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Miserable Life

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Es ist noch nicht kalt draußen, aber es ist kühler geworden. Ich stehe vor der Haustür und umschlinge mich mit meinen Armen, doch das Schaudern weicht nicht von mir. Ich friere von innen. Es ist diese Kälte, bei der du weißt, es wird Herbst. Vor ein paar Tagen war noch strahlender Sonnenschein, doch jetzt zieht morgens der Nebel ins Land und verbreitet diese Kühle und irgendwas düsteres.

Nein nein, ich mag Herbst, er ist meine Lieblingsjahreszeit. Es ist schön, die Blätter zu beobachten, wie sie in der Abendsonne in so vielen Farben leuchten, wie ein letztes Aufbäumen des Sommers. Und wie sie dann zu Boden gleiten.

Die Tage werden kürzer und man sitzt abends gemütlich im Zimmer, trinkt heißen Tee. Ich mag Herbst wirklich. Aber er macht mich auch traurig.

Er erinnert mich an den Tag, als ich mein Zu Hause verlor. Es war auch im Herbst, vor 11 Jahren. Ich wurde als Straßenkind in die Maxwell Kirche aufgenommen, Pater Maxwell und Schwester Helen wurden wie eine Familie für mich. Aber es hielt nicht lange an Der Krieg, der Freiheitskampf der Weltraumkolonien, war ausgebrochen. Es wurde gegen die Unterdrückung gekämpft, die von der Regierung der Erde auf die Kolonien ausgeübt wurde. Ich lebte auch auf einer dieser Kolonien, L2 genannt. Die Regierung der Erde, die Allianz, führte erbarmungslose Angriffe auf die Zivilisten der Kolonien mit ihren Roboterähnlichen Mobile Suits, auch MS genannt

Ich renne so schnell ich kann über die große Wiese, in meinen Ohren klingen Schreie und Schüsse. So schnell bin ich noch nie gerannt. Ich sehe Rauch aufsteigen. Ich habe Angst, ich bekomme kaum Luft.

Wo sich die große Kirche aufgetürmt hat, steht nur noch ein Trümmerhaufen. Es schnürt mir die Kehle zu. Ich renne verzweifelt zwischen den Resten meines Zuhauses umher und suche nach Überlebenden. Blut, überall Blut. Sterbende MenschenIch muss mir über die Augen wischen, kann vor Tränen kaum noch etwas erkennen. »Duo.« Ich sehe Schwester Helen im Gras liegen und laufe zu ihr, falle neben ihr auf die Knie. »Gott sei dank, du bist am Leben« sagt sie mit schwacher Stimme.

»Ich hole einen Arzt!« rufe ich fast verzweifelt, Doch Schwester Helen hält mich fest. »der Paterwar ein großer MannImmer hat er Frieden gepredigt.« Ihre Stimme kippt.

Ich weine. »Was ist da so groß dran? Das war ein großer Idiot! Wozu soll sterben denn gut sein?« Ich höre selber die Verzweiflung in meiner Stimme die den Worten ihre Schärfe nimmt.

»Duo« Sie hebt ihre Hand und streicht mir über mein Gesicht. »möge Gott dich segnen«

Die Hand fällt schlaff zu Boden.

Ich schreie.1

Von dem Autolärm und den Stimmen anderer Menschen werde ich aus meiner melancholischen Stimmung gerissen. Auf einmal bricht der ganze Lärm auf mich herein und ich erzittere kurz.

Ich wohne in New York, ziemliche große Stadt. Vor meiner Haustür befindet sich ein Park, man findet selten Grünflächen und ich bin froh, dass ich von meinen Fenstern des Apartments auf die Bäume im Park schauen kann. Manchmal beruhigt es mich.

Es ist nicht so, dass ich kein geselliger Mensch bin, im Gegenteil, ich habe gerne Leute um mich herum. Ich lache viel und gehe oft zu meinen Freunden. Vielleicht tue ich es auch nur, um zu vergessen. Aber wenn ich zu Hause bin, kann ich nicht vergessen. Immer wieder kommen die Erinnerungen an mein Leben hoch und ich verkrieche mich noch tiefer.

Die Kälte macht sich langsam in meinen Knochen breit, ich sollte lieber loslaufen, habe mich vielleicht doch ein bisschen dünn angezogen. Es ist noch früh am Morgen, zu früh für jemanden der Urlaub hat. Aber ich hatte mal wieder einen Alptraum und bin lieber aufgestanden, statt weiter zu schlafen. In meiner Nähe gibt es eine Shoppingmall, die Tag und Nacht offen hat. Dort werde ich jetzt erst mal Frühstücken. Ein geeigneter Platz, um die Menschen zu beobachten.

Ich setzte mich in Bewegung und jogge das kurze Stück bis zur Mall. Dort angekommen setzte ich mich in das kleine Café und winke Jan zu, der hinter der Theke steht. Jan ist einer meiner Freunde, wenn man so will. Ich weiß nicht, wie ihr den Begriff Freundschaft interpretiert. Eigentlich ist ein Freund jemand, dem man alles sagt, oder? Na ja, dann ist Jan nur ein Halb-Freund. Er weiß nicht, wer ich bin.

Ex Gundam Pilot 02.

Die Zeit nach dem Maxwell Kirchen Massaker, wie es allgemein genannt wurde, war schlimm. Ich wanderte umher und musste wieder von meinen Fähigkeiten als Dieb Leben. Ich wollte nicht, aber es ging nicht anders. Ich lief planlos durch die Gegend, immer noch von der Trauer gezeichnet. Viel zu Jung für das, was ich bisher erlebt hatte. Bis

»He Junge! Bist du alleine? Weißt du nicht wo du hin sollst?« Der Mann steht plötzlich vor mir. Ich nicke nur. »Hm du bist ein Waise richtig?« In meinen Augen spiegelt sich mit Sicherheit Misstrauen, denn der Mann hebt abwehrend die Hände. »Ich will dir nichts schlimmes. Ich will dir helfen. Ich baue eine Kampfeinheit auf, die gegen die Unterdrückung kämpfen will. Ich brauche Kämpfer. Willst du für mich arbeiten?«

Ich denke nicht lange nach. Ich will endlich Frieden, dafür würde ich alles tun. Es darf keine Waisen mehr geben. Ich nicke entschlossen. »Gut, komm mit.«

Das Training war hart. Ich war genau der Richtige für ihre Aufgabe. Ein Junge, der entschlossen war für den Frieden zu kämpfen und der niemanden und nichts mehr zu verlieren hatte. So bildeten sie mich zu einem Soldaten aus. Einen Piloten. Wofür? Für einen GundamEin großer Mecha. Gundam 02, Deathscythe.

AC 195 2 war es dann so weit, die Mission, die mich zur Erde bringen sollte, begann. Operation Meteor, die Befreiung der Erde von der Allianz.Was als ein schnelles Attentat geplant war endete in einem einjährigen Krieg

Ich schrecke zusammen. Nein, Jan weiß nichts über meine Vergangenheit. So wie alle meine Freunde, die ich hier in New York habe. Sie kennen mich als lustigen und offenen Menschen, dessen Stimmung aber eben so schnell umkehren kann und den man besser nicht reizen sollte. Nein, wirklich nicht, ich werde sonst etwas aggressiv. Vielleicht auch mehr.

Mein Gehirn schaltet einfach ab. Klick und ich bin nicht mehr ich. Ich befinde mich nicht mehr in der Realität, sondern irgendwo in meiner Vergangenheit und dann bin ich gefährlich. Besonders, weil ich ein Gundam Pilot bin. Ich könnte jemanden töten, wenn der jemand nicht aufpasst.

Ich weiß nicht, wann ich solche Aussetzer bekomme, es passiert einfach von einer Sekunde auf die nächste. Ich schätze, dass mich irgendwas an meine Vergangenheit erinnert, was ich vielleicht nur unterbewusst wahrnehme und dann fange ich an zu schreien, zu treten oder auf andere Leute los zu gehen. Manchmal sitze ich auch nur apathisch herum. Das ist das weniger Schlimme.

Es dürfen keine gefährlichen Gegenstände in meiner Nähe sein, einmal habe ich mit meinem Messer fast auf Ilene eingestochen. Meine Freunde, die mich in diesem Zustand schon erlebt haben, sagen, dass meine Augen ganz groß werden und weit in die Ferne zu schauen scheinen. Ich selber kann mich kaum daran erinnern, was passiert ist, wenn ich wieder zu mir komme. Ich erschrecke mich ja selber. Meistens fange ich danach an zu heulen oder sitze zitternd auf dem Boden, weil mir bewusst wird, was alles hätte passieren können.

Ich bin eine Gefahr für die Menschen. Wahrscheinlich war ich das schon immer, aber kontrollierter. Ich bin durch die Hölle gegangen, das hat Spuren an mir hinterlassen. Im Krieg hatte ich nicht solche Anfälle. Ich denke, ich habe erst danach wirklich realisiert, was für ein Scheiß Leben ich doch hinter mir habe.

Ich weiß, ihr sagt, der gehört in die Klapse. Vielleicht stimmt das auch. Manchmal fühle ich mich so, als gehöre ich weggesperrt. Deswegen lasse ich auch keinen näher an mich heran als nur ein bisschen Freundschaft. Ich bin die erste Zeit zum Therapeuten gegangen, aber irgendwann war es mir zu blöd. Ich hatte das Gefühl, dass es mir absolut nicht helfen könne.

Meine Freunde sind in Ordnung. Mittlerweile wissen sie, was zu tun ist, wenn »es« wieder passiert und ich muss mir nicht mehr so riesige Sorgen machen.

Jan kommt an meinen Tisch und reißt mich aus meinen trübsinnigen Gedanken. »Duo! Schön dich zu sehen!« Wirklich? Manchmal denke ich, ich bin eher eine Last, aber das lasse ich mir nicht anmerken. Vielleicht sind meine Freunde ja wirklich so nett, wie sie tun. »Hi Jan.«, sage ich lahm. »Du hast doch Urlaub? Warum bist du schon so früh auf?« »Schlecht geschlafen...Bringst du mir einen heißen Kaffee und ein belegtes Brötchen?« »Sicher!«

Trotz der Frühe war das Café gut besucht und ich wollte Jan nicht aufhalten. Auch wenn ich gerne mit ihm plauschte.

Ihr fragt euch sicher, wie ich arbeiten könnte, wenn ich doch jede Minute einen Anfall bekommen könnte. Nun, erstens passiert es nicht so oft. Nicht jeden Tag, nicht jede Woche, nicht jeden Monat. Außerdem arbeite ich fast alleine in einem Büro. Ich bespreche ab und zu etwas mit Menschen, aber ich bleibe immer in dem Firmengebäude, wo ich alles kenne und wo ich keine Angst vor einem Aussetzer haben muss. Außerdem kommen mir die Menschen nicht zu nahe. Nähe vertrage ich nicht immer. Nur bei Leuten, die ich gewöhnt bin.

Oh, mein Kaffee kommt.

Jetzt seid ihr sicher, dass ich abgedreht bin, oder? Und ich kann noch nicht mal widersprechen.

Der Tag zieht sich, wie immer. Als ich zu Hause ankomme, falle ich fast sofort ins Bett, ich bin tot müde. Das ist gut, weil ich dann vielleicht nicht träume. Es ist noch nicht sehr spät, als ich anfange, langsam einzudösen.

