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Teil 6 - Number 7

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Inhaltsverzeichnis

17

Zuerst nur vereinzelt stahl sich das Licht des Mondes durch die vom unsichtbaren Nachtwind in die vorher so dichte Wolkendecke gerissenen Löcher. Es war eine dieser Nächte. Sie kehrten stets wieder und vermessen wäre es von mir, dies dem Zufall zuzuschreiben, denn nicht umsonst geschah dieses Schauspiel jedes Mal zur gleichen Stunde. Immer und immer wieder wurde ich an meine Feigheit, meine Schande erinnert. Jedes einzelne, verfluchte Jahr seit dieser einen Nacht. Wir waren jung und ich vor Angst fast gestorben. Er war gestorben, ob, um mich zu schützen oder ob meiner Feigheit, das war inzwischen vollkommen egal. Ich hatte ihn im Stich gelassen, obwohl ich ihm doch ewige Treue geschworen hatte. Ich war weitergerannt trotz seiner Rufe. Ich hatte mir eingeredet, Hilfe zu holen, doch wo hätte ich sie finden sollen in solch einer gottverlassenen Gegend? Ich hatte es gewusst und dennoch war ich gelaufen, gelaufen um mein Leben, weggelaufen vor unserem Leben.

Es war ein besonderer Tag gewesen. Wir hatten uns vom Rest der Gruppe weggeschlichen, um endlich etwas zu zweit zu unternehmen, das Unbekannte, nur auf uns gestellt, zu erkunden. Pläne hatten wir auch davor schon viele geschmiedet. Doch an diesem Tag hatten wir den Schritt getan, wir waren dazu bereit gewesen, unseren Träumen, mochten sie noch so winzig und unbedeutend sein, zu folgen und etwas Neues zu entdecken. Es war so banal. Wir wollten einfach nur ein oder zwei Stunden zusammen einkaufen gehen, aber dazu sind wir nie gekommen. Es war meine Schuld, denn ich hatte den falschen Bus ausgewählt. Es war meine Schuld, denn ich hatte mich im Recht gewähnt und nichtssagenden Worten eine Bedeutung beigemessen, ja sogar auf sie reagiert. Es war meine Schuld, denn ich hatte dafür gesorgt, dass aus einer dummen Laune plötzlich Hass erwuchs. Ich war Schuld, denn ich hatte sie zu unseren Jägern gemacht, zu hassgesteuerten Maschinen in Menschengestalt. Ich war Schuld an seinem Tod, denn ich hatte ihn zurückgelassen, als er mich gebraucht hätte, als es ein einziges Mal einer Prise Mut bedurft hätte, als ich meine Liebe einfach so im Stich ließ.

Sie waren uns gefolgt, wie wir uns auch bemüht hatten ihnen zu entkommen. Keiner von uns beiden hatte mit solch einer Eskalation gerechnet. Es war uns schon des Öfteren vorher passiert, aber immer waren wir aus solchen Situationen wieder herausgekommen. Er hatte uns immer wieder herausgeboxt, während ich meist der Auslöser gewesen war. Warum nur war ich immer zu feige gewesen, meinen Worten auch Taten folgen zu lassen?

Ich sah nicht, wie es geschah, und doch hörte ich ihn in jeder Nacht seit dieser in meinen Träumen. Ich hörte seine Schreie, die schließlich zu einem Schluchzen und Stöhnen abbrachen. Ich sah seine Augen, die nach mir, die nach einem kleinen Hoffnungsschimmer suchten. Doch ich war nicht gekommen. Ich sah ihn, in seinen letzten Sekunden. Ich sah seine Augen schließlich brechen und ich sah die Liebe, welche bis zuletzt in ihnen brannte. Es war meine Schuld. Ich hätte an seiner Stelle sein sollen, denn er war soviel mehr als ich, er hätte es verdient gehabt zu leben, zu werden und irgendwann in ferner Zukunft gewesen zu sein. Seine Bestimmung war es gewesen, Großes zu vollbringen, kleine Freuden zu schenken. Ich war Schuld, dass all dies nie eingetreten war.

Irgendwann hatte ich eine Telefonzelle gefunden. Schnell waren die Zahlen eingegeben, und es dauerte auch nicht lange und ich war nicht mehr allein. Ich folgte und zeigte ihnen, wo wir uns aus den Augen verloren hatten. Sie fanden ihn. Ich stand abseits und alles in mir erstarb. Ich hatte ihn im Stich gelassen.

Jeder sprach mir Mut zu in den folgenden Wochen. Ich hätte keine Schuld an dieser Tragödie und sie würden die, die das getan hatten, hart dafür bestrafen. Doch wie sollte man jemanden für etwas strafen, was er verbrochen hatte, wenn der Wert dessen, was zerstört worden war, in einem Leben zu messen war? Wie konnte man ermessen, welche Kraft, welche Stärke, welcher Mut der Welt verloren gegangen war? Wie sollte man dafür eine angemessene Strafe finden?

Sie sprachen weiter auf mich ein, wollten mir Mut geben, mir Zuversicht schenken. Doch sie sprachen Worte, die mich nicht mehr erreichen konnten, denn ich wusste, dass ich Schuld war. Ich hatte ihn im Stich gelassen. Nur ich allein.

Sie brachten mich zu Menschen, die mir helfen sollten. Denn alle Versuche derer, die mich kannten, waren gescheitert. Ich hatte ihr Bitten, ihr Reden, ja, auch ihr Flehen ignoriert. Es war an mir abgeperlt wie an einem Fels. In Wirklichkeit war es durch mich hindurch geschwebt, denn ich hatte alles aufgegeben, was ich einst gewesen war, was ich irgendwann hatte werden wollen. Eine leere Hülle war geblieben, die funktionieren konnte, doch von Leben war keine Spur mehr zu finden, denn ich hatte mich aufgegeben, so wie ich ihn aufgegeben hatte.

Irgendwann ließen sie von mir ab, denn auch die Menschen, deren Handwerk das Helfen war, konnten nicht zu mir durchdringen. Ich funktionierte weiterhin, mit der Zeit ein wenig besser, um den Schein eines Erfolges zu erwecken. Ich wollte, dass sie sich beruhigt einer anderen Aufgabe zuwandten. Eine kleine Lüge im Vergleich zu der Last, welche sie sich sonst aufgebürdet hätten. Meine Hülle funktionierte über all die Jahre bis zum heutigen Tag, doch mit Inhalt vermochte ich sie nie wieder zu füllen. Kein zweites Mal wollte ich einen Menschen enttäuschen.

Und so enttäuschtest du viele Menschen.

Seine Mörder wurden nie für das bestraft, was sie getan hatten. Man konnte ihnen nichts nachweisen, da ich zu einer Aussage nicht bereit war. Nicht bereit trifft es wohl nicht ganz. Natürlich wäre ich bereit gewesen, ihm diesen letzten Dienst zu tun, wenn ich meine Umwelt wahrgenommen hätte. Doch mir waren die Worte, die an mich gerichtet wurden, einerlei, sodass ich erst viel später von meiner zweiten Flucht erfuhr. Ich hatte ihn auch dabei im Stich gelassen. Ich war es, der ihn sterben ließ und der dafür sorgte, dass sein Tod ungesühnt blieb. Doch der zweite Verrat wog bereits nicht mehr so schwer wie der erste.

Und immer noch gibst du dir die Schuld dafür.

Irgendwann machte ich mich selbst auf die Suche nach denen, die mir alles genommen hatten. Ich wollte meine Fehler wieder gut machen, mein Gewand von der Sünde reinwaschen. Sie zu finden war keine Schwierigkeit, denn meine Hülle hatte in den Jahren zwischen der Nacht und meiner Suche gut funktioniert. Ich fand schnell alle gewünschten Informationen und stand alsbald vor ihren Häusern, und doch erhob ich nicht die Hand. Ich forderte nicht Blut für Blut, sondern ging wieder.

Und immer noch verwechselst du Gnade und Schwäche.

Deine Eltern haben mir meine Schwäche verziehen. Sie behandelten mich weiter wie einen zweiten Sohn, doch all das habe ich nicht verdient. Ich stand hier als man dich der Erde übergab und hörte die Worte eines fremden Mannes, verstand seine Frage und wusste als einziger die Antwort. Während er von einem Unglück sprach, wusste ich, dass ich dieses Unglück war, welches über dich hereingebrochen war. Ich fand auch an diesem Tag keine Tränen, um dich zu betrauern, denn dieses Recht hatte ich in jener einen Nacht verwirkt.

Und ich spüre jede einzelne deiner Tränen die, obschon nicht vergossen, doch meine Haut berührt haben.

Jedes Jahr seit dieser Nacht stehe ich an diesem Abend hier und schaue mir den Himmel an.

Und jedes Jahr seit dieser Nacht zerreiße ich die Wolken und schaue in dein Antlitz, doch du siehst mich nicht. Jedes Jahr in dieser Nacht stehe ich hier und harre deiner Anklage, doch du sprichst sie nicht aus. Und jedes Jahr spreche ich dich von aller Schuld frei, doch du erhörst mich nicht.

Warum nur konnte ich nicht in dieser Nacht zu dir stehen, ein einziges Mal nur?

...

Wieso?

...

Was ist eine Liebe eines Menschen wert, der zu feige ist, sich seinen Feinden zu stellen, der lieber flüchtet als zu kämpfen?

Alles. Denn du warst alles für mich. Du bist alles für mich. Jeden Tag würde ich wieder für dich in den Tod gehen, so es dich retten könnte. Und wenn du mich verraten hast, dann nicht in jener Nacht, in jener Stunde, in jenem Augenblick. Nein. Wenn, dann hast du das an all den Tagen seitdem getan, an denen du dich geweigert hast, zu leben, die von dir gestoßen hast, die dir einen neuen Anfang schenken wollten, in dem ein Teil von uns weitergelebt hätte.

Warum hast du das getan? Warum hast du sie dich töten lassen?

Du weißt es. Ich weiß es. Ich wäre an jenem Abend so oder so gestorben. Es war der leichtere Tod, denn ich wusste, nein ich hoffte, dass du die Kraft zum leben würdest finden können.

Aber du hast dich getäuscht.

Ja, das habe ich. Doch bedaure ich keineswegs meine Wahl. Vielmehr betrübt es mich, zu sehen, welche Bürde ich dir aufgelastet habe. Vielmehr die Bürde, die du dir auferlegt hast, weil ich dich leben sehen wollte.

Wieso hast du nicht früher schon etwas zu mir gesagt?

Weil es nicht möglich war, bis jetzt. Doch wenn du mir verzeihen kannst, dann lass uns von nun an unseren Weg wieder gemeinsam gehen.

Ich, dir verzeihen? Es gibt nichts zu verzeihen. Das wissen wir beide... inzwischen.

Kannst du dich noch an den Tag erinnern?

Jede Einzelheit!

Erzähl mir davon. Bitte.

Sie wussten es alle, wir hatten es ihnen ja auch gesagt. Du hattest es ihnen gesagt, während ich beinahe gestorben wäre vor Angst, doch meine Sorge war unbegründet, denn die, auf die es uns ankam, verstanden, was wir ihnen anvertrauten und freuten sich für uns.

Der Tag begann, wie der vorherige sein Ende gefunden hatte. Die ersten Strahlen der Sonne kitzelten meine Nase und ich war froh darum, denn so konnte ich dir beim Schlafen zusehen. Immer, wenn du geschlafen hast, hattest du diesen Ausdruck im Gesicht. Ich kann ihn nicht beschreiben, denn er war so vieles und nichts zugleich. Er war einfach du. Ohne die Maske, die du tagsüber, wie jeder andere auch, aufgesetzt hast, um nicht verletzbar zu sein. Denn wir beide wussten, dass es außerhalb unserer kleinen schönen Welt hohe Klippen und wilde Brandungen gab, die unser kleines Boot zu zerschmettern suchten.

Doch an diesem Tag war von alledem nichts zu spüren. Zuerst hast du deine Nase gerümpft, bevor du deine Augen zusammengekniffen und mich schließlich angeknurrt hast. Deine Nase war eben schon immer sehr empfindlich und im gleichen Maß, wie ich es liebte, dir selbige mit meinen Fingerspitzen entlang zu fahren, bekamst du immer kleine Niesanfälle. Ich wusste dein Knurren richtig zu deuten und besänftigte dich sofort, indem ich meine Finger wandern ließ und sie schließlich auf deinem Mund zum liegen kamen. Du hast zugebissen... wie an allen den Morgen, die diesem vorangegangen waren.

Das Frühstück verlief wie immer reichlich hektisch. Natürlich mussten noch einmal die Pläne für den heutigen Tag durchgesprochen werden, doch davon bekamen wir nichts mit, denn wir hatten ja unsere eigenen Pläne geschmiedet. Zuerst folgten wir den anderen noch auf der Besichtigungstour durch eines der vielen Museen. Doch sobald sich die passende Gelegenheit erboten hatte, hatten wir uns auch schon zusammen abgesetzt. Wir hatten sie vorher informiert, also würde unser Fehlen vorerst möglichst gut versteckt werden, sodass wir endlich unserem Traum folgen konnten. Es war nur ein kleiner. Wir wollten die Stadt zusammen erkunden, befreit von jeglichen Zwängen, nur unseren eigenen Wünschen unterworfen. Es schien, als wären wir bereits seit Jahrhunderten zusammen, so sehr abgestimmt war eine Bewegung, eine Geste auf die andere. Es schien, als wären wir gerade erst den Brüsten unserer Mütter entwachsen, so ungestüm ließen wir unseren Gefühlen freien Lauf. Die Stadt engte uns zum ersten Mal nicht mehr ein. Sie offenbarte uns ihr Herz und wir fühlten es.

Du wolltest das andere Ende der Stadt erkunden und ich hatte mir bereits eine Route dafür ausgesucht. Deine Augen leuchteten, als wir uns endlich auf den Weg machten. Du warst unendlich glücklich, alt, weise, jung und ungestüm in diesem einen Augenblick, in dem ich dich von der Seite betrachten konnte, bevor du mir den Atem geraubt hast. Ich kann diesen Kuss noch bis heute auf meinen Lippen spüren, denn es war unser letzter.

Der Bus brachte uns nicht dahin, wo wir eigentlich hin wollten. Er brachte uns in ein heruntergekommenes Viertel, in dem weit und breit nichts von dem zu finden war, was wir zu finden hofften. Wir trafen auf eine Gruppe von Männern, die sich offenbar an uns störten. Doch statt auf dich zu hören und einfach zu verschwinden, konnte ich mein Mundwerk wieder einmal nicht im Zaum halten und zahlte ihnen ihre Worte mit gleicher Münze heim... Sie verfolgten uns, und obwohl wir uns redlich bemühten, sie abzuschütteln, gelang es uns keineswegs. Du hast vorgeschlagen, dass wir uns besser trennen sollten, damit wir eine Chance hätten, ihnen zu entkommen und ich habe dir vertraut. Deine Augen waren in diesem Moment so vollkommen anders, so unerbittlich... Sie haben dich erwischt. Ich habe es mitbekommen und doch bin ich weitergerannt. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen. Ich wollte umkehren, doch meine Beine ließen mich nicht. Ich habe dich im Stich gelassen.

Du hast mich an diesem Morgen wie an so vielen davor geweckt, indem du mir sanft über meine Nase gefahren bist. Ich habe es wie an jedem anderen Morgen genossen und dir vorgegaukelt, dass es mir missfallen würde, damit du dich noch mehr anstrengen würdest um mich sanft zu wecken. Und wie an all den vorangegangenen Morgenstunden hast du es auch in diesen verstanden, mich noch schöner zu wecken als vorher. Deine Augen waren es, die mir stets meine Stärke gegeben haben. Du kannst dir nicht vorstellen, welche Wärme von ihnen ausging in den Momenten, in denen du es am wenigsten erwartet hättest. Ich musste dich wegschicken, denn das durfte nicht verloren gehen. Es war Pech, dass sie mich doch noch erwischt haben, aber es war nicht so schlimm, wie es gewesen wäre, wenn du an meiner Stelle gewesen wärst. Es war gut so und ich würde es immer wieder so tun.

18

Warum sieht mein Zimmer eigentlich ständig so aus, als ob vor kurzem die Welt untergegangen wäre? Kann mir das vielleicht mal jemand erklären? Ich räume doch schon jedes halbe Jahr einmal auf und dennoch hält mich jeder, den ich zum ersten Mal in mein Zimmer lasse, wahrscheinlich für einen kleinen Messi. Dabei sammle ich noch nicht einmal übermäßig viel irgendwelche Sachen, es wird einfach ohne mein Zutun immer mehr. Gut, inzwischen sieht es wieder halbwegs ordentlich aus, man kann den Teppich erkennen und auch ohne Angst haben zu müssen, gegen etwas zu treten, ein paar Schritte im Dunkeln durch mein Zimmer wagen. Das Ganze hat mich allerdings auch drei wertvolle Stunden meines Lebens gekostet und die habe ich eben nur dafür gebraucht, den Fußboden freizuschaufeln. Was alles in meinen Schränken auf eine putzende Hand wartet, möchte ich überhaupt nicht wissen. Deshalb bleiben sie vorerst auch zu, denn das heute auch noch zu bewältigen, dafür fehlen mir eindeutig die Zeit und die Lust.

Gut, vielleicht hätte ich ja ein Stündchen oder auch fünf eher aufstehen können. Aber, wenn man die halbe Nacht wach liegt und sich irgendwelche Gedanken macht oder irgendwelchen wirren Nonsens träumt, dann kann es schon einmal vorkommen, dass man ein klein wenig länger als sonst im Bett liegen bleibt. Das Fatale daran ist allerdings, dass ich nicht wirklich zu einem Ergebnis gekommen bin. Ich werde aus dem Typen einfach nicht schlau. Er hat mir ja einerseits ziemlich viel verraten, um genau zu sein, soviel, wie man sonst eigentlich nur einem sehr guten Freund erzählt. Ich bin ehrlich gesagt auch ziemlich stolz, nein, das trifft es nicht, vielmehr bin ich ziemlich glücklich, dass er mir inzwischen so sehr vertraut. Andererseits hatte und habe ich noch immer das Gefühl, dass er irgendetwas vor mir verheimlicht. Anders gesagt, er will mir nicht verraten, warum er zur Zeit so schlecht drauf ist und dabei bin ich mir sicher, dass ich der Auslöser für sein momentanes Tief bin. Und, sind wir doch einmal ehrlich, was bitte könnte schon so schlimm, abschreckend oder weiß der Geier was sein, dass er sich nicht traut, es mir zu erzählen? Zumal die wirklich komischen, beziehungsweise peinlichen Sachen ja einfach mal wegfallen. Seine Eltern sind weder Aliens, noch Geheimagenten. Er kann nicht in Lara verliebt sein, weil er ja nicht auf Mädchen abfährt. Dass er in mich verschossen ist, ist ungefähr ähnlich wahrscheinlich, weil, schließlich bin ich ich. Vielleicht hat es ja doch nichts mit mir zu tun, sondern mit jemand anderem. Es könnte ja zum Beispiel auch sein, dass er sich tierisch in Jojo verschossen hat, der da aber nichts mehr als eine Freundschaft will.

Irgendwann treibt mich dieses Gefühlsblabla noch in den Wahnsinn, ich sehe das schon sehr deutlich kommen. Aber jetzt sollte ich mich erst einmal um die weitere Tages- und Abendplanung kümmern.

Es bleibt ja sowieso erst einmal abzuwarten, was er von unserem Plan hält. Gestern hat er mich ja völlig entgeistert angeschaut, als ich ihm von unserem Plan in Kenntnis gesetzt habe. Wenigstens hat er zugesagt, bevor er sich dann doch etwas sehr hastig aus meinem Zimmer verabschiedete. Ich hoffe nur, dass er nicht wieder irgendwie ausflippt, denn gestern hat mir in der Hinsicht für die nächste Zeit eigentlich vollkommen ausgereicht. Na gut, vergleichen kann man die beiden Situationen zwar nicht wirklich, aber nun ja, ich hätte auch gestern nicht mit einer derartigen Reaktion gerechnet, als ich ihn zum Reden bringen wollte. Von daher ist es ja wohl erlaubt, sich schon vorher ein klein wenig Sorgen zu machen, denn Vorsicht ist ja bekanntlich besser als Nachtschicht. Deshalb habe ich nach einer kurzen Diskussion mit mir beschlossen, dass Peter erst einmal nichts Konkretes vom Abendprogramm erfährt und ich ihm im Zweifelsfalle eine kleine Notlüge auftischen werde.

Jojo jedenfalls war von meiner Idee hellauf begeistert. Und als ich ihn gefragt habe, was man denn da überhaupt so unternehmen könne, wollte er gar nicht mehr damit aufhören, mir hiervon zu erzählen und davon vorzuschwärmen. Nach einer halben Stunde war ich felsenfest davon überzeugt, dass mir die Ohren gleich abfallen würden. Deshalb habe ich kurzerhand die Kriterien für unseren Abend festgelegt. Billig soll es möglichst sein, denn wir sind ja noch Schüler. Laute und gute Musik soll vorhanden sein, denn wir sind ja in unserem Alter noch mobil und bewegen uns ab und an sehr gern. Besser gesagt, Lara tanzt für ihr Leben gern und meinem eigenen Leben zu liebe tanze ich inzwischen auch gerne. Außerdem soll möglichst viel los sein, denn wir haben ja ein bestimmtes Ziel.

Auf meine beiläufig eingestreute Frage, warum denn eigentlich nie etwas zwischen Jojo und Peter passiert wäre, verstummte mein bis dato sehr gesprächiger Gesprächspartner am anderen Ende der Gesprächsübermittlungsanlage dann plötzlich für eine geschlagene Minute. Da musste jemand ja scheinbar ziemlich lange nach einer Antwort suchen, denn erst nach meiner dritten Nachfrage, ob denn noch jemand am Apparat wäre, antwortete mir Jojo auf meine Frage. Er sagte, dass sich zwischen den beiden nie etwas entwickelt hatte, weil Jojo von Anfang an klar gewesen war, dass Peter nur freundschaftliche Gefühle für ihn empfunden hat. Damit fiel der Gedanke, dass zwischen den beiden irgendetwas im Busche wäre, ja schon einmal flach. Und wenn Lara in dem Moment neben mir gestanden hätte, dann wäre mir eine saftige Kopfnuss ziemlich sicher gewesen. Ich hatte nämlich scheinbar mal wieder volle Kanne ein Fettnäpfchen mitgenommen und sogar ein ziemlich großes, denn Jojos bis dahin sehr gute Laune schien irgendwie kolossal abgesoffen zu sein, weswegen wir das Gespräch dann auch schnellstmöglich beendeten.

