zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die Söhne des Horus

Teil 3

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort

Irgendwann erreichen meine Geschichten mal den Punkt, wo sie sich selbständig machen. Dieses Kapitel war nicht ganz so geplant wie es sich nun entwickelt hat, aber es passt noch. Danke, wie jedesmal, an Steffen und Jens für die Korrekturen und Unterstützung, sowie an die lieben Leser, die mir ihre Kommentare geschickt haben! Ich freu mich , dass es euch gefällt.

 

6. Tag des ersten Monats der Überschwemmung im Jahr zwei des Sohnes des Re, Sethos I.

Die Arme weit ausgebreitet stand Sethos in seinem Ankleidezimmer und ließ die allmorgendliche Prozedur über sich ergehen: Nachdem er gewaschen wurde, hieß es: anziehen. Zwei Diener wickelten gerade eine Tunika um ihn herum, ein weiterer kämmte sein langes schwarzes Haar. In solchen Momenten ließ er seine Gedanken schweifen, über sein Land, seine Macht, seine Freunde… Was er noch alles erledigen musste. Wen er heute empfangen würde und wen nicht…An diesem Morgen blieben sie, wie in den letzten Tagen auch, an Pani hängen und an den Ermittlungen. Die Medjai schienen nicht sehr gut voran zu kommen, es gab zwar Spuren und Hinweise doch nichts führte sie weiter. Dabei waren sie fähige Leute, so weit Sethos das beurteilen konnte. Dieser Ameni… Er sprühte vor Lebensfreude und Eifer, die funkelnden Augen schienen ständig in Bewegung zu sein. Daya schien sich gut mit ihm zu verstehen und Sethos bedauerte es, dass er nicht auch mehr Zeit mit ihnen verbringen konnte, nicht nur, um mehr von den Ermittlungen mit zu bekommen, sondern auch um Ameni kennen zu lernen.

Er wusste nicht, wann es angefangen hatte, aber irgendwann in den letzten Tagen ist ihm aufgefallen das Ameni ihn faszinierte. Er konnte nicht sagen warum und er hatte auch nie genau darüber nachgedacht, Tatsache war, er fand den hellhäutigen Ägypter anziehend. Seine Stirn zog sich in Falten als der Diener, der endlich fertig war mit dem Haare kämmen, ihm einen festen Zopf flocht. Die kurze Tunika war schon längst vollständig um ihn herum geschlungen und er war fertig eingekleidet.

Ohne ein Wort entfernten sich seine Diener und er seufzte leise, als er die letzten Gedanken beiseite schob um sich dem neuen Tag zu widmen. Als Pharao blieb ihm wahrlich keine Zeit über seine eigenen Gefühle zuviel nach zu denken. Vor allem, wenn man ein so junger Pharao war, dessen Macht noch nicht vollständig gefestigt war. Er durfte sich nicht ablenken lassen sondern musste sich vollkommen auf die Aufgaben seiner Herrschaft konzentrieren. Es gab viel zu tun. Die Bedrohung der Nubier wurde drängender und noch wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte. Die Vermeidung eines Krieges schien in weite Ferne gerückt zu sein, denn neuesten Informationen zufolge rüsteten sich die Stämme zu einem Angriff.

Aus seinem Ankleidezimmer schreitend überdachte Sethos seine Vorgehensweise für die kommende Besprechung mit den Generälen des Heeres noch einmal.

Die Sitzung verlief kurz und annehmbar. Sethos fühlte sich nach der Besprechung auf dem aktuellen Stand, was das Heer und seinen Zustand anging: Er hatte nun einen Einblick in die momentane Stärke und Bewaffnung. Es war sogar besser als er gedacht hatte und so verließ er zufrieden den Saal. Zwar ließ die Lage nur dringende Entscheidungen zu, doch Sethos hatte den Generälen genug Befehle gegeben um sie erstmal zu beschäftigen. In ein paar Tagen würden sie sich noch einmal zusammen finden, um die akute Bedrohung durch die Nubier genauer zu erörtern.

