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Schwarz und Weiß

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kennt Ihr das auch? Eine Begegnung, die so voller Symbolik ist, dass einfach eine höhere Macht dahinter stecken muss. Zwei Menschen sehen sich zum ersten Mal in ihrem Leben und vieles spricht dafür, dass dieses Zusammentreffen kein Zufall sein kann...

Kapitel eins – Die Begegnung

Warum ist es eigentlich gerade heute schon wieder so elend voll auf den Straßen? Das nervt kolossal! Aber es ist immer so: Um diese Uhrzeit ist es eben deutlich voller, als es vor zwei Stunden noch gewesen wäre, wenn ich normalerweise Feierabend gehabt hätte. Hätte! Aber ausgerechnet dann, wenn ich abends noch etwas vorhabe, komme ich nicht pünktlich aus dem Büro. Ein wirklich schöner Beweis dafür, dass Murphys Gesetz immer noch aktuell ist.

Dass aber auch gerade heute die blöde Datenbank abschmieren musste und damit die Arbeit von mehreren Stunden vernichtet hat! So etwas Blödes! Das geplante Treffen mit Lutz und Andrea kann ich wohl vergessen. Wieder einmal bin ich ein Opfer der Umstände.

Aber das ist offensichtlich mein Schicksal. Irgendwie scheinen ständig andere darüber zu bestimmen, ob und wann ich etwas tue. Das war schon immer so. Als ich dreizehn oder vierzehn war, musste ich die Schule wechseln. Nicht nur die Schule, sondern überhaupt alles in meinem Leben änderte sich. Nicht, weil ich es wollte oder weil es überhaupt an mir gelegen hätte, sondern allein deswegen, weil mein Vater versetzt wurde und wir natürlich alle mit umziehen mussten. Ich war damals überhaupt nicht begeistert deswegen. Aber genutzt hat es mir nichts. Zum Glück habe ich in unserer neuen Heimat wieder einigermaßen Anschluss gefunden. In der Schule und auch in dem neuen Sportverein.

Damals habe ich nämlich Badminton gespielt und das sogar gar nicht mal schlecht. Aber leider hatte mein Schicksal mich auch diesbezüglich nicht verschont. Ich musste es aufgeben, weil ich mir das Handgelenk gebrochen hatte und zwar direkt vor einem Turnier. Dieses konnte ich dadurch natürlich auch nicht spielen. Dabei hätte ich gute Chancen gehabt, ziemlich weit nach vorn zu kommen.

Das Handgelenk ist inzwischen zwar wieder einigermaßen in Ordnung und ich spiele auch wieder ab und zu, aber nur noch zum Spaß. Für Turnierkämpfe ist es seit dem einfach nicht mehr stark genug. Dabei hätte ich richtig gut werden können, wie mein Trainer gesagt hatte. Vielleicht sogar Profi. Aber so? Aus der Traum.

Hm, was war denn da noch? Ach ja! Meinen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann habe ich mir natürlich auch nicht selbst ausgesucht. Daddys gute Beziehungen, im Volksmund auch gern 'Vitamin B' genannt, hatten mich damals in die Firma gebracht, in der ich gelernt habe. Ich hätte viel lieber etwas Kreatives gemacht. Etwas, das mir wirklich Spaß macht. Aber 'Arbeitsmarkt ist kein Wunschkonzert', wie Daddy immer sagte. Also hatte ich die Ausbildung gemacht, die er für mich organisiert hatte und mich meinem Schicksal gefügt.

Meinen jetzigen Job in der Reklamationsabteilung einer Spedition habe ich auch über Beziehungen bekommen. Allerdings muss ich sagen, dass ich darüber absolut nicht böse bin, denn die Stelle ist gut und die Kollegen sind nett. Es hätte also wahrlich schlimmer kommen können. Zumindest bei dieser Sache.

Oh, und da fällt mir gerade noch etwas ein. Das ist wohl die 'beste' Nummer, die ich je erlebt habe und bei der andere das Ruder in der Hand hatten. Es geht um die für mich damals sehr bedeutende Tatsache, dass ich mir nicht mal den Zeitpunkt meines 'Coming out' selbst aussuchen durfte. Ich wurde nämlich damals, im zarten Alter von sechzehn Jahren, von meinem Dad mit meinem damaligen - meinem allerersten! - Freund gewissermaßen 'in Flagranti' erwischt. Zum Glück hatten wir gerade erst angefangen, deshalb war es noch nicht so extrem verfänglich, was wir dort trieben. Wir waren immerhin noch fast vollständig angezogen, als plötzlich mein Dad im Zimmer stand. Es war trotzdem unendlich peinlich für alle Beteiligten!

Gut, dass meine Eltern sich inzwischen damit abgefunden haben, dass sie auf Enkelkinder wohl werden verzichten müssen. Meinen letzten Freund haben sie sogar kennen gelernt und sie haben sich sogar ziemlich gut mit ihm verstanden. Der Weg dorthin war allerdings nicht unbedingt einfach. Den ganzen Mist möchte ich aber echt nicht noch einmal durchmachen müssen. Es war manchmal absolut schrecklich. Wenn ich nur an die stunden- und tagelangen Diskussionen denke, wird mir immer noch ganz anders.

Was meine nicht vorhandene Selbstbestimmung angeht, ist das Thema 'Freund' übrigens auch ein sehr gutes Stichwort. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich mir alle meine bisherigen Freunde niemals selbst ausgesucht, ich wurde immer ausgesucht.

Obwohl - das klingt jetzt so, als wäre ich schon mit wer weiß wie vielen Kerlen zusammen gewesen, dabei sind es gerade mal drei, die ich tatsächlich als meine (Ex-)Freunde bezeichnen würde. Oh Mann, die letzte Trennung ist auch schon wieder zwei Jahre her. Ich werde noch alt und einsam enden, wenn das so weiter geht. Immerhin bin ich mit meinen 24 Jahren ja auch schon nicht mehr der Allerjüngste und...

BATSCH!!!

Während ich vor mich hin sinniere und mich dabei Meter für Meter durch die hoffnungslos überfüllte Stadt schiebe, habe ich völlig übersehen, dass am Mercedes vor mir die roten Lichter angegangen sind. Noch bevor mein von mehr als zehn Stunden Arbeit quasi gelähmtes Gehirn die Information verarbeiten kann, hänge ich auch schon mit einem satten Klatschen hinten drauf. Oh nein, nicht das auch noch! Nicht heute. Bitte, bitte nicht.

Seufzend schalte ich den Motor aus und die Warnblinkanlage ein. Ich überlege, ob ich mich einfach auf das Lenkrad fallen lassen und mich tot stellen soll. Aber auch diese Entscheidung wird mir abgenommen, als vorn aus dem Auto ein wild schreiender, rotgesichtiger Mann im Anzug heraus springt und heftig gestikulierend auf mich zukommt. Oh Backe, das sieht nicht gut aus.

"Ich glaube, es hackt!" bölkt er völlig unkontrolliert durch die Gegend. "Sind Sie denn blind?! Wo haben Sie denn Ihren Führerschein gemacht?! In Timbuktu? Ich hoffe, Sie sind gut versichert! Jetzt sehen Sie Sich das nur mal an! Wo haben Sie denn Ihre Augen gehabt?! Ich stehe hier und Sie fahren mir einfach hinten drauf! Das kann doch wohl nicht wahr sein!"

Endlos reiht er Fragen und Vorwürfe aneinander und wirft mir die ganze, gut sortierte Sammlung Stück für Stück an den Kopf. Abgesehen davon, dass ich ohnehin nicht weiß, was ich sagen soll, käme ich momentan auch gar nicht zu Wort, um ihm eine Antwort zu geben. Ich sitze also einfach nur da und lasse mich von ihm beschimpfen.

Natürlich weiß ich, dass man nach einem Unfall seine Schuld nicht direkt zugeben soll, aber was gibt es da zu leugnen? Ich habe gepennt und bin auf ein stehendes Auto aufgefahren. Da gibt's nun wirklich nicht viel zu deuten.

Ich versuche, das Ausmaß des Schadens zu erkennen, indem ich aussteige und mir die Kontaktstelle beider Fahrzeuge ansehe, aber er wettert derart hinter mir herum, dass ich mich nicht genug darauf konzentrieren kann, um wirklich etwas zu erkennen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich nicht so besonders viel Ahnung von Autos habe und daher nicht beurteilen kann, welche Schäden hier möglicherweise noch im Verborgenen lauern. Ich befürchte das Schlimmste. Immerhin ist so ein dicker Mercedes sicherlich nicht für ein paar Euro reparierbar.

Als schließlich auf der Beifahrerseite auch noch jemand aussteigt, - ebenfalls im Anzug - weiß ich, dass ich so oder so verloren habe. Er hat einen Zeugen und ich bin alleine. Da ist die Sache doch längst gegessen. Ich werde also damit leben müssen, dass meine Versicherung teurer wird, weil sie die Prozente erhöhen wird. Na ja, es gibt Schlimmeres. Immerhin ist niemandem etwas passiert. Falls der Typ da vorn nicht noch einen Herzinfarkt bekommt. Die rote Birne, die er hat, sieht besorgniserregend aus.

Der Beifahrer kommt jetzt zu uns, legt die Hand auf den Arm des Älteren und sagt leise und beschwichtigend "Komm schon, Dad. Beruhige Dich. Es war bestimmt keine Absicht. Das kann doch mal passieren. Und er wird wohl versichert sein."

Dann sieht er mich an. "Nicht wahr?"

"Ja, natürlich." sage ich tonlos. Denen ist sicherlich egal, was ihre Versicherung kostet. Wahrscheinlich sind sie sowieso gegen alles und jeden versichert. Und haben gute - ach, was sag' ich? - phantastische Anwälte. Junge, unverbrauchte Rechtsverdreher, die nur darauf warten, sich für Vater Anzug und Sohn Anzug ihre Lorbeeren verdienen zu können.

Der Jüngere streckt mir die Hand entgegen.

"Ich bin Sylvian Schwarz. Und Sie sind...?"

"Robert Weiß." antworte ich tonlos.

Sein Händedruck ist perfekt. Nicht zu fest, nicht zu lappig. Und seine Hand ist warm und trocken. Überhaupt, sein ganzes Benehmen ist perfekt. Er ist besonnen, freundlich, unpersönlich. Offensichtlich ist er den Umgang mit Geschäftspartnern gewohnt.

"Schwarz und Weiß? Na, das ist ja Ironie des Schicksals." sagt er schmunzelnd, wobei ich momentan für derlei Scherze keinen Kopf habe und mir die Komik, die in unserer gegenseitigen Vorstellung liegt, völlig am Achterdeck vorbei geht.

"Siegfried Schwarz, mein Vater." stellt er mir den immer noch heftig wetternden Mann vor, der mir daraufhin ebenfalls kurz und unkonzentriert die Hand reicht.

Dann übernimmt der jüngere Herr Schwarz wieder das Ruder. Wir fahren die Autos ein bisschen auseinander, um uns über das Ausmaß des Schadens wenigstens ansatzweise klar zu werden. Zum Glück ist nicht so extrem viel kaputt gegangen, aber trotzdem kann ich mir schon ausmalen, was diese paar kleinen Kratzer an einem Mercedes dieser Größe kosten werden. Dass mein Golf vorn ein bisschen was abbekommen hat, kann ich erst einmal ignorieren. Immerhin läuft nichts aus dem Motor heraus, ich gehe also davon aus, dass er zumindest noch fahren wird.

Wir tauschen Versicherungsdaten und Personalien aus. Das heißt im Klartext, dass ich meine Adresse auf einen Zettel kritzle und im Gegenzug zwei perfekte Visitenkarten aus identischen, perfekten Visitenkarten-Kästchen bekomme, die sich nicht einmal durch die eingravierten Initialen unterscheiden. Shit, das sind ekelhafte Geldsäcke. Ich erkenne die sofort, wenn ich welche sehe. Mit denen werde ich bestimmt noch viel Freude haben.

Schwarz Junior verspricht mir, sich kurz bei mir zu melden, wenn der Kostenvoranschlag der Werkstatt fertig ist, damit ich die Möglichkeit habe, den Schaden eventuell selbst zu zahlen, anstatt ihn der Versicherung zu übergeben. Na toll! Wovon denn? Ich bin gerade erst umgezogen und habe meine nicht allzu üppige Barschaft fast komplett in die Renovierung der neuen Wohnung gesteckt. Da ist nichts mehr, wovon ich seinen blöden Wagen reparieren lassen könnte.