Aber noch in einer anderen Sache konnte mir Jojo meine Sorgen nehmen, denn er war sich ziemlich sicher, dass Peter noch nie da gewesen wäre und die Überraschung somit erst im letzten Moment riechen würde. Im gleichen Maß war Jojo davon überzeugt, dass es ihm gefallen würde. Es stellte sich hierbei zwar noch die in Ansätzen entscheidende Frage, ob wir denn überhaupt hereingelassen werden würden, weil es ja noch ein Weilchen dauern würde, bis wir als volljährig galten, aber auch um dieses Problem wollte sich Jojo kümmern. Er meinte nur, dass er da jemanden kennen würde, der wiederum den Bekannten eines Bekannten kennen würde, der da etwas regeln könnte. Da ich schon nach dem ersten „kennen“, geistig ausgestiegen war, murmelte ich nur kurz etwas Zustimmendes in den Telefonhörer, bevor wir zum nächsten Thema übergingen.

Lara wiederum fand meine Idee vollkommen behämmert und das sagte sie mir auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie konnte und wollte es einfach nicht verstehen, warum ich mich da überhaupt einmischte, da es doch schließlich Peters Leben wäre und er selbst als einziger seines Glückes Schmied sein könnte. Immer das Gleiche. Frauen und ihre weisen Sprüche, die sie letztlich auch nur von irgendeinem Kalender geklaut haben. Natürlich hatte sie schon ein wenig Recht damit, dennoch hielt ich an meinen Plan fest. Schließlich ist er mein bester Freund und ich habe keine Lust, mir das noch länger mit anschauen, wie er so zombiemäßig durch die Straßen geistert. Er muss einfach nur endlich einen netten Typen kennen lernen und dann wird sich der Rest schon finden.

Nach unserem gestrigen Gespräch bin ich vollkommen sicher, dass es so das Beste ist und auch Lara hat es inzwischen wohl eingesehen, obwohl wir uns deswegen ziemlich in der Wolle hatten. Nun gut, um der Wahrheit Genüge zu tun, muss ich zugeben, dass ich ihr nicht wirklich eine andere Wahl gelassen habe und auch nicht wollte.

Wir treffen uns dann mit ihr und Jojo am Nudelturm, um erst einmal ein klein wenig vorzufeiern, schließlich will ich da nicht nüchtern auftauchen. Es ist ja in dem Sinne auch mein erstes Mal und da hat ja wohl jeder im Vorfeld ein klein wenig die Hosen voll.

Oh, da fällt mir ein, dass er in zehn Minuten dann auch langsam bei mir eintrudeln dürfte. Und auch, wenn es für ihn zugegebenermaßen ein ganz, ganz kleiner Umweg ist, habe ich ihn so wenigstens gleich unter meiner Kontrolle. Ach, und da ich bisher noch immer nicht die Kunst des Zeitanhaltens beherrsche, sollte ich wohl demnächst auch langsam mal unter der Dusche hervorkommen.

Verflixte Klingel! Warum gerade jetzt? Ich bin doch fast fertig und außer mir ist natürlich auch niemand mehr im Haus. Wieso müssen die drei gerade heute ins Kino gehen, wenn es einmal im falschen Moment klingelt und ich, fantastischer Weise nur mit einem Handtuch bewaffnet, zur Türe flitzen darf, weil ich genau weiß, wer da klingelt. Sonst hätte ich mich nämlich freiwillig keinen Millimeter unter der Dusche wegbewegt. Wie sieht das denn auch aus, so völlig nass, mit Schaum in den Haaren, die Türe zu öffnen? Vollkommen bescheuert! Und das fand auch Peter, wenn ich sein einschlafendes Gesicht richtig gedeutet habe.

In letzter Zeit macht der mich sowieso ganz langsam kirre, denn ich kassiere andauernd irgendwelche Blicke von ihm. Gerade eben, als er sich vom ersten Schrecken erholt hatte, dachte ich für einen Moment er würde mir gleich ins Gesicht springen, so wie er mich angestarrt hat. Aber wenn man es sich dann unerhörter Weise erlaubt einmal nachzufragen, bekommt man logischerweise nur eine Alibiantwort ins Gesicht geknallt, von der sowieso beide Seiten wissen, dass sie nicht der Wahrheit entspricht. Da könnte ich echt Radieschen säen, vor lauter Spaß an der Freude.

So, nun ist aber erst einmal Schluss mit aufregen. Die Hauptsache ist, dass er jetzt endlich da ist, denn ich weiß überhaupt nicht, was ich anziehen soll, und wozu hat man denn sonst einen schwulen besten Freund, wenn nicht für Klamottenfragen. Außerdem finde ich, er könnte sich auch noch etwas anderes anziehen, schließlich wollen wir ihm ja heute Abend noch etwas finden, obwohl, das weiß er ja gar nicht. Na macht nichts, ich bekomme meinen Willen schon irgendwie durchgesetzt.

Gut, wir haben eine geschlagene halbe Stunde Kampf und Diskussion, Beurteilen und Verwerfen, „Ja“ sagen und sich dann doch anders entscheiden, hinter uns. Aber es hat sich gelohnt, denn jetzt haben wir es. Perfekt hergerichtet und auch nur höchstens zehn oder vielleicht auch zwanzig Minuten zu spät, sind wir nun wenigstens schon mal auf dem Weg zum Treffpunkt. Lara kennt das zum Glück nicht anders von mir und wird sich wohl außer mit einem dummen Kommentar größtenteils zurückhalten. Es tut mir ja auch Leid, aber ich bin wohl grundsätzlich unfähig, eine einmal verabredete Zeit einzuhalten. Ich komme einfach immer zu spät, wenn ich nicht mal ausnahmsweise zu früh da bin. Aber solche Ausnahmen gibt es zum Glück nur ganz, ganz selten. Die Hauptsache ist jetzt erst einmal, dass sich Peter und Lara auch verstehen, sonst kann ich mich einsargen lassen.

Gebt mir Nägel, gebt mir Nägel! Ganz Klasse. Wirklich. Wenn er glaubt, dass ich den Blick in Laras Richtung nicht mitbekommen habe, muss er mich wahrlich für einen Blindfisch halten, obwohl, dem Mörderblick wäre sogar ein Blinder ausgewichen. Zum Glück hat Lara nichts mitbekommen, weil sie sich gerade angeregt mit Jojo unterhalten und nicht in unsere Richtung gesehen hat. Das kann dann ja heiter werden, wenn die beiden aufeinander treffen. Ich glaube, ich trinke heute viele hochprozentige Sachen, dann stört mich das spritzende Blut wenigstens nicht mehr so sehr.

Jojo und Lara haben uns immer noch nicht bemerkt, die scheinen ja wirklich ein interessantes Gespräch zu führen und mir wird doch glatt ein wenig komisch. Ich würde da ja nur zu gerne jetzt ein wenig Mäuschen spielen, aber dafür bräuchte ich wohl entweder Ohren so groß wie Pizzateller oder an jedem Ohr eine Fledermaus, zusammen mit dem notwendigen und alles entscheidenden Fledermauskommunikationsübersetzungsgerät. Da ich leider weder das eine, noch das andere auf die Schnelle auftreiben kann, werde ich Lara später, in der Hoffnung, zur Abwechslung einmal eine ehrliche Antwort zu bekommen, fragen, worüber sie denn so angeregt mit Jojo debattiert hat. Obwohl, blaue Osterhasen hat es ja bisher auch noch nie geregnet, oder?

Zum Glück hat sich der Herr neben mir inzwischen wenigstens etwas zusammengerissen, sonst gäbe es heute definitiv noch ein umfassendes und gar grauseliges Blutbad zu bestaunen. Das erinnert mich gerade an diesen einen Film. Da haben so einzelne Leute erst etwas getrunken und sind dann plötzlich, zusammen mit dem restlichen Restaurant oder der restlichen Büroetage, ganz einfach so in die Luft geflogen.

Ja, auch ich frage mich gerade, welchen Zusammenhang mir mein Hirn mit diesem Beispiel verdeutlichen wollte, aber natürlich komme ich nicht darauf. Oh Moment, es fällt mir doch ein. Das Szenario von eben ist ungefähr genauso erstrebenswert, wie mitzuerleben, was passiert, wenn Lara schlechte Laune bekommt. Da gehe ich noch lieber surfen. So, wie der eine in diesem einen Film, wo er surfen sollte, während die Soldaten den Strand noch gar nicht gesichert hatten und überall Zeugs explodiert ist. Ja, genau das würde ich machen, denn da überlebt man noch eher, als bei einem von Laras Ausrastern. Kinder, Kinder ich könnte euch da Geschichten erzählen und euch meine alten Kriegsverletzungen zeigen... Na ja, vielleicht ein anderes Mal. Sind das jetzt schon die ersten Anzeichen aufkeimenden Wahnsinns? Weil, getrunken habe ich ja nicht und normalerweise denke ich auch nicht so einen Stuss. Ich werde mir wohl wirklich demnächst mal neue Freunde suchen, sonst hab ich bald einen weißen Anzug an.

Ich habe tatsächlich die erste Viertelstunde überlebt und man mag es kaum glauben, sogar wir alle vier sind noch unter den Lebenden. Ich hatte da anfänglich so meine Zweifel, aber da habe ich wohl die sozialen Kompetenzen aller Anwesenden unterschätzt. So etwas ist nämlich total wichtig, um sich nicht gleich an die Gurgel zu springen, wenn man einen kleinen Disput miteinander hat, sondern das Ganze stattdessen erst einmal vernünftig ausdiskutiert. Das habe ich jedenfalls irgendwann mal irgendwo gelesen.

In Wirklichkeit bin ich unendlich, und wenn ich das so sage, meine ich das auch so, wirklich unendlich froh, dass Jojo da ist. Die beiden hätten sich sonst nämlich schon lange gegenseitig massakriert. Denn, wenn ich die Blicke, die bisher zwischen Lara und Peter hin- und hergeflogen sind auch nur im Ansatz richtig gedeutet habe, kann ich nur hoffen, dass in unseren Getränken auch weiterhin weder Löffel, noch Partyschirmchen, noch sonst etwas in Ansätzen Spitzes zu finden sein wird, weil es sonst heute wohl noch ‚Bloody Mary’, und zwar live und in Farbe, geben wird. Ansonsten konnten wir sie ja bisher noch mit der Taktik - ich den, du den - ziemlich gut im Zaum halten. Hoffen wir mal, dass das auch weiterhin so klappt. Und, mal ganz ehrlich: Wenn die beiden mir den heutigen Abend versauen, dann kracht’s im Gebälk, aber mörderisch.

Ich glaube, ich möchte wieder wie früher keine richtigen Freunde haben, das ist nämlich bei weitem nicht so anstrengend. Obwohl, die Aussage streiche ich doch wieder, weil, die Folge wäre ja, dass mir wieder ständig langweilig wäre, weil ich nichts zu tun habe außer Fernsehen und Internet und Schule und Hausaufgaben und meinem späteren Leben planen. Was für eine grässliche Vorstellung. Also werde ich vorerst doch weiterhin der Gefahr meines nahenden Wahnsinns wie ein Mann ins Auge blicken.

Und davon mal ganz abgesehen. Eigentlich sind wir ja hier, um Peter mal wieder auf andere Gedanken zu bringen und nicht um meiner eigenen Bespaßung Willen.

Das hat doch auch geklappt. Statt sich selbst umbringen zu wollen, will er jetzt Lara ans Leder.

Womit habe ich dich eigentlich verdient?

Vielleicht mit deiner liebenswürdigen Art?

Lass dich im Magen verdauen!

Lern dir die Schuhe allein zuzubinden!

Zieh in meinen Dickdarm!

Kauf dir mal ein neues Deo!

Steck dir den Arm in den Mund!

...

„Flo… hallo Flo!“

„Ja?”

„Wir wollten dann langsam weiter. Hast du was dagegen?“

„Nein, nein gute Idee Jojo. Ich war bloß gerade etwas in Gedanken. Wo sind eigentlich die anderen beiden?“

„Peter ist vor zwei Minuten aufs Klo und Lara ist ihm kurz darauf hinterher.“

„Oh verdammt. Das gibt Tote.“

„Macht nichts, dann kannst du dich endlich in mich verlieben.“

Witz, komm’ raus, du bist umzingelt. Den hätte er sich wirklich sparen können. Trotzdem ist es irgendwie ein komisches Gefühl, die beiden so unbeaufsichtigt in die Nähe des jeweils anderen zu lassen. Kann man eigentlich mit einer Klopapierrolle erdrosselt werden? Kann man an Seife ersticken? Nun ja, das werde ich wahrscheinlich nie herausbekommen oder besser gesagt erst nach dem Lesen des Polizeiberichtes erfahren, denn auch, wenn die beiden schon zehn Minuten verschwunden sind, werde ich den Teufel tun, da einfach einmal nachzuschauen. Schließlich hänge ich ein klein wenig an meinem Leben. Und sollte irgendetwas passieren, wird schon ein couragierter Kneipengast die Polizei holen. Das gibt sicher eine tolle Schlagzeile... Freundin von Freund erwürgt besten Freund von Freund, weil bester Freund auf Freundin von Freund sauer ist, ohne, dass Freund sich erklären kann, wieso... oder so ähnlich. Na ja, abwarten, denn, wie heißt es so schön? Am Ende kackt die Ente.

Außerdem saß Jojo ja immer noch an meiner Seite, und nachdem wir uns eine neue Runde Getränke bestellt hatten, füllten wir die nächste Stunde mit mehr oder weniger geistreichem Smalltalk. Auf seine zwischendurch gestellte Frage, ob wir denn nicht einmal nach den beiden sehen wollten, antwortete ich einfach, dass die beiden sich sicherlich nur unterhalten würden und wir da besser nicht stören sollten. Nachdem uns dann allerdings irgendwann doch der Stoff ausgegangen war, die beiden immer noch vom Erdboden verschwunden waren und Jojo anfing, irgendetwas von einem Lawinenhund zu faseln, machte ich mich doch mal auf die Suche nach den Verschollenen.

Da, wo ich die zwei eigentlich vermutet hatte, nämlich auf dem Weg zwischen unseren Sitzplätzen und der Toilette, fand ich sie jedoch nicht. Das schränkte die Zahl der Möglichkeiten dann doch ziemlich ein. Denn, obwohl die Bar durchaus gut besucht war, war sie bei weitem nicht so groß, dass ich die beiden hätte übersehen können. Grob gesagt, blieb mir also nur noch die Möglichkeit, die Toiletten zu durchstöbern, allerdings war es eher unwahrscheinlich, dass Lara Peter heruntergespült hatte. Oder aber ich begab mich unverrichteter Dinge wieder zurück zu unserem Platz und hoffte auf ein Wunder.

Da ich auch nach noch intensiverem Überblicken des anwesenden Publikums keinen der zwei Gesuchten ausmachen konnte, wählte ich notgedrungen die dritte Möglichkeit und stiefelte zur Tür. Und tatsächlich, hier draußen waren die beiden. Lara sitzend, rauchend und zuhörend und Peter stehend beziehungsweise herumlaufend und redend, besser gesagt mit meinem Erscheinen plötzlich stockend und seinen Satz mitten im Wort abbrechend. Ich liebe diese Momente. Man platzt irgendwo rein und weiß genau, dass man bis eben das Thema war. Trotzdem, auch, wenn man einen vierfachen Salto hinlegen würde, würde man kein Sterbenswörtchen erfahren. Also sparte ich mir die Gymnastikeinlage und brachte stattdessen lieber gleich mein Anliegen zur Sprache.

„Wir wollten dann eigentlich langsam weiterziehen, wenn ihr nichts dagegen habt.“

„Geht klar. Könnt ihr unsere Jacken bitte mitbringen, wir warten gleich hier draußen.“ Hallo! Ich bin’s, euer Packesel. Gebt mir eine Möhre und ich trage euch eure Sachen bis Timbuktu.

„Ja, kein Problem.“

Während Jojo unsere Rechnung am Tresen beglich, belud ich mich mit den vorhandenen Kleidungsstücken und versuchte alles, mehr oder minder unfallfrei, nach draußen zu bekommen. Keine zehn Minuten später erwischten wir pünktlich die, von uns angepeilte, Straßenbahn und der zweite Teil des Bespaßungsprogramms konnte beginnen.

Wenn er etwas von unserem Ziel ahnte, dann ließ er sich nichts anmerken, und, dass er nichts geahnt hatte, machte mir sein Blick, als er das erste kleine Ankündigungsplakat entdeckte, deutlich. Während ich noch überlegte, welcher der schnellste und erfolgsversprechendste Fluchtweg war, fing Lara erst einmal herzlich an, sich über Peters entgleisende Gesichtszüge zu amüsieren. Ein wenig hektischer noch als vorher entschied ich mich geistesgegenwärtig für den Weg durch das Dickicht zu meiner Linken.

Der Vulkan brach allerdings nicht aus, sondern fiel plötzlich in Laras Lachen mit ein. Die beiden hatten sich anscheinend vorhin auf der Toilette der Kneipe so lange gewürgt, dass immer noch ein bisschen zu wenig Luft im Gehirn ankam. Moment mal. Die beiden hatten sich vorhin unterhalten oder vielmehr Peter hatte irgendetwas erzählt. Hatten die beiden sich etwa doch noch angefreundet? Das wäre ja fantastisch. Nein, ich glaube den Satz streiche ich. Das wäre meine persönliche Hölle auf Erden. Für immer und ewig in der Unterzahl. Zwei gegen einen ist toll, aber nicht, wenn man immer der ist, der überstimmt wird. Verdammte Demokratie. Ich will der Zar sein. Ich will, ich will, ich will!

Nachdem unsere beiden Endorphinjunkies schließlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgekehrt waren, gingen wir dann weiter und bestaunten erst einmal die lange Schlange vor dem Eingang. Das konnte doch wohl echt nicht wahr sein. Hatten die denn alle kein Zuhause? Also wirklich, da kommt man nichtsahnend zu einer Veranstaltung und dann steht da die halbe Stadt vor der Tür. Nach einer schier unendlich scheinenden Wartezeit von mindestens fünfzehn Minuten waren wir aber endlich an der Reihe.

Halleluja, preiset den Jojo. Der hat es nämlich wirklich hinbekommen, dass wir ins Innere des Tanztempels dürfen. Er hat nur kurz mit einem der Menschen hinter der Kasse geredet und schwupp die wupp, durften wir nach dem Geld-gegen-Stempel-Tausch die heiligen Hallen betreten. Gut, heilig ist ein wenig übertrieben, aber man ist ja ab und zu etwas überschwänglich.

Die Jacken sind wir ziemlich schnell losgeworden und nachdem sich endlich einer der Menschen hinter oder besser gesagt vor der Bar unseres Getränkenotstandes angenommen hat, kann die Party endlich beginnen. Zu Beginn erst einmal kurz die Musik überall angetestet und bei zwei Mal gut und einem geht so, darf durchaus Vorfreude aufkommen.

Jojo hatten wir bereits nach fünf Minuten im Gewühl verloren, aber der ist ja schon groß und fand sich wohl auch ohne unsere Hilfe hier zurecht. Also machten wir uns zu dritt an die weitere Erkundung der Location und nachdem wir die Sofas gefunden hatten, war erst einmal klar, wo wir uns die nächsten Minuten aufhalten würden.

Hier war auch wieder eine Unterhaltung ohne ständiges Brüllen und wildes Gestikulieren möglich und während ich mir die Umgebung noch ein wenig genauer besah, hatten die zwei Tratschtanten neben mir schon wieder die Köpfe zusammengesteckt und tuschelten ganz leise. Das hatten wir doch vorhin schon. Vielleicht sollte ich die zwei einfach alleine sitzen lassen und mich eine Weile als Einzelkämpfer durchschlagen. Obwohl, ob das so eine gute Idee ist? Ich fühle mich nämlich jetzt schon total beobachtet und überhaupt, wenn ich alleine unterwegs bin, wird das bestimmt noch komischer. Ach was soll’s. Frau und Frau Elster werden mein Fehlen sowieso nicht bemerken und auf fünftes Rad hab ich auch keine Lust. Wird schon nichts passieren.

Also so hätte ich mir das Ganze nicht wirklich vorgestellt. Eigentlich eher viel mehr Klischee und so. Na gut Klischee ist hier auch reichlich vertreten, aber ich glaube das gehört auch dazu. Trotzdem sind viele Leute hier, denen man das überhaupt nicht ansieht und bei manchen ist es auch definitiv sicher, dass sie es nicht sind, weil sie ihren Freundinnen im Gesicht hängen, obwohl, so was ist ja heutzutage auch kein Beweis mehr. Im Grunde also eine ziemlich gute Party. Verschleppen oder begrapschen wollte mich bisher auch keiner, außer Jojo, der mich unbedingt ein paar Leuten vorstellen wollte. Die gehören dann aber definitiv zum Partyinventar, denn einige davon hatte ich schon auf den Fotos, die mir Jojo gezeigt hatte, gesehen. Und wenn ich mir wenigstens ab und an einmal ein paar Namen merken könnte, hätte ich mich sogar richtig mit ihnen unterhalten können, aber so habe ich mich dann nach ein paar Minuten zum weiterwandern entschieden, denn schließlich muss ich mal schauen, was Lara und Peter inzwischen so angestellt haben.

„Da könnte man ja fast neidisch auf dich sein, wenn man sieht, wer sich so alles für dich interessiert.“

Herzkasper! Wo ist es hin? Knie? Fuß? Fußboden? Alles wieder in Ordnung und Herz wieder am rechten Fleck. Was schleicht der Typ sich da von hinten an mich an und schreit mir ohne Vorwarnung ins Ohr? Klar, dass sich Lara deswegen gleich wegschmeißen muss, also kralle ich mir fix ihre Hand, um die Verhältnisse ein wenig klarzustellen. Man muss ja nichts provozieren und wir sind ja eigentlich auch hier, damit Peter endlich jemanden findet.

„Du musst quatschen. Nach dir drehen sich doch auch genug Typen um.“ Jetzt gibt’s gleich wieder Tomtaten.

„Das hab ich schon mitbekommen. Habt ihr mich eigentlich deswegen hier her geschleppt?“ Mist, der wird überhaupt nicht rot. Heutzutage kann man sich wirklich auf nichts mehr verlassen. Es ist zum Mäuse melken.

„Unter anderem. Aber grundsätzlich wollten wir mal wieder einen richtig schönen Abend verbringen und warum da nicht das Schöne mit dem Nützlichen verbinden?“

Und wieder so ein Blick. Dabei habe ich doch überhaupt nichts gemacht. Ich habe nur gesagt, wie es ist. Ja, ist es nicht super, gleich noch einen Blick kassiert. Vielleicht sollte ich mir mal ein neues Gesicht zulegen, könnte ja durchaus daran liegen. Für den Anfang reicht wohl erst einmal ein neues Getränk, dann wird die Welt nämlich wieder ein bisschen bunter.

