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Konfrontation

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Diese Geschichte ist frei erfunden. Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie realen Handlungen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Wer Geschichten mit erotischem bzw. homosexuellem Inhalt nicht mag oder für wen das Lesen solcher Geschichten gesetzlich verboten ist, muss jetzt diese Seite verlassen.

Diese Geschichte ist exklusiv geschrieben für Du bist nicht allein (www.dbna.de ) und Nickstories . Eine Verwendung außerhalb dieser Angebote ist ohne ausdrückliche Genehmigung meinerseits nicht erlaubt.

Kapitel 1

»Du bist mir ein Held.« Sdreans Stimme klang sauer, stinksauer sogar. »Da gehst du hin und beginnst eine Liaison mit ihr. Sogar mir sagst du nichts davon, dabei ...« Ich musste ihn unterbrechen, er ging mir auf die Nerven: »Hör mir mal eben kurz zu, Mister Superschlau«, fuhr ich ihn an. »Muss ich dich daran erinnern, dass Kerstin sich in einer Beziehung befand ?«

»Nein, das brauchst du nicht. Ich erinnere mich zu gut daran. Ihr beide habt was miteinander angefangen, obwohl sie noch mit Corvin zusammen war. Habt ihm beide was vorgemacht, als wäre nichts. Und hinter seinem Rücken geht ihr dann immer weiter und habt am Ende sogar Sex miteinander.« Als ob das etwas Schlimmes wäre.

»Wir haben nicht miteinander geschlafen«, unterbrach ich Sdrean Wortschwall und rief bei ihm einen fragenden Blick hervor. »Die Beziehung zwischen den beiden war schon lange kaputt und im übrigen ging das Ganze nicht von mir aus und überhaupt.« Ich war es leid. Sdrean war nicht der Erste, der meinte, mir irgendwelche Vorwürfe machen zu dürfen. »Warum muss ich mich dafür rechtfertigen?! Das alles ist ja wohl meine oder vielmehr Kerstins und meine Sache, oder nicht?«

Sdrean schüttelte den Kopf und hob aufgebracht seine Hände. »Nein, dass ist es nicht. Mit wem Du was machst, ist mir völlig egal. Es geht mir eigentlich auch mehr darum, dass du mir davon nichts erzählt hast.« - »Aber ...« - »Nichts aber. Wir beide haben uns immer alles erzählt. Und du weißt ganz genau, dass ich dich nicht verraten, sondern Euch gestützt hätte, was auch immer ihr gemacht hättet. Und was ich das Verrückteste finde, Bastian, ist, dass du jetzt so mir nichts, dir nichts die ganze Sache abbrichst und kein Wort mehr darüber verlierst. Nicht mal gegenüber Kerstin. Was ist denn mir Dir los, zum Henker?«

»Ich weiß es nicht ...« Ich konnte nur noch mit leiser Stimme sprechen. Natürlich wusste ich, was los war - und er wusste es auch. Die Tränen schossen mir in die Augen und ich begann, mit gesenktem Kopf leicht zu schlurzen.

Sdrean seufzte. »Hey, kleiner Mann.« So nannte er mich öfter, obwohl ich größer war als er. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien.« Er setzte sich neben mich auf mein Bett und legte seinen Arm um mich. »Na, komm', heul Dich ein bisschen aus.«

So saß ich neben Sdrean, hielt mich an ihm fest und heulte. Nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen und Wochen. Und das alles wegen Kai. Und wegen Sdrean. Denn obwohl er einer meiner besten Freunde war und ich ihm wirklich nahezu alles erzählen konnte und dies auch tat, blieb es bei einem ‘nahezu'. Es gab es ein paar Dinge, die ich ihm nicht erzählt hatte, nicht erzählen konnte. Und ich schämte mich dafür.

