zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Regenbogenfamilie

Teil 98 - Das Wochenende rückt näher

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Der Donnerstag begann wie jeder normale Wochentag. Thomas hatte kurz nach sieben Uhr die Wohnung verlassen und ist ins Büro in die Stadt gefahren. David und Tobias sind rund zehn Minuten später losgezogen, damit sie den Schulbus pünktlich erreichen. Dennis schlief noch, da er heute Spätschicht hatte. Mit Felix ging ich um siebenuhrdreißig nach unten ins Büro.

Mehr als pünktlich standen Kevin und Frederik um acht Uhr bei mir im Büro. Ich bat sie, sich mit einem Besprechungsstuhl an meinen Schreibtisch zu setzen, damit sie mir bei der Arbeit über die Schulter schauen konnten. Petra, die kurze Zeit später ins Büro kam, grinste und meinte: „Hat euch Peter zum Lernen unter seiner Aufsicht verurteilt.“

Kevin grinste zurück und antwortete: „Peter hat uns nicht zwangsverpflichtet, er hat uns angeboten die nächsten beiden Tage mit ihm einen Arbeitstag zu verbringen, um die Firma besser kennenzulernen. Frederik arbeitet ab Montag im Hofladen, damit er Mitte März die Leitung des Hofladens in der Gärtnerei Grubmüller übernehmen kann. Ich werde ab Montag in der IT-Abteilung eingearbeitet, bis am ersten März meine Ausbildung zum Bürokaufmann beginnt.“

Petra lachte und erklärte: „Ich bin Peters rechte Hand und verwalte seinen Terminplan. Also stellt euch gut mit mir, sonst könnte es länger dauern, bis ihr einen Termin bei Peter bekommt.“

Ich meinte: „Petra, jetzt übertreib nicht, in dringenden persönlichen Fällen bin ich immer für meine Jungs zu sprechen. Bei dienstlichen Terminen allerdings bist du diejenige, an der sie vorbei müssen. Du kannst mir einen Gefallen tun. Ich hätte gerne heute Nachmittag einen Besprechungstermin bei Mario in der Gärtnerei Grubmüller mit den beiden Jungs. Kevin solltest du bereits als Mitarbeiter finden, bei Frederik bin ich mir noch nicht sicher, ob die IT ihn bereits hinzugefügt hat.“

Sie hatte kaum mein Büro verlassen, als Bernhard anrief und drohte Frederik gleich zu entführen, da sein technisches Equipment vorbereitet sei. Ich meinte, wenn es denn sein müsse, dann könne er ihn aus meinem Büro entführen. Er solle aber auch bedenken, ab Montag arbeite Frederik im Hofladen und demnächst wird er sich um unseren zweiten Hofladen kümmern“. Bernhard entgegnete: „Ich komme dann doch etwas später. Vorher werde ich ihm noch die notwendigen Zugriffe auf die Daten einrichten“.

Kaum hatte ich aufgelegt, klingelt das Telefon erneut. Ich nahm das Gespräch entgegen und hatte Babsi, Simons Mutter, in der Leitung. Sie erzählte mir: Peter, dein Experiment ist ein voller Erfolg und Simon hat gestern Nachmittag sein Schneckenhaus wieder verlassen. Er freut sich unbändig darauf, dass er die ganze nächste Woche bei Noah und bei euch bleiben darf.

Ich habe gestern mit Bruno besprochen, dass wir bis Dienstag bei euch bleiben wollen, um die beiden Jungs beim Einräumen ihrer Wohnung zu unterstützen. Er nimmt am Rosenmontag und Faschingsdienstag extra Urlaub, denn an den beiden Tagen ist ohnehin fast nichts los in der Firma. Ich hoffe, es kommt euch nicht ungelegen, wenn wir zwei Tage länger bleiben. Eines verstehe ich immer noch nicht. Wieso warst du dir so sicher, dass dein Experiment erfolgreich sein wird?“

Ich erklärte ihr: „Ich war mir ganz und gar nicht sicher, das gebe ich offen und ehrlich zu. Aber bei Noah haben wir das bereits einmal erfolgreich angewendet. Ich hatte die Hoffnung, dass Simon, wie Noah, auf die positiven Aussichten reagiert. Ich werde gleich Alexandra informieren, dass sie euren Aufenthalt bis Dienstag verlängern soll.“

Babsi ergänzte: „Peter, aus meiner Sicht spricht nichts mehr gegen eine Ausbildung von Simon bei euch. Die letzten Tage und mit der Erfahrung von gestern, bin ich fest davon überzeugt, dass es für Simon das Beste ist, wenn er dauerhaft bei euch und seinem Noah lebt und nicht in einer Behindertenwerkstatt arbeiten muss.“

Wir verabschiedeten uns und ich meinte: „Wir sehen uns übermorgen.“ Petra rief mir zu und bestätigte, dass Mario meiner Audienz zugestimmt hat. Die beiden Jungs sollten den Termin auch sehen können. Kevin schaute mich fragend an, sodass ich meinte, er solle auf seinem Smartphone nachsehen. Dort würde er den Termin in seinem Firmenkalender finden.

Nach kurzer Zeit bestätigte er, dass er den Termin gefunden habe, es seien sogar weitere Termine für die nächste Woche eingetragen. Am Montag ist ein Besprechungstermin mit Bernhard, Ludwig und Noah eingetragen.

Ich wollte den beiden Jungs die besondere Situation von Simon und Noah erklären, als es an der Bürotür klopfte und meine Tochter Martina eintrat, mit der Frage, ob wir zehn Minuten für sie Zeit hätten. Wir setzten uns mit ihr in die Besprechungsecke und sie sagte: „Peter, ursprünglich wollte ich diese Woche mit dir über die Personalplanung für meinen Bereich sprechen.

Gestern, mit deiner Vorstellung von Frederik, hast du mich eiskalt erwischt. Es bleibt dabei, Frederik soll sich federführend um den neuen Laden in der Gärtnerei kümmern. Ich würde gern drei Auszubildende zum September einstellen, einen Verkäufer oder eine Verkäuferin, sowie je eine Ausbildungsstelle bei den Bäckern und den Konditoren einrichten. Weiter brauche ich ein bis zwei Helfer für die Backstube.“

Ich meinte: „Wegen der beiden Helfer kannst du dich direkt ans Personalbüro oder sogar an die Flüchtlingshilfe in Rosenheim wenden. Für die Auszubildenden ist Florian Untersberger, im Büro schräg gegenüber, dein Ansprechpartner. Sag ihm, dass er auch die Flüchtlingshilfe ansprechen soll wegen der drei Auszubildenden. Ich meine, in den letzten Tagen gelesen zu haben, dass sie noch auf der Suche nach Ausbildungsplätzen für junge Flüchtlinge mit passablen bis guten Deutschkenntnissen sind.“

Martina meinte, dass sie gleich mit Florian sprechen wird und bevor sie den Auftrag ans Personalbüro gibt, selbst Kontakt mit der Flüchtlingshilfe aufnimmt. Frederik nutzte die Gelegenheit und stellte zuständigkeitshalber die Frage nach den Backwaren, die er mir bereits gestellt hatte, an Martina.

Sie überlegte kurz, bevor sie antwortete: „Reizende Idee, die du mir vorstellst. Bisher war nicht angedacht unsere Backwaren auch in dem neuen Laden an die Kunden zu verkaufen. Nicht aus Platzmangel, sondern eher, weil wir davon ausgegangen sind, dass dort keine Nachfrage bestehen wird, aber auch eine Verkaufsfachkraft fehlt. Du bist gelernter Verkäufer und bringst also auch das nötige Wissen mit. Wenn du dort Backwaren und Kuchen verkaufen willst, können wir einen Versuch starten. Wir müssen uns nur überlegen, wo und wie wir die Produkte platzieren können. Du kannst auf die Pläne zugreifen und dir etwas überlegen. Am Montag sprechen wir darüber und beschließen gemeinsam, wie wir vorgehen werden“.