Ich glaube, es ist inzwischen halb drei oder aber fünf Desperados nach zwölf, ist im Moment etwas schwierig festzustellen, weil irgendjemand am Haus wackelt. Eigentlich wollte ich ja überhaupt nicht soviel trinken, aber irgendwie musste ich ja den Abend hinter mich bringen. Mit Jojo war den gesamten Abend nichts anzufangen. Entweder, er sprang auf der Tanzfläche herum oder er traf mal wieder einen alten Bekannten, den er wohl ein Vierteljahrhundert nicht gesehen hatte. Lara ist schon seit drei Stunden wegen irgendetwas total sauer auf mich, will mir aber nicht verraten, was es ist. Das einzige, was ich von ihr zu hören bekomme, ist, dass ich mir die Frage ja wohl selber beantworten könnte. Da fällt mir wirklich nur noch eins ein: Weiber! Nie, aber wirklich nie bekommt man mal eine klare Antwort, wenn man sie haben möchte. Deshalb habe ich mich auch von den beiden abgesetzt, denn soviel schlechte Stimmung am Abend hält kein Mensch ab. Die könnten echt im Duett auftreten und mich 24 Stunden im Wechsel mit bösen Blicken bombardieren.

Im Moment bin ich aber scheinbar abgemeldet. Jedenfalls bei Peter. Der alte Schleicher, auch bekannt als mein neuer alter bester Freund, hat, ich glaube, jemanden an der Angel. Ich weiß zwar nicht so wirklich, was er an dem Typen findet... Gut, schlecht sieht er nicht aus. Anziehen kann er sich scheinbar auch, trotzdem finde ich, dass er die blöde Sonnenbrille auch schon beim Hereinkommen absetzen hätte können, schließlich scheint die Sonne nur sehr selten nachts um halb zwei. Aber nun gut, es geht ja schließlich um Peters und nicht um meinen Geschmack. Und über den lässt sich ja bekanntlich streiten, was alleine allerdings ziemlich langweilig ist und Lara wird mir wohl umgehend Prügel anbieten, wenn ich mit meinen Ansichten bei ihr hausieren gehe. Also lassen wir es dabei und gönnen ihm sein Glück und das, obwohl der Typ komisch ist.

Auf jeden Fall ist es durchaus lustig, zu beobachten, wie sich Peter anstellt. Der andere Typ scheint mir schon ein klein wenig Erfahrung in solchen Sachen zu haben, zumindest kommt mir das so vor. Die ersten versteckten Blicke, die er sofort abbricht und wegschaut, wenn ihn der andere auch anschaut. Das Ganze nach einigen Augenblicken von der anderen Seite wiederholt und gleich wieder Schlösser in die Luft gemalt. Irgendwie schon niedlich, wie er sich anstellt und vor allem schön, dass er endlich wieder lächelt. Vielleicht ist es ja doch der Richtige für ihn.

Fick dich!

Nur ein einziges Wort.

...

Das Spiel wäre wohl noch zwei Stunden weitergegangen, davon bin ich überzeugt, wenn sich Lara nicht irgendwann eingemischt und den Typen angequatscht hätte. So was kommt natürlich vollkommen beschissen rüber, vor allem in unserem Alter. Aber nachdem Peter endlich wieder eine halbwegs normale Gesichtsfarbe hatte, hat er es hinbekommen, in das Gespräch einzusteigen.

Es ist zwar nicht gerade die feine englische Art, sich in so ein Gespräch einzumischen, aber ich bin schon neugierig und will jetzt auch etwas über den Typen wissen. Schließlich muss ich ein bisschen auf meinen besten Freund aufpassen und... prompt stellt sich mir Lara in den Weg und mir ist alles klar. Sie hat immer noch oder schon wieder schlechte Laune, und, dass ich daran schuld bin, ist irgendwie auch klar. Demzufolge wundert es mich auch nicht, als sie mich von den beiden wegzieht, während sie auf mich einredet. Was sie genau sagt, bekomme ich nicht wirklich mit, denn irgendwie wirkt der Alkohol langsam ziemlich nach. Somit habe ich auch nichts dagegen einzuwenden, als wir uns nach einer ganz kurzen Verabschiedung auf den Weg nach Hause und Richtung Bett machen. Lara schnappt sich noch einmal kurz Jojo und verabschiedet sich wohl auch von ihm und dann geht’s endlich in Richtung Heimat.

Neuer Tag. Bestialische Kopfschmerzen. Wie ich diese Kombination liebe. Hätte mich denn nicht wenigstens einer meiner Freunde gestern vom Alkohol fernhalten können? Aber wozu gibt es Kopfschmerztabletten, wenn nicht für solche Situationen. Ich habe mir vor zwei Stunden schon zwei Stück in den Hals gestopft, die Wirkung lässt allerdings bisher noch zu wünschen übrig. Das wiederum wird wohl daran liegen, dass mir Lara seit einer geschlagenen Stunde eine Predigt sonders gleichen hält. Ich weiß gar nicht, wie ich dazu komme, aber irgendwie scheine ich sie wohl richtig auf die Palme gebracht zu haben.

Gut, inzwischen ist mir klar, was ich denn angeblich verbrochen habe. Dass ich das Ganze vollkommen anders sehe, hat Lara jedoch nicht wirklich interessiert, da konnte ich argumentieren, wie ich wollte. Als ich sie dann aber gefragt habe, wieso sie deswegen plötzlich so einen Terz macht und woher sie denn wisse, dass es eben nicht so ist, hat sie mir natürlich wieder keine klare Antwort geben wollen. Dafür meinte sie, mir etwas über weibliche Intuition erklären zu müssen, was meine arme Birne noch mehr als sowieso schon der Fall zum Rauchen brachte. Irgendwann haben wir es dann beide aufgegeben, den jeweils anderen als hoffnungslosen Fall abgestempelt und sind zum nächsten Thema übergegangen.

Gerade eben hat Peter angerufen. Ich sage nur: Wolke 7, und zwar ein ziemlich schwerer Fall davon. Sein neuer Angebeteter heißt Stan, also eigentlich Konstantin, aber Stan ist scheinbar viel cooler. Sei’s drum. Jeder hat ja so seine persönliche Vollmeise. Wo war ich stehen geblieben? Ach so, die beiden sind gestern noch bis zum Sonnenaufgang dageblieben und haben sich unterhalten, also zwischen dem Knutschen, dazu sind sie nämlich zeitnah übergegangen. Im Endeffekt bedeutet das wohl, dass sie den ganzen restlichen Abend einander den Sabber aus dem Mund gelutscht haben. Da jeder normale Mensch jedoch auch atmen muss, hat Peter in den kurzen Pausen wohl nebenbei noch so einiges über Stan herausbekommen. Der ist nämlich schon 19, macht gerade noch seinen Zivi in einem Krankenhaus und will danach irgendetwas in die Richtung Medizin studieren. Peter hat mir das zwar genau erklärt, aber man kennt das ja. Durchfeierte Nacht, viel zu wenig Schlaf und ständig klingelt das Telefon, wenn man den arg benötigten Schlaf gerade nachholen möchte. Da kann es dann durchaus einmal vorkommen, dass man die Hälfte des Textes vergisst. Ist aber im Grunde auch nicht wirklich tragisch, weil, wie Verliebte nun mal so sind, brauche ich einfach nur am Montag in der Schule noch einmal nachzufragen und bekomme alles erneut vorgebetet.

Es ist Montag und Konstantin ist toll. Konstantin hat Peter nämlich gestern noch zum Eis essen eingeladen. Danach sind die beiden ins Kino gegangen, aber welcher Film kam, konnte er mir nicht mehr sagen, da waren wohl andere Sachen wichtiger. So sind sie halt, die lieben Liebenden.

Es ist Dienstag und Konstantin ist toll. Heute nach der Schule hat er nämlich seinen Freund von der Schule abgeholt, mit dem ich eigentlich noch mal einen Kaffee trinken wollte. Da kann man dann aber nichts machen, wenn man plötzlich abgemeldet ist, deshalb habe ich mich einfach nach Hause verkrümelt und die Zwillinge bespaßt. Wenigstens die wussten meine Anwesenheit zu würdigen. Die beiden frisch Verliebten sind zwar auch was trinken gewesen, aber da hätte ich wohl nur gestört. Nun ja, ist ja eigentlich auch nicht so schlimm.

Es ist Mittwoch und Konstantin ist toll und außerdem geht mir Lara auf die Eier. Heute früh war Peter nicht in der Schule, weil er bei Konstantin übernachtet hat und ist erst zur dritten Stunde aufgetaucht. Was die beiden da getrieben haben, wollte ich eigentlich weder wissen noch erfragen, aber es wurde mir einfach so erzählt und mein blöder Mund hat zwischendurch ohne Rücksprache mit meinem Hirn einfach so Nachfragen gestellt. Außer ein bisschen dies und das soll aber nichts weiter vorgefallen sein. Gott sei Dank, weil, so genau hätte ich das dann auch nicht wissen wollen. Tja und am Nachmittag hatte Peter dann keine Zeit mehr, weil, na wer wohl, wieder am Schultor auf ihn gewartet hat. Aber ich war ja sowieso mit Lara verabredet, von daher alles kein Problem. Die Gute hat mir den Nachmittag dann allerdings gründlich verdorben, weil, das mit der Predigt ging von vorne los. Als ich ihr nach einer halben Stunde gesagt habe, sie soll sich da doch bitte nicht einmischen, hat sie mir ihre Cola über den Latz geschüttet und ich bin gegangen. Weil, so was muss ich mir auch von meiner besseren Hälfte nicht bieten lassen.

Es ist Donnerstag und Konstantin ist toll und außerdem redet Lara nicht mehr mit mir. Peter war heute schon wieder zu spät im Unterricht, das sollte er besser nicht zur Gewohnheit werden lassen, vor allem, wenn wir Mathe haben. Frau Schaller wollte nämlich von mir wissen, wo mein Banknachbar sei und ich saß da wie ein Schlumpf. Mit Mütze und ohne Text. Notgedrungen habe ich ihr irgendetwas vorgelogen, von verschlafen und Schwangerschaft und Überschwemmung auf der Zugspitze. Zum Glück hat sie mir die Story abgekauft, aber noch mal mache ich das nicht. Wenn der Herr schon verpennt, dann soll er mir gefälligst rechtzeitig Bescheid geben, damit ich mir etwas Glaubhaftes ausdenken kann. Heute Abend gehen die beiden auf jeden Fall zu irgendeiner Party, die wohl einen Zacken schärfer sein soll als die, bei der wir am Wochenende waren. Also mal ganz ehrlich, wenn er wirklich nur das anzieht, was er mir vor zwei Stunden vorgeführt hat, dann hoffe ich mal, dass er etwas Pfefferspray dabei hat oder, dass Konstantin Karate kann, sonst fressen sie ihn wohl gleich da auf. Ach so und Lara hat mir wohl übelgenommen, dass ich gestern einfach so nach der Cola-Attacke abgehauen bin. Wie kann man auch annehmen, dass ich das Recht dazu gehabt hätte, weil ich den Angriff ja nicht einmal provoziert habe. Sie hat das dann auch gleich Peter aufs Brot geschmiert und der meinte, ich solle mich wieder mit meiner Freundin vertragen. Darauf kann er ehrlich gesagt lange warten, denn ich entschuldige mich ganz sicher nicht dafür, dass ich mir habe die Cola über den Latz kippen lassen, anstatt sie mit meinem Mund aufzufangen.

Es ist Freitag und die Schule ist vorbei. Ob Konstantin toll ist, weiß ich heute leider nicht wirklich, denn mein Herr Banknachbar ist gar nicht erst aufgetaucht. Deswegen durfte ich mich heute alleine langweilen, was durchaus ziemlich langweilig war, aber man soll sich ja nicht über Nichtigkeiten aufregen. Um nicht vor Einsamkeit zu vergehen, habe ich mich heute bei Susi zum Tee eingeladen. Schließlich habe ich ja auch noch andere soziale Kontakte, obwohl ich die diese Woche, na ja vielleicht auch allgemein in letzter Zeit, eher vernachlässigt habe. Denn in den meisten Pausen hab ich mich mit Peter in irgendeine ruhige Ecke verkrümelt, um die neuesten Infos abzufassen, aber das bügle ich ja heute wieder aus, indem ich mich als Tratschtante versuche.

Es ist Samstag und Konstantin ist toll und wenn ich die kleine Dreckratte erwische, dann bringe ich ihn um, nachdem ich ihm etwas abgeschnitten habe. Gestern war ich ja wie gesagt mit Susi zum Tee trinken verabredet und das haben wir auch exzessiv durchgezogen. Man glaubt es kaum, wie neugierig die Frauen doch sind, wenn man ihnen erst einmal einen kleinen Knochen hingeworfen hat. Ich habe nämlich irgendwann in unserem Gespräch mal erwähnt, dass wir am Samstag, zusammen mit Peter und Jojo, auf einer Party waren. Da war die gute Susi aber ganz schnell hellhörig, sodass ich ihr geschlagene zwei Stunden alles haarklein herbeten musste. Ich fand das auch nicht wirklich schlimm, weil ich sowieso schon lange nicht mehr getratscht hatte und solche Neuigkeiten tut man ja auch gerne kund. Irgendwann nach sieben wollten wir schließlich unsere Zelte abbrechen und haben das auch getan. Just als wir das Lokal verlassen hatten, habe ich ihn auf der anderen Straßenseite gesehen. Er ging mit jemandem Hand an Arsch und Hand an Arsch in Richtung Alaunpark. Zuerst dachte ich ja noch, ich werde langsam alt und blöd in der Birne, aber dann hat er sich umgedreht und ich wusste Bescheid. Die gleichen kurzen blonden Haare, ähnlich wie zuletzt in Form gebracht. Dieselbe Sonnebrille, die wie bei der Party zu Anfang seine blauen Augen versteckt hatte und fast das gleiche Sunnyboylächeln, welches jetzt natürlich einfach nur noch billig aussah. Das mit dem billig hätte ich mir wohl gespart, wenn der Sack seine Griffel am Arsch seines Freundes, was mein bester Freund ist, gehabt hätte. Der Mensch neben ihm konnte allerdings nicht mein bester Freund sein, denn Peter hatte zumindest bis gestern noch blonde Haare, aber die hätte man färben können. Die Tatsache, dass er scheinbar seit gestern auch ein Stück eingegangen war, konnte man unter Umständen ebenfalls noch ignorieren und auf die schwierigen Lichtverhältnisse schieben, aber darüber hinaus konnte Peter um die Uhrzeit gar nicht da vor uns sein, denn der war bei irgendeinem Spiel, von dem er mir schon Mittwoch berichtet hatte. Leider war ich aber so vollkommen im Wald, dass ich die beiden habe weitergehen lassen, ohne ihnen die Köpfe von den Schultern zu treten.

Es ist Sonntag und ich habe mit Lara einen teuflischen Plan ausgeheckt, denn, wenn wir uns gegenseitig ein Alibi geben, kann uns keiner für den Mord an Konstantin verantwortlich machen. Ich habe mich gestern Abend, ohne weiter zu überlegen, dazu entschieden, mit Lara die Friedenspfeife zu rauchen. Der ganze Heckmeck ging mir sowieso schon auf die Nerven. Sie hat sich auch ziemlich gefreut, dass ich sie endlich angerufen habe, denn wegen solchen Problemen kriegen wir uns normalerweise nicht so dermaßen in die Wolle. Als ich ihr dann aber den Grund für meinen Anruf erzählt habe, war sie von jetzt auf gleich auf Hundertachtzig. Wir haben uns dann heute zum Frühstück getroffen und Versöhnung gefeiert, bevor wir dazu übergegangen sind, Mordpläne zu schmieden. Ich sage euch eins: Frauen sind die Hölle, wenn man sie reizt. Es hat keine Stunde gedauert und unser Plan stand bis ins kleinste Detail.

Es ist wieder einmal Montag und Peter wird morgen garantiert vollkommen beschissen drauf sein. Nachdem unser Plan stand, hat Lara gestern gleich Peter angerufen und ein Treffen für den Nachmittag ausgemacht. Wir haben uns dann mit den beiden Verliebten am Terrassenufer getroffen und sind ein wenig durch die Altstadt gelatscht. Ich hasse ja solche Sachen wie Spaziergänge wie die Pest, aber manchmal muss man eben Opfer bringen. Irgendwann habe ich es dann so eingefädelt, dass Lara fünf Minuten mit Konstantin alleine hatte. Sie hat ihn nicht verprügelt oder ihm den Kopf von den Schultern getreten, was ich durchaus schade fand. Trotzdem sah der Gute aus wie frisch ausgekotzt, als die beiden endlich wieder zu uns gestoßen sind, und ich wage zu bezweifeln, dass das an abgelaufenem Dosenobst gelegen hat. Ich möchte ehrlich nicht wissen, was sie ihm da so nettes erzählt hat, mir reicht nämlich schon das, was ich mir immer anhören darf. Peter war jedenfalls vollkommen verdattert und wollte sich sofort um seinen Freund kümmern, aber der hatte wohl eine entsprechende Impfung bekommen und verabschiedete sich unter Zuhilfenahme verschiedener Ausreden alsbald von uns. Peter, der eigentlich mitgehen wollte, wurde von uns davon abgehalten, denn wir wollten ihn lieber bei uns haben. Lara hat mir dann in einer ruhigen Minute erzählt, dass sie dem Arsch von einem Wichser gesagt hätte, dass er noch heute mit Peter Schluss machen sollte, weil sie ihm sonst ihre Freunde vom Fußballverein um die Ecke auf den Hals jagen würde. Deshalb haben wir Peter dann auch mit zu Lara genommen, um ihn notfalls gleich trösten zu können. Aber auch nach zwei Stunden DVD schauen hatte sich die feige Ratte noch nicht gemeldet, deshalb denke ich, wird er das heute tun.

Es ist wieder einmal Dienstag und mein Banknachbar redet nicht mehr mit mir. Die kleine Mistratte hat ihm doch tatsächlich erzählt, dass wir die beiden auseinander bringen wollen würden. Das schlägt dem Fass echt den Boden aus. Ich habe ihm natürlich erzählt, dass ich seinen ach so tollen Freund mit einem anderen gesehen hätte, aber das hatte der ihm natürlich schon vor mir erzählt und behauptet, ich hätte mir das nur ausgedacht, weil ich Konstantin nicht leiden könnte und den beiden ihr Glück nicht gönnen würde. Diese dreiste Lüge hat er natürlich geschluckt, obwohl er mich doch eigentlich schon lange genug kennen sollte. Ich meine, ich kann jeden Menschen leiden und bin immer und überall nett. Oh Moment, ich glaub, der Satz ging andersherum. Na, auch egal. Es ist am Ende wohl wirklich so, dass Liebe blind macht. Lara war ähnlich angetan von der neuesten Entwicklung und ist direkt ausgerastet. Leider können wir wohl im Moment nichts tun, weil uns Peter nicht glauben wird, dass wir einfach nur sein Bestes wollen. Zu guter Letzt hat mir Lara dann noch die Schuld dafür gegeben, weil ich das doch hätte gleich anders lösen können, aber die Diskussion wollte ich nicht schon wieder führen.

Also, ganz langsam macht sich auch bei mir so ein leichter Hauch von schlechter Laune bemerkbar. Der Herr redet jetzt schon eine geschlagene Woche nicht mehr mit mir und der Wunsch, Konstantin die Kauleiste gepflegt aus dem Gesicht zu treten, entwickelt sich ganz langsam zu einem fünfseitigen Wunschzettel. Vor zwei Tagen wollte sich Peter sogar an einen anderen Platz setzen, aber nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich ihm dann mal ganz gepflegt ins Gesicht fassen würde, hat er es doch gelassen, denn irgendwann ist ja wohl mal Ende mit dem Kasperletheater. Es ist ja eigentlich schon hirnamputiert genug, dass er ihm mehr glaubt als uns oder besser gesagt mir. Was für einen Grund sollte ich denn schon haben, ihm seinen Freund einfach so ohne triftigen Anlass madig zu machen?

Irgendwie ist immer noch alles beschissen, auch, wenn sich die Ausgangslage um hundertachtzig Grad gedreht hat. Ich war nämlich vorgestern bei Jojo auf einen Tee und einige Stunden Unterhaltung. Ich wusste mir halt anders nicht mehr zu helfen, denn wir sind an Peter kein Stück herangekommen. Gut, ich konnte ihn davon abhalten, sich einen neuen Sitzplatz zu suchen, aber geredet haben wir auch weiterhin nicht miteinander. Deshalb habe ich Jojo die ganze Story erzählt. Und man höre und staune, Jojo kannte Konstantin bereits. Peter ist nämlich nicht der erste, mit dem er so einen Mist abzieht. Er versucht das wohl des Öfteren und hatte leider Gottes auch meist Erfolg damit. Deswegen haben wir uns gestern alle zusammen getroffen. Also, Jojo hat sich Peter geschnappt und wir sind dann später dazugekommen. Da war die Kacke schon ziemlich am Dampfen. Peter auf hundert, Jojo auf hundertzwanzig und ich wollte mich am liebsten in Luft auflösen. Die Sache war nämlich die, dass Konstantin schon richtig gute Arbeit bei Peter geleistet hatte und der nicht einmal auf Jojos Wort etwas geben wollte, aber da hatte er sich ganz gewaltig verschätzt. Denn keine zehn Minuten nachdem wir aufgetaucht waren, klingelte es erneut und zwei mir völlig unbekannte Typen standen vor der Tür. Die haben dann unsere Geschichte bestätigt, denn beide sind sie Konstantin auf den Leim gegangen. Peter hat es auch da noch nicht glauben wollen, aber ich glaube, in dem Moment ist er zumindest ein wenig aufgewacht.

Heute Morgen haben wir uns dann auch zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder in der Schule unterhalten, denn Peter wollte, dass ich ihn am Nachmittag begleite. Ich habe mich zwar kurz gefragt, wo so plötzlich das Vertrauen wieder her kam, aber im Grunde bin ich froh, dass er scheinbar langsam wieder normal im Hirn wird. Eigentlich war Peter ja mit seinem Freund verabredet gewesen, aber der hatte ihm kurzfristig abgesagt, weil er wohl einen extrem wichtigen Termin vergessen hatte. So stand es zumindest in der Nachricht, die Peter bekommen hatte. Wir sind also nach der Schule gleich losgetigert und haben uns auf die Lauer gelegt. Ich weiß, das klingt jetzt nach einem sehr schlechten Agententhriller, aber wir haben es wirklich gemacht. Es hat auch nicht lange gedauert, bis Konstantin aus dem Haus gekommen ist und sich auf den Weg zu seinem Termin gemacht hat. Sein Termin war männlich und in unserem Alter. In dem Moment hat es bei Peter ausgehakt. Ich glaube, er hat die Welt nicht mehr verstanden und ist tierisch ausgetickt, zu den beiden hingerannt und hätte Konstantin wohl ordentlich eins in die Fresse gegeben, wenn ich nicht hinter ihm hergerannt wäre, um ihn davon abzuhalten. Stattdessen haben wir erst einmal seinen wahrscheinlich für die nächsten Stunden vorgesehenen Betthasen über die Lage der Nation ins Bild gesetzt. Der war auch alles andere als begeistert und hat das lautstark kundgetan. Das Ende vom Lied war, dass wir alle in verschiedene Richtungen verschwunden sind und die kleine Mistratte ziemlich angepisst stehen lassen haben.