Wir verabschieden uns voneinander und dann steigen die beiden wieder in den dicken Benz ein.

Der fädelt sich wieder in den immer noch dichten Verkehr ein und verschwindet aus meinem Blickfeld. Ich selbst bleibe erst einmal rechts am Rand stehen und krame nach meinem Handy, um meine Verabredung für heute Abend abzusagen. Ich will nur noch unter die Dusche und dann ins Bett. Für heute habe ich echt genug.

"Bitte WIE hieß der???" schreit Lutz fast ins Telefon als ich dort anrufe, um abzusagen und ihm erzähle, was passiert ist.

"Schwarz, Siegfried Schwarz. Wie in 'Schwarz und Weiß'. Ja, ha ha, sehr lustig, ich weiß." antworte ich zynisch.

"Das meinte ich doch gar nicht. Weißt Du denn überhaupt nicht, wer das ist?"

"Hä? Wieso? Wer soll das denn sein?"

"Das ist der Boss von Global Enterprises. Er gehört sozusagen zur örtlichen Prominenz. Der ist doch öfter mal in der Zeitung, das muss Dir doch etwas sagen."

"Du weißt doch, dass ich mich für so'n Quatsch nicht interessiere."

"Oh Mann, Robbie, Du bist echt ein hoffnungsloser Fall. Na, dann fahr' erst mal nach Hause und sammle Dich wieder. Zum Glück ist ja nichts Schlimmes passiert."

"Nee. Jedenfalls nicht, wenn man davon absieht, dass ich jetzt wahrscheinlich total blank bin. Wenn der seine Bonzenkarre erst mal reparieren lässt..."

"Keine Panik, dafür hast Du doch Deine Versicherung. Und jetzt warte erst mal ab, bis die sich wieder melden. Dann kannst Du immer noch anfangen, zu jammern."

Er hat gut reden, immerhin hatte er ja keine so heftige Begegnung mit diesen Snobs.

Zu Hause angekommen, merke ich erst, wie zittrig mich die ganze Geschichte gemacht hat. Anstelle der Dusche, die ich eigentlich nehmen wollte, ziehe ich ein ausgiebiges Wannenbad vor. Dabei brauche ich wenigstens keine Angst zu haben, dass mir die wackeligen Knie unter dem Körper nachgeben. Außerdem tut es ausgesprochen gut, nach einem so ätzenden Tag in einem Berg von duftendem Schaum zu verschwinden.

Lutz hat Recht. Ich sollte erst mal abwarten, bis die sich wieder melden, bevor ich mich weiter verrückt mache.


'Bis die sich wieder melden' beschreibt in diesem Fall einen Zeitraum von genau drei Tagen. Drei Tage, in denen die von mir zu zahlende Summe in meinem Kopf immer höher und höher wird. Da gibt es tatsächlich Leute, die mir eine blühende Phantasie nachsagen - wie kommen die nur darauf? Ich jedenfalls sehe mich inzwischen schon mit einem Bein im Armenhaus und beginne mich langsam zu fragen, was mein Fernseher wohl beim Pfandleiher bringt.

Das Telefon klingelt.

"Weiß?"

Wieso meldet man sich am Telefon eigentlich meistens in Frageform? Eigentlich will doch der Anrufer etwas wissen. Mindestens, ob man zu Hause ist. Außerdem habe ich auf die Frage meines Namens noch nie eine passende Antwort bekommen... aber ich schweife ab. Ich sollte damit aufhören, beim letzten Mal ist es nämlich nicht gut ausgegangen.

"Guten Tag, Herr Weiß. Sylvian Schwarz hier. Wir hatten vor ein paar Tagen eine kurze aber heftige Begegnung, falls Sie Sich erinnern."

Sehr witzig, der Herr! Natürlich erinnere ich mich. Als hätte ich in den letzten Tagen an irgendetwas anderes denken können.

"Ja, ich erinnere mich." sage ich.

"Gut. Herr Weiß, die Werkstatt hat sich in der Zwischenzeit den Wagen angesehen und einen Kostenvoranschlag angefertigt. Ich möchte Ihnen jetzt aber nicht einfach so eine Zahl durch die Leitung jagen. Vielleicht können wir das bei einer Tasse Kaffee besprechen. Wann haben Sie Zeit?"

Wow! Der Mann hat Telefonieren gelernt, das merkt man sofort. Ich selbst hatte zwar auch schon einmal ein Kommunikationstraining, aber so gut wie er bin ich bei Weitem nicht. Er wirkt absolut souverän und selbstbewusst. Und er hat es geschafft, mich in Zugzwang zu bringen.

"Ich habe morgen Zeit. Sonst leider erst wieder am Freitag." Am liebsten würde ich mich sofort mit ihm treffen, diese unbekannte Summe schwebt drohend über meinem Kopf und ich hätte sie gern da weg. Aber ich werde einen Teufel tun, ihn das merken zu lassen. Er soll nicht meinen, dass mein Leben sich nur um den werten Herrn Schwarz dreht.

"Morgen passt mir sehr gut, Herr Weiß. Sind Sie mit siebzehn Uhr einverstanden?"

"Lieber achtzehn Uhr. Ich weiß nicht, ob ich pünktlich aus dem Büro komme."

"Sehr gern. Dann halten wir achtzehn Uhr fest. Ich schlage als Treffpunkt die 'Café & Bar Celona' vor. Einverstanden?"

"Ja, das ist okay."

"Wunderbar. Dann treffen wir uns morgen dort um achtzehn Uhr. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Herr Weiß."

"Ja, danke, Ihnen auch, Herr Schwarz."

Was für ein arroganter Schwätzer. Na, den habe ich jetzt schon lieb!


Mein Kollege Tom hält sich mit Vorschlägen, wie ich mich in der Sache verhalten soll, nicht zurück. Ich soll den Kostenvoranschlag von einem Sachverständigen prüfen lassen, in der Werkstatt nachfragen, bei der Versicherung anrufen und was weiß ich, was noch alles. Wahrscheinlich wird es eher darauf hinaus laufen, dass ich einfach der Versicherung den ganzen Klumpatsch übergebe, es von denen begleichen lasse und fertig. Was habe ich denn für eine Wahl? Wieder mal keine.

In der Mittagspause würge ich mühsam einen Salat hinunter, weil ich wegen des Treffens immer nervöser werde. Hoffentlich erkenne ich diesen Typen überhaupt wieder. Ich habe nur noch eine vage Vorstellung, wie er ausgesehen hat. Um ehrlich zu sein, kann ich mich nur noch daran erinnern, dass er einen Anzug an hatte. Wie er wirklich aussah, weiß ich gar nicht mehr. Nach dem Unfall stand ich wohl ein bisschen neben mir.

Hoffentlich wird es nicht so schrecklich teuer. Eigentlich spekuliere ich nämlich doch immer noch darauf, das aus eigener Tasche zu zahlen und die Prozente bei der Versicherung behalten zu können. Ich habe dort schon angefragt. Bis ungefähr tausend Euro stelle ich mich besser, wenn ich es selbst zahle. Manchmal frage ich mich echt, wozu ich überhaupt versichert bin, wenn ich so viel Geld selbst bezahlen soll, um keine Verluste zu machen.

Glücklicherweise komme ich heute ausnahmsweise pünktlich aus dem Büro und habe sogar noch genug Zeit, mich zu duschen und etwas anderes anzuziehen, bevor ich wieder los muss. Ich überlege kurz, ob ich auch einen Anzug anziehen soll, um gegen ihn anstinken zu können. Dann entscheide ich mich aber spontan dagegen. Wozu der Mummenschanz? Ich brauche so ein Gedöns nicht. Ich schlüpfe in meine Jeans und ein schwarzes Shirt und mache mich auf den Weg.

Die Café & Bar liegt am Rand der Innenstadt, so dass das Parken kein Problem ist, weil hinter der Häuserzeile ein großer Parkplatz liegt. Seine Wahl war gar nicht mal so schlecht, das muss ich zugeben. Ich steige aus, schließe den Golf ab und sehe mich um. Mit welchem Auto dieser Typ wohl hier ist? Vielleicht mit dem Z4 da hinten? Oder mit dem Audi TT? Ach, ist ja auch egal. Was auch immer es ist, ICH werde es mir garantiert nie leisten können.

Der Fußweg ist lang genug, so dass ich Zeit habe, mir schon wieder üble Gedanken zu machen. Mit jedem Schritt wächst die Nervosität und als ich vor dem Eingang stehe, muss ich mich erst kurz sammeln, um nicht wie ein Nervenbündel dort aufzutreten. Immerhin brauche ich mich für nichts zu schämen, außer vielleicht dafür, dass ich einen kleinen Moment lang unaufmerksam war. Aber das kann ja wohl jedem einmal passieren.

Ich betrete die Bar und sehe mich um. Dunkles Holz, gut verteiltes farbiges Glas, dunkler Holzfußboden. Es gibt eine Bar mit schmalen, eckigen Barhockern und im Raum verteilte kleine Tische. An den Wänden sind einige Sitzgruppen mit gepolsterten Bänken.

In einer davon sitzt Schwarz Junior. Er hebt kurz die Hand und nickt mir zu, als er mich erkennt. Als ich zu ihm komme, steht er auf wie ein echter Gentleman und streckt mir geschäftsmäßig lächelnd seine Hand entgegen.

"Herr Weiß. Schön, dass Sie Sich mit mir treffen. Das ist viel angenehmer, als die Dinge am Telefon zu besprechen."

Ich ergreife seine Hand und bemerke wieder den perfekten Händedruck.

"Ja, das finde ich ebenfalls, Herr Schwarz."

Die Absurdität dieser Situation wird mir in diesem Moment erst wirklich bewusst und trotz des unguten Gefühls schmunzle ich ein wenig. Er ebenfalls.

"Vielleicht war es ja wirklich Schicksal, dass ausgerechnet wir uns getroffen haben." sagt er immer noch lächelnd, wobei das Lächeln jetzt aber deutlich echter aussieht.

"Kann sein." antworte ich. "Auch wenn die Umstände sehr gerne etwas anders hätten sein können."

"Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Aber bitte, setzen Sie sich doch." Er weist auf die gegenüberliegende Sitzbank.

Ich bestelle beim Kellner, der urplötzlich in bodenlanger dunkelroter Schürze neben dem Tisch aus dem Nichts aufzutauchen zu scheint, einen Latte Macchiato und schiebe mich auf die Sitzbank. Er setzt sich mir gegenüber ebenfalls wieder hin.

"Wenn Sie erlauben, würde ich gern ablegen. Eigentlich sind wir jetzt ja gewissermaßen privat." sagt er und zupft erklärend am Revers seines Sakkos.

"Ja, natürlich, bitte." Grundgütiger, ob der sich auch noch normal verhalten kann? Oder ob er sich immer so geschäftsmäßig gibt? Wie so jemand wohl zu Hause ist? Ob er da auch so überkorrekt ist, oder ob er auch mal in labberigen Jogging-Hosen auf dem Sofa vor der Glotze herum lungert? Vorstellen kann ich mir das jedenfalls nicht.

Die Zeit, in der er seine Jacke auszieht, nutze ich, um ihn genauer zu betrachten. Sein kurzes, dunkles Haar ist einwandfrei geschnitten und perfekt gestylt. Er hat trotz der dunklen Haare blaue Augen, was absolut phantastisch aussieht.

Seine Haut ist makellos, obwohl er bestimmt auch schon einen langen Tag hinter sich hat. Wie alt er wohl sein mag? Viel älter als ich wirkt er gar nicht, wenn ich mir Hemdkragen und Krawatte weg denke. Mist. Obwohl ich beschlossen hatte, ihn nicht zu mögen, weil er ein Schwätzer und ekliger Bonze ist, sieht er verflucht gut aus und ich muss aufpassen, ihn nicht schon alleine deshalb nett zu finden.

In der Zwischenzeit bringt der Kellner den Kaffee, der heiß, stark und gut ist. Leider ist die Tasse ziemlich klein.

Herr Schwarz Junior legt das Sakko zusammen und legt es neben sich auf die Bank. Dann lockert er die Krawatte ein wenig und öffnet den obersten Knopf seines Hemds.

"Tut mir Leid, wenn ich immer noch ein bisschen geschäftsmäßig daher komme. Aber ich komme gerade direkt aus der Firma." Er lächelt gewinnend. Dann kramt er einige tadellos in eine Mappe geheftete Papiere aus seiner Tasche und schiebt sie mir über den Tisch hinweg zu.

"Das ist der Kostenvoranschlag der Werkstatt."