Die Meldungen häuften sich, dass sich mehrere Stämme der Nubier zusammengeschlossen hatten. Dies war keine Seltenheit, manchmal kämpften die einzelnen Stämme gegeneinander oder griffen einzeln einen Teil von Ägypten an, mal sammelten sie sich um einen effektvolleren Angriff starten zu können. Jede noch so kleine Bedrohung wollte Sethos im Keim ersticken.


Die rot weiße Doppelkrone Ober und Unterägyptens leuchtete in der grellen Mittagssonne in weiß und als Sethos mit erhobenem Haupt von seinen Sänftenträgern durch die Menschenmenge getragen wurde. Um ihn herum gingen grimmig schauende, bewaffnete Männer, die ihm die johlenden Menschenmengen vom Leib hielten. Sie schienen nicht sehr erfreut über die Aufgabe. Ihr König war nicht besonders sicher in der Masse des gemeinen Volkes, doch Sethos genoss unter den Menschen zu sein. In seinem Palast kam er sich nur all zu abgeschirmt vor. Zwar drang alles, was vor den Mauern vor sich ging, an sein Ohr, doch es war was anderes als unter den Leuten zu sein. Seinem Volk. Die Menschen schienen seine gute Laune zu spüren, sie waren ebenfalls fröhlich und jubelten und riefen ihm zu. Ab und zu ließ Sethos ein Lächeln erkennen, doch er konnte und durfte sich nicht so zeigen wie die Masse. Er war der Sohn des Lichtes und niemand kam an ihn heran. Wenn er sich nicht so verhielt, war es mit der Herrschaft nur all zu bald vorbei. Ganz kurz flackerte in ihm die Idee auf, wie es wäre, selber ein Bauer zu sein, der ein sorgloses Leben führen konnte, wenn die Götter es gut mit ihm meinten, doch er schob den Gedanken schnell wieder beiseite. Es würde ihm nie möglich sein, unerkannt durch die Straßen zu gehen und frei zu sein. Die meiste Zeit dachte er auch nicht daran, nur manchmal schlichen sich solche, für ihn, düsteren Gedanken in den Kopf.

Heute jedoch ging es ihm gut. Als sie endlich das Boot erreichten, auf dem er und seine Gefolgsleute über den Nil fahren würden um den Göttern für das reiche Hochwasser zu danken und so auch für die hoffentlich gute Ernte, konnte er es kaum erwarten, abzulegen. Es war erst das zweite Mal, dass er als Pharao dieses Fest mitfeierte, kurz nach seiner Krönung war er das erste Mal mit dem Boot so über den Nil gefahren.

Schließlich stand er am Bug des Bootes und schaute auf die Menschenmenge hinab. Er winkte ihnen zu als sie langsam abfuhren. Das Nil, jetzt sehr viel breiter als noch ein paar Tage zuvor, hatte noch nicht seinen Höchststand erreicht, würde jedoch nicht mehr soviel anschwellen. Über ihm zwitscherten Vögel und das Schilf machte schleifende Geräusche als sie mit dem Boot hindurch fuhren. Als Sethos ins Wasser schaute, konnte er Bewegungen wahrnehmen und er fragte sich, wie es da unten sein würde. Sicherlich ziemlich dunkel.

Doch schon bald wurde sein Blick abgelenkt und glitt in die Ferne. Sie fuhren nahe an einem Ufer entlang, immer wieder jubelten ihm Menschen zu. Die Sonne brannte heiß auf das Boot hinunter, das Wasser trug nicht viel dazu bei, dass es kühler wurde und doch wurde Sethos nicht müde. Er konnte nicht genug sehen von der Landschaft, die sich am Ufer entlang schlängelte, von den Gebäuden, die man zum Teil erkennen konnte, von den Geräuschen der Natur die um ihn herum erklangen.

Nur all zu schnell mussten sie wieder umdrehen und zurückfahren. In den nächsten Tagen würde er noch einmal auf die andere Uferseite fahren und dort ein paar Tempel und Orte besuchen würde. Außerdem würde dann das große Nilüberschwemmungsfest stattfinden, an dem alle Bauern und Arbeiter extra frei bekamen, denn es gab große Prozessionen und Feste.

