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Schwarz und Weiß

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Mist! Die beiden wären so ein schönes Paar gewesen. Schwarz und Weiß. Yin und Yang. Pech und Schwefel. Besser geht es doch gar nicht, oder? Aber offensichtlich steht Sylvians Entschluss fest. Nur – ist er jetzt wirklich ein Dreckskerl oder nur ein Gefangener seines Umfeldes? Egal, was er ist, das Ergebnis bleibt das Gleiche: Die Hochzeitsglocken läuten.

Kapitel zehn – Hochzeitsglocken

Wie gerädert wache ich auf und versuche, mich zu erinnern, was mit mir passiert ist. Ach ja, ich war gestern Abend wer weiß wie lange auf der Piste gewesen, hatte mich völlig zugedröhnt und war am Ende sogar zu blau gewesen, um mich noch von irgendeinem Kerl abschleppen zu lassen, wie ich es ursprünglich geplant hatte.

Irgendwie hatte ich es so gerade noch mit dem Taxi nach Hause geschafft und war mit Klamotten einfach auf mein Bett gefallen und bewusstlos geworden. Von Schlaf zu reden wäre in diesem Fall wirklich untertrieben.

Ich schäle mich langsam und vorsichtig aus den Federn, ziehe mich auf dem Weg ins Bad aus, wobei ich meine Klamotten achtlos hinter mir verstreue, und steige unter die Dusche. Obwohl ich scheinbar stundenlang abwechselnd heißes und kaltes Wasser über meinen müden Körper laufen lasse, fühle ich mich immer noch schrecklich taub und elend, als ich heraus komme und mich in das Badetuch wickle.

Ich weiß sogar, warum ich mich so grässlich fühle. Heute ist Sylvians Hochzeit. In knapp zwei Stunden wird er in der Stephanskirche vor den Altar treten und diese Saskia Mahler heiraten. Für immer und bis ans Ende seines Lebens. Alleine bei dem Gedanken wird mir schon wieder schlecht. Seit ich mit ihm Schluss gemacht habe, habe ich nichts mehr von ihm gehört oder gesehen. Er hat tatsächlich auch das einfach so hingenommen, genau wie die Befehle seines Vaters. Ich hatte irgendwie mehr von ihm erwartet. Dass er anruft, vorbei kommt, sich wenigstens irgendwie meldet und versucht, mich zurück zu gewinnen. Selbst wenn ich unter diesen Umständen nie zu ihm zurück gekehrt wäre, hätte er es zumindest versuchen müssen, finde ich. Aber gar nichts ist passiert. Er ist einfach wieder aus meinem Leben verschwunden. Beinahe so, als wäre er nie ein Teil davon gewesen.

Ich sehe mich prüfend im Spiegel an und mustere intensiv mein Gesicht. Sieht so jemand aus, der die Mätresse eines verheirateten Mannes sein will? Oh nein, ganz bestimmt nicht. Das kann ich nicht tun, ganz egal, was ich für ihn empfinde. Es würde alles, was ich mir je erkämpft habe, zerstören.

Mit einem verheirateten Mann will ich nicht zusammen sein. Auch wenn ich ihn immer noch liebe wie verrückt. Ich kann es einfach nicht. Aber will ich die Liebe meines Lebens wirklich kampflos aufgeben? Einfach so hinnehmen, dass er eine falsche Entscheidung trifft? Ohne etwas dagegen zu unternehmen? Will ich es ihm allein überlassen, für uns beide zu entscheiden?

Wird nicht bei jeder Trauung die Frage gestellt, ob jemand Einwände gegen die Verbindung hat? Ich habe in der Tat welche, denn ich weiß, dass der Bräutigam in Wirklichkeit jemand anderen liebt. Ich könnte doch... muahahahaaa! Ein Hauch von Wahnsinn umschwirrt mich plötzlich und haucht mir neues Leben ein.

Plötzlich habe ich es unglaublich eilig. Ich trockne mich rasch fertig ab und gehe zurück ins Schlafzimmer, wo ich das Fenster weit öffne, um den ekelhaften Mief zu vertreiben, den ich in der Nacht dort mit meinem eigenen Körper gezüchtet habe. Dann werfe ich einen Blick in meinen Kleiderschrank.

Ich ziehe Unterwäsche, Socken, ein weißes Hemd, meinen dunkelgrauen Anzug und eine Krawatte heraus und werfe erst einmal alles auf das Bett. Ich muss einigermaßen schick aussehen, schließlich gehe ich zu einer Hochzeit! Außerdem werden mich höchstwahrscheinlich alle Anwesenden anstarren, da kann ich doch nicht wie der letzte Penner dort aufkreuzen.

Gesagt, getan. Ich ziehe mich sorgfältig an, style mein Haar, bis es wirklich perfekt liegt, dufte mich ein wenig ein und mache mich dann auf den Weg.

Wenig später treffe ich am Ort des Geschehens ein. Vor der Kirche haben sich unglaublich viele Menschen versammelt, die, wie ich, alle festlich gekleidet sind. Das ist gut so, dann wird einer mehr wohl nicht so sehr auffallen. Vorsichtig und möglichst unauffällig mische ich mich am Rand des Geschehens unter die Gäste und gebe durch meinen blasiert-gelangweilten Blick, mit dem ich den anderen Anzugträgern durchaus Konkurrenz machen könnte vor, dazu zu gehören.

Dann lasse ich meinen Blick langsam über die Anwesenden schweifen, bis ich ihn gefunden habe. Es ist nicht weiter schwer. Dort oben auf der Treppe steht er. Sylvian. Er trägt einen perfekt sitzenden, schwarzen, leicht glänzenden Anzug, darunter ein schneeweißes Hemd und eine silbrig schimmernde Krawatte mit passender Weste. Eine perfekte, dunkelrote Rose steckt in seinem Knopfloch. Und auch sein Haar liegt natürlich perfekt. Er ist einfach wunderschön. Makellos.

Sein cholerischer Vater steht neben ihm und die falsche Blondine an seinem Arm scheint wohl Sylvians Mutter zu sein, denn sie fuchtelt hysterisch mit einem Taschentuch durch die Luft und zupft ständig an seinem Kragen herum oder streicht über sein Revers. Beide wirken auf ihre seltsame Art irgendwie zufrieden.

Sylvian hingegen wirkt angespannt, begrüßt die Gäste zwar pflichtbewusst lächelnd, aber sein Lächeln ist falsch. Ich sehe das sofort, denn ich kenne sein echtes nur zu gut.

Sylvians echtes Lächeln ist mit dem hier gar nicht zu vergleichen. Das ist offen und warm und herzlich. Und es bringt meine Eingeweide zum kribbeln. Es lässt mich automatisch gute Laune bekommen, egal was vorher passiert ist. Dieses hier ist nur ein billiger Abklatsch davon. Nur Fassade.

Ich halte mich im Hintergrund auf, um nicht entdeckt zu werden. Den anderen Gästen werde ich bestimmt nicht auffallen, dazu sind es zu viele. Aber ich will auf keinen Fall, dass Sylvian mich sieht und vielleicht ahnt, was ich vor habe. Sonst findet er am Ende noch einen Weg, mich daran zu hindern und das gilt es zu vermeiden. Also warte ich am Rand des Kirchplatzes, bis alle anderen in die Kirche hinein gegangen sind. Erst dann wage ich es, mich ebenfalls von meiner Position weg zu bewegen.

Gerade, als ich den Kirchplatz überqueren und ebenfalls hinein gehen will, fährt ein weißer Jaguar mit einem riesigen Blumenstrauß auf der Motorhaube vor. Ich warte erst einmal ab, was jetzt passiert, bevor ich die Kirche betrete. Der uniformierte Fahrer steigt aus und öffnet die hintere Tür des Wagens. Heraus steigt die Braut, eingewickelt in einen Wust aus weißer Seide und Spitze und ich muss neidvoll zugeben, dass sie phantastisch aussieht. Wenn ich mir die beiden nebeneinander vorstelle, sind sie wirklich das perfekte Paar, wenigstens optisch. Aber ist die Optik wirklich das alles entscheidende?

Ich setze mich erst einmal wieder auf die flache Mauer und beobachte, wie der Fahrer die große Kirchentür für sie öffnet und sie würdevoll und erhobenen Hauptes hindurch schreitet. Ich kann sogar erkennen, wie sie drinnen von ihrem Vater in Empfang genommen wird. Jetzt wird er sie sicherlich durch den Gang nach vorne führen und an seinen zukünftigen Schwiegersohn übergeben.

Plötzlich wird mir ganz flau im Magen. Vielleicht ist die Idee doch nicht so gut. Ich glaube, ich kann das nicht! So sehr ich mir wünsche, mit Sylvian zusammen zu sein, das hier kann ich nicht tun. Ich würde damit einen Skandal auslösen und selbst wenn die Hochzeit platzt, wäre es immer noch fraglich, ob er wirklich mit mir zusammen sein will, oder ob er mich dafür nicht viel eher bis in alle Ewigkeit hassen würde. Wahrscheinlich eher letzteres.

