Justin.“
Ich nehme sie wortlos, trinke, spüre, wie mein Herz rast. Aber es reicht noch nicht. Ich will weiter. Ich muss weiter.
Nach den Kraftübungen geht es an die Kletterwand.
Ich weiß, was kommt. Maximalkraft. Keine langen Strecken – nur die härtesten Moves, die mein Körper hergibt.
Kai zeigt auf eine Route, die ich noch nie geklettert bin. Kleine Leisten, winzige Tritte, überhängend. Eine reine Fingerhölle.
„Los geht’s.“
Ich steige ein. Mein Körper fühlt sich schwer an, meine Arme protestieren schon in den ersten Zügen. Aber ich ignoriere es. Ich ziehe mich weiter hoch, gehe in den ersten Deadpoint – ein Sprunggriff ohne Fixierung. Mein Herzschlag hämmert, mein ganzer Körper spannt sich. Ich springe.
Finde den Griff. Hänge fest.
„Weiter!“, ruft Kai.
Ich drücke mich hoch, mein linker Fuß wackelt auf einem winzigen Tritt. Ich ziehe mich weiter.
Höher.
Höher.
Mein linker Arm beginnt zu brennen. Ich strecke mich zum nächsten Griff – verpasse ihn. Rutsche.
Kai schreit: „FANG DICH!“
Ich klammere mich mit einer Hand an den Griff, meine Schulter schreit vor Schmerz. Aber ich lasse nicht los.
„Du hast ihn! Kontrollier dich!“, ruft Kai.
Ich atme scharf aus, ziehe mich zurück, finde meinen Tritt. Dann geht es weiter. Zug für Zug. Ich beiße die Zähne zusammen, mein ganzer Körper schmerzt, aber ich lasse mich nicht fallen. Ich werde das Ding durchziehen.
Drei Züge noch.
Zwei.
Einer.
Dann – der letzte Griff.
Ich halte ihn.
Lange.
Bis meine Finger sich nicht mehr schließen wollen.
Dann rutsche ich ab.
Ich falle in die Sicherung, atme heftig, meine Arme fühlen sich an wie Blei.
Kai sieht mich von unten an.
Nickt.
„So muss das aussehen.“
Ich keuche, hänge einfach da. Spüre, wie sich eine Mischung aus Erschöpfung und Stolz in mir ausbreitet.
Ich habe alles gegeben.
Ich habe es durchgezogen.
Unten klatscht Leo in die Hände. „Justin, ich schwöre, du bist geisteskrank. Aber auf eine verdammt beeindruckende Art.“
Ich lache atemlos.
Er kommt an die Matte, hilft mir aus dem Gurt, seine Hände bleiben einen Moment zu lange an meiner Taille.
Ich spüre die Wärme, spüre, wie sein Blick auf meinem Gesicht ruht. Ich sehe ihn an. Dann kommt es von selbst. Ich ziehe ihn zu mir. Seine Lippen treffen meine, sanft, aber voller Energie. Seine Hände gleiten an meinen Rücken, finden ihre Spur unter meinem Shirt, seine Finger warm auf meiner Haut.
Ich zittere noch immer, aber diesmal nicht vor Erschöpfung. Sondern weil dies der Moment ist, in dem ich endlich wieder Luft bekomme. Er gibt mir alles zurück. Meine Kraft. Mein Gleichgewicht. Mich selbst.
Die letzten Reserven – Und doch nicht genug
Leos Lippen schmecken nach Salz und Adrenalin. Seine Finger auf meiner Haut brennen heißer als meine Muskeln. Ich verliere mich in der Berührung, in der Energie, die er mir gibt. Es ist keine Erschöpfung mehr – es ist pure Kraft, die durch mich strömt, durch meine Adern pumpt, mich durchflutet. Für einen Moment gibt es nichts außer ihm. Ihn und mich. Uns.
Dann. Ein Räuspern. Laut. Bedeutend.
Ich zucke zusammen, reiße mich von Leo los, mein Atem schwer, meine Haut glühend. Leos Finger bleiben noch einen Moment an meiner Hüfte, bevor er sich langsam löst. Als ich den Kopf drehe, steht Kai mit verschränkten Armen da und mustert uns mit einer Mischung aus Belustigung und unaufdringlicher Anerkennung.
„Na endlich“, sagt er trocken, ein Grinsen blitzt in seinen Zügen auf. „Hat ja lang genug gedauert.“
Mein Gesicht brennt. „Was?“
Kai hebt eine Augenbraue. „Justin. Ehrlich. Ich trainiere dich jetzt wie lange? Hab ich eine Kamera gebraucht, um zu sehen, dass hier was läuft?“
Leo lacht leise neben mir, schüttelt den Kopf. „Sag ich doch. Wir sind nicht so subtil, wie du denkst.“
Ich beiße mir auf die Lippe, schüttele den Kopf und will gerade irgendwas erwidern, da klatscht Kai in die Hände. „So. Jetzt, da das endlich aus dem Weg ist – Glückwunsch, Jungs. Ehrlich. Aber ich hab da ein Problem.“
Leo zieht fragend eine Augenbraue hoch. „Und das wäre?“
Kai deutet mit dem Kinn auf mich. „Wenn er noch Energie zum Knutschen hat, dann war das Training nicht hart genug.“
Mein Magen zieht sich zusammen. „Oh, komm schon, Kai.“
„Nee, nee.“ Er hebt grinsend die Hände. „Kurze Trinkpause. Und dann – Runde zwei.“
Ich lasse meinen Kopf nach hinten fallen und stöhne. „Ich dachte, das war schon Runde zwei.“
„Nope.“ Kai grinst. „Das war das Warm-up.“
Leo lacht laut. „Oh Mann, Justin, du bist so am Arsch.“
Ich blicke ihn tödlich an. „Danke für die Motivation.“
Leo zuckt mit den Schultern. „Hey, ich bring dich später zur Dusche. Wenn du dann noch gehen kannst.“
Ich stöhne leise, aber innerlich weiß ich: Ich brauche das. Ich brauche, dass mein Körper die Kontrolle übernimmt, dass mein Geist aufhört, zu viel nachzudenken. Kai weiß das. Und deshalb treibt er mich jetzt durch den härtesten Teil des Trainings.
Nach der Trinkpause geht es weiter – diesmal mit Ausdauertraining. Mein Körper schreit, meine Muskeln brennen, meine Lunge fleht um Sauerstoff, aber Kai hat keine Gnade.
Sprints. 20 Sekunden Vollgas, 10 Sekunden Pause. Immer wieder. Meine Beine fühlen sich an, als würden sie gleich unter mir nachgeben.
Burpees. Mein Puls hämmert in meinem Kopf. Hochspringen, runter auf den Boden, Liegestütz, wieder hoch. Ich verliere die Zählung. Ich existiere nur noch in Bewegung.
Seilklettern. Hände schwitzen, Schultern brennen, die Muskeln zittern unter der Belastung. Kai steht unten und ruft hoch: „Noch ein Zug! Komm schon, Justin!“
Ich ziehe mich hoch. Noch ein letztes Mal. Mein Körper will nicht mehr, aber mein Wille zwingt ihn.
Als ich das Seil endlich loslasse und mit weichen Knien auf der Matte lande, sacke ich auf alle Viere. Mein ganzer Körper bebt, ich kann kaum atmen.
Kai tritt neben mich. „So“, sagt er zufrieden. „Jetzt kannst du nicht mehr.“
Ich hebe keuchend den Kopf. Mein T-Shirt ist durchgeschwitzt, mein Blick verschwommen. Ich habe keine Kraft für eine Antwort.
Leo kniet sich neben mich, grinst, aber in seinen Augen sehe ich Stolz. „Okay, das war brutal. Sogar für dich.“
Ich schnaube schwach. „Ich hasse euch.“
Kai lacht. „Nee, du liebst es.“
Ich rolle mit den Augen und lasse mich auf den Rücken fallen.