Mein Blick wandert nach unten rechts, wo die Gesamtsumme steht.

"Ach Du Scheiße!" entfährt es mir, als ich die Zahl sehe. Zweitausend-vierhundert-dreiundsechzig Euro und siebenundfünfzig!!! Ich wollte seinem Scheißbenz nicht den Arsch vergolden! Entschuldigung, aber ist doch wahr!

"Alles in Ordnung?" fragt er besorgt. "Sie sind ein bisschen blass geworden."

Ich schlucke und verkneife mir einen weiteren spontanen Kommentar. Er soll nicht glauben, dass ich aus der absoluten Unterschicht komme, nur weil ich mein Geld mit ehrlicher Arbeit verdiene und nicht mal eben knapp 2'500 Euro übrig habe.

"Nein, alles bestens." sage ich schnell. "Ich hatte nur... irgendwie mit weniger gerechnet um ehrlich zu sein."

"Tut mir Leid. Aber sie können gern alles überprüfen." Er schielt von oben auf die Auflistung und deutet auf einen der Posten. Sein Fingernagel hat die perfekte Länge und ist perfekt manikürt.

"Sehen Sie hier, alleine das Lackieren kostet schon fast achthundert Euro. Und dann sind leider die Befestigungen der Stoßstange beschädigt worden. Bitte glauben Sie nicht, dass wir Sie über den Tisch ziehen wollen. Das liegt uns absolut fern, auch wenn mein Vater letztens keinen Vertrauen erweckenden Eindruck auf Sie gemacht haben muss. Er ist nur einfach ein sehr aufbrausender Mensch."

"Ja." sage ich mit einem eigenartig leeren Gefühl im Kopf. "Das ist mir bereits aufgefallen."

"Hören Sie, Herr Weiß. Wenn das finanziell ein Problem für Sie ist, dann finden wir bestimmt eine Lösung, die..."

"Nein, danke. Ich werde das einfach an die Versicherung weiter geben, machen Sie sich keine Gedanken. So arm bin ich nun auch nicht." antworte ich schnippisch.

Plötzlich bin ich sauer, dass er so überheblich da sitzt und mich so gönnerhaft anlächelt. Nur weil ich nicht in seiner Liga spiele, mit Seidensticker-Hemdchen und Seidenkrawatte unter einem Anzug von Dingens & Bummens, bin ich noch lange kein Sozialfall. Und auch garantiert kein Drückeberger. Ich habe Mist gebaut und muss dafür zahlen. Fertig aus.

"Ich denke, das war es ja dann wohl. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben." sage ich eisig und stehe auf.

"Es war mir ein Vergnügen. Ehrlich." Er greift nach dem Bon auf meiner Untertasse. "Ich übernehme das."

Ich schnappe ihm den Zettel aus der Hand. "Danke, aber das wird nicht nötig sein. So flüssig bin ich wohl gerade noch!"

"Entschuldigen Sie, Herr Weiß. Ich wollte damit ganz bestimmt nicht andeuten, dass Sie Ihren Kaffee nicht selbst bezahlen können, wirklich nicht. Ich wollte das übernehmen, weil es meine Idee war, dass wir uns hier treffen und die Bewirtung damit auf mein Konto gehen sollte. Das ist wirklich keine Wertung Ihrer Verhältnisse."

Er sieht mich direkt an und ich weiß nicht, warum ich ihm plötzlich glaube. Aber ich tue es. Er wirkt absolut aufrichtig. Das hat er bestimmt auch geübt. Der Drecksack!

"Dann vielen Dank. Trotzdem zahle ich selbst." Ich ziehe meine Jacke an und fühle, ob Portemonnaie und Schlüssel in den Taschen sind. Sind sie.

"Also gut. Ich möchte mich deshalb natürlich nicht mit Ihnen streiten. Aber ich werde jetzt auch aufbrechen." Er erhebt sich ebenfalls und zieht das Sakko wieder an. Es schmiegt sich perfekt an seine perfekten Schultern. Ich muss schon sagen, auch wenn der Typ eine echte Pissnelke ist, sieht er umwerfend aus.

Wir zahlen jeder für sich und gehen dann gemeinsam zum Parkplatz herüber. Jetzt bin ich ja mal gespannt, welches wirklich sein Auto ist. Am Z4 sind wir jedenfalls schon vorbei gegangen und zum TT müsste er jetzt abbiegen, was er nicht tut. Er begleitet mich erst einmal zu meinem Golf und ich kann genau sehen, dass er einen kurzen aber intensiven Blick auf den Regenbogenflaggen-Aufkleber wirft, der auf dem Heck meines Wagens prangt. Aber er gibt keinen Kommentar dazu ab. Wir verabschieden uns, indem wir die Hände noch einmal schütteln und einige Floskeln aufsagen, dann steige ich ein und warte, welchen Wagen er denn nun tatsächlich öffnet. Währenddessen gebe ich vor, irgendetwas im Handschuhfach zu suchen.

Ich staune nicht schlecht, als er einen Toyota Prius dazu bringt, mit den Blinkern zu blinken. Wer hätte das gedacht? Keine Bonzenkarre, sondern ein Hybridauto. Leider zerstört er damit einen Teil meines absolut schlechten Bildes von ihm.


"Und? Wie war Dein Date?" Typisch Tom. Nur gut, dass ich weiß, dass er nicht wirklich davon ausgeht, dass ich mit diesem Ätztyp ein Date hatte.

"Hör bloß auf. Wenn es wenigstens eins gewesen wäre. Dabei wäre wahrscheinlich mehr 'rum gekommen." Ich grinse ihn an und kneife ein Auge zu.

"Wie teuer wird es denn?"

"Zu teuer. Zwei-Fünf ungefähr."

"Wie bitte? Was hatte der denn für ein Auto?"

"S-Klasse."

"Oh Mist. Tja, wenn Du was machst, dann machst Du's richtig, was?"

"Klar. Keine halben Sachen."

Auch wenn das jetzt so locker und lustig klingt, wurmen mich die Kosten immer noch und zwar nicht zu knapp. Ich habe mich aber inzwischen so weit damit abgefunden, dass ich meine Versicherungsprozente wohl los bin. Ich habe halt gepennt und war Schuld, daran gibt es nun mal nichts zu rütteln, auch wenn es mir nicht gefällt.

Das Telefon beendet unsere kleine Unterhaltung und läutet einen langen Tag voller Wahnsinniger ein, die uns von morgens bis zum Feierabend auf Trab halten. Die Mittagspause dürfen wir leider nicht zusammen machen, weil zumindest einer von uns immer erreichbar sein muss, daher vertagen wir weitere Gespräche zu diesem Thema auf später.

Ich bin froh, als ich abends endlich alle Viere auf dem Sofa ausstrecken kann. Leider bin ich nicht mal hier vor dem blöden Telefongeklingel sicher. Als hätte ich den ganzen Tag über nicht schon genug Deppen am Hörer gehabt.

"Weiß?" Ich muss endlich damit aufhören, mich am Telefon mit einer Frage zu melden. Schließlich weiß ich doch, wer ich bin.

"Hallo Herr Weiß. Sylvian Schwarz hier." Ich habe gerade ein ganz schweres Déjà-vu. Und überhaupt, was will der denn schon wieder? Ich dachte, es wäre alles geklärt. Ist ihm jetzt vielleicht eingefallen, dass er noch ein bisschen mehr Geld aus mir heraus quetschen könnte? Oder dass der Benz auch noch einen Ölwechsel auf meine Kosten vertragen könnte? Was? Was zum Henker will der?

"Sie fragen Sich sicher, warum ich schon wieder anrufe." sagt er freundlich. Kann der Gedanken lesen?

"Nun, das will ich Ihnen gern sagen. Sie haben mir gestern nicht die Gelegenheit gegeben, Sie einzuladen und ich frage mich, ob Sie vielleicht mit mir etwas trinken gehen würden, so dass ich eine zweite Chance dazu bekomme."

Hallo? Geht's noch? Glaubt er wirklich, ich würde mich noch einmal mit ihm treffen? Wozu um alles in der Welt sollte das gut sein? Es ist doch alles geklärt. Also - von meiner Seite aus ist das jedenfalls so.

"Und wie kommen Sie darauf, dass ich auch nur im Entferntesten in Erwägung ziehen könnte, zuzusagen?" frage ich neugierig.

"Ich will es mal so ausdrücken: Ich hoffe es einfach."

Na, der Bursche hat Nerven! Das glaubt er doch wohl selbst nicht.

"Tja, da haben Sie jetzt aber ein Problem. Ich lasse mich nämlich üblicherweise nicht einfach so von irgendwelchen Männern einladen. Na ja, jedenfalls nicht oft."

Ich trage absichtlich ein bisschen dick auf. Ist mir doch egal, was der Typ von mir denkt.

"Ich habe ganz ehrenhafte Absichten." höre ich ihn sagen.

Wie bitte? Ist er jetzt etwa auf meine Bemerkung eingegangen? Was wird das denn jetzt?

"Wie bitte?" frage ich verwirrt.

"Sie haben mich schon verstanden." sagt er leise. "Wie wäre es, wenn wir das Geschäft einfach mal vergessen und einfach nur zusammen etwas trinken gehen?"

Ich glaube es einfach nicht. Das scheint wirklich sein Ernst zu sein.

"Sagen Sie mal, graben Sie mich an?" frage ich ganz direkt.

"Ja." gibt er dreist zu. Da bleibt mir doch fast die Spucke weg. So eine Frechheit! Aber nicht mit mir!

"Jetzt hören Sie mal gut zu, Herr Schwarz. Nur weil Sie diesen Aufkleber auf meinem Auto gesehen haben - und leugnen Sie das bitte nicht, ich weiß, dass Sie ihn gesehen haben - müssen Sie nicht meinen, dass Sie mich einfach so anmachen können. Zu welchem Zweck auch immer. Ich habe den Wagen übrigens gebraucht gekauft, vielleicht war der Aufkleber ja schon drauf?"

"Das glaube ich nicht. Dieser gehört nämlich zu den Aufklebern, die niemand freiwillig auf einem Auto lässt, wenn sie für ihn nichts bedeuten. Aber wie auch immer. Darf ich Sie nun auf einen Drink einladen?"

"Was haben Sie denn anzubieten, um mich zu überzeugen?" So langsam beginnt die Sache, ein wenig Spaß zu machen.

Ich höre ihn am anderen Ende schmunzeln. "Wie wäre es mit einem Caipirinha im Janeiro? Oder vielleicht mit einem Daiquiri im Havanna?" Ich überlege. Das Janeiro ist ziemlich exklusiv. Es war klar, dass er so etwas vorschlägt. Das Havanna ist auch nicht ganz billig, aber sehr nett. Ausgesprochen nett sogar.

"Vielleicht gehen wir auch ein paar Tapas essen im El Paso?"

"Hey, Moment mal, von essen war nicht die Rede. Es ging nur um einen Drink!" Er soll nicht glauben, dass ich so einfach zu haben bin.

"Sie haben mich erwischt." lacht er. "Also gut. Dann eben keine Tapas. Wie wäre es dann mit einem Glas Wein in der Bodega?"

Ich zögere. Der Vorschlag mit dem Havanna gefiel mir eigentlich ganz gut. Auch, wenn ich immer noch nicht genau weiß, warum ich überhaupt mit ihm ausgehen sollte. Ach Quatsch, ich bin ein Heuchler. Natürlich weiß ich, warum ich mit ihm ausgehen sollte. Weil er ein richtig heißes Schnittchen ist, deshalb.

Er deutet mein Zögern wohl so, dass noch nichts dabei war, was mich interessiert, denn der nächste Vorschlag geht in eine ganz andere Richtung.

"Wir können natürlich auch in Dave's Corner ein Bier trinken gehen." Dave's ist eine recht bekannte Gay-Bar.

'So ein Schweinehund!', denke ich grinsend.

"Die Daiquiris klangen ganz gut." sage ich zögernd.

"Das Havanna." bestätigt er. "Ja, da ist es wirklich sehr nett. Wann haben Sie Zeit? Samstag? Gegen 21 Uhr?"

"Ja, das passt gut." Und schon wieder trifft ein anderer meine Entscheidungen. Vielleicht hätte ich wenigstens zögern oder einen andern Termin vorschlagen sollen.

"Darf ich Sie abholen? Ich meine, sonst können Sie mich ja gar nicht richtig schädigen."

Also gut, wenn er unbedingt bluten will... Es trifft ja keinen Armen.

"Gerne."

