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Konfrontation

Teil 4

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Diese Geschichte ist frei erfunden. Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie realen Handlungen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Wer Geschichten mit erotischem bzw. homosexuellem Inhalt nicht mag oder für wen das Lesen solcher Geschichten gesetzlich verboten ist, muss jetzt diese Seite verlassen.

Diese Geschichte ist exklusiv geschrieben für Du bist nicht allein (www.dbna.de) und Nickstories . Eine Verwendung außerhalb dieser Angebote ist ohne ausdrückliche Genehmigung meinerseits nicht erlaubt.

Diese Geschichte enthält einen Auszug aus Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort von Jostein Gaarder, erschienen im Carl Hanser Verlag.

Kapitel 8

Mit einem Satz war ich wieder auf den Beinen. Corvin war nicht alleine, die fünf oder sechs Leute, die sich um ihn versammelten, machten einen mehr als bedrohlichen Eindruck. »Erst mir meine Freundin ausspannen«, fing Corvin an und kam einen Schritt auf mich zu, »dann sie sitzenlassen und sich dann auch noch als Schwuler outen.« Er tat noch einen Schritt in meine Richtung, ich wich zurück und betrachtete ihn misstrauisch. Das diabolische Grinsen war einer Grimasse aus Wut und schierer Aggression gewichen. »Ich denke, das Maß ist voll.«

Das war mein Stichwort. Mit einem Blitz durch mein Hirn waren sie wieder da, Oles mahnende Worte von der Konfrontation. »Bastian, diese Welt ist hetero«, hatte er zu mir gesagt, »und wenn diese Welt es will, wird sie dich umbringen.«

Ohne irgendetwas zu sagen, drehte ich mich um und rannte einfach. Ob ich die Lage nun falsch eingeschätzt hatte, ob es feige war, das alles war mir egal. Wieder weg, nur weg. Doch diesmal lief ich um mehr als mein Seelenheil, diesmal wollte jemand mit mir abrechnen. »Schnappt ihn Euch«, hörte ich Corvin brüllen. Die Jagd war eröffnet.

Ich lief die Straße immer weiter, nicht auf das Stechen in der Seite hörend, und hoffte, meinen Verfolgern wenigstens etwas im Voraus zu sein. Ein Blick nach hinten, ohne dabei zu stoppen. Ein großer, schlanker Kerl rechts hinter mir hatte Corvin sehr gut verstanden. »Lauf' du nur, Bastian«, hörte ich ihn rufen, »wir kriegen dich doch.« Er holte langsam, aber sicher auf.

Der etwas Kleinere aus Corvins Clique mit den schwarzen Haaren hingegen bekam immer mehr Distanz zu mir, er war meiner Geschwindigkeit anscheinend nicht gewachsen. Doch das Stechen in der Seite wurde immer schlimmer. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. Die Schweißperlen rannen meinen Körper entlang, mein T-Shirt klebte.

Doch wo war der Rest von Corvins Leuten? Da waren vorhin doch noch mehr. Würden die schon irgendwo auf mich warten?

Nein, sagte ich zu mir selbst, die kriegen mich nicht. Ohne jede Ankündigung zog ich in eine Nebenstraße, lief weiter, um einen Fußweg zu erreichen, der an der Kirche vorbei zum Friedhof und von dort direkt in die Felder führte. Schneller, immer schneller, ich musste es schaffen. Auf dem Friedhof würde ich mich verstecken können. Und wenn nicht da, dann in den Feldern.

Ein Blick. Keiner hinter mir. Sollten sie aufgegeben haben, jetzt schon? »Hey, Schwuchtel !« Am Ende der Straße stand Corvin mit drei seiner Leute, zwei mit Skateboards in der Hand. »Glaubst Du, Du kannst uns entkommen?« Sie lachten, ihre Stimmen dröhnten in meinen Ohren.

Ich hatte abgebremst und nutzte die Zwangspause zum Durchatmen. Jeder Atemzug schmerzte in der Brust. Zurück konnte ich jetzt auch nicht mehr. Der Schwarzhaarige hatte aufgeholt und mir den Weg abgeschnitten. »Lasst mich doch bitte einfach in Ruhe«, flehte ich Corvin an. Mit Kopfschütteln kamen sie von zwei Seiten auf mich zu.