Nein, es hilft alles nichts. Es ist vorbei und ich habe verloren. Das werde ich wohl einsehen müssen. Er hat sich nun einmal nicht für mich entschieden, sondern für diese Frau und für diese Hochzeit. Seufzend beschließe ich, einfach noch ein bisschen hier sitzen zu bleiben und dann nach Hause zu gehen, bevor die da drinnen fertig sind. Ich will auf keinen Fall sehen, wie die beiden als Ehepaar da heraus kommen und von allen beglückwünscht und mit Tonnen von Reis beworfen werden. So masochistisch bin ich nun doch nicht veranlagt.

Drinnen spielt eine Orgel den Hochzeitsmarsch. Jetzt schreitet sie vermutlich nach vorn und dann geht es gleich los. 'Willst du, blablabla, den hier anwesenden Sylvian Schwarz undsoweiter hastenichtgesehn ...'

Ich schnaube bitter. Ich hatte wirklich gedacht, das sei Schicksal gewesen. Schwarz und Weiß. Wie füreinander gemacht. Keine Graustufen, nur er und ich. Wie Tag und Nacht, Sonne und Regen, voller Gegensätze aber doch perfekt zueinander passend ... ach, ich schweife schon wieder ab.

Es ist an der Zeit, zu gehen und ihn ein für alle Mal zu vergessen.

Ich klettere gerade von der Mauer herunter, als ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, dass die große Eingangstür der Kirche sich schon wieder öffnet. Nanu? Ist da jemandem schlecht geworden? Oder hat vielleicht ein Baby gequengelt? Ich drehe den Kopf und sehe zu meiner großen Verwunderung, dass es Sylvian ist, der da aus der Kirche kommt. Allein.

Er lehnt sich rückwärts gegen die noch geschlossene Seite der Tür und schließt kurz die Augen. Ich starre ihn an wie ein Reh, das gerade vor ein Auto gelaufen ist. Ich kann weder etwas sagen, noch mich bewegen, nur schauen, wie er dort steht und offensichtlich mit sich kämpft.

Dann stößt er sich energisch von der Tür ab und beginnt, den Platz sehr eilig in Richtung des Ausgangs zu überqueren. Seine Augen schweifen dabei kurz vom Weg ab und dann sieht er mich. Er stutzt, bleibt kurz stehen, ändert dann die Richtung und kommt zu mir. Mein Herz rast wie verrückt, als er sich mir nähert. Direkt vor mir bleibt er stehen, sieht mir direkt in die Augen und sagt leise "Ich hab's nicht getan, Robert. Willst du mich noch?"

Anstelle einer Antwort reiße ich ihn in meine Arme und zerdrücke seine Ansteckblume, als ich ihn ganz fest umarme. Ich lache und weine gleichzeitig.

"Ja, natürlich will ich dich noch! Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?" schluchze ich.

Er küsst mich. Direkt vor einer katholischen Kirche, aus der jetzt mehrere Leute stürzen, allen voran sein schreiender Vater. Ja, genau so kenne ich ihn. Aufgeregt herum schreiend und mit rotem Gesicht.

"SYL-VI-AN! Komm sofort wieder rein! Was fällt dir ein? Bist du noch zu retten? Weißt du, was das für Konsequenzen haben wird? Was denkst du dir eigentlich? Glaubst du, du kannst hier machen, was du willst? Du hast eine Verpflichtung! Wag es bloß nicht!" Endlos reiht er Fragen und Drohungen aneinander, aber Sylvian hat nur Augen für mich.

"Wartest du bitte kurz?" fragt er leise, als finde das hinter seinem Rücken überhaupt nicht statt, und streichelt sanft über meine Wange.

Ich nicke. Dann gibt er mir noch einen zärtlichen Kuss und dreht sich um. Sein Dad und er treffen sich mitten auf dem Platz und Sylvian entkommt der Ohrfeige nur, weil er sich katzenartig duckt, so dass sein alter Herr ins Leere schlägt.

"Vergiss es, Dad. Ich mache das nicht." sagt er mit fester Stimme. "Falls du es immer noch nicht begriffen hast, ich bin schwul. Ich heirate keine Frau. Das dort hinten ist Robert, du kennst ihn sogar. Er ist der Mann, den ich liebe. Falls ich je heiraten sollte, dann höchstens ihn. Und spar' dir deine zynischen Bemerkungen, das geht sehr wohl! Du hast ja keine Ahnung."

Sein Alter pumpt Luft, wie ein Käfer vor dem Fliegen.

"Und noch was, Dad. Ich kündige."

Ich warte darauf, dass sein Vater aus den Latschen kippt. Aber außer dass er fassungslos dort stehen bleibt, mit seiner Frau, die hysterisch heulend an seinem Arm hängt und einigen Lakaien hinter ihm, passiert nichts.

Sylvian dreht sich auf dem Absatz um und kommt zu mir zurück.

"Gehen wir." sagt er, nimmt meine Hand und zieht mich mit sich vom Kirchhof herunter. Erst gehen, dann rennen wir bis zu seinem Auto und lassen uns atemlos hinein fallen. Er öffnet das Schiebedach und schreit laut "Yeeehaaaa!", als wir losfahren.

Als wir an der nächsten Ampel anhalten müssen, strahlt er mich an. "Danke, dass du mich davor bewahrt hast."

"Ich habe doch gar nichts gemacht." sage ich. Wenn er wüsste, was ich ursprünglich geplant hatte ...

"Doch. Hast du. Wenn du nicht vor der Messe schon da gewesen wärst, hätte ich das bestimmt durchgezogen." sagt er.

"Du hast mich gesehen?" frage ich erstaunt.

"Ja. Du siehst übrigens toll aus im Anzug." Er neigt sich zu mir herüber und küsst mich. Dann lacht er glücklich.

"Ich bin gar nichts gegen dich." sage ich leise.

"Oh doch! Du bist dir dessen nur nicht bewusst. Du bist so viel stärker und klüger als ich. Und wunderschön." Er hängt immer noch an meinen Lippen als es hinter uns ungeduldig hupt.

"Ja! Ja, doch!" ruft er lachend und gibt ein Handzeichen. Dann rückt er wieder auf den Fahrersitz und fährt los.

"Wohin fahren wir eigentlich?" frage ich, als er auf die Autobahn abbiegt.

"Ans Meer." sagt er lächelnd.

"Ans Meer? Hier ist weit und breit kein Meer!" antworte ich.

"Deshalb fahren wir ja auch hin." lacht er.

"Du bist verrückt!" sage ich und schüttle den Kopf.

"Und wie!" antwortet er glücklich.

Zweieinhalb Stunden später steigen wir aus dem Wagen und gehen Hand in Hand durch die Dünen, bis wir tatsächlich unsere guten Schuhe im Sand versenken können. Sylvian bückt sich, zieht Schuhe und Socken aus, lässt die bestimmt mehrere hundert Euro teuren Teile achtlos dort stehen und läuft barfüßig weiter.

"Komm!" ruft er. "Das fühlt sich toll an."

Als ich ihn ohne Schuhe und Strümpfe in seinem Hochzeitsanzug, der wahrscheinlich noch teurer war als die Schuhe und sicherlich weit über tausend Euro gekostet hat, durch den Sand rennen sehe, bin ich sicher, dass er sie nicht mehr alle hat. Aber was soll's? Ich schlüpfe ebenfalls rasch aus den Schuhen, stopfe die Socken hinein und folge ihm. Er hat bereits die Hosenbeine hoch gekrempelt und steht bis zu den Knöcheln im Wasser. Seine Augen sind geschlossen und er breitet die Arme aus.

"Das ist phantastisch. Ich glaube, ich lebe doch noch." ruft er und lacht völlig befreit, wie ein kleiner Junge.

"Das will ich dir auch geraten haben." sage ich und umarme ihn von hinten. "Du hast bei mir nämlich noch eine Menge abzuleisten für alles, was du mir angetan hast."

"Ich bin euer ergebener Diener." sagt er, dreht sich in meinen Armen herum und küsst mich. "Du hast mir das Leben gerettet, nach alter Indianersitte gehört es dir jetzt."

Weil er ja jetzt nicht nur frei, sondern auch arbeitslos ist, spendiere ich ihm nach einem barfüßigen Spaziergang am Strand einen Kaffee im Strandpavillon. Die Bedienung scheint nichts ungewöhnliches dabei zu finden, dass zwei Männer in Anzügen ohne Schuhe händchenhaltend ganz dicht nebeneinander an einem Tisch sitzen. Oder wenn, dann lässt sie es nicht durchblicken. Freundlich bringt sie uns die bestellten Tassen Kaffee und dazu jeweils einen kleinen Keks. Noch nie in meinem ganzen Leben hat mir etwas so gut geschmeckt.