»Hey. Was soll Kai denn von dir denken, wenn er dich so sehen könnte?« Sdreans Versuch in allen Ehren, aber er zielte in die falsche Richtung. Dabei hatte ich mich gerade wieder einigermaßen gefangen, doch als er Kais Namen sagte, war davon nichts mehr da. Ich fühlte mich nur noch allein, ganz allein auf dieser weiten Welt. Trotz Sdrean.

Die Frage nach dem Warum hatte ich mir immer verboten. Eine vollständige Antwort würde es eh' nicht geben und ich wollte mich nicht noch mehr quälen. Solche Sachen passieren halt, und dieses Mal war sie Kai passiert. Als ob es diese zynische Betrachtung einfacher machte.

Vor meinen Augen erschienen wieder die Bilder von jenen Stunden, die sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hatten und mit deren Folgen ich nicht leben konnte. Kai wollte nur den Wagen von dem Parkplatz um der Ecke holen. Und ich hatte noch zu ihm gesagt, dass er sich etwas gedulden sollte, ich würde gleich selbst gehen.

Ich wollte nicht, dass Kai sich noch ans Steuer setzt, denn er war - ganz im Gegensatz zu mir - nicht mehr ganz nüchtern. Nicht dass er betrunken war, aber fahren sollte er in meinen Augen nicht mehr. Doch Kai meinte, dass er das kleine Stück bis zur Partybox, wo wir den Abend verbracht hatten, schon noch schaffen würde und ich solle mich nicht so anstellen. Ich dürfe dann ja den Rest des Weges nach Hause am Steuer sitzen. Bevor ich noch etwas sagen konnte, war er auch schon aus der Tür. Sehr zu meinem Ärgernis.

Ich drängelte mich in der Schlange an der provisorischen Garderobe etwas vor, nahm meine Jacke und lief Kai nach. Auf halber Strecke hörte ich den Motor, und gleich darauf bog etwas Weißes, was aussah wie Kais Auto, mit hellen Scheinwerferlichtern um die Ecke. Er blendete mehrmals auf, wollte mich grüßen.

Und dann überschlugen sich die Ereignisse.

Kai wollte wohl so tun, als ob er mich überfährt und hielt auf mich zu. Ich lächelte, ein üblicher Kai-Witz, den man auf leerer Fahrbahn ja mal machen konnte. Im sicheren Abstand vor mir zog er das Steuer ‘rum, um wieder auf seine Hälfte der Fahrbahn zu kommen. Ich lachte noch, da hörte ich auf einmal Reifen quietschen.

Er hatte auf der nassen Fahrbahn bei seinem Manöver die Übersicht verloren und bekam den Wagen nicht mehr unter Kontrolle. Das Auto drehte sich mehrmals, die Scheinwerferlichter huschten durch die umliegenden Gärten und Häuser. Dann gab Kai auf einmal wieder Gas. Ich werde nie verstehen, wieso er wieder Gas gab. Die Räder drehten für einen Augenblick durch, bekamen dann Griff und ließen den Wagen vorspringen.

Ungebremst raste der Wagen auf einen Baum am Straßenrand zu. Als der Wagen auf die uralte und wuchtige Eiche traf, kreischte Metall und ich wandte mich entsetzt ab. Dann knallte es hinter meinem Rücken.

Als ich mich langsam, mit pochendem Herzen wieder umwandte, sah ich Kai nicht mehr. Ich sah nur noch ein in hellen, lodernden Flammen stehendes Auto an einem Baum. Meine Schreie, die durch die Nacht hallten, konnte Kai nicht mehr hören.

Kapitel 2

Ich schreckte schweißgebadet auf. »Basti ?« Ich saß immer noch neben Sdrean auf meinem Bett, musste aber für einen Augenblick weg gewesen sein. »Basti, hörst du mich ?« Sdreans Stimme klang besorgt.