Ein schriller Laut, den ich im ersten Moment nicht einordnen kann, weckt mich. Gähnend stehe ich auf, runzele die Stirn. Ah, die Tür. Ich bemerke nebenbei, dass ich meine Sachen noch anhabe, die ganz verknittert sind, weil ich auf dem Bett lag. Ich zucke nur mit den Schultern und gehe zu Tür.

Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr denkt, die Zeit bleibt kurz stehen? Oder geht verkehrt? Man begreift etwas, aber man reagiert erst später darauf. So geht es mir jetzt.

Ich starre in das bekannte Gesicht vor mir, klammere mich am Türrahmen fest und blinzele ein paar Mal. Ich höre ganz genau die Autos draußen vorbeifahren und alles wirkt lauter um mich herum. Das ist so, als wäre man kurz vor dem Einschlafen und wird wieder wach. Die Welt ist dann irgendwie anders. So auch jetzt.

Ich gehe drei Schritte rückwärts und spüre, wie ich bleich werde. »Du!?«

Gleich müsste mein Gundam wieder auftauchen, ich habe ihn unter Wasser geschickt, um ein großes Objekt zu bergen. Ich schaue auf die Uhr, da höre ich einen Schrei.

Ich renne schnell um die nächste Ecke:

Ein blondes Mädchen in einem violetten Kleid steht starr vor Schreck an der Promenade.

Eine Waffe ist auf sie gerichtet. Der Junge ist in meinem Alter, schwarz braune strubbelige Haare und ein grimmiger Gesichtsausdruck. »Ich werde dich töten!«

Schnell ziehe ich meine Waffe und feure auf ihn, seine Pistole fliegt ihm aus der Hand und er dreht sich zu mir um. Stahlblaue Augen schauen mich an, es ist nur eine Sekunde, aber ich bin erstarrt. Die Zeit scheint langsamer zu laufen.

Ich sehe wie der Junge auf die Pistole zuspringt und die Zeit läuft wieder normal, ich schieße und treffe ihn am Bein. Das Mädchen stellt sich vor ihn, beschützend die Arme ausbreitend. Ich bin verwirrt, hat er sie nicht gerade bedroht?

In diesem Moment höre ich ein lautes Geräusch und drehe mich um, als mein Gundam wieder aus dem Wasser auftaucht3

Meine erste Begegnung mit Heero Yuy, ebenfalls Gundam Pilot. Wie hatten die gleiche Mission. Ein Zusammenschluss lag nahe.

Jetzt steht er in der Tür. Seit 3 Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen. Es kommt unerwartet. Unerwartetes vertrage ich nicht so gut. Ich zwinge mich ruhig zu atmen und schließe für ein paar Sekunden die Augen. Als ich sie wieder öffne, geht es mir besser und ich bringe sogar ein Lächeln zustande. »Heero, Hi. Lange nicht gesehen!«

Du stehst immer noch so da. Die Stirn ein bisschen kraus. Du hast dich kaum verändert. Ich bemerkte nebenbei, dass du größer geworden bist, früher war ich der Größere. Die dunklen Haare hängen immer noch so durcheinander in die Stirn, die gleiche Länge. Die Klamotten haben sich verändert. Aber man kann ja nicht immer in Spandex und Tanktop herumrennen. Als ich dich begrüße, bewegst du dich endlich.

»Hmm. Hast du mit wem anders gerechnet? Du sahst erschrocken aus.« Meine Augen weiten sich kurz, aber nicht wegen deiner Worte, sondern deiner Stimme. Sie ist viel weicher. Du hattest schon immer eine schöne Stimme, bloß war sie meistens flach und kalt wie Stahl. Ich sehe dich kurz lächeln. »Es freut mich, dich wieder zu sehen!« Du hast dich wirklich verändert.

»Heeeero! Hey schau mal, hier gibts sogar ein Schwimmbad, lass uns ein bisschen schwimmen gehen, ne?« Fröhlich wende ich mich vom Fenster ab und hüpfe durch das Zimmer, das ich mir mit Heero teile, um die nächste Mission vorzubereiten. »Hn« sagt der braunhaarige Junge nur und ich seufze laut. »Mann Heero, du bist immer so einsilbig!« Ich gehe auf seinen Laptop zu, vor dem er ausnahmsweise mal nicht sitzt, und lasse mich auf den Stuhl davor fallen. Meine Hand wandert neugierig zu der Tastatur und mit einem Lächeln auf den Lippen drücke ich auf eine Taste.

Ich erstarre als ich kalten Stahl an meiner Stirn spüre. »Fass ihn nicht an!« sagst du kalt und ohne jegliche Emotion, wie immer. Langsam drehe ich meinen Kopf und schaue in die starren blauen Augen. Ein Schauder läuft über meinen Rücken. Wie kann man so kalt sein? Ich lass es mir nicht anmerken, dass ich nervös bin. Als du die Waffe sinken lässt grinse ich erleichtert. Warum will ich dich immer provozieren und zum äußersten treiben? Kannst du auch lachen?

Endlich entsinne ich mich meiner Manieren und bitte ihn herein, lache endlich.

»Ich freue mich auch! Ich habe wirklich nicht mit dir gerechnet, Wow. Heero Yuy besucht mich!« Ich grinse. Du lächelst mit und setzt dich auf das Sofa.

Nachdem ich uns etwas zu trinken geholt habe, setzte ich mich dazu.

»Ich war kurz vorm Einschlafen, war ein anstrengender Tag und du hast mich gerade sozusagen geweckt, deswegen der etwas überraschte Ausdruck eben, tut mit leid.«

»Schon okay, ich wollte dich nicht stören.«

»Ich freue mich, dass du da bist, das sagte ich bereits, wenn ich es nicht so gemeint hätte...«

Du lächelst immer noch und schaust mir in die Augen.

»Ja, ich weiß, Duo.«

Ich werde langsam nervös, bin es nicht gewöhnt, Leute um mich zu haben, die mich kennen. Meine Hände fangen an zu schwitzen und ich wackele mit meinem Bein. Ich schaue ihn nicht an sondern gucke durch die Gegend. Heero kennt mich, besser als jeder andere meiner Freunde. Es ist aber besser, wenn er nichts von meinen Anfällen weiß. Ich möchte nicht für schwach gehalten werden oder für einen Kandidaten für die Klapse. Nicht von ihm, auch wenn es stimmt.

»Was führt dich in diese Gegend, Heero?«

»Ich habe dich gesucht. Nicht mehr.«

Ich schaue dich fragend an. »Gesucht? Was willst du denn von mir?«

Du seufzt leise.

»Duo, schau... Es tut mir leid!«

Ich schaue noch fragender, du scheinst meinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten und redest weiter.

»Ich arbeite bei den Preventers. Mit Wufei und Trowa. Quatre hat natürlich seine Firma. Zuerst habe ich den Kontakt zu allen abgebrochen und wusste nicht, dass Wufei und Trowa auch dort arbeiten. Natürlich hat man uns zusammen in ein Team gesteckt. Das war direkt nach dem Krieg. Irgendwann habe ich dann begriffen, dass die Drei, Quatre und Trowa sind ein Paar, und ich sehe Quat oft, auch wenn er nicht bei den Preventers ist, meine Freunde sind. Und ich fing an zu begreifen, dass ich meinen besten Freund, oder der, der mein bester Freund hätte werden können, den Rücken gekehrt hatte. Und dass ich ihn wieder sehen wollte. Deswegen habe ich dich gesucht.«

Ich merke, dass da noch mehr ist, aber du schweigst. Du hast schon mehr gesagt, als ich erwartet hatte. Einerseits macht sich bei deinen Worten ein Glücksgefühl in mir breit. Schließlich habe ich immer versucht, deine Freundschaft zu gewinnen, und nun kommst du und bietest sie mir an. Andererseits weißt du nicht, was für ein Wrack ich bin und ich möchte nicht, dass du es weißt. So schweige ich ein paar Sekunden. Ein paar Sekunden zu lange. Du stehst auf.

»Es tut mir leid. Ich platze so einfach in dein Leben, das wollte ich nicht. Vielleicht rufst du mich mal an, wenn du darüber nachgedacht hast und....«

Ich springe auf. Nein, bleib! »Wa...warte! Ich war nur einfach überrascht. Geh nicht.« Hilf mir. Oh je, ich klinge schon fast flehend, wie kläglich. Shinigami ist ein Weichei. Toll.

Du drehst dich um. Dein Lächeln ist verschwunden und ich stelle mit Erstaunen fest, dass ich wünschte, es läge noch immer auf deinen Lippen.

»Duo, was ist los mit dir? Du hast dich verändert.«

Ich lache bitter auf.

»Du doch auch.«

Ich brauche meine Maske nicht aufsetzen, du konntest schon immer durch sie durch sehen. Deswegen habe ich solche Angst vor dir. Ich kann mich nicht verstecken, habe keine Sicherheit. Als du nichts sagst, rede ich weiter.

»Wie auch immer, wo wohnst du? Willst du überhaupt ein bisschen hier bleiben?«

Ein Nicken. »Ich habe kein Zimmer, aber ich kann eins suchen.«

»Du kannst auch hier bleiben. Die Couch kann man auszuziehen. Wenn das okay ist.«

Das war nicht gut. Warum habe ich das gesagt? Ich kann es nicht ertragen, die gleiche Person länger als ein paar Stunden um mich herum zu haben, ich werde sonst nervös. Aber ich kann dich auch nicht wieder ausladen, das wäre sehr unhöflich. Vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm.

»Danke!« Endlich wieder ein Lächeln und ich lache mit.

Ich habe keine Alpträume in der Nacht. Zumindest keine, an die ich mich erinnern kann. Es tut gut, endlich mal wieder ausgeschlafen aufzustehen und als ich aus dem Fenster schaue, sehe ich zwar die Blätter von den Bäumen fallen und die Menschenmassen umherhasten, aber ich fühle ausnahmsweise keine Kälte in mir drin. Gut gelaunt stehe ich auf und schleiche an dir vorbei in die Küche. Dein Schlaf scheint tiefer geworden zu sein, früher bist du bei jedem noch so kleinem Geräusch aufgewacht.

Ich mache uns ein Spiegelei, summe dabei leise den Song mit, der gerade im Radio läuft. Meine Gedanken sind bei der Tagesplanung. Alles scheint gut.

»Guten Morgen.« Tief, eine tiefe Stimme.

Guten Morgen, Bitch.

Eine Hand auf meiner Schulter, ein Kopf auf der anderen Seite. Ich fange an zu zittern und gehe ein paar Schritte rückwärts, drehe mich um und schubse die Person hinter mir weg.

Den Kochlöffel halte ich wie eine Waffe vor mich, meine Augen werden groß, ich spüre es. Um mich herum nicht die Küche.

Guten Morgen Bitch.

Eine Hand auf meiner Schulter, eine andere zwischen meinen Beinen. Enge, Zwang, kein Ausweg. Ich spüre meinen Atem schneller gehen, die Person vor mir bewegt sich auf mich zu, ich höre nicht, was sie sagt. Lache laut, hysterisch. »Heute kriegst du mich nicht! Ha, siehst du, einer von uns wird sterben, du oder ich!« Ich höre meine eigene Stimme, schrill. Die Welt um mich herum ist verschwommen, ich sehe die Person vor mir nicht klar, aber ich weiß auch so, wer das ist. »Komm mir nicht zu nahe!«, brülle ich außer mir. Ich gehe rückwärts, spüre, dass ich an etwas stoße. Das anschließende Scheppern nehme ich nur als Hintergrundgeräusch wahr.