Wieder am Anlegesteg angekommen, geleiteten die Wachen Sethos sicher in den Palast zurück. Auch jetzt liefen noch viele Menschen herum um den Pharao zu sehen und ihm zu zu jubeln, doch Sethos, dachte, dass es lange nicht so viele waren wie am Mittag. Aber das war sicher auch kein Wunder, die Leute mussten schließlich Arbeit verrichten und konnten nicht den ganzen Tag auf seine Rückkehr warten.

Als er sich in den weichen Sessel sinken ließ und ein Diener ihm eine Erfrischung reichte, merkte er, dass er doch geschafft war von der Hitze. Oder auch von… Er konnte seinen Gedanken nicht zu Ende denken, denn es klopfte an der Tür des Raumes. Hinein trat ein Diener, der sich auf den Boden warf. »Mein Herr, Leutnant Ameni von den Medjai befindet sich im Palast und würde, wenn ihr es gestattet, mit euch über die Ermittlungen reden.« Erfreut richtete Sethos sich höher auf. Ob es Neuigkeiten gab? Eigentlich war er gerade erst von seiner Fahr zurück und hatte noch keine Zeit gehabt sich frisch zu machen. Sicherlich, er könnte Ameni warten lassen, aber… nein. Komischerweise störte es ihn nicht, wenn Ameni ihn mit etwas aufgelöster Frisur zu sehen bekam. Eigentlich sollte es ihn stören… »Schick ihn zu mir.«

Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Ameni trat ein. Sethos sah, dass auch er geschafft schien, seine Haut glänzte von einer dünnen Schweißschicht und die hellen Haare lagen zersaust um seinen Kopf herum. Doch er seine Augen glänzten wie immer und auf seinem Gesicht lag das Lächeln, mit dem er fast jedem entgegen trat. Soweit Sethos das bisher beurteilen konnte.

Ameni ließ sich auf die Knie fallen und wollte gerade anfangen zu sprechen, doch Sethos winkte ab. »Lass es sein, ich weiß, was du sagen willst, das genügt. Steh wieder auf.« »Danke mein Gebieter. Es tut mir leid, euch zu stören, wo ihr doch heute eure sicherlich anstrengende Fahrt über den Nil hattet.«

Sethos lächelte. »So, anstrengend? Sieht man mir das an? Meine Haare liegen nicht besonders gut, nicht wahr Ameni?«

Ameni antwortete nicht darauf doch an einem kurzen Zucken seiner Mundwinkel nahm Sethos an, dass er genau das gedacht hatte.

»Setz dich zu mir, Ameni, und berichte mir, was es neues gibt!« Der Medjai ging geschmeidig auf den Stuhl zu, der neben dem Tisch stand, an dem auch Sethos saß.

»Ich komme gleich zur Sache. Wir kommen nicht voran. Ich habe leider so gut wie keine Neuigkeiten. Wir hatten eine Zeitlang eine Spur, doch sie verlief im Sande, es waren lediglich Eifersüchteleien zwischen euren Dienern, mein Herrscher. Es tut mir leid.« Sethos sackte etwas zusammen und seufzte. Mitleidsvolle blaue Augen schauten ihn an. Er versuchte, sich zusammen zu reißen doch es war sehr schwer und diese Augen schienen von Anfang an hinter seine Fassade schauen zu können. Er hatte das Gefühl, das es gar keinen Zweck hatte sich vor ihnen zu verstecken.

»Es muss dir nicht leid tun, Ameni, ich weiß, dass ihr alle euch bemüht.« Der Medjai lächelte. »Ich werde den Mörder finden, mein Gebieter! Und wenn es noch dauern sollte, irgendwann werde ich ihn euch präsentieren können!« In seiner Stimme schwang Bitternis mit.