"Wunderbar, ich freue mich. Dann bin ich Samstag um 21 Uhr bei Ihnen. Die Adresse habe ich ja."

"Gut. Also bis Samstag."

"Ja, bis Samstag."

Auch wenn ich keine Ahnung habe, was das für eine Nummer werden soll, fühlt es sich gar nicht so übel an, wieder einmal ein Date - oder zumindest so etwas Ähnliches - zu haben. Endlich. Das letzte ist schon wieder viel zu lange her. Ich nehme mir vor, nicht weiter über den tieferen Sinn des Ganzen nachzudenken und es einfach zu genießen, sofern das möglich ist. Selbst wenn ich ihn tief in meinem Inneren immer noch irgendwie für einen arroganten Ätzmolch halte.

Kapitel zwei – Das Wiedersehen

Auch wenn ich mir fest vorgenommen hatte, cool zu bleiben, rotiere ich doch ein wenig, als es am Samstagabend langsam aber unaufhaltsam auf neun Uhr zugeht. Ich habe mich mindestens zehn Mal umgezogen, bis ich mich endlich für das Outfit entschieden habe, das ich bereits als erstes an hatte: Eine schmale schwarze Hose, dazu ein schwarzes, enges Shirt mit Aufdruck auf der Brust. Okay, ich gebe zu, damit sehe ich irgendwie verdammt schwul aus, aber was soll's? Schließlich bin ich es ja auch. Ist mir doch egal, wenn er sich mit mir blamiert fühlt, schließlich war es seine Idee, mit mir weg zu gehen.

Superpünktlich um eine Minute vor neun geht die Türklingel. Mister Perfect lässt aber auch nichts aus. Ich drücke auf den Summer und öffne die Wohnungstür einen Spalt. Dann stecke ich Portemonnaie und Handy in die Jacke und nehme meinen Schlüssel vom Schlüsselbrett. Es klopft an der Tür und er spickt vorsichtig durch den Spalt.

"Hallo." sage ich zu ihm. "Pünktlich sind Sie also auch noch. Kommen Sie rein."

Er tritt durch die Tür und mir bleibt fast die Spucke weg. War ich tatsächlich ein bisschen besorgt gewesen, dass ich in meinen Klamotten schwul aussehe? Wozu, frage ich mich, denn neben ihm wirke ich absolut harmlos. Er trägt eine anthrazitfarbene, glänzende Hose, dazu ein dunkelrotes Hemd, an dem die oberen beiden Knöpfe geöffnet sind und den Blick auf eine tadellos glatte, leicht gebräunte Brust mit sehr gut definierten Muskeln freigeben. Eng um seinen Hals ist ein schwarzes Lederband mit einem silbernen Anhänger geschlungen. Mein lieber Scholli! Er hat scheinbar eine Menge vor heute Abend.

"Hallo, Herr Weiß." sagt er und schüttelt meine Hand, wieder mit diesem perfekten Händedruck. "Schön, Sie wieder zu sehen."

"Ich freue mich auch." sage ich. "Wenn Sie wollen, können wir gleich los."

Wir verlassen gemeinsam das Haus, wobei ich mich fürchterlich konzentrieren muss, damit ich ihn nicht ständig anstarre. Er sieht wirklich verboten gut aus. Vor allem sein Hintern in dieser Hose ist ein absoluter Hingucker.

Er hält mir dann auch tatsächlich noch die Autotür auf, damit ich in den Prius einsteigen kann und ich komme mir ein bisschen seltsam dabei vor. Verglichen mit seinen vollendeten Umgangsformen benehme ich mich wie ein Bauerntrampel. Jedenfalls fühle ich mich ein bisschen so.

Die Unterhaltung, die wir auf dem Weg in die Stadt führen ist angenehm nett und nichts sagend. Formvollendeter Smalltalk, wie er es sicherlich aus seinem Job gewohnt ist. Aber ich sehe es positiv. Wenigstens kommt so keine unangenehme Stille auf.

Das Havanna ist ein wirklich schicker Laden, das muss ich schon sagen. Die Einrichtung ist im Kolonialstil gehalten und wirkt absolut edel. Das Publikum dort ist entsprechend gekleidet, frisiert und gestylt. Ein bisschen absurd wirken wir zwei Schwuppen hier schon, aber die Kellner sind genau so professionell wie gut aussehend und riechen offensichtlich das Geld bei Schwarz Junior. Vielleicht kennen sie ihn sogar. Sie bedienen uns jedenfalls freundlich und zuvorkommend.

Mein Begleiter hebt seinen Drink, wir stoßen kurz die Gläser zusammen und er sagt: "Heute Abend sind wir rein privat hier, also sollten wir endlich auf dieses umständliche 'Sie' verzichten, finde ich. Ich heiße Sylvian."

"Robert." antworte ich. Dann probiere ich den Daiquiri. Er ist ausgezeichnet.

"Das ist aber ein außergewöhnlicher Name." sage ich zu Sylvian.

"Ja, meine Eltern waren offensichtlich experimentierfreudig. Na ja, ich kann damit leben. Es hätte weitaus schlimmer kommen können."

"Gibt es dafür denn auch eine Kurzform? Oder sprechen Dich Deine Freunde und Bekannten immer mit dem vollen Namen an?" Es erscheint mir sehr ungewohnt, ihn zu duzen. Ich hatte mich schon richtig an das 'Sie' gewöhnt. Es passte so gut zu diesem arroganten Penn... Typen.

"Nein, die meisten verwenden den vollen Namen. Sie können Sich... Entschuldigung. Du kannst Dir ja etwas einfallen lassen, wenn Du möchtest. Wie wirst Du denn genannt? 'Robbie'?"

"Ja, meistens." Ich verdrehe die Augen um anzuzeigen, dass ich davon nicht übermäßig begeistert bin. Mal ehrlich - 'Robbie'... Das ist wie in 'Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt'.

"Das ist doch nicht verkehrt. Ich denke da spontan an Robbie Williams. Und der ist doch wirklich nicht übel." Er lächelt mich mit funkelnden Augen an und ich werde das Gefühl nicht los, dass er mich schon wieder angräbt.

"Was tust Du denn so, wenn Du nicht gerade auf andere Autos auffährst?" fragt er.

"Was soll ich schon tun? Das, was wahrscheinlich die meisten tun. Arbeiten, essen, schlafen, Freunde treffen, ab und an ausgehen... all solche Dinge. Ich fürchte, ich bin ziemlich langweilig." Ich bin nicht unbedingt scharf darauf, hier vor ihm mein ganzes Leben auszupacken. Das geht ihn nun wirklich nichts an.

"Das glaube ich nicht. An Dir gibt es bestimmt eine Menge interessanter Dinge." Er funkelt schon wieder so mit seinen Augen, dass mir ein bisschen warm davon wird. Die Sache läuft in eine Richtung, die ich so nicht geplant hatte. Aber dieses Mal will ich nicht schon wieder andere bestimmen lassen, wohin ich laufe. Ich werde mich von ihm nicht einfach so aushorchen lassen. Seine nächsten Fragen beantworte ich so kurz wie eben möglich.

"Warum sperrst Du Dich eigentlich so sehr?" fragt er nach einer Weile. Ihm muss aufgefallen sein, dass ich sehr einsilbig bin. "Ich tue Dir nichts, ehrlich nicht. Ich möchte mich einfach nur unterhalten."

"Vielleicht gefällt mir das Thema nicht." sage ich kühl.

"Dann schlag doch ein anderes vor."

"Warum reden wir nicht über Dich?" Ich bin mal gespannt, wie er sich jetzt aus der Affäre ziehen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so auspacken wird.

"Okay." sagt er und lehnt sich überheblich lächelnd zurück. "Dann reden wir über mich. Was möchtest Du wissen?"

Jetzt bin ich doch überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass er so bereitwillig darauf eingehen würde.

"Ich weiß nicht. Erzähl mir einfach irgendetwas."

Er trinkt einen Schluck von seinem Daiquiri und sieht mich dann direkt an. Ich kann nicht abschätzen, ob er sich absichtlich so über die Lippen leckt, oder ob er das unbewusst tut.

"Also gut. Mal überlegen. Was könnte Dich interessieren? Wie alt ich bin, vielleicht? Ich bin 26. Willst Du wissen, was ich beruflich mache? Ich bin im Management in der Firma meines Vaters. Ich kümmere mich um unsere Geschäftspartner und um einige der Kunden. Der Job ist anspruchsvoll und interessant und ja, ich verdiene eine Menge Kohle damit. Weil ich viel arbeite und weil ich gut bin.

Jetzt fragst Du Dich vielleicht, warum ich dann kein dickeres Auto fahre. Weil ich finde, dass wir eine gewisse Verantwortung gegenüber unserer Umwelt haben und sofern Antriebe verfügbar sind, die die Umwelt weniger belasten, als die Standardantriebe, dann nutze ich die auch. Jedenfalls so lange ich es mir leisten kann." Wieder trinkt er einen kleinen Schluck, dann redet er weiter. Die ganze Zeit lässt er mich nicht ein Mal aus den Augen.

"Was könnte Dich noch interessieren? Vielleicht, ob ich Geschwister habe? Nein, habe ich nicht. Ich bin ein ekelhaftes, verwöhntes Einzelkind. Wie viele Sprachen ich spreche? Drei nahezu perfekt und einige andere rudimentär. Fällt Dir noch etwas ein?"

Sylvian redet wie jemand, der es gewohnt ist, zu reden. Tom sagt über solche Leute, dass sie sich gerne selbst reden hören. Das könnte bei ihm absolut hinkommen. Was für ein arroganter Pinsel! Er sitzt da, wie jemand, der immer alles bekommt, was er will. Tja mein Freund, da wirst Du Dir an mir aber die Zähne ausbeißen!

"Nein, im Moment fällt mir nichts mehr ein. Imposanter Vortrag übrigens. Hast Du den vor dem Spiegel geübt?" sage ich lächelnd. HA! Nie war ich so schlagfertig, wie heute.

Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel. Meine Bemerkung verunsichert ihn überhaupt nicht. Er glaubt wohl, dass das hier alles ein Spiel ist, dessen Ergebnis schon längst fest steht.

"Nein, habe ich nicht. Aber ich habe gerade eine Idee, was Du noch wissen wollen könntest."

"Und das wäre?" Jetzt bin ich ja mal gespannt. Ich rühre mit vorgetäuschtem Desinteresse in meinem Glas herum und sehe den Eiswürfeln beim Schmelzen zu.

"Ob ich wirklich schwul bin oder ob ich Dich nur aus Berechnung angrabe."

Ohne es zu wollen, sehe ich blitzartig von meinem Glas hoch und in seine Augen. Sie lächeln siegessicher. Dreck, er hat Recht. Das würde mich in der Tat interessieren, aber ich werde einen Teufel tun, das zuzugeben. Oh nein, die Blöße gebe ich mir nicht. Darauf kannst Du lange warten, Mister Ich-krieg-Euch-alle.

"Ja, das interessiert Dich wirklich, nicht wahr? Aber ich werde es Dir nicht verraten." Er neigt sich zu mir und flüstert "Du kannst es aber selbst herausfinden, wenn Du willst. Dazu brauchst Du nur nachher mit zu mir zu kommen."

Er lehnt sich zurück in seine Arrogantes-Arschloch-Haltung, trinkt einen Schluck und sieht mich herausfordernd an.

"Das könnte Dir so passen." sage ich langsam.

"Und ob." sagt er.

Ich lächle. "Du kannst mich mal."

"Jederzeit."

"Bekommst Du eigentlich immer alles, was Du willst?"

"Eigentlich schon. Aber das wenigste davon bekomme ich geschenkt. Auch wenn Du es nicht glaubst, ich arbeite hart für mein Geld. Ich will keinen Papi-Bonus und ich bekomme ihn auch nicht. Im Gegenteil. Bei mir ist er kritischer als bei jedem anderen."

Plötzlich kommt ein ganz anderer Mensch zum Vorschein. Das, was er gerade gesagt hat, klang absolut ehrlich und ich glaube es ihm. Ich gebe im Gegenzug jetzt ebenfalls ein Stück meiner Vorsicht auf und schon läuft unsere Unterhaltung wie von selbst. Zwar leben wir in völlig verschiedenen Bereichen der Gesellschaft aber wir finden trotzdem genügend Themen, über die wir reden und vor allem herzhaft lachen können. Und das tun wir dann auch ziemlich oft. Vielleicht ist er doch nicht so ein Arschloch wie ich dachte.