Sylvian hält den Kopf ein wenig schief, sieht mich an und fragt mit einem unergründlichen Lächeln "Willst du mich heiraten, Robert?"

"Jetzt?" frage ich mit großen Augen, obwohl das natürlich jede Romantik zerstört.

"Warum nicht?" lacht er. "Passend angezogen sind wir ja."

"Du spinnst ja wohl! Du glaubst doch nicht, dass ich in so einem Lappen heiraten würde, während du wie'n Model aussiehst." sage ich entrüstet und zupfe an meinem Anzug herum.

"Willst du lieber ein Kleid?" fragt er grinsend. Jetzt ist jedenfalls die romantische Stimmung völlig im Eimer.

"Spinner." kichere ich und stupse ihn in die Seite.

Er lacht immer noch. "Also gut, dann eben nicht jetzt sofort. Und überhaupt?" Trotz seines Lachens scheint er die Frage wirklich ernst zu meinen.

"Frag mich das doch noch einmal, wenn du nicht gerade bereits deinen Hochzeitsanzug trägst, okay?" sage ich.

Er nickt ernsthaft.

"Und zumindest ein paar Rosen und ein Ring wären auch nicht schlecht." sage ich grinsend.

"Du unverschämtes Aas." sagt er lachend und küsst mich. "Du vergisst, dass ich jetzt arm bin."

"Stimmt." sage ich. Das hatte ich tatsächlich schon wieder völlig verdrängt. "Was willst du denn jetzt tun?"

"Jetzt will ich meinen Kaffee trinken und dich im Arm halten. Mehr nicht. Über alles andere mache ich mir frühestens morgen Gedanken."

Wir sitzen dort und sehen auf das Meer, bis langsam die Sonne untergeht. Wir sind glücklich.

Kapitel elf – Die Wirklichkeit

Natürlich erreicht uns die Wirklichkeit schneller als der Schall. Am Abend fahren wir zurück nach Hause und er übernachtet in meiner Wohnung, wo er mich die ganze Nacht fest im Arm hält. Am nächsten Morgen nehmen wir uns die Zeit für ein ruhiges, gemütliches Frühstück. Aber bereits dabei sind wir beide schon sichtlich nervös und nachdenklich. Denn jetzt ist der große Showdown vorbei und das Happy-End der Geschichte irgendwie auch. Jetzt kommt der Teil, den man im Kino nicht mehr sieht. Nämlich der, in dem die Helden, nachdem sie sich endlich gefunden haben, den Alltag miteinander bewältigen müssen. Ich hoffe nur, dass wir das schaffen werden.

"Willst du wegen deines Jobs nicht doch noch einmal mit deinem Dad reden? Vielleicht kannst du ja trotzdem weiter dort arbeiten." frage ich vorsichtig, weil ich merke, dass dies ein heikles Thema ist.

"Ich will aber nicht mehr dort arbeiten." antwortet er heftig. "Ich habe genug davon, sein Leibeigener zu sein. Nein, ich fange gleich morgen an, mich zu bewerben. Irgendetwas werde ich schon finden. Ach ja, und ich werde natürlich die Wohnung aufgeben und mir etwas Eigenes suchen. Wahrscheinlich wirft er mich eh dort raus."

Sylvians Wohnung gehört natürlich auch seinem Dad. So wie bis gestern auch sein ganzes Leben.

"Zieh zu mir." sage ich ohne lange zu überlegen. "Was willst du denn mit einer eigenen Wohnung?"

"Meinst du wirklich?" fragt er zurückhaltend.

"Hast du etwa Angst vor'm Alltag? Der gehört nun mal dazu. Ich habe dir doch gesagt, dass ich alles will. Also auch den Alltag." antworte ich.

"Ja, vielleicht habe ich ein bisschen Angst davor." gibt er zu. "Ich meine, ich kenne so etwas gar nicht. So fest war ich noch nie mit jemandem zusammen."

Ich stehe auf, gehe um den Tisch herum, lege die Arme um ihn und sage "Dann wird es ja höchste Zeit, dass du mal ein ganz normales Leben kennen lernst. Du kannst schon mal üben, indem du den Tisch abräumst, während ich dusche."

Er steht auf und katzbuckelt übertrieben.

"Sehr wohl, Master."

"Blödi." Ich küsse ihn. "Wenn du dich beeilst, darfst du mir noch den Rücken waschen." gurre ich und lasse schon einmal mein Shirt fallen.

"Ich fliege, Master. Ich eile." Rückwärts buckelt er mit den Tassen in der Hand in Richtung Küche.

Durch das Plätschern des Wassers höre ich kaum, wie er ins Bad kommt. Aber irgendwann öffnet sich die Tür der Duschkabine ganz kurz und er steigt zu mir herein. Er küsst meine Schulter, meinen Nacken und fährt mit den Händen über meinen Körper. Obwohl wir erst vor wenigen Tagen so ähnlich zusammen waren, ist es jetzt ganz anders. Jetzt gehört er wirklich zu mir. Ich lehne mich seufzend gegen ihn und spüre, wie seine Erektion sich hart gegen mich presst.

"Raus aus der Dusche!" flüstere ich heiser.

"Warum denn?" fragt er erschrocken.

"Weil die Kondome im Schlafzimmer in der Schublade liegen."

Er greift meine Schultern und dreht mich zu sich um. Dann küsst er mich leidenschaftlich.

"Nicht weglaufen."

Er verlässt kurz die Dusche, wickelt sich in ein Handtuch und verschwindet tropfend aus dem Badezimmer. Wenige Augenblicke später kehrt wieder zurück. Triumphierend hält er mir die quadratische Verpackung mit den Kondomen und das Gleitmittel entgegen und seine Augen leuchten. Bevor er aber eins davon auspacken und selbst überziehen kann, nehme ich es ihm ab. Er sieht mich an, ohne etwas zu sagen. Dann küsst er mich lange, bevor er sich langsam zur Wand dreht. Es sieht aus, als wäre er mehr als nur bereit, sein bisheriges Leben zu ändern. In jeder Hinsicht.

"Weißt du eigentlich, dass du der erste bei mir warst?" sagt er leise, als wir hinterher zusammen gekuschelt in meinem Bett liegen. Die Nervosität von heute Morgen hatte keine Chance gegen unsere Leidenschaft und wir nehmen uns einfach den Luxus heraus, den Tag miteinander zu vertrödeln.

"Nein. Wusste ich nicht. Ehrlich?" frage ich und schmiege mich noch mehr an ihn.

"Ja." sagt er und streichelt meine Schulter.

"Und? War es schlimm?"

Er lächelt. "Nein, gar nicht. Im Gegenteil."

"Ich hoffe allerdings, du willst es jetzt nicht immer so haben." sage ich.

"Wieso? Hättest du ein Problem damit?"

"Na ja... ich fürchte, mir würde da eine Menge entgehen. Du bist nämlich ziemlich gut, weißt du?" Ich ziehe mit meinem Finger ganz langsam eine Linie über seine Brust und seinen Bauch, weiter nach unten. Ich könnte schon wieder. Aber dieses mal will ich ihn wieder in mir haben.

"Hey, was wird denn das?" fragt er leise mit dem Hauch eines aufkeimenden Lachens, als ich beginne, ihn zärtlich zu kraulen.

"Mal sehen, was es wird." sage ich anzüglich, als er beginnt, sich wieder aufzurichten.

Er brummt genießerisch, während meine Finger weiter sanft über seine glatte, duftende Haut gleiten. Dann machen sich seine Hände auch wieder auf den Weg über meinen Körper. Ich schmelze nur so dahin, während er mich liebevoll streichelt. Dann ziehe ich ihn auf mich und schlinge die Beine um seine Hüften. Ich kann es kaum erwarten und keuche "Komm schon."

"Und wenn ich es so herum jetzt nicht mehr will?" fragt er mit fiesem Lächeln und zitternd vor Erregung.

"Dann sterbe ich auf der Stelle." sage ich dramatisch und werde fast verrückt vor Lust.

"Das glaube ich nicht."

"Doch, ganz bestimmt. Auf der Stelle! Und sofort!" sage ich atemlos und klammere mich noch fester an ihn.

"Das kann ich natürlich nicht riskieren." flüstert er, bevor er sanft in mich eindringt. Er ist deutlich zu sanft für meinen Geschmack. Ich will mehr Action und zwar sofort.

"Sylvi, mach nicht so langsam, ich werd' irre dabei." zapple ich nervös.

"Aber ich will dich doch irre machen." flüstert er kichernd und bewegt sich weiter mit quälender Ruhe.

Ich stöhne verzweifelt auf. Das ist ein denkbar schlechter Zeitpunkt für eine Grundsatzdiskussion, finde ich. Ich bin viel zu geil, um lange herum zu reden.