»Renn um Dein Leben«, sagte ich leise zu mir selbst. Mit ein paar schnellen Schritten war ich am Gartenzaun eines der Häuser am Straßenrand angekommen, mit einem Satz war ich auf der anderen Seite des Zaunes. So schnell ich denn noch konnte, lief ich über den Rasen, durch Beete und war auch schon am anderen Ende des Gartens.

Von einem Vorgarten in den nächsten, über Hecken und Zäune ging die Jagd auf mich, auf Bastian, den Jungen, der es gewagt hatte, einfach nur einen anderen Jungen zu lieben.

Wieder ein Satz über einen Zaun. Vor mir lag eine offene Auffahrt mit hohen Büschen an beiden Seiten, am Ende dieser würde ich wieder auf eine Straße kommen. Ein Blick zurück nahm mir aber jede Hoffnung, meine Verfolger abschütteln zu können. Mein Körper setzte mir vollkommen unbekannte Reserven frei, ich rannte trotz der rasenden Schmerzen in der Brust. Ich war fast am Ende der Auffahrt angekommen.

Als ich am Busch ankam, spürte ich eine Faust auf meinen Unterkiefer treffen. Die Wucht des Schlages, die plötzlichen Schmerzen und nicht zuletzt die Überraschung rissen mich von den Beinen. »So«, hörte ich den großen Kerl sagen, dessen Faust ich eben zu spüren bekommen hatte, »Bastian, das Rennen ist vorbei. Wir haben dich.« Und dann grinste er mich mit einem teuflischen Grinsen an.

Ich versuchte, wieder aufzustehen, doch ein Tritt mit seinem rechten Fuß machte mir das unmöglich. Der Schmerz durchzuckte meinen Körper und ich dachte, dass er nie wieder aufhören würde. Ich fühlte mich wie gelähmt. Im Nu war ich von Corvin und seine Clique umringt - und damit ohne jede Chance.

Ein schwarzer Herrenstiefel traf mich im Bauch, ich rang um Luft. »Und du hast tatsächlich gedacht«, hörte ich Corvin sagen, bevor mich irgendein metallischer Gegenstand mit unendlicher Wucht am Rücken traf und sich von dort wie eine Welle durch meinen ganzen Körper ausbreitete, »du könntest vor uns davonlaufen ?« Ich konnte meine Beine nicht mehr spüren.

Zusammengekrümmt lag ich am Boden, ich hatte keine andere Wahl, als ihre Schläge und Tritte über mich ergehen zu lassen. »Macht ihn fertig.« Der Schwarzhaarige sprang mir auf die Füße, ich stöhnte auf. Ein Tritt, der meinem Gesicht zugedacht war, verfehlte sein Ziel und traf mich am Oberarm. Trotz meiner Benommenheit durch die unendlichen Schmerzen hörte ich ein Splittern.

Der metallische Gegenstand traf mich zwischen den Beinen. Ich schrie auf, wofür ich einen weiteren Tritt in den Bauch bekam. Ich musste mich übergeben, blieb mit einer Gesichtshälfte in meinem tiefroten Erbrochenen liegen. Leise wimmernd wünschte ich mich nichts mehr, als einfach nur zu sterben.

Einfach nur sterben zu dürfen.

»Hey, Kleiner.« Die Schmerzen, die mich noch eben zu zerreißen drohten, waren von einem Moment zum nächsten von mir gewichen. Ich traute mich, die Augen ein wenig zu öffnen. Die Straße war ebenso verschwunden wie der Busch, hinter dem mein Verhängnis gelauert hatte. Nur von fern hörte ich noch leise Stimmen.

»Hallo ? Können Sie mich hören? Mein Name ist Martin Ulbrich, ich bin Notarzt.«

Ich setzte mich vorsichtig auf. Um mich herum war alles in Dunkelheit getaucht, nur ich saß in einem weichen, weißen Licht. Unsicher schaute ich mich um, ganz langsam, ich suchte nach anderen Menschen, doch ich war ganz alleine.