Und dann taucht eine neue Stimme auf.
„Wie tot ist er?“
Ich öffne die Augen. Erik. Der Sportarzt. Sein dunkler Blick gleitet über mich, mustert meine Haltung, mein schweres Atmen. Ich kann mich nicht mal aufsetzen.
„Noch am Leben“, meint Leo. „Aber nur knapp.“
Erik hockt sich neben mich, zieht ein Pulsoximeter aus seiner Tasche und klemmt es an meinen Finger. „Ich checke dich kurz durch, bevor du hier kollabierst.“
Ich will protestieren, aber ich kann kaum die Energie aufbringen, meinen Arm zu heben. Erik ist effizient – misst meinen Puls, meine Sauerstoffsättigung, drückt vorsichtig auf verschiedene Muskelpartien. Als er über meine Unterarme fährt, zucke ich.
„Ziemlich überlastet“, murmelt er. „Nicht unerwartet.“
„Ich kann weitermachen“, sage ich sofort.
Kai hebt eine Braue. „Justin. Alter. Nein.“
Erik lehnt sich zurück, sieht mich an. „Du hast heute deine Grenze erreicht. Und zwar richtig. Ich will, dass du dich heute noch ausruhst, ordentlich isst und morgen regenerierst.“
Ich bin zu erschöpft, um zu protestieren.
Leo streckt eine Hand aus. „Komm. Ich bring dich zur Dusche.“
Ich lasse mich von ihm auf die Beine ziehen. Mein Körper fühlt sich an wie Blei, aber Leos Arm um meine Hüfte hält mich aufrecht.
Er lehnt sich kurz zu mir. „Falls du unterwegs zusammenklappst – ich trag dich wirklich. Versprochen.“
Ich lache schwach. „Sehr heldenhaft.“
„Ich weiß.“
Wir machen ein paar Schritte, dann drehe ich mich noch einmal zu Kai um.
Ich sehe ihn an. Und dann sage ich es. „Danke, Kai.“
Er zieht eine Braue hoch. „Wofür?“
Ich schlucke, spüre, wie meine Atmung sich langsam beruhigt. „Dafür, dass du mich abgelenkt hast.“
Er mustert mich einen Moment, als würde er überlegen, ob er nachfragen soll. Dann nickt er nur.
„Gern geschehen, Justin.“
Ich atme tief ein. Mein Kopf ist leer. Endlich. Nur noch ich und meine müden Knochen.
Und mit letzter Kraft lasse ich mich von Leo aus der Halle führen – direkt in die warme, erlösende Dusche.
Zwischen Atemzügen und elektrischer Nähe
Ich sitze auf der Bank in der Umkleide und starre auf den Boden. Mein Körper ist nicht mehr mein eigener. Er ist nur noch eine brennende Hülle, ausgepresst bis auf den letzten Tropfen Kraft. Meine Beine zittern leicht, meine Unterarme fühlen sich an, als wären sie aus Stein. Ich kann sie kaum noch bewegen, geschweige denn hochheben.
Leo hockt sich vor mich hin, sein Blick wandert prüfend über mein Gesicht. „Du siehst aus, als wärst du gerade durch die Hölle gekrochen.“
Ich schnaube müde. „Fühlt sich auch so an.“
„Komm.“ Seine Stimme ist sanft, aber bestimmt. „Du musst duschen. Ich helf dir.“
Ich will protestieren, aber selbst dazu fehlt mir die Energie. Leo greift nach dem Saum meines Shirts. Zögert kurz. Ich sehe, wie seine Finger sich für einen Moment anspannen, bevor er es über meinen Bauch, dann über meine Brust hebt.
Als der Stoff meine Haut verlässt, läuft ein unwillkürliches Schaudern über meinen Rücken. Nicht wegen der Erschöpfung. Sondern wegen ihm.
Leos Fingerspitzen streifen meine Seiten, nur einen Sekundenbruchteil zu lang. Seine Haut gegen meine. Es ist nur ein Moment. Aber es reicht.
Hitze breitet sich in mir aus – nicht die vom Training, nicht die von der Anstrengung. Eine andere. Eine tiefere. Eine, die mich von innen heraus erfasst.
Er merkt es auch. Ich sehe es an der Art, wie seine Lippen sich leicht öffnen, sein Blick sich für einen Hauch von Sekunden auf meinem Brustkorb verfängt, auf der Art, wie sich meine Muskeln unter seiner Berührung noch anspannen, bevor er endlich das Shirt von mir löst.
Ich kann kaum atmen.
Seine Hand gleitet langsam von meiner Seite, als er den Stoff beiseitelegt. Ich weiß nicht, wer zuerst blinzelt, wer zuerst nach Luft schnappt. Aber der Moment zieht sich, als wären wir beide in dieser seltsamen Spannung gefangen, die uns immer wieder einholt.
Leo senkt den Blick kurz, presst die Lippen aufeinander. Dann reißt er sich los.
„Die Hose schaffst du selbst, oder?“, fragt er heiser, sein Blick plötzlich auf den Spind gerichtet.
Ich muss schlucken. „Ja.“
Er nickt und steht auf, gibt mir Raum. Dreht sich im letzten Moment weg, als würde er mir Zeit lassen. Als würde er sich selbst Zeit geben.
Ich atme tief durch, greife nach dem Bund meiner Hose und ziehe sie langsam runter. Meine Beine protestieren bei jeder Bewegung, aber ich zwinge mich, es durchzuziehen.
Leo bleibt mit dem Rücken zu mir gedreht. Er tut so, als wäre er beschäftigt, richtet ein paar Sachen in seinem eigenen Spind. Aber ich sehe, wie er sich kurz an der Bank abstützt, tief durch atmet.
Als ich in die Dusche verschwinde, fühle ich immer noch seinen Blick in meinem Rücken.
Das heiße Wasser prasselt auf mich herab, rinnt über meine erschöpften Muskeln, zieht die letzte Schwere aus meinen Knochen. Ich lehne mich gegen die Wand, schließe die Augen und lasse es einfach laufen.
Meine Finger streifen über meine Arme, meinen Brustkorb, fahren über die Spuren, die das Training hinterlassen hat. Jede Bewegung ist träge, als würde mein Körper versuchen, das, was gerade passiert ist, zu verarbeiten.
Nicht das Training. Nicht der Schmerz. Sondern er. Leo. Seine Berührung. Seine Augen. Sein Atem, der sich viel zu nah anfühlte.
Ich will es abschütteln. Aber es bleibt. Das Gefühl bleibt. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich will, dass es verschwindet.
Ein leises Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Schritte in der Umkleide. Leo.
„Justin?“ Seine Stimme ist gedämpft, aber ich höre sie durch das Wasser hindurch.
Ich atme ein. „Bin gleich fertig.“
Ein Moment Stille. Dann: „Ich hab dir Klamotten hingelegt.“
Ich drehe den Kopf zur Seite, das Wasser läuft mir über die Wangen. „Danke.“
„Sind aus der neuen Kampagne“, fügt er hinzu. Ich kann fast sein Grinsen hören. „Jetzt siehst du wenigstens wieder aus wie ein Profi.“
Ich lache leise, aber es klingt rau. „Fühlt sich sicher gut an.“
„Dann beeil dich, bevor du hier einschläfst.“
Ich höre, wie er sich wieder entfernt, die Tür sich leise schließt. Ich bleibe noch einen Moment unter dem Wasser, lasse es über meine Haut laufen, bevor ich langsam den Hahn abdrehe.
Als ich in die Umkleide zurückkehre, liegt da ein perfekt zusammengestelltes Outfit – natürlich von Leo ausgesucht.
Eine locker geschnittene, weiche Jogginghose. Ein atmungsaktives Longsleeve in tiefem Dunkelblau mit dem VERTIX-Logo am Saum. Ein Hoodie in einem gedeckten Grauton, leicht oversized, so dass er sich perfekt anfühlt.