19

So langsam hab ich echt die Faxen dicke. Es ist jetzt eine Woche her, aber außer dem einen Ausraster, bei dem er Konstantin eins in die Fresse geben wollte, was ich unverständlicher Weise verhindert hab, kam von seiner Seite keine Reaktion mehr. Es scheint ja fast so, als ob er das einfach so heruntergeschluckt hat. Wie ein Computer, der, wenn ein Programm nicht mehr funktioniert, einfach ein neues nutzt oder eben ein Update einspielt. Dabei soll er doch traurig sein, na ja, so ist das jetzt nicht gemeint, obwohl ich es schon so meine. Was ich sagen will, ist, dass man, nachdem man das erste Mal richtig verliebt war und das in die Brüche gegangen ist, ruhig richtig traurig sein kann es sogar muss. Schließlich findet man nur einmal die erste Liebe. Das hab ich ausnahmsweise mal nirgends gelesen, ich glaube, das ist meine eigene Meinung.

Natürlich hab ich ihn darauf nicht nur einmal darauf angesprochen. Aber jedes verdammte Mal hat er mich einfach angegrinst und gesagt, dass es eben so ist, wie es ist und er es nicht ändern könnte. Weswegen solle er also schlecht drauf sein, das würde das Ganze nur noch mehr verkomplizieren und seinen Freunden irgendwann auf den Geist gehen. Ich hab mich damit auch zwei, drei Mal abspeisen lassen, aber eben hat er wieder mit dieser Leier angefangen. Da ist mir dann die Hutschnur hochgegangen, weil, soviel gequirlte Scheiße kann auch ich mir auf Dauer nicht antun. Ich habe ihm also erst einmal erklärt, dass mir das durchaus klar wäre, dass man so eine Situation nicht ändern könne und irgendwann nach vorne schauen müsse. Aber doch nicht von jetzt auf gleich. So ein bisschen schlechte Laune, Grummeln und Schule schwänzen aus Unzufriedenheit sind schon drin und bis er mich mit seinem Gejammer nerven würde, würde es auch eine ganze Weile dauern. Statt dessen, und das habe ich ihm auch gesagt, fände ich es ziemlich komisch, dass ihm das überhaupt nicht nahe zu gehen scheint und er einfach am nächsten Morgen ein neues Buch aufklappt, so, als ob er gar nicht richtig verliebt gewesen wäre.

Fünf Minuten später hatte dann auch ich kapiert, dass ich das einzige Schlammloch in der Wüste gefunden hatte. Nicht etwa, dass da keinerlei Warnschilder drum herum gestanden hätten. Nein. Ein Strauss mit dem Kopf im Sand hätte die monströse Leuchtreklame wahrscheinlich noch gesehen, aber ich, einfach typisch, mitten durch und rein in die Wunde. Ich bin so toll, ich würde mich am liebsten dauernd selbst ohrfeigen. Entschuldigen ging in dem Moment aber auch nicht mehr, weil ich inzwischen alleine auf dem Hof stand ,und als ich dann zwei Minuten später endlich im Klassenzimmer ankam, war der Platz neben mir natürlich leer und von Peter oder seinen Sachen nichts zu sehen. Susi, die mir als erstes in die Quere kam, fragte ich möglichst ruhig und unauffällig, wo denn mein Banknachbar hinwäre. Woraufhin sie nur meinte, dass er ziemlich komisch gewesen wäre, als er so in den Raum reingerannt kam und nur Augenblicke später mit seinen Sachen in den Fingern wieder verschwunden war. Da die Stunde in fünf Minuten beginnen und Susi wohl nicht mehr lange dazu brauchen würde, zu kombinieren, wer schon wieder an dem ganzen Mist Schuld war, packte ich ebenfalls ganz eilig meinen Kram und verschwand so schnell wie möglich aus dem Raum. Natürlich musste ich auf dem Gang auch noch Frau Schaller in die Arme laufen, die mich sofort wieder ins Klassenzimmer zurückbugsieren wollte, was ich allerdings mit einer kleinen Notlüge von wegen Peter und schlecht und krank und Sturz von der Teppichkante abwenden konnte.

Déjà-vu. Bin ich im falschen Film oder gab es die Szene schon einmal? Ich vor dem Schultor und völlig ratlos, wo ich die Pflaume suchen soll. Verdammte Axt, ich bin eine Wiederholung oder besser gesagt, ich wiederhole scheinbar gern einmal begangene Fehler. Na ja, vielleicht habe ich wenigstens ein bisschen Glück und Peter mag Wiederholungen genauso gern wie ich.

Den Ast kenne ich glaube ich noch. Wir wurden einander zwar nie richtig vorgestellt, aber wenn ich mich recht entsinne, haben mein Kopf und er schon einmal Bekanntschaft gemacht. Auf das dies ein einmaliges Erlebnis bleibe, habe ich vorsichtshalber meine Birne auf Tauchstation befohlen und bin vorsichtig und mit offenen Augen durch das Waldstück getrampelt. Wenigstens weiß ich jetzt, dass ich nie so ein toller Waldläufer wie der eine Typ aus dem einen Film, wo der später König wird und beim Endkampf voll auf die Nuss kriegt, werde, weil ich irgendwie jeden trockenen Ast auf dem Weg bis hierher mitgenommen habe und folgerichtig darauf herumgetrampelt bin.

Gut, wenigstens das haben wir gemeinsam. Wir neigen zum Wiederholungstäter. Er sitzt genau da, wo er das letzte Mal auch gesessen hat, aber ich glaube, dieses Mal lasse ich die Aktion mit dem Zurückzerren und dann unter ihm begraben werden weg. Kann ja sein, dass er inzwischen zugenommen hat, auch, wenn er noch nicht wie Dumbo aussieht. Was mich allerdings irgendwie ein wenig anpisst, ist, dass der Typ schon wieder auf der blöden Brückenkante herumsitzt, wo ich doch irgendwie Höhenangst habe. Na ja, was muss, das muss. Muss man durch als Lurch, sonst wär’s wohl kein Frosch geworden.

„Du weißt schon, dass das alles nur deine Schuld ist, oder?“ Ein ‚Hallo’ wäre auch ganz nett gewesen, aber so Höflichkeitsfloskeln kennt die Jugend heutzutage auch nicht mehr. Da fällt mir ein... Notiz an mich selbst... nicht immer wie ein alter Mann denken... Und überhaupt, wie jetzt? Wieso ist alles meine Schuld? Ich hab doch überhaupt nichts gemacht. Jedenfalls nicht wissentlich und wenn, dann doch nur mit den allerbesten Absichten.

„Wie jetzt?“

„Na, das war doch dein Plan, mich auf diese Party zu schleppen.“ Ähm... öhm... Souffleuse... aber zackig.

„Ja, war es schon, aber grundsätzlich, und das musst du zugeben, war es keine so schlechte Idee. Und wir gehen auch gemeinsam zur nächsten Party. Da brauchst du überhaupt nicht anfangen Luft zu ziehen. Was kann ich denn dafür, dass du an so einen Typen gerätst?“ Ich konnte den von Anfang an nicht leiden, aber auf mich hat ja wieder niemand gehört und, na gut, ich habe auch niemandem gegenüber etwas gesagt, weil mir sonst meine bessere Hälfte den Kopf abgerissen hätte. Die war ja sowieso von Anfang an alles andere als begeistert, aber das ist ja so ein Frauending, die können es nämlich nicht ab, wenn der Kerl die voll tollen Ideen hat und sie dann im Wald stehen. Deshalb reden die immer völlig wirr und gleichzeitig irgendwie total hochtrabend, sodass man am Ende fast wirklich denkt, dass man eine bekloppte Idee hatte.

Die war auch bescheuert, wenn du mich fragst.

Mache ich aber nicht.

Weiß ich. Das hält mich aber dennoch nicht davon ab, dir die Meinung zu sagen.

Das letzte Mal hat es aber geklappt.

Ausnahmen bestätigen die Regel.

Du kriegst auch gleich deine Regel im Nasenbluten.

Regel du lieber deine Hormone.

Geh kacken!

Mach den Schrank auf und erzähl’s dem!

...

Irgendwann, wenn die beim Apotheker endlich das Austauschhirn anbieten, gehe ich einkaufen. Nicht genug, dass mich meine Umwelt stresst, nun fängt auch mein Innenleben wieder an, aufzumucken. Ich geh echt am Stock, aber egal, es gibt gerade ich glaub wichtigere Dinge.

„Am Ende hat da keiner von uns Schuld. Ist einfach blöd gelaufen. Beim nächsten Mal sind wir einfach ein bisschen vorsichtiger und du glaubst mir vielleicht gleich, wenn ich dir sage, dass da was faul ist.“

„Von den weisen Sprüchen kann ich mir jetzt auch nichts kaufen.“

„Ich weiß, aber was bitte soll ich sonst sagen. Es ist passiert. Gut, es ist beschissen, dass dir das gerade bei dem ersten Menschen, in den du dich verknallst, passiert. Aber hey, ist nicht so schlimm. Es wird jemand anderes kommen, der dich wirklich verdient hat.“

„Es ist so schlimm... Weißt du, es ist ja nicht einfach so, das Konstantin der erste Mensch ist, in den ich mich verknallt habe. Irgendwie habe ich scheinbar ein Gespür dafür, mir genau die Menschen herauszusuchen, die entweder nichts von mir wollen oder die mich nur verarschen. Das kommt wahrscheinlich von dem großen ‚Depp vom Dienst’ auf meiner Stirn.“

Damn it, Jojo hat mir doch nicht die ganze Wahrheit erzählt und ich dachte, zwischen den beiden ist nie etwas gelaufen, weil Peter nichts wollte. Aber so wie das Ganze aussieht, wollte er doch etwas von ihm und Jojo, der Horst, hat das nicht mitbekommen.

„Ach verdammt. Da denkt man, man hat endlich jemanden gefunden, der halbwegs zu einem passt und auch die Gefühle, die man selber spürt, irgendwie erwidert und dann wieder so ein Reinfall. Weißt du, der Abend war wirklich toll und im Grunde bin ich auch nicht sauer, weil ihr drei mich quasi dazu verdonnert habt. Ich war das erste Mal wirklich unter Leuten, bei denen ich mich nicht irgendwie verstellen oder aufpassen musste, wie ich mich verhalte. Ich konnte einfach schauen und schwärmen, ohne befürchten zu müssen, dass mir irgendjemand ins Gesicht springt. Deine Freundin, der ich, wie du sicherlich mitgeschnitten hast, am Anfang des Abends noch an den Hals springen wollte, weil sie mir... weil sie mir eben meinen besten Freund weggenommen hat, war, auch wenn ich es anders gedacht hatte, super. Sie hat mir zugehört und wenn du mich fragst, kannst du echt froh sein, dass du so einen guten Fang gemacht hast. Sie hat sich die ganze Zeit nicht von meiner Seite wegbewegt und dafür muss ich mich bei Gelegenheit auch noch richtig bedanken. Und sie hat mir Mut gemacht, na ja gut, sie hat mich eher gezwungen, endlich mal einen Schritt zu machen und mich mit Konstantin zu unterhalten. Und es war auch alles super...“

Bis dich die kleine Mistratte betrogen hat, wofür ich ihm bei Gelegenheit noch mal ausführlich danken werde.

„... Du kannst das sicherlich nicht nachvollziehen oder vielleicht doch, weil du ja auch schon verliebt gewesen bist. Aber für mich war das halt wirklich das erste Mal, dass meine Gefühle erwidert worden sind. Er hat mir zugehört, er war interessiert an dem, was ich ihm erzählt habe und er hat mir auch viele Sachen über sich erzählt und mich so Schritt für Schritt noch weiter hinter meinen eigenen Mauern hervorgelockt. Und als wir uns dann geküsst haben, das war... das war irgendwie... ich kann es nicht beschreiben... Achterbahn... eine Megaportion Zuckerwatte... mit zweihundertfünfzig Sachen über die Autobahn und gleichzeitig auch, als ob die Zeit stehen bleiben und alles andere um mich herum von einem unsichtbaren Schleier verhüllt werden würde. Weißt du, das habe ich mir immer gewünscht.“

Und das hast du auch verdient, du hast jemanden verdient, dem du dein Herz schenken willst und der dir sein Herz vor die Füße legt. Und irgendwann wirst du sicher auch diesen Menschen finden.

„Und auch die nächsten Tage waren wundervoll. Bestimmt genauso wie bei dir und Lara am Anfang. Obwohl, bei euch ist es sicher immer noch so wie am ersten Tag. Ich brauche euch ja nur zuzuschauen. Es ist, als ob ihr ganze Gespräche mit einem einzigen Blick führt, euch eben ohne Worte versteht. Und wenn ich mich nicht ganz arg täusche und deine Blicke richtig interpretiere, würdest du alles für sie tun und sie sicherlich auch für dich. Deshalb war ich wahrscheinlich auch am Anfang so tierisch angepisst, na ja, besser gesagt neidisch. Und so, dachte ich jedenfalls, würde auch Konstantin für mich empfinden. Er hat mir ja wirklich fast jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Als wir in der Nacht irgendwann nach Hause gefahren sind und er mich vor unserer Haustür abgesetzt hat, da hat er sich verabschiedet und ist zum Auto zurück. Aber gerade als ich die Tür aufschließen wollte, stand er plötzlich wieder hinter mir und hat mich an der Schulter festgehalten, mich umgedreht und für mindestens fünf Minuten einfach nur angeschaut. Vom Sonntag habe dann auch ich nicht wirklich etwas mitbekommen. Ich war zwar da und wach, aber trotzdem war ich irgendwie ganz wo anders. Und als dann am Montag seine Nachricht kam, dass er mit mir ins Kino gehen wolle, hätte ich am liebsten Luftsprünge gemacht. Du hast mich ja in der Schule erlebt. So neben der Spur war ich nicht mehr seit... ach egal.“

Seit ich dir damals hirnrissiger Weise die Hölle heiß gemacht habe?

„Na ja und von dem Film habe ich auch wirklich nichts mitbekommen, weil, ich war wieder hin und weg. Er sah so toll aus und ich weiß gar nicht, ob ich dir das überhaupt erzählen sollte oder du das eigentlich wissen willst.“

„Ich bin hier, du bist hier. Ich bin bisher nicht weggelaufen und werde es auch in absehbarer Zeit nicht tun. Und wenn du es mir erzählen willst, dann bin ich einfach nur froh, dass du mir so vertraust oder besser gesagt, dass du mich soweit ins Vertrauen ziehst wie wohl nur wenige andere.“

Wieder so ein Blick, aber dieses Mal… ich weiß nicht… dieses Mal ist er irgendwie anders… glücklich?

„Ersetz das ‚wenige’ durch ‚niemand’, dann passt es eher. Nicht einmal Jojo kann ich davon erzählen, denn ich glaube, der würde das in den falschen Hals bekommen, weil wir in der Hinsicht irgendwie ein ziemlich komisches Verhältnis haben.“

So langsam verstehe ich wirklich nur noch Bahnhof. Ich muss wirklich mal herausbekommen, was nun genau zwischen den beiden vorgefallen ist, sonst komme ich mit meinen Vermutungen und Ahnungen keinen Meter weiter. Also war doch nichts von Peters Seite aus, aber vielleicht von Jojos oder eben doch andersrum. Warum gibt es für solche Sachen kein Lösungsbuch? Die gibt’s doch sonst auch für jeden Scheiß, bloß in den wirklich wichtigen Situationen und bei den entscheidenden Problemen stehst du allein im tiefen, tiefen Wald.

„Jedenfalls glaube ich, dass ich dir in den paar Tagen doch ziemlich auf den Wecker gefallen bin mit meinem ständigen Verliebtheitsgefasel, aber ich rechne es dir hoch an, dass du mir immer zugehört und nichts weiter gesagt hast... Und Dienstag waren wir wieder zusammen weg. Ich an deiner Stelle hätte mir das schon übel genommen, wenn man mich einfach so versetzt hätte…“

„… aber meine Güte du warst halt vollkommen verknallt. Denkst du, ich bin blöd? Klar bin ich da auch als sehr guter Freund erst einmal abgemeldet, auch, wenn ich zugeben muss, dass mir das schon ein ganz klein wenig auf den Sack gegangen ist.“

„Tja und dann habe ich Dienstag halt bei ihm übernachtet. Das war vielleicht ein Akt, meine Eltern davon zu überzeugen, dass ich mitten in der Woche nicht zu Hause übernachtet habe. Zum Glück haben sie es mir abgenommen, dass ich bei Jojo übernachten will. Und dann sind wir bei ihm angekommen. Zuerst hat er mich in die Küche verfrachtet und ich dachte schon… ganz toll… soll ich jetzt vielleicht hier die Putze spielen? Weil, die Küche sah ungefähr so aus wie dein Zimmer in seinen besten Zeiten.“

Soll das jetzt ein kleiner netter Seitenhieb gewesen sein? Der mir irgendwie nahe bringen soll, dass ich doch mal wieder meinen Saustall auf Vordermann bringen könnte? Fällt aus!

„Aber dann stand er plötzlich hinter mir und hat mich in sein Zimmer gelotst. Wie in den verkitschten Liebesschinken, über die man sich immer lustig macht. Mit Händen vor den Augen habe ich mich Schritt für Schritt führen lassen. Er hatte wirklich überall in seinem Zimmer Kerzen aufgestellt. Es war einfach toll. Dann haben wir uns erstmal aufs Bett gepflanzt und er hat irgendeine leise Musik angemacht, eine Flasche Wein geköpft und mich dann einfach festgehalten. Das war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich mich richtig sicher gefühlt habe. In dem Moment hätte das Haus einstürzen können, es wäre mir vollkommen egal gewesen. Es war einfach nur schön und dann…“

Sag mir jetzt nicht das, was ich denke, dass du mir sagen willst. Das glaub ich jetzt nicht. Verdammte Axt, ich kaufe mir morgen wirklich so eine verdammte Axt und hack dem Typen die Rübe vom Hals.

„Ich dachte wirklich, ich hätte jemanden gefunden. Na ja und dann ist es irgendwie passiert.“

Ich will es echt nicht wissen!

„Was ist passiert?“

„Na eben ‚es’. Es war einfach so ein Moment. Ich hatte mir das vorher schon überlegt und eigentlich wollte ich es nicht, nein, ich wollte es schon, nur nicht so schnell. Trotzdem hab ich mich hinreißen lassen. Und es war, ich weiß nicht, ich glaube, es war spitze. Jedenfalls hatte ich so was ja noch nie erlebt und, keine Ahnung, ich war platt. Er war so einfühlsam und wusste genau…“

„… ähm… sorry… aber so genau will ich das, ich glaube, dann doch nicht wissen.“

„Na ja... jetzt weißt du jedenfalls, warum ich die beiden Tage ziemlich spät in der Schule aufgetaucht bin, weil wir... na du weißt schon. Und dann, als eigentlich alles super war und nicht besser werden konnte, habt ihr meine kleine Welt wieder eingerissen, jedenfalls dachte ich, dass ihr das vorhabt. Ich weiß nicht, ob ich mich für meine erste Reaktion entschuldigen soll oder ob sie einfach normal ist, wenn man so naiv wie ich durch die Welt rennt.“

„Musst du nicht und ich würde einfach sagen, dass du eben verliebt warst.“

„Egal. Auf jeden Fall ist irgendwie eine Welt für mich zusammengebrochen, als mir Konstantin erzählt hat, dass ihr uns auseinander bringen wollt. Im ersten Moment dachte ich wirklich, er will mich veräppeln, aber dann hat er mir, wie ich jetzt auch weiß, das Blaue vom Himmel herunter gelogen. Wäre ich nicht so ein dämliches Gefühlsbündel gewesen, hätte ich es auch selber mitbekommen müssen. Dass er meinte, Lara hätte ein Problem mit ihm, weil er mich irgendwie total vereinnahmen würde, hätte ich vielleicht nicht durchschauen müssen, obwohl so ein Satz nach einer Woche bestimmt von niemandem kommt. Aber, dass er mir weisgemacht hat, dass du heimlich in mich verknallt und, dass zwischen Lara und dir nur eine verdammt gute Freundschaft wäre. Ich meine, ein Blinder mit Krückstock bekommt mit, dass ihr beide das perfekte Paar seid. Sogar ich, der das am Anfang nicht glauben wollte, habe das inzwischen eingesehen. Trotzdem habe ich mir von Konstantin den Floh ins Ohr setzen lassen, dass du heimlich eifersüchtig auf unser Glück wärst. Er hatte dafür ja auch gute Argumente, zum Beispiel hat er gesagt, dass du dich am Samstag nur betrunken hättest, um von unseren Flirts möglichst nichts mehr mitzubekommen. Und dann hat er dem ganzen noch die Krone aufgesetzt, indem er gesagt hat, dass Lara ihm gedroht hätte, ihm ein paar Schläger auf den Hals zu hetzen. Völlig wahnwitzig, ich weiß, aber trotzdem habe ich es ihm irgendwann abgenommen. Tja, manchmal glaubt man echt die wildesten Storys, weil man überzeugt davon ist, dass einen das Gegenüber nie anlügen würde.“

Lügen sind immer so eine Sache. Es gibt viele von ihnen. Schlechte und gute. Notwendige und hassenswerte. Manchmal sind sie einfach Schutz und manchmal sind sie eine Flucht.