"Sylvi, bitte. Mach schneller. Fester. Komm schon."

Endlich geht er auf meine Forderungen ein. Immer noch sehr langsam aber deutlich kraftvoller stößt er zu, so dass ich jedes Mal laut aufstöhne. Er steigert das Tempo und kommt schließlich mit einem animalischen Röcheln, kurz nachdem ich den heftigsten Orgasmus hatte, an den ich mich erinnern kann.

"Willst du mich umbringen?" keuche ich als er auf mich herunter sackt, direkt auf meine feucht-klebrige Brust.

"Nein, ich will dich sexuell hörig machen." murmelt er.

"Hast du schon geschafft." flüstere ich und schlinge mit letzter Kraft meine Arme um ihn. Er stützt sich mit zitternden Armen hoch und sieht mich an.

"Dito." sagt er leise und küsst mich.


Montags bin ich bei der Arbeit den ganzen Tag extrem angespannt, weil ich nicht weiß, was Sylvian heute alles erleben wird. Er will die Kündigung bei seinem Vater offiziell machen und außerdem die Wohnung aufgeben. Er meinte, je schneller er das tut, umso besser und ich habe nichts dagegen, dass er sofort mit Sack und Pack bei mir einzieht.

Sein Auszug dort wird nicht allzu lange dauern, denn er wird sowieso nur seine persönlichen Dinge mitbringen. Solche Sachen wie Möbel, Teppiche, Vorhänge und alles andere will er komplett dort lassen. Die habe er ohnehin nicht selbst ausgesucht, sagt er. Das ganze Zeug habe ihn schon viel zu viel gekostet.

Er hat versprochen, sofort anzurufen, wenn irgendetwas Wichtiges passiert, aber bisher hatte ich nur Kunden am Apparat. Vielleicht kommt er auch nicht durch, weil das Telefon hier mal wieder pausenlos klingelt. Ich hoffe, in dem Fall denkt er daran, es auf dem Handy zu versuchen.

Tom grinst wie blöde, als ich ihm die Kurzfassung der verpatzten Märchenhochzeit erzähle.

"Etwas so kitschiges habe ich ja lange nicht gehört." sagt er. "Trotzdem beneide ich dich fast ein bisschen. Ich meine, nicht dass ich einen Kerl haben wollte, nicht mal diesen und nicht mal geschenkt. Aber die ganze Aktion ist kaum zu toppen."

"Schon. Aber etwas weniger Drama vorher hätte es auch getan." antworte ich.

Er kennt die Geschichte, zumindest im Groben, denn irgendwann hatte ich damit heraus rücken müssen, warum ich so fertig gewesen war und deshalb hatte ich ihm vor ein paar Tagen von Sylvians Hochzeitsplänen erzählt. Als er erfahren hat, um wen es in meinem Beziehungsdrama geht, waren seine Augen groß geworden wie Untertassen.

"Schwarz?" hatte er gefragt. "Der Schwarz von 'Global Enterprises'? Wow! Der ist aber mal eine richtig gute Partie!"

Jetzt ist Sylvian zwar nicht mehr 'von Global Enterprises', aber ich finde nicht, dass er deshalb eine schlechtere Partie ist. Eher im Gegenteil.

Überhaupt bin ich mal gespannt, wie es jetzt weiter geht. Gute Jobs wachsen ja nicht auf Bäumen und sein Dad wird sicherlich nichts unversucht lassen, um ihn für seine frevelhafte Tat zu bestrafen. Oh, Mann, das Telefon klingelt schon wieder. Heute bleibt mir aber auch nichts erspart. Ich melde mich unpersönlich-freundlich mit meinem üblichen Spruch.

"Hallo, mein Süßer. Wie geht es dir?" Es ist Sylvian. Er klingt freudig aufgeregt und es scheint alles in Ordnung zu sein.

"Jetzt schon viel besser." sage ich erleichtert. "Wie sieht es bei dir aus?"

Tom streckt sich und grinst über den Monitor. Er hebt einen Daumen hoch und schaut fragend. Ich winke ungeduldig ab und höre, wie Sylvian sagt "Soweit, so schlecht. Dad hat meine Kündigung nicht ernst genommen. Er sagt, ich soll weiter für ihn arbeiten, allerdings werde er meine Privilegien einschränken. Es sei denn, ich überlege es mir alles noch einmal. Er meinte, ich solle verdammt froh sein, dass die Presse noch nicht da war. Und dass wir das alles noch wieder hinbiegen können."

"Und was hast du darauf gesagt?" frage ich mit klopfendem Herzen.

"Er soll sich seinen blöden Job in den Piiieep stecken. Er glaubt doch nicht wirklich, dass ich zu Kreuze krieche." antwortet Sylvian heftig.

"Vielleicht doch." sage ich vorsichtig. Wenn Sylvian erst einmal bewusst wird, wie sehr sich sein Leben wirklich ändern wird, überlegt er es sich vielleicht noch einmal.

"Werde ich aber nicht." sagt er fest. "Ich habe mich entschieden und zwar für dich. Und deshalb hat mein Dad keine Chance mehr. Jedenfalls dann nicht, wenn du mich noch eine Weile lang aushalten kannst. Zumindest so lange, bis ich etwas Neues gefunden habe und wieder selbst Geld verdiene. Ich werde gleich anfangen, herum zu telefonieren."

"Natürlich halte ich dich noch eine Weile aus. Das habe ich dir doch vorher schon gesagt. Wir werden schon über die Runden kommen, keine Sorge. Hast du deinen Kram schon in die Wohnung gebracht?"

"Nein, ich bin momentan noch in meiner Wohnung. Aber ich packe bereits zusammen. Ich denke, bis heute Abend habe ich alles da. Wann kommst du nach Hause?"

Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken. Ich bin noch nie von jemand gefragt worden, wann ich nach Hause komme oder wie mein Tag war. Es fühlt sich toll an.

"Ich werde gegen achtzehn Uhr da sein. Bis jetzt sieht es jedenfalls so aus." antworte ich und hoffe, dass ich tatsächlich pünktlich hier weg komme.

"Ist gut. Soll ich... ähm... soll ich vielleicht etwas kochen?"

Jetzt muss ich sogar lachen. Hoffentlich versteht er das nicht falsch.

"Das wäre ganz süß von dir. Schau einfach, was ich da habe." sage ich und freue mir einen Knopf an die Backe über seine Frage.

"Okay. Dann bis heute Abend. Ich freue mich auf dich."

"Ja, ich freue mich auch auf dich. Bis dann."

Er haucht mir noch einen Kuss durch das Telefon und legt dann auf.

Tom grinst immer noch. "Große Liebe?" fragt er.

"Ganz groß." sage ich. Für den Moment scheint alles perfekt zu sein.

Es ist kurz vor achtzehn Uhr, als ich die Tür aufschließe. Ich betrete den Flur und sage tatsächlich den Klassiker auf: "Schatz, ich bin zu Hause!"

Als Sylvian dann mit einem Trockentuch in den Hosenbund geklemmt aus der Küche kommt und sich gerade die Hände daran abwischt, ist alles aus. Ich breche unkontrolliert in lautes Gelächter aus.

Er sieht mich fassungslos an. "Was?"

"Nichts. Das ... ist einfach zu viel." gackere ich. "Komm her."

Ich schließe ihn in die Arme und küsse ihn. Dann ziehe ich das Trockentuch weg und lasse es auf den Boden fallen. Sein Shirt folgt kurz danach.

"Ich habe noch was auf dem Herd." quetscht er mühsam neben meinen Lippen hervor.

"Na und? Ich hab was in der Hose. Ich will jetzt viel lieber dich vernaschen." antworte ich nuschelig an seinem Hals.

"Warte." sagt er und schiebt mich ein bisschen von sich weg. "Rühr dich nicht von der Stelle."

Er verschwindet in der Küche und kommt keine fünf Sekunden später wieder zurück.

"Wo waren wir stehen geblieben?" Dann legt er wieder die Arme um mich und schiebt mich langsam Schritt für Schritt ins Schlafzimmer während er mich immer wieder küsst. Die Hausfrau hat er scheinbar in der Küche zurück gelassen. Stattdessen lässt er jetzt den Lover raus.

Gemeinsam stehen wir später vor dem Herd und überlegen, ob man Spaghetti, die fast eine Stunde lang in nicht mehr ganz kochendem Wasser gelegen haben, noch essen kann. Ich fische eine heraus und probiere. "Mmmhh, außen pappig, innen matschig. Vergiss es. Hau die weg, wir machen neue. Haben wir noch welche da?"

"Blöderweise waren das die letzten. Es sind auch keine anderen Nudeln mehr da."