Ich streife das Shirt über, lasse den Stoff über meine Haut gleiten. Angenehm. Warm. Es fühlt sich an wie ein neuer Anfang. Oder vielleicht wie ein Versprechen.
Berührung, die tiefer geht
Leo wartet auf mich, als ich die letzten Schnürsenkel meiner Schuhe festziehe. Ich bin immer noch komplett fertig. Meine Muskeln fühlen sich an wie ausgewrungenes Leder, und mein Körper schreit nach Erholung. Aber mit jedem Schritt, den ich hinter Leo her durch die Gänge von VERTIX mache, spüre ich auch eine andere Art von Erschöpfung – eine, die tiefer sitzt.
Nicht nur meine Muskeln sind am Limit. Mein Kopf ist es auch.
„Sophie wartet schon“, murmelt Leo und legt eine Hand auf meinen Rücken, um mich in Richtung Physiobereich zu lenken. Ich hätte nicht gedacht, dass so eine einfache Berührung nach dem, was vorhin passiert ist, immer noch diese Wirkung auf mich haben könnte. Elektrisierend. Ich schlucke. Konzentriere mich auf den Boden unter meinen Füßen.
Als wir ankommen, hebt Sophie überrascht die Augenbrauen. „Okay, das sieht nicht gut aus. Was hat Kai mit dir gemacht?“
Ich setze mich auf die Liege, seufze und lasse mich langsam auf die Liege sinken. „Alles.“
„Alles?“ Sie blickt zwischen Leo und mir hin und her. „Wenigstens lebt er noch.“
Leo grinst und lehnt sich gegen den Schrank. „Gerade so. Aber du solltest ihn genauer anschauen. Ich glaube, er fühlt sich wie ein kaputter Gummiball.“
Sophie schüttelt den Kopf, dann nickt in Richtung meiner Kleidung. „Runter mit dem Shirt. Und die Hose auch, bis auf die Shorts. Ich muss überall ran.“
Ich tue, was sie sagt, aber meine Arme bewegen sich langsam. Zu langsam. Ich schaffe es kaum, das Shirt über den Kopf zu ziehen, und bevor ich es realisiere, hat Leo sich neben mich gestellt und greift nach dem Stoff.
Ich friere kurz ein.
Aber es ist nur ein Moment.
Dann hilft er mir einfach, zieht das Shirt vorsichtig über meinen Kopf, seine Fingerspitzen streifen meine Haut dabei an meinen Rippen. Wieder dieses Kribbeln. Ich presse die Lippen aufeinander und blicke nach unten. Als meine Haut endlich frei ist, atme ich schwer aus.
Leo tritt einen Schritt zurück, als wäre nichts gewesen. Ich ziehe noch schnell meine Hose runter, lasse nur die Shorts an und lege mich auf die Liege.
„Du bist komplett durch, hm?“ Sophie mustert mich, als sie ihre Hände mit Öl einreibt.
Ich nicke nur schwach. Meine Wangen sind noch heiß. Nicht nur vom Training.
Dann spüre ich ihre Hände auf meinem Rücken. Die erste Berührung ist sanft, fast zögerlich. Ein prüfender Druck, als würde sie meinen Körper erst lesen, bevor sie tiefer geht. Ich zucke leicht zusammen, als sie einen verspannten Punkt an meiner Schulter trifft, ein stechendes Ziehen, das sich wie eine Nadel in meine Muskeln bohrt. „Boah, Justin. Das ist echt schlimm“, murmelt sie, während sie weiter massiert. „Du hast echt bis zum Ende durchgezogen, oder?“
Ich brumme nur zustimmend.
„Tief einatmen.“
Ich tue es, langsam, zögerlich. Das Gefühl ist seltsam – als würde ich zum ersten Mal seit Stunden wieder richtig Luft holen.
Dann setzt sie mehr Druck ein. Ihre Hände kneten über meine Schulterblätter, arbeiten sich entlang meiner Wirbelsäule nach unten, fahren über jeden verhärteten Muskel, der unter ihren Fingern nachgibt.
Mein Körper wehrt sich erst, als würde er nicht glauben, dass er jetzt wirklich entspannen darf. Dann – langsam – löst sich etwas.
Ein Stöhnen entweicht mir, bevor ich es unterdrücken kann. Hitze schießt mir in die Wangen, aber Sophie lacht nur leise. „Na also. Endlich lässt du los.“
Ich spüre, wie meine Muskeln sich unter ihren Fingern strecken, das Brennen von vorhin verwandelt sich in eine dumpfe Wärme, die sich ausbreitet, mit jedem Druck, jedem Kneten.
Mein Kopf beginnt sich zu leeren.
Die Stimmen von heute Morgen – die Kommentare, die Blicke, die Zweifel – sie sind noch da, aber sie rücken in den Hintergrund. Verschwimmen in der gleichmäßigen Bewegung von Sophies Händen.
Ich will mich an etwas festhalten, an einem Gedanken, aber alles, was bleibt, ist das Gefühl. Die Wärme ihrer Hände, das leise Knistern in meinen Muskeln, die feinen Wellen, die durch meinen Körper laufen, wenn sie an den richtigen Stellen drückt. Ein seltsames Kribbeln zieht sich durch meinen Nacken, als sie dort ansetzt. Ein kurzer, scharfer Schmerz – dann pure Erleichterung, als die Spannung nachlässt.
Ich schließe die Augen. Irgendwann beginne ich zu treiben. Vielleicht ist es die Erschöpfung. Vielleicht die Stille im Raum. Vielleicht die Art, wie mein Körper endlich nachgibt, sich einfach dem Moment hingibt. Vielleicht ist es die Wärme ihrer Berührung. Vielleicht die Ruhe im Raum. Vielleicht die Erschöpfung, die mich endlich einholt. Ich weiß es nicht genau. Aber irgendwann höre ich auf, bewusst nachzudenken. Mein Körper fühlt sich schwer an. Meine Atmung wird ruhiger. Die Stimmen in meinem Kopf – die Zweifel, die Kommentare von heute Morgen, das alles – verblassen langsam. Ich merke nicht einmal, wann genau ich weggeglitten bin.
Etwas streicht sanft durch mein Haar. Zuerst ist es nur ein vages Gefühl, ein Hauch von Wärme, der über meine Kopfhaut gleitet, kaum mehr als eine Berührung im Halbschlaf. Langsam, beinahe vorsichtig, als würde jemand testen, ob ich es bemerke.
Mein Bewusstsein ist träge. Eingehüllt in die Schwere meiner Erschöpfung, in die Nachwirkung von Sophies Massage, in die behagliche Wärme, die sich tief in meine Muskeln gegraben hat.
Aber das hier – das ist anders. Die Berührung ist kein zufälliges Streifen, kein unbewusstes Zucken. Es ist absichtlich. Sanft, rhythmisch. Jemand ist da. Mein Atem geht ruhig, aber mein Geist beginnt, aus der Dämmerung zu tauchen. Mein Körper will noch nicht ganz folgen, hält an der Trägheit fest, aber mein Bewusstsein dringt langsam nach oben.
Leo. Ich weiß es, noch bevor ich die Augen öffne. Er ist nah. Ganz nah. Seine Finger fahren behutsam durch meine Haare, gleiten von meinem Schläfenansatz über meinen Hinterkopf, dann wieder zurück. Ein gleichmäßiger, beruhigender Rhythmus.
Ich atme langsam ein, lasse mich einen Moment länger in dieser Berührung treiben, genieße die ungewohnte Zärtlichkeit, die darin liegt. Es fühlt sich gut an. Mehr als gut. Es fühlt sich an wie ein Moment, den ich festhalten will. Aber irgendwann kann ich es nicht mehr ignorieren – das Bewusstsein, das sich durch meine Ruhe schiebt, der langsame, pochende Herzschlag in meiner Brust, der sich mit jeder Sekunde beschleunigt.