„Und genau am nächsten Tag kamst du dann mit der Story, dass mich Konstantin verarschen würde. Ich dachte zu Beginn wirklich, dass er nur einen schlechten Scherz macht, aber er hat genau gewusst, wie du das Gespräch führen würdest. Er hat mir schon vorher gesagt, dass du zu Anfang erst ein wenig herumdrucksen und dann langsam auf das Thema unserer Beziehung kommen würdest. Und dann hast du es genau so herübergebracht, wie er es mir prophezeit hat, in genau dem gleichen Wortlaut. Irgendwie habe ich dann nur noch rot gesehen und zugemacht, weil, wieso sollte mich auch mein Freund schon nach der ersten Woche bescheißen, wo er mir doch ständig seine Liebe beweist?“

„Also, in einem Punkt hat er nicht gelogen. Das mit der Gesichtsdisco hat Lara ihm wirklich angedroht.“

„Schade, dass sie nur gedroht hat. Obwohl nein, das hätte wohl auch nichts gebracht. Auf jeden Fall bin ich an dem Nachmittag sofort zu ihm und habe ihm von unserem Gespräch erzählt und er hat den Faden weitergesponnen, mich eingewickelt, mir irgendwelche nichtvorhandenen Gefühle vorgegaukelt und mich immer weiter vollgelabert. Sogar gegen Jojo hat er mich, ohne ihn zu kennen, aufgebracht, da er mich davor gewarnt hat, dass ihr sicher auch meine restlichen Freunde gegen ihn aufhetzen würdet. Nicht einmal, als die beiden Typen da aufgetaucht sind und mir erzählt haben, wie meine Beziehung angefangen und bisher verlaufen ist, nur mit dem kleinen Unterschied, dass ich nicht die zweite Hauptperson in dem jeweiligen Bühnenstück gewesen bin, hab ich euch richtig geglaubt. Irgendwie hat es erst Klick gemacht, als er mir dann aus heiterem Himmel abgesagt hat. Keine Ahnung, wieso ich in gerade dem Moment auf den Trichter gekommen bin, dass ihr vielleicht doch Recht haben könntet. Ich kann es mir selbst nicht erklären, wie ich mich so schnell verrennen konnte, zumal ich ihn auch erst ein paar Tage gekannt habe, und ich kann mir ehrlich auch nicht zusammenreimen, wieso du ohne ein Wort mitgekommen bist, obwohl ich dich davor wirklich ständig habe auflaufen lassen..“

„Vielleicht, weil…“

„Ja, ich denke auch, eben weil wir Freunde sind. Und ich würde auch das Gleiche für dich tun, obwohl ich dir wünsche, dass du nie in eine ähnliche Situation kommst. Na ja und dann haben wir ihn gesehen und, keine Ahnung, irgendwie bin ich kaputtgegangen. Ich wollte ihm in dem Moment das Herz mit einem stumpfen Löffel herausreißen und es gegen die nächste Wand klatschen, eben genau das, was er mit mir gemacht hat. Ich kann das echt nicht glauben. Wie Scheiße muss ich eigentlich sein, dass mein erster Freund mich schon in der ersten Woche bescheißt? Hab ich nicht schon genug Mist hinter mir?“

„Den einen Satz vergisst du mal ganz schnell wieder, sonst prügle ich dir eigenhändig Hirn in deinen Schädel. Du kannst nichts dafür, krieg das endlich klar. An dir ist nichts scheiße und vor allem bist du selbst nicht scheiße. Er ist der kleine Misthaufen und irgendwann wird ihm das auf die Füße fallen.“

„Das bringt mir auch nicht wirklich was. Es ist genau das passiert, von dem ich mir geschworen habe, dass es nie passiert. Ich wollte nie einfach für Mister XY als Mittel zum Druckabbau herhalten. Das klingt jetzt sicher auch wieder total gefühlsduselig, aber ich habe wirklich gedacht, dass meine Gefühle erwidert werden. Sonst wäre ich doch nie soweit gegangen.“

„Ich sag dir jetzt eins: Wenn ich die Ratte noch einmal erwische, dann breche ich ihm einen ganz bestimmten Knochen und drücke ihm anschließend eine Grußkarte mit den allerbesten Genesungswünschen in die Hand. Vergiss diese Flachpfeife. Er hat dich vielleicht verarscht. Er hat dich vielleicht dazu gebracht, etwas zu tun, was du nicht tun wolltest, aber er wird dich garantiert nicht dazu bringen, dich wieder in einem Schneckenhaus zu verkriechen oder dich nie wieder zu verlieben. Und er wird es auch ganz sicher nicht schaffen, dass du nie wieder einem Menschen vertraust, denn auch in dem Fall verspreche ich dir, dir wieder etwas Hirn ins Hirn zu prügeln. Alles klar?“

„Hmm.“

Scheinbar habe ich doch ein bisschen Plan von so zwischenmenschlichen Dingern. Jedenfalls hat er endlich den Mund aufgemacht und darüber geredet. Ich hab darüber sogar meine Höhenangst vergessen und sitze jetzt neben ihm auf dem Rand. Schon komisch. Ich habe es gar nicht mitgekriegt, wie ich mich neben ihn gesetzt habe, aber der Blick von hier oben ist es echt wert. Schöner Ort zum Sterben.

„Was ich dich schon eine ganze Weile fragen wollte: Was hast du eigentlich mit Lara besprochen, bevor ich eure Zweierrunde gesprengt habe.“

Ja, wenn ich Blicke lesen könnte, wüsste ich jetzt genau das, was du mir nicht sagst, aber nein, kann ich nicht. Zum Kotzen.

„… Nichts wirklich Wichtiges. Wir haben einfach unsere, oder besser gesagt, ich habe meine Vorurteile aus dem Weg geräumt und mich auch für mein anfängliches Verhalten entschuldigt.“

Ist schon klar. Deshalb habt ihr auch sofort aufgehört, als ich dazugekommen bin, weil ich ja den ganzen Abend über nichts von der guten Laune am Tisch mitbekommen habe. Na ja, scheiß drauf.

„Wie sieht’s aus? Willst du mit zu mir? Ich müsste dann nur noch kurz mit Lara telefonieren.“

So, was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht? Gerade eben hatte ich ihn soweit, dass es endlich wieder besser wird und nun das? Erst freut er sich und dann dreht er sich weg, murmelt nur kurz, dass er sich wohl besser mal auf den Heimweg machen sollte und lässt mich einfach sitzen. Verstehe einer andere Menschen, ich tu’s nicht.

Eine halbe Stunde später habe ich mich dann auch aufgerafft und bin nach Hause, um erst einmal meinen knurrenden Magen etwas zu besänftigen. Danach ist der restliche Tag an mir vorbeigezogen. Erst als mich Claudia zum Essen gerufen hat, hab ich mitbekommen, dass ich wohl den ganzen Nachmittag über gegrübelt habe.

Mit leicht gefülltem Magen habe ich dann noch Lara angerufen. Aber das Gespräch schön zu nennen wäre der blanke Hohn. Sie hat mir nämlich mal wieder ordentlich die Scheiße verpasst, nachdem ich ihr von meinem Gespräch mit Peter erzählt habe. Die Frage, ob es eigentlich weh täte, wenn man soviel Blödheit in seinem Kopf unterbringen müsste, war da noch ziemlich nett und die Feststellung, dass ich ein emotionaler Klotz wäre, fast ein Kompliment. Den Rest habe ich mal lieber aus meinem Gedächtnis gestrichen, war auch nichts, was man der Nachwelt erhalten müsste. Auf jeden Fall frage ich mich gerade wieder mal ernsthaft, womit ich solche Freunde verdient habe. Ich stehe nicht auf Schläge, weder verbal noch physisch. Aber scheinbar hat es sich meine Umwelt zur Aufgabe gemacht, mir ständig und überall eine mitzugeben.

Ist wohl besser, wenn ich ins Bett gehe, sonst fällt auch noch dem Rest der Welt ein, dass es ja eigentlich ganz spaßig ist, auf mir herumzuhacken.


Wie war das gleich noch mal? Wochenenden sind zur Erholung da? Der Spruch ist echt für’n Arsch. Oder wieso fühle ich mich bitte nach zwei Tagen angeblicher Erholung wie ein alter Mann?

Dabei haben wir ja noch nicht einmal viel gemacht. Es sollte wirklich ein ganz geruhsames Wochenende werden, nachdem in letzter Zeit ja alles drunter und drüber gegangen ist... es waren sogar die ersten beiden ungestörten Tage seit langem. Meine Mutter und die Zwillinge hatten nämlich einen Wochenendtrip mit den Steinbergs geplant und waren schon irgendwann mitten in der Nacht zum Freitag aufgebrochen. Peter und Jojo waren zusammen in der großen Stadt unterwegs. Die Zwei sind Freitagabend abgedampft, während Lara und ich noch zu Susis Geburtstagsparty gegangen sind. Die meisten kannten Lara ja noch gar nicht, schon allein deswegen wurde uns der Abend nie langweilig. Sonst gibt es nicht allzu viel darüber zu berichten. Es war halt eine dieser üblichen „Wir sitzen rum und versuchen uns einfach nett zu unterhalten“-Partys. Es gab weder Alkoholleichen noch sonstige Überraschungen, obwohl, wenn ich mich recht entsinne, lief da doch einer herum, der ziemlich hackedicht war. Oh, da fällt mir ein... ach nein, war doch keiner betrunken. Nachdem wir uns oder besser gesagt ich mich dann am nächsten Morgen ungefähr kurz nach Mittag aus dem Bett gequält hatte, hatte die Welt auch wieder aufgehört, sich zu drehen. Lara nahm mir den kleinen Ausrutscher zum Glück nicht übel und wir konnten entspannt zum Tagesgeschäft übergehen. In letzter Zeit hatte es ja leider öfter zwischen uns gekracht und es lag so einiges im Argen. Aber wir haben es geklärt und quasi wieder hinbekommen. Dafür ist aus dem Entspannen und Erholen nichts geworden. Wenigstens weiß ich aber jetzt, dass Frauen unter Rotwein albern werden. Gut, ich werde da scheinbar auch albern, na ja, ihr wisst schon, was ich meine.

Heute ist auf alle Fälle Montag und ich bin im Eimer. Ein klarer Fall von zu wenig Schlaf bei zu vielen Aktivitäten? Ich weiß es ehrlich nicht, aber ich denke mal schon. Und was wäre das schon für ein Tag, wenn es nicht noch Sachen und Personen gäbe, die es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht haben, mich vollkommen in den Wahnsinn zu treiben? Denn, während ich meinen allmorgendlichen Hass auf alles was lauter als Atmen ist kultiviere, sitzt neben mir ein Honigkuchenpferd oder besser gesagt ein völlig dämlich vor sich hin grinsender Peter, sodass ganz leicht unterschwellige Mordgelüste in mir hochkommen. Kann der so was nicht erst am Mittag haben, wenn ich bereit bin, mich in das soziale Blabla einzubringen? Nein, so etwas geht natürlich überhaupt nicht. Wenigstens hat er es bis jetzt noch vermieden, mir ohne mein Zutun ein Gespräch ans Knie zu nageln. Lange dürfte das aber wohl nicht mehr dauern, denn sonst platzt er mir noch und so was geht schlechter weg als Rotweinflecken. Also, lieber doch selber die Initiative ergreifen.

„Na, wie war dein Wochenende?“

„Spitze! Berlin war einfach toll und Jojo war echt ein Spitzenreiseführer. Und Berlin bei Nacht ist toll. Und der Ausblick vom Fernsehturm ist spitze. Und die Bars und Kneipen, einfach nur toll.“

Also, wenn ich jetzt noch ein einziges Mal toll oder spitze höre, dann springe ich aus dem Fenster. Gute Laune am Morgen gehört echt verboten. „Hmm“

„Aber na ja, so schön es auch war, es war halt viel zu kurz. Das nächste Mal könnt ihr ruhig mitkommen.“

„Ja, das klingt nach einem Plan.“

„Ach so und ich glaube, ich bin ein kleines bisschen verschossen.“

Macht die Sirene aus. Ich bin wach und aufmerksam. „In wen denn?“

„Er heißt Pascal und er hat mich bei dbna angeschrieben.“

„Was für ein Ding?“

„Du bist nicht allein.“

„Weiß ich, was für ein Ding?“

„Du bist nicht allein.“

„Alter, kommst du dann mal klar? Ich will wissen was dbna heißt!“

„Komm du klar, das heißt ‚du bist nicht allein’. Sehe ich vielleicht aus, als hätte ich Pilze gefuttert und wäre auf der Wurstbrühe hergeschwommen?”

„Äh… ah… ach so, kann ich ja nicht riechen. Woher kommt er denn und wie alt ist er eigentlich? Ach ja und seit wann kennt ihr euch?“

„Willst du das wirklich wissen?“ Also, irgendwie kommt mir die Frage ja bekannt vor. Na ja, sei’s drum. Wer aus Fehlern lernt ist selber Schuld.

„Sag mal, sehe ich vielleicht aus, als würde ich um diese elendige Uhrzeit Gespräche führen, deren Inhalt mich nicht interessiert? Es ist verdammt noch mal mindestens zehn Stunden vor dem Aufstehen und wenn es mich nicht interessieren würde, dann würde ich dich auch nicht fragen.“

‚Außerdem muss ich ja sichergehen, dass du nicht noch einmal an so ein Arschloch gerätst.’

„Komm wieder runter. Na ja, also, dass er Pascal heißt, hab ich dir ja schon gesagt. Er ist genauso alt wie wir, wohnt ein Stück auswärts, geht aber trotzdem hier zur Schule. Er…“

Gott sei Dank hatten wir nur eine kurze Pause, ansonsten hätten sich meine Ohren wohl definitiv selbst zerstört. Welcome to the land of too much information. Ich weiß jetzt Sachen, die ich überhaupt nicht wissen will, obwohl, zum Glück weiß ich von den Sachen, von denen ich definitiv nichts wissen will, nichts. Das wäre dann aber auch des Guten zuviel. Also fassen wir das Ganze noch einmal zusammen, denn erstens muss ich in Geo nicht aufpassen, weil es eh sterbenslangweilig ist und zweitens werde ich gevierteilt, wenn ich Lara nicht alles haarklein berichte. Ich weiß ja jetzt, wie sie auf, für ihren Geschmack, zu wenig offensichtliches Interesse meinerseits in solch einem Fall reagiert. Abgesehen davon, dass sie sowieso wieder überreagieren wird, aber so sind sie halt, die Frauen.

Also, wie schon gesagt, er heißt Pascal, ist 17 und wohnt in einem Dorf in der Nähe. Den Namen habe ich vergessen, aber das war wohl irgendetwas mit L. Ist ja am Ende auch Schnitte. Was hatten wir noch? Ach genau. Er geht auf ein Wirtschaftsgymnasium, weil seine Eltern meinten, dass ein Realschulabschluss für ihren Sohn nicht ausreichen würde. Ihn hat das zu Beginn ziemlich angeödet, aber er hat sich dann doch damit arrangiert, weil sein Vater einen ziemlichen Terz veranstaltet hat. Inzwischen sind beide Elternteile wohl wieder vollkommen zufrieden mit ihrem Sohn, weil der ausnahmslos gute Noten mit nach Hause bringt. Also, in der Hinsicht schon mal keine schlechte Wahl, vielleicht wird der Mensch ja mal Professor. Daneben ist Pascal wohl auch ziemlich sportbegeistert. Wenn ich es mir recht gemerkt habe, geht er vor allem schwimmen und regelmäßig in einen Leichtathletikverein. Ich kann zwar nicht wirklich verstehen, was daran so toll sein soll, über irgendeine Stange zu hüpfen oder über irgendeine Stange mithilfe einer weiteren Stange zu hüpfen oder aber einfach so durch die Gegend zu hüpfen, aber ich bin ja tolerant und lasse jedem sein Hobby. Das Problem sind trotzdem irgendwie seine Eltern beziehungsweise auch seine Freunde, denn die wissen nichts davon. Er ist sich ziemlich sicher, dass die beiden frei drehen würden, wenn sie es denn herausbekämen und seine Freunde, nun, das sind wohl eher bessere Bekannte, mit denen man ab und an einmal etwas unternimmt, aber mehr auch nicht. Die Einzige, die es weiß, ist eine Freundin von ihm aus dem Internet, die zwei haben sich noch nicht einmal live getroffen, aber er vertraut ihr wohl und sie scheint so etwas wie sein Fels in der Brandung zu sein. Das klingt schon ein wenig durchgeknallt, aber inzwischen bin ich mir sicher, dass irgendwie jeder Mensch seinen persönlichen Dachschaden hat. Menschen sind halt so. Komisch und vor allem ständig komisch gelaunt. Nun ja, was war da noch? Ach so, kennen gelernt haben sie sich erst gestern, aber dafür die halbe Nacht lang.

Muss wohl ziemlich komisch gewesen sein am Anfang, jedenfalls, wenn ich meine Ohren richtig verstanden habe. Also, Pascal hat das Gespräch wohl angefangen und während er munter versucht hat, das Ganze am Laufen zu halten, war mein bester Freund wohl eher damit beschäftigt, selbiges möglichst effektiv zu torpedieren. Man kennt das ja. Irgendwo, irgendwann, irgendwer steht sich irgendwie gegenüber und übt sich in Konversation, bastelt wunderschöne Sätze, gehaltvolle Fragen und vor Sarkasmus tropfende Sprüche und bekommt immer die gleichen nichtssagenden Antworten, wie „Ja“, „stimmt“, „genau“ und „sehe ich auch so“. Hatte ich „Ja“ schon? Nun ja, auf jeden Fall wird hoffentlich deutlich, was ich sagen will. Für solche Sätze gehört der sie Aussprechende beziehungsweise in dem Fall der sie Abtippende gehörig vermöbelt. Aber nicht einmal davon hat sich Pascal wohl abschrecken lassen, sondern hat, im Gegenteil, hartnäckig weitergemacht, bis ihm schließlich die Hutschnur hochgegangen ist. Gut, er hat sich damit ziemlich aufs Glatteis bewegt, aber am Ende heißt es ja nicht umsonst: no risk, no fun. Jedenfalls hat er Peter wohl an den Kopf geworfen, dass er ihn ziemlich interessant finden würde, aber wenn er keinen Bock hätte, sich mit ihm zu unterhalten, dann solle er doch bitte wenigstens die Eier in der Hose haben, es zu sagen. Tja, wie soll ich sagen? Da hat der gute Peter dann wohl Bauklötzer gestaunt und wusste erst mal nicht, wo im Wald er denn eigentlich war. Ist ihm wahrscheinlich auch noch nicht passiert, aber für alles gibt es ja bekanntermaßen ein erstes Mal.

Na gut, sein Verhalten war schon irgendwie nachvollziehbar nach der letzten Aktion, aber davon konnte Pascal ja nichts wissen. Und mit einer Sache hat er schon Recht: Wenn man keinen Bock hat, sich mit anderen Menschen zu unterhalten, dann kann man die Kiste auch gleich auslassen oder wenigstens das Maul aufmachen.

Auf jeden Fall hat Pascals Frage etwas gebracht, denn ab dem Zeitpunkt war Peter dann bei der Unterhaltung dabei und sie haben sich gegenseitig wohl gleich ihr halbes Leben erzählt. Was sollte man nachts auch sonst machen außer schlafen? Schlafen vielleicht? Na ja, egal. Jetzt kennt auf jeden Fall der eine das Leben des anderen und nicht nur auf sie trifft das zu. Ich kenne es jetzt auch, obwohl ich ohne Probleme darauf hätte verzichten können. Halt wieder einmal ein klarer Fall von „denkste“, würde ich sagen. Wem soll man auch sonst ein Ohr abkauen, außer seinen Freunden, schließlich müssen die ja auch irgendeinen Zweck erfüllen. Heute Abend wollen die beiden jedenfalls wieder chatten oder sogar telefonieren. Dabei hätten sie sich auch einfach gleich treffen können, schließlich laufen sie in der gleichen Stadt herum. Aber nun gut, warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht. Obwohl, dann muss ich wenigstens vorerst nicht auf ihn aufpassen, außer, die machen Telefon… äh nein, das machen sie einfach mal nicht.

Und da ich gerade einmal dabei bin, lustig Fehler zu machen, für die ich mich selber schlagen könnte, habe ich natürlich, sobald ich zu Hause war, zum Telefon gegriffen. Kennt man ja... Typ kommt nach Hause und denkt sich, „Haste doch heute wirklich was Neues erfahren, zeigst du dich gleich mal kommunikativ und erzählst es deiner besseren Hälfte“. Ist ja auch nicht etwa schon schlimm genug, dass ich heute früh freiwillig das Gespräch angezettelt hatte, nein, nun muss ich auch noch dem neugierigsten weiblichen Wesen, das ich kenne, einen Finger reichen.

Ich sage nur: drei Stunden und ein völlig ausgeleiertes Ohr. Lara war total aus dem Häuschen und wollte natürlich auch die kleinste Einzelheit wissen und das tat sie auch in wechselnder Lautstärke und Tonlage kund, was meine Ohren echt total geil fanden. Zum Abfallen quasi, aber lassen wir das. Denn neben meinen schmerzenden Lauschapparaten machte sich auch noch das vorhandene aber meist unauffällig im Hintergrund bleibende Sieb in meinem Hirn mal wieder bemerkbar. Ich hatte die Hälfte vergessen oder zumindest in irgendeinem dunklen Winkel meines Kopfes abgelegt. Wenn ich schlau gewesen wäre, hätte ich mir heute früh schon alles auf einen Zettel geschrieben und wenn ich nicht doof wäre, hätte ich heute Nachmittag Zettel und Stift neben dem Ohrenquäler positioniert, um all die neuen Fragen, die mir aufgetragen wurden, mitzuschreiben, aber erstens bin ich scheinbar nicht sonderlich schlau und zweitens redet Lara echt viel zu schnell.

So langsam komme ich mir echt vor wie eine Wechselsprechanlage. Können Lara und Peter nicht der Einfachheit halber von Auge zu Auge oder wenigstens von Mund zu Ohr zu Mund zu Ohr kommunizieren? Muss das denn unbedingt alles über mich laufen? Ich will das alles doch überhaupt nicht wissen! Na gut, ich bin vielleicht ein ganz klein wenig neugierig, aber ich will doch nicht jedes kleine Detail kennen. Davon platzt mir nämlich bald der Schädel. Wozu zum Beispiel muss ich wissen, dass Pascal eine total süße Stimme hat? Wenn ich Schokolade will, dann kauf ich mir welche. Aber auf mich nimmt natürlich keiner Rücksicht und ich habe inzwischen wirklich angefangen, mir kleine Merkzettel zu schreiben, denn die ganzen Fragen und dazugehörigen Antworten kann ich mir beim besten Willen nicht mehr merken.

Inzwischen hängen die beiden nicht mehr nur in irgendwelchen Chats, „Willst du mit mir gehen“-Seiten oder sonst wo im Netz aneinander, nein, jetzt telefonieren sie auch noch nebenbei. Ich hab das in der Anfangsphase mal mitbekommen, als ich Peter wegen irgendetwas angerufen habe. Ich habe geredet und geredet und mich nebenbei gefragt, was denn da die ganze Zeit so klickt. Nachdem ich dann meine Frage zum dritten Mal wiederholt hatte, konnte ich mir auch denken, dass der Herr auf der anderen Seite der Telefonleitung mir nicht wirklich zuhört und ich habe ihn gefragt, was zum Geier er da nebenbei macht. Da meinte er dann nur, dass er nebenbei chatten würde und mir war alles klar. Inzwischen kann das zum Glück niemandem mehr passieren, denn er blockiert ja jetzt auch das Telefon. Was das für einen Sinn machen soll, über den Bildschirm zu kommunizieren und gleichzeitig dem anderen ein Ohr abzukauen, will sich mir zwar auch nicht so ganz erschließen, aber ich bin ja in der Hinsicht eh immer der Dumme.

Ach so, das ist ja noch nicht alles. Die beiden haben es nämlich immer noch nicht geschafft, sich mal real ins Gesicht zu schauen. Ich weiß nicht genau, wie lange das jetzt schon geht. Eine Woche oder länger? Egal. Ich bin zwar der Meinung, dass man ein Treffen ruhig mal anberaumen könnte, notfalls eben mit einem Rettungsanker in Person eines guten Freundes, der allerdings keinerlei Ähnlichkeiten mit mir haben sollte, in der Hinterhand. Schließlich haben sich die zwei inzwischen genug beschnüffelt und wissen, dass der jeweils andere weder Vampir noch Werwolf oder Holzmichel ist, aber mich fragt ja mal wieder keiner. Ich darf immer nur zuhören, zustimmen, ausrichten und freundlich schauen. Vielleicht sollte ich nach der Schule Stewardess werden, weil, grinsen kann ich schon ziemlich gut. Obwohl, ich glaube, das lasse ich mal, weil Brüste... nun, ich glaub... die stehen mir nicht so.

