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Mein Montag der 30.07.2007

Eine wahre Geschichte

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Es geht mal wieder um meinen Freund.

Also, ich hatte dir ja sicher erzählt, dass er übers Wochenende zu seinen Eltern gefahren ist und ich ihm angedeutet hatte, dass ich am Montag kommen würde, um ihn zu besuchen, aber erst nach 9 Uhr.

Gesagt, getan! Ich war also so 8 vor 10 in Dresden.

Ich ließ mir Zeit, bummelte, schaute mir dies und das an, ließ mich von Umweltschützern beschwatzen und ging dann zu seiner Wohnung, mit der raffinierten Idee, ihn zu überraschen.

Es ist heute ein recht windiger Tag, Watson. Die Regentropfen fallen in kleineren Schauern, ab und zu blinkt die Sonne zwar durch, doch weht der Wind recht kräftig um mein Toupet.

So hätte es Sherlock Holmes sicher umschrieben, das heutige Wetter.

Mein Liebster wohnt in einem flachgebäudigen Komplex mit vielen Fenstern und ein paar wenigen Balkons, die bis zur 10. Etage reichen. Eine Seite führt zu der Hauptstraße, abgegrenzt von üppigem Grün und die andere auf die Wohngebäudeebene.

Ich stellte mich auf das üppige Grün, denn aufgrund eines früheren Besuchs konnte ich mich erinnern, dass sein Fenster zur Hauptstraße zeigte. So bugsierte ich mich stehend, bewaffnet mit einen Regenschirm, einer Tasche voll süßem Zeug, Wasser und einer Decke, einem Handy und leichter Kleidung aus Jeans, Hemd und Pulli, auf die genannte Fläche!

Dort harrte ich aus. Mit meinem Handy gab ich einen etwas unwichtigen Text über das Wochenende und wie es ihm gefallen hätte ein, mit dem Anhang, welcher lautete „Schau was steht da unterm Fenster“, dies mit der unlauteren Absicht, dass er aus seinem Fenster schaute. So schickte ich diese Kurznachricht zu ihm. Dann wartete ich einige Minuten und schaute wie gebannt auf das Fenster. Es passierte nichts. Ich entschloss mich, mein Handy zu zücken und ihn anzuklingeln. Immer noch geschah nichts. Nach fünf Minuten des Wartens klingelte ich ihn wieder an, diesmal etwas länger. Nichts! Dann nach weiteren fünf Minuten noch einmal, noch etwas länger. Dann ging die scheiß Mailbox ran, 81 Cent weniger! Und ... NICHTS! So versuchte ich es etwa alle fünf Minuten immer wieder und dies in einem Zeitraum von 2 Stunden. Innerhalb dieser Zeitspanne fing ich mehrere merkwürdige Dinge an.

Erstens, ich fing an zu frieren. Zweitens, ich fing an auf einem Fleck zu tanzen, weil mir kalt war. Drittens, ich fing an zu zweifeln, ob der Andere mich überhaupt mochte. Viertens, ich lief im Kreis, weil meine Hände vor Kälte zitterten. Fünftens, ich überlegte, ob ich nicht an der Haustür klingeln sollte, auch auf die Gefahr hin falsch zu klingeln oder von seinem Mitbewohner, seinem Ex, erwischt zu werden, ihm damit riesigen Stress zu machen und meine sich anbahnende Beziehung in den Sand zu setzen. Sechstens, ich versuchte mich zwischendurch abzulenken und die mich beobachtenden Leute zu ignorieren. Siebtens, ich aß etwas, in der Hoffnung, dass die chemischen Reaktionen in meinem Körper für Wärme sorgen würden. Achtens, ich merkte, dass es half, auch wenn der starke Wind und der Regen diesen Effekt zunichte machten. Neuntens, ich wärmte mich in den kurzen Perioden, wo die Sonne schien. Zehntens, ich beschwerte mich über ihn, weil ich glaubte, dass er noch schlief oder mich ignorierte. Elftens, ich holte meine Decke heraus und zog sie mir über, weil ich den Wind nicht mehr abkonnte. Zwölftens, ich verzweifelte an dem Gedanken, dass der Andere mich absichtlich ignorierte, weil er sicherlich gegen zwölf Uhr wach werden und das ständige Klingeln seines Handys hören müsste. Dreizehntens, ich setzte mich mit meinem Handy, der Decke und dem offenen Regenschirm hin, weil ich durchweg gestanden hatte und einfach nicht mehr konnte. Vierzehntens, ich stand kurz davor aufzugeben, alles hinzuschmeißen, das Haus in die Luft zu sprengen oder wenigstens ein oder zwei Steine an sein Fenster zu werfen, auch wenn ich hundertprozentig nicht bis in den sechsten Stock werfen könnte.