Sie verabschiedete sich und ich meinte zu den Jungs, dass wir gleich hier sitzen bleiben können. Ich erklärte den Jungs, warum Noah und Simon unsere besonderen Sorgenkinder seien. Vorsichtshalber klärte ich sie darüber auf, dass sie zur Gruppe der schwulen Jungs gehören könnten, die Schwingungen von den beiden empfangen und an sie aussenden könnten, so wie es bei Bernhard, David und Gerry der Fall ist. Wir haben bisher keine Ahnung, wieso das so ist. Vermutlich wird man diese Schwingung noch nicht einmal messen können.“

Kevin lachte und meinte: „Ich lache nicht, weil das so unglaubwürdig klingt. Ich verspüre seit Montagabend, genau genommen seit unserem Gespräch unter vier Augen, ebenfalls positive Schwingungen. Was mich immer wundert, wenn ich in der Nähe von David oder Bernhard bin, habe ich das Gefühl, dass der positive Einfluss zunimmt. Es muss noch jemand geben, der die positiven Signale aussendet.“

Sollte ich oder sollte ich nicht. Ich kämpfte mit mir, ob ich ihm erklären soll, dass die Jungs auch von mir positive Schwingungen empfangen können. Ich erklärte ihm: „Die Jungs behaupten, dass diese Signale von mir kommen würden. Ich kann das nicht bestätigen, aber auch nicht widerlegen, da ich keine Signale empfangen kann und mir auch nicht bewusst ist, dass ich Signale ausstrahle.“

Kevin meinte: „Dann musst du derjenige sein, von dem die Signale stammen, die meine negativen Gedanken verdrängen.“

Glücklicherweise wurden wir von Bernhard gestört, der mit Frederik die Einweisung in seinem Notebook und sein dienstliches Smartphone absolvieren wollte. Wir wünschten den beiden viel Spaß bei der Einarbeit. Zu Kevin sagte ich noch: „Ich denke, wir beide sollten einen Besuch in der IT machen, damit du zumindest schon deine zukünftigen Kollegen kennenlernen kannst.“

Wir meldeten uns bei Petra ab und gingen ins IT-Gebäude. Ich erklärte ihm, dass im Erdgeschoss auf der rechten Seite das Rechenzentrum eingebaut wurde und auf der linken Seite die Büros der Vermietungs- und Wohnungsverwaltung untergebracht werden, wenn sie im Sommer von München auf den Gutshof umzieht. Vorerst sitzen dort nur die Mitarbeiter der Immobilienverwaltung, die bisher bereits die Immobilien des Gutshofes und der Stiftung betreuen. Ausgenommen ist noch der Immobilienbestand der Münchner Immobilienverwaltung.

Wir gingen in die erste Etage und auf der rechten Seite ging ich zum Büro von Philipp und Marcus. Ich klopfte an und trat mit Kevin ein. Da Kevin meinen Sohn und seinen Ehepartner bisher nicht kennengelernt hatte, stellte ich ihm die zwei vor. Marcus bot an, Kevin und mir die Mitarbeiter der IT, die für Netzwerk und Rechenzentrum zuständig sind, vorzustellen.

Das erste Büro, das wir betraten, war das Büro von Roland Kaminsky, den uns Marcus als den Mann für die Webseiten vorstellte und gleichzeitig erklärte, dass er bisher der Einzige sei, der nichts mit den Netzwerken oder dem Rechenzentrum zu tun hat.

Im zweiten Büro saß einer der neueren Mitarbeiter, der mir bisher nicht so geläufig war, weil er kein schwules Mitglied der Gutshoffamilie war. Sein Kollege sei derzeit in Urlaub, wurde uns erklärt. Die restlichen Büros sind derzeit noch nicht belegt. Erst im Herbst, mit den neuen Auszubildenden, wird es langsam voller bei der IT.

Im Flur erklärte ich, dass hier zwei Besprechungszimmer sind, die von allen hier im Haus, aber auch aus anderen Gebäuden, genutzt werden könne. Im linken Büroteil trafen wir auf Noah, der sich momentan mit Bernhard das Büro teilte. Ich stellte ihm Kevin als zukünftigen Auszubildenden vor, der am ersten März seine Ausbildung als Bürokaufmann bei Ludwig beginnen wird. Da die beiden Jungs miteinander redeten, beobachtete ich sie aufmerksam.

Als wir wieder im Flur standen, zeigte ich ihm das Büro, wo er mit Ludwig sitzen werde und erklärte gleichzeitig, dass die weiteren Büros derzeit noch unbesetzt sind und in den nächsten Monaten mit Auszubildenden und neuen Mitarbeitern besetzt werden.

Auf dem Rückweg ins Gutshaus meinte er: „Peter, ich habe die Schwingen von Noah bemerkt. Er muss meine ebenfalls bemerkt haben, denn ich hatte den Eindruck, als wolle er mit mir auf virtueller Ebene in Kontakt treten.“

Ich schaute ihn an und sagte: „Du bist nicht der erste, bei dem er es versucht. Mit Simon scheint es problemlos zu funktionieren. David und Gerry haben noch keine gemeinsame Sprachebene zu den beiden gefunden, vermutlich so wie bei dir. Ich habe euch intensiv beobachtet, als ihr euch unterhalten habt. Mir ist visuell aufgefallen, dass eine Verbindung besteht. Mehr war für mich nicht erkennbar. Vermutlich aber auch nur deswegen weil ich ahnte, worauf ich zu achten habe.“

Wir informierte Petra, dass wir von unserem kleinen Ausflug wieder zurück sind und sie meinte, Florian war vorher hier und wollte dich unbedingt sprechen. Ich sagte ihr, dann soll sie ihm doch sagen, dass er jetzt zu mir kommen könne. Wir gingen durch in mein Büro und hatten uns kaum in die Besprechungsecke gesetzt, als auch schon Florian in meinem Büro stand.

Er setzte sich zu uns und sagte: „Peter, warum soll ich mich wegen der drei Auszubildenden von Martina mit der Flüchtlingshilfe in Verbindung setzen? Ich glaube kaum, dass wir dort geeignete Bewerber finden werden.“

Jetzt hatte er sich in die Nesseln gesetzt und so erklärte ich ihm: „Florian, wenn du Vorurteile gegen jugendlichen Flüchtlingen hast, solltest du dir noch einmal überlegen, ob du der richtige Mitarbeiter für die Verwaltung der Auszubildenden bist. Du hast mit deiner Aussage eben gegen eine Grundregel in unserem Unternehmen verstoßen, die ich nicht dulden werde. Ich hoffe dir ist klar, von was ich spreche.“

Er schaute schuldbewusst zum Boden. Als er mich wieder anblickte, grinste er und meinte: „Toleranz, ich habe gegen diese Grundregel verstoßen. Peter, so war das eigentlich nicht gemeint von mir. Eigentlich habe ich dabei an ein Problem bei der sprachlichen Verständigung gedacht.“

„Trotzdem“, meinte ich, „ist es ein Verstoß. Du solltest dir in diesem Zusammenhang das Schubladendenken abgewöhnen, denn nur dort wird Toleranz ganz klein geschrieben. Die Flüchtlingshilfe ist auf der Suche nach Ausbildungsplätzen für Flüchtlinge, die passable oder gute Deutschkenntnisse haben. Sie gehören mit zur Gruppe der benachteiligten Mitmenschen, die von der Stiftung gefördert werden.

Ich kann dir nicht sagen, ob die Flüchtlinge genau diese Ausbildungsplätze suchen, die wir anbieten können. Aber einen Versuch können wir auf alle Fälle machen. Du kannst parallel die Ausbildungsplätze für dieses Jahr auch auf der Webseite ausschreiben, wie immer. Nur sind die Chancen dort geringer, weil die möglichen Kandidaten inzwischen einen Ausbildungsplatz gefunden haben. Bäcker und Konditoren werden von vielen Betrieben händeringend gesucht.“

Florian meinte: „Peter, ich habe verstanden und kann nur hoffen, dass mir so ein Fehler nie wieder unterläuft. Ich werde mich sofort mit der Flüchtlingshilfe in Verbindung setzen und unsere Ausbildungsplätze dort anbieten.“

Als Florian das Büro verlassen hat, meinte Kevin: „Peter, war das nicht gerade ein bisschen hart Florian gegenüber? Immerhin wusste er sofort, wogegen er verstoßen hat.“

Ich meinte: „Kevin, sicher bin ich ihn hart angegangen. Meine Mitarbeiter wissen im Regelfall, dass die Ansage zu einem Regelverstoß zu keiner Entlassung führt. Ich will damit die Mitarbeiter nur wieder eindringlich darauf hinweisen, dass sie vorher ihr Gehirn einschalten und nicht einfach auf Vorurteile zurückgreifen sollten. Deswegen auch der Hinweis auf Schubladendenken.