Ich blinzle. Das Licht im Raum ist gedämpft, ein weicher Schein, der die Schatten an den Wänden tanzen lässt. Es ist still. Sophie ist weg. Wir sind allein.
Leo sitzt direkt neben mir, so nah, dass ich seine Wärme spüren kann. Seine Hand liegt noch immer in meinem Haar, seine Finger gleiten ein letztes Mal über meine Kopfhaut, bevor er innehält.
Unsere Blicke treffen sich.
Erst sieht er mich einfach nur an, ruhig, fast gedankenverloren, als würde er vergessen, dass ich wach bin. Dann blitzt für einen Moment etwas in seinen Augen auf – Überraschung, vielleicht ein Hauch von ertappt sein –, aber er zieht seine Hand nicht sofort zurück.
Ich realisiere, dass ich noch immer so daliege, wie mich Sophie zurückgelassen hat. Mein Körper entspannt, nur in Shorts, meine Haut noch leicht glänzend vom Massageöl.
Und Leo… sieht mich an. Nicht wie sonst. Nicht mit seinem üblichen Grinsen, nicht mit dieser spielerischen Selbstverständlichkeit. Sein Blick ist weich. Offen.
Verloren. Ich will etwas sagen, irgendetwas, aber meine Lippen bleiben stumm. Ich will mich bewegen, aber mein Körper fühlt sich schwer an – nicht vor Erschöpfung, sondern vor diesem Moment, der sich zwischen uns spannt wie ein unsichtbarer Faden. Mein Herz hämmert in meiner Brust.
Dann bewege ich mich doch. Ganz langsam richte ich mich auf, stütze mich mit den Armen ab, ziehe mich in eine sitzende Position.
Leo folgt jeder meiner Bewegungen mit den Augen.
Und dann merke ich es. Ich bin fast nackt. Meine Shorts sind alles, was noch zwischen uns liegt, und Leo, … Leo bemerkt es in genau dem Moment, in dem ich es tue. Sein Blick bleibt an meinem Körper hängen, einen Moment zu lange, um zufällig zu sein. Ich sehe, wie seine Kehle sich bewegt, wie er hastig schluckt, wie sich sein Atem verändert. Er beobachtet mich. Nicht so, wie man einen Freund ansieht. Nicht so, wie es nur beiläufig wäre. Er schaut mich an, als würde er mich sehen. Wirklich sehen.
Mein Bauch verkrampft sich, eine Welle aus Hitze kriecht unter meine Haut. Mein Kopf schreit, dass ich etwas tun sollte – mich bewegen, ein Wort sagen, diesen Moment brechen, bevor er zu groß wird. Aber ich tue nichts. Ich schaue nur zurück. Und dann passiert es.
Leo blinzelt, als würde er aus einer Trance gerissen werden. Sein Blick trifft meinen – und diesmal realisiert er, dass ich ihn beobachtet habe. Dass ich genau gesehen habe, wie er mich ansieht.
Ein tiefer Atemzug, dann reißt er den Kopf herum. Er dreht sich abrupt weg, als hätte er sich verbrannt. „Ich… ähm.“ Seine Stimme ist heiser. „Du solltest dich anziehen.“ Ich könnte schwören, dass seine Ohren rot werden.
Langsam, beinahe mechanisch, greife ich nach meinem Shirt, ziehe es mir über den Kopf, während Leo noch immer mit dem Rücken zu mir sitzt. Mein Herz klopft so laut, dass es in meinen Ohren rauscht. Als ich die Jogginghose über meine Beine ziehe, spüre ich noch immer die Nachwirkung seiner Berührung. Den Blick, den er mir geschenkt hat, bevor er ihn zurückgezogen hat. Etwas zwischen uns hat sich verschoben. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich je wieder so tun kann, als wäre es nicht passiert.
Leo sitzt immer noch mit dem Rücken zu mir. Die Luft zwischen uns ist dicht, aufgeladen, wie ein Gewitter, das sich kurz vor dem Einschlag aufbaut.
Ich weiß, dass er mich gesehen hat. Dass er mich angeschaut hat. Dass er sich dann hastig abgewandt hat, weil er nicht wollte, dass ich es merke – aber ich habe es gemerkt.
Mein Atem geht flach. Ich fühle noch immer die Nachwirkung seiner Finger in meinen Haaren, die Wärme seiner Berührung, die fast zärtlich war. Ich weiß nicht, ob ich mich nach ihr zurücksehne oder ob sie mich aus dem Gleichgewicht bringt.
Vielleicht beides. Ich schlucke. „Leo.“
Er hebt den Kopf, aber dreht sich nicht sofort um. Ich sehe, wie sich seine Finger an der Kante der Bank festhalten, ein leichter Ruck in seiner Haltung, als würde er mit sich ringen.
Dann atmet er aus, langsam, kontrolliert – und dreht sich.
Unsere Blicke treffen sich. Ich weiß nicht, wer sich zuerst bewegt. Vielleicht ich. Vielleicht er. Vielleicht wir beide gleichzeitig. Aber plötzlich ist er da. Direkt vor mir. Ich spüre seinen Atem gegen meine Wange, warm, unruhig. Meine Finger zucken an meiner Hose, als ob ich mich irgendwo festhalten müsste, weil mein Körper sonst einfach nach vorne kippt, direkt in ihn hinein.
Dann bewegt er sich. Seine Hand gleitet hoch, findet meinen Kiefer, seine Finger legen sich leicht um meine Wange. Ich kann nicht atmen. Oder ich atme zu schnell. Oder zu tief. Alles verschwimmt in diesem Moment. Sein Daumen streicht über meine Haut, so sanft, dass mir schwindelig wird. Dann küsst er mich. Es ist kein vorsichtiger Kuss. Es ist roh, echt, voller aufgestauter Spannung.
Ich spüre die Hitze, die zwischen uns aufflammt, spüre, wie meine Hände automatisch nach ihm greifen, sich in seinem Shirt vergraben, ihn näherziehen, weil ich ihn nicht loslassen will. Seine Lippen sind fest, weich, fordernd, und als er sich ein Stück zurückzieht, nur um erneut nach mir zu greifen, mit noch mehr Dringlichkeit, bricht eine Welle durch mich. Ich vergesse die Erschöpfung. Verliere mich in ihm.
Sein Körper ist warm gegen meinen, seine Finger gleiten in meinen Nacken, während meine Hände über seine Seiten fahren, über die Konturen seiner Muskeln, über die Linien, die mir nur allzu vertraut sind. Ich spüre, wie er bebt.
Und ich weiß, dass ich es bin, der ihn so fühlen lässt. Ich lehne mich weiter in ihn, will mehr, will, dass diese Nähe alles andere überdeckt – das Training, die Schmerzen, die Unsicherheiten von heute Morgen. Es gibt nur ihn. Nur uns.
Er löst sich von mir, gerade so weit, dass unsere Stirnen sich berühren. Sein Atem ist schwer, sein Blick dunkel, seine Lippen leicht geschwollen von unserem Kuss.
Ich kann nicht anders als zu grinsen. „Okay“, murmle ich heiser, „das war besser als eine Massage.“
Leo lacht leise, atmet gegen meine Haut, bevor er seine Finger durch mein Haar streicht. „Sag ich doch. Ich hab bessere Methoden, dich wieder fit zu machen.“
Ich verdrehe die Augen, aber mein Herz hämmert noch immer gegen meine Rippen.
Leo grinst und rückt ein wenig zurück, aber seine Hände bleiben an mir, als würde er nicht ganz loslassen wollen. „Und?“ Seine Stimme ist leiser jetzt, tiefer. „Fühlst du dich wieder lebendig?“
Ich atme ein, dann aus. Und merke, dass er Recht hat. Meine Muskeln sind immer noch erschöpft, mein Körper müde – aber etwas in mir pulsiert vor Energie. Nicht nur mein Körper. Mein Kopf. Mein Herz. Ich nicke. „Definitiv.“
Leo lehnt sich noch einmal vor, ein flüchtiger Kuss auf meinen Mundwinkel, bevor er mich mit einem schiefen Lächeln ansieht.