"Was bist du nur für eine miese Hausfrau?" schelte ich ihn scherzhaft und fummle dabei schon wieder sein Shirt aus der Hose. "Ich weiß gar nicht, wie du das wieder gutmachen willst."

"Och, ich hätte da vielleicht eine Idee." sagt er leise und öffnet den Knopf meiner Jeans. Ganz langsam schiebt er seine Hand hinein, dabei war es vorher schon eng genug darin. Ich schiebe ihm die Hände unter das Shirt und reibe vorsichtig über seine harte Brustwarze.

"Bist du überhaupt hungrig?" frage ich lüstern.

"Gar nicht. Du?"

"Und wie." antworte ich und sehe ihn gierig an.

Wer glaubt, dass man in einer Küche nur Kochen und Essen kann, irrt gewaltig. Wir fallen direkt vor dem Herd noch einmal übereinander her.

Später bestellen wir einfach eine Pizza, die wir auf dem Sofa vor dem Fernseher futtern. Sylvian hatte zum Glück schon einen Teil seiner Sachen ausgepackt, so dass wir uns damit nicht mehr beschäftigen müssen. Der Rest wird uns auch nicht weglaufen. Wir kuscheln uns aneinander und sind einfach nur froh, dass wir zusammen sind.

Kapitel zwölf – Schlechte Karten

Heute hat Sylvian wieder ein Vorstellungsgespräch. Das dritte in dieser Woche. Sein Vater hat offensichtlich ganze Arbeit geleistet, so dass er es in den letzten drei Wochen tatsächlich noch nicht geschafft hat, eine neue Stelle zu finden. Finanziell kommen wir momentan ganz gut zurecht, so übel ist mein Verdienst zum Glück nicht und Sylvian hatte noch nie massiven Wert auf den ganzen Bonzen-Krempel gelegt, mit dem er sich früher immer umgeben hatte, so dass er nichts davon vermisst.

Trotzdem will er natürlich wieder einen Job. Und das so schnell wie möglich. Denn das, was ihm wirklich fehlt, ist die Arbeit, die Herausforderung. Aber so wie es aussieht, wird das wohl nicht so besonders schnell klappen, obwohl er wirklich alles daran setzt. Dazu kommt inzwischen auch noch der Druck, den er sich selbst macht.

Mit jedem Vorstellungstermin wird er nervöser und nervöser. Am Anfang war er noch die Selbstsicherheit in Person, wenn er in seinem Anzug zu einer Firma fuhr, aber jetzt dreht er jedes Mal am Rad. Es ist sogar schon so schlimm, dass ich ihm heute Morgen tatsächlich meine homöopathischen SOS-Tropfen aufschwatzen konnte. Er meinte zwar, dass die sowieso nur wirken, wenn man daran glaubt und das tue er nicht, aber vielleicht reicht es ja, dass ich das tue, damit sie auch bei ihm wirken.

Ich hätte ihm gern zur Seite gestanden und ihn zumindest bis zu der Firma begleitet, bei der er heute seinen Termin hat, aber ich muss natürlich arbeiten. Er hat aber versprochen, anzurufen, sobald er dort fertig ist.

Tom hat es heute wirklich schwer mit mir. Ich bin nervös und unkonzentriert. Ich weiß gar nicht, wie ich mich je bei ihm dafür bedanken soll, dass er mir heute so viel abnimmt. Er lässt mich Routine-Kram machen, bei dem man nicht viel denken muss und übernimmt fast alle Telefonate.

Dann klingelt das Telefon wieder und ich sehe Sylvians Handynummer im Display. Ich warte nicht darauf, dass Tom das Gespräch annimmt, wie all die anderen, sondern reiße selbst hektisch den Hörer herunter.

"Hey, Sylvi. Wie lief es?"

"Scheiße." Er ist mehr als nur kurz angebunden.

"Oh nein. Was ist denn passiert?"

"Erzähle ich dir heute Abend." sagt er angespannt und seine Stimme klingt ganz merkwürdig dabei.

"Hat Dein Vater wieder mit Dreck geworfen?" frage ich vorsichtig.

"Ich erzähle es dir heute Abend, okay? Ich brauche jetzt meine Ruhe." sagt er nur.

"Okay. Bis dann."

Ich lege langsam wieder auf. So habe ich ihn noch nie erlebt. Dass er nicht einmal mit mir reden will, ist kein gutes Zeichen. Gar kein gutes Zeichen.

"Hat es wieder nicht geklappt?" fragt Tom besorgt.

"Sieht nicht so aus." sage ich enttäuscht.

"Mist. Ist schwieriger als ihr dachtet, was?"

"Ja, vor allem wenn wir ständig einen Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen. Sein Alter leistet echt ganze Arbeit. Sich ihm zu widersetzen wagt einfach keiner." antworte ich. Dann möchte auch ich dieses Thema nicht weiter vertiefen und Tom ist zum Glück so taktvoll, dass er nicht weiter nachfragt.

Als ich nach Hause komme, ist die Wohnung dunkel. Komisch, er müsste doch längst wieder hier sein. Vielleicht musste er einfach mal raus und dreht irgendwo eine Runde? Am Besten rufe ich ihn gleich mal auf seinem Handy an, denn ich möchte zumindest wissen, wo er ist und ob er okay ist.

Ich stelle die Tasche ab, hänge meinen Schlüssel ans Brett und sehe, dass seiner dort auch hängt. Nanu? Ist er etwa doch zu Hause? Hat er sich hingelegt?

"Sylvi? Bist du da?" frage ich leise, weil ich ihn nicht wecken will, falls er schläft. Nachts tut er das ja kaum noch. Da wirft er sich meistens nur hin und her. Vor allem in den Nächten vor einem Vorstellungsgespräch.

Keine Antwort. Ich gehe ins Wohnzimmer und knipse das Licht an. Erschrocken zucke ich zusammen, als ich ihn sehe. Er sitzt auf dem Sofa, ein Glas Cognac in der Hand und starrt ins Leere.

"Hey." sage ich zärtlich und besorgt. "Warum sagst du denn nichts? Und warum sitzt du hier im Dunklen?"

Er seufzt abgrundtief. "Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll, Robert. Mich nimmt niemand. Und ich weiß, dass das nicht an meinen Fähigkeiten oder meinen Gehaltsvorstellungen liegt. Es liegt auch nicht an meiner Persönlichkeit, nicht einmal daran, dass ich schwul bin. Es liegt nur daran, dass ER mich überall angeschwärzt hat. Die können mich nicht nehmen. Weil sie mit IHM Geschäfte machen müssen und er ihnen sonst den Hahn abdreht. Sieht aus, als hätte er mich in der Hand. Immer noch." Frustriert lässt er den Kopf hängen.

Ich setze mich neben ihn und lege den Arm um seine Schultern. Er stellt das Glas ab und lässt sich gegen mich fallen.

"Hast du noch eine Idee?" fragt er leise.

"Geh in eine Branche, die keine Geschäfte mit ihm macht. Fang etwas anderes an. Du bist Diplom-Betriebswirt. Theoretisch kannst du doch überall arbeiten." sage ich.

"Ohne Fachkenntnisse wird es aber schwierig." seufzt er.

"Nicht schwieriger als das hier. Fachkenntnisse kann man erwerben. Du bist doch lernfähig."

"Und du bist ein unverbesserlicher Optimist." Er sieht mich an und streicht mir durchs Haar. Dann versucht er ein kleines Lächeln, das leider sehr kläglich ausfällt.

"Einer von uns muss es ja sein." Ich lächle ebenfalls und küsse ihn. Er schmeckt nicht nach Cognac.

"Hast du den nur warmgehalten?" frage ich und deute auf das Glas.

"Ach, ich weiß auch nicht. Besaufen schien zuerst eine gute Wahl zu sein, aber irgendwie hatte ich dann keine Lust mehr."

"Ich weiß etwas besseres um dich auf andere Gedanken zu bringen." flüstere ich in sein Ohr und kraule seinen Nacken.

Sein Lächeln wird stabiler. "Lass mal sehen."

Ich ziehe mein Hemd aus und lasse es fallen, dann das Shirt, das ich darunter trage. Ich stehe auf und knöpfe langsam die Jeans auf. Einen Knopf nach dem anderen.

"Stopp!" sagt er. "Den Rest mache ich."

Er zieht mich zurück auf das Sofa, neigt sich über mich und küsst mich. Ich rücke so zur Seite, dass wir beide genug Platz haben und schlinge Arme und Beine um ihn, damit er nicht herunter fällt. Wir pellen uns mühsam aus unseren Sachen und ich glaube, er hat kurz darauf das miese Vorstellungsgespräch schon wieder fast vergessen. Jedenfalls für eine Weile.