Sethos zog eine Augenbraue hoch. »Du bist sehr davon besessen, wenn du so redest. Gehen dir Verbrechen so zu Herzen?«

Der junge Mann ihm gegenüber wandte sein Gesicht ab und schaute mit leerem Blick zur Seite. Er sprach eine Zeitlang nicht und Sethos studierte sein Gesicht. Es spiegelten sich einige Gefühle darin wieder, die er nicht deuten konnte. Schließlich erklang seine Stimme wieder, aber sie war voll Trauer.

»Wie ihr schon erkannt hattet, mein Gebieter, ich kenne den Schmerz jemanden zu verlieren nur zu gut. Es war ein Grund, warum ich zu den Medjai gegangen bin… Ich…« Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig und er drehte den Kopf wieder zu Sethos. »Es tut mir leid, ich wollte euch nicht mit meinen Gefühlen belästigen! Ihr habt so viel im Kopf und könnt euch sicherlich nicht noch das Gejammere eurer Untertanen anhören!« Sein Ton war wieder neutral und seine Gesichtszüge glatt. Sethos gefiel der andere Ameni besser, irgendwie.

»Du belästigst mich nicht, Ameni. Bitte denke das nie wieder. Ich wünsche mir, dass du dich mir gegenüber so verhältst wie anderen gegenüber auch. Nicht anders, nicht …so.« Sethos Kopf schwirrte. Was war nur los mit ihm? Sonst fehlten ihm doch auch nicht die Worte, warum wollte er auf einmal, dass jemand ihn sah und nicht den Pharao? Das durfte nicht so sein, schrie eine innere Stimme. Er musste stark sein und über allen anderen stehen. Er durfte sich keine Schwäche erlauben, keine egoistischen Gedanken haben, keine Gefühle für jemanden empfinden, den er kaum kannte, oder?

Ameni starrte ihn an, ließ dann den Kopf sinken. »Das kann ich nicht, mein Gebieter.« Sethos schüttelte den Kopf. »Nein, wie dumm von mir, natürlich nicht«, flüsterte er.


Verloren starrte Ameni auf den Pharao. Was war hier los? Was sollte er tun? Er hatte Sethos zwar schon in nicht besonders guter psychischer Verfassung gesehen doch immer hatte der Herrscher seine Fassade so gut es ging aufrechterhalten. Und Ameni hatte das Gefühl, das die meisten Leute wirklich nicht sahen, was sich hinter dem Gesicht des Mannes abspielte, der die alleinige Macht in der Hand hielt. Aber Ameni hatte schon immer besser in Menschen hinein schauen können als andere. Und nun war es offensichtlich, dass den Pharao mehr bedrückte als nur der Tod seines Freundes Pani. Bei jedem anderen Menschen hätte Ameni gewusst, wie er damit umgehen sollte. Trotz seiner offenen, gut gelaunten Art war er einfühlsam und half den Menschen gerne wenn es ihnen nicht gut ging. Aber wie sollte er dem Pharao helfen? Was sollte er sagen? Als wäre es nicht genug, dass Sethos Herrscher über Ägypten war, ließ er auch noch Amenis Gefühl herumwirbeln, ohne es überhaupt zu ahnen. Ameni schüttelte innerlich den Kopf. Wie dumm von ihm, überhaupt irgendwelche anderen Gefühle gegenüber dem Herrscher zu empfinden als Erfurcht und Ehrbietung. Doch er konnte es nicht ändern.

»Mein Gebieter, es ist nicht, weil ich es nicht … kann. Es fühlt sich nicht richtig an. Ihr seid mein Pharao. Ich darf vor euch nicht sprechen, wie ich es mit anderen tue. Auch… auch wenn ich es gerne wollte.«