„Gut. Dann los, Champion. Bevor ich dich noch in die nächste Runde schicke.“
Ich lache, richtig, tief, aus vollem Herzen. Und als ich mich erhebe, meine Sachen einsammle und ihm nach draußen folge, fühle ich mich leichter. Nicht, weil mein Körper weniger erschöpft ist. Sondern weil ich weiß, dass er da ist. Und dass ich nicht alleine bin.
Kopf gegen Herz – Mentaltraining mit Clara
Leo hält mir die Flasche mit dem Elektrolytgetränk hin, während ich mich langsam von der Liege erhebe. Meine Arme fühlen sich schwer an, aber nicht mehr wie vorhin – das Brennen ist jetzt dumpfer, die Müdigkeit ist nicht mehr so überwältigend.
Aber die Spannung zwischen uns?
Die ist immer noch da.
Ich spüre es, als seine Finger für den Bruchteil einer Sekunde meine berühren, während ich die Flasche nehme. Das leichte Kribbeln, das sich wie eine unsichtbare Linie zwischen uns spannt. Ich schlucke, blicke kurz auf den Boden, dann auf Leo.
Er hebt eine Augenbraue. „Mach mich nicht dafür verantwortlich, aber… Clara will dich sehen, bevor du nach Hause gehst.“
Ich stöhne auf. „Leo…“
„Keine Widerrede. Sie meinte, es ist wichtig.“
Ich massiere mir die Schläfen. Eigentlich will ich nur nach Hause, unter eine Decke, vielleicht noch was essen und dann schlafen. Aber ich weiß auch, dass Clara Recht hat. Dass ich heute nicht einfach nach Hause gehen kann und so tue, als wäre nichts gewesen.
Ich trinke einen großen Schluck aus der Flasche, dann nicke ich langsam. „Okay. Aber sag ihr, dass mein Gehirn ungefähr so leistungsfähig ist wie ein müder Goldfisch.“
Leo grinst. „Das wird sie berücksichtigen.“
Clara sitzt in ihrem ruhigen, aufgeräumten Büro, als wir eintreten. Sie mustert mich nur kurz, dann deutet sie auf den Sitzplatz vor ihr.
„Setz dich, Justin. Leo, du kannst bleiben, wenn du möchtest.“
Leo lehnt sich an die Wand, verschränkt die Arme. „Ich bleib.“
Ich sinke in den Sessel und lasse meinen Kopf kurz nach hinten fallen.
Clara sieht mich aufmerksam an. „Ich hab gehört, du hast heute einiges durchgemacht.“
Ich atme tief durch. „Kommt hin.“
„Gut.“ Sie lehnt sich leicht vor, faltet die Hände auf dem Tisch. „Dann lass uns über den Teil sprechen, der dich am meisten belastet hat.“
Ich zögere. Ich weiß genau, was sie meint. Die Kommentare. Die Blicke. Dieses Gefühl, aus meinem eigenen Körper gefallen zu sein, weil mich alle plötzlich sehen. „Ich dachte, ich wäre vorbereitet“, sage ich schließlich leise.
Clara nickt, als hätte sie genau diese Antwort erwartet. „Aber du warst es nicht.“
Ich schnaube leise. „Nicht mal ansatzweise.“
„Das ist normal, Justin.“ Sie lächelt sanft. „Du hast jetzt einen Punkt erreicht, an dem du von anderen wahrgenommen wirst. Positiv und negativ. Und das wird sich nicht ändern. Aber du kannst lernen, wie du es besser aushältst.“
Ich atme tief durch. „Ich will nicht, dass es mir so nahegeht.“
„Das wird es aber immer tun“, erwidert sie ruhig. „Denn das, was du tust, bedeutet dir etwas. Und wenn dir etwas wichtig ist, dann wirst du immer auch verletzbar sein.“
Ich schlucke. Ich hasse es, dass sie so recht hat.
„Aber es gibt Wege, damit umzugehen“, fährt sie fort. „Wir können heute nur eine kurze Session machen, aber ich will dir ein paar Techniken mitgeben, die dir helfen werden.“
Ich nicke langsam. „Okay.“
Clara lehnt sich zurück. „Erste Regel: Du entscheidest, wem du Glauben schenkst.“
Ich runzle die Stirn.
„Hör zu“, sagt sie ruhig. „Jeder kann etwas über dich sagen. Aber nicht jeder verdient deine Aufmerksamkeit. Es gibt Meinungen, die wertvoll sind – konstruktive Kritik, ehrliche Einschätzungen von Leuten, die Ahnung haben. Und dann gibt es Meinungen, die nur darauf abzielen, dich zu verunsichern. Die keine Basis haben, außer Neid oder Frust. Und deine Aufgabe ist es, zu lernen, welche du an dich heranlässt.“
Ich schlucke.
Leo mischt sich ein. „Du meinst also, dass er es steuern kann?“
Clara nickt. „Absolut. Das ist Übungssache. Man muss bewusst entscheiden: Lasse ich das an mich ran oder nicht? Justin, versuch mal, die heutige Situation aus der Distanz zu betrachten. Die Kommentare, die dich getroffen haben – wenn du sie jemand anderem vorgelesen hättest, hättest du sie für wahr gehalten?“
Ich zögere. Denke an die hämischen Stimmen auf dem Pausenhof. „Eigentlich nicht. Ich meine, … die haben doch gar keine Ahnung, wovon sie reden.“
„Genau“, sagt Clara ruhig. „Und trotzdem hast du ihnen erlaubt, dein Selbstbild zu beeinflussen. Weil es menschlich ist. Aber je öfter du übst, bewusst zu entscheiden, wem du glaubst, desto einfacher wird es.“
Ich nicke langsam.
„Zweite Regel: Der mentale Schutzschild.“
„Okay, jetzt klingt es ein bisschen nach Sci-Fi“, murmele ich.
Clara grinst. „Vielleicht. Aber es funktioniert. Stell dir vor, dass du einen imaginären Schutzschild hast. Sobald du merkst, dass dich eine negative Bemerkung trifft, hältst du innerlich inne und stellst dir vor, wie die Worte an diesem Schild abprallen. Das erfordert ein bisschen Übung, aber irgendwann wirst du merken, dass du weniger emotional darauf reagierst.“
Ich denke darüber nach. Es klingt albern. Aber irgendwie… logisch.
„Und drittens: Erinnerung an die Wahrheit.“
Ich sehe sie fragend an.
„Immer wenn dich Zweifel überkommen, erinnere dich daran, warum du das hier machst. Denk an dein Klettern, an deine Fortschritte. Denk an die Menschen, die dich wirklich unterstützen. Schreib es dir auf, wenn du musst. Aber verliere nicht den Fokus auf das, was wirklich zählt.“
Ich atme tief durch. Es fühlt sich nach viel an. Aber es fühlt sich auch richtig an.
„Morgen besprechen wir das ausführlicher“, sagt Clara. „Aber für heute reicht das. Versuch es, okay?“
Ich nicke. „Okay.“
Clara lächelt sanft. „Gut gemacht, Justin.“
Leo schiebt sich von der Wand weg. „Können wir ihn jetzt nach Hause bringen? Ich glaube, er kippt gleich um.“
Ich rolle die Augen. Aber ja, ich bin fertig.
Bevor ich gehen kann, muss ich noch einmal zu Erik. Der Typ nimmt seinen Job verdammt ernst.
„Also, wie fühlt sich unser Crash-Test-Dummy nach dieser Tortur?“, fragt er grinsend, während er meine Reflexe überprüft.
„Erschöpft“, murmle ich. „Aber mein Kopf ist frei, und das war es wert!“ schiebe ich noch hinterher
Er checkt meinen Puls, meine Muskelspannung, fragt nach Krämpfen oder Schmerzen. Ich sage ihm, dass sich mein Körper wie Matsch anfühlt, aber dass ich keine ernsten Schmerzen habe.