Am schlimmsten finde ich Verstöße von Mitarbeitern, die selbst einer Minderheit angehören. Denn von ihnen erwarte ich, dass sie bei diesem Thema sensibler sind. Denk an dich und an Noah. Ihr seid beide Angehörige einer Minderheit. Würdest du Noah in eine Schublade stecken und abwehren, nur weil du ihn nicht persönlich kennst?“

Kevin sagte: „Oha, jetzt hast du mir aber ein schweres Paket zugeworfen. Vermutlich ja, aber ich habe in den letzten Tagen gelernt, dass es immer besser ist, mit weniger Vorurteilen an eine Angelegenheit heranzugehen. Sicher bin ich noch nicht perfekt, aber ich bin voller Hoffnung, dass ich besser werde.“

Florian stürmte, ohne anzuklopfen, ins Büro und stoppte abrupt: „Peter, können wir heute Nachmittag um fünfzehnuhrdreißig noch Bewerbungsgespräche führen? Frau Müller von der Flüchtlingshilfe würde mit fünf Bewerberinnen und Bewerbern um diese Zeit vorbeikommen. Ich dachte ich höre nicht richtig, als sie mir das sagte.“

Ich grinste und sagte: „Meinetwegen können wir das Gespräch gern mit den Jugendlichen führen, sofern es dich nicht stört, dass du eventuell später nach Hause kommst. Sag den Termin zu und frag Martina, ob sie dabei sein möchte oder sie unserem Urteilsvermögen trauen will.“

Florian meinte: „Ich habe kein Problem, wenn es länger dauert. In dem Fall reizt mich jetzt die Herausforderung, auf das kurzfristige Angebot von fünf möglichen Auszubildenden einzugehen. Ich will die Bewerber und Bewerberinnen kennenlernen, um ein weiteres Vorurteil endgültig zu den Altakten zu legen. Ich rufe sie sofort zurück und sage ihr den Termin zu.“

Kevin schaute mich verwundert an und meinte. „Peter, jetzt bin ich den dritten Tag viel mit dir zusammen, geht es bei dir immer so hektisch zu oder gibt es auch ruhigere Tage.“

Ich meinte: „Sicher gibt es ruhigere Tage und die sind sogar eher in der Überzahl. Ich habe nur die Feststellung gemacht, wenn es hektisch wird, dann ballt sich das sehr oft. Seit gut einer Woche ist wieder eine unruhigere Phase. Wir waren am Wochenende bei einer Objektbesichtigung und damit ging die Hektik los. Gut, da bin ich selbst mit Schuld daran.

Das Objekt selbst war nicht einmal das Problem. Wir wurden von der Gemeinde informiert, dass neben dem Campingplatz ein neues Wohngebiet entstehen soll. Uns wurde der Bebauungsplan vorgelegt, der ein Unbehagen bei mir auslöste. So nach und nach kam dann ans Tageslicht, dass der Plan nicht den Vorgaben entsprach und die Gemeinde über den Tisch gezogen werden sollte.

Der Architekt hatte nur Einfamilien- und Reihenhäuser vorgesehen, obwohl in den Vorgaben von einer Mischbebauung auch mit Mehrfamilienhäusern und Sozialwohnungen gesprochen wurde. Da wir dort ein Jugendhotel und Jugendwohnungen errichten wollen, stellten wir der Gemeinde unsere Überlegungen vor. Wir werden jetzt zusätzlich die sanierungsbedürftigen Gebäude der Verwaltung, der Gaststätte und die sanitären Anlagen in diesen Neubau integrieren und damit einen Lärmschutzriegel zum geplanten Neubaugebiet errichten.

Seit Montag sitzen unsere Architekten jetzt daran, einen vernünftigen Plan für das Neubaugebiet zu erstellen und die ersten Skizzen für unseren Neubau anzufertigen. Dann kamst du im Laufe des Montags als Problemfall, für den eine Lösung gesucht wurde. Gestern dann dein Freund, der auch versorgt werden wollte.

Das geht nicht gegen euch beide. Ich wollte dir damit nur zeigen, dass, wenn etwas einmal ins Rollen kommt, es sich kurzzeitig zu einer Lawine entwickelt, die irgendwann wieder gestoppt wird. Heute die neuen Ausbildungsplätze, was ist es morgen? Ich gehe davon aus, dass sich in vierzehn Tagen wieder eine ruhigere Phase einstellen wird.“

Kevin wollte etwas antworten, aber wir wurden durch das Klopfen an der Bürotür unterbrochen. Bernhard und Frederik betraten das Büro. Bernhard erklärte, dass er Frederik in sein Notebook eingewiesen habe und er ihm auch schon gezeigt habe, wo und wie er seine Bestellungen für den Hofladen aufgeben kann. Übrigens, bei ihm sind auch bereits Termine und Terminanfragen eingetragen, wie wir feststellen konnten.

Martina hat eingetragen, dass er nächste Woche ab Donnerstag im Hofladen der Gärtnerei die Anlieferung und den Aufbau der Einrichtung überwachen soll. Am Montag hat sie eine Besprechung anberaumt, wegen des Verkaufs von Backwaren im Hofladen. Wenn er noch Fragen hat, kann er mich jederzeit ansprechen, zumindest so lange, bis ich einige Anliegen an jemanden anderen abgeben kann. Ich wünsche euch noch viel Spaß mit eurer Fußfessel, die euch Tobias andrehen wollte“.

Kaum hatte Bernhard das Büro verlassen, stürmten die Kids mein Büro. Ich schaute verwundert zur Uhr, um festzustellen, dass es schon nach dreizehn Uhr war. Ich meinte, wir kommen auch gleich mit euch mit. Geplant war, dass wir heute früher Mittagspause machen, damit wir im Laufe des Nachmittags noch einiges erledigen können. Während die Jungs bereits mit Frederik und Kevin unterwegs in Richtung Kantine waren, ging ich ins Büro zu Felix.

Ich bat Felix, Heiko und Ryan heute Nachmittag zu beschäftigen, da mein Tag wieder einmal vollständig aus dem Ruder gelaufen sei und ab fünfzehnuhrdreißig Vorstellungsgespräche angesagt sind. Da er nachfragte, weshalb ich für diese Gespräche zuständig bin, erklärte ich ihm, dass es um Auszubildende für den Hofladen und die Bäckerei mit Konditorei geht.

Er erklärte sich einverstanden, so dass ich in die Kantine ging. Es war schon kurz nach vierzehn Uhr, als ich mit Kevin und Frederik ins Gutshaus zurück kam. Kaum hatte ich meine Bürotür geöffnet, als Petra rief, ich solle in ihr Büro kommen, hier würde ein Besucher auf mich warten. Noch so eine ungeplante Überraschung. Ich bat die Jungs sich zu setzen und ging ins Büro zu Petra.

Auf dem Besucherstuhl saß ein modisch gekleideter etwa vierzigjähriger Mann mit einer kleinen Stirnglatze und schaute mir erwartungsvoll entgegen. Petra erklärte: „Herr Alfons Köllner kam vor wenigen Minuten in mein Büro und wollte dich dringend sprechen und dir wichtige Unterlagen übergeben. Ich habe ihm erklärt, dass du gerade Mittagspause machst, aber in wenigen Minuten hier sein wirst. Er wollte so lange auf dich warten.“

Ich trat vor ihn hin, reichte ihm meine Hand und meinte: „Guten Tag Herr Köllner. Es freut mich, sie kennenzulernen. Ich nehme an, dass sie wegen Frederik Kornweger hier sind. Kommen sie doch bitte mit in mein Büro.“

Er war zwischenzeitlich aufgestanden und folgte mir in mein Büro. Als er Frederik erblickte, sagte er: „Dich hätte ich jetzt nicht hier erwartet. Schön zu sehen, dass es dir gut geht. Der junge Mann neben dir ist vermutlich dein Freund. Ich habe hier deine Unterlagen.“

Ich bat ihn, sich zu uns in die Besprechungsecke zu setzen und zu erzählen, was er mit mir besprechen wollte. Zuvor solle er mir aber erklären, warum er der Meinung gewesen sei, dass er Frederik hier nicht antreffen werde.

Er meinte: „Gestern bei unserem Gespräch, als sie mir ihre Adresse durchgegeben haben wohin ich Frederiks Unterlagen schicken sollte, vermutete ich, dass sie nur eine Zwischenstation für Frederik seien und uns seine neue Anschrift nicht weitergeben dürfen. Ich habe deshalb im Internet versucht Informationen über einen Herrn Maurer unter der angegebenen Adresse herauszufinden.

Was ich dort fand, war dann sehr überraschend für mich und meinem Partner. Ich fand Informationen über eine Stiftung Sonneneck, die benachteiligten Kinder und Jugendlichen helfen würde. Dazu den Bericht über das Zeltlager, dass im vergangenen Jahr hier stattgefunden hat.

Aufgefallen ist mir auch eine Webseite, die schwule Jugendgruppen unterstützt und viele Informationen liefert, wohin sich Jugendliche wenden können, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Witzigerweise konnte ich nirgends ihre Mobilnummer herausfinden. Ich war neugierig und wollte den Mann kennenlernen und erfahren, warum er schwulen Jugendlichen hilft.“

Kevin meinte: „Hallo, ja ich bin Frederiks Freund Kevin. Ich denke, Peter hilft schwulen Jungs, die in Schwierigkeiten stecken, weil er selbst schwul und mit seinem Thomas verheiratet ist. Da ich noch minderjährig bin, bin ich bei den beiden als Pflegekind untergekommen, genau wie vier andere minderjährige Jugendliche.