Wenn ich das Ganze allerdings von der anderen Seite aus betrachte, stellt sich mir die doch recht sinnvolle Frage, ob ich eine Steigerung des jetzigen Zustandes geistig überhaupt noch unbeschadet überstehen würde. Denn, abgesehen vom Rest der Menschheit, geht mir das ganze Liebesgedöns langsam aber sicher ziemlich auf die Eier. Klar würde ich mich für ihn freuen, wenn es dieses Mal klappt. Aber das hat ja auch nichts damit zu tun, dass es mir einfach tierisch auf die Ketten geht, jede noch so kleine Kleinigkeit sofort erzählt zu bekommen und zwar in diesem „Ach das wäre so schön“-Ton. Echt mal. Bin ich ein Mädchen? Hab ich vielleicht Brüste? So etwas erzählt man doch eigentlich immer seiner besten Freundin oder erzählen das Schwule lieber ihrem besten Freund?

Na ja, scheint jedenfalls in unserem Fall so zu sein. Vielleicht sollte ich auch einfach mal wieder einen Gang herunterschalten und mich einfach nur für ihn freuen. Das ist es doch, was einen wichtigen Teil von Freundschaft ausmacht. Man hilft sich gegenseitig in den beschissenen Momenten des Lebens, man hört zu, man versucht, dem anderen beizustehen und man kassiert auch ohne zu zucken eins auf die Fresse. Aber vor allem freut man sich zusammen über die meist doch seltenen, richtig glücklichen Momente im Leben des anderen. Und genau solch einen Moment hat Peter doch gerade, oder?

So, die beiden haben es endlich auf die Reihe bekommen. Das war mir schon klar, als ich ihn heute früh auf dem Schulhof gesehen habe. Also, wirklich klar war es mir nicht, aber das Gesicht musste etwas bedeuten. Entweder er hatte die „Blöd, aber voll lustig“-Pillen entdeckt oder, wie es letztlich dann auch war, die beiden hatten sich endlich zu einem Treffen durchgerungen. Scheint also auch bei Schwulen ab und an mal länger zu dauern... aber nur manchmal.

Und dann das...

Sonntag Mittag, ungefähr viel zu viel Zeit vor dem Aufstehen, auch, wenn böse Zungen nachher behaupten werden, dass es schon zwei Uhr nachmittags war, klingelt mein gottverfluchtes Telefon, dass ich sofort gegen die Wand geklatscht hätte, wenn es nicht zwei Meter von mir entfernt liegen würde. Was wiederum bedeutet, dass ich aufstehen müsste und das wiederum würde bedeuten, dass ich dann nicht mehr weiterschlafen kann und das wiederum würde zur Folge haben, dass irgendjemand einen grausamen Tod erleiden müsste. Deshalb schlafe ich einfach weiter, der Anrufer wird schon irgendwann mitschneiden, dass ich keine Lust auf telefonieren habe.

Eine Viertelstunde Daueranrufe. Ich werde diesen Wahnsinnigen eigenhändig den Leib aus den Eingeweiden reißen, das kann ja wohl nicht wahr sein.

‚Dies ist der Anschluss von Florian Gerber. Bitte recken Sie Ihren Kopf in die Höhe, damit der Telefonbesitzer Ihnen selbigen sauber von der Schulter hacken kann.’

„Bist du bescheuert? Es ist...“

‚Unterbrich mich nicht, wenn ich rumfluche, das ist... Du sollst mich nicht u... Ich... Ja, ich hör ja zu!’

„Wie jetzt?“

„Hää...?“

„Bist du bescheuert?“

„Nein!“

„Vergiss es!“

„Komm mir nicht so!“

„Das ist nicht dein Ernst oder...?“

„Ist ja gut, ich mach’s.“

„Aber sonst geht’s noch?“

„Ja, ist ja gut.“

Scheiß Irrenhaus. Keine Sau nimmt Rücksicht auf mich. Freunde? Dass ich nicht lache. Freunde sind Menschen, die unter der Fassade des gegenseitigen Interesses versuchen, dich langsam aber stetig in den Wahnsinn zu treiben. Jedenfalls meine tun das.

Aber ich fange am besten mal von vorne an. Freitag, der Tag zwei Tage vor dem heutigen, bezeichnenderweise Rettungsanker im Leben eines jeden Schülers und dieses Mal der Beginn meines persönlichen Albtraumwochenendes. Ja, ich übertreibe durchaus etwas, aber ich darf das, schließlich bin ich hier das Opfer.

Es fing ja eigentlich recht positiv mit dem Ende des Schultages und somit der Schulwoche an. Den sinnlosen Test in der letzten Stunde hätte sich Frau Müller zwar ganz gepflegt an den Hut nageln können, aber, na ja, sie wollte uns halt unbedingt noch das Wochenende versüßen. Fanden wir alle tierisch klasse von ihr und haben unser Wohlwollen auch durch abfälliges Gemurmel und unerfreutes Gebrumme kundgetan, aber das hat die gute Frau auch nicht mehr von ihrem Vorhaben abgebracht. Also verließ der Großteil meines Kurses fünfundvierzig Minuten später ziemlich angepisst den Raum. War ja auch nur eine beschissene beschissene Note mehr, die man irgendwie wieder ausbügeln durfte, doch das ist ja zum Glück nicht das Problem des Lehrers.

Entsprechend geladen war ich dann auch, als mich Lara vor dem Schultor abfing und sie bekam es leider auch gleich zu spüren, denn, meine Reaktion auf ihre Begrüßung „unwirsch“ zu nennen, wäre wohl reichlich untertrieben. Dumme Frage, natürlich habe ich die Worte schon bereut, während ich sie ausgesprochen habe, aber für eine Entschuldigung war es zu spät und zu früh. Keine Ahnung, wieso ich eigentlich wegen einer einzigen bescheuerten Leistungskontrolle so an die Decke gegangen bin, vielleicht sind auch einfach ein paar Sachen zusammengekommen, schwer zu sagen und noch schwerer zu erklären.

Lara hat mich dann einfach stehen lassen, sonst wäre ihr wohl die Axt in der Tasche aufgeklappt. Eigentlich ist das ja nicht ihre Art, denn, sobald sie irgendwo Ärger oder Probleme riecht, wird sie zum Terrier. Dieses eine Mal allerdings ist sie einfach ohne mir vorher eine Predigt zu halten oder den Versuch zu starten, herauszubekommen, was denn nun schon wieder mit mir los war, gegangen. Und, was soll ich sagen, die Frau hat einfach einen Masterplan. Diesen einen Nachmittag habe ich einfach nur für mich gebraucht und dafür, dass sie ihn mir gelassen hat, dafür liebe ich sie. Es waren zwar nur ein paar Stunden, aber es waren meine Stunden, seit langem mal wieder.

Es ist nicht so, dass ich in letzter Zeit nie Zeit für mich gehabt hätte, doch irgendwie sind immer andere Sachen wichtiger gewesen als meine eigenen, das hat mir mein Ausraster vorhin deutlich gezeigt. Klar waren die Sachen auch ziemlich dringend, aber irgendwie hab ich mein eigenes Zeug ein wenig aus den Augen verloren, oder besser gesagt, ausgeblendet. Wie soll ich das am besten sagen? Eine Uhr funktioniert nur so lange exakt, wie all ihre Zahnräder ihre Arbeit tun und bei mir ist wohl ein kleines Zahnrad etwas aus dem Takt gekommen.

Als es dann irgendwann dunkel war, bin ich schließlich zu ihr gegangen. Sie hatte bereits auf mich gewartet und ließ mich doch noch weiter in Ruhe, bis ich endlich von allein mit der Sprache herausrückte. Wir haben in der Nacht beide kein Auge zugetan und es war kein schönes Gespräch, obwohl es wunderbar war. Wir haben uns an diesem Abend nämlich endgültig kennen gelernt. Irgendwann am nächsten Morgen bin ich in Richtung Heimat aufgebrochen, nachdem sie in meinen Armen eingeschlafen war.

Ruhe habe ich da aber auch keine gefunden, dafür spukten mir einfach noch zu viele Sachen im Kopf herum. Wenigstens war meine Laune wieder halbwegs im Lot und auch im Nachhinein konnte ich noch über den ein oder anderen Satz, den Lara gebracht hatte, schmunzeln. Und, scheiße ja, die Frau hat sogar mit ihren einfach so witzig dahingeworfenen Sprüchen Recht, so unglaublich das auch klingen mag. Am Ende sind wir eben doch ein altes Ehepaar und kennen die Marotten des anderen besser als er selbst. Genau deshalb hassen und lieben wir uns wahrscheinlich. Das habe ich bisher eigentlich noch gar nicht bedacht. Irgendwie schon komisch der Gedanke, aber kann es sein, dass man jemanden nur dann hassen kann, wenn man ihn liebt oder zumindest geliebt hat? Wenn irgendwie Gefühle im Spiel waren? Ist es nicht am Ende so, dass jeder andere, den man hassen könnte, vielleicht sogar hassen müsste, trotzdem diese Empfindung nicht hervorruft, weil er einfach nicht wichtig genug ist? Wahrscheinlich nicht.

So oder so ähnlich verpeilt bin ich dann irgendwann gegen Mittag zur Tür hereingestürzt und direkt Claudia in die Fänge gelaufen. Sie hat einen tierischen Aufstand veranstaltet und wollte wissen, wo ich mich rumgetrieben hätte und wieso mein Handy nicht angeschaltet gewesen wäre. Das hab ich natürlich abgestritten, schließlich hatte ich das Teil gar nicht ausgeschaltet. Aus war es trotzdem, aber das lag ganz einfach daran, dass der Akku mal wieder die Hufe hochgemacht hatte, was mir nicht einmal aufgefallen war. Na ja, shit happens. Also hab ich ihr die Sachlage erklärt und auch, dass ich über Nacht bei Lara geblieben war, weil wir ein paar Sachen zu klären gehabt hätten und ich einfach vergessen hatte, mich zu Hause abzumelden. Gepaart mit den üblichen „es tut mir Leid“-Floskeln zeigte das Ganze auch seine Wirkung und ich durfte mich unbehelligt in mein Zimmer entfernen. Endlich Ruhe, Einsamkeit und absolutes Chaos.

Als ich es dann aber endlich geschafft hatte, mein Bett schlaftauglich herzurichten und eben auf den Traumzauberbaum klettern wollte, stand Lara plötzlich vor meinem Bett. Begeisterung pur! Und als sie mir dann noch offenbarte, dass wir heute Abend etwas vor hätten, war ich kurz vor den allseits bekannten Luftsprüngen oder nein, ich wollte mich am liebsten in die Luft sprengen. Ja, genau das war der Plan. Da aber gerade wieder mal kein Sprengstoff im Haus war, musste ich sie wohl oder übel abwimmeln und, dass der Plan mal so was von vollkommen in die Hose ging, muss ich nicht wirklich erwähnen. Das ist nämlich immer das gleiche Spiel. Mann will etwas machen und Frau will etwas machen und am Ende macht Mann das, was Frau will, weil Frau sonst die Welt untergehen lässt oder zu ähnlich emotionalen Handlungen, wie: „Du hast mich gar nicht richtig lieb“ oder „Immer machen wir, was du willst“ greift. Folgerichtig fand ich mich gegen zehn Uhr abends wieder an der frischen Luft und stiefelte artig Lara hinterher, die irgendeine total tolle, total illegale und vor allem total geheim angesagte Party aufgetan hatte.

Weiß der Geier, wieso ich mich dazu habe breitschlagen lassen. Meine Argumentation war wie immer vollkommen logisch und rational aufgebaut gewesen und hätte eigentlich zum gewünschten Ergebnis, was gleichbedeutend mit einer durchgepennten Nacht war, führen sollen. Aber von meinem „Ich hab aber keinen Bock“ hat sich Lara irgendwie auch nicht beeindrucken lassen. Tja und nun hatte ich den Salat. Wir waren an der frischen Luft, wir waren auf der Party und, wie ich es befürchtet hatte, gefiel mir der ganze Zirkus keinen Meter. Komische Leute, komische Musik, komischer Alkohol und außerdem komische Partylocation. Na gut, vielleicht lag es einfach auch daran, dass ich inzwischen irgendwie vollkommen platt war. Aber wer kann so was schon genau sagen? Schließlich hab ich ja auch keinen Schlafmangel oder so, weil ich mal eine Nacht durchgemacht habe, nicht die Bohne, echt. Aber was will man in solchen Situationen schon anderes machen, als einfach das Beste aus den gegebenen Umständen, und wider Erwarten entwickelte sich die Party nach anfänglicher Schnarchphase doch ein klein wenig in Richtung Spaß haben. Das kann natürlich auch an meinem inzwischen leicht erhöhten Alkoholspiegel gelegen haben oder daran, dass meine Müdigkeit einfach mal aufgegeben und sich auf irgendwann später verabschiedet hatte oder vielleicht war es auch alles zusammen.

Irgendwann gegen ziemlich spät oder eher beinahe früh, sind wir dann aufgebrochen und nach Hause getorkelt, da wir beide doch ordentlich getankt hatten. Und dann ruft mich doch tatsächlich mein bester Freund mitten in der Nacht an und sagt mir, dass er im Niemandsland festsitzt, weil sein Paps die Karre kaputt gekriegt hat und er es deswegen nicht zu seiner Verabredung schafft. Ist ja eigentlich auch kein Beinbruch, man sagt das Treffen einfach ab oder verschiebt es wenigstens um ein, zwei Stunden und behelligt nicht seinen völlig übernächtigten besten Freund. Aber das geht auch nur, wenn man sich die Telefonnummer seiner Verabredung aufgeschrieben hat, was manche Leute scheinbar irgendwie verpeilen oder besser gesagt, manche Leute vergessen es einfach mal, die Nummern auch in ihrem Handy zu speichern und wecken deshalb ihren völlig übernächtigten besten Freund. Manchmal frage ich mich echt, wo der Mensch seinen Kopf lassen würde, wenn er nicht angewachsen wäre und weshalb er gerade mich in solchen Situationen anruft. Und, als ob das nicht schon genug Chaos für ein ganzes Leben wäre, scheint Pascal auch einer von der Sorte zu sein. Der hat nämlich gar kein Handy. Ja, solche Leute soll es tatsächlich geben. Peter hat da noch irgendetwas gesagt von Handy im Klo versenkt, aber was weiß ich, ich hab wie fast immer nicht so genau hingehört und außerdem hatte ich ja schon erwähnt, dass mir irgendwie gut und gerne hundert Stunden Schlaf gefehlt haben.

Trotzdem ist ja auch all das noch kein Problem. Man kann sich ja auch einfach etwas später entschuldigen. Man könnte das ja sogar durch die Aussagen der eigenen Eltern bestätigen lassen, quasi ein richtiges Alibi. Man kann andererseits natürlich auch vollkommen blöde im Kopf werden und einfach seinen besten Freund dazu „überreden“ und zwar mit vollkommen fadenscheinigen Argumenten, dahin zu gehen und die Situation zu erklären und das, wo besagter bester Freund ja eigentlich nur mal ausschlafen wollen würde, wenigstens einen Tag am Wochenende. Ganz großes Kino sag ich da nur. Da wünscht man sich nur noch eine Mauer, gegen die man springen kann, bis endlich alles finster wird.

Elender Mist. Ich komme natürlich zu spät. Kann ja keiner ahnen, dass die Straßenbahn heute so langsam fährt. Außerdem hätte Peter ruhig auch ein wenig eher Bescheid geben können. Na gut, hat er ja mit ungefähr zehn Nachrichten gemacht, aber ich habe halt leider Gottes eine halbe Stunde im Bad gebraucht, um mich irgendwie wieder gesellschaftsfähig zu bekommen. Ich will ja auch nicht Schuld daran sein, wenn die alten Omis schreiend von dannen rennen, weil sie glauben, die im Fernsehen immer wieder bildhaft vorgeführte Verzombieisierung des gemeinen Bürgers finde nun doch statt. Deswegen habe ich dann die Bahn verpasst, mit der ich wahrscheinlich noch gerade so pünktlich angekommen wäre, wäre ja auch zu schön gewesen. Und jetzt darf ich mir zu der eigentlichen Entschuldigung, die ich nur überbringen sollte, auch noch eine eigene ausdenken, die meine eigene Verspätung rechtfertigt. Wenn der uns nicht für irre hält, dann weiß ich auch nicht.

Wieso mussten die beiden sich eigentlich in so einer riesigen Kneipe verabreden? Ganz klasse, wie soll ich denn hier jemanden mit... warte, wie hat er es gleich ausgedrückt... total verstrubbelten braunen Haaren und einem total süßen Lächeln... in einem Haufen von Kaffee schlürfenden Menschen finden? Geh mal mit so einer Beschreibung zur Bulle... äh Polizei und gib eine Vermisstenanzeige auf. So nach dem Motto: Hallo, mein Freund ist verschwunden! Wie sieht er denn aus? Na, total niedlich... Da wird man im besten Fall nur ausgelacht und im schlimmsten Fall wahrscheinlich von den Leuten mit den komischen Strampelanzügen abgeholt. Wenigstens weiß ich, dass er Pascal heißt, dann kann ich ihn wenigstens an der Kasse ausrufen lassen, wenn er denn überhaupt noch da ist.

Ich glaube, ich hab ihn. Jedenfalls das mit den braunen Haaren stimmt irgendwie und auch sonst dürfte ich richtig liegen. Na gut, ich habe ihn bisher noch nicht von vorne gesehen, aber das lasse ich auch erst mal noch. Schließlich sieht das total bescheuert aus, wenn ich mich vor einen Wildfremden hinstelle und ihn erst einmal eine Minute lang anstarre. Ich könnt so kotzen. Wieso habe ich mich eigentlich dazu breitschlagen lassen? Kein Wunder, wenn ich irgendwann im weißen Strampelanzug ende. Aber mit mir kann man es ja machen. Also dann. Ran an die Buletten.

„Hi.“ Grandioser Start Herr Gerber. Phänomenal!

„Hi.“ Vielen Dank für die Mitarbeit, mach’s mir bloß nicht etwas einfacher. Ich komme mir ja so schon überhaupt keinen Meter bescheuert vor. Ach Mist. Augen auf und durch.

„Bist du zufällig Pascal?“

„Ja? Wieso?“ Treffer. Treffer! Jetzt nur erst mal losplappern ohne zwischendurch Luft zu holen, sonst haut er noch ab und ich kann mir ’ne Pfeife anbrennen.

„Gott sei Dank hab ich dich endlich gefunden. Ich dachte schon, du wärst nicht mehr da, dann hätte ich echt ein Problem gehabt.“

„Ähm, wer bist du?“ Wir sind aber heute neugierig! Ach so, ich hab ihn ja angelabert, da könnte ich mich natürlich auch vorstellen. Hätte glatt von mir sein können die Idee.

„Also, das klingt jetzt gleich bestimmt total komisch, aber kannst du mich bitte erst ausreden lassen, bevor du eventuell die Flucht ergreifst?“

„Wenn du mir nichts verkaufen willst, dann denke ich mal schon.“ Witzekiste, einen Trostpreis aus der Witzekiste. Der Mensch hat ihn verdient.

„Gut. Ich bin Flo.“

„Ah ja...“ Fein, das hätten wir dann also geklärt.

„Na ja, jedenfalls bin ich der beste Freund von Peter und der steckt nämlich mitten in der Pampa mit seinen Eltern fest und kann nicht kommen, weil sie eben ohne Auto da nicht wegkommen und das Auto ist irgendwie kaputt, aber ich weiß nicht, wieso und deshalb hat er gesagt, dass ich hierher kommen und ihn entschuldigen soll, weil er sich deine Nummer nicht aufgeschrieben hat und sich sicher war, dass du ihm das ziemlich übel genommen hättest, auch, wenn er sich nachher dafür entschuldigt hätte und ich hoffe doch, du nimmst ihm, dass statt ihm jetzt ich hier bin, auch nicht übel, weil, dann bin ich nämlich wieder Schuld, weil, irgendwie bin ich nämlich immer Schuld und außerdem hat der mich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt und das will schon was heißen, denn er weiß, dass ich bei so was gerne mal Amok laufe, weil ich es nämlich nicht leiden kann, wenn man mich nach drei Stunden Schlaf unbedingt aus den Federn reißen muss und na ja gut vielleicht waren es auch etwas mehr als drei Stunden, aber ich war wirklich noch nicht fertig mit schlafen und er hat mich trotzdem eine geschlagene Viertelstunde angeklingelt und dafür wollte ich ihn ehrlich massakrieren und dann hat er auch noch gesagt, dass ich hierher kommen soll und quasi als Ersatzdate einspringen soll, damit du ihm nicht böse bist und so und na ja ich fand das eine vollkommen bescheuerte Idee, weil, wir kennen uns ja überhaupt nicht und du denkst jetzt bestimmt, dass wir total bescheuert sind, aber eigentlich hat mich Peter nur geweckt und hergeschickt, weil er dich total mag und es halt nicht verbocken wollte und außerdem hat er ja auch schon so viel von dir erzählt und...“

Und jetzt holen wir erst einmal tief Luft, bevor wir noch ersticken.

Schnauze... und danke.

„Du kannst ja ganz schön lange reden ohne Luft zu holen.“

„Hab ich auch grad erstaunt festgestellt, aber ich wollt’s halt nicht verbocken, weil, er ist ja mein bester Freund und...“

„Ich glaub, ich hab’s verstanden und ich werde auch nicht sofort schreiend wegrennen. Aber das mit dem in der Pampa stecken bleiben könntest du mir noch mal genauer erklären.“ Gott sei Dank, ich hab’s nicht verbockt. Ich bin so toll. Ich. Bin. So. Toll.

„Also, um ganz ehrlich zu sein, ich weiß weder, wieso die in der Pampa feststecken noch wo genau diese Pampa eigentlich sein soll. Das einzige, was ich weiß, ist, dass sie es tun, für mehr Informationen fragen sie bitte Ihren... halt falscher Text. Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen, weil ich ja, wie bereits gesagt, noch nicht wirklich wach war, als ich freundlicherweise meines dringend benötigten Schlafes beraubt wurde.“

„War wohl `ne lange Nacht?“

„Davon kannst du ausgehen. Lara hat mich auf irgendeine Party geschleppt. War ganz lustig und ging ziemlich lange... Ach so, Lara ist meine bessere Hälfte, das kannst du ja gar nicht wissen.“ Wieso erzähle ich das hier eigentlich gerade? Wir kennen uns noch keine fünf Minuten und ich werd zum Entertainer. Das kann so nicht weitergehen. Notiz an mich selbst: Unbedingt den Dealer wechseln.