Einige Drinks später fühle ich mich richtig gut. Das einzige, was etwas lästig ist, ist die Tatsache, dass ich ihm ständig völlig zwanghaft in den Ausschnitt starren muss. Ich kann einfach nicht anders. Die Haut, die mich von dort anblitzt ist so perfekt, so glatt und seidig, dass ich nicht wegsehen kann. Noch viel lieber würde ich dort mal anfassen...

Irgendwann beugt er sich wieder ganz nah zu mir und fragt "Wie sieht es aus, Robert? Ich würde Dich gerne noch mit zu mir nehmen. Willst Du?"

Eigentlich war ich fest entschlossen gewesen, mich nicht von ihm flach legen zu lassen. Jedenfalls nicht heute. Er sollte einen Dämpfer bekommen, mal nicht das bekommen, was er will. Andererseits müsste ich ja total bescheuert sein, mir eine Nacht mit diesem unglaublich geilen Kerl entgehen zu lassen! Wenn er im Bett nur halbwegs hält, was seine sonstige Perfektion in allen Lebenslagen verspricht, dann werde ich die Englein singen hören.

Ich blinzle ihn an und sicherlich ist ein Teil meines Mutes auf die zahlreichen Daiquiris zurück zu führen, denn ich sage tatsächlich "Nur wenn Du vorher zugibst, dass Du schwul bist. Ich hasse nämlich überflüssige Wege."

Für meine Verhältnisse ist so ein Satz der absolute Skandal und ich erschrecke mich selbst ein wenig, dass ich ihn wirklich gesagt habe.

Er lächelt, als wüsste er genau, dass ich gerade deutlich über meine Verhältnisse pokere.

"Dieser Weg wird für Dich garantiert nicht überflüssig sein. Vertrau mir."

Ich lächle zurück. "Worauf warten wir dann noch?"

Sylvian winkt den Kellner heran und bittet um die Rechnung und ein Taxi. Kurz darauf lassen wir uns zu ihm kutschieren.

Seine Wohnung liegt in einer absolut bevorzugten Wohngegend, das war ja nicht anders zu erwarten. Sie ist in etwa so, wie ich sie mir vorgestellt hatte: Groß, hell, modern, angeberisch, ungemütlich. Er hat ein riesiges Wohnzimmer mit großen Fenstern, die bis zum Boden reichen und wenigen extrem modernen Möbeln darin. Es gibt ein wenig dunkles Holz, dazu viel Glas und Edelstahl. Seine Multi-Media-Anlage ist garantiert mehr wert, als mein Auto und im Gegensatz zu meinem Laminatboden ist sein Parkett natürlich echt. Und wir reden hier nicht von einem Fertigparkett, das man im Baumarkt kauft, sondern von Unmengen kleiner Holzklötzchen, die in unendlicher Kleinarbeit von emsigen Handwerkern einzeln verlegt wurden.

Der eine kurze Blick, den ich in die Küche werfen kann, genügt. Sie ist supermodern eingerichtet, hat allen Schnick und Schnack, den man sich vorstellen kann - ich sage nur: freistehender Herd mit Gas-Kochplatten - und ist blitzsauber aufgeräumt. Ob sie nur zur Dekoration dient, oder ob er sie wirklich verwendet? Er sieht nicht unbedingt so aus wie jemand, der kochen kann.

Alles in allem hat die Einrichtung dieser Wohnung mindestens zehnmal soviel gekostet wie mein gesamter Krempel inklusive meiner Wohnung selbst. Trotzdem finde ich meine Wohnung viel gemütlicher, viel wohnlicher. Das hier wirkt ein bisschen wie eine Möbel-Ausstellung. Wie kann man sich hier überhaupt wohl fühlen?

"Schicke Wohnung." sage ich, um überhaupt etwas zu sagen. Mein letzter One-Night-Stand ist schon eine Weile her und ich fühle mich jetzt doch ein bisschen befangen, so kurz vor dem Ziel.

"Danke. Aber ich hoffe, Du erwartest jetzt keine Führung."

Sein Zeigefinger zieht ganz langsam eine Linie über meine Brust nach unten und die andere Hand liegt plötzlich auf meiner Hüfte. Er zieht mich an sich, so dass sich mein Becken gegen seins drängt. Er riecht unglaublich gut und seine Nähe macht mich ganz schön nervös.

Ich kann mich gar nicht entscheiden, ob ich ihm weiter in den Ausschnitt schauen oder vielleicht doch lieber in seinen blauen Augen versinken soll. Zaghaft hebe ich meine Hände und lege sie um seinen Nacken. Er lächelt, bevor er mich küsst.

Er küsst wie jemand, der das nicht gerade selten tut. Intensiv aber gefühlsmäßig distanziert. Die Intensität seines Kusses bringt mich allerdings dazu, ihn fester an mich zu ziehen und mich heftig gegen ihn zu drängen. Große Hitze macht sich in Wellen in meinem Körper breit. Spätestens jetzt müsste ihm klar sein, dass ich definitiv an etwas ganz anderem, als einer Wohnungsführung interessiert bin. Nämlich an ihm. Und in dieser Wohnung interessiert mich allenfalls sein Schlafzimmer. Ich hoffe nur, er hat keinen Spiegel unter der Decke hängen!

Seine Hände schieben sich auf meinen Hintern und er drückt mein Becken noch fester an sich. Er hat ebenfalls eine Wahnsinns-Erektion. Keuchend lösen wir uns voneinander.

"Einen bestimmten Raum würde ich schon gern sehen." sage ich leise. Er nimmt meine Hand und führt mich durch den Flur. Am Ende öffnet er eine Tür und macht eine einladende Handbewegung.

"Bitte sehr. Ich hoffe das ist das, was Du meintest."

Ich staune. Dieses Zimmer ist so völlig anders als der Rest der Wohnung. Ja, es ist auch groß und hell und luftig aber es ist warm und gemütlich eingerichtet. Heller Fußboden, helle Holzmöbel und nicht das kleinste Fitzelchen Edelstahl. Kein rundes Lederbett, kein Spiegel unter der Decke. Stattdessen ein Echtholzbett mit Bettwäsche in warmem Terracotta. Damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet.

"Willst Du in der Tür stehen bleiben?" fragt er und beginnt, sich langsam auszuziehen.

"Ja." sage ich. "Zumindest bis Du damit fertig bist. Sonst verpasse ich ja das Beste."

Er lächelt und wendet sich mir zu. "Sag das doch gleich, dann mache ich es so, dass Du auch etwas davon hast."

Er lässt das Hemd, das er gerade aufgeknöpft und aus der Hose gezogen hat, langsam über seine Schultern herab gleiten und sieht mich dabei an. Ich starre auf seine glatte Brust. Lasziv lässt er es von seinen Armen auf den Boden herunter gleiten. Dann öffnet er langsam seine Hose, dabei sieht er mich die ganze Zeit an. Er zieht sie aus, indem er sie mit fast gestreckten Beinen herunter schiebt und erst dann wieder hochkommt und heraus steigt. Seine Retros werden gerade auf eine harte Probe gestellt und meine auch.

"Komm her." sagt er leise und ich setze mich in Bewegung. Ich streiche mit den Handflächen über seine Brust und seine Schultern und genieße das seidige Gefühl seiner Haut. Sie ist wunderbar glatt und ganz weich. Er schiebt seine Hände unter mein Shirt und schiebt es hoch, dann zieht er es mir über den Kopf. Ich fürchte, gegen seinen Traumbody komme ich nicht an, aber er lächelt, als er über meine Brust streichelt. So hässlich findet er mich also offensichtlich nicht. Dann küsst er mich wieder. Er zieht mich an meinem Hosenbund langsam rückwärts mit sich, bis wir beide auf das Bett sinken.


Ich werde langsam wach und räkle mich genießerisch in meinem Bett herum. Was für eine Nacht! Sylvian hatte nicht gesagt, dass ich bis zum nächsten Morgen bleiben soll, also hatte ich es auch nicht getan. Er hatte mir - ganz Kavalier - ein Taxi nach Hause gerufen und es auch bezahlt. Ich hatte nicht dagegen protestiert, immerhin ist er ja heute Nacht auch nicht leer ausgegangen. Außerdem kann er es sich leisten.

Ich lasse die Augen geschlossen und denke noch einmal daran, wie es mit ihm gewesen ist. Dieser Mann weiß definitiv, wie man einen anderen Mann befriedigt und dabei selbst nicht zu kurz kommt. Das Beste daran ist, dass es überhaupt nicht so technisch, nicht so kühl gewesen ist, wie ich vorher noch befürchtet hatte. Er war richtig leidenschaftlich gewesen, hatte sich aber trotzdem Zeit genommen, meinen Körper zu erkunden und auch das letzte Fünkchen Lust aus mir heraus gekitzelt. Im Gegenzug hatte er mich seinen Körper ebenso erforschen lassen.

Sonst hätte ich wohl auch nicht sein Tattoo entdeckt. Ich hätte nie vermutet, dass er eins hat. Dafür schien er mir nicht der Typ zu sein. Aber er hat eins, sogar ein richtig cooles. Es sitzt auf seiner Hüfte auf der rechten Seite und stellt einen Drachen dar. Nicht so einen verniedlichten, kitschigen Drachen, sondern eher so einen Fantasy-Drachen mit rauchenden Nüstern. Er hat mir nicht verraten, warum er dieses Motiv gewählt hat. Vielleicht soll er ihm Kraft geben, stellt so eine Art Rüstung oder einen Beschützer dar, ich habe keine Ahnung. Und ich merke gerade, dass ich schon wieder abschweife.

Diese Nacht war jedenfalls absolut gigantisch und ich bin sicher, genau das Richtige getan zu haben, als ich mit ihm nach Hause gegangen bin. Es war absolut phantastisch und ich bereue es auf keinen Fall. Dass es bei diesem einen Ausflug in sein Bett bleiben wird, ist völlig okay. Das war von vornherein klar gewesen, auch wenn er nichts zu diesem Thema gesagt hatte. Aber so, wie ich ihn einschätze, trifft er sich mit seinen Eroberungen nicht mehrmals. Er hat seine Beute erlegt und die Trophäe an die Wand genagelt. Fertig aus. Ich bin nur eine weitere Kerbe in seiner Bettkante.


"Morgen Robbie."

"Morgen Tom."

"Na, wie war Dein Wochenende?"

Wie immer nutzen Tom und ich die Zeit, bevor der Betrieb richtig losgeht für ein paar private Worte. Dabei genießen wir den einzigen Kaffee, den wir in Ruhe trinken können. Wenn die Telefone erst mal frei geschaltet sind, weiß man nämlich nicht, ob man im Laufe des Tages noch einmal ein paar Minuten Ruhe dafür haben wird.

"Gut, danke."

"Nur 'gut, danke' oder 'richtig gut'?"

"Was willst Du hören?"

"Du siehst aus wie jemand, der Samstagabend nicht alleine aus war."

"Wie bitte? Woran siehst Du das denn?"

"Na ja, ich gebe zu, dass ich es nicht jetzt sehe. Ich habe es allerdings am Samstag gesehen, als ich ganz rein zufällig mit Freunden im Havanna war. War ja ein ziemlich gut aussehender Typ, Dein Begleiter."

"Das ist jetzt nicht wahr, oder?" frage ich kopfschüttelnd.

"Tut mir Leid. Ich hätte 'Hallo' gesagt, aber ich wollte nicht stören. Ihr wart ziemlich miteinander beschäftigt." Er grinst diabolisch.

Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird und ich weiß nicht, was ich antworten soll.

"Und ihr seid dann ja auch ziemlich überstürzt aufgebrochen." Sein Grinsen wird noch breiter.

"Ich glaube nicht, dass Dich der weitere Verlauf des Abends irgendetwas angeht." sage ich und kann nicht verhindern, dass mir ein dämliches Grinsen ins Gesicht schleicht, weil ich natürlich sofort ausgerechnet an den weiteren Verlauf des Abends denken muss.

"Macht nichts." sagt Tom und sieht mich an. "Dein Gesichtsausdruck reicht schon."

Er trinkt einen Schluck Kaffee. "Triffst Du ihn wieder?"

"Ich glaube nicht."

"Oh." Tom zieht die Augenbrauen hoch.

"Nein, nein. Das ist schon Okay." sage ich. "Das war von vornherein klar. Ich glaube auch nicht, dass er unbedingt der Typ für eine Beziehung ist."

"Schade. Ihr beiden saht ziemlich cool zusammen aus."