Die beiden haben noch zwei minderjährige Adoptivsöhne und Peter hat aus der Ehe mit seiner verstorbenen Frau eine Tochter und einen Sohn, die alle im Gutshof leben und mitarbeiten. Wenn ich die Zahl richtig mitbekommen habe, leben allein hier auf dem Gutshofgelände neun schwule Pärchen und in Kürze werden es wohl zehn oder elf sein.“

Ich meinte: „Ich kann bestätigen, dass hier neun schwule Pärchen leben, eines davon hat einen Jungen aus Spanien adoptiert und ein weiteres Pärchen hat zwei Jungs adoptiert, wovon aber nur einer der Jungs schwul ist. Dazu kommen zwei weitere schwule Pärchen, die in Betriebswohnungen bei den Handwerkern leben. Übrigens, von unseren Pflegekindern sind nur zwei Jungs schwul, zwei der drei anderen Jungs sind wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen bei uns untergebracht. In Summe sind fünf minderjährige Jugendliche bei uns untergebracht, die nicht schwul sind.

Mit dem neuen Ausbildungsjahr werden wir in neugebauten Jugendwohnungen, in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, gut zwanzig voll- und minderjährige männliche und weibliche Jugendliche unterbringen, die entweder bei uns oder in Rosenheim eine Ausbildung beginnen oder aus Kinderheimen wegen Erreichens der Volljährigkeit ausziehen müssen.“

Alfons meinte: „Ich hoffe, ich darf auch Peter zu dir sagen. Die Informationen, die ihr mir gerade vermittelt habt, überraschen mich jetzt doch ganz gewaltig. Könnte ich jugendliche Auszubildende bei euch in den Jugendwohnungen unterbringen, wenn unser neuer Markt im Raum Bad Aibling gebaut ist? Kannst du mir sagen, ob wir euch in eurer Arbeit unterstützen können?“

Ich erklärte: „Zu deiner ersten Frage, theoretisch ja. Aber dazu muss das Problem gelöst sein, wie die Jugendlichen zu ihrem Ausbildungsplatz kommen. Wir errichten etwa fünfzig Appartements für diese Jugendlichen. Logisch könnt ihr uns in unserer Arbeit unterstützen, ich frage mich nur wie diese Unterstützung aussehen könnte?“

Alfons antwortete: „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Zumindest sehe ich, dass Frederik bei euch in guten Händen ist und ich mir keine Sorgen um seine Zukunft machen brauche. Hätte Frederik gestern nicht dich sondern uns angesprochen, hätten wir ihn vorerst in unserem Gästezimmer untergebracht und danach für ihn eine dauerhafte Lösung gesucht.“

Frederik grinste und sagte: „Ich fange am kommenden Montag im Hofladen des Gutshofes an und Mitte März übernehme ich einen neuen Hofladen der Stiftung in der Gärtnerei Grubmüller als Filialleiter. Und das sogar noch während meiner Ausbildungszeit um Einzelhandelskaufmann.

Als Peter mir gestern sagte, dass ich meine Ausbildung im Hofladen zu Ende bringen kann, dachte ich, dass ich mich da nur langweilen würde. Ich kannte bisher nur Hofläden, die wenige Produkte angeboten haben. Als Peter mir den Hofladen im Gutshof zeigte, bin ich völlig überrascht wie angewurzelt stehen geblieben. Die Auswahl, die dort angeboten wird, kann mit einem kleineren Supermarkt problemlos mithalten.

Alle Produkte sind Bioprodukte und umfassen ein sehr breites Sortiment. Martina hat mir erklärt, dass sie mit vielen Landwirten aus dem Landkreis Rosenheim eine Kooperation eingegangen sind und deren Produkte mit verkaufen. Der Clou dabei ist das Angebot an Fleisch- und Wurstwaren. Du kannst über das Internetportal bei den verschiedensten Bauern aus deren Produkten wählen und diese dann schon am nächsten Tag bei einem der angeschlossenen Hofläden abholen.“

Selbst Bier und Limonaden eines regionalen Herstellers, die mit biologisch erzeugten Zutaten hergestellt werden gibt es im Hofladen. Wenn du Lust hast, können wir uns den Hofladen mit Hofcafé, Konditorei und Bäckerei ansehen, bevor du wieder zurückfährst. Danke, dass du meine Papiere persönlich vorbeigebracht hast.“

Alfons schaute zwischen mir und Frederik hin und her und meinte: „Ist das die Gärtnerei mit dem Biogemüse, die Ende Dezember aus Altersgründen geschlossen wurde. Wir haben bis Mitte Dezember einen Großteil unseres Gemüses aus biologischem Anbau dort bezogen. Hat Sepp doch noch einen Nachfolger gefunden?“

Jetzt musste ich das Aufklären, die Details konnten die Jungs noch nicht wissen: „Ich bin mir sicher, dass es diese Gärtnerei ist. Die Stiftung hat sie aus zwei Gründen Anfang Januar übernommen. Zum einen deshalb, weil die Gärtnerei leicht körperlich behinderte Mitarbeiter beschäftigt hatte und weil wir allein mit der Gärtnerei Winter nicht mehr die gewünschten Mengen an Bio-Gemüse produzieren konnten.

Beide Gärtnereien arbeiten eng zusammen. Teilweise werden einzelne Produkte nur in der einen oder der anderen Gärtnerei produziert, ein größerer Teil wird in beiden Gärtnereien produziert. In zwei bis drei Wochen wird es wieder Produkte geben, die in der Gärtnerei Grubmüller produziert werden, aber vorerst nur unter dem Label Gärtnerei Winter.“

Alfons erzählte: „Ich habe vor einigen Monaten bei der Gärtnerei Winter angerufen in der Hoffnung, dort gleichwertiges Bio-Gemüse für unsere Läden zu finden. Manuel Winter hat uns damals erklärt, dass er aktuell nicht mehr produzieren kann, als seine Abnehmer mit langfristigen Verträgen geordert hätten. Er meinte, bisher wird das Biogemüse nur regional im Landkreis Rosenheim vermarktet. Besteht die Möglichkeit, dass wir in absehbarer Zeit unser Bio-Gemüse wieder aus dem Landkreis Rosenheim beziehen können?“

Ich versprach ihm: „Wir arbeiten zur Zeit an einem Konzept, wie wir die biologischen Produkte unserer Kooperationspartner auch in Supermärkten präsentieren und verkaufen können. Bis zum Spätherbst wird bei der Gärtnerei Grubmüller eine Lager- und Abpackhalle errichtet. Von dort soll zukünftig die gesamte Verteilung gesteuert werden. Über der Halle werden drei Wohnungen mit Dachterrasse für Mitarbeiter errichtet.

Du kannst bei Manuel in der Gärtnerei Winter oder bei Mario in der Gärtnerei Grubmüller anfragen, wann sie dir für deine Märkte wieder Biogemüse oder Biosalate liefern können. Vielleicht gehörst du zu den Kunden, die auch den Bio-Babyspinat oder den Bio-Feldsalat verkaufen können. Auch kannst du gerne Josef ansprechen. Er ist noch im Betrieb tätig.“

Es klopfte, Florian trat ein und sagte: Peter, wir sollten uns langsam auf die Bewerbungsgespräche mit den Jugendlichen der Flüchtlingshilfe für die drei Ausbildungsplätze im Hofladen, der Bäckerei und der Konditorei kümmern. Die fünf Teilnehmer werden in Kürze eintreffen.“

Ich meinte: „Alfons, darf ich dir unseren Ausbildungsbeauftragten Florian Untersberger vorstellen. Er ist für alle Belange unserer Auszubildenden zuständig und betreut inzwischen alle Auszubildenden in unseren Unternehmen. Nicht nur hier im Raum Rosenheim, sondern auch in Tirol oder in unseren zukünftigen Jugendhotels an der Ostsee und im Allgäu.