Nachdem nun durch den Wind und durch den Regen meine Moral fast schon gebrochen war, ich eigentlich wenigstens für eine halbe Stunde zum Bahnhof um die Ecke gehen wollte, etwas Warmes essen und trinken wollte, geschah das Unglaubliche.

Die Samariter des Wohnblocks kamen, in der Gestalt einer alten und einer jungen Frau. Ich wurde ausgefragt, warum ich hier stehen würde. Ich sagte wahrheitsgetreu: „Ich warte!“. Sie wollten dann doch, dass ich irgendwo warten sollte, wo es wenigstens windstiller oder sogar wärmer war. Doch aus Furcht, dass er mich nicht mehr sehen könnte, wollte ich meinen Posten nicht verlassen. Aber da ich schon seit 2 Stunden in der Kälte stand, dacht ich mir, na gut, gehst du rein. So lief ich geschwind zum Eingang, der wesentlich wärmer war, als das was mir draußen geboten wurde. Doch stand ich nun im Hauseingang vor den Briefkästen und den Türklingeln, allein, verlassen von allem Mut und aller Zuversicht. Mein Finger schwebte über dem vermeintlichen Nachnamen des Anderen, abwartend, dass sich der Verstand dazu bereit erklärte, über alle Angst hinaus zu klingeln. Doch keine Chance, der Wille blieb unerbittlich stur.

Fast zitternd vor Kälte und Unsicherheit stand ich da. Da hörte ich ein Geräusch, doch bevor ich zur Flucht ansetzen konnte, kam eine ältere Dame mit feurig rotem Haar und fragte mich, wer ich sei, ob ich Ungar sei und was ich wollte. Ich sagte nur kurz, dass ich kein Ungar sei, aber den Herrn besuchen wollte, auf dessen Türschild ich zeigte. Sie schob meinen wackligen Finger beiseite und drückte beherzt auf das Schild, so dass es wahrscheinlich in der Wohnung laut schrillen musste. Doch nichts geschah. Noch einmal setzt sie an und klingelte. Doch wieder nichts. Dann meint sie, ich solle doch vor der Tür warten. Ich versuchte mich zu wehren, doch schon befand ich mich im sechsten Stock vor der Tür meiner Sehnsüchte. Ich starrte direkt auf diese geschlossene Pforte.

Meine Wohltäterin fragte mich, ob sie mir noch etwas bringen sollte, etwas zu Essen, zu Trinken oder wenigsten einen Stuhl. Doch diesmal konnte ich beherzt und dankend absagen. So verließ sie mich nach einem kleinen Plausch über die Bewohner der Wohnung, dass sie glaubte, es wäre ein Ehepaar, worauf ich ihr sagen musste, dass es zwei junge Stundenten waren. Dass ich in einen von beiden verliebt und deshalb hier war, ließ ich aus.

So stand ich dann wieder allein, doch diesmal vor der verschlossenen Tür, aber im Warmen, ohne Wind und Regen.

Doch musste ich immer noch warten, starrte unablässig auf das Holz vor mir, achtete auf jeden Zentimeter den es sich nicht bewegte.