Sethos schaute ihn lange an. Er lächelte. »Das reicht mir zu wissen, Ameni, ich danke dir.« Seine Hand strich über Ameni's, es war nur ein Hauch und Ameni konnte später nicht mehr sagen, ob er es sich nicht auch nur eingebildet hatte, doch sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Der junge Pharao war so voller Gefühle und die Traurigkeit übermannte ihn gerade zu. Konfuse Gedanken rasten durch Ameni's Kopf, völlig irrwitzig… Wie gerne er Sethos in seine Arme nehmen würde. Wie gerne er ihm sagen würde, dass…. Wie dumm von ihm so was zu denken, doch so sehr er es auch versuchte, es ließ sich nicht ganz aus seinem Kopf verbannen. Und so stand er nur auf und verneigte sich. Unfähig, irgendetwas anderes tun zu können, zu dürfen. Als Sethos ihn ohne ein weiteres Wort mit einem Kopfnicken entließ, flüchtete er aus dem Raum, einen kurzen Abschied murmelnd.


Den Kopf in die Hände gestützt, verharrte Sethos reglos an seinem Platz. Die dunklen Augen schienen gedankenverloren in weite Ferne zu blicken, ohne besonderes Ziel. Doch in seinem Kopf arbeitete es ohne Unterbrechung.

Was war das für ein seltsames Gespräch gewesen? Warum überkamen ihm immer so seltsame Gefühle, wenn er mit Ameni redete?

Wie ein Brennen fühlte er noch die Haut des anderen an seiner Hand, als er über sie gefahren war. Es war nur eine kleine Sekunde und doch schlug sein Herz bei dem Gedanken, Ameni noch einmal so zu berühren, bis zum Hals.

Immer noch schwirrten Bilder von dem hellhäutigen Medjai in seinem Kopf herum: Die blauen Augen die ihn eben noch angeblickt hatten und in die er ewig hätte starren können. Die dunkelblonden Haare, die das herzförmige Gesicht einrahmten.

Als er schließlich aufstand, versuchte er, die Bilder zu verscheuchen, doch es gelang ihm nicht. Und zum ersten Mal verfluchte er sein Dasein als Pharao und die Bürde, seine Gefühle nicht offen zeigen zu können; sein Leben nicht so leben zu können, wie er es wollte. --- Schnell huschte Daya ein paar Schritte zurück und drückte sich in den nächst besten dunklen Winkeln an der Wand. Sie war gerade auf dem Weg zu ihrem Bruder gewesen, als sie in einem der Flure des Palastes Gesprächsfetzen auffasste, die sie aufmerksam werden ließen. Mit großen Augen starrte sie vorsichtig um die Ecke: In einiger Entfernung stand dem Rücken zu ihr ein Mann, von dem sie aber durch die Dunkelheit nicht mehr ausmachen konnte, als dass er etwas gedrungen wirkte. Ihm gegenüber und Daya halb zugewandt, gestikulierte ein schlecht gekleideter Mann gerade wild in der Gegend herum. Von der Kleidung her ordnete Daya ihn den Dienern des Palastes zu. Angestrengt versuchte sie zu lauschen, was die beiden zu bereden hatten.

»Stell dich nicht so an! Sie wissen noch gar nichts! Du führst dich auf, als wären sie allmächtig, bloß weil sie den ganzen Palast auf den Kopf stellen. Das geht jetzt schon seit Tagen so und was haben sie gefunden bisher? Gar nichts!« Die Stimme des Mannes, den sie nicht erkennen konnte, klang schroff.

»Ich… ich weiß. Aber ich habe Angst. Wir müssen es sagen!« Der Diener stotterte ein wenig. Offensichtlich redeten sie von den Medjai und Hinweisen auf den Mord. Hatte der Diener etwas beobachtet? Aber warum wollte der andere das geheim halten? Hatte er Pani womöglich umgebracht?

Die beiden sprachen jetzt ein wenig leiser und Daya verstand eine Weile nicht mehr viel. Dann schwoll die Stimme des Dieners zu einem hysterischen Ton an.