„Klingt nach einer guten Party.“ Davon kannste ausgehen, sonst hätte ich heute früh auch nicht vor Schreck beinahe den Spiegel zerschlagen. Ich dachte nämlich kurz, da kommt ein Zombie raus. Aber nun ist gut mit Infos über mein Leben, schließlich bin ich ja hier der Neugierige. Dann wird jetzt mal Oberhauptkommissar Gerber das Gespräch in eine andere Bahn lenken. Mal sehen, was der gute Pascal so alles auf dem Kerbholz hat.

„Und ihr beiden kennt euch also schon eine Weile über den Chat?“

„Äh ja, da hast du Recht. Was hat Peter denn noch so über mich erzählt? Das macht mich irgendwie neugierig.“

Klarer Fall von „denkste“. Sehe ich vielleicht aus wie die Auskunft? Das kannst du gleich knicken mein Lieber. Ich habe nämlich nicht vor, hier Geld für Getränke auszugeben und wenn ich ständig erzählen würde, würde ich Durst kriegen und dann würde ich meinen Vorsatz brechen und das wäre gar nicht gut... für meinen Geldbeutel. Der ist nämlich sowieso schon arg gebeutelt. Wortwitz. Verstehste? Beutel und gebeutelt. Ich bin so witzig, ich könnt mich ständig selbst hochleben lassen... Ach Moment, da stand ja noch ´ne Frage im Raum

„Och, nur das ein oder andere. Was man sich halt unter besten Freunden so erzählt.“

„Du willst es mir also nicht erzählen?“

„So viel Spucke hab ich gar nicht.“ Erst denken, dann reden. Das ist wie die Weisheit, die uns unser Informatiklehrer immer wieder vor Augen gehalten hat. Erst gucken, dann drucken. Na ja, beim nächsten Mal denke ich vielleicht rechtzeitig dran.

„Soll ich das jetzt als ein Kompliment auffassen oder eher weniger gut finden?“ So ein Heckmeck, der hört mir ja wirklich richtig zu. Da sollte ich besser ab jetzt aufpassen, was ich so von mir gebe. Aber wo wir gerade dabei sind, Notiz an mich selbst: Peter verprügeln oder zumindest mit Schokoflocken bewerfen, einfach schon aus Prinzip.

„Ich hab das eher als Kompliment gemeint, aber ich will mich da jetzt auch nicht in irgendetwas reinreiten, weil, am Ende bin ich dann wieder der Dumme.“

„Gute Antwort, dann werde ich ihn bei Gelegenheit mal selber fragen.“

„Also hat er mich bisher gar nicht erwähnt?“

„Doch, das hat er, sogar mehr als erwähnt.“

„Und dann lässt du mich hier quatschen bis ich beinahe ersticke, weil ich das Luft holen vergesse?“

„Ich wollte dich halt nicht unterbrechen und es war schon lustig, wie du am Stück einen halben Theatermonolog heruntergebetet hast.“

„Danke für die Blumen... ich mag dich von Sekunde zu Sekunde mehr.“

„Das nehm ich dann mal als Kompliment.“ Ich komplimentier dir auch gleich was. „Na, auf jeden Fall hat Peter erzählt, dass ihr euch mit Pause schon seit der Grundschule kennt.“

„Da hast du wahr. Meine Familie ist dann aber umgezogen und wir haben uns erst vor ungefähr einem halben Jahr wieder getroffen.“

„Hm, irgendwie cool.“

„Wie jetzt? Cool?“

„Na ja, dass ihr trotzdem noch so gute Freunde seid, oder anders gesagt, dass ihr euch schon so ewig kennt und Freunde seid.“

„Wieso, du hast doch bestimmt auch ein paar ziemlich gute Freunde, oder?“ – Wir berichten heute live aus einem Café, in dem sich unser Protagonist wieder einmal eine Schlacht mit sich selbst liefert. Da ist es. Das einzige Fettnäpfchen weit und breit. Er nimmt Anlauf. Er überwindet alle Hindernisse und ignoriert sämtliche Warnschilder... und... trifft. Volle Kanne!

„Ähm, na ja, geht so. Ich hab ein paar Leute, mit denen ich ab und zu was unternehme, aber halt nur ab und zu.“

Das hatte mir Peter ja schon verklickert und ich Vollspaten ramme natürlich volle Granate den Eisberg, war ja auch nicht ausgeschildert. Notiz an mich selbst: Vorhin getätigte Notiz unbedingt ausführen und im Anschluss Peter noch lilabunt anmalen.

„Da hab ich wohl ein Fettnäpfchen erwischt.“

„Nee, passt schon.“

Und da war es dann endlich, das Land des verreckten Gesprächs. Wir hatten es irgendwie geschafft. War ja eigentlich auch nur eine Frage der Zeit, bis wir anfangen würden, uns gegenseitig anzuschweigen, schließlich kannten wir uns kaum eine halbe Stunde und wussten nichts voneinander. Na gut, ich wusste so einiges über ihn, aber das konnte ich ihm nicht wirklich auf die Nase binden, weil, dann hätte ich wohl wirklich verschissen und wenn er das nicht so locker nahm, dass Peter mir einiges erzählt hatte, hätte der wohl auch so ziemlich verkackt bei Pascal. Allerdings hatte ich auch nicht so wirklich Lust darauf, mir hier noch eine halbe Stunde einen abzubrechen. Also, ran an den Speck.

„Hast du Lust, woanders hinzugehen? Weil, ich finde die Situation hier reichlich bescheuert.“

„Geht mir ähnlich, aber denkst du, dass es woanders besser wird?“ Da willst du doch jetzt keine ehrliche Antwort drauf haben, oder?

„Na ja, entweder wir schweigen uns hier an oder wir gehen woanders hin oder aber wir brechen das Ganze hier ab. Wann musst du denn wieder zu Hause sein?“

„Keine Ahnung, irgendwann heute Abend. Ich wusste ja nicht, ob das wirklich hinhaut mit uns beiden.“

„Also magst du ihn ziemlich?“ Scheiße, ich bin doch ein kleines Mädchen. Ich spreche hier über Gefühle! Mit einem wildfremden Typen!

„Ich glaub schon.“ Ey! Themenwechsel, aber ganz flott. Wir sind hier nicht bei „Sprich dich aus und erzähl mir was von deinen Gefühlen“. Daran ist ganz allein Lara Schuld, jetzt werde ich doch tatsächlich einfühlsam. Grässlich. Kann man sich das irgendwie wieder wegoperieren lassen?

Fünf Minuten später hatten wir es dann geschafft. Geld an Frau, Zettel von Frau zurück, Getränke im Magen angekommen und wir wieder an der frischen Luft. Da ich aber noch nicht wirklich wusste, was ich denn nun mit Pascal anfangen sollte, schleppte ich ihn einfach in Richtung unserer Schule, um wenigstens etwas zu tun. Da man aber an einem Haus nicht allzu viel besichtigen kann und wir auch schlecht ins Innere gelangen würden, weil irgendein Spaßvogel die Schule am Wochenende immer abschloss, waren wir nach fünf Minuten wieder am Anfang und schwiegen uns an, bis sich mein Handy plötzlich bemerkbar machte.

Eine Zehntelsekunde später brüllte mir auch schon Peter die Ohren voll, wo ich denn wäre und warum ich denn nicht mehr da wäre und ob ich Pascal vertrieben oder ob ich überhaupt nicht hingegangen wäre. Da hatte ich noch nicht einmal „Hallo“ gesagt. Da man mir ja sowieso nicht zuhören und stattdessen lieber einen Brüllaffen imitieren wollte, gab ich das Handy einfach an Pascal weiter, der mich erst ziemlich blöd anschaute und dann aufmerksam lauschte. Das Ergebnis war ein ziemlich breites Grinsen auf seinem Gesicht, bevor er schließlich ein ziemlich leises „Hallo“ ins Handy sprach. Wer weiß, was mein lieber bester Freund da alles vom Stapel gelassen hat. Na ja, wahrscheinlich das richtige, wenn ich mir dieses eklig verliebte Grinsen anschaue. Aber nun ja, sei’s drum.

Ab da ging alles ganz schnell. Ich bekam mein Handy zurück und sagte Peter, der gerade wieder anfangen wollte, sich aufzuregen, wo wir uns wann treffen würden und lieferte Pascal auch genau da ab, bevor ich mich von den beiden verabschiedete und schleunigst das Weite suchte. Allerdings nicht, ohne nicht vorher noch einmal Pascal zu sagen, dass, wenn er noch mehr peinliche Erlebnisse aus Peters Jugend wissen wolle, einfach nur Bescheid sagen müsse, denn die Telefonnummern hätten wir ja bereits getauscht. So hatte ich wenigstens schon mal eine kleine Anzahlung auf den riesigen Gefallen, den er mir für diesen Affentanz schuldete, denn Peter wurde direkt zum roten Ampelmännchen. Sah einfach toll aus.

Zu Hause angekommen habe ich nach einem kurzen Umweg über die Küche und den Kühlschrank schnellstmöglich die Treppe hochgequält, sicherheitshalber noch das „Müde, will schlafen und wenn du mich weckst, dann schick ich dich schlafen“-Schild an meine Tür gepappt und nur Sekunden später schon schlafend auf meinem Kopfkissen gelandet. Und weil ich meine guten Taten für den Sonntag schon hinter mich gebracht hatte, sorgte mein Heiligenschein auch dafür, dass die dreiundzwanzig Versuche meines besten Freundes, mich zu erreichen, dieses Mal nicht sonderlich oder besser überhaupt nicht vom Schlafen abgehalten haben. Also ist da doch etwas dran, dass gute Taten irgendwann belohnt werden. Und wenn’s nur ein paar Stunden Schlaf sind, soll’s mir recht sein.

Aber hey... wenn ich dich mal nicht erwische, weil du wahrscheinlich schläfst, weil du ja vielleicht das ganze Wochenende bis dahin nicht geschlafen hast, hält mich das doch nicht davon ab, dir deswegen gleich am nächsten Morgen Vorwürfe zu machen. So was gibt’s nicht? Denkt ihr vielleicht. In meiner kleinen bunten Welt gibt es so etwas nämlich schon. Aber ich fang mal von vorne an. Irgendwann mitten in der Nacht klingelt irgendwie mein Wecker, was mich natürlich nicht wirklich juckt. Irgendwann, nur Sekunden später, explodiert plötzlich das ganze Zimmer, weil Muttern reingerauscht kommt, die Jalousien hoch zerrt und zusätzlich auch noch die scheiß Deckenfunzel anknipst. Da auch das noch nicht genug ist, fängt fast parallel die Trine im Radio an, irgendwelchen Dünnsinn zu labern. Aber auch das bringt einen erfahrenen Kämpfer noch nicht aus der Ruhe. Aber wenn die am frühen Morgen im Radio „I’ve been looking for freedom“ spielen, ist aus die Maus. Da ist dann auch nichts mehr mit „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, dann ist nämlich zappenduster. Ich also aus den Federn raus und was zum werfen, schlagen oder selbst enthaupten gesucht. Allerdings nur Hausschuhe gefunden, die dafür aber mit einem gezielten Wurf ins Ziel gelenkt und den Radiowecker ins Nirwana verabschiedet. Es gibt halt so Situationen, in denen man kompromisslos und ohne Rücksicht auf Verluste handeln muss, um sich die wertvolle geistige Gesundheit zu bewahren. Und da ich dann eh schon einmal wach war, die schlimmsten Sekunden des Tages auch schon hinter mir liegen mussten, konnte ich mich auch gleich ins Bad schleppen.

Das mit den schlimmsten Sekunden war zwar ein schöner Gedanke, aber kaum war ich unten in der Küche, fing Claudia an, mir einen Monolog über Wochenendverhalten von Jugendlichen zu halten und das am Montagmorgen. Kuhhaut? Voll! Ich hab ihr natürlich nicht wirklich zugehört und stur mein Brötchen massakriert, bis der Vortrag vorbei, mein Magen für den Augenblick ruhig gestellt und ich endlich zur Haustür hinaus war. Und wieder hatte ich die wahnwitzige Idee, dass es schlimmer sicher nicht mehr kommen könnte und wieder mal war der Gedanke für’n Arsch. Straßenbahn voll, ich schon wieder halb am wegpennen und kriege deswegen natürlich auch nicht mit, wie sich eine unfreundliche Mitvierzigerin vor mir aufbaut und wohl Anspruch auf meinen Sitzplatz erheben möchte. Als ich mich verständlicherweise, denn wie schon gesagt, ich habe es nicht mitbekommen, nicht rühre, hat die daraufhin nichts besseres zu tun, als mir ihre blöde Handtasche ins Gesicht zu rammen und sich nicht einmal dafür zu entschuldigen. Dafür wollte sie aber immer noch auf meinen Platz und tat dies auch durch Schnaufen und böse Blicke kund. Aber so nicht und schon gar nicht mit mir.

Normalerweise ist das ja so, man erlebt Situationen, die einen auf den Tod ankotzen, aber einem fällt keine passende Reaktion ein. Tausendmal hab ich solche Situationen durchgemacht und regelmäßig fünf Minuten nachher fällt mir die passende Antwort ein, die aber keinen mehr interessiert, weil die Sache ja schon lange vorbei ist. Ausnahmen bestätigen die Regel? In diesem Fall schon. Ich hab die Frau also freundlich angeschaut und sie erfreut, dass ihre Aktionen endlich gefruchtet hatten, nickte mir auch gnädig zu. Und während sie sich noch schön gefreut hat, habe ich meine Kopfhörer ausgepackt, aufgesetzt, die Technik angeworfen, noch einmal freundlich hingeschaut und mich zum Fenster umgedreht. Ich hab das Gesicht zwar nur im Fenster gesehen, aber es sah gut aus. So wirklich mitbekommen, was sie so alles gesagt hat, habe ich aufgrund lauter Musik natürlich nicht, aber, dass es um die verdorbene und ungehörige Jugend ging, konnte ich mir auch so denken. Dabei hatte ich mich sogar noch richtig zurückgehalten und ihr nicht gleich ins Gesicht gesagt, dass man sich auch entschuldigen könne, wenn man anderen Leuten das Schminkköfferchen ins Gesicht drischt. Aber, sich darüber aufzuregen, bringt auch nichts und ich war froh, als ich endlich aus der Straßenbahn raus war und nun ja wirklich nichts mehr kommen könnte, was meinen Tag noch beschissener gestalten würde. Fehler? Großer Fehler. Zehn Minuten später stehe ich nichts Böses ahnend auf dem Schulhof, als man mich unerwartet und zudem ohne Rücksicht auf Verluste herumdreht. Solche Sachen können ja durchaus mal passieren und es ist am Ende auch nicht wirklich böse gemeint, vor allem, wenn sich derjenige sofort entschuldigt, aber nachdem ich das Gesicht von Peter gesehen habe, war klar, schlimmer geht immer.

Der hat mich umarmt. In aller Öffentlichkeit. Am frühen Morgen. Vor versammelter Mannschaft und in aller Öffentlichkeit und überhaupt, es war noch mitten in der Nacht und ich war mir echt sicher, dass die Welt gleich explodieren wird, denn sonst kann doch wirklich niemand so wahnsinnig sein und früh am Morgen den Sicherheitsabstand ignorieren. Das geht doch nicht.

Die Welt ist irgendwie nicht explodiert und nachdem er meinen Gesichtsausdruck, der wohl irgendwo zwischen „Bist du des Wahnsinns?“ und „Falscher Film, falscher Film... unbedingt vorspulen“, gesehen hat, ist er auch wieder einen Schritt zurückgegangen und hat leider angefangen, ohne Unterlass zu reden. Ich fasse also noch mal zusammen... fast blind, fast taub, fast wahnsinnig, fast erschlagen, fast erdrückt und nun werde ich auch noch vollgequatscht. So langsam habe ich echt die Faxen dicke. So ein Scheißtag.

Es ist gerade große Pause und ich habe mich vom Schulgelände verkrümelt, um eine zu rauchen, denn das habe ich mir heute ausnahmsweise mal verdient. Inzwischen habe ich mich auch wieder abgeregt, so ein kleines bisschen jedenfalls. Zum Glück konnte ich mich heute früh gerade noch zusammenreißen, Peter nicht anzublaffen, denn das wäre oberpeinlich geworden, zumal er sich während seines Redeschwalls unaufhörlich bedankt hat, weil ich für ihn dahin gegangen bin und, dass ich deswegen ja auch einen Stein bei ihm im Brett hätte. Das hat mich in dem Moment zwar nicht die Bohne interessiert, aber ich habe mir schon mal vorgenommen, mich später für ihn zu freuen.

Freuen, weswegen? Nun, ganz einfach. Er hat mir nämlich erzählt, dass Pascal und er noch einen ziemlich lustigen Nachmittag zusammen gehabt hätten, nachdem sich Peter auch bei ihm, und ich schätze, das ist nicht gelogen, tausendmal für die Überraschung entschuldigt hat. Ich weiß jetzt auch, warum sie in der Pampa steckengeblieben sind. Da hat wohl ein Marder irgendwie ein wenig herumgeknabbert. Aber der Typ vom Autoreparaturdienst hat das wohl alles schnell wieder hinbekommen. Vor allem hat ihm Pascal nicht übel genommen, dass er mich vorgeschickt hat, obwohl das, mit Verlaub, doch schon ziemlich komisch rüberkommt, von daher habe ich wohl doch einen relativ guten Eindruck hinterlassen. Was auch sonst? Schließlich bin ich, was soziale Interaktion und den ganzen Hokuspokus angeht, ziemlich bewandert und außerdem habe ich mich echt angestrengt und war auch total höflich, da muss man mich ja wohl in guter Erinnerung behalten. Ich hoffe bloß, Pascal verliert nie auch nur ein Sterbenswörtchen über meinen Anfangsmonolog, denn erstens kann einem so etwas ja immer zu den unmöglichsten Zeiten auf die eigenen Füße fallen und zweitens würde ich dann wohl wegen Mordes verhaftet werden.

Aber was ich eigentlich sagen wollte: Die beiden haben den restlichen Nachmittag dann noch quatschend, spazierend und von Café zu Café ziehend verbracht. Daraus kann man dann wohl auch folgern, dass sie, obwohl sie ja vorher eigentlich schon so ziemlich alles was man am Anfang weiß oder eben auch nicht weiß, voneinander wussten, sich trotz dessen beim ersten Treffen nicht nach zwanzig Sekunden schreiend in die entgegengesetzten Himmelsrichtungen verabschiedet haben. Wer hätt’s gedacht. Deswegen wage ich jetzt auch ganz vorsichtig mal die Prognose, dass ich und vielleicht auch wir noch des Öfteren etwas von Pascal hören und am Ende auch von ihm sehen werden.


Es ist mal wieder soweit. Wir schreiben Samstag, den Tag nach Freitag und vor Sonntag, die gesegnete Insel zwischen den Untiefen der Wochentage, Tor zum Alkohol und lauter Musik, Offenbarung des Feierwütigen... Also um eins gleich vorneweg zu sagen, Vorglühen ist toll, heute geht’s auf Party und ich hab alles im Griff.

Spätestens in einer halben Stunde ist dann auch Lara da und wenn ich mich nicht irre wollte Jojo vorher auch hier aufschlagen, denn irgendwie haben die beiden keinen Bock auf Kneipe, aber Bock auf gemütliches Abendeinstimmen. Und wo könnte man das wohl besser machen als in meinem ständig aufgeräumten und überhaupt total ordentlich aussehendem Zimmer?

Peter kommt nicht, denn der wollte sich vorher noch mit Pascal treffen und irgendetwas unternehmen. Was allerdings besser sein soll, als bei mir den Abend einzuläuten, das kann ich mir echt nicht erklären, aber gut, ich lasse ja jedem seine Freiheit und gegen solche spontan einsetzenden und temporär anhaltenden Anfälle von geistiger Umnachtung kann ich auch nicht wirklich etwas machen. Zumindest bleibt ja die Hoffnung bestehen, dass die Leute ihren Irrtum irgendwann, vielleicht noch gerade so eben rechtzeitig, einsehen.

Tja, und wo geht’s heute hin? Nun ja, getreu dem Motto „Einmal ist keinmal“ wollen wir heute unser zweites Mal in Angriff nehmen. Eigentlich hat Jojo gefragt, wie es uns gefallen hat und da es das ja hat und er uns irgendwie auf die „Ihr müsst nichts bezahlen“-Liste bekommen hat, gehen wir natürlich noch viel lieber dahin. Das letzte Mal, das wir auf der Party waren, war zwar ein ziemliches Desaster, also nicht die Party selbst, aber danach dann, als sich Konstantin als Vollspaten geoutet hat, aber das kann dieses Mal ja zum Glück nicht passieren. Außerdem waren wir in letzter Zeit eigentlich nur auf irgendwelchen privaten Partys, was zum einen daran lag, dass Jojo so viele Leute kennt und er uns überall mit hingeschleppt hat und zum anderen, dass wir Pascal erst einmal Stück für Stück an das Stadtleben gewöhnen mussten.

Stimmt, da war ja noch was. Meine leise Ahnung hatte ich ja sowieso schon, nachdem das erste Treffen ohne Tote geendet hat. Und trotz unseres ersten Aufeinandertreffens haben auch wir beide es noch ein zweites und so weiteres Mal versucht. Nach dem ersten Nachmittag zu zweit oder besser gesagt zu zweit, zu dritt und wieder zu zweit, haben sich die beiden dann des Öfteren getroffen. Mal nach der Schule, mal am Wochenende, einfach wenn es sich ergeben hat. Tja, und eines schönen Samstags sind wir dann, also Lara und ich, den beiden über den Weg gelaufen. Die kamen beide gerade aus einem Klamottentempel und so, wie sie aussahen, war der Nachmittag durchaus erfolgreich und da wir ebenfalls gerade aus einem solchen Kasten kamen und ich irgendwie eine leichte Verschnaufpause brauchen konnte, schnappte ich mir die beiden als Vorwand für selbige. Zum Glück waren die beiden dieser Idee auch nicht wirklich abgeneigt, obwohl sich ja Lara und Pascal nicht kannten. Gut, so stimmt das nun auch wieder nicht, denn schließlich weiß Lara so einiges über Pascal.

Ich hatte kaum die Tüten aus der Hand bekommen, meine Zigaretten herausgefischt und mich neben Lara auf einen Stuhl gepflanzt, da ging das Gegacker schon los. Nicht, dass wir schon drei Stunden unterwegs gewesen wären und die Frau mich die ganze Zeit beschallt hatte, nein! Es waren nämlich vier Stunden. Jetzt hatte sie auch noch ein neues Opfer gefunden und störte sich auch nicht an den leicht panischen Blicken von Pascal oder den leicht belustigten von Peter. Sie redete einfach munter drauf los und versuchte, alles Mögliche und Unmögliche an Informationen aus dem armen Kerl herauszuquetschen. So hatte ich wenigstens Zeit, Peter davon in Kenntnis zu setzen, dass Jojo mich angerufen hatte und uns alle zu einer WG-Party eingeladen hätte. Als Lara den Satz hörte, war Pascal erst mal vergessen und ich Mode, weil ich davon gar nichts erzählt hatte, was natürlich daran lag, dass ich bisher einfach nicht zu Wort gekommen war. Na ja, jedenfalls war das ja jetzt erledigt und Lara Feuer und Flamme, also war es beschlossene Sache, dass wir auch da landen würden.