»Zugänge sind drin, Plasmasteril läuft.«

Ich schaute an meinem nackten Körper herunter, berührte mein Gesicht. Kein Erbrochenes klebte mehr an mir, kein Schweiß, kein Blut. Alles war, als wäre das alles gar nicht geschehen. Als wäre ich nicht auf offener Straße zusammengeschlagen worden.

»Kreislaufstillstand.«

Plötzlich hörte ich eine Stimme. »Hallo, Bastian«, sagte sie ganz weich, ganz lieb zu mir.

»Eins, zwei, drei, vier, sieben.«

Ich blickte auf. Vor mir stand Kai, sein Körper bestand nur aus gleißend hellem Licht.

»Eins, zwei, drei, vier, neun.«

Ein Gefühl der unendlichen Freude kam über mich. »Hey, Kai, was machst du denn hier?« In diesem Augenblick wurde mir klar, was ich da sagte. Mit unsicherem Blick fixierte ich Kai. »Bin ich etwa ...«

»Der Tubus sitzt.«

»Pst«, unterbrach mich Kai und legte seinen Finger auf seine Lippen, »keine Fragen mehr.«

»Ein Milligramm Adrenalin ist drin. OK, wir sind soweit. Schrittmacher.«

Sollte es das jetzt gewesen sein? Sollte mein junges Leben schon zu Ende sein? Ich konnte es nicht glauben.

»Er beginnt zu flimmern.«

Die Lichtgestalt vor mir kam einen Schritt auf mich zu. »Komm'«, sagte Kai zu mir und reichte mir seine Hand. »Ich zeige dir, wie ich jetzt lebe.« Ich zögerte. »Komm'«, sagte Kai noch einmal.

»Er flimmert immer noch. Noch mal Adrenalin und dann noch mal Defibrillation.«

Ich zögerte immer noch. »Kai, ich bin noch nicht bereit.« Er schüttelte den Kopf. »Ich war es auch nicht. Und doch habe ich es geschafft. Dort, wo ich dich hinbringe, wird es dir gefallen.« Seine Hand war immer noch nach mir ausgestreckt. Ich hob meine Hand, um seine zu fassen.

»Wir verlieren ihn.«

Im letzten Moment zog ich meine Hand zurück. »Kai, was wird aus Sdrean?« Kai schaute mich mitleidig an, ohne seine ausgestreckte Hand auch nur einen Millimeter zurückzuziehen. »Diese Entscheidungen sind nicht mehr unsere Entscheidungen. Die haben andere für dich getroffen.« Ich schaute ihn fragend an.

»Noch mal schocken. Und Lidocain brauche ich.«

Kai schien meinen fragenden Blick zu ignorieren. »Was heißt das?« Kai blickte mich auf einmal sehr ernst an. »Du kannst nicht zurück. Niemals.« In diesem Augenblick brach für mich eine Welt zusammen. Kai schaute mich durchdringend an. »Warum willst du denn überhaupt zurück ? Komm' doch mit mir, es wird dort, wo ich dich hinbringe, so sein wie früher.« Fassungslos schüttelte ich den Kopf. »Es wird nie wieder so sein wie früher.«

Kapitel 9

Als ich wieder zu mir kam, war ich umgeben von vollkommener Dunkelheit. Doch ich fühlte mich nicht mehr so frei, so schmerzlos wie zu dem Zeitpunkt, als ich im hellen Licht gelegen hatte. Ich fühlte mich wie gerädert, meine Beine konnte ich immer noch nicht spüren und mir war entsetzlich übel. Würde nicht etwas nicht zu bestimmendes in meinem Hals dies verhindern, würde ich alles ausbrechen wollen, was sich unter meiner Haut befindet. Im Hintergrund hörte ich ein leises, gleichmäßiges Geräusch.

Da hörte ich auf einmal diese Stimme, die mich so glücklich gemacht hatte. »Bastian«, hörte ich Sdrean sagen, »wenn du mich hören kannst, dann mach' doch bitte die Augen auf. Ich ...« Mehr brachte er nicht heraus, leise hörte ich ihn weinen. »Was soll ich denn nur ohne dich tun? Ich hab' doch nur dich.«

»Warum nur musstest du denn weggehen?« Ich spürte seine Hand an meiner. »Warum hast du denn nicht auf mich gewartet?« Seine warmen Tränen fielen auf unsere Hände und liefen langsam an ihnen hinunter. »Ich bin aufgewacht und du warst weg. Und dann finde ich dich in diesen Zustand in einem Krankenhaus wieder.« Er schluckte hörbar.