»Das ist doch … auf so etwas hätte ich mich niemals eingelassen, wenn ich vorher gewusst hätte, worum es geht!« Bevor der andere Mann reagieren konnte, drehte der Diener sich um und verschwand den Gang hinunter. Daya sah, wie der Zurückgelassene seine Hände zu Fäusten ballte. Dann drehte auch er sich um und ohne lange zu überlegen schlich Daya ein paar Meter rückwärts, bis sie den Griff einer Tür in der Hand hatte, die sie schnell öffnete und gerade als in das Zimmer geschlüpft war und die Tür leise zumachte, hörte sie den Mannes direkt an der Tür vorbei gehen.

Er schien sie nicht bemerkt zu haben. Mit einem Seufzen lehnte sie sich an die Tür des dunklen Raumes und zwang ihr pochendes Herz zur Ruhe. So ein Pech, dass sie den Mann nicht erkannt hatte. Sie musste so schnell wie möglich zu ihrem Bruder. Nein, besser noch, zu Ameni! Sie hoffte, dass er sich trotz der fortgeschrittenen Stunde noch im Palast aufhielt. Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, schaute sie sich kurz vorsichtig auf dem Gang um bevor sie los lief um den Medjai zu suchen.

Hetnefer verließ müde sein Arbeitszimmer in einem Seitenflügel des Palastes und zog die Tür hinter sich zu. Der Mond ließ den Flur dämmerig erscheinen und die Schatten wirkten wie schwarze Löcher, die ihn verschlingen wollten. Auch die Fackeln an den Wänden konnten dem düsteren Eindruck nichts entgegen setzen. Er schüttelte den Kopf, er hatte zuviel gearbeitet.

Gerade als er sich umwandte, um nach Hause zu gehen, prallte etwas mit voller Wucht gegen ihn. Nach einigen taumelnden Schritten hatte er sich wieder gefangen und blickte in die weit aufgerissen Augen von der Schwester des Pharaos. »Daya! Ihr habt es aber eilig!« Hetnefer griff nach dem Arm der Frau um sie vor dem Fall zu bewahren.

Als er sie losließ, starrte er sie an. »Ihr zittert! Was ist mit euch? Geht es euch nicht gut? Soll ich euch…?« ‚Sie sieht aus als hätte sie einen Geist gesehen. Was rennt sie so schnell über die Flure?'

»Ach, entschuldige bitte Hetnefer! Ich hatte gerade eine unschöne Begegnung, ich muss auf dem schnellsten weg zu Ameni! Weißt du, ob er noch im Palast ist? Es ist sehr wichtig!« Hetnefer bekam große Augen. »Ist etwas passiert was mit dem Mord zu tun hat? Ich glaube, Ameni war eben beim Pharao, um ihn von den aktuellen Ermittlungen zu berichten.« »Ich danke dir, bitte entschuldige meine Eile, ich werde dir später erklären was los ist. Ich wünsche dir eine geruhsame Nacht!«

Schon war sie wieder weg und Hetnefer schüttelte den Kopf. Er billigte es nicht unbedingt, wenn sich die Schwester des Königs, eine Frau von hohem Stand, sich in die Ermittlungen der Medjai einmischte und an den Befragungen teilnahm. Als wolle sie eine von ihnen sein. Aber er hatte natürlich nichts dazu zu sagen. Außerdem war die Frau ein reines Energiebündel, wenn sie still stand, waren ihre Augen trotzdem ständig in Bewegung und schienen alles um sich herum zu erfassen. Sie war zwar vom Aussehen genauso hübsch wie ihr Bruder, doch er war ruhiger und besonnener, mehr nach Hetnefer's Geschmack. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er daran dachte, wie ähnlich sich Daya und Ameni waren in ihrer Art. Sie beide hatten etwas an sich, dass es einem unmöglich machte lange böse zu sein. Kopfschüttelnd verließ er den Palast und begab sich auf den Weg nach Hause, in Gedanken bei seinem Freund Ameni und was er wohl gerade von Daya erfahren würde. Was es auch war, er würde es schon noch früh genug zu hören bekommen.