Wir haben für fünfzehnuhrdreißig noch Einstellungsgespräche geplant. Jungs, ihr könnt gern Alfons den Hofladen zeigen. Wenn ihr mit eurer Besichtigung fertig seid, kommt bitte ins Besprechungszimmer, damit ihr auch dort noch ein wenig Einblick gewinnen könnt.“

Florian und ich gingen ins Besprechungszimmer und setzten uns nebeneinander an die Längsseite des Tisches. Er meinte: „Frau Müller hat mir noch eine Mail mit den Daten der Kandidaten und Kandidatinnen übersandt. Ich habe sie ausgedruckt, damit wir mit den schwierigen Namen leichter zurechtkommen. Karam Hamada (m), Maruan Rashid (m), Marva Mostafa (w) aus Syrien und Ariyan Salman (m), Sayra Hashem (w) aus dem Iran. Für uns sind diese Namen noch etwas gewöhnungsbedürftig, aber wir werden uns daran gewöhnen.“

Ich hörte etwas auf dem Flur und sah einen jungen Mann, etwa sechzehn Jahre alt, der mir entgegenkam. Er stellte sich als Karam Hamada vor und meinte, er soll sich zu einem Vorstellungsgespräch für einen Ausbildungsplatz hier melden. Ich meinte: „Dann bist du hier richtig. Wir warten schon auf euch. Setze dich schon einmal ins Besprechungszimmer, bis die anderen hier sind.“

Er setzte sich auf die Seite rechts von uns und begrüßte Florian, der sich als Ausbildungsbeauftragter des Unternehmens vorstellte. Während Florian mit Karam plauderte, blieb ich im Flur stehen. Ich hörte, wie er Karam darauf hinwies, dass in unserem Unternehmen alle Mitarbeiter sich mit dem Vornamen ansprechen würden. Er wäre Florian und der Chef, der im Flur steht, ist Peter. Sie diskutierten darüber, bis Florian meinte, wenn er sich nicht daran gewöhnen könne, seinen Chef mit Vornamen anzusprechen, hätte er schlechte Karten bei seinem Vorstellungsgespräch.

Länger konnte ich nicht lauschen, da ich hörte, dass die Haustür geöffnet wurde und mehrere Personen eintraten. Kurze Zeit später kamen zwei junge Mädchen, zwei Jungs und eine Dame mittleren Alters um die Ecke. Die Gruppe näherten sich mir und Frau Müller fragte: „Können sie uns weiterhelfen? Wir sind zu einem Vorstellungsgespräch mit einem Florian Untersberger und seinem Chef verabredet.“

Ich grinste und meinte: „Wenn sie mir bitte folgen wollen. Ich bringe sie ins Besprechungszimmer, wo die Gesprächsrunde stattfinden soll.“

Sie folgten mir ins Besprechungszimmer und als alle eingetreten waren, schloss ich die Tür und bat Platz zu nehmen. Die beiden Jungs setzten sich zu Karam. Frau Müller und die beiden Mädchen setzten sich auf die linke Seite. Florian stellte sich kurz vor und erklärte: „Bevor wir ins Gespräch einsteigen, wer etwas trinken will kann sich gern bedienen.“

Ich griff demonstrativ nach einer Wasserflasche und füllte das vor mir stehende Glas. Florian sagte: „Darf ich euch meinen Chef Peter vorstellen. Ich habe es Karam gerade schon erklärt, dass in unserem Unternehmen alle Mitarbeiter mit Vornamen angesprochen werden. Das gilt auch für den Chef und alle anderen Vorgesetzten. Es wäre vielleicht gut, wenn sich alle kurz vorstellen könnten. Fangen wir mit Karam an und dann reihum, bis wir bei Peter ankommen.“

Frau Müller sagte: „Darf ich euch zuerst noch die Bewerbungsunterlagen der Mädchen und Jungs übergeben, damit ihr schon einen Blick riskieren könnt“. Zu ihren Probanden sagte sie: „Ich weiß, dass es euch schwerfällt, einen Chef oder Vorgesetzten mit seinem Vornamen anzusprechen, weil es in eurem Kulturkreis nicht üblich ist. Wenn ihr in Deutschland erfolgreich sein wollt, müsst ihr euch anpassen und akzeptieren, dass es hier in vielen, vor allem jungen, Firmen anders gehandhabt wird als in eurem Heimatland.“

Der erste war Karam, der über sich erzählte, woher er kommt, wie lange er in Deutschland lebt und welchen Schulabschluss er im Sommer machen wird. Ich hatte gleichzeitig seine Bewerbungsmappe studiert, so dass ich mir bereits ein Bild von ihm machen konnte.

Der Reihe nach stellten sich die restlichen vier Bewerberinnen und Bewerber vor, wobei die beiden Mädchen Verkäuferin werden wollte. Einer der beiden weiteren Jungs wollte Bäcker werden und der andere Konditor. Ich hatte zwischendurch von allen die Bewerbungsunterlagen gelesen und hatte mir ein persönliches Bild von den Kandidaten gemacht. Ich für meinen Teil hatte mich bereits entschieden, wer die drei Glücklichen sein werden, die wir einstellen wollten.

Inzwischen war ich an der Reihe mich vorzustellen: „Ich bin Peter, Oberhaupt der gesamten Gutshofgruppe, bin mit einem Mann verheiratet und wir haben aktuell neun Kinder, fünf davon sind Pflegekinder, zwei Jungs sind Adoptivsöhne. Bereits erwachsen sind meine Tochter und mein Sohn aus der Ehe mit meiner verstorbenen Frau. Dazu kommen noch zwei Enkelkinder.“

Ich hatte alle beobachtet, während ich erklärte, dass ich mit einem Mann verheiratet bin. Ich sah, dass sie etwas überrascht, aber nicht unbedingt ablehnend wirkten. Ich erklärte: „Bevor wir euch Fragen stellen habe ich eine wichtige Information. In allen Unternehmen der Gutshofgruppe erwarte ich von allen Mitarbeitern absolute Toleranz gegenüber körperlich oder geistig behinderten oder sonstigen benachteiligten Menschen, Ausländern und Flüchtlingen, Schwule und Lesben, andersgläubige Menschen, um nur einige Gruppen zu nennen.

Was ich ebenfalls nicht toleriere, ist Schubladendenken. Damit ist beispielsweise gemeint, Ausländer sind kriminell oder Leiharbeiter sind arbeitsscheu, um euch nur zwei Beispiele zu nennen. Wir trennen uns rigoros von uneinsichtigen Kollegen und Kolleginnen. Wer von euch intolerant ist, der sollte am besten seine Bewerbung freiwillig zurückziehen. Ansonsten kann Florian mit seinen Fragen anfangen.“

Da sich keiner meldete oder erklären wollte, dass er vielleicht intolerant sei, stellte Florian seine Fragen an die Kandidaten. Frau Müller griff manchmal helfend ein, wenn die Mädchen und Jungs seine Fragen nicht richtig verstanden hatten. Florian war mit seinen Fragen gerade fertig, als Kevin und Frederik ins Besprechungszimmer eintraten.

Ich begrüßte die beiden und stellte sie den Anwesenden kurz vor, wobei ich nicht verheimlichte, dass die beiden Jungs ein Paar wären. Als ich erzählte, warum Kevin zu uns Pflegekind gekommen sei, blickte ich in sechs erschrockene Gesichter. Am Ende der Vorstellung erklärte ich, dass Kevin am ersten März eine Ausbildung zum Bürokaufmann antreten wird und Frederik als gelernter Verkäufer, den neuen Hofladen in der Gärtnerei Grubmüller verantwortlich führen werde.

Ich setzte mit meinen Fragen fort und merkte, dass sich manche schwer taten, hinsichtlich Toleranz und Schubladendenken nicht in eine Falle zu tappen. Ich fragte Frau Müller, wie sich aus ihrer Sicht ihre Schützlinge bei den Gesprächen geschlagen haben und wie sie die Chancen sehe, bei uns einen Ausbildungsplatz zu erhalten.

Nach längerer und reiflicher Überlegung erklärte sie: „Wenn ich alle Fakten betrachte und neutral bewerte, sehe ich die größten Chancen bei Karam, Maruan und Sayra. Marva hat sich kleine Fehler erlaubt und Ariyan zeigte bei manchen Antworten ein leicht intolerantes Verhalten, was dir aber sofort aufgefallen ist. Ich habe es an deinen Reaktionen bemerkt. Erfreulich, dass ihr alle gleichbehandelt habt. Ich habe bei Bewerbungsgesprächen schon ganz andere Sachen erlebt.“

Florian meinte: „Ich bin ganz deiner Meinung, dass die drei von ihnen genannten sich am besten im Gesamtbild geschlagen haben. Wenn ich mir Peters Zettel so anschaue, hat er dieselben Namen aufgeschrieben. Was für mich interessant dabei ist, dass Peter die Namen bereits nach der persönlichen Vorstellung festgelegt hat, ohne die beiden Fragerunden abzuwarten.“

Ich sagte: „Florian, das wird für immer mein Geheimnis bleiben. Wir sind uns einig, dass die drei genannten damit eine feste Zusage für ihre Ausbildungsplätze bekommen. Florian schickt euch spätestens Anfang nächster Woche die Unterlagen zu, die ihr kurzfristig unterschrieben zurückschicken solltet. Für Karam habe ich noch eine besondere Überraschung. Er ist einer der Auszubildenden, der aufgrund seiner Arbeitszeit, in den frühen Morgenstunden, Ansprüche haben könnte, in ein vom Arbeitgeber bereitgestelltes Appartement am Gutshof einzuziehen.“

Frau Müller schaute mich fragend an: „Peter, das verstehe ich jetzt nicht ganz. Kannst du mir das bitte erklären?“ Ich antwortete: „Ja, kann ich, nehmen wir Karam als Beispiel. Er ist minderjährig. Wohnt er am anderen Ende der Stadt oder sogar außerhalb von Rosenheim muss er mit dem öffentlichen Nahverkehr zur Arbeit fahren. Beginnt seine Arbeitszeit spätestens um sechs Uhr morgens hat er Probleme, ohne fremde Hilfe rechtzeitig im Unternehmen zu sein. Der Gutshof wird zwar ab Sommer direkt angefahren, aber der erste Bus wird erst nach sechs Uhr hier eintreffen.