Nun galt es nur noch, die Frage zu klären, ob Peter auch mitkommen wollen würde. Und um gleich alle möglichen Ausreden, Ausflüchte und sonstigen Heckmeck zu verhindern, nahm ich gleich beide aufs Korn.

„Also ihr beiden. Wie sieht’s aus? Habt ihr Lust mitzukommen?“

„Na ja, an und für sich schon, wir wollten heute zwar einen DVD-Abend machen, aber grundsätzlich... was meinst du?“

„Mir ist’s eigentlich egal. Wenn deine Eltern es nicht unbedingt meinen erzählen, hab ich nichts dagegen.“

Oha. Neue Information. Unbekannte Information! Der hat mir gar nicht erzählt, dass sich ihre Eltern schon kennen. Wieso erzählt er mir so was nicht? Haben wir denn jetzt schon Geheimnisse vor mir?

Zum Glück war aber Lara da, denn die war immer noch nicht entneugierigifiziert oder wie das heißt. Obwohl, das ist bei Frauen doch genetisch bedingt gewesen, glaube ich jedenfalls. Tja, aber so habe ich wenigstens herausbekommen, warum sich Peters und Pascals Eltern kennen, denn, damit Pascal überhaupt bei ihm übernachten durfte, wollten sie zuerst mit den Eltern von Peter reden. Es ist ja nicht so, dass ich so was noch nie gehört geschweige denn gesehen habe. Aber, ich habe das in irgendwelchen amerikanischen Fernsehserien gesehen, wie die eine, wo der eine die eine geliebt hat, aber die hatte irgendwie einen anderen geliebt und ach nein, das ist die falsche Serie. Auf jeden Fall kenne ich das nur aus solchen Serien, dass die Eltern erst mal die Eltern der Freunde kennen lernen wollen, bevor man etwas mit seinen Freunden unternehmen darf. Aber gut, scheinbar gibt es solche Eltern auch hier. Ist ja auch nichts Schlimmes dabei, wenn man nicht die Vorgeschichte von Pascal kennen würde. So, wie ich die einschätze, wollen die nur sichergehen, dass ihr Sohn nicht den falschen Umgang hat.

Wäre ja auch nicht auszudenken, wenn der noch nicht volljährige Sohn mit so bösen Sachen wie Alkohol in Berührung kommen würde. Also mal ganz ehrlich. Wie weit hinter dem Mond muss man denn wohnen, um zu glauben, dass er noch nie einen Tropfen Alkohol im Hals gehabt hat? Ich meine, wenn er sonst mit den Leuten von seinem Dorf weggegangen ist, da haben die sich auch ganz sicher zusammengesetzt und gemeinsam Mau-Mau gespielt. Oder. wenn der gut erzogene Sohn einfach so fremde Mädchen küsst. Noch so eine Sache, die vollkommen schrecklich wäre, obwohl, nun ja, ich glaub, das mit der Freundin fänden seine Eltern gar nicht so schlecht, obwohl ja in diese Richtung nicht wirklich etwas passieren wird, wenn man mich fragt.

Auf jeden Fall war es wohl schon ein Akt an sich, Pascals Eltern Peter als guten neuen Freund aus der großen, bösen Stadt vorzustellen. Ja, er musste tatsächlich bei Pascals Eltern vorstellig werden und sich begaffen lassen. Aber da hat er sich ziemlich gut geschlagen und die Geschichte, wie sie sich kennen gelernt haben, da hat sich Peter etwas mit Basketball einfallen lassen. Wäre auch ziemlich selbstmörderisch gewesen, ihnen die wahre Geschichte aufzutischen. Ungefähr so, wie radioaktiv belastetes Gemüse zum Frühstück oder ein Sprung vom Fünf-Meter-Brett ins leere Schwimmbecken.

Das Vorstellungsgespräch war auf jeden Fall letztes Wochenende und deshalb darf Pascal dieses Wochenende nämlich hier verbringen. Und genau deswegen haben wir ihn dann auch gestern zusammen mit Peter, Lara und mir auf die Party von Jojo geschleppt und irgendwann waren dann Lara und Peter nicht mehr in unserer Nähe. Ich dachte ja eigentlich, dass so Leute vom Dorf einiges an Alkohol vertragen, aber scheinbar gibt es da doch ein paar Ausnahmen. Deswegen war ich ja auch nicht allzu besorgt, als sich Pascal einen nach dem anderen ins Glas geschüttet hat und bevor ich Nasensprayersatzpräparat sagen konnte war der einfach sternhagelvoll. Fand ich persönlich ja total witzig, obwohl das irgendwie nicht überall so aufgenommen wurde, denn logischerweise wurde ich von meinen beiden Moralaposteln, die natürlich nie und nimmer im Leben selbst schon mal ein bisschen zuviel Alkohol getrunken haben, beschuldigt, dass ich den armen Pascal mit Absicht abgefüllt hätte. Wenn ich das machen würde, dann sähe das aber ganz anders aus. Trotzdem konnte ich reden wie ich wollte, denn mir wurde mal wieder nicht geglaubt.

Auf jeden Fall hat er es überlebt und seine Eltern haben auch nichts mitbekommen, von daher haben sie auch nichts gesagt, weil er seitdem öfter am Wochenende bei uns rumhängt. Also eigentlich natürlich bei Peter, aber wir sind ja alle eine große Familie und so. Und überhaupt muss ich bei der Gelegenheit mal feststellen, dass wir ja sowieso viel und vor allem total übelst viel cooler als Freunde sind, als seine alten Dorfkumpanen.

Und nachdem dann ein wenig Gras über die erste Veranstaltung privater und alkoholgefüllter Art gewachsen war, haben wir uns wieder gemeinsam weggetraut. Dieses Mal habe ich mich aber gleich im Vorfeld mit Pascal zusammengetan, denn ich musste den beiden ja mal zeigen, wie das aussieht, wenn ich jemanden abfülle. Unser Opfer war dann auch schnell gefunden und das Jojo so schnell rotzetütenvoll ist, das hätte nicht mal ich gedacht. Alter Falter, der war innerhalb einer halben Stunde so was von hackedicht. Das war das reinste Fest. Wir haben uns nur weggelegt, denn Jojo ist nämlich leicht angetüdelt, wie er war, jedem Kerl, der ungefähr in seinem Alter war hinterhergestiefelt und hat ihn angebaggert. Die sind dann einer nach dem anderen zu Peter und der musste sie vor Jojo retten, während Pascal und ich nur noch am feiern waren.

Irgendwie fand Lara das wiederum nicht so toll und hat uns beiden feierlich eine Kopfnuss überreicht. Fanden wir wiederum nicht toll, aber Lara war mit sich sehr zufrieden und wir mussten Jojo ins Bett schaffen. Dabei hatte der noch nicht einmal alle Typen auf der Party durch. Kann natürlich daran gelegen haben, dass er ein paar in seinem Suff übersehen hat, weil die ziemlich lange Haare hatten. Aber vielleicht wollte er die sich auch nur bis zum Schluss aufheben. Herausbekommen haben wir es leider bis heute nicht, denn Jojo konnte es uns an dem Abend nicht mehr sagen und danach hatte er irgendwie komplett den Filmriss. Da sieht man mal wieder, was passiert, wenn Leute mehr trinken als sie vertragen.

Zu meiner Schande muss ich allerdings gestehen, dass der Pascal, den ich inzwischen total in Ordnung finde, obwohl er anfangs doch ziemlich komisch war, na ja, jedenfalls, dass der Pascal und ich dann auch den Kampf verloren haben und zwar gegen T. Quila. Der ist irgendwann in der Mitte der Party aufgetaucht, einfach so, ohne eingeladen zu sein. Und dann stand er so vor uns mit seinem komischen roten Hut und hat uns irgendwie blöde angegafft. Konnten wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen und haben, zusammen mit Zitrone und Salz, den Kampf gegen diesen unverfrorenen Partyspaßverderber angetreten. Die ersten drei Viertel gingen auch eindeutig an uns, aber im letzten Viertel, da drehte der Wind irgendwie komisch und was soll ich sagen, den letzten Schluck mussten wir in der Flasche lassen, weil wir die Flasche nicht mehr greifen konnten, denn die Flasche hatte irgendwie ganz plötzlich mindestens hundertachtzigtausendvierundreißigsieben Brüder und Schwestern bekommen, die uns ebenfalls komisch anschauten. Da haben wir dann zusammen mit Lara und Peter den strategischen Rückzug angetreten. Ich sage euch, die beiden waren genauso gefrustet wie wir zwei beiden, weil wir den Kampf nicht zu Ende führen konnten, die haben ständig irgendetwas von Kindsköpfen und Vollidioten gelabert. Dass sie damit uns gemeint haben, ist allerdings völlig ausgeschlossen, weil, wir waren ja die einzigen heldenhaften Streiter für Zucht und Ordnung oder so. Trotzdem war mir den Tag danach nicht wirklich nach Licht und überhaupt, ich hätte ihn am liebsten übersprungen und Pascal hat irgendwie etwas Ähnliches geschrieben. Aber auch solche Tage gehen ja irgendwann vorbei, spätestens nach vierundzwanzig Stunden und so war es auch mit diesem Sonntag. Wenn Pascals Eltern wüssten, dass wir ihren eigentlich artigen und wohlerzogenen Sohn zu solchem Unsinn anstiften, dann wäre wahrscheinlich Polen offen, aber zum Glück ist die gesamte Elternfront in der Hinsicht recht unbedarft und wenn man doch einmal einen oder zehn über den Durst getrunken hat, dann kann man sich ja einfach lange genug bei Freund oder Freundin verstecken, bis der Zustand zwischenzeitlichen Unwohlseins wieder abgeklungen ist.

Was ich eigentlich damit sagen wollte... habe ich inzwischen vergessen. Macht aber auch nichts, denn eben hat es geklingelt und den Stimmen nach zu urteilen, die meine Geschwister gerade zum quieken bringen, sind Jojo und Lara zusammen angekommen. Dann kann das Vorglühen ja endlich richtig beginnen und, oh, verdammte Axt, welcher Gnom war in meinem Zimmer zu Gange? Dem Grad des Chaos nach zu urteilen, muss ich das wohl gewesen sein. Nun gut, hätten wir auch das geklärt.

Als die beiden sich dann endlich zu meiner Tür vorgearbeitet hatten, war ich gerade damit fertig geworden, die größten Müllberge irgendwie verschwinden zu lassen oder besser gesagt künstlerisch zu verdecken. Der Blick von Lara sagte alles und der Blick von Jojo, der den Blick von Lara gesehen hatte, sagte mir, dass ich mir zum einen gleich wieder eine Standpauke anhören durfte und zum anderen zur gleichen Zeit ein kicherndes Häufchen Lachsack in meinem Zimmer herumhüpfen würde. Und so war es dann auch. Während Lara sich über den Sinn von Ordnung und Sauberkeit in meinem Zimmer ausließ, lachte sich der gute Jojo einen Ast, wofür ich ihm gerne etwas an den Kopf geworfen hätte. Aber wer weiß, was dabei alles umgefallen wäre, von daher ließ ich meinen Plan dieses Mal fallen.

Irgendwann hatte sich auch endlich meine bessere Hälfte wieder beruhigt und wir konnten zum gemütlichen Teil des Abends übergehen. Während ich mich kurz mit der Wahl meines Outfits für den heutigen Abend beschäftigte, förderte Jojo drei Flaschen bunte Blubberbrause mit Zusatz aus seinem Rucksack und wir machten uns umgehend an die Operation „Luft in die Flasche“.

Inzwischen sind wir endlich auf dem Weg. Ich dachte schon, die beiden sind auf meinem Bett festgewachsen. Die haben sich echt zwei Stunden ohne Unterlass unterhalten, nein, nicht ganz, sie haben zwischendurch immer noch an ihrer jeweiligen Flasche genuckelt. Der Haufen leerer Flaschen, den wir in meinem Zimmer zurückgelassen haben, dürfte Bände sprechen und ich hoffe, meine Mutter kommt in nächster Zeit nicht auf den Gedanken, mein Zimmer mal wieder aufräumen zu wollen. Sonst kann ich mich warm anziehen. Jedenfalls sind die beiden und ich natürlich auch einstweilen gut unterwegs und ich hoffe, dass die beiden sich benehmen, bis wir drinnen sind.

So, geschafft. Draußen kalt, drinnen warm. Draußen leer, drinnen voll. Garderobe in Sicht, Geld bereit, Geld weg, Klamotten auch weg und Garderobenmarke irgendwo in der Hosentasche. Wir sind da und es kann losgehen. Also, ich möchte eine Sache mal vorneweg noch erwähnen: Wenn wir, was übrigens eine vollkommen blöde Idee war, Jojo nicht vorher versprochen hätten, es nicht zu übertreiben, dann hätte ich mich schon das letzte Mal bärisch abgeschossen. Was soll man auch anderes machen, wenn die Getränke fast nichts kosten und einfach dazu einladen, sich oft mit ihnen zu treffen? Aber wie gesagt, wir haben es Jojo ja dummerweise versprochen und deshalb nuckle ich jetzt auch schon eine halbe Stunde an meinem Gesöff, um ja keinen schlechten Eindruck zu machen. Jojo würde das zwar sowieso nicht auffallen, weil der schon wieder zwanzig Leute getroffen hat, aber sicher ist sicher und Vorsicht besser als Arschtritt.

Da wir weder Pascal noch Peter bisher entdeckt haben, wurde ich von Lara ganz gekonnt auf die Tanzfläche verkrümelt, geschleift darf ich nämlich nicht sagen hat sie gesagt, weil das ja die Tatsachen vollkommen verdrehen würde. Und ja, ich finde es total doof, hier zwischen fremden Menschen rumzuhüpfen. Na ja, es macht schon irgendwie Spaß, ist aber trotzdem total doof!

Lara hat ausgetanzt für die nächsten paar Minuten und wir haben endlich die beiden Verschollenen gefunden, die sind nämlich inzwischen auch da und haben sich zu uns gesellt. Ich will gar nicht wissen, was die beiden getrieben haben, bevor sie hierher gekommen sind. Na ja, wahrscheinlich so Verliebtensachen eben. Ich will es auch nicht wirklich wissen, denn Verliebte an sich sind einfach schrecklich. Die gehören weggesperrt mit all ihren lila Brillen und ‚Flugzeuge im Bauch’ Blicken, ihren komischen Ideen, wie gegenseitiges Abschlabbern in aller Öffentlichkeit und dem ganzen restlichen Kram. Gut, ich gebe zu, dass das alles dazu gehört, wenn man sich in jemanden verknallt hat, ich kenn das ja auch, aber nicht ganz so schlimm, weil, ich bin ja nicht so verblödet wie der Rest, ich hab mich nämlich unter Kontrolle.

Lara ist schon wieder sauer auf mich. Ich weiß echt nicht, was die Frau ständig hat. Nun ja, eigentlich ist es mir schon klar, aber wir haben uns lange genug darüber unterhalten und ich hab ihr meiner Meinung nach doch recht deutlich gesagt, dass es genau so läuft, wie ich mir das vorgestellt habe. Und da kann sie auch weiterhin reden wie sie will, ich werde nichts daran ändern. Was soll der Scheiß auch? Es läuft grad alles richtig gut und jetzt soll ich einfach aus heiterem Himmel eine Runde Axtmörder spielen? Geht’s noch?

So, ich hab mich erst einmal von Lara abgesetzt, denn das konnte ich wirklich nicht mehr ertragen. Ich möchte wirklich mal wissen, was heute in sie gefahren ist. Wahrscheinlich sollte sie in Zukunft mal besser aufpassen, was sie alles an Alkohol getrunken hat und ob sie überhaupt soviel verträgt. Pascal und Peter sind auch keine wirkliche Hilfe, denn die hängen seit einer halben Stunde auf der Tanzfläche, aber ich wollte ja aufhören, mich ständig über alles und jeden aufzuregen, vor allem, weil den beiden ein bisschen Glück echt zusteht.

Jetzt ist es soweit: Ich habe schlechte Laune. Wieso? Lara! Sonst noch Fragen?

Sie hat wirklich vor, heute unbedingt Stress zu machen. Gerade eben hat sie dem Fass wirklich den Boden ausgeschlagen, na ja, eigentlich hat sie die ganze Fassfabrik gesprengt. Was sie getan hat? Sie meinte, mir mitteilen zu müssen, dass Peter in mich verknallt wäre. In mich. Er. Vollkommen klar. Wie absurd ist das denn bitte?

Gut, ich habe ihr nie gesagt, dass wir das schon vor einer ganzen Weile miteinander geklärt haben, aber wenn ich rede und rede und ihr immer wieder widerspreche, wenn sie auf diesem gottverfluchtem Thema herumreiten muss, könnte man doch irgendwann mal auf den Trichter kommen. Oder etwa nicht? Wir sind Freunde. Wann bitte kapiert sie das endlich? Und wieso zur Hölle reitet die gerade jetzt plötzlich darauf herum?

Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, hat sie natürlich auch noch angebliche Beweise für ihr Hirngespinst. Peter soll ihr das nämlich verraten haben, als wir damals vor der ersten Party in der Kneipe gewesen sind und die beiden sich für Ewigkeiten verkrümelt hatten. Außerdem hätte er sie am Anfang des Abends eben nur vollgegiftet, weil sie mich ihm weggenommen hätte. Das war jedenfalls zu Beginn sein Gedanke. Tja, und genau das hätten sie dann in dem Gespräch geklärt und Lara meinte, sie habe ihm ziemlich deutlich klargemacht, dass sie mich ihm nicht wegnehmen würde und wieso er eigentlich auf diesen schmalen Pfad kommen würde und genau da ist es ihm wohl rausgerutscht und dann, so sagt sie, wäre es eigentlich nur noch um das Thema gegangen. Man könnte ja sogar eine gewisse Logik hinter ihren Worten vermuten, aber meine Güte, wie oft noch? Wir sind Freunde, das hätte er mir doch sagen können und er hätte es mir auch gesagt.

Klar haben wir uns deswegen mörderisch in die Haare bekommen. Ich meine, gesetzt den Fall, es wäre wirklich so gewesen, dann hätte er es mir gesagt, oder? Und schon allein deswegen höre ich mir dieses dünne Gelaber nicht an, auch nicht von Lara, die mir sonst ja eigentlich alles um die Ohren hauen darf. Aber irgendwann ist wirklich Ende.

Hab mich grad mit Jojo unterhalten und ihm von Laras wirrem Geplapper erzählt und der hat gleich noch munter weiter auf die so schon zerstörten Fässer eingeprügelt. Der hat mir nämlich nicht Recht gegeben, sondern hat mich gefragt, woher ich denn wüsste, dass es nicht so ist und warum ich meiner Freundin in der Hinsicht nicht vertraue.

Die Welt dreht durch und irgendwelche gehirnvernebelnden Stoffe waren in der bunten Blubberbrause. Da bin ich mir inzwischen ziemlich sicher und mich hat es wohl auch erwischt, weil ich gerade wirklich einen Augenblick darüber nachgedacht habe, ob die beiden denn vielleicht Recht hätten.

So, jetzt hat sie den Bogen überspannt. Sie hat mich gerade wiedergefunden und meinte doch wirklich, ich soll mal mit ihm reden. Geht’s noch? Also da waren doch definitiv Drogen in irgendeinem Getränk. Ich bin mir da zwar nicht ganz sicher, aber ich glaub, ich bin mir doch sicher, na ja, eigentlich glaube ich, ich suche jetzt mal meine Sicherheitsnadeln, nein auch nicht... wo war ich? Egal.

Ach so, da war ich. Und nun lasst uns lustig Eier braten und zwischendurch ein paar Organe durch die Gegend schleudern, damit die Wände sich auch richtig schön rot färben. Ich geh eine rauchen!

So, ich habe mich jetzt wieder halbwegs einbekommen. War gerade für eine Stunde vor der Tür und habe irgendwie ein Powerrauchen veranstaltet. Geholfen hat es am Anfang überhaupt nicht, aber inzwischen fühle ich mich wieder halbwegs ruhig. Und ich habe mir, so wirr ihre Gedanken auch waren, Laras Worte noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Aber wozu soll ich mit ihm darüber reden? Mein Gott, er ist mit Pascal zusammen und wenn wir da jetzt so einen sinnlosen Stress vom Zaun brechen, ist wirklich keinem geholfen. Es reicht ja wohl, dass er diese Scheiße mit Konstantin mitmachen musste, da muss ich ihm ja nicht auch noch bei seiner neuen Beziehung ans Bein pissen. Wäre bestimmt total lustig, wenn ich einfach mal so zu Pascal gehe und ihm erzähle, dass er und Peter echt gut zusammenpassen und ich ihm das auch gönne, ich ihm doch aber auch mitteilen muss, dass sein Freund ja eigentlich in mich verliebt ist, weil er das nämlich meiner besseren Hälfte erzählt hätte, die er am Anfang deswegen am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Ich glaub, ich rauche doch noch eine, sonst krieg ich nur wieder miese Laune und vor allem muss ich mir etwas anderes zum darüber nachdenken suchen.

Jetzt ist endgültig Schluss. Ich habe die Faxen dicke. Ich bin gerade eben hereingekommen und was sehe ich? Lara, die sich mit Peter unterhält. Peter, der mich mit einem Mal entdeckt und plötzlich eine ziemlich komische Gesichtsfarbe bekommt und von Pascal ist weit und breit nichts zu sehen.

Das kann doch wohl nicht wahr sein. Lara hat es ihm gesagt, dass sie es mir gesagt hat. Sie macht echt alles kaputt. Ich geh kaputt. Wenn sie das wirklich wagt, dann...

... dann hat er das ja wirklich gesagt. Ich versteh die Welt nicht mehr. Das kann doch nicht sein. Wir sind doch Freunde. Das, das...

„Sie hat Recht gehabt oder?“

„Ja, hat sie.“

„Wieso...?“

„Ich konnte nicht... Es tut mir Leid... können wir das... nicht vergessen...?“

„Nein.“

Was mir noch zu sagen bleibt...

... ist auch heute wieder ein riesengroßes Dankeschön an meine drei von der Tankstelle, die ja darauf bestanden haben, dieses Mal benannt zu werden... Ich wollte es echt nicht, aber, nun ja. Also dann... Danke an die Kinderstänkertante, den Herrn, der wahrscheinlich seinen Namen hier lesen möchte und das Keksii, die alles andere als total neugierig ist. Wie immer auch mein herzliches Beileid an den Tassi, der wohl wieder die Ehre haben wird. Und da man am Ende ja nicht mehr viel Spaß beim Lesen wünschen kann, hoffe ich einfach, dass ihr Spaß beim Lesen gehabt habt, denn sonst fehlt mir irgendwie die Begründung, warum ich so lange gebraucht habe, um fertig zu werden. In dem Sinne... ... der letzte macht das Licht aus.

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