»Ameni! Gut, dass du noch da bist! Ich muss unbedingt mit dir sprechen!« winkend lief Daya auf Ameni zu, der sich erstaunt umdrehte. »Daya! Schön, dich zu sehen, was gibt es so wichtiges?« rief der blonde Mann zurück. Daya musste trotz der ernsten Situation grinsen, als sie daran dachte, wie gut Ameni und sie sich verstanden. Nicht jeder durfte so mit ihr umgehen wie Ameni, der ihr in den letzten Tagen immer mehr ans Herz gewachsen war. Nur all zu oft war die Stimmung im Palast ernst und erdrückend, sie brauchte genau jemanden wie ihn, der ihre gute Seite zum Vorschein brachte und mit dem sie Lachen konnte.

Als sie bei Ameni ankam, verflogen die Gedanken an die aufkeimende gute Freundschaft aber schon wieder und außer Atem erzählte sie dem Medjai schnell, was sie eben in dem Gang belauscht hatte.

Die blauen Augen des Medjai wurden immer größer. Als sie schließlich geendet hatte und Luft holte, blinzelte Ameni. »Wir sollten uns genauer darüber unterhalten, aber nicht hier, wer weiß, wer uns hier belauschen kann.« Er hatte Recht und Daya schalt sich ihrer Unvorsichtigkeit. Beide blickten auf die Tür hinter Ameni, traten gleichzeitig darauf zu und Ameni klopfte.

Als sie ein »Ja?« hörten, öffnete Daya die Tür und Ameni betrat hinter ihr den Raum, den er eben fluchtartig verlassen hatte. Sethos stand in dem Raum und kurz krochen in Ameni wieder die Gefühle von vorhin hoch, doch genauso schnell verschwanden sie auch wieder, als er an das dachte, was Daya ihm eben berichtet hatte. Sethos zog eine schlanke, dunkle Augenbraue hoch. »Ameni. Daya. Was gibt es noch?« Er nickte zu seiner Schwester und lächelte.

Daya erzählte die ganze Geschichte noch einmal, nachdem sie sich gesetzt hatten. Diesmal war sie ruhiger und versuchte, sich an Details zu erinnern, doch leider konnte sie Ameni's anschließende Fragen nicht gut genug beantworten. Sie hatte weder den Mann erkannt noch den Diener. Vielleicht würde sie die Stimmen wieder erkennen, doch sicher war sie sich nicht. Sie meinte sich aber zu erinnern, dass der Diener eine Narbe auf der Wange gehabt hatte, aber das hätte auch eine Täuschung sein können. Es war viel zu dunkel gewesen um genaueres zu sehen. Während Ameni sie befragte, lief Sethos im Raum auf und ab. Daya und Ameni warfen ihm ab und zu einen flüchtigen Blick zu, doch der Pharao schien in Gedanken versunken.

Schließlich fielen Ameni keine Fragen mehr ein. »Es ist zwar wenig, aber immerhin haben wir eine wirkliche erste Spur und nicht die ganzen ungenauen Hinweise und Vermutungen von den Dienern. Heute Abend ist es zu spät, um sich noch auf die Suche zu machen, meine Männer sind schon längst wieder daheim, doch gleich morgen werden wir anfangen!« Sethos war mittlerweile stehen geblieben und schaute seine Schwester und den Medjai an. Schließlich nickte er. »Ja. Bist du auch sicher, dass dich niemand bemerkt hat, Daya?« Ameni sah die Sorge in den Augen des älteren Bruders und lächelte kurz, als Daya den Kopf schüttelte und antwortete: »Nein, Bruder, ich war ganz leise. Außer mir und den beiden war niemand in der Nähe. Sei unbesorgt!« Anschließend gähne sie herzhaft und ungeniert und Ameni musste noch mehr grinsen. Auch ihr Bruder lächelte. Die beiden Männer schauten sich an und Ameni durchflutete ein warmes Gefühl. Hier saß er mit einer neuen Freundin und einem Mann, der ihn faszinierte und dem er nahe sein durfte, obwohl er Pharao war; mit einer Aufgabe für den morgigen Tag, an die er jetzt nach den jüngsten Ereignissen wieder mit Schwung heran treten konnte. Er würde Sethos den Mörder liefern.