„Das ist gut“, sagt er. „Du hast dich heute an deine absolute Grenze gepusht. Ich will, dass du heute Abend noch etwas Leichtes isst, viel schläfst und morgen erstmal nur locker trainierst.“
Ich nicke matt.
Dann greift er nach seinem Handy. „Ich rufe Bobby an, damit er dich abholt.“
Ich lehne mich zurück, schließe die Augen. Ich höre, wie Erik die Nummer wählt. Dann ein leises Stirnrunzeln. „Hm. Keine Antwort.“
Ich blinzele. „Er geht nicht ran?“
Erik versucht es nochmal. „Nope. Mailbox.“
Leo und ich tauschen einen kurzen Blick.
„Soll ich es probieren?“, fragt Leo.
Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht ist er beschäftigt.“
Aber ein komisches Gefühl schleicht sich in meinen Magen. Bobby ist eigentlich immer erreichbar.
Erik legt sein Handy weg. „Na gut. Dann bleibt wohl nur Plan B.“
Leo sieht mich an. „Ich bring dich nach Hause.“
Heimweg mit Leo – Wenn Müdigkeit stärker ist als Worte
Leo besteht darauf, dass er mich nach Hause bringt. Ich bin zu erschöpft, um zu widersprechen. Wir nehmen den Bus, und sobald ich auf einem der hinteren Sitze lande, spüre ich, wie mein Körper nachgibt. Mein Kopf lehnt gegen das kühle Fenster, meine Augenlider werden schwer. Ich nicke immer wieder kurz weg, nur um dann wieder hochzuschrecken, weil mein Kopf gegen das Glas kippt.
Leo schnaubt leise: „Schlaf ruhig. Ich weck dich, wenn wir da sind.“
Ich murmle irgendwas Unverständliches, aber sein Vorschlag klingt zu verlockend, um zu protestieren.
Das Nächste, was ich spüre, ist seine Hand an meiner Schulter, sanft, aber bestimmt.
„Hey, wir sind da.“
Ich blinzele träge, versuche, mich zu orientieren. Der Bus steht bereits an unserer Haltestelle, die Türen öffnen sich zischend. Leo hat schon unsere Sachen geschnappt und hilft mir auf die Beine.
Draußen weht kühle Abendluft, und für einen Moment fühlt sich die Welt ein bisschen klarer an. Aber mein Körper ist immer noch schwer, meine Muskeln protestieren bei jedem Schritt.
„Bobby ist noch nicht da?“ fragt Leo, als wir durch die Haustür treten.
Ich scanne die leere Wohnung. Keine Schuhe von ihm, keine leere Kaffeetasse auf dem Tisch. Nur Stille.
„Sieht nicht so aus.“
Leo runzelt die Stirn. „Hast du ihm geschrieben?“
Ich zucke mit den Schultern, während ich meine Tasche in die Ecke werfe. „Er geht bestimmt bald ran. Hat wahrscheinlich einfach Stress bei der Arbeit.“
Leo sieht nicht überzeugt aus, aber er sagt nichts weiter. Stattdessen streift er seinen Hoodie ab, schüttelt den Kopf, als er mich mustert. „Okay, bevor du hier zusammenklappst – du brauchst was zu essen.“
Ich will was sagen, aber genau in dem Moment knurrt mein Magen so laut, dass es keine Diskussion mehr gibt.
Leo öffnet den Kühlschrank und inspiziert den Inhalt kritisch.
„Wow. Ich bin beeindruckt.“ Seine Stimme ist gespielt ehrfürchtig, als er auf eine Reihe an Lebensmitteln deutet. „Frisches Gemüse. Joghurt. Vollkornbrot. Sogar eine Packung Chiasamen. Justin, lebst du heimlich in einer Fitness-Influencer-WG?“
Ich lache müde. „Sorry, wenn ich deine Erwartungen von leeren Pizzakartons und abgelaufener Milch enttäuscht habe.“
Leo zieht eine Braue hoch. „Definitiv. Ich hatte mich schon auf eine kulinarische Mutprobe eingestellt.“
Er schnappt sich schließlich ein paar Sachen: ein paar Eier, Avocado, ein Stück Vollkornbrot, ein kleines Glas Hummus.
„Okay, wir machen das einfach. Rührei mit Avocado und Brot. Und du isst alles, ohne zu meckern.“
Ich hebe abwehrend die Hände. „Ich beschwere mich doch gar nicht.“
Er dreht sich zu mir um, legt den Kopf leicht schief und mustert mich grinsend. „Stimmt. Du bist zu müde, um Widerstand zu leisten.“
Während Leo kocht, lehne ich mich gegen die Küchenzeile, zu müde, um irgendwas zu tun. Der Geruch von gebratenem Ei und warmem Brot breitet sich in der Wohnung aus, vermischt sich mit der leichten Zitronennote von Leos Shampoo. Es ist… beruhigend.
Ich beobachte ihn. Die Art, wie er mit ruhigen, sicheren Bewegungen das Rührei rührt, wie er mit der Gabel gedankenverloren über die Avocado streicht. Seine Ärmel sind bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, und bei jeder Bewegung sieht man, wie sich seine Unterarmmuskeln leicht anspannen.
Er bemerkt meinen Blick, verzieht grinsend den Mund.
„Verguckt in meine Kochkünste?“
Ich zucke die Schultern, lasse mir nichts anmerken. „Beeindruckend, wie du Eier in einer Pfanne rühren kannst. Fast magisch.“
Leo lacht, schüttelt den Kopf. „Weißt du, wenn du nicht so fertig wärst, würde ich dir das jetzt nicht einfach servieren.“
Er stellt mir den Teller hin, setzt sich dann mit seinem eigenen neben mich auf die Küchentheke.
Ich nehme einen Bissen, kaue langsam. Das Essen tut gut – fast zu gut. Meine Muskeln sind müde, mein Kopf ist schwer, aber die Wärme breitet sich in meinem Körper aus und bringt mich wieder ein kleines Stück ins Hier und Jetzt zurück.
„Danke, dass du das gemacht hast.“ Meine Stimme ist leise, ehrlich.
Leo sieht mich an, ein sanftes Lächeln um seine Lippen. „Immer.“
Nach dem Essen lassen wir uns auf die Couch fallen. Ich schalte den Fernseher ein, irgendeine Doku läuft, aber ich nehme nicht wirklich auf, worum es geht. Leo sitzt neben mir, ein Bein angewinkelt, sein Blick ab und zu auf mich gerichtet.
Ich bin so müde, dass ich es kaum noch verstecken kann. Meine Augen schließen sich immer wieder für ein paar Sekunden, meine Schultern sacken gegen das Sofakissen.
Leo grinst. „Einschlafen wäre jetzt ein Fehler. Sonst wachst du mitten in der Nacht mit Nackenschmerzen auf.“
Ich murmle etwas Unverständliches, aber es ist zu spät. Ich spüre, wie mein Kopf nachgibt, und irgendwann lehne ich mich leicht gegen seine Schulter.
Er zuckt nicht zurück. Bewegt sich nicht. Lässt mich einfach.
Seine Wärme ist wie ein stilles Versprechen.
Plötzlich reißt mich ein stechender Schmerz aus dem Halbschlaf.
Ich keuche auf, mein rechter Oberschenkel krampft so heftig, dass ich instinktiv nach vorne falle.
„Fuck–“
Leo ist sofort da.
„Justin? Hey, was ist los?“
Ich presse meine Zähne zusammen, versuche, die verkrampfte Stelle zu massieren, aber es hilft kaum. Der Schmerz ist tief, zieht durch den ganzen Muskel.
„Scheiße… Krampf…“
Leo reagiert ohne zu zögern. Er zieht mich leicht nach vorne, greift mein Bein und beginnt, den Muskel sanft zu dehnen. Seine Hand ist fest, aber vorsichtig, massieren langsam über die verhärtete Stelle.