»Ja, ja, ich bin da.« Meine Stimme war kraftlos und zitterte, wie der Rest meines Körpers. »Sag' mal«, fing Sdrean an, als er mich versuchte wieder ein bisschen aufzurichten, »so können wir doch nicht weitermachen. Du bist doch nur noch ein Wrack.«

Ich wusste, dass er Recht hatte. Ein falsches Wort in meiner Gegenwart, in den allermeisten Fällen nicht mal in böser Absicht gesagt, reichte aus, um bei mir jede Selbstbeherrschung aussetzen zu lassen, sofern ich diese denn überhaupt hatte. Und nicht immer war jemand wie Sdrean da, der mich zumindest etwas auffangen konnte.

Nur war mir nicht klar, wie ich etwas dagegen tun sollte. Der Abend, der mein Leben so verändert hatte, lag nun schon viereinhalb Monate zurück und irgendwie fehlte es für eine Besserung meines Zustandes an einer Initialzündung. Der Anfang von dem, was folgen sollte, war nicht gemacht und ich vegetierte nur so vor mich hin.

»Basti?« - »Ja?«

Sdrean schaute mich mit unsicherem Blick an: »Darf ich Dir eine etwas persönliche Frage stellen, auch wenn sie dich vielleicht aus der Fassung bringt?« Ich nickte. Er war immer für mich da gewesen, auch wenn ich in meiner Wut und meiner Verzweiflung ungerecht zu ihm und anderen war. Er hatte sich nicht aufgedrängt, war manchmal einfach nur dagewesen und passte auf mich auf. Er war einer der Wenigen, denen ich eine persönliche Frage erlauben würde. Und ich hatte mich soweit gefasst, dass ich vielleicht sogar antworten könnte.

»Ich weiß, was mit Kai passiert ist und was Kai dir bedeutet hat.« Es musste ihn Überwindung gekostet haben, so etwas zu sagen. Unter meiner fast schon intimen Freundschaft zu Kai hatte Sdrean immer sehr gelitten. »Ich weiß auch, dass du dich ohne jeden Kommentar von Kerstin getrennt hast. Ich weiß aber nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Wenn du jemanden zum Trösten brauchst, jemanden, der dir hilft, dann wäre doch eigentlich Kerstin eine der Richtigen gewesen, oder sehe ich das falsch?«

»Vollkommen.« Ich war auf einmal sehr gefasst. »Du hättest recht, wenn ich Kerstin geliebt hätte, wenn sie mir so viel bedeutet hätte, wie es vielleicht manchmal ausgesehen haben mag.« Selten habe ich Sdrean so verwirrt gucken gesehen. »Bitte, was ?« Als ich nichts sagte, hackte er nach: »Du warst doch mit ihr zusammen. War das alles nur Show, oder was?«

Ich stand auf und ging zum Fenster. Ich schaute hinaus, auf die Wiese hinter unserem Haus, und ließ mir etwas Zeit, bevor ich weiter sprach. »Sdrean, es gibt ein paar Dinge über mich, die du nicht weißt. Dabei geht es weniger um Kerstin, um nicht zu sagen, es geht eigentlich gar nicht um Kerstin.« Ich wollte ihm endlich die Wahrheit sagen. Die ganze Wahrheit.

Sdreans Stimme klang skeptisch. »Hast du was ausgefressen?« - »Nein, nein«, lachte ich auf, »ich habe nichts verbrochen.« Mein Entschluss, die Karten auf den Tisch zu legen, ließ sich deutlich schwerer umsetzen als ich gedacht hatte. Ich brauchte wie immer einen Anfang. Fast hätte mich der Mut verlassen.

»Sdrean, versprichst du mir, dass du ... mich ... nicht hassen wirst?« - »Hä ? Sag' mal, wovon redest du überhaupt? Warum sollte ich Dich hassen?« Ich wand mich innerlich, war auf der verzweifelten Suche nach den richtigen Worten. Sdrean merkte das wohl und versuchte mir zu helfen: »Hast du ‘ne andere?« - »Nein.« - »Kinder mit irgendwem?« - »Auch nicht. Ich ...« Sdrean unterbrach mich: »'Ne Bank überfallen? Unsern Direx erschlagen? Koks gesnifft? Mädchen ...«

»Sdrean, ich bin schwul.«

Stille. Für ein paar endlos lange Sekunden.