Dann merke ich, dass mein Fuß heiß wird, ich weiß nicht, was es ist und schaue verstört auf meinen Fuß und wieder auf die Person vor mich, die immer näher kommt.

»Duo! Duo, dein Fuß, du muss ihn abwischen, sonst verbrennst du dich. Hörst du, Duo? Ich bin es, Heero. Leg den Kochlöffel weg und wisch dir dein Spiegelei von Fuß. Du bekommst Brandblasen. Duo, bitte.«

Eine ruhige schöne Stimme, die da spricht und langsam zu mir durchdringt. Es macht klick. Ich stehe in der Küche, mein Fuß brennt, ich habe einen Kochlöffel in der Hand, Heero kommt auf mich zu und ich realisiere, dass »es« wieder passiert ist.

Ich fange an zu zittern und lasse den Löffel fallen. Du bist sofort bei mir und fängst mich auf, als ich bibbernd zusammenbreche. Es ist nicht vorbei, die Erinnerung ist jetzt ganz klar in meinem Kopf, aber ich bin nicht mehr in ihr drin.

Du ziehst mich an dich, doch ich kann die Enge nicht ertragen, sie ist falsch. Ich höre dich, wie du meinen Namen sanft sagst, aber ich fange schon wieder an schneller zu atmen.

»Lass mich los, Heero, bitte, lass mich los!« Meine Stimme wird immer lauter und du lässt mich wirklich los, lehnst mich gegen eine Wand. Ich rutsche an ihr herunter. Zitternd, kalt, meine Arme um meine angezogenen Beine geschlungen, den Kopf zur Seite gelegt, schaue ich ins Leere. Vergesse ganz kurz und wiege mich hin und her.

Du setzt dich neben mich, ich sehe deine Beine neben mir. Ich schaue nicht auf, kann nicht. Was werde ich da sehen? Angst mit Sicherheit nicht. Mitleid will ich nicht, hilft mir nicht.

Du sagst nichts und rührst dich nicht und ich hebe langsam meinen Kopf. Dein Blick ist auf mich gerichtet und mir rinnt es kalt den Rücken herunter, als ich ihn sehe. Warum tust du das?

Du weinst.

Ich schaue dich nur an und sage nichts. Ich weiß nicht, wie lange sich unsere Blicke gegenseitig halten, aber ich weiß, dass ich traurig schaue. Eigentlich bin ich immer entsetzt, wenn »es« passiert und anschießend wütend auf mich und ich fühle mich leer, aber nie traurig. »Warum weinst du?«, frage ich schließlich. Ich weiß es wirklich nicht. Wegen mir kann niemand weinen, es gibt nichts, warum du wegen mir weinen solltest. Ich bin ein armer Irrer, wie man so schön sagt. Warum also weinst du?

Du machst eine Bewegung, als wolltest du mich in den Arm nehmen, zuckst aber sofort wieder zurück, als du die Panik in meinen Augen siehst. Ohne ein Wort stehst du auf und gehst aus der Küche.

Ich sacke weiter zusammen und heule endlich. Es ist befreiend, auch wenn es nicht wirklich viel hilft. Ich hoffe in dem Moment, dass du nicht weggehst. Warum denke ich so etwas? Ich war immer froh, wenn ich nach einem Anfall alleine sein konnte. Aber du darfst nicht gehen. Warum darfst du nicht? Ich verstehe meine Gedanken selber nicht.

Nach ein paar Minuten weiß ich es. Du darfst nicht gehen, weil du der Einzige sein könntest, der mich versteht. Und ich meine: versteht. Wirklich nachvollziehen kannst.

Nach ein paar weiteren Minuten habe ich mich wieder gefasst und bin mehr oder weniger bereit, wieder in mein Leben zu treten.

Als ich aus der Küchentür trete, erwarte ich, dass du deine Sachen packst, doch du stehst nur am Fenster und schaust dem Treiben der Blätter zu, so wie ich es auch in dieser Situation tun würde.

»Heero.«

Du drehst dich nicht um. »Aa.«

»Ich... ich weiß nicht....«

»Ich auch nicht.«

Ich schweige. Leise sage ich schließlich: »Jetzt weißt du, was mit mir los ist. Der Typ, den du als Freund wolltest, ist durchgeknallt und gehört in die Klapse. Ich nehme es dir nicht übel, wenn....«

Du drehst dich mit sehr viel Schwung um und ich sehe deine Augen aufblitzen. Deine Augen haben schon immer mehr über dich verraten, als du zugeben wolltest. Ich sehe Zorn und Verzweiflung.

»Sag so was nicht noch mal!«, fährst du mich an und nimmst dich sofort zurück, als du siehst, dass meine Augen groß werden.

»Sag so etwas nicht noch mal, Duo. Du gehörst nicht in eine 'Klapse'.«, sagst du nun etwas leiser und trauriger.

Ich lache auf.

»Ach nein?? Und was war das deiner Meinung nach eben?? Klar, das war ja ganz normal, geht ja jedem so! Mann Heero, das war nicht das erste mal, es passiert oft!!« Ich merke selber, dass ich schon fast wieder hysterisch werde. Ich hasse es, mich nicht unter Kontrolle zu haben. Du bleibst ruhig, trotz meines Ausbruches.

»Setz dich aufs Sofa, Duo.« Kein Befehl, sondern eine Bitte. Langsam lasse ich mich auf die helle Couch sinken. Du setzt dich mir gegenüber, lehnst dich an die Lehne.

Ich sitze verkrampft und weiche seinem Blick aus, kann ihm einfach nicht in die Augen schauen.

»Willst du, dass ich dich allein lasse?«

Ich kann nur den Kopf schütteln, du lächelst und ich ziehe kurz meine Mundwinkel nach oben, aber meine Augen müssen immer noch traurig schauen, denn ich spüre immer noch Tränen.

»Möchtest du reden?«

Ich weiß nicht, zucke mit den Schultern. Dein Lächeln verschwindet, aber deine Stimme bleibt sanft.

»Möchtest du, dass ich dir helfe?«

Ich schaue auf.

»Helfen?«, gebe ich heiser zurück.

Ich scheine immer noch unter Schock zu stehen, denn ich bin noch nicht wieder ich selbst. Ich fühle mich elend und will schlafen, aber andererseits will ich nicht, dass du gehst. Ich weiß, dass ich Hilfe brauche. Meine Freunde haben mich zwar unterstützt und akzeptiert, dass ich nachher allein sein wollte, aber keiner hat mir Hilfe angeboten. Nicht so.

Keiner hat für mich geweint. Vielleicht sind es doch nicht wirkliche Freunde. Ich habe Heero so lange nicht gesehen und er hatte mit Sicherheit nicht damit gerechnet, mich in so einem Zustand zu finden und trotzdem.....

Ich nicke.

»Ja.«

Das Wetter ist angenehm und so gehen wir spazieren. Du sagst, du willst mit mir reden, aber ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.

Langsam gehen wir durch den Park vor dem Haus. Es ist später Morgen, die meisten Leute sind wohl bei der Arbeit, sodass nicht viel los ist hier draußen. Ich zittere ein bisschen.

Ich bemerke deine Blicke, wie du mich immer anschaust, wenn du denkst, ich gucke weg.

»Erzähl mir von deiner Vergangenheit.«

Ich zucke zusammen. Alleine bei dem Wort kommen viele Erinnerungen hoch, zu viele. Ich schüttele den Kopf.

»Duo, ich soll dir helfen, aber du musst auch mit mir reden! Bitte Duo...«

Ich muss fast grinsen, als ich darüber nachdenke, wie sich unsere Rollen vertauscht haben. Aber ich bleibe trotzdem stumm. Ich weiß, wie es ist, wenn man keine Antwort bekommt.

»Lass uns auf die Bank setzen«, sage ich schließlich und wir lassen uns nieder. Zwischen uns ein größerer Abstand. Du hast verstanden, dass ich Nähe nicht haben kann. Auf der anderen Seite wünsche ich sie mir aber auch. Es ist paradox, ich weiß doch, aber ich kann es nicht ändern.

Du schweigst und schaust starr geradeaus. Es ist wohl an mir, den ersten Schritt zu tun.

»Ich...weiß nicht, wo ich anfangen soll.«

»Wo du willst. Von vorne vielleicht«, endlich schaust du mich an und lächelst.

»Ich weiß nicht, ob ich das kann Heero! Ich kann dir nicht einfach alles erzählen, wir haben uns drei Jahre nicht gesehen und...«

Du schaust traurig. »Ja, vielleicht hast du Recht. Es tut mir leid, dass ich dich alleine gelassen habe.«

Ich weiß nichts dazu zu sagen. Ich hatte natürlich gehofft, dass du weiter in meiner Nähe bleibst, nachdem alles vorbei war.

»Ich... Du warst immer da, wenn ich dich gebraucht habe. Du hast es wahrscheinlich nicht gemerkt, aber du warst derjenige, der mir gezeigt hat, dass es ein Leben nach dem Krieg gibt, nach dieser ganzen Hölle. Ich fühle mich...irgendwie...verantwortlich für dich.«

Ich schaue erstaunt. »Verantwortlich?«, frage ich ein bisschen dämlich. Ein Nicken von dir.

Wir sehen uns in die Augen, deine sind so blau, und so tief. Ich erinnere mich auf einmal an einen Tag am Meer vor einem Jahr. Ich war dort ganz alleine am Strand, wollte mal entspannen. Ich saß den halben Nachmittag im Sand und habe auf das blaue Wasser vor mir geschaut und den Wellen zugehört. Ich habe damals gedacht, dass man gar nicht sieht, was für eine Kraft im Meer steckt, wie viele Fische darin wohnen, wie tödlich es doch sein kann, wo es auf den ersten Blick doch so schön, ruhig und gleichmäßig aussieht. Deine Augen erinnern mich an das Meer.

Für Fußgänger müssen wir komisch aussehen. Wir sitzen einfach nur da und schauen uns in die Augen. Ich wüsste gerne, woran du denkst. Mir geht es gut, einfach nur so dazusitzen.

Aus den Augenwinkeln bemerke ich, dass du deine Hand langsam anhebst.

Ich spanne mich innerlich an, befehle mir, ruhig zu bleiben. Trotzdem fühle ich wie mein Puls ansteigt. Ich weiß nicht, was du machen willst. Ich habe einfach Angst vor Berührungen, das weißt du, also fass mich nicht an.

Ich sehe dein Lächeln.

»Vertraust du mir?«, fragst du, während du immer noch in meine Augen schaust. Ich bin gefangen in dem tiefen Blau. Vertraue ich dir? Die Frage ist leicht zu beantworten, sagt meine rationale Seite: Ja, du vertraust ihm, du hast ihm schon oft dein Leben anvertraut.

Die irrationale Seite, die Angst, sagt Nein. Wie kannst du jemanden vertrauen, den du heute das erste Mal seit drei Jahren wieder siehst?

»Ja.«

Ich spüre, wie deine Hand eine Haarsträhne hinter mein Ohr klemmt, ganz vorsichtig. Ich erzittere und will wegrennen, als ich deine Hand an meiner Wange spüre, wie sie leicht darüber streicht, aber ich bin noch immer in deinen Augen gefangen.