Er würde also regelmäßig zu spät zur Arbeit kommen. Das betrifft aktuell bei uns die Auszubildenden in der Landwirtschaft, im Service des Jugendhotels und in der Bäckerei. Aus diesem Grund bauen wir derzeit drei Jugendhäuser mit rund sechzig Appartements. Davon werden von auswärtigen minderjährigen Jugendlichen aus Kinderheimen etwa ein Drittel in diesem Jahr bezogen werden. Dazu kommen noch einige volljährige Jugendliche, die in Kinderheimen leben und noch in Ausbildung stehen. Ich kann nicht beurteilen, wie ihre Schützlinge untergebracht sind. Möglicherweise könnten alle drei dafür in Frage kommen.“

Frau Müller antwortete: „Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe handelt es sich um das Projekt, dass in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt erstellt wird. Alle drei sind sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und würden, da sie dem Jugendamt unterstellt sind, vermutlich automatisch während der Ausbildung hier landen, es sei denn sie wären in Pflegefamilien untergekommen.“

Ich nickte nur, was sie mit Daumen nach oben erwiderte. „Bevor wir uns jetzt trennen, gibt es von eurer Seite noch Fragen an uns oder will einer der Drei seinen Ausbildungsplatz doch nicht in Anspruch nehmen?“

Karam meinte: „Fragen habe ich keine und ich werde mir die hier gebotene Chance, eine vernünftige Ausbildung zu absolvieren, nicht entgehen lassen. Da ich in einer für unbegleitete Jugendliche eingerichteten Unterkunft untergebracht bin, werde ich dein Angebot mit dem Appartement gerne in Anspruch nehmen.“

Da auch die anderen keine Fragen hatten und sich im Grunde genommen darüber freuten, zumindest diejenigen, die jetzt einen festen Ausbildungsplatz haben, wollte ich mich schon verabschieden. Florian unterbrach mich und erklärte: „Karam, wenn du in einer der Jugendwohnungen untergebracht wirst, hast du die Möglichkeit mittags und abends in der Kantine im Jugendhotel zu essen. Dein Frühstück müsstest du dir selbst in deinem Appartement zubereiten, aufgrund des frühen Arbeitsbeginns. Dafür zahlen wir dir einen Zuschuss zu deiner Ausbildungsvergütung.“

Ich verabschiedete mich. Auch Frau Müller und ihre Mitfahrer waren aufgestanden und verabschiedeten sich ebenfalls. Karam blieb sitzen und wollte noch mit den drei Jungs plaudern, da er mit dem Fahrrad hier war. Ich ging in mein Büro und schaute sofort nach, was an neuen Mails eingetroffen ist. Nach zwanzig Minuten tauchten die drei Jungs im Büro auf und setzten sich in die Besprechungsecke.

Da sie mit mir reden wollten, setzte ich mich zu ihnen. Frederik meinte: „Wir haben uns sehr gut mit Karam unterhalten und Kevin hat ihm angeboten, dass wir am Wochenende oder auch abends mit ihm für seinen Schulabschluss lernen könnten. Florian meinte, dass du nichts dagegen einwenden würdest. Wir sollten aber erst dann mit ihm lernen, wenn wir in unser eigenes Appartement eingezogen wären.“

Ich lachte und sagte: „Warum sollte ich etwas dagegen haben. Ich finde es gut, dass ihr ihm helfen wollt. Sprecht doch mit David und Tobias. Wenn Karam in die gleiche Klasse geht, könnte er auch mit unseren Jungs lernen für die Prüfung. Die Jungs der Abschlussklassen, die im Gutshof wohnen, treffen sich regelmäßig nachmittags bei uns im Esszimmer, machen gemeinsam Hausaufgaben und lernen für ihre Abschlussprüfung.

Es freut mich für euch, dass ihr versucht, einen neuen Freundeskreis in eurer neuen Umgebung aufzubauen. David und Tobias haben damals etwas länger gebraucht, bis sie angefangen haben sich neue Freunde zu suchen. Wollt ihr nicht gleich hochgehen und mit ihnen reden? Ich vermute, sie sitzen heute wieder oben und lernen gemeinsam. Sagt Michael, dass ihr heute wieder bei uns beim Abendessen sein werdet.“

Die beiden verabschiedeten sich bis später. Nur Florian blieb noch bei mir sitzen und meinte: „Peter, ich könnte mich abwatschen wegen meiner Äußerung, die ich heute Vormittag von mir gegeben habe. Die fünf Jugendlichen haben mich vollständig überrascht mit ihren guten Deutschkenntnissen, das hatte ich nicht erwartet. War vielleicht doch gut, dass du mich sofort auf meinen Fehler hingewiesen hast, obwohl es mir sehr peinlich war, weil Kevin das miterleben musste.“

Ich grinste und meinte: „Schwamm drüber. Kevin war auch der Meinung, dass ich dich zu hart angegangen bin. Als ich ihm erklärte, dass die Art und Weise wie ich mit dir umgegangen bin, ohne Folgen für beide Seiten sein wird, da wir in den letzten Monaten ein sehr gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut haben, war er wieder beruhigt.

Übrigens, ich habe vorher beschlossen, dass wir zu Beginn der Ausbildung einen weiteren Event einplanen. Inzwischen hat sich die Zahl der Auszubildenden noch einmal um mehr als zehn Prozent erhöht. Da finde ich das als beste Möglichkeit, eine verschworene Gemeinschaft zu formen. Dieses Mal gehen wir aber ins Seminarhotel mit den Auszubildenden. Wie beim Einstellungsevent gilt für alle Anwesenheits- und Übernachtungspflicht.

Wenn ich mir den Kalender so anschaue, Anreise am Dienstag, dem ersten September bis neun Uhr morgens, Ende der Veranstaltung am Freitag, vierter September nach dem gemeinsamen Mittagessen. Für alle Auszubildenden soll Armin einen Bus organisieren, der sie am Dienstag gegen achtuhrdreißig im Gutshof abholt und am Freitagmittag wieder zurückbringt. Du kannst allen anbieten, dass sie mit dem Bus fahren können, wenn sie rechtzeitig am Gutshof eintreffen.

Armin soll sich etwas Besonderes einfallen lassen, für einen Tagesausflug am Donnerstag, meinetwegen nach München, nach Innsbruck oder nach Salzburg. Frag bei allen die Kleidergröße ab, dann organisieren wir Sweatjacken für alle, die hinten die Aufschrift tragen Berufsstarter.“

Florian lachte und meinte: „Ich stelle mir das gerade bildlich vor, wenn du und die Jugendlichen mit den Jacken und der Aufschrift durch die Münchner Fußgängerzone ziehst, ihr würdet überhaupt nicht auffallen.“

Ich antwortete: „Florian, du glaubst doch nicht, dass ich eine Jacke mit der gleichen Aufschrift tragen werde. Bei mir sollte nur „Boss von dem Haufen“ oder so ähnlich stehen und deine Jacke ziert der Schriftzug Azubi-Bändiger.“

Florian kringelte sich vor lauter Lachanfällen und es dauerte lange, bis er sich wieder beruhigte. Er sagte: „Peter, das ist jetzt nicht dein Ernst, du kannst doch nicht mit so einer Jacke und dieser Aufschrift durch die Stadt laufen.“

Ich grinste und meinte: „Kannst du mir einen vernünftigen Grund sagen, warum ich das nicht machen kann? Wir sind ein verrückter Haufen. Warum sollte ich als Chef mich ausschließen. Ich zeige doch nur, dass ich zu unseren Auszubildenden stehe und sie nicht als lästige Notwendigkeit erachte. Sieh es doch wie einen Junggesellenabschied. Für die Kids ist es der Abschied von ihrem Schülerleben hin zu einem jungen Erwachsenen, der seinen Lebensunterhalt verdienen will.“

Florian meinte: „Peter, das ist es doch! Genau der richtige Ansatz. Es ist eine Abschiedsparty vom bisherigen Leben und dem Übergang zu einem jungen Erwachsenen.“

Ich stellte fest, dass es Zeit wird nach oben zu gehen, da es bald Abendessen geben wird. Deshalb erklärte ich: „Florian, wir sollten für heute aufhören, wir haben noch ein paar Monate für die Vorbereitungen. Ihr überlegt euch zusammen, was wir veranstalten können und entscheiden dann, was wir umsetzen werden. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend und, falls wir uns morgen nicht mehr sehen sollten, ein schönes Wochenende.“

Ich schaltete mein Notebook aus und ging nach oben in die Wohnung, wo ich schon zum Abendessen erwartet wurde.