»Uff.« Mehr sagte Sdrean nicht. Ich biss mir vor Aufregung auf die Unterlippe. Ich hatte ihm noch immer den Rücken zugedreht. Irgendwie musste ich was sagen, dieses Schweigen machte mich fertig.

»Kerstin wollte was, sie brauchte jemanden, um ohne Imageverlust von Corvin wegzukommen. Du weißt, wie Kerstin ist. Ich habe mich nicht gewehrt, weil ... naja, weil ... ach, ich weiß auch nicht, warum. Es ist aber bei den öffentlichen Liebesbekundungen geblieben, ein bisschen knutschen hier, ein bisschen umarmen da, für alle, die es sehen wollten. Es ist nie mehr daraus geworden. Ich wollte nicht. Kerstin ist nett, mehr aber auch nicht. Naja, und ich, ich wusste mir ihr ja nun auch irgendwie nichts anzufangen, weil .... nun, sie ist ja nun ...«

»... kein süßer Junge.« Sdrean lächelte mich an. »Und deshalb soll ich Dich hassen? Nur weil mein kleiner Mann einen anderen kleinen Mann im Bett braucht ?« Selten war ich für sein Lächeln so dankbar gewesen wie jetzt.

Ich atmete wirklich auf. Besser hätte es nicht laufen können.

»Mein Basti«, sagte Sdrean mehr zu sich selbst, »ist vom anderen Ufer. Junge, junge.« Er schaute mich an. »Wer weiß es?« Ich schluckte. »Außer Dir, niemand ... mehr.« Und wieder stieg mir das Wasser in die Augen.

Sdrean stand auf, kam zu mir und nahm mich in den Arm. »Er hat es gewusst?«

Ich nickte schniefend. »Und er hat immer zu mir gesagt, dass ich das mit Kerstin lassen soll, dass ich mich benutzen lasse.« Sdrean nickte. »Kai hat auch gesagt, dass ich dazu stehen soll, dass ich schwul bin.«

»Angst?« Sdrean war wohl Kais Meinung, allerdings war es für die beiden auch einfach zu sagen, man solle dazu stehen. »Natürlich habe ich Angst. Ein Coming Out ist keine Fahrt mit einer Loopingbahn, bei der einem vielleicht ein bisschen schlecht wird, aber dann steigt man aus und alles ist wieder gut. Alleine die Vorstellung, dass jemand dahinterkommt, lässt mir die Knie weich werden.«

»Ich schließe daraus«, sagte Sdrean, »dass ich es niemandem erzählen soll.« Leichte Panik erfasste mich. »Absolut niemandem. Ich muss mich da auf dich verlassen können.«

»In Ordnung«, nickte Sdrean und sah dabei in mein wohl zu sehr auf unsicher gestelltes Gesicht. »Hey, wir kriegen das hin.« Er sagte immer, dass wir das hinkriegen würden. Bis jetzt hatte es eigentlich auch immer geklappt. Und obwohl es nun wieder einen Menschen - außer mir natürlich - gab, der von meinem Schwulsein wusste, fühlte ich mich erleichtert. Denn ich fühlte, dass Sdrean niemandem etwas erzählen würde, wenn ich es nicht wollte. Und ich war nun nicht mehr ganz so allein ...

Kapitel 3

In den nächsten Tagen verblasste auch der Rest meiner Angst, dass Sdrean doch jemandem etwas erzählen würde, wobei ich mich selbst tadelte, dass ich von ihm gedacht hatte, er würde so etwas fertigbringen. Nichts war anders, und ich hatte keine Anhaltspunkte, dass irgendjemand irgendetwas wusste.

Was mich dabei etwas verwunderte, war die Tatsache, dass auch Sdrean sich mir gegenüber nicht änderte. Eigentlich hätte ich damit gerechnet, dass er sich einige Neckereien und Späße, die er mir anderen und auch mit mir hin und wieder machte, sparen würde. Nicht, dass ich sie nicht mochte und nicht über sie lachen konnte, aber so unbeschwert wie bisher hätten sie eigentlich nicht sein können.