Und nach ein paar Sekunden entspanne ich mich wieder. Die Welt bekommt ihre leuchtenden Farben zurück. Wenn ich Angst habe, habe ich auch immer das Gefühl, dass es dunkler um mich herum wird.

Dein anderer Arm legt sich vorsichtig um mich herum und so hältst du mich. Wir sitzen immer noch nicht sehr dich nebeneinander, und du ziehst mich nicht zu dir. Ich fühle mich sicher und habe nicht das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.

Ich lächele vorsichtig.

»Hey, ist doch gar nicht so schlimm!«

Ich nicke nur und raffe meinen Mut zusammen. Ich möchte, dass du stolz auf mich bist und so rutsche ich unter Herzklopfen näher zu dir heran, bis sich unsere Beine und Hüften berühren. Dann lege ich langsam meinen Kopf auf deine Schulter. Ich kann immer noch in deine Augen sehen und du gibst ein leises Lachen von dir.

Es ist angenehm so zu sitzen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber der Park scheint mir auf einmal voller Menschen zu sein. Vielleicht ist Mittag und die Leute kommen in ihrer Mittagspause hierher. Ein paar schauen uns ein bisschen komisch an. Ich mag es nicht. Diese Blicke, ihre Augen starren mich an, als würden sie wissen wer ich bin. Als würden sie wissen, wie viel Blut an meinen Händen lastet

Einbildung.

»Möchtest du zurück gehen? Du frierst.«

Das ist der erste Satz, den du nach langer Zeit sagst. Ich nicke und du lässt mich los. Während wir wieder zu meinem Apartment gehen, fängst du an von deinen letzten drei Jahren zu erzählen, ich merke das es auch für dich nicht leicht war und ich bin ein bisschen ermutigt, du hast es schließlich auch geschafft und bist zu einem mehr oder weniger normalem Menschen geworden. Oder? 4

Ich merke selber, dass ich entspannter bin als sonst und ich mag deine Stimme. Ich lache die ganze Zeit. Manchmal muss ich kichern, weil du einige Dinge so seltsam wahrnimmst.

Vielleicht kommt das aber auch daher, dass du die normalsten Sachen im Leben erst nach dem Krieg kennen gelernt hast. Aber ich habe ja auch eine seltsame Art, die Dinge zu betrachten.

Als wir im Apartment ankommen, fällt mir schon wieder auf, wie sehr wir uns verändert haben. Ich sage es. »Früher hättest du mich baka genannt, wenn ich soviel geredet hätte wie du gerade.«

»Na ja, dann merkst du jetzt mal, wie schlimm das ist.«

Ich muss laut auflachen. »Ich finde es aber nicht schlimm, im Gegenteil.«, sage ich etwas sanfter. Ich merke, dass dich das freut.

»Danke Heero, dass du da bist.«

Du nimmst mir meine Jacke ab und hängst sie weg. Dann dirigierst du mich zur Couch. Ich zucke nicht mal mehr zusammen, als du mich an den Schultern fasst.

»Warum tust du das eigentlich für mich?«

Du überlegst kurz, setzt dich neben mich, nicht so nah, wie wir eben auf der Bank gesessen haben und ich finde es schade. Warum, weiß ich nicht. Aber ich habe keine Angst vor dir.

»Ich fühle mich dir gegenüber etwas schuldig und außerdem...du bist mein Freund, oder? Du bedeutest mir sehr viel Duo« Du wendest kurz deine Augen ab und beißt dir auf die Lippe aber ich weiß nicht warum.

Ich kann dazu nichts sagen. Ich habe keine Menschen um mich herum gehabt, die mir nahe stehen. So zucke ich nur kurz mit den Schultern und schaue dich mit schiefem Lächeln an.

»Du brauchst nichts sagen. Ich werde dir helfen, ich verspreche es dir.«

»Arigatou.«

Du lachst leise. »An deiner Aussprache müssen wir noch üben.«

»Oho, du bist ganz schön vermessen, meinst du, dein Englisch ist besser?«

Wir müssen beide lachen. Natürlich ist es das. 5

»So wie du dich zum Positiven verändert hast, habe ich mich wohl zum negativen verändert.«, sage ich in die anschließende Stille. Dein Mund öffnet sich, aber es kommt kein Ton raus. Ich spüre deine Hand, wie sie über meinen Kopf streicht. Es ist angenehm und erinnert mich an irgendwas. Ich schaffe es, die aufkeimende Erinnerung zu unterdrücken. Es war keine Schlimme, nur eine Traurige.

»Ich möchte dich so gerne in den Arm nehmen«, sagst du leise. Schon wieder etwas, worauf ich nicht antworten kann. Aber du weißt, dass ich nicht so weit bin und so bleiben wir so sitzen.

Irgendwann fällt deine Hand neben mir auf die Couch.

»Ich sollte jetzt wohl irgendwas sagen?«, frage ich.

Du zuckst mit den Schultern. »Wir können auch einfach nur sitzen. Du kannst mir erzählen, was dir durch den Kopf geht....Vielleicht von deinem neuen Leben etwas...was du willst. Hauptsache du redest wieder...«, endest du leise und ich sehe dich erstaunt an.

»Ich vermisse dein Geplapper und deine Scherze, es ist so still ohne dich. Die Welt ist so farblos...Als hätte ich etwas von mir selber verloren« Du bist traurig, ich höre es an dem Klang deiner Stimme und sehe es in deinen Augen.

Ich kann den Anblick nicht ertragen und schaue geradeaus.

»Siehst du den Vogel vor dem Fenster?«, frage ich nach einiger Zeit. Ohne deine Antwort abzuwarten rede ich weiter: »Er sitzt dort schon die ganze Zeit, ich habe oft Vögel hier, ich beobachte sie gerne. Sie können hinfliegen, wohin sie wollen. Sie können durch den Park gleiten und sich dem Himmel zuwenden und wenn es kalt wird, so wie jetzt, fliegen sie ins Warme. Ich würde gerne ein Vogel sein. Dann wäre ich nicht so eingezwängt...

Nach dem Krieg habe ich mich frei gefühlt, du auch? Ich glaube, wir waren alle froh, dass es vorbei war, aber nach einiger Zeit...Ich bin ruhelos umhergelaufen und hatte das Gefühl, dass etwas fehlt. Ich mag den Kampf nicht, aber ich habe ihn trotzdem vermisst...

Ist das nicht seltsam? Das ist doch unnormal, oder? Ich habe es gehasst, Menschen zu töten, ich habe es gehasst, jeden Tag Angst um mein Leben zu haben und trotzdem vermisse ich es. Ich verstehe mich selber nicht.

Ich verstehe gar nichts...Ich fühle mich alleine, aber andererseits schotte ich mich selber ab. Warum tue ich das?

Ich frage mich immer, wo ich hingehöre, ich fühle mich nirgendwo zu Hause.

Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll....», meine Stimme wird leiser und flehender, ich hasse es, wenn ich so schwach bin, aber ich rede trotzdem weiter: «Es gab eine Zeit, da habe ich gedacht, es wäre besser, wenn ich nicht mehr da wäre... Ich bringe nur die Menschen um mich herum in Gefahr, aber andererseits... Warum habe ich den Krieg überlebt?

Ich weiß ja nicht mal mehr, wofür ich gekämpft habe... Hilf mir Heero.» Jetzt flüstere ich schon.

Du sagst lange Zeit gar nichts.

Ich denke über das nach, was ich gesagt habe. Es auszusprechen tut gut, ich kann meine Gedanken dadurch ordnen und es sind nicht mehr einfach nur böse Schatten.

Aber ich werde auch traurig dadurch. Ich merke, wie meine Augen feucht werden und ich weine. Ich weine über all das, was ich verloren habe und was ich nie hatte. Es ist gut. Und mir wird eine Sache klar.

»Du hast keine Schuld, Duo.«

Ich nicke.

»Die Menschen um dich herum haben dich geformt, was solltest du tun, als sie dich in den Krieg geschickt haben? Du hast gekämpft, du hattest deine Ziele. Aber du warst zu jung, um das alles zu verdauen. Wir waren alle zu jung. Ich hätte dich nie alleine lassen dürfen...«

»Heero....«

Wir wollen bei mir zu Hause essen und du kochst Nudeln. Ich sitze in der Küche am Tisch und schaue dir zu. Ich muss ein bisschen lächeln, weil ich nie gedacht hätte, dass ich dich mal am Herd sehen würde. Aber ich hätte auch nie gedacht, dass ich mal so enden würde. Mein Lächeln verschwindet wieder.

Der Dampf aus dem Nudeltopf formt seltsame Muster in der Luft. Es ist wie mit Wolken; wenn man etwas darin erkennen will, erkennt man es auch. Nur dass der Dampf schneller verschwindet. Den Gedanken finde ich merkwürdig.

Ist es mit anderen Dingen auch so? Wenn man es sich ganz fest vorstellt... Wenn man etwas sehr stark will... ob es hilft?

Ich teile dir meine Gedanken mit und du nickst anschießend.

»Natürlich hilft es. Ich würde sagen, das nennt man Hoffnung, Duo.«, sagst du lächelnd, als du die Nudeln in ein Sieb kippst.

»Hm, ja. Ich glaube... ich habe keine... aber...«

»Ich weiß, Duo. Und es macht mich traurig.«

»Ja. Das habe ich gesehen...«

»Beantwortest du mir eine Frage?« Die Nudeln stehen mittlerweile dampfend auf den Tisch, die Soße stellst du auf ein Brett und setzt dich mir gegenüber. Du schaust mir lange in die Augen und ich will gerade nachhaken als du anfängst zu reden.

»Wofür lebst du?«

Ich runzele die Stirn. »Was soll das für eine Frage sein. Ich lebe für... für... Ich...« Betreten schaue ich auf meinen Teller.

»Ich kannte mal einen Jungen, der hat für all die gekämpft, die er verloren hat. Er hat dafür gekämpft, dass die Leute Frieden haben, dass es nicht solche Kinder wieder geben wird, wie er es war. Du hast immer versucht, andere glücklich zu machen. Warum hat sich das so sehr verändert?«

Ich kann nur mit den Schultern zucken.

»Was ist aus dem kämpferischen Duo geworden?«

Mein Kopf sinkt noch ein bisschen tiefer, deine Stimme klingt... anders. Nicht böse, aber schärfer. Ich zucke zusammen und schaue auf, als du auf einmal aufspringst, die Hände auf den Tisch aufgestützt und fast schreist: »Verflucht noch mal, sag endlich mal etwas. Zeig mir, dass der Junge irgendwo da drin noch vorhanden ist, den ich... den ich...«

Ich sehe Tränen in deinen Augen, du weinst sehr viel. Fast so viel wie ich. Ich starre dich nur an, durch dich hindurch und weiß nicht, was ich machen soll.

Langsam lässt du dich wieder auf den Stuhl zurücksinken und nimmst das Besteck in die Hand. Du schaust nicht in meine Augen und sagst nur: »Lass uns essen, tut mir leid. Guten Appetit.«

Ich fange an zu essen, ohne weiter auf den Vorfall einzugehen. In Gedanken überlege ich, was du sagen wolltest, aber mir fällt nichts ein. So geht die Mahlzeit schweigend zu Ende.

Die Nudeln dampfen gar nicht mehr. Es ist kalt geworden.