"Mensch, Tom! Hast Du denn immer noch nicht begriffen, dass es bei uns nicht nur um die Optik geht? Es sind die inneren Werte, die zählen."

Wir lachen leise und trinken unseren Kaffee aus, dann beginnt wieder ein Tag voller genervter Kunden und den verzweifelten Versuchen, ihre Probleme zu lösen.

Als ich nach Hause komme, finde ich einen Brief meiner Versicherung vor, in dem sie mir meinen neuen Prozentsatz für die Beiträge mitteilen. Mist. Natürlich wird es damit wieder teurer. Ich war so stolz gewesen, dass ich schon so weit runter war. Na ja, es ist leider nicht zu ändern. Ich knalle mir eine Pizza in den Ofen, weil ich heute überhaupt keine Lust mehr zum Kochen habe und flegle mich dann auf mein Sofa und lese die Tageszeitung. Morgens beim Frühstück bin ich für Nachrichten aus aller Welt irgendwie noch nicht aufnahmefähig, da überfliege ich nur die Schlagzeilen, damit ich im Büro mitreden kann. Wirklich zum Lesen komme ich immer erst abends.

Nachdem ich meine Pizza verschlungen und ein bisschen in die Glotze gestarrt habe, rufe ich Lutz an, um ein neues Treffen auszumachen. Wir einigen uns auf Mittwoch. Falls ich dann nicht wieder jemandem auf das Auto fahre.


Der Rest der Woche rast nur so vorbei. Ich arbeite, esse, schlafe, treffe mich endlich mit Lutz und Andrea und komme dadurch natürlich wieder viel zu spät nach Hause, so dass ich Donnerstag und Freitag ziemlich müde bin. Als endlich der letzte Feierabend für diese Woche erreicht ist, bin ich heilfroh. Ich wünsche Tom ein schönes Wochenende, packe meinen Kram zusammen und ziehe meine Jacke an.

Ich will nur noch nach Hause, unter die Dusche, dann ein oder zwei Stündchen vor die Glotze und ab ins Bett. Endlich den versäumten Schlaf von Mittwoch nachholen. Bisher sieht es so aus, als würde das auch tatsächlich gelingen. Frisch und duftend, nur mit einem Handtuch um meine Hüften komme ich aus dem Bad und krame voller Vorfreude auf einen ruhigen Abend meinen Jogging-Anzug aus dem Schrank. Dazu dicke Wollsocken, damit es richtig gemütlich wird.

Ich denke darüber nach, ob ich mich dem Fernsehprogramm ergeben und mir ein bisschen Comedy mit reichlich Werbung gewürzt ansehen will, oder ob ich vielleicht noch eine DVD im Schrank habe, die die bessere Wahl wäre. Außerdem freue ich mich schon auf mein Sofa. Ich hole eine Flasche Wein aus der Vorratskammer und trage sie gut gelaunt vor mich hin summend in die Küche, um sie dort zu öffnen. In Gedanken wickle ich mich bereits in meine kuschelige Wolldecke.

Denkste! Prompt klingelt mein Telefon. Oh bitte nicht, nicht heute. Ich will doch nur meine Ruhe. Egal wer das auch ist, ich werde ihn abwimmeln müssen und zwar rasch. Ich drücke die Taste für die Rufannahme und denke sogar daran, mich dieses Mal nicht mit einer Frage zu melden.

"Weiß."

"Hallo Robert. Ich bin's, Sylvian."

"Oh, äh hallo Sylvian." Ich bin verwirrt. Warum ruft er mich wieder an? Ob es jetzt doch Probleme mit der Versicherung gibt? Wollen die möglicherweise nicht zahlen? Aber den Beitrag haben sie schon erhöht, die Schweinesäcke!

"Was gibt's denn?" frage ich in Erwartung unangenehmer Nachrichten.

"Ach, nichts besonderes. Ich wollte nur fragen, ob Du heute Abend schon etwas vorhast."

Hups! Wie kommt denn dieses? Eigentlich müsste ich mich jetzt wohl geehrt fühlen aber ich bin in Gedanken längst bei meinem Sofa und habe überhaupt keine Lust, noch einmal das Haus zu verlassen.

"Also um ehrlich zu sein habe ich schon etwas vor." sage ich. Er muss ja nicht wissen, dass ich lediglich ein Date mit meiner Couch habe, wo ich im Geiste auch schon bin.

"Oh. Schade. Ich dachte wir könnten... ach, egal."

"Vielleicht ein anderes mal." sage ich so daher und nehme mit am Ohr eingeklemmtem Hörer ein Weinglas aus dem Schrank. Dass er sich gerade ganz offensichtlich noch einmal mit mir verabreden will, nehme ich kaum zur Kenntnis, dazu bin ich zu wenig bei der Sache.

"Ja, gern." sagt er fröhlich. "Morgen vielleicht?"

Jetzt allerdings wird es mir bewusst und ich halte erstaunt inne. Hey, der lässt ja nichts anbrennen. Andererseits, unser Treffen letzten Samstag hatte wirklich etwas gehabt. Gegen eine Wiederholung hätte ich nichts einzuwenden. Ich hatte allerdings nicht im Geringsten damit gerechnet, dass das auch bei ihm der Fall ist.

Keine Frage, dass ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lasse!

"Morgen habe ich Zeit." sage ich und werde im selben Moment vor Aufregung ganz kribbelig.

"Toll. Wozu hast Du Lust?" fragt er.

Am liebsten wäre es mir, wenn wir uns nicht erst mit der Vorrede aufhalten, sondern Du mir gleich das Hirn rausvögeln würdest, denke ich und sage: "Wie war noch beim letzten Mal Dein Vorschlag mit dem Bier bei Dave?"

Er schmunzelt. "Gute Idee. Darf ich Dich wieder abholen?"

"Eigentlich bin ich ja dran."

"Darf ich trotzdem?"

"Also gut." Wenn er darauf besteht. Ich bin doch nicht so blöd, mich zu zieren, wenn ich stattdessen herum kutschiert werden kann.

"Super. Wieder gegen neun?"

"Okay."

"Gut. Dann bis morgen. Ich wünsche Dir viel Spaß heute Abend."

"Danke. Bis morgen."

Um ehrlich zu sein freue ich mich riesig darauf, ihn noch einmal wieder zu treffen, auch wenn ich damit niemals gerechnet hätte. Er ist vielleicht doch nicht so ein Arschloch, wie ich ursprünglich dachte. Vielleicht ist er wirklich ganz nett. Außerdem ist er einfach ein toller Typ, da gibt es nichts zu rütteln. Ob ich es wohl wagen darf, ein wenig darauf zu hoffen, dass wir noch einmal in seinem Bett landen werden?


Sylvian ist wieder pünktlich wie die Maurer. Er begrüßt mich lächelnd und mit seinem warmen Händedruck, dann fahren wir in die Stadt. Bei Dave ist es rappelvoll, wie meistens und ich gebe zu, dass ich den Laden auch deshalb ausgewählt habe, weil ich ein bisschen mit ihm angeben will. Er sieht aber heute auch wieder zum Anbeißen aus in seiner engen Hose und dem ärmellosen Shirt. Allein seine Oberarme sind sensationell.

Obwohl er dort sicherlich jeden haben könnte, wendet er sich ausschließlich mir zu. Keine Blicke über meine Schulter, wenn ich nicht hinsehe, keine Flirtereien hinter meinem Rücken. Er spricht nur mit mir und sieht ausschließlich mich an. Seine Umgangsformen sind wirklich perfekt. Ich fühle mich absolut begehrt.

Nachdem wir uns den ganzen Abend lang ausgesprochen gut unterhalten haben und viel Spaß miteinander hatten, stellt er mir am Ende wieder die Frage, ob ich ihn noch nach Hause begleiten will. Was mich maßlos erstaunt ist die Tatsache, dass er tatsächlich auf meine Antwort zu warten scheint. Also ist er sich dieses Mal wohl nicht so sicher, dass ich zusagen werde. Aber natürlich will ich! Und ob! Dieses Mal weiß ich ja sogar schon, was ich andernfalls versäumen würde.

Wir fahren mit seinem Auto zu ihm, dieses Mal hat er nichts getrunken und ich hatte auch nicht viel. Heute, in fast nüchternem Zustand, lediglich berauscht von der Leidenschaft, ist es beinahe noch besser als beim letzten Mal. Er ist wirklich ein ganz wundervoller Liebhaber. Er ist unglaublich sanft und zärtlich, so gar nicht, wie man sich einen One-Night-Stand üblicherweise vorstellt. Eigentlich ist es ja jetzt auch schon keiner mehr, schließlich ist es bereits unsere zweite Nacht. Ich bin so gebannt von ihm, dass ich nicht mal Gelegenheit habe, abzuschweifen und darüber nachzudenken, ob es wohl auch Two-Night-Stands gibt...

Wie auf Wolken schwebe ich wieder einmal nach Hause. Das war wirklich eine der besten Nächte in meinem Leben. Trotzdem gehe ich nicht davon aus, dass wir uns noch einmal wieder treffen werden. Wir sind immer noch viel zu verschieden und das wird sich wohl auch nicht ändern.

Kapitel drei – Eine seltsame Beziehung

Im Laufe der nächsten Wochen wird mir langsam aber sicher klar, dass wir uns wohl doch immer wieder treffen werden, zumindest eine gewisse Zeit lang. Schätzungsweise so lange, bis er genug von mir hat. Vielleicht wäre es besser für mich, wenn ich mich nicht darauf einlassen würde, aber ich kann nicht anders. Freiwillig auf das zu verzichten, was er in der Lage ist, mit mir anzustellen, wäre total bescheuert. Ich darf nur nicht den Fehler machen, mehr als das zu erwarten.

Nach unserem letzten Treffen hatte er nicht einmal bis zum nächsten Wochenende gewartet, sondern schon mittwochs angerufen und mich um ein weiteres Treffen gebeten. Wir hatten uns am nächsten Abend bei ihm zu Hause getroffen, in seinem ungemütlichen Wohnzimmer zuerst ein Glas Wein getrunken - er hatte einen sündhaft teuren Tropfen an eine Banause wie mich verschwendet - und sind danach in seinem Schlafzimmer verschwunden.

Samstags waren wir zusammen essen. Er hatte mich in ein sensationelles Steak-Hopse entführt, wo er mich wieder mit seiner absolut selbstbewussten Art beeindruckt hatte. Sonderwünsche sind bei Herrn Schwarz weder eine Seltenheit noch ein Problem. Auf das großartige Essen folgte eine mindestens genau so großartige Nacht in seinem Bett.

In der Woche darauf lief es nicht viel anders. Er scheint es tatsächlich nicht mehrere Tage nacheinander ohne mich auszuhalten. Ein bisschen erstaunt es mich, weil er doch bestimmt jeden Kerl haben könnte, den er will aber ich halte schön meinen Mund und genieße es, so lange es dauert.

Inzwischen haben wir irgendeine Art von Beziehung, die ich nicht in allgemein verständlichen Worten definieren kann. Ich würde ihn nicht wirklich als meinen festen Freund bezeichnen, aber über eine reine Bettgeschichte geht die Sache schon hinaus. Auch wenn wir bei jedem unserer Treffen irgendwann genau dort landen.

Trotzdem gibt es auch eine Menge anderer Dinge, die wir zusammen unternehmen. Er führt mich zum Essen aus, wir gehen ins Kino oder einfach nur etwas trinken. Und wir haben eine Menge Themen, über die wir uns unterhalten können. Auch wenn wir irgendwie aus völlig verschiedenen Welten kommen, liegen wir trotzdem auf einer Wellenlänge. Ich fühle mich einfach unglaublich gut, wenn wir zusammen sind. Er gibt mir das Gefühl, der tollste Mensch auf der Welt zu sein, indem er mir seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt.

Auch unsere kleinen verbalen Spielchen, die wir immer noch spielen, machen Spaß. Meistens ist er zwar der Sieger, aber ich werde immer besser! Hin und wieder bringe ich ihn schon zum staunen.

Leider sind wir immer nur allein unterwegs. Ich kenne keinen seiner Freunde und er keinen von meinen. Auch war er noch nicht ein einziges Mal bei mir, außer um mich abzuholen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er immer noch eine gewisse Distanz hält, zumindest in der Öffentlichkeit.

Ganz anders ist es, wenn wir allein sind. Dann ist er liebevoll, aufmerksam und zärtlich. Im Bett habe ich dieses Gefühl, das mir sonst manchmal fehlt. Dieses Gefühl der Vertrautheit, dass man zusammen eine Einheit bildet. Dann ist es fast so, als seien wir wirklich zusammen.