Denn auf der anderen Seite hielt ich mir vor Augen, dass Sdrean und ich uns schon häufiger vollkommen ohne gesehen hatten. Wir gehörten beide zu den eher liberalen Menschen, die sich ihrer Nacktheit nicht schämten, auch wenn es mir manchmal schwer fiel, mein Interesse am eigenen Geschlecht zu verstecken. Doch da ich mich nur für bestimmte Jungs interessierte und nicht jeder engen Herrenjeans hinterher schaute, gelang es mir eigentlich recht gut.

Eigentlich hatte ich nun erwartet, dass Sdrean angesichts dieser Tatsachen zu dem Schluss kommen würde, ich hätte auch schon ihn angegafft und würde - in aller Freundschaft - etwas Abstand nehmen. Doch nichts dergleichen geschah. Es war mir fast etwas unheimlich. Besonders, weil ich mir nicht sicher war, ob ich ihn schon mal gemustert hatte ... und mit welchem Ergebnis.

Mir war schon klar, dass ich mich trotz aller Furcht nur geoutet hatte. Und dies auch nur gegenüber einem sehr guten Freund. Trotzdem hatte ich damit gerechnet, dass mehr passieren würde. Ich wusste auch nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht sich öffnende Himmelspforten, vielleicht, dass der Boden sich auftut und mich verschlingt. Doch nicht mal die Hölle, in die ich nach katholischer Doktrin ja eh' kommen würde, zeigte Interesse an mir.

»Wie hat Kai darauf reagiert, dass Du schwul bist?« Sdreans Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich brauchte einen Augenblick, um mich zu orientieren - und um festzustellen, dass er mich mitten in der Schule, umgeben von hunderten Menschen, auf mein Schwulsein ansprach.

»Spinnst du?« zischte ich ihn an. Meine Aufregung trieb meinen Adrenalinspiegel hoch und ließ traurige Gedanken an Kai trotz dessen Erwähnung gar nicht erst zu. »Wenn uns jemand hört?!« Sdrean schlug sich die Hand vor den Mund: »Ups.«

»Mann, Sdrean, das ist gefährlich«, fuhr ich ihn an. Doch nach einer Rundumsicht war ich beruhigt, offensichtlich hatte niemand von uns im Allgemeinen und Sdreans Ausrutscher im Speziellen Kenntnis genommen. »Naja, noch mal gutgegangen. Aber sei bitte in Zukunft etwas vorsichtiger.« Sdrean nickte, mit großen Augen, immer noch die Hand vor'm Mund. Sein schuldbewusster Blick bettelte um Verzeihung.

»Komm'«, sagte ich und zog ihn noch etwas weiter, wo wir wirklich ungestört und vor allen Dingen ungehört waren. Sdrean traute sich kaum, meiner Aufforderung um Wiederholung seiner Frage Folge zu leisten. Dann tat er es aber doch. »Ähnlich wie Du, nur ... verrückter«, antwortete ich ihm. Sdreans Augen schauten mich fragend an, anscheinend wusste er mit dieser Einordnung nicht besonders viel anzufangen.

»Er war sehr offen für mich und meine Probleme. Mit ihm konnte ich im Sommer auch schon mal im Café sitzen und vorbeigehende Jungs beurteilen.« Zum ersten Mal seit langem dachte, ja, sogar sprach ich über die Zeit vor Kais Unfall, nicht über die tragische Nacht selbst. Und ich fühlte mich irgendwie gut dabei. Sdrean gelang es wohl tatsächlich, mir das zu geben, was ich verloren glaubte ...