Der Tag neigt sich still dem Ende zu. Wir haben nicht mehr viel geredet. Ich wollte dir alles erzählen, ich wollte es wirklich, aber es ging nicht. Vielleicht bist du enttäuscht, vielleicht hast du aber auch damit gerechnet, dass ich noch ein bisschen brauche. Du bist so verständnisvoll, so anders als früher.

Ich kenne dich nicht mehr.

Aber ich wünsche es mir so sehr. Ich beobachte dich, wie du im Sessel sitzt, entspannt deine Zeitung liest. Du strahlst eine gewisse Ruhe aus, sie scheint sich über meine ganze Wohnung zu verteilen und fängt an, sogar schon auf mich abzufärben. Es tut mir gut. Du tust mir gut.

Ich wende mich wieder dem Fenster zu und beobachte den Sonnenuntergang, wie jeden Abend. Ich stelle mir manchmal vor, ich wäre ganz alleine auf der Welt. Ich weiß nicht, ob das ein schöner Gedanke ist, aber manchmal beruhigt er mich einfach. Manchmal ängstigt er mich auch: Denn ich fühle mich zwischen all den Menschen trotzdem alleine. Wenn ich durch die Fußgängerzone gehe, kommen mir die Leute nur wie eine wogende graue Masse vor. Ein komischer Gedanke, oder?

Ich bemerke, wie du hinter mich trittst. Ich kann dich in der Scheibe sehen, ansonsten wäre ich wohl schon in Panik ausgebrochen, ich kann es schon nicht haben, wenn mir jemand nahe ist, erst recht nicht, wenn ich denjenigen nicht sehen kann.

Ich sehe dich lächeln.

Du scheinst nicht böse auf mich zu sein, obwohl ich dir nicht das erzählt habe, was du wissen wolltest.

»Ich schaue mir auch oft den Sonnenuntergang an. Er erinnert mich immer an die letzten Tage vom Krieg. Als ich angefangen habe, darüber nachzudenken, dass ich vielleicht überleben werde. Vorher ist mir nie aufgefallen, wie schön so ein Sonnenuntergang sein kann.«

»Ich wusste nicht, dass du eine romantische Ader hast.«, sage ich grinsend, meine trübsinnigen Gedanken überspielend.

»Hmm. Woran denkst du, wenn du hier stehst?«

»Wie kommst du darauf, dass ich das öfter mache?«

Du schaust mich nur schief und ein bisschen überrascht an. »Ich weiß nicht, es schien mir einfach so...«

»Ich denke daran, dass ich alleine bin.«, antworte ich einfach. Auch wenn es nur die halbe Wahrheit ist.

»Aa.«, sagst du nur, als hättest du es dir gedacht.

Die Tür klingelt kurz nachdem wir zu Abend gegessen haben. Es war schön, die Stimmung ist nicht mehr so gedrückt, wir haben uns über Kleinigkeiten unterhalten und ein bisschen gescherzt. Smalltalk eben. Ich habe mit Erstaunen festgestellt, dass wir den gleichen Geschmack haben, was Bücher und Filme angeht und ich kann über deine Witze lachen. Ich habe wirklich für eine kurze Zeitspanne vergessen, dass ich eigentlich nicht ganz normal bin. Und es macht mich ein bisschen nachdenklich.

Ich öffne die Tür und vor mir stehen Jan, Ilene und Tina. Ich habe mein Dauer-Lachen sofort aufgesetzt, ohne es richtig zu bemerken. »Hey! Schön dass ihr da seid, kommt rein!«, begrüße ich meine »Halb-Freunde« freundlich. Sie können schließlich nichts dafür, dass sie nicht die ganze Wahrheit über mich kennen.

Ich lasse die drei rein.

»Oh, du hast Besuch?«, fragt Tina überrascht. Es kommt wirklich selten vor, dass ich außer den Dreien Menschen in meiner Wohnung habe.

»Ja, das ist Heero, ein Freund von vor meiner Zeit in New York«, erkläre ich einfach. Mehr müssen sie nicht wissen. Ich stelle die Drei Heero vor und sie setzen sich mit auf die Couch.

Ich bleibe kurz stehen und betrachte sie eine Sekunde. Ilene verwickelt Heero sofort in ein Gespräch. Sie ist eine Quatschtante. »Duo setz dich doch.«, meint Jan, aber ich schüttele den Kopf. »Ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich euch nichts zu trinken anbieten würde. Also was wollt ihr?«

»Egal, was du hast!«, ist die einstimmige Antwort.

»Okay, bin gleich wieder zurück!« Ich verschwinde in die Küche und lasse die Vier alleine. Schnell schnappe ich mir ein Tablett und verfrachtete ein paar Gläser und eine Flasche Fruchtsaft darauf. Bevor ich die Tür öffnen kann, höre ich Tinas Stimme:

»Heero, können wir dann eben kurz reden?« Ein paar Sekunden keine Antwort. Tinas Stimme: »Es schien nach dem Gespräch in Jans Café so, also würdest du Duo lange kennen, viel länger und viel besser als wir deswegen möchten wir dich gerne was fragen.

»Aa« höre ich die ruhige dunkle Stimme antworten.

Ich weiß, man soll nicht lauschen, aber ich kann nicht anders. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es um mich geht. Meine gute Stimmung verfliegt und ich runzele die Stirn.

»Wir sind eigentlich hergekommen, um mit Duo zu reden. Ich denke, du weißt, was mit ihm los ist?«

Heero antwortet nicht, vielleicht hat er aber auch nur genickt.

»Wir denken, dass wir irgendwas tun sollten. Wir haben uns gestern getroffen und es endgültig geklärt. Duo muss in Behandlung, es geht so nicht mehr weiter. Seine Anfälle kamen in letzter Zeit immer häufiger und wir wissen bald nicht mehr, ob und wie wir damit umgehen können. Er braucht eine Therapie. Ein Psychotherapeut wäre wohl das Beste, wir haben uns schon erkundigt und«

Weiter höre ich nicht, denn mein Gehirn setzt irgendwie aus, als ich Jans letzten Satz wahrnehme. Ich will es noch verhindern, aber ich kann nicht. Das Tablett fällt mir scheppernd aus den Händen, doch das ist mir egal. Ich laufe durch die Scherben, die sich in meine nackten Füße bohren. Ich spüre nur das Blut nicht die Schmerzen.

Mit einem Ruck reiße ich dir Tür auf, ich bin wütend. Nur noch wütend, kein Schmerz.

»So ist das also!«, schreie ich laut. »Loswerden wollt ihr mich, tolle Freunde! Hätte ich mir ja gleich denken können!« Aufgebracht stehe ich in der Tür, ich weiß, was gerade mit mir passiert, aber ich will nicht aufhören, es ist, als würde ich ein bisschen neben mir stehen. Und es ist das erste Mal, dass der Anfall nicht direkt mit meiner Vergangenheit zu tun hat, bzw. ich nicht glaube, mich in ihr zu befinden. Auch das realisiere ich in dem Moment. Aber dann hört es auch schon auf.

»Duo, beruhig dich doch!«, höre ich Tinas Stimme, sehe, dass alle aufgesprungen sind und mit vorgestreckten Armen auf mich zukommen. Das ist nicht gut. Es macht Klick irgendwo in mir. Irgendeine Synapse schaltet falsch und um mich herum wirkt auf einmal alles verschwommen.

Mein Kleiner, komm zu mir, wir wollen dir nichts tun..., höre ich eine Stimme in meinem Kopf und ich reiße die Augen auf. »Nein!!!!«, schreie ich, halte meine Ohren zu und gehe rückwärts. Weiche von den wabernden Gestalten vor mir zurück, die ich gar nicht näher erkennen will.

»Duo...« Duo, sei brav, wir wollen dir nur helfen... Ich spüre Hände an meinem Körper, wie sie mich ausziehen, versuche mich davor zu verschließen, schreie und trete um mich, bekämpfe die dunklen Schatten. Drei der Gestalten scheinen immer näher zu kommen.

Mein Blick fällt auf eine Glasscherbe, schnell hebe ich sie auf, strecke meinen Arm vor und halte sie an mein Handgelenk. »Geht weg, kommt mir nicht zu nahe!«, rufe ich schrill, während ein bisschen rotes Blut aus meinem Handgelenk quillt und die Scherbe einfärbt.

Ich zittere.

»Ich meine es ernst, kommt mir nicht zu nahe, ich werdet mich nicht bekommen!! Nie wieder!«, rufe ich.

Ich sehe verschwommen, wie irgendetwas die drei Gestalten festhält, so dass sie nicht weitergehen können. Aber trotzdem drücke ich die Scherbe immer weiter in mein Handgelenk. Ich spüre immer noch keinen Schmerz, nur das warme Blut.

»Duo... Hör auf, bitte. Duo, ich bin es, Heero, du kennst mich. Der Krieg ist vorbei, Duo, wir leben alle, wir haben Frieden, du bist nicht mehr auf L2. Du lebst nicht mehr als Straßenkind. Du bist in Sicherheit, niemand tut dir etwas.«

Ich höre die Stimme klar und deutlich, es ist eine schöne Stimme und sie erinnert mich an jemanden... Ich spüre, dass meine Wut in Trauer umschlägt, Tränen steigen in meinen Augen auf. Meine Hand mit der Scherbe zittert immer stärker.

Die Gestalt mit der schönen Stimme kommt auf mich zu.

Immer noch von Adrenalinstößen gejagt steige ich aus meinem Gundam aus. Was für ein Kampf. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten, bin total verschwitzt und sehe alles nur verschwommen. Ein kurzes Kopfschütteln hilft. Ich atme tief durch und sehe mich um. Ein Trümmermeer. Grau und düster. Aber keiner von uns oder? Suchend drehe ich mich im Kreis, etwas weiter entfernt sehe ich schließlich meine Kameraden. Da sind Trowa und Quatre die gerade aus ihren Gundams steigen und einander in die Arme fallen. Ich bin erleichtert, das ihnen nichts passiert ist und lächele. Auf der anderen Seite sehe ich Wufei, der stolz auf seinem Gundam Nataku steht, seine schwarzen Haare flattern im Wind. Fehlt nur nochIch drehe den Kopf wieder nach vorne, vor mir ist der fünfte und letzte Gundam gelandet. Aus ihr steigt ein braunhaariger Japaner der nun auf mich zugelaufen kommt. Ich kann nicht abschätzen was für Nachrichten er bringen wird denn es ist schwer in diesem starren Gesicht zu lesen. War dies unser letzter Kampf? Sind wir nun frei?

»Duo« höre ich die Heeros Stimme. Mein Herz fängt stärker an zu schlagen.

»Duo, wir haben es geschafft, es ist vorbei. Der Krieg ist beendet.«6

»Frieden.«, flüstere ich, bevor mir das Glasstück aus der Hand fällt und wie in Zeitlupe zu Boden gleitet. Und endlich erkenne ich auch die Stimme. »Heero«, hauche ich noch. Dann breche ich zusammen.