»Ich werde mich in meine Gemächer begeben, ich bin müde. Schlaft gut, Bruder, Ameni!« Die junge Frau stand schnell auf und winkte den beiden zu, während sie den Raum verließ. Ameni saß noch immer auf seinem Stuhl und Sethos blickte eine Weile hinter Daya her, auf die verschlossene Tür.

Ameni wusste nicht, was er sagen sollte und so schaute er den Pharao einfach an, bewunderte seinen Körper, der nur leicht bekleidet war.

Als Sethos sich umdrehte, sah er schnell weg und bemerkte nicht, dass der Herrscher ihn ebenfals musterte.

»So, da wären wir wieder, du bist ja nicht weit gekommen.« Ameni grinste den Pharao an und stand auf. »Aber ein zweites Mal werde ich euch nicht belästigen, auch ich werde mich auf den Heimweg machen. Wenn ich in meinem Haus bin, kann ich fast schon wieder aufstehen.« Scherzte er.

Dann stand Sethos auf einmal vor ihm. Blaue Augen starrten in überraschte Grüne. »Wa...« doch Ameni kam nicht weiter.

»Ameni... was war das eben? Ich habe mir das doch nicht nur eingebildet, irgendetwas ...« Doch er sprach nicht weiter, sondern senkte nur den Blick auf den Boden. Vor Ameni stand wieder der junge, verunsicherte, etwas traurige Mann, den er schon einmal gesehen hatte. Er dachte nicht an den Pharao Sethos sondern an den Menschen Sethos. Langsam hob er seinen Arm und legte ihn auf Sethos Schulter. »Nein, du hast es dir nicht nur eingebildet, auch ich habe es gespürt. Irgendetwas ist da.«

Sethos Kopf, sein Blick immer noch zu Boden, lehnte sich langsam an Amenis Schulter. Dem jungen Medjai kam es vor, als würde sich alles in Zeitlupe abspielen. Erst jetzt, einige Sekunden später, als sie schon eine Zeitlang unbewegt so standen, fiel ihm auf, dass er den Pharao gedutzt hatte. Eigentlich ein Verbrechen doch Sethos schien dies nicht zu stören, vielleicht hatte er es auch gar nicht bemerkt. Und erst jetzt wurde ihm bewusst, wen ihr hier im Arm hielt. Trotzdem wanderte sein Arm wie von alleine um den Körper von Sethos, zog ihn näher zu sich und hielt ihn fest. Einen winzigen Augenblick protestierte Ameni`s Gehirn dagegen, den Herrscher des Landes wie einen gewöhnlichen Menschen zu behandeln und ihn zu beschützen, doch schnell war der Gedanke vergessen und es zählte nur noch der Mann in seinen Armen. Nicht der Pharao, sondern den Mann, in den er sich schon fast beim ersten Anblick irgenwie verliebt hatte. Wie auch immer das passieren konnte.

Die angenehmen, starken Arme hielten ihn fest und zum ersten mal seit langer Zeit hatte er das Gefühl, innerlich ruhig zu werden und sich ganz auf seine eigenen Gefühle zu konzentrieren. Es gab keine Diener, keine Generäle, keinen Krieg, keine anderen Menschen mehr in seiner Welt. Auch wenn es nur für eine kurze Zeit sein würde, so hielt er sich daran fest. Seine Hand strich über Amenis Schlüsselbeinknochen, der scharf unter der Haut hervorstach und seine Sinne nahmen den Geruch des Mannes auf, an den er mittlerweile eng gedrückt war. Keiner der beiden traute sich ein Wort zu sagen um den Moment der Ruhe nicht zu zerstören.

Und keiner der beiden bemerkte den offenen Spalt in der Tür.

Nachwort

Wer ein Bild von Ameni sehen möchte: http://www.snow7.net/svenja/ameni1.jpg Das Bild ist von mir gezeichnet und ich bitte, es nicht weiter zu verwenden bzw. mich vorher zu fragen! Danke

Danke für`s lesen!

Lesemodus deaktivieren (?)