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Axtmörderphantasien

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Am Fenster.
„Ist er das?“
„Das ist er. Er steht immer am Waldrand.“
„Das ist ja richtig gruselig. Und er steht einfach nur da?“
„Ja. Und er schaut immer her.“
„Ist ja kaum auszumachen, wer hinter der Vermummung steckt.“
„Na ja, bei Frost und Eisregen!“
„Nimmst du den gerade in Schutz?“
„Ist vielleicht ganz harmlos.“
„Du wohnst hier mitten in der Walachei, Max! Ganz alleine!“
„Keine 500 Meter ist die Försterei. So alleine bin ich hier draußen nun auch nicht.“
„Der schneidet das Telefonkabel durch und dann musst du nachts die 500 Meter rennen, weil er seine Opfer gerne vorher jagt, bevor er sie ausweidet“, wissender … (besser)wissender Blick: „Und er macht sonst nichts?“
„Ich glaub, er hatte auch mal ein Fernglas dabei und hat beobachtet.“
„Was? Dich beobachtet?“
„Das weiß ich nicht! Ja, er hat hierher gesehen. Aber so genau hab ich ihn jetzt nicht beobachtet.“
„Der beobachtet dich! Der meint dich! Was gibt’s denn hier sonst zu sehen?!“
„Wir haben hier manchmal prachtvolle Greifvögel.“
„Ja, und jetzt ist sogar ein weiterer Raub… *hüstel* … komischer Vogel hinzugekommen.“
Zwei stehen am Fenster und beobachten einen Beobachter.
„Also ich finde, du solltest doch mal die Polizei rufen.“
„Was soll ich denen denn sagen? »Am Waldrand steht ein Mann und er schaut immer zu mir rüber«?“
„Ja, so was in der Art.“
„Ach, die halten mich doch für verrückt. Und bis einer von denen hier aufkreuzt – wenn überhaupt – ist der da längst weg. Dann stehe ich erst recht als Verrückter da. Nee, nee, lass ma’!“
„Deine Entscheidung, wenn man dich mal morgens mit ’ner Axt im Kopf findet.“

Zwei Tage später.
„Max! Max!“
„Aua …Was ist denn?“
„Da ist er wieder.“
„Alles in Ordnung?“
„Ja. Du hast mich so erschreckt … das heiße Teewasser.“
Schweigen.
„Vorgestern bin ich einfach mal auf ihn zugegangen.“
„Was? … Und? Was hat er gemacht?“
„Erst hat er mich kommen lassen. Die halbe Wiese hatte ich schon durchquert. Schnurstracks. Plötzlich drehte er sich um und verschwand im Wald.“
„Und was hast du gemacht?“
„Ich bin weitergegangen. Bis zum Waldrand. Im Wald war er aber nicht mehr zu entdecken.“
„Und dann?“
„Ja, was schon?! Ich hab Panik gekriegt und bin nach Hause gelaufen, um mich wie ein kleines Mädchen im Schrank zu verstecken. Sicher ist sicher!“
„Und in Wahrheit?“
„Na, ich bin umgedreht und nach Hause gelaufen. … Das einzige Mulmige an dem Ganzen war, dass ich bei meinem Mutanfall die Balkontür sperrangelweit hab offen stehen lassen. Da hätte ja nun wirklich einer einsteigen können. Aber wie du siehst, ich hab auch das überlebt.“
„Siehste, der beeinflusst dich doch! Du hast Mut gebraucht, um auf ihn zuzugehen. Und du weißt, dass er dich beobachtet. Der wär’ doch sonst nicht vor dir weglaufen!“
Volltreffer. Die Erkenntnis sitzt!
„Du musst dir Hilfe holen. So kann das doch nicht weitergehen.“
„Die halten mich doch für verrückt.“
„Ich kenn da jemanden. Ich könnte ganz inoffiziell …“

Zwei Tage später.
Türklingeln.
„Max? Bist du da? Mach auf, ich bin’s!“
Stille.
„Max? Hallo? Wenn das ein Scherz ist, dann hör auf, du machst mir Angst.“ Lauschen. „Was, wenn was passiert ist?“
„Hallo, wenn Sie mich hören können, öffnen Sie bitte die Tür! Ich bin Kommissar Becker von der Kriminalpolizei.“
Ein Schlüssel wird im Türschloss gedreht.
Verblüfft: „Hallo.“
„Guten Tag, alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Ja, ich hab mich nur für ein Nickerchen hingelegt.“
„Und hast die Tür fest verriegelt!“, und zum Kommissar: „Ich hab dir doch gesagt, er ist mit den Nerven fertig.“
„Susanne hat mich jetzt einfach mal hinzugezogen und von Ihrem Problem berichtet.“
„Kommen Sie rein!“