Ich spüre, wie mich jemand festhält. Sehr fest. Höre aufgebrachte Stimmen und eine Tür zuschlagen. Ich kriege Panik und will gegen die Enge ankämpfen. Mein Atem geht schnell. »Shhhh Duo, ganz ruhig. Ich bin es, Heero.« »Heero...?« Ich öffne meine Augen und schaue direkt in deine. Ich zittere, aber ich höre auf gegen dich anzukämpfen. Ich weiß sowieso, dass du stärker bist. Aber ich merke, dass auch du jetzt lockerer lässt und eine Hand über meinen Rücken streichelt. »Es ist gut, Duo, es ist alles gut...« Du sagst immer wieder den gleichen Satz, um mich zu beruhigen. Oder vielleicht auch dich. Ich schaffe es sogar, mich zu entspannen.

Du kniest neben mir, ich sitze auf dem Boden. Mein Kopf lehnt an deiner Schulter. Ich seufze. »Schon wieder...«, flüstere ich. »Wo sind die anderen?«

»Ich habe sie weggeschickt.«, sagst du kalt und in deine Augen blitzt es kurz auf. Du ziehst mich fester an dich und vergräbst deinen Kopf in meiner Schulter. Ich halte mich an dir fest. Mich wundert es selber, dass ich ohne Panik in deinen Armen liegen kann. Ich finde es sogar recht angenehm, wenn ich es mir genau überlege. Geborgen. Bisher hatte es immer was beängstigendes, wenn mich jemand an sich gedrückt hat. Nicht aber bei dir.

Dann fällt mir wieder ein, was genau passiert ist. Mein Körper fängt an zu zittern. Ich spüre Schmerz, endlich. Meine Füße und mein Handgelenk schmerzen, das Blut rinnt auf dein T-Shirt und färbt es dunkelrot.

Ich weine.

»Oh, Duo...Duo...« Ich merke, dass du auch schluchzt und drücke mich an dich. Es tut mir weh, dich so zerrissen zu sehen, du bist doch sonst so stark, aber jetzt zitterst du auch. »Es tut mir leid, Heero. Sei nicht böse, bitte, es tut mir leid...« Du schüttelst den Kopf und ich schlinge meine Arme um deinen Hals. Das erste Mal, dass ich wen festhalte.

»Nein Duo, es ist okay. Ich bin nur so froh, dass du mich nicht alleine gelassen hast. Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist. Duo...«

»Dich alleine lassen?« Ich löse mich von dir, um dich anzuschauen. »Wieso...?«

Ich bin verwirrt, erstaunt... ich weiß nicht, was ich denken soll. Warum sagst du so etwas? Warum willst du ausgerechnet bei mir sein? Ich verstehe dich nicht. Trotzdem. Es ist ein gutes Gefühl, es tut einfach gut.

Du wischst mir mit deinen Fingern die Tränen aus dem Gesicht. »Ich habe dir doch gesagt, ich möchte bei dir sein. Ich lasse dich nicht alleine Duo.« Ich nicke und schaue dich lange an.

»Mir tut alles weh.«, flüstere ich nach einiger Zeit. Du hebst mich auf und trägst mich ins Bad. Dort setzt du mich auf den Badewannenrand und holst den Verbandkasten.

Ich lehne mich an die kalten Fliesen neben mir und schließe kurz meine Augen. Ich frage mich, womit ich das verdient habe. Du tauchst auf einmal auf und bringst meine Welt völlig durcheinander. Und ich mag es, ich bin froh, dass du da bist. Aber kann ich dir das sagen?

Du bist für mich da und ich habe das Gefühl, als hätte ich nach jemanden wie dir gesucht. Ich möchte nicht, dass du mich wieder verlässt. Du kannst mich beschützen und mich halten, wenn du bei mir bist, passiert mir nichts, denke ich. Du kannst mich aus meiner Traumwelt zurückholen, in die ich immer hereinrutsche, wenn ich durchdrehe.

Wenn ich so von dir denke, erscheinst du als Engel in meinem Kopf. Das ist irgendwie eine komische Vorstellung, dass ausgerechnet du ein Engel sein sollst, aber trotzdem passend. Schon wieder so etwas Paradoxes. Ich bin wirklich nicht normal.

Aber ausnahmsweise stört mich das gar nicht.

Endlich kommst du wieder, ich habe mich noch nicht bewegt. Vorsichtig fasst du meine Füße an. »Darf ich, Duo? Oder möchtest du selber?«

Ich will meine Augen nicht öffnen, denn dann verschwindet dieses schöne Bild. Du und ich in einer heilen Welt. Vielleicht sind wir die einzigen auf dieser Welt, dann gibt es niemanden mehr, der mir wehtun kann. Du würdest mir nie wehtun, das weiß ich. Oder, Heero?

Ich realisiere endlich, dass du mich was gefragt hast und antworte: »Mach du.«

Ich lasse meinen Augen geschlossen und spüre deine Finger an meinen Füßen, wie sie versuchen möglichst vorsichtig die Glasscherben herauszuziehen. Es tut ein bisschen weh, aber ich habe wirklich schon schlimmeres durchgemacht. Du verteilst ein paar Pflaster unter meinen Füßen und setzt dich dann neben mich.

Endlich schaue ich dich an und lächele ein bisschen. Mir kommen meine Gedanken von eben wieder in den Sinn, als du mir vorsichtig den weißen Verband um mein Handgelenk wickelst.

Du hast gesagt, du wärst froh, dass ich dich nicht alleine gelassen hätte, dieser Satz macht mich etwas stutzig. Du hast mir von deinem Leben erzählt und es schien wirklich gut zu sein. Warum sagst du dann so etwas? Entweder du hast es nicht ernst gemeint und wolltest mich nur beruhigen oder aber...

»Du bist genauso alleine wie ich.«

Du hältst erstaunt inne, als ich diese Feststellung laut sage. Deine Augen werden erst groß und dann weich.

»Aa.«, sagst du nur ruhig und wickelst den Verband zu Ende.

Ich bin verwirrt.

»Das verstehe ich nicht.«, sage ich leise.

Du schaust mich wieder an und räumst nebenbei den Verbandskasten wieder ein.

Ein Seufzen, es klingt nicht genervt.

»Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Es ist einfach ein Gefühl, vielleicht lässt es sich nicht wirklich erklären, aber du kennst es doch.«

Ja, ich kenne es. Es bestimmt fast mein ganzes Leben.

Du legst einen Arm um mich und ziehst mich hoch. Erst jetzt merke ich, wie schwach ich wirklich bin. Es war ein anstrengender Tag, wenn auch nicht körperlich.

»Du bist müde, ich bringe dich ins Bett.«, sagst du sanft, als du meinen Versuch bemerkst, ein Gähnen zu unterdrücken.

In meinem Schlafzimmer angekommen, schicke ich dich raus. Ich will nicht, dass du mich nackt siehst. »Bist du sicher das du alleine klar kommst Duo? Du bist doch« Ich unterbreche dich. »Das schaffe ich gerade noch.«

Du drehst dich um und willst aus der Tür gehen, als mir noch was einfällt. »Heero!«

Ein Blick zurück.

»Danke«

Als ich im Bett liege, kommst du doch noch mal herein und darüber muss ich lächeln, ich weiß nicht wieso.

Du setzt dich neben mich aufs Bett. Schaust mir in die Augen. Ich spüre deine Körperwärme und fühle mich schon ein bisschen besser. Ich lächele dich matt an und du nimmst meine Hand.

»Sie haben dich vergewaltigt, oder?«, fragst du mit ruhiger, fast sachlicher Stimme und ich zucke zusammen. Ich habe das Gefühl, außer Kontrolle zu geraten, als viele Erinnerungen auf einmal auf mich einströmen und mich bedrängen es droht zu eskalieren, als sich deutliche Bilder in mein Gedächtnis schleichen, Bilder von gröhlenden Männern, das Gefühl von kaltem Stahl und Schmerz, ich höre schon fast wieder ihre Stimmen in meinem Kopf und...

Aber du hältst mich. Mit deine Augen, die fest in meine schauen. Und mit deiner Stimme, die auf mich einredet, so ruhig und tief. »Duo, schau mich an und denk daran, dass du im Hier und Jetzt bist. Dir kann nichts passieren, Duo, ich bin bei dir und ich werde dich beschützen und dir helfen, hörst du?«

Ich bekomme ein Nicken zustande und fühle, wie meine Panik wieder abklingt.

»Gut, siehst du? Es ist alles in Ordnung... Hab keine Angst, Duo. Hab keine Angst.«

Mein Zittern verschwindet und ich liege wieder so ruhig im Bett, als wäre nichts geschehen. Ich reiße mich zusammen und presse einen Satz hervor:

»Ja. Ja sie haben mich vergewaltigt...und schlimmeres...ich...«

Es ist das erste Mal, dass ich es ausspreche. Komischerweise macht das die Sache gar nicht schlimmer. Ich fühle mich befreit, als könnte ich darüber reden. Ich weine schon wieder, meine Güte, das ist ja schlimm. Aber es tut so gut. Du scheinst zu wissen, was in mir vorgeht, denn du sagst nichts und streichelst nur meine Tränen weg.

»So, nun schlaf, Duo. Wenn du dich in der Lage dazu fühlst, können wir morgen ein bisschen reden. Wenn du Alpträume hast, kannst du mich ruhig wecken, ich bin für dich da, hörst du?«

Ich nicke nur. »Danke, Heero. Gute Nacht.«, sage ich durch meinen Tränenschleier hindurch.

Leise gehst du aus meinem Zimmer und ich drehe mich auf die Seite und schaue die geschlossene Tür an. Ein seltsamer Gedanke formt sich in meinem Kopf, der mir ein bisschen Angst macht, weil ich das Gefühl nicht einordnen kann, das zu diesem Gedanken gehört.

Ich wünschte, du wärst hier geblieben. Ich wünschte, du würdest mich auch in der Nacht nicht alleine lassen.

Vertraue ich dir schon so sehr? frage ich mich selber. Vielleicht ist es aber auch nicht so schlimm. Aber ich wurde schon so oft enttäuscht, bitte, lass es dieses Mal ein gutes Ende haben. Ich wünsche es mir so sehr.

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Ich wache früh auf, wie jeden Morgen. Genauso schnell wie immer springe ich aus dem Bett und schaue mich rasch um. Gut, alles ist so wie immer. Manche

Gewohnheiten kann man eben nicht ablegen, ab und zu kommt der Soldat in mir

wieder hoch. Aber ich habe andere, wichtigere Gedanken. Ich gehe leise zu Duos Zimmertür und spähe durch einen kleinen Spalt hinein. Gut, er schläft noch und er sieht friedlich aus, kein Alptraum quält ihn. Es schmerzt mich, wenn ich daran denke, was dieser Junge schon alles mitmachen musste. Aber ich habe das Gefühl, dass ich ihm helfen kann.

Vor vier Jahren, als der große Krieg vorbei war, habe ich gedacht, ich könnte in einer mir unbekannten Welt nicht leben, doch es ging. Ich weiß nicht mehr wie, aber ich habe mich schneller daran gewöhnt, als ich dachte. Ohne meine Arbeit wäre es mir bestimmt nicht so leicht gefallen. Die ganze Zeit, die ich bei den Preventers verbracht habe, habe ich mich wieder in die Zeiten des Krieges zurückversetzt gefühlt. Und es tat gut. Ja, ich weiß, eigentlich ist das nicht schön, aber ich brauche dieses Gefühl, es gibt mir Sicherheit.