„Atme, Justin. Tief ein, tief aus. Der Muskel muss sich entspannen.“
Ich spüre seine Fingerkuppen auf meiner Haut, das leichte Drücken, das Dehnen. Es ist intensiv – nicht nur wegen des Schmerzes, sondern wegen ihm. Wegen der Nähe.
Sein Atem ist ruhig, konzentriert. Er kniet sich ein Stück näher, sodass sein Gesicht auf meiner Höhe ist. Sein Blick ist auf meinen Oberschenkel gerichtet, aber ich sehe, wie sich sein Kiefer leicht anspannt.
Ich schlucke. Es fühlt sich plötzlich anders an. Zu nah, zu vertraut. Ich sollte mich zurückziehen. Ich sollte irgendwas sagen, einen blöden Witz machen. Aber stattdessen spüre ich nur, wie mein Herz schneller schlägt.
Leos Hände verharren kurz auf meiner Haut, seine Finger immer noch an meinem Bein. Sein Blick trifft meinen – für einen Moment nur. Ein Moment, in dem alles verschwimmt. Dann löst er sich. Langsam, fast widerwillig. „Besser?“ Seine Stimme ist leise.
Ich nicke. Aber meine Kehle fühlt sich trocken an.
Dann – ein Geräusch an der Tür. Bobby. Die Tür geht auf, und Bobby tritt ein, erschöpft, mit dunklen Schatten unter den Augen. Er hält kurz inne, als er uns sieht.
Ich sitze immer noch halb zusammengesackt auf der Couch, Leo neben mir, seine Hand immer noch an meinem Bein.
Bobbys Blick wandert von mir zu Leo und wieder zurück. „Okay… was hab ich verpasst?“
Leo lehnt sich leicht zurück, nimmt die Hand weg, aber sein Blick bleibt ruhig. „Krampf. Ich hab ihn gedehnt.“
Bobby verengt die Augen. „Krampf? Wie schlimm war das Training heute?“
Ich seufze. „Brutal. Aber ich lebe noch.“
Bobby mustert mich skeptisch, dann Leo, dann mich wieder. Dann atmet er langsam aus und fährt sich durch die Haare. „Sorry, dass ich nicht ans Telefon gegangen bin. Hatte noch ein Meeting und hab’s total verplant.“
Leo verschränkt die Arme. „Justin war fertig. Ich wollte ihn nicht allein nach Hause schicken.“
Bobby sieht ihn lange an. Dann nickt er langsam. „Danke, Leo.“
Leo zuckt mit den Schultern. „Kein Ding.“
Bobby setzt sich auf den Sessel gegenüber, wirkt, als würde er zum ersten Mal heute durchatmen. Er sieht müde aus.
Ich gähne, meine Augenlider werden wieder schwer. „Leo?“ murmele ich.
„Hm?“
Ich sehe ihn müde an. „Bleibst du noch ein bisschen?“
Er zögert keine Sekunde. „Klar.“
Bobby beobachtet uns still. Dann schüttelt er leicht den Kopf und murmelt: „Ich mach mir ’nen Kaffee.“
Aber da ist ein kleines Lächeln in seinem Gesicht, als er in die Küche geht.
Nächtliche Ruhe – Ein Kuss, der bleibt
Bobby gähnt und reibt sich müde die Augen, während er sich mit einem erschöpften Blick an den Türrahmen lehnt. Sein Blick wandert von mir zu Leo, der sich immer noch neben mir auf der Couch befindet.
„Okay, Justin, ich geb’s zu. Ich hatte ja damit gerechnet, dass du irgendwann völlig erschöpft umkippst, aber dass du Leo gleich mit nach Hause bringst und er sich jetzt auch noch um dich kümmern muss? Respekt.“
Ich verdrehe die Augen, doch bevor ich etwas erwidern kann, hebt Bobby abwehrend die Hände. „Ich mein’s ernst. Danke, Leo. Ehrlich. Ich weiß nicht, was heute alles genau passiert ist, aber…, ich bin froh, dass du da bist.“
Leo lehnt sich locker gegen den Küchentresen, verschränkt die Arme vor der Brust. Sein Blick wandert kurz zu mir, als würde er meine Reaktion prüfen, bevor er wieder zu Bobby sieht. „Kein Ding. Ich hätte ihn sowieso nicht alleine gelassen.“
Bobbys Augen verengen sich leicht, als würde er eine unausgesprochene Bedeutung in diesen Worten suchen. Dann nickt er langsam.
„Na dann. Justin, mach dich fertig. Ich richte das Gästebett für Leo.“
Ich will protestieren, aber mein Körper fühlt sich an, als würde er jeden Moment unter mir nachgeben. Also schleppe ich mich ins Bad, meine Beine schwer, meine Muskeln müde bis ins Mark.
Das Wasser rauscht über meine Haut, wärmt meine verspannten Glieder, aber mein Kopf bleibt rastlos. Die Gedanken prallen in mir herum, wie Wassertropfen, die sich nicht aufhalten lassen.
Die Kommentare aus der Schule. Das Training, das mich an meine Grenzen gebracht hat. Claras Worte, die nachklingen, wie eine leise Melodie im Hintergrund.
Und dann…, Leo. Seine Hände. Seine Wärme. Der Kuss. Mein Herz schlägt schneller. Ich lehne mich mit den Händen gegen die kalten Fliesen der Dusche, schließe kurz die Augen. Es fühlt sich an, als wäre mein ganzer Tag auf diesen einen Moment hinausgelaufen. Seine Lippen auf meinen. Die Art, wie er mich festgehalten hat. Nicht fordernd, nicht unsicher. Einfach echt.
Und ich? Ich habe mich in diesem Moment endlich wieder vollständig gefühlt. Ich schüttle leicht den Kopf, versuche, meine Gedanken nicht völlig darin zu verlieren. Aber mein Körper erinnert sich. An seine Berührung. An das Kribbeln, das mich noch immer begleitet.
Als ich aus dem Bad komme, sind meine Haare noch leicht feucht, mein Shirt klebt an meiner Haut. Ich fahre mir mit einer Hand durch die Haare, versuche die Hitze aus meinem Gesicht zu vertreiben.
Mein Zimmer ist in warmes, gedämpftes Licht getaucht. Bobby hat das Gästebett neben meines gestellt, sauber aufgeschüttelt, wie er es immer tut, wenn Gäste bleiben. Auf meinem Schreibtisch liegen Klamotten für Leo, eine Jogginghose, ein weiches Shirt, das eigentlich mir gehört.
Leo steht davor, dreht den Stoff prüfend zwischen den Fingern. Als er mich hört, dreht er sich um.
Für einen Moment passiert nichts. Wir stehen einfach da, nur ein paar Schritte voneinander entfernt. Es ist nicht unangenehm. Aber es ist aufgeladen.
Leo hebt langsam die Jogginghose hoch, ein leichtes, schiefes Grinsen auf den Lippen. „Also…, du willst, dass ich in deinem Merch schlafe?“
Ich schnaube leise. „Beschwer dich nicht. Das Zeug ist ultra bequem.“
„Hm…“ Er hebt eine Braue, als würde er sich nicht ganz sicher sein. „Ich werd’s testen.“
Dann wieder Stille. Ich ziehe mich langsam zum Fenster, öffne es ein Stück und lasse die kühle Nachtluft hinein. Ich brauche das jetzt. Etwas Frisches, etwas, das meine Gedanken klärt. Hinter mir raschelt Stoff. Ich weiß, was passiert, aber ich drehe mich nicht um. Leo zieht sich um. Das leise Zischen, als er sein Shirt über den Kopf zieht. Das sanfte Rascheln, als er die Hose wechselt. Mein Magen zieht sich leicht zusammen. Ich weiß, dass es normal ist. Ich weiß, dass es nichts sein sollte. Aber es fühlt sich an, als würde ich jeden seiner Bewegungen spüren, ohne sie zu sehen. Ich zwinge mich, den Blick nach draußen zu richten, fixiere einen Punkt irgendwo in der Dunkelheit. Die kalte Luft kühlt meine Haut, aber nicht das Kribbeln unter ihr.