Nachdem Sylvian in der ersten Zeit immer mehrere Gespräche pro Woche hatte, reduziert sich die Anzahl der Vorstellungen jetzt auf ungefähr eines in der Woche, wenn alles gut läuft. Inzwischen wohnt er seit mehr als zwei Monaten bei mir und bisher hatten all seine Bemühungen keinen Erfolg. Ich habe Angst, dass er irgendwann einfach aufgeben wird. Vor allem, seit er bei seinem Dad war und versucht hat, mit ihm zu reden, damit er wenigstens eine Chance bei dessen Geschäftspartnern bekommt.

Die ganze Sache war von mäßigem Erfolg gekrönt. Eigentlich ging das Gespräch genau in dem Moment total in die Hose, als Schwarz Senior sich nach meiner Wenigkeit erkundigte und Sylvian ihm gesagt hat, dass wir immer noch zusammen sind und jetzt sogar zusammen leben.

Der Feldwebel forderte Sylvians sofortigen Abzug aus meiner Wohnung, den Widerruf jeglicher Gefühle für mich und die Wiedererrichtung der Truppenzentrale in der Eigentumswohnung, die er vorher bewohnt hatte. Weitere Treffen zwischen uns stehen für ihn selbstverständlich überhaupt nicht zur Debatte.

Mein Schatz ist daraufhin ziemlich deutlich geworden und hat darauf hingewiesen, dass ich nicht einfach nur irgendein Typ bin, den er zufällig fickt – wobei er tatsächlich seinem Dad gegenüber exakt diese Wortwahl getroffen hat – sondern dass wir ein Paar sind und dass er mich liebt. Er sagte, kein Job der Welt könnte so toll sein, dass er mich dafür verlassen würde.

Natürlich macht mich das schon sehr stolz und ich bin froh, dass er zu mir steht und sich endlich wehrt. Andererseits macht es unsere Lage nicht gerade unkomplizierter. Keine Firma, die irgendwie mit dem alten Schwarz zu tun hat, wird nämlich jetzt noch das Risiko eingehen, ihn einzustellen. Und jede, die nicht mit ihm zu tun hat, würde durch seine Einstellung sofort auf der Liste derer stehen, die früher oder später vom Imperium zermalmt werden. Das sind keine guten Aussichten.

In einem Anfall von Wahnsinn hat sich Sylvian jetzt sogar bei einer Klinik beworben. Natürlich nicht für den medizinischen Dienst, sondern für den betriebswirtschaftlichen Bereich. Er rotiert bereits seit gestern Abend wegen des anstehenden Gesprächs und ich weiß nicht, was ich noch mit ihm machen soll. Er wollte nicht einmal Sex, weil er meinte, dass ihn das seine Konzentration kosten würde und er dann vielleicht nicht voll auf der Höhe wäre, wenn er dorthin fährt. Und die Tropfen helfen schon gar nicht mehr. Es ist sogar so schlimm, dass ich bereits über einen Schlag mit der Bratpfanne nachgedacht habe, bevor wir ins Bett gingen. Dann hätte er wenigstens schlafen können.

Hat er aber nicht. Oder jedenfalls kaum. Die meiste Zeit hat er sich seufzend im Kreis gedreht. Er hat regelrecht im Bett rotiert wie ein Kreisel. So sehr haben wir auch in der wildesten unserer Nächte das Bettzeug nicht zerwühlt.

Heute Morgen habe ich in der Firma angerufen und mir den Vormittag kurzfristig frei genommen, damit ich ihn begleiten kann. Ich werde natürlich draußen im Auto warten, aber ich lasse ihn nicht alleine dorthin fahren. Am Besten lasse ich ihn in seinem Zustand überhaupt nicht Auto fahren!

Die Klinik ist riesig. Obwohl ich schon lange hier wohne, war ich noch nie hier. Wer geht auch schon freiwillig nur in die Nähe eines Krankenhauses? Ich jedenfalls nicht. Jetzt aber bugsiere ich den Wagen in eine Parklücke und drehe mich zu Sylvian um, der wie immer umwerfend gut aussieht und höllisch aufgeregt ist.

"Keine Panik." sage ich ruhig zu ihm. "Du schaffst das. Du bist gut. Und du siehst auch noch gut aus."

Er zittert und macht keine Anstalten, auszusteigen. "Ich kann das nicht. Ich kann nicht noch eine Absage ertragen."

Ich nehme seine kalten Hände in meine. "Du wirst keine bekommen. Dieses Mal nicht. Und falls es doch passiert, ist das kein Beinbruch. Dann finden wir etwas anderes. Okay? Aber wir werden nichts anderes brauchen, denn du bekommst diese Stelle."

Er schüttelt den Kopf und sieht auf seine und meine Hände. "Ich kann nicht."

"Doch, du kannst." sage ich sehr bestimmt. "Und du wirst. Du wirst deinem Alten zeigen, dass er nicht alle Fäden in der Hand hat. Vor allem deine nicht. Oder wärst du jetzt lieber verheiratet und hättest zwar einen tollen Job, aber auch eine Frau, die du nicht liebst?"

"Nein. Nein, auf keinen Fall. Ich will nur mit dir zusammen sein." Er strafft seinen Rücken und sieht mich an. Kampfbereit.

"Dann geh jetzt da rein und steck' sie in die Tasche, Tiger."

"Gib mir einen Glückskuss." bittet er mich.

Ich beuge mich herüber und küsse ihn. Dann steigt er aus und geht zum Gebäude hinüber.

Nachdenklich sehe ich ihm nach. Ich darf gar nicht daran denken, was passiert, wenn er wieder eine Absage bekommt. So langsam gehen ihm nämlich die Optionen aus. Dann muss er wirklich anfangen, den Kreis noch weiter zu ziehen. Das bedeutet, dass wir vielleicht umziehen müssen und dann brauche ich wieder einen neuen Job.

Auch wenn ich nicht damit gerechnet habe, dass es ein Spaziergang werden würde, hätte ich nicht gedacht, dass es so schwer sein würde. Ehrlich nicht. Ich dachte, Sylvian sieht es viel zu schwarz und schätzt seinen Alten falsch ein. Ich dachte, er übertreibt. Er aber hatte es von Anfang an gewusst, deshalb wollte er auch dieses Hochzeits-Ding durchziehen. Inzwischen verstehe ich es fast. Umso bedeutender ist es, dass er das alles für mich riskiert hat.

Trotzdem glaube ich nicht, dass er es wirklich bereut. Jedenfalls hat er es mir nie vorgeworfen. Wir haben uns auch nie deshalb gezofft. Überhaupt streiten wir sehr wenig. Manchmal denke ich, das ist nicht normal, wie gut wir uns verstehen. Auch jetzt im Alltag, der nicht wirklich einfach ist. Aber andererseits, wer hat eigentlich fest gelegt, dass es normal ist, dass ein Paar sich zwangsläufig streiten muss? Vielleicht war derjenige ja auch nicht normal? Ach, was weiß ich. Ich schweife wohl gerade wieder ein bisschen ab, um nicht nervös herum zu zappeln und darauf zu warten, dass er zurück kommt.

Nach über einer Stunde öffnet sich plötzlich die Autotür, als ich gerade in Gedanken versunken am Autoradio herum fummle, und er fällt seufzend auf den Beifahrersitz. Ich kann nicht von seinem Gesicht lesen, was passiert ist.

"Und?" frage ich.

"Sie melden sich heute Nachmittag nach der Sitzung. Vorher kommt noch ein anderer Kandidat." antwortet er emotionslos.

"Was für ein Gefühl hast du denn?"

"Spielt das eine Rolle? Was nützt das Beste Gefühl, wenn sie meinen Dad anrufen und fragen, ob sie mich nehmen dürfen, oder ob er ihnen sonst die Gelder streicht?"

"Welche Gelder?" frage ich tonlos und ahne das Schlimmste.

"Die, die er ihrer Forschungsabteilung zur Verfügung stellt." Er dreht den Kopf und sieht mich an ohne seinen Gesichtsausdruck zu verändern. "Die Sache ist gelaufen, Robert. Die nehmen mich nicht. Das können sie nicht."

"Scheiße." Mir wird ganz flau im Magen. Wieder nichts. So ein Dreck!

"Wann musst du ins Büro?" fragt Sylvian. Komischerweise klingt er jetzt schon wieder fast normal.

Ich sehe auf die Uhr. "In einer Stunde."

"Gehen wir vorher noch einen Kaffee trinken?"

"Na klar."

Was mich am meisten erschüttert, ist die Tatsache, dass er nicht einmal mehr wütend ist. Er ist nur noch frustriert, total erledigt, unendlich müde. Als hätte er längst aufgegeben. Ich will aber nicht, dass er aufgibt. Ich will, dass er weiter kämpft. Dass er dem Alten mal kräftig in den Hintern tritt. Was soll ich nur tun? Vielleicht sollten wir wirklich weg ziehen und irgendwo ganz von vorn anfangen. Ein ganz neues Leben ohne Vorbelastungen.