Irgendwann habe ich angefangen, die Menschen um mich herum zu imitieren. Ich DURFTE jetzt ich selber sein. Meine Gefühle, die die ganzen Jahre unterdrückt waren, konnten endlich raus. Und so habe ich gelernt, zu leben. Lachen, anderen helfen, traurig sein. Und es fing an, mir zu gefallen und mir kam die eine Person in den Sinn, die ich in die letzte Ecke meiner Gedanken geschoben habe, weil es so wehtat.

Ich hatte Duo vergessen wollen, nachdem er weg war. Ich wusste, dass ich an ihm hing, dass ich ihn mehr mochte als alles andere. Er war der erste gewesen, der sich um mich bemüht hatte. Ich wünschte mir nur, ich wäre nicht bis zum Schluss dieser kalte Bastard gewesen. Vielleicht hätte ich es verhindern können...

Wenn ich mich schon eher um Duo gekümmert hätte... Wie haben wir auch denken können, dass er mit all dem klarkommt? Er hat viel mehr auf sich genommen, als der Rest von uns, hat sich unsere Probleme angehört und versucht uns zum Lachen zu bringen, damit wir ein bisschen vergessen können....

In Gedanken versunken stelle ich die Gläser auf den Tisch. Von gestern sind noch Brötchen da, die ich neben den Toaster lege. Fertig. Die Zeitung ist auch schon da, aber ich kann mich nicht konzentrieren.

Ich sitze auf dem Stuhl und denke weiter nach.

Ich habe irgendwann angefangen, nebenbei nach ihm zu suchen und als ich endlich herausgefunden hatte, wo er war, gab es kein Halten mehr. Sicherlich habe ich nicht erwartet, dass er mir vor Freude um den Hals springt, wenn ich vor ihm stehe nach drei Jahren, aber erschreckt habe ich mich trotzdem über ihn. Dieser Blick... so gehetzt und ängstlich wie ein verwundetes Tier, wie man so schön sagt. Ich konnte erst nicht einordnen, warum es mich so schmerzte, ihn in diesem Zustand zu sehen. Sicher, er war mein Freund, zumindest vor langer Zeit (es kommt mir sehr weit weg vor, wenn ich an den Krieg denke), aber dass sich gleich mein Herz zusammenzog.

Irgendwann bemerkte ich auch endlich, dass ich wohl mehr für ihn empfand. Viel mehr... wie es schien.

Und fast hätte ich mich schon verraten, aber er darf es nicht wissen. Ich weiß, was sie mit ihm gemacht haben und es wäre schrecklich, wenn er weiß, dass ich...

Nein, ich schüttele den Gedanken ab und komme wieder zurück in die Wirklichkeit, als ich Schritte hinter mir vernehme.

»Was sitzt du hier so herum und starrst Löcher in die Luft?«, fragt eine

verschlafene Stimme und ich lächele Duo an. »Guten Morgen! Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Lass uns frühstücken. Wie geht es deinen Füßen?«

Duo gähnt ausgiebig und streckt sich. Ich kann in der Zeit meine Augen über die schlanke Form seines Körpers wandern lassen. Er hat sich nicht sehr verändert.

Die Haare sind immer noch in diesem langen Zopf mehr oder weniger ordentlich geflochten und die violetten Augen schauen viel zu groß aus dem herzförmigen Gesicht. Und viel zu traurig. Seine Beine wirken etwas weiblich, weil sie so lang und schlank sind und auch die Hände sind schmal. Ich habe das Gefühl, wieder vor dem 15 jährigen Jungen zu stehen, den ich vor so vielen Jahren kennen gelernt habe, als er mir mit seinem Lächeln sagt: »Morgen Heero! Danke...«

Die Fassade fällt zusammen und ich sehe die Wirklichkeit. Duo hat Ringe unter den Augen, vielleicht hat er doch nicht gut geschlafen, was auch kein Wunder wäre. Außerdem fällt mir wieder dieser harte Zug um seinen Mund auf, selbst wenn er lächelt, scheint es unecht zu sein.

Er lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen.

»Ich... wollte mich noch bei dir bedanken... dass du... für mich da warst. Ich hasse mich selber für die Sache gestern, ich....«

Ich muss ihn unterbrechen, er darf nicht so schlecht von sich denken.

»Sei still Duo!«, sagte ich deshalb so sanft wie möglich. »Du solltest dich nicht hassen, für das, was du bist.«

Traurige große Augen schauen mich an. »Was bin ich denn?«, kommt die leise Frage zurück.

»Du bist... Du bist ängstlich und verwirrt, aber ich kann es verstehen. Du

denkst schlecht von dir und versteckst dich gerne hinter deiner Maske und du bist unordentlich, das warst du wirklich schon immer. Du bist gefährlich, weil du deine Vergangenheit nicht vergessen kannst und nicht weiß, wie du damit umgehen sollst. Du bist hilflos und alleine, weil du Menschen nicht zu nahe kommen kannst. Und du bist trotz allem nur ein Junge, der nicht weiß, wo er hingehört....»

Duo blinzelt ein paar Mal. Und schließlich schleicht sich das erste wirkliche Lächeln auf seine Züge. »Ja, du triffst es fast genau.«

»Nur fast?«, frage ich verwundert, weil ich eigentlich dachte, ich würde es ganz genau treffen.

»Ja, fast. Ich bin nicht mehr alleine... oder Heero? Du... gehst noch nicht, oder? Bitte, bleib noch, ich weiß, ich bin nicht....«

»Natürlich bleibe ich noch, ich habe eine Überraschung für dich.«, unterbreche ich Duo schnell, weil ich nicht will, dass er schon wieder in seine depressive Stimmung abdriftet.

»Überraschung?«, kommt die erstaunte Frage.

Ich nicke. »Gestern Abend, nachdem du eingeschlafen bist, habe ich noch ein

bisschen rumtelefoniert. Was hältst du davon, wenn wir wegfahren? Nur wir beide, ganz alleine. Keine Menschen um uns herum und wir können uns entspannen.»

Ich hatte Quatre gestern angerufen und er hat mir natürlich ohne zu zögern eines seiner Häuser zur Verfügung gestellt, nachdem ich ihm kurz die Lage geschildert hatte.

Ich sehe Duos erstauntes Gesicht, dann lacht er mit großen Augen und klatscht in die Hände. Fast wie ein kleines Kind. Vielleicht ist er das manchmal wirklich noch. »Urlaub? Oh ja, das ist genau das, was ich brauche, aber... ich...« Er sinkt zurück auf den Stuhl. »habe gar kein Geld.«

»Ich sage nur ein Wort: Quatre.«

Die Taschen sind schnell gepackt, wir sind es beide noch gewöhnt, schnell

aufbrechen zu müssen. Duo schaut sich nicht noch einmal um, als wir die Wohnung verlassen. Es gibt keinen, dem er auf Wiedersehen sagen muss. Fast kommt es mir so vor, als wäre es ihm egal, ob er wieder hierher zurückkehrt.

Wir setzen uns in mein Auto und fahren los. Ich schiebe eine CD in den Player und lächele, als Duo anfängt, mitzusingen. Das hat er schon immer getan. Ich erinnere mich noch daran, dass es mir auf die Nerven gefallen ist. Aber eines Tages, als ich von einer Mission zurückkam und vor unserem Zimmer stand, da habe ich ihn richtig singen hören. Nicht nur dieses Mitgeträller und diesen

schiefen Singsang. Nein, damals hat Duo mit seiner wunderschönen Stimme ein

trauriges Lied gesungen. Ich weiß noch wie heute, wie ich mich damals gefühlt habe, auch wenn ich es an dem Tag nicht verstanden habe, heute weiß ich, dass es eine Art Verlangen war. Nach Frieden oder Wärme, irgendetwas, was ich bis dahin noch nicht kannte. Von da an habe ich mich nicht mehr beschwert, wenn Duo gesungen hat, weil ich immer hoffte, er würde dieses Lied noch einmal singen.

Aber er tat es nie.

»Sag mir, wohin wir fahren!«, unterbricht Duo unser Schweigen plötzlich. Ich lächele ihn an. »Huch, Heero, das ist immer noch so ungewohnt....« »Was?«, fragte ich verwirrt.

»Dich so lächeln zu sehen. Aber es schön.«

Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er auch lächelt.

»Ans Meer.«, antworte ich ihm auf die erste Frage.

Er lässt sich entspannt zurücksinken. »Hast du keine Angst vor mir?«, fragt er auf einmal.

Ich bin ein bisschen erstaunt. »Warum sollte ich Angst vor dir haben?«

»Na weil, weil... Weil ich diese Aussetzer habe, ich habe Angst vor mir selber und deswegen... Aber stimmt, Heero Yuy hat natürlich keine Angst.« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Das ist falsch, aber vor dir habe ich trotzdem keine Angst. Ich werde dir helfen.«

»Ich weiß«, flüstert Duo. »Danke.«

Ich lächele und wir setzen die Fahrt schweigend fort. Ich warte darauf, dass er was sagt. Ich will, dass er mir mehr von sich erzählt, aber ich werde ihn nicht fragen.

»Wovor hast du Angst?«, fragt Duo auf einmal.

Schon wieder bin ich überrascht. Ich muss eine Weile nachdenken. Duo schaut mich während dieser Zeit erwartungsvoll an.

»Davor, dich zu verlieren.«, sage ich schließlich ruhig. Ich musste es einfach loswerden. Er muss wissen, dass es jemanden gibt, der sich um ihn kümmert. Wir stehen an einer roten Ampel und ich habe Zeit, ihn genauer anzuschauen. Die violetten Augen starren traurig und fragend in meine. Er versteht es nicht?! »Gib dich nicht auf, Duo, bitte.«, sage ich endlich, als die Ampel auf Grün springt.

Duo erwidert nichts.

»Wir sind da.« Ich schaue zum Beifahrersitz. Duo ist eingeschlafen.

Im Schlaf sieht er so friedlich aus, der Mund hat nicht mehr diesen harten Zug um sich und seine Haltung ist entspannt und locker. Ich wünsche mir, ihn irgendwann auch im wachen Zustand wieder so sehen zu können. Aber bis dahin ist es wohl noch ein langer Weg.

Ich sollte ihn besser wecken, ich weiß aber nicht, wie er darauf reagiert.

Vorsichtig streiche ich ihm über die Schulter und er öffnet die Augen, schaut sich mit einem gehetzten Blick um.

»Ganz ruhig Duo, wir sind da.«, sage ich leise. Ich kann sehen, wie sich sein Gesicht und seine Haltung entspannt und er sich umschaut.

»Hey Heero, ich wusste gar nicht, dass du was für romantische Plätze übrig

hast!» Ich lächele über seine offensichtliche Freude, er strahlt und steigt aus dem Auto aus.

Ich gehe hinter ihm her, den Weg zu dem Haus, das einsam zwischen den Dünen

steht, dahinter ein kleiner Wald und nichts sonst. Vor der Haustür des

Holzhauses bleibt Duo stehen und ich lehne mich hinter ihm an die Wand um ihn zu beobachten.

Die Sonne geht gerade unter und wirft warme rottöne auf das Meer und in den

Himmel. Das einzige Geräusch ist das Rauschen der Wellen und das letzte

Zwitschern der Vögel. Ein friedlicher Platz. In mir kommt ein Gefühl hoch, so etwas wie ,Ruhe vor dem Sturm', aber ich schiebe es an die Seite.

Wir sind nicht mehr im Krieg, wo ich solche Momente nur ein paar Minuten genießen konnte, bevor der Himmel sich von MS' verdunkelte und... Ich schüttele den Kopf. ,Nicht daran

denken...'