Beim Abendessen erzählten Kevin und Frederik, dass sie mit David und Tobias meinen Vorschlag besprochen haben und diese zugestimmt haben, dass sie mit Karam und den anderen vier Flüchtlingen zusammen für die Abschlussprüfung lernen würden, wenn sie mitmachen wollen. Auch Pete, Pit und Klaus wären mit dabei, das hätten sie telefonisch mit den drei Jungs abgeklärt.

David ergänzte: „Karam und Maruan sind in unserer Klasse, die anderen drei sind in der Parallelklasse. Wir haben schon erfahren, dass die beiden im September als weitere Auszubildende dazukommen werden und bei uns im Gutshof als Bäcker und Konditor ausgebildet werden. Dass Kevin und Frederik uns dabei unterstützen wollen, war eine riesige Überraschung.

Wir werden Morgen mit unseren beiden Mitschülern sprechen und mit ihnen abklären, an welchen Tagen wir uns zum Lernen treffen können. Nächste Woche haben wir Winterferien, vielleicht können wir uns da zu einem gegenseitigen Kennenlernen zusammensetzen.“

Nach dem Abendessen verabschiedeten sich Kevin und Frederik, da sie sich heute Abend mit Ludwig, Christian, Bernhard und Benjamin treffen wollten. Sie hatten vereinbart, dass sie mit ihnen darüber sprechen wollen, wie sie sich gegenseitig bei den Umzügen und bei der Beschaffung der Möbel und der sonstigen Dinge unterstützen können.

David und Tobias erklärten, dass sie mit Thomas und mir etwas besprechen möchten. Dennis fragte, ob sie dabei sein könnten, oder die Jungs nur mit uns beiden etwas besprechen wollen. Tobias grinste: „So geheimnisvoll ist unser Gespräch nicht, es geht um die nächsten drei Tage. Morgen kommt doch Simon mit seinen Eltern für das Wochenende. Am Samstag werden wieder einmal Möbel in München eingekauft und am Sonntag sollen die ersten Möbel aufgebaut werden.“

Mir fiel ein, dass ich bisher die Jungs noch nicht informiert habe, dass Simon nicht nur über das Wochenende bleiben wird: „Jungs, es gibt eine Planänderung. Simon bleibt nicht nur bis zum Sonntag. Er wird die ganze kommende Woche bei uns am Gutshof bleiben. Seine Eltern werden aber am Dienstag abreisen und ihn zum Ferienende wieder abholen. Das hat sich gestern schon abgezeichnet, aber erst heute habe ich die Bestätigung erhalten.“

Tobi sagte: „Bedeutet das, dass Noah schon am Wochenende in seine Wohnung einziehen will, damit Simon bei ihm übernachten kann?“

Ich überlegte. Darüber hatte ich mir bei der spontanen Aktion keine Gedanken gemacht. Auch Noah wusste noch nichts von der Änderung. Mir fiel in dem Moment ein, dass ich vergessen hatte Noah zu informieren, morgen früh eine Reisetasche mit Bekleidung für mindestens drei Tage mitzubringen, da er zumindest bis Montag im Gutshof bleiben wird.

Ich meinte, ich müsste kurz mit Noah telefonieren, denn ich habe vergessen, dass er morgen genügend Klamotten mitbringen soll. Wir wollen am Samstag zeitig losfahren. Dann rief ich im Betreuten Wohnen an und der Betreuer meinte, als ich ihm erklärte, warum ich anrufe, dass Noah seine Reisetasche packe, aber nur für einen Tag. Ich bat ihn, dass er ihm ausrichtet, dass er für drei Tage packen solle. Er versprach, das Noah gleich auszurichten.

Als ich das Gespräch beendet hatte, meinte ich: „Ich habe bisher noch keinen Plan, wie das mit den Übernachtungen mit Simon laufen soll. Spätestens morgen, wenn Simon mit seinen Eltern hier ist, werden wir eine Vorentscheidung treffen. Es könnte aber durchaus sein, dass die beiden ab Montag oder Dienstag in der Wohnung übernachten wollen.

Bis Simons Eltern abreisen, sind beide Jungs erst einmal im Jugendhotel eingebucht. Wie es danach weitergeht wird sich spätestens am Montag, in Absprache mit Dieter, entscheiden. Wollt ihr morgen bei der Wohnungsbesichtigung und der Entscheidung, wer in welche Wohnung einzieht, dabei sein? Zweites Thema ist, wie wir uns am Samstag im Möbelhaus aufteilen werden?“

David kicherte und meinte: „Ist doch eigentlich logisch, dass wir neugierig sind und morgen mit den Jungs die Wohnungen besichtigen wollen. Mich interessiert vor allem, ob die beiden Jungs bei der von Noah ausgewählten Wohnung bleiben oder sich doch für die größere Wohnung entscheiden.

Wegen Samstag, wie hast du dir das vorgestellt? Ich vermute, dass Simons Eltern mit den beiden Jungs die Möbel aussuchen werden. Wobei ich fände es besser, wenn Noah und Simon mit Jüngeren die Möbel aussuchen würden. Denn ich vermute nämlich, dass Simons Eltern die Jungs zu eher bürgerlichem Mobiliar überreden wollen und das passt nicht zu den beiden Jungs.“

Ich grinste und erklärte: „Ich denke, da liegst du nicht daneben mit deiner Vermutung. Auch ich befürchte dasselbe. Bist du dir sicher, dass du und Tobias das bessere Team mit den beiden Jungs bilden werdet? Das wird viel Arbeit für mich Simons Eltern davon zu überzeugen, dass Ihr mit Noah und Simon die Möbel aussuchen sollt. Das Beste wird sein, dass wir gemeinsam mit den Jungs die Möbel in der Ausstellung ansehen.

Beim Einkaufen von Geschirr und allem, was zum Haushalt gehört, solltet ihr Frederik und Kevin unterstützen. Die beiden haben eine Liste, was sie einkaufen sollen. Wenn die Bauteile für die Möbel zusammengesucht werden, können Kevin und Frederik die bisherigen Gesindehausbewohner unterstützen. Du und Tobias suchen mit Noah und Simon die Möbelbauteile zusammen.

Thomas und ich holen in der Zwischenzeit an der Warenausgabe die großen Teile und verteilen sie auf die Transporter. Wenn ihr alles eingesammelt habt, werden die Bauteile in die Transporter verladen und dann geht es zurück zum Gutshof. Ich hoffe, dass wir früh genug zurück sind, um beide Transporter noch auszuräumen. Um zwanzig Uhr sind wir zum Abendessen im Nebenzimmer des Restaurants. Ansonsten wird am Sonntagvormittag der Rest aus dem großen Transporter ausgeräumt. Manuel braucht am Sonntagmorgen den kleinen Transporter wieder für die Gärtnerei.“

Den Rest des Abends wurde noch eifrig geplant. Als letztes Thema an diesem Abend wurde von David und Tobias noch ein heißes Eisen angefasst. Thomas meinte dazu: „David und Tobias, ihr habt keine Chance, wie die anderen Auszubildenden in die Jugendwohnungen umzuziehen. Wir haben euch adoptiert. Ihr seid unsere Söhne und lebt in einer intakten Familie.

Wenn ihr eure Ausbildung abgeschlossen ist, könnt ihr jederzeit ausziehen und gemeinsam in eurer Wohnung machen, was ihr wollt. Barbara würde uns gewaltig in den Allerwertesten treten, wenn wir euch erlauben, ins Wohnheim umzuziehen. Für Klaus gilt dasselbe wie bei euch, er kann auch nicht mehr ins Jugendwohnheim umziehen, er ist ebenfalls bereits adoptiert.

Bei Pit und Gero geht das nur, weil die beiden Jungs ab dem Zeitpunkt nicht mehr unsere Pflegekinder sind und direkt vom Jugendamt betreut werden. Pete wird auch bei uns bleiben, wenn vom Jugendamt seinem Wunsch von uns adoptiert zu werden, zugestimmt wird.“

Mir war in dem Moment längst klar, dass das noch nicht das Ende der Diskussion sein würde. Aber zumindest für heute hatte Thomas einen klaren Standpunkt vertreten. Thomas und ich nutzten die Gunst der Stunde und erklärten, dass die beiden alten Herren, wie sie uns gelegentlich betitelten, sich in ihre Betten verziehen würden, um wenigsten ein paar Stunden Schönheits- und Verjüngungsschlaf genießen zu können.