Uhrgong.
„Es ist drei.“
„Mal sehen, ob er auftaucht.“
„So in die Ecke getrieben … was ist, wenn er ihn angreift?“
„Siehste, du denkst auch, dass er gefährlich ist.“
„Quatsch! Aber was, wenn er schlagkräftig ist.“
„Schlagkräftigkeit zu vermuten, bedeutet, von jemandem zu denken, er sei gefährlich. Aber Beckerchen kann gut auf sich aufpassen. Und außerdem, vielleicht ist alles ja ganz harmlos! Deine Worte!“
„Da ist er!“
„Wo?“
„Hinter dem kleinen See. Siehst du die Birken am Waldrand? Etwa auf der Höhe.“
„Ja, tatsächlich. Das ist er. … Jetzt bin ich gespannt!“
„Da kommt der Kommissar!“
„Ja, das ist Beckerchen! ... Jetzt schnappt er sich den Täter.“
„Die reden wohl miteinander.“
„Beckerchen gibt sich vielleicht als Wandervogel aus, um ihn auszuhorchen. Polizisten sind doch alle gewieft!“
„Da! Sie gehen zusammen weg.“

Zehn Minuten später.
Türklingeln. „Herr Neumeyer? Hier ist Kommissar Becker. Bitte öffnen Sie!“
Zwei neugierige Nasen werden durch die Tür gesteckt.
„Ich habe mich mit dem jungen Mann unterhalten. Er sagt, er kenne Sie von der Arbeit, Sie seien Kollegen. … Und … na ja … Ich denke, Sie sollten sich vielleicht auch mal mit ihm unterhalten.“
Der Mann vom Waldrand tritt näher.
„Theo?“

Auf weichem Sofapolster im Haus.
„Ich dachte, ich würde es aushalten, als du so direkt auf mich zukamst. Ich dachte: »Ja, ich bin stark genug. Heute werde ich mit dir sprechen können.« Ich hatte mir zurechtgelegt, wie ich dich ins Kino einladen würde. Aber je näher du kamst, desto mehr hab ich gemerkt, dass ich es doch nicht kann. Schließlich bin ich aus Schiss weggelaufen. Mir schlug das Herz bis zum Hals. Max, bitte glaube mir, ich wusste nicht, dass ich dich mit meinem Verhalten so erschrecken würde. So weit konnte ich gar nicht mehr denken.“
„Du hast also am Waldrand gestanden, weil du in mich verliebt bist. Das ist es?“
„Jedes Mal auf der Arbeit bist du so nett zu mir. Ich kann es manchmal kaum erwarten, dass die Frühstückspause anfängt und alle zusammen sind. … Also auch ich mit dir. … Und dann vor ein paar Wochen hab ich dich online gefunden. Ich hätte nie gedacht, dass du schwul bist. Und hier auf dem Land … das war ein Sechser im Lotto.“
Stille.
„Herr Neumeyer? Ich kann mich dann verabschieden?“
„Wie? … Ja, natürlich. Entschuldigung. Oh je, hätte ich gewusst, dass es … na ja ... darum geht …“
„Kein Problem. Es hätten ja auch andere Absichten dahinter stecken können.“
„Danke.“
„Was ist mit dir? Soll ich dich gleich wieder mitnehmen?“
„Wenn Max mich hier nicht mehr braucht?“
„Nein, geh ruhig. Ich denke, ich komme klar.“
„Ruf mich an!“
Nicken.

Nachwort
Und die Moral von der Geschicht’? Lass dir von keiner Susanne dieser Welt einreden, ein Axtmörder sei hinter dir her, nur weil ein schwarz vermummter, mit Feldstecher bewaffneter Mann über einen halben Monat fast jeden Tag fern am Waldrand steht und dein einsames Haus, in dem du alleine lebst, intensiv auskundschaftet. ;-)

Manchmal sind die Dinge ganz harmlos! Denken schadet da eher.

Und die zweite Moral: Hab immer eine Susanne im Hause, die neurotisch genug ist, einen Polizisten anzuschleppen, der dir dann die Liebe deines Lebens quasi abgeführt frei Haus liefert. Danke, Susanne, diese Geschichte widme ich dir!

Und ja, wir waren im Kino. Ein Horrorfilm. Aber nichts mit einem Axtmörder!

So geschehen im Brandenburgischen
und mit anderen Namen
im November 2014.

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