Ich habe keine Ahnung, was wir nun tatsächlich sind und am Anfang war das für mich auch nicht wichtig. Ich hatte Spaß mit ihm und habe mich über jedes weitere Treffen einfach nur gefreut. Inzwischen aber merke ich, dass mir diese Ungewissheit mehr und mehr missfällt. Ich wünschte, wir wären richtig zusammen, denn ich fürchte, dass ich mich im Laufe der Zeit ein bisschen in ihn verliebt habe. Leider weiß ich nicht, wie er die Sache sieht, denn darüber sprechen wir nie. Die Art unserer Beziehung scheint das einzige Thema zu sein, das wir immer ausklammern.

Heute Abend sind wir wieder einmal bei ihm verabredet und während ich mich anziehe, beschließe ich, dieses endlich zur Sprache zu bringen und dann hoffentlich Klarheit darüber zu bekommen, was wir da eigentlich zusammen haben. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich damit ein Risiko eingehe, denn er wird nicht ohne Grund einen weiten Bogen um dieses Thema machen. Aber selbst wenn er mir ganz direkt sagt, dass aus uns nie ein Paar werden wird, kann ich besser damit leben als mit dieser Ungewissheit.

Die Treppen zu seiner Wohnung hinauf sind mir schon richtig vertraut und ich denke noch einmal nach, während ich hinauf gehe. Ich weiß, dass ich möglicherweise unsere was-auch-immer-Beziehung riskiere, wenn ich eine Definition dafür einfordere, aber so geht es einfach nicht weiter. Ich komme mir vor wie eine Affäre, die zweimal in der Woche in ein schmuddeliges Hotelzimmer geführt wird, aber sonst nicht vorzeigbar ist. Natürlich ist das Quatsch, schließlich geht er auch mit mir aus und seine Wohnung ist alles andere als ein schmuddeliges Hotelzimmer, trotzdem habe ich das Gefühl, dass er mir irgendetwas von sich vorenthält. Sein Leben nämlich.

Er begrüßt mich zurückhaltend an der Tür und umarmt mich erst, als sie geschlossen ist. Wenn er wirklich so selbstbewusst ist, warum tut er dann immer so heimlich? Überhaupt ist er heute komisch. Irgendwie verschlossen. Das fällt mir sofort auf.

"Komm rein. Möchtest Du etwas trinken?" fragt er und bittet mich mit einer einladenden Handbewegung herein. Ich will nur ihn und zwar sofort. Immerhin riskiere ich heute, dass es das letzte Mal sein könnte.

"War ich je hier, um etwas zu trinken?" Wie klingt das denn? Als wäre ich nur zum vögeln hier. Dabei ist das totaler Blödsinn.

Er lächelt nicht und atmet tief durch. "Eher nicht, oder?"

"Nein."

Er nimmt meine Hand und führt mich in sein Schlafzimmer, den einzigen Raum seiner Wohnung, den ich mag. Denn es ist ehrlicher als der Rest. Es zeigt, wie er wirklich ist.

Drinnen schließt er mich wieder in seine Arme und küsst mich leidenschaftlich. Seine Hände wandern unter mein Shirt und streicheln über meinen Rücken. Obwohl er darum bemüht ist, mir die gleiche Zärtlichkeit entgegen zu bringen, wie sonst auch, wirkt er abwesend. Je öfter er mich küsst, je mehr er mich streichelt umso unwohler fühle ich mich. Was ist hier los? Hat er einen anderen? Hat er kein Interesse mehr an mir? Oder was? Vielleicht bin ich nicht der einzige, der heute unsere Beziehung riskiert.

Ich verdränge den Gedanken daran und gebe mich seinen Zärtlichkeiten hin. Ich will diesen Abend genießen, auch wenn es wirklich das letzte Mal sein sollte. Reden können wir schließlich immer noch.

Auch er findet bald zu seiner üblichen Form zurück. Ganz langsam schält er mich aus meinen Kleidern, küsst und streichelt mich überall und treibt mich wieder einmal zu unglaublichen Höhenflügen.

Als wir hinterher entspannt nebeneinander liegen, ich mit dem Kopf auf seiner Brust, und unsere Finger gedankenverloren miteinander spielen, sagt er leise "Du weißt, dass ich Dich sehr gern habe, oder?"

Seine Worte machen mir eine Gänsehaut. Was will er damit sagen? Das klingt wie die Einleitung zu einem Gespräch, das mir vermutlich nicht gefallen wird, denn es klingt nach 'Aber...'.

"Robert?" Er hat mir immer noch keinen Spitznamen verpasst, aber die Zärtlichkeit, mit der er meinen Namen sagt, ist viel mehr wert.

"Ja." hauche ich. "Das weiß ich."

"Das ist gut. Denn das habe ich wirklich."

"Sylvian..." Ich will ihm sagen, dass ich ihn mehr als gern habe, dass ich ihn liebe und mir wünsche, wir wären richtig zusammen, aber er legt mir den Finger auf die Lippen.

"Schhhh..."

Er dreht sich zu mir, zieht den Finger weg und küsst mich. Dann streicht er mir das Haar aus der Stirn und zerwühlt es. Er lächelt. Seine Finger kraulen meinen Nacken und er küsst mich wieder und wieder, während er mich fest an sich zieht. Mein Widerstand ist bereits gebrochen, als seine Hände sich wieder an meinem Körper hinab schieben.

Wieder zu Hause werfe ich mich enttäuscht auf mein Bett und starre an die Decke. Ich verfluche meine Feigheit. Ich hätte ihn wirklich fragen sollen, er hat mir ja quasi die Vorlage dazu geliefert. Aber ich Blödmann habe es nicht fertig gebracht. Jetzt bin ich genau so schlau wie zuvor. Missmutig verschränke ich die Arme unter meinem Kopf und betrachte die ausgeschaltete Deckenlampe. Ich sollte den äußersten Spot ein bisschen mehr zur Seite drehen, dann könnte ich die T-Shirts im Schrank besser erkennen.

Stopp! Lenk nicht ab, Robert! Du warst gerade dabei, Dich über Deine Feigheit zu ärgern. Und darüber, dass Du immer noch nicht mehr über die Beziehung zu Sylvian weißt. Seufzend drehe ich mich auf die Seite und ziehe die Beine an. Ich weiß immer noch nicht, wie es weiter gehen soll.

Nein, stimmt nicht. Er hat gesagt, dass er mich gern hat. Das heißt also, dass es auch für ihn mehr ist, als nur Sex. Vielleicht ändert sich ja jetzt etwas. Vielleicht werden wir ja doch ein richtiges Paar.


Von einem 'richtigen' Paar ist leider auch in der nächsten Zeit nichts zu merken. Unsere nächsten Treffen verlaufen ähnlich, wie auch schon die vorherigen, wenn man das letzte Treffen einmal ausklammert. Leider kehren wir zurück zu der einerseits unverbindlichen und andererseits leidenschaftlichen Art der Freizeitgestaltung, die wir auch schon vorher hatten. So auch heute Abend.

Dieses Mal waren wir zuerst im Kino, haben uns "Das Bourne Ultimatum" angesehen und gemeinsam von Matt Damon geschwärmt. Aber nicht einmal, als es dunkel war, hat er seine Hand auf mein Bein gelegt oder meine Hand gehalten. Nichts dergleichen. Trotzdem waren wir unglaublich vertraut miteinander, sein Knie berührte meines und wenn er mir etwas zugeflüstert hat, kitzelte sein Atem mein Ohr. Aber es waren nicht nur diese kleinen Gesten, die unsere Verbundenheit dokumentierten, sondern vor allem die Art, in der er mit mir sprach. Es war nicht in der Art, wie er sonst öffentlich spricht, distanziert und perfekt, sondern in der leisen, zärtlichen Art, die allein mir vorbehalten ist.

Nach dem Kino sind wir - wohin wohl? - zu ihm zu Hause gegangen, wo wir jetzt im Bett sind und es richtig heftig krachen lassen. Wir waren beide heiß und aufgekratzt gewesen und hatten keinen Nerv für langsame, sanfte Zärtlichkeiten gehabt. Unsere Sachen hatten wir uns eilig herunter gerissen und waren übereinander her gefallen, wie verhungerte Tiere.

Er liegt auf mir und rammt mich mit festen, tiefen Stößen fast durch die Matratze. Dabei ist er heftig, aber nicht brutal. Wahrscheinlich wird sein Bett danach wieder aussehen wie Sau, denn er hat wirklich Unmengen von dem Gleitgel verwendet. Das tut er immer. Er sagt, lieber bezieht er hinterher das Bett neu, als dass er mir den Hintern aufreißt.

Er keucht wie ein Tier, mit geschlossenen Augen, und ich glaube, ich werde jeden Moment ohnmächtig. Dann kommt bei mir endlich der erlösende Moment und fast im gleichen Augenblick presst auch er sich mit einem lauten Stöhnen ganz fest gegen mich. Ich spüre sein Zucken in meinem Inneren und ich spüre, wie seine Anspannung verschwindet. Atemlos lässt er sich auf mich herunter sinken, küsst meine Halsbeuge und nuschelt "Ich liebe Dich so sehr."

Ich bin nicht sicher, ob ich es verstehen sollte, aber ich habe die Worte ganz deutlich gehört. Ich schlinge die Arme um ihn und drücke ihn ganz fest an mich. Dann antworte ich schnell "Ich liebe Dich auch wie verrückt.", bevor er mir wieder den Finger auf die Lippen legen und mich zum Schweigen bringen kann.

Er stemmt sich ein bisschen hoch und sieht mich an. Dann lächelt er. "Das war echt heftig, gerade, was? Hab ich Dir weh getan?"

"Nein." flüstere ich ebenfalls lächelnd. "Gar nicht."

Er küsst mich sanft. "Ich kann aber auch ganz anders."

"Ich weiß."

"Hättest Du es lieber anders gehabt?"

"Die Nacht ist noch nicht vorbei." sage ich leise.

Sein Lächeln wird breiter. Er küsst mich wieder und rollt sich dann von mir herunter. Seine Hand wandert in meinen Nacken, krault mich dort und zerwühlt mein Haar. Dann legt er die Hand auf meine Hüfte, streichelt mich zärtlich und spielt mit den Fingern auf meiner Haut. Damit jagt er mir eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken.

Er neigt sich vor, küsst meine Schulter, knabbert daran, kitzelt mich mit seiner Zunge, die dann langsam über meine Brust wandert.

Wir lieben uns noch einmal, aber dieses Mal ganz langsam und ganz zärtlich. Es ist völlig anders, als beim ersten Mal, aber ich könnte nicht sagen, dass es besser oder schlechter wäre. Mit ihm zusammen ist es immer wundervoll. Immer genau so, wie es sein sollte.

"Willst Du heute Nacht hier bleiben?"

Es ist das erste Mal, dass er mir diese Frage stellt. Bisher bin ich immer noch in der Nacht nach Hause gefahren. Am Anfang fand ich das noch nicht einmal schlimm aber im Lauf der Zeit war der Wunsch, nicht jedes Mal nachts aufbrechen zu müssen, immer größer geworden. Heute ist es also endlich so weit. Und gerade jetzt muss ich absagen.

"Ich würde gerne, wirklich. Aber ich muss morgen arbeiten."

"Na und? Ich auch."

"Ja, klar. Wann fängst Du an? Um neun?" Ich hingegen beginne bereits um sieben. Da muss ich ohnehin schon früh genug aufstehen.

Er sieht ein bisschen beleidigt aus. "Du glaubst immer noch, ich schiebe da die ganze Zeit eine ruhige Kugel, oder?"

"Nein, Ich dachte nur... ach, vergiss es. Du hast mir ja schon oft genug gesagt, dass Du für Dein Geld hart arbeiten musst. Tut mir Leid." Ich küsse seinen Oberarm.

Er räkelt sich auf dem Laken herum und sieht mich lüstern an. "A propos 'hart'..." Sein Blick wandert an sich herunter, um meinen auf eine ganz bestimmte Stelle zu lenken. Das gibt's doch gar nicht!

"Sag nicht, Du könntest schon wieder?"

Er grinst. "Gibst Du etwa schon auf?"

"Du bist ein Sexmonster, weißt Du das eigentlich?"

"Ich hörte davon."

Ich boxe ihn sanft gegen die Rippen. "Blödmann." Dann küsse ich ihn und arbeite mich anschließend von seinen Lippen ausgehend an seinem Körper herunter.