Wieder eine halbe Stunde, das Szenario des Anklingelns im Fünf-Minuten-Takt blieb unablässig. Zwischendurch schaute die Nachbarin vorbei und ein Briefträger brachte ein Paket. Doch leider war kein Geliebter darunter. Ich stand weiter.

Dann, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, unerwartet und wie ein lauter Schrei, der die Stille des Hauses, meines Wartens durchschnitt und in Fetzen warf, klingelte mein Handy. Wie gebannt starrte ich drauf. Wie ein Irrer, der gerade erfuhr, dass seine Halluzinationen echt waren.

Das Klingeln war nur kurz, denn es war ja nur eine Kurzmitteilung. Doch hatte es geklingelt. Wild öffnete ich die Nachricht, ich sah den Absender und meine Augen weiteten sich. Er war es, er hatte mir geschrieben. Mit rasendem Herzschlag las ich, was da geschrieben stand. Im Inhalt war es wie folgt: „Was, du bist schon da? Es tut mir leid, ich bin noch bei meinen Eltern, ich beeil mich, wir treffen uns am Pirnaischen Platz!“

Ich, so schnell wie zwanzig geölte Blitze, packte all meine Sachen zusammen und rauschte die Treppen hinab. Dann hechtete ich aus der Eingangstür und rannte wie ein Irrer vom Dresdener Hauptbahnhof hoch zum Pirnaischen Platz. Wahrscheinlich durchbrach ich die Schallmauer oder schaffte wenigstens einen Weltrekord, doch ich schaffte es, in weniger als einer viertel Stunde zu Fuß an dem vereinbarten Treffpunkt anzukommen.

Da war ich, frierend, allein, hungrig, durstig, verschwitzt, außer Atem und ich musste auf die Toilette. Doch hier war er nicht. So flitzte ich über den ganzen Pirnaischen Platz, immer und immer wieder und suchte ihn, hier nicht, da nicht, dort nicht. Dann schrieb ich ihm, wo er denn war, es kam eine Nachricht zurück. Ich sollte mir keine Sorgen machen und er wäre in zwanzig Minuten da.

Ich setzte mich, fiel zusammen, halb verzweifelt, halb glücklich.

Die nächsten zwanzig Minuten dachte ich nicht nach, nichts, nicht einmal darüber dass ich fror. Das war alles egal.

Dann, endlich, fast auf die Minute genau, hörte ich seine Stimme, vernahm diese wohltuenden Worte, die sanft, wie eine tiefe Harfe, in meinen Gehörgang wanderten: „Na?!“

Da stand er, mit einem Lächeln und offenen Armen, ich stand auf und sprang in diese, glücklich und zufrieden, ihn zu haben.

Natürlich ließ ich mir dann alles von ihm erzählen.

Dass er bis vor einer Stunde bei seinen Eltern gewesen war, dass er bis heute geblieben war, weil sie Besuch aus Berlin bekommen hatten, dass er nicht wirklich heute noch mit mir gerechnet hatte, dass sein Mitbewohner eh arbeiten war und dass er sich freute mich zu sehen. Aber auch eine Rüge, dass ich ja nie wieder einfach so aus dem Blauen zu ihn kommen solle, ohne nicht vorher bescheid zu sagen oder dass, wenn ich schon da war und ihm vorher nicht bescheid gegeben hatte, ich dann nicht vor dem Haus in der Kälte warten sollte, sondern mich gleich ins Warme zu setzen und ihn spätestens dann anzurufen hätte.

Ich nickte nur und war froh, bei ihm zu sein.

Dann gingen wir etwas essen, endlich. Der restliche Tag war wunderschön, für mich auf jeden Fall. Wir gingen einkaufen, ich ruhte mich eine Weile auf seiner Couch aus, ich bekam meine Streicheleinheiten und Liebkosungen, wir gingen etwas spazieren und er brachte mich am Ende noch zum Bus, wo wir uns verabschiedeten und ich ihm einen kleinen Kuss auf die Wange gab und er mir lächelnd zum Abschied winkte.

Dieser Tag hatte sich voll und ganz gelohnt!

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