„Justin.“ Seine Stimme ist leise.
Ich schließe kurz die Augen, dann drehe ich mich langsam um.
Leo sieht mich an, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Sein Blick ist ruhig, aber wachsam. „Alles okay?“
Ich nicke. Zu schnell. Zu gezwungen.
Er merkt es sofort.
Sein Blick gleitet über mein Gesicht, bleibt an meinen Augen hängen. Dann, ganz langsam, hebt er eine Hand, fährt sich durch seine Haare, als würde er nach Worten suchen.
„Thomas hat mich gebeten, hierzubleiben“, sagt er dann, als wäre es eine beiläufige Information.
Ich blinzle. „Thomas?“
Leo zuckt leicht mit den Schultern. „Er meinte, es wäre besser, wenn du heute nicht allein bist. Nach allem, was war.“
Seine Stimme ist ruhig, aber ich sehe den Hauch von Nervosität in seinem Gesicht.
„Hat er das wirklich gesagt?“ frage ich leise.
Für den Bruchteil einer Sekunde zuckt Leos Mundwinkel, ein winziges Detail, das ich vielleicht nicht bemerkt hätte, wenn ich ihn nicht so gut kennen würde.
Dann hebt er die Schultern. „Vielleicht dachte ich das auch einfach selbst.“
Mein Herz schlägt schneller.
„Ach ja?“ Meine Stimme klingt weicher, als ich wollte.
Leo sieht mich an, und diesmal hält er meinen Blick. Keine Ironie. Kein Grinsen. „Ja.“ Ein einziges Wort. Aber es lässt die Luft zwischen uns schwerer werden.
Ich spüre, wie mein Atem flacher wird, spüre die Wärme, die von ihm ausgeht, obwohl wir immer noch einen halben Meter voneinander entfernt stehen. Und dann ist es, als würde die Schwerkraft sich verschieben. Ich weiß nicht, wer sich zuerst bewegt. Ich weiß nur, dass ich plötzlich näher bin. Dass ich seine Wärme spüre, seine Haut, seinen Atem.
Seine Hände heben sich langsam, als wollte er mich fragen, ob er mich berühren darf. Aber ich brauche keine Erlaubnis. Ich neige mich leicht vor, meine Stirn berührt fast seine. Mein Herz hämmert gegen meine Rippen.
Dann schließt Leo die Augen, als würde er sich selbst ergeben. Und im nächsten Moment treffen sich unsere Lippen. Es ist anders als beim letzten Mal. Tiefer. Ruhiger.
Nicht impulsiv, nicht von Emotionen überrollt. Sondern etwas, das wächst, das sich ausdehnt, das sich wie eine Antwort anfühlt, auf eine Frage, die ich nie laut ausgesprochen habe.
Leos Hände finden langsam ihren Weg zu meinem Rücken, ziehen mich näher, während mein eigener Körper sich instinktiv an ihn schmiegt. Ich verliere mich in der Wärme, in der Sanftheit seiner Berührung, in dem leichten Zittern meiner Finger, die über seine Haut gleiten.
Und dann…, ein leises Lachen. Er löst sich kaum einen Zentimeter von mir, seine Stirn noch immer gegen meine gelehnt. „Weißt du, wenn Bobby jetzt reinkommt, müssen wir uns echt eine verdammt gute Erklärung überlegen.“
Ich lache leise, meine Finger immer noch an seinem Nacken. „Dann sollten wir vielleicht die Tür abschließen.“ Leos Blick wird dunkler. „Gute Idee.“ Ich beiße mir auf die Lippe. Mein Blick wandert zu dem kleinen Gästebett am Rand des Zimmers. Die Decke ist ordentlich gefaltet, das Kissen liegt bereit – alles ist hergerichtet. Aber es fühlt sich… falsch an.
Zu weit weg. Zu distanziert nach allem, was heute passiert ist. Ich hebe den Kopf, sehe Leo an. Er lehnt sich locker auf einem Ellenbogen ab, fährt sich durch sein zerzaustes Haar und mustert mich mit diesem offenen, müden Blick, der mich fast schon durchschaut. Ich atme tief ein, dann sage ich es einfach. „Schlaf bei mir.“
Leo blinzelt, als hätte er nicht damit gerechnet. Dann zuckt ein Lächeln an seinen Mundwinkeln. „Also doch nur eine faule Ausrede, damit ich näher bei dir liege?“
Ich schnaube leise und greife nach einem Kissen, werfe es in seine Richtung. Er fängt es mühelos, grinst. Doch sein Blick bleibt an mir hängen. „Leo.“ Meine Stimme ist ruhig, aber ernst. Kein Scherz. Kein Grinsen. Nur die Wahrheit in meinem Blick.
Er hält meinem Blick stand, sein Ausdruck verändert sich. Er sieht mich an, als würde er genau überlegen, ob das hier eine Grenze ist, die wir noch überschreiten sollten. Aber dann – ohne ein weiteres Wort – greift er nach seiner Decke, zieht sie mit einer fließenden Bewegung von der Gästematratze und kommt zu mir.
Sein Gewicht verlagert sich auf die Matratze, als er sich neben mich legt. Erst vorsichtig. Ein paar Zentimeter Abstand. Genug Raum, um noch Luft zwischen uns zu lassen. Aber zu wenig, um sich nicht zu spüren.
Für einen Moment passiert nichts. Nur unsere Atemzüge. Das leise Rascheln der Decke. Der kühle Nachtwind, der durch das geöffnete Fenster streicht und den Raum mit frischer Luft füllt. Dann spüre ich es. Eine Berührung an meinem Arm. Leicht, fast zögerlich. Ein Test. Ob ich das hier wirklich will.
Ich will. Langsam drehe ich mich zu ihm um. Unsere Gesichter sind nur eine Handbreit voneinander entfernt. Sein Blick ruht auf mir, wachsam, fragend, als würde er auf ein Zeichen warten. Ich gebe es ihm. Hebe meine Hand, lege sie an seine Wange, fühle die Wärme seiner Haut unter meinen Fingerspitzen. Leo lehnt sich einen Hauch näher. Mein Herz schlägt schneller, meine Atmung wird flacher.
Dann endlich, seine Lippen treffen meine. Sanft. Behutsam. Kein hastiges Drängen, keine Unsicherheit. Nur Wärme. Nur ein Kuss, der sich anfühlt, als wäre er schon immer da gewesen. Seine Finger streichen langsam über meinen Rücken, zeichnen unsichtbare Muster auf meine Haut, während seine Hand sich unter mein Shirt schiebt – nicht fordernd, nicht drängend, nur fühlend. Ich atme gegen seine Lippen, lasse das sanfte Kribbeln durch meinen Körper strömen. Und mit jedem Atemzug, mit jeder Berührung, merke ich, wie die Anspannung des Tages schmilzt. Er gibt mir Ruhe, Kraft, Sicherheit.
Leo löst sich langsam von mir, aber er bleibt nah. Seine Stirn ruht sanft gegen meine, sein Atem streift meine Haut, warm und gleichmäßig. „Schlaf, Justin“, murmelt er. Seine Stimme ist leise, weich, fast wie ein Versprechen. Ich nicke kaum merklich, meine Augenlider werden schwer.
Leo zieht mich ein Stück näher zu sich, sein Arm liegt locker um meine Taille, seine Finger ruhen sanft an meiner Hüfte.
Ich atme noch einmal tief ein, spüre die gleichmäßige Bewegung seines Brustkorbs neben mir. Und in dieser Nacht, mit seiner Nähe, mit seiner Wärme, schlafe ich endlich tief und ruhig ein
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