»Du hättest mich doch einfach zärtlich wachküssen können.« Seine Stimme wurde leiser. »Dann hätte ich für uns beide Frühstück gemacht. Und dieser entsetzliche Tag wäre ganz anders verlaufen.« Eine Hand strich mir über die Wange.

An einer Stelle schmerzte es auf einmal sehr. Er musste wohl eine Verletzung im Gesicht berührt haben. Trotzdem war es unendlich schön, ihn wieder in meiner Nähe zu wissen, ihn zu spüren und ihn zu hören. Möge er doch nicht aufhören, mit mir zu sprechen. Möge er sich von dem erbärmlichen Bild, dass ich ihm abgeben musste, nicht täuschen lassen.

Dann hörte ich ihn wieder mit mir reden. »Ich habe dir etwas mitgebracht.« Er klang wie erstickt, als ob jedes Wort in dem Augenblick ihn im dem Augenblick zerriss, in dem er es aussprach. »Es ist das Buch, dass mir mal ein Freund geschenkt hat, als es mir echt dreckig ging.« Ich kannte es, ich hatte es mal bei Sdrean gesehen und er hatte mir ganz kurz davon erzählt. »Er hat es mir einfach nur gegeben, ohne jedes Wort dazu zu sagen.«

Sdrean begann, mir leise daraus vorzulesen. »Als sie bald darauf erwachte, stand das Fenster offen, niemand saß auf den Stühlen vor ihrem Bett. Bald kam der Engel Ariel durch das offene Fenster geschwebt. Er setzte sich auf den Schreibtisch. Cecilie stieg aus dem Bett und stellte sich ihm gegenüber. »An, bist du auch mal wieder da?«, sagte sie.« Er schniefte.

»Er antwortete nicht direkt darauf. »Magst du eine Runde mit mir fliegen ?« Sie lachte. »Aber ich kann doch nicht fliegen.« Der Engel Ariel seufzte nachsichtig. »Hör endlich auf mit dem Unsinn. Komm einfach her.« Und Cecilie trat auf den Engel Ariel zu.«

Es klang, als ob er leise weinte, während er las. »Er nahm ihre Hand. Im nächsten Moment schwebten sie durch das offene Fenster, über die Scheune und über die weite Landschaft. Es war noch früh am Morgen, die Sonne war noch nicht aufgestanden zu einem neuen Wintertag. »Herrlich!« sagte Cecilie. »Einfach engelhaft!« Fliegen war noch wunderbarer, als sie es sich vorgestellt hatte.«

Weiter kam er nicht. Ich hörte, wie er - hemmungslos weinend - abbrach und das Buch auf den Boden fiel. Es musste ihm wohl aus den Fingern gerutscht sein. Dann griff seine Hand wieder nach meiner, seine Lippen berührten sie und ich spürte die warmen Tränen, die sein Gesicht bedeckten. Die Feuchtigkeit übertrug sich auf meine Hand, in jedem Moment, in dem sich unsere Haut berührte.

Doch ich konnte ihn immer weniger hören, seine Stimme verschwamm und von seinen zärtlichen Berührungen drangen immer weniger zu mir durch. Ganz weit weg begann auf einmal eine Kerze zu brennen und strahlte ihren hellen Schein aus, die tiefe Dunkelheit zu vertreiben.

»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht.« Ich konnte Kai hören, ihn aber nicht sehen. Obwohl ich wusste, dass Kai meinetwegen hier war, war ich voll Ruhe. Die Panik, die mich bei unserer letzten Begegnung befallen hatte, war vollständig von mir gewichen. Ich wehrte mich nicht mehr. »Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.« Die Kerze brannte still, ohne jedes Flackern vor sich hin. »Komm'. Es ist Zeit, fliegen zu lernen.«

Aus dem gleichmäßigen Geräusch im Hintergrund war ein einziger langer Ton geworden.


Ende

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