"Dann will ich mal sehen, was ich dagegen tun kann." flüstere ich auf seiner Haut, so lange ich noch sprechen kann.

Obwohl ich wirklich nur zu gern bei ihm geblieben wäre, fahre ich noch nach Hause, auch wenn ich dadurch jetzt noch eine halbe Stunde weniger Schlaf bekomme. Aber schon um fünf aufzustehen, um vor der Arbeit noch nach Hause zu können, erschien mir als eine denkbar schlechte Lösung. Und direkt von Sylvian aus ins Büro zu fahren, in den Klamotten, die ich heute Abend an hatte, wäre auch nicht besser gewesen.

Ich hoffe nur, er fragt mich trotzdem noch einmal wieder danach, ob ich bei ihm bleiben will. Dann sage ich bestimmt nicht 'nein'.


"Uhhhh." sagt Tom und runzelt die Stirn. "Wer hat denn da nicht geschlafen?"

"Ich habe geschlafen." maule ich zurück und reibe mir die Augen. Hoffentlich wirkt dieser verdammte Kaffee endlich.

"Aber entweder nicht allein oder nicht genug." grinst er.

"Oder beides." grinse ich zurück.

"Hast Du wieder Deinen Supermann getroffen?"

"Habe ich."

"Seid Ihr denn jetzt doch so richtig zusammen?"

"Wenn ich das wüsste. Irgendwie ja, aber manchmal weiß ich es nicht mit Sicherheit."

"Das wäre nichts für mich. Entweder bin ich mit jemand zusammen oder nicht."

"Ich kann das auch nicht erklären. Aber immer, wenn wir uns treffen, fühlt es sich gut an."

"Na ja, Du musst das ja wissen. Schließlich musst Du ja damit leben."

Danke, dass er mich wieder daran erinnert hat, dass ich selbst auch voller Zweifel bin, ob es das ist, was ich wirklich haben will. Warum muss das immer so kompliziert sein? Erst fühlte es sich so gut an und war so easy. Am Anfang, als alles nur Spaß war. Und jetzt? Kommt Liebe ins Spiel und alles wird kompliziert. Ob wir die Zeit noch mal zurück drehen können? Zurück zu der Zeit, als wir einfach nur etwas Spaß miteinander hatten? Nein, wohl kaum. Jetzt bleibt uns wohl nur noch die Entscheidung, ob ganz oder gar nicht. Hoffentlich entscheidet er sich nicht für 'gar nicht'.

Abends zu Hause bedaure ich, dass ich niemanden habe, mit dem ich darüber reden kann. Dass ich keinen besten Freund oder eine beste Freundin habe. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, in denen es wirklich blöd ist, dass ich niemanden habe, mit dem ich einfach alles besprechen kann. Aber seit meiner Schulzeit gibt es eine solche Person nicht mehr. In der Grundschule hatte ich mal einen besten Freund und auch am Anfang auf der Realschule hatte ich ein paar gute Freunde. Als mir dann aber langsam klar wurde, dass ich die anderen Jungs nicht nur interessiert, sondern bisweilen auch erigiert betrachtete, habe ich mich von zu engen Freundschaften zurückgezogen. Wenn meine damals noch heimliche Leidenschaft entdeckt worden wäre, hätte ohnehin niemand mehr etwas mit mir zu tun haben wollen.

Jetzt allerdings bin ich dadurch völlig allein. Klar könnte ich Lutz anrufen und mit ihm sprechen, oder Andrea. Aber ich glaube nicht, dass die beiden meine derzeitigen Probleme in irgendeiner Weise nachvollziehen könnten. Dazu bräuchte ich wohl eher einen guten Freund, der selbst schwul ist und die wachsen nun wirklich nicht auf Bäumen. Bisher waren alle anderen Schwulen, die ich kennen gelernt habe, entweder potentielle Sexpartner oder Konkurrenz. Ein potentieller guter Freund war leider noch nicht dabei.

In Ermangelung eines Gesprächspartners grüble ich allein herum. Das ist nicht nur frustrierend, sondern auch ausgesprochen ineffektiv, wie ich feststellen muss, denn ich drehe mich wie ein Furz im Kreis, während ich immer nervöser und unruhiger werde.

Schluss damit! Ende, aus! Ich verlasse meine Wohnung und laufe ziellos umher. Wie um alles in der Welt kann ich bloß diese Gedanken loswerden? Es gibt nur eine Möglichkeit. Ich muss Sylvian sehen. Und zwar sofort.

Ich weiß, dass er abends meistens lange arbeitet, aber es ist schon acht Uhr und ich gehe davon aus, dass er inzwischen zu Hause ist. Also fahre ich einfach los, bevor mich wieder die Feigheit überkommt.

Ich klingle an der Haustür und warte auf den Summer. Stattdessen rauscht die Sprechanlage.

"Ja, bitte?"

"Hi Sylvian. Ich bin's."

Anstatt einer Freudenbekundung höre ich nur Schweigen. Dann rauscht es wieder und seine Stimme sagt deutlich zu kühl für meinen Geschmack "Tut mir Leid, Robert. Das ist jetzt gerade nicht so günstig."

Was soll das denn bedeuten? Hat er einen anderen Typen dort oben? Was macht er gerade? Wie konnte ich nur glauben, ich wäre der einzige? Er hat doch auch vor mir schon wer weiß wie viele Typen geknallt, warum hätte er damit plötzlich aufhören sollen, nur weil wir uns ein paar Mal getroffen haben? Wie konnte ich nur glauben, wir hätte eine Beziehung? Oder zumindest etwas Ähnliches? Ich war so dämlich!

"Okay, schon gut, ich gehe wieder. Ich wollte Dich nicht stören." sage ich zynisch zu dem Gitter der Sprechanlage.

"Nein, Robert, warte." Er atmet tief durch. "Mein Vater ist hier. Es ist wirklich ungünstig jetzt."

Er klingt genervt. Ich weiß bloß nicht, ob von mir oder von seinem Vater.

"Rufst Du mich an?" Mit bebendem Herz warte ich auf die Antwort und habe irgendwie kein gutes Gefühl dabei, obwohl ich jetzt zumindest schon einmal weiß, dass er keinen anderen Kerl in der Wohnung hat. Jedenfalls keinen, den er flach legt. Es dauert einen kleinen Moment, bis er antwortet.

"Nein. Komm rauf."

Die Tür summt und ich drücke sie auf. Als ich nach oben gehe, habe ich ein ganz dummes Gefühl im Magen. Es scheint mir, als würde ich heute zum letzten Mal hier hoch gehen. Keine Ahnung, woher das kommt.

"Hallo Robert." Sylvian begrüßt mich mit seinem offiziellen Fremde-Leute-Tonfall, nicht in der Art, wie er sonst mit mir spricht. Er öffnet mir die Tür und lässt mich herein, ohne mich zu berühren oder auch nur intensiv anzusehen. Ich fühle mich unwohl, folge ihm aber ins Wohnzimmer. Dort sitzt sein Vater auf einem der Designer-Sessel und findet diesen offensichtlich genau so unbequem, wie ich. Sein Kopf ist schon wieder beängstigend rot.

Sylvian nimmt eine etwas steife Körperhaltung ein und sagt zu ihm "Dad, Du erinnerst Dich sicher noch an Robert Weiß." Dann wendet er sich zu mir und sagt "Und Du kennst sicherlich meinen Vater noch. Siegfried Schwarz."

Oh ja, und ob ich ihn noch kenne!

Ich reiche seinem Vater die Hand und nicke. "Guten Abend, Herr Schwarz."

Abwesend drückt er kurz meine Hand, ohne mit mir zu reden. Ich habe den Eindruck, er nimmt mich nicht mal zur Kenntnis. Und er erkennt mich auf keinen Fall wieder, das sehe ich ganz deutlich. Dann springt er aus dem Sessel auf und sagt zu Sylvian, während er mit dem erhobenen Zeigefinger droht: "Glaub nicht, dass Du damit durchkommst, Bursche. Denk dran, der Termin steht felsenfest."

Danach verlässt er ohne ein Wort der Verabschiedung mit schnellen Schritten die Wohnung und die Tür klappt hinter ihm ins Schloss. Das, was Sylvian an perfekten Umgangsformen zeigt, geht seinem Alten völlig ab.

Sylvian setzt sich auf die Kante eines Sessels und vergräbt das Gesicht in den Händen. Er sagt kein Wort und er rührt sich auch nicht. Ich stehe blöd in der Gegend herum und fühle mich absolut überflüssig. Es war eine selten dämliche Idee, unangemeldet hierher zu kommen.

"Tut mir Leid, dass ich ungelegen komme. Ich gehe wieder, wenn Du willst."

"Nein, bleib bitte." murmelt er hinter seinen Händen. Dann lässt er sie sinken.

"Hast Du Ärger mit ihm?" frage ich.

"Ja, so könnte man das nennen." Er sieht mich an und lächelt. "Vergiss es einfach, okay?"

Dann steht er auf und nimmt mich endlich in die Arme. "Ich hoffe, Du bist nicht zum Reden hier. Ich habe für heute echt genug gehört."

"Dann halte ich einfach die Klappe, in Ordnung?" Ich küsse ihn und er schmiegt sich seufzend in meine Arme. Es ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, der Starke und Selbstbewusste von uns beiden zu sein. Ich streiche ihm durchs Haar und küsse seine Schläfe.

"Bleibst Du bei mir heute Nacht?" fragt er leise.

"Natürlich." antworte ich.

Wir kuscheln uns in seinem Bett aneinander und schlafen zum ersten Mal nicht miteinander. Sylvian ist total ausgehungert nach Zärtlichkeiten. Wir streicheln einander sanft und unsere Küsse sind zärtlich und verspielt.

Leider erzählt er mir nicht, worum es bei dem Streit mit seinem Vater ging. Aber ich dränge ihn auch nicht. Er wird es mir schon erzählen, wenn er das will.

Kapitel vier – Eine böse Überraschung

Auch in den nächsten Wochen erfahre ich nicht, worüber er und sein Vater gestritten haben. Er scheint es bereits nach kurzer Zeit erfolgreich verdrängt zu haben, jedenfalls ist es kein Thema mehr. Entweder ging es ums Geschäft oder es war so ein Vater-Sohn-Ding, wie sie eben schon mal vorkommen.

Leider schaffe ich es immer noch nicht, mit ihm über uns und über die Art unserer Beziehung zu reden. Ich lasse es bleiben, weil ich mich nicht allzu sehr hinein steigern will, obwohl er derjenige von uns beiden ist, der immer mal wieder von 'Liebe' spricht. Ich vermeide es, darüber zu sprechen, jedenfalls dann, wenn er nicht davon anfängt.

Wir finden ein bisschen zu der Unbeschwertheit der ersten Treffen zurück, genießen einfach die gemeinsame Zeit, haben Spaß miteinander und genießen natürlich auch den großartigen Sex, den wir haben.

An einem Donnerstagabend, ein paar Wochen später, verabschiede ich mich gerade wieder einmal von ihm. Wir tun das immer hinter der geschlossenen Tür, damit uns die Nachbarn nicht beobachten können.

Wir halten uns in den Armen und küssen uns zärtlich. Überhaupt war er heute schon die ganze Zeit ganz besonders anschmiegsam und liebevoll.

"Wie wäre es, wenn Du am Samstag mal zu mir kommst?" frage ich ihn, schließlich war er immer noch nicht in meiner Wohnung außer, um mich abzuholen. "Ich könnte etwas für uns kochen und dann machen wir es uns gemütlich. Wir könnten eine DVD schauen oder so."

"Ich kann Samstag nicht." sagt er sehr leise und sieht mich dabei nicht einmal an.

"Oh, schade. Was hast Du denn vor? Musst Du wieder zu einem offiziellen Termin?"

Bisher war es immer irgendein repräsentativer Mist gewesen, wenn er mich mal versetzen musste.

"Ja, das könnte man sagen." antwortet er immer noch sehr leise, den Blick fest auf den Boden geheftet. Seine Hände, die gerade noch auf meinen Oberarmen lagen, sinken leblos herunter. Verwirrt sehe ich ihn an.

"Was ist los?" frage ich leise.

"Am Samstag ist meine Verlobungsfeier." sagt er so leise, dass ich mich ganz kurz frage, ob ich richtig gehört habe.

"Bitte was ist am Samstag?" frage ich fassungslos und fühle mich, als wäre mir gerade mein Gehirn abhanden gekommen. Ich MUSS mich verhört haben!

"Meine Verlobungsfeier. Ich werde nächstes Jahr heiraten."

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