Duo scheint es zum Glück nicht wie mir zu gehen, er sieht sehr

entspannt aus. »Hier ist es sehr schön Heero. Danke, dass du mit mir hergekommen bist!« Lächelnd dreht er sich um.

»Du brauchst ein bisschen Abstand von deinem Leben, auch wenn es nicht für lange sein wird. Ich hoffe, du kannst die Zeit hier ein wenig genießen....«, sage ich.

Es klingt irgendwie lahm und ich weiß auch wieso. Ich will nicht, dass Duo

wieder in sein altes Leben zurückkehrt, es würde sich nichts ändern. Ich weiß auch, dass seine Freunde eventuell Recht haben und er wirklich ärztliche Hilfe braucht. Aber da muss er selber etwas zu beitragen, ich werde ihn nicht zwingen....

»Lass uns ins Haus gehen, es wird kalt.«

Er folgt mir mit seiner Tasche in das kleine Haus. Drinnen zünde ich den Kamin an und wir setzen uns vor das Feuer, nachdem ich Tee aufgestellt habe. Es herrscht Schweigen. Wir schauen uns nur an und ich könnte in diesen violetten Augen versinken. Ich weiß nicht was er denkt aber ich habe das Gefühl er verschließt sich mir nicht mehr so sehr. Das schrille Pfeifen der Teekanne lässt uns beide zusammenzucken und irgendwie zerbricht die Stimmung für einen Moment.

Als ich mit dem Tee wiederkomme sitzen wir immer noch nur so da. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, da ich ihn selber reden lassen will. Ich denke schon, es kommt gar nichts mehr von Duo, da fängt er plötzlich an.

»Ich bin dir sehr dankbar, dass du da bist, ich glaube, ohne dich wäre ich aus meinem Leben nicht so einfach herausgekommen... Ich weiß, dass ich was ändern muss, aber ich kann es nicht alleine« Ich höre Unsicherheit in Duos Stimme. »Ich habe es ernst gemeint gestern: Verlässt du mich bald?«

»Auch ich habe es ernst gemeint, Duo. Ich werde für dich da sein, du brauchst nicht mehr alleine sein...«

Duo lächelt und seine Augen schimmern durch das Feuer. Vielleicht weint er aber auch. »Du glaubst gar nicht, wie gut sich das anfühlt, bei dir zu sein.«, sagt er und lehnt sich an mich.

Vorsichtig lege ich meinen Arm um seine Schulter, so locker und ungezwungen wie möglich. Mein Herz macht ein paar Sprünge und irgendwie schmerzt es auch. Ich weiß, dass ich ihm nicht sagen kann, was ich fühle. Aber ich bin es ja gewöhnt, meine Gefühle zu unterdrücken, vielleicht ist es auch besser so. Es muss mir reichen, sein Freund zu sein.

»Ich will irgendetwas ändern, Heero, aber ich weiß einfach nicht wie, ich weiß es wirklich nicht.....«

»Ich weiß es auch nicht, Duo. Es wird lange dauern und es wird schwierig sein, das ist das Einzige, was ich dir sagen kann und das ist wirklich nicht besonders aufbauend. Aber wenn du es wirklich willst, dann schaffen wir es gemeinsam...«

Duo seufzt leise. »Ja, natürlich will ich es. Ich will mein Leben genießen

können. Ich hatte doch soviel vor, wenn der Krieg vorbei war und ich habe noch nichts davon getan. Ich weiß jetzt, dass ich...», seine Stimme versagt und ich denke erst, dass er nicht weiter spricht. Aber schließlich kommt es ganz leise, das Geständnis an sich selbst, dass so schwer ist auszusprechen «..dass ich... psychisch krank bin...» Er lacht

verzweifelt auf.

Vorsichtig drücke ich ihn näher an mich. »Wenn du weißt, dass du krank bist und etwas dagegen unternehmen möchtest, wird es auch klappen Duo... Es gibt nur eine Sache, ich möchte dich bitten nicht gleich auszuflippen...«

Duo schaut mich an: »Sei still... bitte, ich will es nicht hören!« Seine Stimme wird lauter und auf einmal habe ich das Gefühl, dass er ein ganz anderer Mensch ist als eben noch. Seine Augen schauen schon wieder Panisch, die angenehme Ruhe ist verflogen.

»Bitte Duo, ganz ruhig, sieh es doch ein, ich will dir nur helfen. Wir finden schon eine Lösung, bitte....« Ich bin beunruhigt, weil Duos Laune so wechselhaft ist, obwohl ich dachte, ich hätte es gerade im Griff. Ich muss vorsichtig sein, was ich sage.

Er scheint nachzudenken und ich lasse ihn. Sein Kopf ist gesenkt und ihm hängen die Haare in die Augen. Ich kann sein Gesicht nicht

sehen, als er nach langer Zeit leise sagt: »Du hast ja Recht, Heero, wie immer hast du Recht... Ich brauche professionelle Hilfe, das wolltest du doch sagen, oder? Ich muss in ´ne Irrenanstalt oder so...«

»Duo!« unterbreche ich ihn, meine Stimme lauter als beabsichtigt. »Du musst

nicht in eine Irrenanstalt! Es ist richtig, dass du ärztliche Hilfe

brauchst... Ich... ich kenne einen ganz guten Psychiater... Kurz nach dem Krieg bin ich... eine zeitlang selber bei ihm gewesen, ich hatte einfach das Gefühl, dass ich mit wem reden musste und er hat mir sehr geholfen. Ich denke, du würdest mit ihm klar kommen.»

Duo schaut wieder auf, diesmal steht Erstaunen in seinem Gesicht: »DU warst auch..., ich meine, du warst bei einem...?«

Ich nicke und lächele leicht. »Es ist doch nichts schlimmes. Jeder versteht, dass wir nach dem Krieg psychisch mitgenommen sind. Manche mehr manche weniger. Du hast sehr viel mitgemacht, viel mehr als ich....« Ich breche ab, weil ich das Gefühl habe, ich sollte nicht mehr über die alten Zeiten' sagen.

Doch zum Glück scheint Duo nicht weiter darüber nachzudenken. »Aber dieser

Psychiater... es ist, es wohnt doch keiner bei mir...»

Wieder unterbreche ich ihn, bevor ich es mir nicht mehr traue zu fragen: »Ja, er wohnt in meiner Nähe. Aber das macht nichts. Ich meine, ich würde dich gerne... also... mit zu mir nehmen, dann wärst du nicht so alleine. Ich weiß, ich reiße dich aus deiner gewohnten Umgebung heraus, aber ich habe das Gefühl, dass du es brauchst, um wirklich etwas zu ändern, ich will ja nicht über dich bestimmen, aber....«

Ich sehe Duo an, dass er nicht böse ist, sondern eher erfreut, denn er lächelt eines seiner seltenen Lächeln, die echt sind.

»Heero, du machst dir wirklich Gedanken um mich... Ich bin es, ehrlich gesagt, gar nicht gewöhnt, dass sich irgendwer um mich so sehr sorgt. Ich meine... um darauf zurück zu kommen: Ich möchte mit dir mitkommen, ich möchte es sogar sehr gerne... aber ich habe auch Angst...«

»Wovor?«

»Dass du irgendwann merkst, dass es schwierig mit mir ist und dass du nicht klarkommst und lieber dein altes einfaches schönes Leben wiederhaben möchtest und mich abschiebst und...« Er kann nicht mehr weiter sprechen und macht sich klein wie ein verängstigtes trauriges Kind. Ich kann nicht anders, als ihn in meine Arme zu ziehen und meinen Kopf auf seine Schulter zu legen. Meine Hand streicht beruhigend durch seine weichen Haare und ich wiege ihn sanft hin und her. Er ist noch nicht einmal zusammengezuckt und ich genieße es, ihn so zu halten.

»Duo... Ich kann dir nicht versprechen, dass es immer einfach wird, und auch nicht, dass wir ohne Streit auskommen, ohne Probleme und ohne Wutausbrüche, aber ich kann dir versprechen, dass ich dich nicht alleine lassen werden, niemals. Ohne dich...«, ich muss überlegen, wie ich weiter spreche, ich darf nichts falsches sagen, »hat etwas gefehlt, ich wusste selber nie so genau, was Freundschaft

bedeutet, aber als du nicht mehr da warst...»

Duo klammert sich an mich. »Ich gehe mit dir, Heero... Wie soll ich dir nur

jemals danken....»

Wir sagen eine lange Zeit nichts. Ich halte ihn einfach nur in meinem Arm und irgendwann ist er eingeschlafen. Es macht mich sehr glücklich, er vertraut mir so sehr, dass er in meinen Armen einschläft. Leicht lächelnd bringe ich ihn zu Bett.

Die Sonne steht noch nicht hoch am Himmel, als ich hinter die Gestalt trete, die auf der Veranda steht. Seinen Tick für schwarze Klamotten wird er wohl nie ablegen, schießt es mir durch den Kopf. Er dreht leicht den Kopf, lächelt mich an. »Hey Heero, guten Morgen.«, sagt er sanft. Ich lächele zurück, sehe in seine schönen Augen. »Woran denkst du?«, frage ich ebenso leise wie er. Sein Kopf dreht sich wieder der Landschaft vor uns zu, als würden seine Augen den Horizont nach einer Antwort absuchen. »Ich habe noch mal über unser Gespräch gestern Abend nachgedacht. Keine Sorge, ich habe meine Meinung nicht geändert... Ich bin, glaube ich, nur ein wenig erstaunt... Ich hätte einfach nie gedacht, dass du dich zu so einem gefühlsbetonten Menschen entwickelst. Ausgerechnet Du, das finde ich erstaunlich...« Er schüttelt leicht den Kopf und ich kann das Lächeln fast hören.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Kommst du damit nicht klar?«, frage ich lachend.

»Doch doch, es ist sehr schön so. Du weißt wohl mittlerweile besser als ich, was Gefühle bedeuten.«

»Das glaube ich zwar nicht....«

Ich stehe so dicht hinter Duo, dass ich seine Körperwärme spüre und er lehnt sich leicht an mich. Ich will ihn in meine Arme ziehen.

»Bist du eigentlich mit Relena zusammen?«, fragt er auf einmal. Ich muss grinsen. Ich will erst sagen, dass ich nicht auf Frauen stehe, aber das sollte ich vielleicht nicht, wenn man Duos Vergangenheit bedenkt... So antworte ich mit einem einfachen »Nein.«

»Oh.«, sagt er nur.

Wie gerne würde ich ihm jetzt sagen, was ich empfinde, aber es geht nicht, nicht jetzt, vielleicht irgendwann...

So schauen wir noch eine Weile auf das Meer hinaus und hören den Möwen zu, die kreischend über den Wellen kreisen und auf dem Wind segeln.

Seine Haare wehen leicht im Wind und seine Hände halten sich an der Veranda fest. Als er leicht den Kopf dreht, sehe ich, dass er die Augen geschlossen hat und ein entspannter, leicht lächelnder Zug um seine Mundwinkel liegt. Und es macht mich glücklich ihn so zu sehen. In ein paar Tagen werden wir wieder von hier wegfahren, dann werden wir selten einen gemeinsamen Moment in solcher Stille genießen können. Aber das macht nichts, wir werden es schon schaffen, zusammen. Ich werde bei dir sein.

Ich liebe dich.


~ende

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