»Ich erinnere mich noch genau, wie er einen Jungen mit einem wahnsinnig sinnlichen Gesicht entdeckte.« Ich musste bei der Erinnerung etwas lachen. »Er machte wahnsinnige Andeutungen und malte uns beiden in grellsten Farben aus, was sich für ein genialer Körper unter der recht dünnen Sommerbekleidung befinden musste, wie sich dieser Körper wohl anfühlte, wenn man ihn berühren darf, und wie der wohl im Bett sei. Ich gebe zu, dass mich diese Beschreibungen erregten.« Ich spürte, wie ich ein bisschen rot wurde. »Etwas.«

Sdrean lächelte mich schelmisch an. »Es war halt ein echt süßer Boy. Er mag so etwa in unserem Alter gewesen sein, so neunzehn, zwanzig vielleicht. Viel älter wohl nicht. Hellbraune Haare, ein sehr schönes Gesicht und unheimlich liebe Augen.« Ich seufzte verträumt. »Diese Augen ...«

»Und was ist daran verrückt?« unterbrach Sdrean meine Tagträume. »Naja, es geht noch weiter. Damit ich mir diesen Boy mal näher anschauen und ihn begutachten konnte, sprach Kai ihn einfach so an. Er fischte ihn, trotz meiner energischen Gegenwehr, regelrecht aus der Menge heraus und bat ihn, ein Foto von mir und ihm zu machen. Dabei kam Kai nicht zur Ruhe, sondern wollte immer noch etwas anders machen. Und ich wusste nicht, ob ich mich kaputtlachen oder mir diesen Jungen aus allen Perspektiven anschauen sollte.« Sdrean lächelte. Ihn schien meine Erzählung zu belustigen. »Und als dann seine Freundin dazu kam und ihn umarmte, hat Kai ihm seinen Milchshake über die Hose gekippt - mehr oder weniger unabsichtlich.« Mein ironisches Grinsen sprach für ‘weniger'. »'Zur Strafe', hatte Kai gesagt, ‘warum muss er auch ein Hetero sein.'«

»Ich weiß immer noch nicht, was genau daran so verrückt ist. Ich meine, wärst du hetero, würdet ihr gleiches mit Mädchen machen, oder?« Sdrean wollte ganz offensichtlich mehr wissen. Vielleicht war ihm aber auch nur aufgefallen, dass ich schon eine ganze Zeit über Kai sprach, ohne dass ich heulen musste, und wollte mich in diesem Zustand halten.

»Es gibt da noch mehr. Wir beide waren mal bei mir zu Hause und haben ein bisschen im Internet gesurft. Kai hat wissen wollen, wo ich mich in meinen stillen Stunden so ‘rumtreibe, und dann habe ich ihm meine liebsten Websites halt gezeigt.« Ich sprach in einer fast verschwörerisch klingenden Tonlage. »Irgendwo war dann halt von einem Kuss die Rede und als ich mehr zu mir sagte, dass ich gerne wissen würde, wie sich das wohl anfühlt, von einem Jungen geküsst zu werden, sagte er nur ‘so' und küsste mich auf den Mund.«

Sdrean Augen wurden größer. »Kai war schwul?«

»Nein, eben nicht. Deshalb denke ich auch, dass er etwas verrückt war. Kai machte so etwas aus der Laune heraus und weil er wusste, dass er mir nicht zu viel versprach. Mit Sex zwischen uns würde nie etwas werden, dass war uns beiden klar. Wir hatten uns sehr gerne, aber nicht so. Vor allen Dingen aber stand Kai auf Frauen.«

»Und trotzdem hat er dich geküsst?« Sdrean arbeitete ganz offensichtlich noch an der Einordnung dessen, was ich ihm gerade erzählt hatte. Ich nickte. »Für Kai gehört so etwas wohl zur Freundschaft dazu. Und wenn ich es mir recht überlege, auch du machst so etwas hin und wieder. Wenn vielleicht auch in leicht abgewandelter Form.« Ich lächelte ihn an.

In diesem Moment hatte Sdrean mich wohl verstanden. »So betrachtet ...«, sagte er und nickte zustimmend.

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