Wir sitzen in einem kleinen, schwulen Café und rühren schweigend in unseren Tassen, als plötzlich jemand Sylvians Namen sagt, beziehungsweise fragt.

"Herr Schwarz? Sylvian Schwarz?"

Sylvian sieht erst hoch und steht dann sogar auf.

"Herr Heimann!" sagt er lächelnd, als er den anderen erkennt. sie schütteln sich die Hände, dann deutet Sylvian auf mich. "Darf ich vorstellen? Das ist mein Lebensgefährte Herr Weiß. Robert, das hier ist Herr Heimann."

Ich stehe ebenfalls auf und reiche dem Fremden die Hand.

"Guten Tag." Sein Händedruck ist fest und warm.

"Freut mich."

"Bitte. Setzen sie sich doch zu uns." lädt Sylvian den anderen ein und ich habe Zeit, ihn mir anzusehen. Er ist vielleicht ein paar Jährchen älter als wir, aber keinesfalls viel älter als Anfang bis Mitte dreißig. Genau wie Sylvian trägt er einen Anzug und sieht ebenfalls ziemlich gut darin aus. Überhaupt sieht er gut aus. Er ist groß, hat dunkles, kurzes Haar und braune Augen, die ständig zu lächeln scheinen.

"Sie hätte ich hier irgendwie nicht erwartet, wenn ich ehrlich sein darf." sagt er jetzt zu Sylvian.

"Warum das denn nicht? Hat sich das noch nicht bis zu ihnen herum gesprochen? Ich dachte, mein Vater hätte schon die ganze Welt informiert." Er grinst humorlos.

"Es liegt vielleicht daran, dass mich ein solches Gerede nicht juckt. Es reicht mir schon, was über mich gequatscht wird, da brauche ich mir nicht auch noch das Gerede über andere anzuhören." sagt dieser Herr Heimann und lacht ein warmes, einnehmendes Lachen, in das man einfach einstimmen muss. Dann wird er wieder etwas ernster.

"Was ich allerdings gehört habe, ist, dass sie den Dienst bei ihrem Vater quittiert haben sollen. Stimmt das?" Er sieht Sylvian direkt an.

"Ja, das stimmt. Unsere... Meinungen über einige Dinge gingen zu weit auseinander." antwortet mein Schatz, sieht mich an und lächelt.

Herr Heimann geht überhaupt nicht darauf ein. Er scheint etwas anderes im Sinn zu haben. "Dann sind sie jetzt sozusagen wieder zu haben?" fragt er aufgeregt und fügt noch hinzu "Ich meine natürlich nur auf dem Arbeitsmarkt." Ich lächle, als er in meine Richtung eine entschuldigende Geste macht.

"Sozusagen." sagt Sylvian vorsichtig.

"Hören sie, egal welche Angebote sie auch bekommen, meines ist besser." sagt der andere schnell. "Ich will sie in meinem Team haben. Unbedingt. Ich habe lange genug mit ihnen verhandeln müssen, um zu wissen, was für ein unglaublicher Gegner sie sind. Leute wie sie habe ich lieber auf meiner Seite, als auf der gegenüber liegenden. Außerdem kennen sie die Schwachstellen ihres Vaters, das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil."

"Wie bitte?" fragt Sylvian erstaunt.

"Ich möchte, dass sie für mich arbeiten." sagt der andere, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

"Aber ... ist ihnen nicht klar, dass mein Vater dann mit ihnen keine Geschäfte mehr machen wird?" fragt Sylvian.

"Wie bitte?" Heimann lacht selbstbewusst. "Oh doch, das wird er! Er muss, schließlich will er Geld verdienen. Glauben sie mir, gegen seine Drohungen bin ich immun. Letztendlich ist es immer nur eine Frage des Preises, glauben sie mir. Jeder ist käuflich. Wenn ich sie in meiner Firma habe, kriegen wir ihn an den Hammelbeinen. Ob er will oder nicht. Und sie werden den Vertrag ausarbeiten. Wie klingt das für sie?"

Herr Heimann ist tatsächlich immun und zwar auch gegen alle weiteren Einwände, die Sylvian vorbringt. Er hat ihn schließlich so weit, dass er direkt von hier aus mit in seine Firma fährt und das Vorstellungsgespräch quasi in seinem Büro fortsetzt, während ich mit zitternden Knien in meinem Büro eintrudle und versuche, Tom zu erklären, was ich selbst nicht einmal so richtig verstehe.

Kurz darauf klingelt das Telefon und ein sehr aufgeregter Sylvian ist dran.

"Ich habe unterschrieben, stell dir das mal vor!" jubelt er. "Und ich kann schon Montag anfangen."

"Wahnsinn!" juble ich zurück. "Ich gratuliere!"

"Ich fasse es noch gar nicht. Aber es ist wirklich wahr, ich habe den Vertrag direkt hier vor mir liegen. Und soll ich dir was sagen? Der ist richtig geil! Kannst du dir morgen frei nehmen?"

"Ich weiß nicht, ich muss nachfragen. Reicht es, wenn ich dir das heute Abend sage?"

"So gerade."

"Okay, ich gehe gleich mal zum Chef und kläre das. Und du schnapp' bloß nicht über."

"Nein, mache ich nicht. Aber jetzt gehe ich erst einmal Champagner kaufen. Jetzt muss ich meine Ersparnisse ja nicht mehr hüten wie meinen Augapfel."

"Das wirst du schön bleiben lassen! Du wirst keinen Champagner kaufen gehen!" sage ich resolut.

"Warum denn nicht?" fragt er erstaunt.

"Weil ich das tun werde. Du kannst derweil schon mal ein paar Kerzen im Schlafzimmer anzünden und dich ausziehen. Ich mache heute pünktlich Feierabend." gurre ich in den Hörer und denke gar nicht daran, dass Tom zuhört.

Sein blödes Grinsen, das er mir über den Monitorrand zuwirft, als ich auflege, erinnert mich allerdings schnell wieder daran.

"So so." sagt er nur. "Du machst also pünktlich Feierabend."

Ich strahle. Ich bin viel zu glücklich, als das es mir peinlich sein könnte.

"Er hat den Job bei diesem Heimann bekommen." sage ich, obwohl er sich das ja wohl längst gedacht hat.

"Glückwunsch." sagt Tom ehrlich. "Das wurde auch Zeit."

"Allerdings." sage ich. Dann fällt mir wieder ein, dass ich mir ja morgen frei nehmen soll. Hmm, freitags sieht der Chef das nicht so gerne. Aber vielleicht macht er ja eine Ausnahme.

"Sag mal, Tom. Bist du morgen hier? Sylvian fragte, ob ich mir frei nehmen kann. Keine Ahnung, was er vor hat aber es klang wichtig."

"Ich bin hier, kein Problem." sagt Tom.

"Okay, dann frage ich mal den Schulte, ob ich morgen frei bekomme."

Ich gehe lieber persönlich zum Abteilungsleiter, manche Dinge gehen am Telefon nicht so gut. Er sagt, so lange unser Büro besetzt sei, sei es kein Problem. Aber ich solle keinen Urlaubstag nehmen, sondern lieber ein paar Überstunden abfeiern. Noch besser.

Kapitel dreizehn – Déjà-Vu

Trotz einer wilden Champagner- und Kaviarorgie gestern Abend sind wir beide zeitig wach. Sylvian sagt, ich solle ein paar Sachen zum Wechseln in eine Tasche werfen. Was er vor hat, weiß ich immer noch nicht, er verrät einfach nichts. Geheimnisvoll packt er die Tasche in den Kofferraum des Prius, wobei ich nicht zusehen darf, und lässt mich anschließend einsteigen. Dann fährt er einfach los. Beim Einfädeln in die Fahrspur ruft er wieder einmal aus dem geöffneten Schiebedach "Yeeehaaa!"

Er biegt auf die Autobahn ein und ich habe gerade ein Déjà-Vu.

"Wohin fahren wir?" frage ich grinsend. "Etwa ans Meer?"

"Erraten, mein Schatz." sagt er, obwohl ich es eigentlich als Scherz gedacht hatte.

"Du bist verrückt." sage ich kopfschüttelnd.

"Ja. Verrückt nach dir. Das weißt du doch."

Er legt die Hand auf mein Bein und lässt den Wagen in gleich bleibender Geschwindigkeit über die Autobahn gleiten.

Irgendwann kommen wir an der gleichen Stelle an, wie beim letzten Mal. Wieder gehen wir durch die Dünen, ziehen am Strand die Schuhe aus und laufen barfuß durch den Sand bis ins Wasser. Nur tragen wir dieses Mal keine Anzüge. Er strahlt mich an.

"Hey, du unverbesserlicher Optimist. Bist du jetzt zufrieden?"

Ich nehme ihn ganz fest in meine Arme. "Mehr als das. Ich wusste, dass alles gut werden würde." Natürlich ist das gelogen aber ich finde, es klingt unheimlich gut.

Er küsst mich, nimmt meine Hand und zieht mich mit sich. Ein Stück vom Wasser entfernt lassen wir uns einfach so in den weichen Sand fallen. Er umarmt mich und zieht mich halb auf sich. Endlich habe ich meinen Sylvian wieder. Den, der weiß, was er wert ist. Den, an den ich mich anlehnen kann.

Ich küsse ihn sanft und er sieht mich merkwürdig an.

"Gehen wir einen Kaffee trinken." sagt er und springt auf. "Komm." Er zieht mich vom Boden hoch und wir gehen Arm in Arm zum Strandpavillon hinüber.

Nachdem wir bestimmt eine Stunde dort gesessen und auf das Meer geschaut haben, sagt er "Wir müssen langsam weiter."

"Was hast du denn noch vor?" frage ich gespannt.

"Warte ab." sagt er geheimnisvoll. Er zahlt und wir machen uns auf den Weg zurück zum Auto.

Er fährt zu einem kleinen Hotel, wir checken ein und ich sehe, dass er außer der Tasche noch einen Kleidersack dabei hat. Außerdem tut er schon die ganze Zeit so rätselhaft. Was um alles in der Welt plant dieser Mann? Ich beginne, mir ein wenig Sorgen zu machen. Allerdings ist er so gelöst und fröhlich, dass es eigentlich nichts schlimmes sein kann.

Unser Zimmer ist niedlich. Klein aber liebevoll eingerichtet. Vom Fenster aus kann man auf den Hafen sehen, wo die Masten der Boote wie ein Mikado für Riesen hin und her wackeln. Immer noch fühle ich mich unendlich erleichtert, dass die Ungewissheit endlich ein Ende hat und dass der Nervenkrieg vorbei ist. Und wenn dieser Heimann nur halb so gut ist, wie er den Anschein machte, dann kann Sylvian sich keinen besseren Chef wünschen. Zumindest in einem Bereich hat er dort jedenfalls keine Probleme zu befürchten.

Sylvian verschwindet im Bad um zu duschen, während ich weiter das Zimmer und die Aussicht inspiziere und meine wenigen Sachen auspacke. Schon kurze Zeit später kommt er wieder heraus. Er legt den Kleidersack vorsichtig auf das Bett, öffnet ihn und holt meinen Anzug heraus. "Ziehst du den für mich noch einmal an?" fragt er und reicht ihn mir.

"Warum?" frage ich und sehe ihn fragend an.

"Bitte Robert." sagt er nur und lächelt.

"Also gut." sage ich und nehme ihm den Kleiderbügel aus der Hand. Er verzieht keine Miene dabei. Ich weiß, dass er mir nichts sagen wird, auch wenn ich tausend Mal nachfrage. Also beschließe ich, auf das Spiel einzugehen. Ich vermute, er will seinen Vertrag würdig feiern. Aber dass er daraus so ein Geheimnis macht...

Immer noch skeptisch aber kooperativ verschwinde ich im Bad, dusche, ziehe mich an und mache mich fertig. Als ich mit mir zufrieden bin und aus dem Bad wieder heraus komme, ist er auch schon so weit. Er trägt ebenfalls einen Anzug, einen hellgrauen, in dem er so schön ist, dass ich allein von seinem Anblick einen mächtigen Kloß im Hals habe.

"Du siehst phantastisch aus." sagt er leise und küsst mich.

"Danke. Du aber auch." Meine Stimme klingt irgendwie merkwürdig.

"Gehen wir?" fragt er und hält mir seine Hand hin.

"Ich weiß zwar nicht, wohin. Aber ja." sage ich und lege meine hinein.

Er entführt mich in ein kleines, edles Restaurant, wo er einen Tisch reserviert und ein Fünf-Gänge-Menü bestellt hat. Ich denke immer noch, dass er seinen neuen Job und vielleicht unser Zusammensein feiern will und genieße alles in vollen Zügen, auch wenn ich es für ein bisschen größenwahnsinnig halte, was wir hier treiben.

Während des Essens sieht Sylvian mir immer wieder tief in die Augen, lächelt mich verliebt an und berührt mich, so oft es geht. Er legt seine Hand auf meine, streicht mir kurz über die Wange und einmal küsst er mich sogar. Ich könnte platzen vor Glück und koste jeden einzelnen Moment davon voll aus.

Es stört mich nicht einmal, dass die Leute gelegentlich zu uns herüber schauen, weil ich so stolz bin, mit diesem wunderschönen Mann an meiner Seite gesehen zu werden. Ich genieße es, dass die Kellner um uns herum wuseln und uns jeden Wunsch von den Augen ablesen und ich genieße das wirklich köstliche Essen und den phantastischen Wein. Wir sitzen eine halbe Ewigkeit dort und schwelgen in diesem wunderbaren Gefühl, jetzt hier zusammen so glücklich zu sein. Inzwischen sind alle anderen Gäste außer uns gegangen.

Nach dem Dessert bringt der Ober einen Strauß langer, roter Rosen, die Sylvian vom Silbertablett nimmt und mir überreicht. Noch während ich sie völlig ratlos entgegen nehme, hat sich der Ober bereits wieder dezent in Luft aufgelöst. Ich sehe die Blumen an, dann Sylvian und versuche immer noch, das alles zu verstehen, als er tatsächlich vor mir auf die Knie geht. Was macht er denn da? Was wird denn das jetzt?

Er greift in die Tasche seiner Anzugjacke und holt eine kleine, schwarze Schachtel heraus, die er jetzt aufklappt und mir mit der Öffnung voran entgegen hält. Ein goldener Ring glänzt im Kerzenschein. Ich habe ein ganz dumpfes Gefühl, was er bedeuten könnte und mir wird plötzlich ganz zittrig zumute. Außerdem habe ich plötzlich einen seltsamen Geschmack im Mund.

"Robert Weiß." sagt Sylvian sehr bedeutungsvoll. "Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Willst du mich heiraten?"

Ich kann nicht sofort antworten, weil mir das Wasser bereits bis Oberkante Unterlippe steht. Wenn ich jetzt den Mund aufmache, fange ich sofort an, zu heulen. Wieso macht er auch solche Sachen? Er sollte doch inzwischen wissen, dass ich schrecklich sentimental werde, wenn ich vollgefressen und angetrunken bin und er dann auch noch romantisch wird. Wie absurd kitschig diese Situation ist, kommt mir nicht einmal in den Sinn, dazu bin ich viel zu aufgewühlt.

Er sieht mich an. Erwartungsvoll. Wartend. Dann lächelt er ein wenig nervös.

"Schau, es ist alles da." sagt er leise. "Die romantische Umgebung, Rosen, der Ring. So wolltest du es doch haben, oder?"

Ich blinzle gefühlte hundertmal in der Sekunde, um die Tränen zurück zu halten und sage leise "Dich wollte ich haben. Nur dich, sonst nichts. Und natürlich will ich dich heiraten."

Er nimmt den Ring aus dem Kästchen und schiebt ihn mir auf den Finger. Natürlich passt er wie angegossen. Und natürlich fließen jetzt die Tränen. Heute ist alles perfekt. Er macht den perfekten Antrag und die Braut weint vor Glück. Na toll.

Einer der Kellner bringt zwei Gläser Champagner und lächelt.

"Danke." sage ich und schüttle fassungslos den Kopf, weil ich immer noch nicht so richtig glauben kann, dass das alles wirklich passiert.

Später in unserem Zimmer feiern wir unsere Verlobung erst richtig. Ob ich mich an diesen Gedanken gewöhnen kann, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht, aber ich werde daran arbeiten. Sylvian ist wie unter Drogen und auch mir kommt das alles sehr unwirklich vor. Stück für Stück befreit er mich aus dem Anzug und zieht seinen ebenfalls aus. Dann bedeckt er jedes Fitzelchen meiner Haut mit Küssen, er knabbert und schleckt an mir herum, bis ich vor Erregung und vor Lachen nicht mehr kann.

"Jetzt fall' schon endlich über mich her. Bis zur Hochzeitsnacht halte ich es jedenfalls nicht mehr aus." keuche ich irgendwann völlig überreizt und stöhne auf, als er es dann tatsächlich tut.

Hinterher liege ich in seiner Armbeuge und wir lassen unsere Finger träge miteinander spielen. Ich schaue seine lange, schmale Hand an. Dann betrachte ich den Ring, der an meinem Finger steckt.

"Du, Sylvi? Würdest du mich wirklich heiraten?"

"Ich würde nicht nur, ich werde sogar." sagt er und zieht meine Hand an sein Gesicht, um sie zu küssen.

Eins weiß ich genau, auch wenn ich gerade glücklicher bin als je zuvor in meinem Leben. Dies ist kein Happy-End. Es ist erst der Anfang!

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