Am Freitag war ich wieder kurz vor halb acht Uhr im Büro und arbeitete, wie immer, meine letzten Mails ab. Kurz nach acht Uhr tauchten Kevin und Frederik auf und setzten sich in die Besucherecke. Ich erzählte ihnen, dass wir gestern Abend noch lange mit David und Tobias über den morgigen Besuch im schwedischen Möbelhaus gesprochen haben und so verblieben sind, dass die Beiden mit euch die Sachen kaufen, die ihr für eure Wohnung braucht.

Danach fragte ich, wie ihr Gespräch mit den beiden Pärchen im Gesindehaus verlaufen sei. Frederik meinte: „Wir sind gestern sehr lange zusammengesessen und haben unsere Einkaufsliste noch lange überarbeitet. Jetzt sollte alles auf der Liste stehen, was wir morgen einkaufen müssen.

Peter, hast du schon etwas vom Jugendamt Miesbach gehört, wann Kevin die Sachen von seinen Eltern bekommt, die ihm gehören? Das kann doch nicht so lange dauern, bis sie die Sachen dort abgeholt haben.“

Ich meinte: „Da täuscht ihr euch gewaltig. Es kann unter Umständen drei bis vier Wochen dauern, bis die Sachen von den Eltern herausgegeben werden. Christian hatte Glück. Das Familiengericht hat innerhalb eines Tages die Eltern dazu verdonnert, Christians persönliche Dinge und Unterlagen innerhalb von achtundvierzig Stunden herauszugeben. Barbara schaffte es, dass sie sogar Benjamins Sachen herausgegeben haben. Ansonsten hätte Benjamin seine Dinge gesondert herausklagen müssen, da er bereits volljährig war.

Bei Pete hatten wir auch eine besondere Situation. Da hat sein Vater zugestimmt, dass Pete und die fünfköpfige Truppe vom Verwalterhaus noch am gleichen Tag alles aus dem Elternhaus holen konnten, solange seine Mutter noch in Polizeigewahrsam war. Die Aktion erregte einiges Aufsehen, weil ein Nachbar der Polizei einen vermeintlichen Einbruch beim Nachbarn meldete. Die Jungs haben umsichtig gehandelt, so dass nichts eskaliert ist.

Ein Pressevertreter hatte mitbekommen, dass ein Polizeieinsatz beim Rosenheimer Oberstaatsanwalt laufe und tauchte dort auf. Dem erzählte Pete, im Beisein der Polizei und seines Vaters, der inzwischen ebenfalls dort eingetroffen war, die Story, dass sie von seinem Vater beauftragt wurden, einige Dinge, die als Spende gedacht war, abzuholen, was sein Vater bestätigte. Die restlichen Arbeiten fanden unter Polizeischutz statt, da Petes Mutter inzwischen auf freiem Fuß war und jederzeit hätte auftauchen können.

Bei Pit und seinem Bruder dauerte es etwa drei Wochen, bis die beiden in Polizeibegleitung ihre Sachen aus dem Haus ihrer Eltern holen konnten. Geros und Randolfs persönliche Dinge wurden sofort beschlagnahmt, als Randolf und Gero ihren Eltern vom Jugendamt entzogen wurden. Es kommt eben immer auf den einzelnen Fall an, wie lange es dauern kann.“

Kurz nach neun Uhr kam der Anruf von Babsi, dass sie mit Simon und ihrem Mann unterwegs zu uns seien und noch vor Mittag eintreffen werden. Ich erklärte ihr, sie sollten das Auto beim Jugendhotel parken und ohne Gepäck zu mir ins Gutshaus ins Büro kommen.

Als die Jungs mich fragten, mit wem ich eben gesprochen habe, erklärte ich ihnen, dass Simons Mutter angerufen hat und sie unterwegs seien und in zwei bis zweieinhalb Stunden am Gutshof eintreffen werden.

Petra kam in mein Büro und erklärte, sie habe Dieter am Telefon und er wolle nur wissen, bis wann er bei dir im Büro sein soll, wegen Noah. Ich meinte es reicht, wenn er zwischen zwölf und halb eins hier sein könnte. Ich nutzte die Gelegenheit, rief in der IT bei Noah an und bat ihn, so gegen zwölf Uhr mit Bernhard in mein Büro zu kommen.

Die nächste, die störte, war Jenifer, unsere Architektin, die mir erklärte: „Der Umbau des Bauteils zu Jugendwohnungen ist weniger aufwändig, da in dem Gebäudeteil hauptsächlich die Suiten untergebracht sind und diese von der Größe so bleiben können, wie sie bisher sind. Das gibt dann vierzig Jugendwohnungen und im Dachgeschoss zwei Gemeinschaftsräume mit großer Dachterrasse.

Die Pläne habe ich dir bereits hinterlegt, damit du sie den Leitern der Jugendämter zeigen kannst. Jason hat vorgeschlagen, dass wir im Allgäu die gleichen Grundrisse und den gleichen Aufbau verwenden wollen, notfalls mit zwei Einheiten weniger je Etage. Ich habe die Pläne für Scharbeutz in einem eigenen Ordner Jugendwohnheim hinterlegt, reicht dir das für deine Präsentation?“

Ich antwortete: „Die beiden Herren reisen erst am Sonntagnachmittag an und bleiben bis Faschingsdienstag. Morgen bin ich mit den Jungs in München, um für die drei Wohnungen im IT-Gebäude Möbel zu kaufen. Ich werde mir die Pläne gleich ansehen und sollten noch Fragen bestehen rufe ich bei dir an. Danke für die rechtzeitige Bereitstellung der Unterlagen. Was ich noch Fragen wollte, wie geht es Max mit der Planung des Neubaugebiets? Gibt es da schon konkrete Überlegungen?“

Jenifer lachte und meinte: „Ich weiß nicht, wie oft Max schon mit der Gemeinde telefoniert hat. So langsam kennt er alle Fakten, die er zu berücksichtigen hat. Er arbeitet daran.“ Wir wünschten uns noch ein schönes Wochenende und beendeten das Gespräch.

Kevin meinte: „Peter, ist das normal, dass du an mehreren Sachen gleichzeitig arbeitest?“ Ich meinte: „Das bringt der Job so mit sich, dass man immer mit mehreren Sachen beschäftigt ist. Ist auch nicht immer gleich viel, womit man sich beschäftigt. Manchmal sind es nur fünf bis zehn Sachen, die fast parallel ablaufen, es kann aber auch vorkommen, dass zwanzig und mehr Baustellen zum Abarbeiten sind.

Nimm den Punkt Möbeleinkauf, der erledigt sich morgen bereits wieder. Die Jugendwohnungen sind am Dienstag vorerst vom Tisch, bis von den Landkreis-Jugendämtern die Zusage kommt, dass sie die Gebäude anmieten werden. Selbst danach tangiert es mich kaum noch. Die weiteren Arbeiten werden von den Mitarbeitern erledigt. Ein Beispiel, das Frederik betrifft, ist der Hofladen. Damit habe ich mich vor Wochen beschäftigt. Inzwischen liegt die Aufgabe bei meiner Tochter und jetzt auch bei Frederik.“

Ich schaute mir mit den Jungs die hinterlegten Baupläne an und diskutierte mit ihnen über die Grundrisse und die Ausstattung der Jugendwohnungen und der Gemeinschaftsräume.

Kurz vor halb Zwölf Uhr klopfte Petra bei mir an und meldete uns drei Besucher, die einen Termin bei mir hätten. Ich grinste und meinte, sie solle doch die Besucher in mein Büro bringen. Ich begrüßte Familie Bauer und stellte die beiden Jungs vor und umgekehrt. Ich bat die beiden Jungs, mit Petra noch ein paar Stühle zu organisieren, da wir spätestens nach zwölf Uhr zu neunt oder zehnt in meinem Büro wären.

Während die Jungs die Stühle holten, setzte sich Familie Bauer bereits in die Besprechungsecke. Ich fragte Simon, wie es ihm gehe und ob er sich darauf freut, die kommende Woche hierzubleiben.

Er grinste. Bevor er jedoch antworten konnte, meinte Bruno: „Peter, logisch freut er sich. Ich verstehe nur immer noch nicht, warum dein Angebot, diese eine Woche bei euch zu bleiben, bei Simon sofort wieder die Blockade löste, obwohl weder du noch einer der Jungs in Simons Nähe war.“

Ich lachte und erklärte: „Nun, ich kann dir keine wissenschaftliche Begründung dafür liefern. Es war nur so eine Ahnung, dass das wie bei Noah ablaufen könne, bei dem sich ebenfalls die Blockade löste, als ihm klar war, dass er täglich zu uns kommen und arbeiten kann. Seit ihm bewusst ist, dass er sogar hier leben wird, gab es keinen Rückschlag mehr.

So gegen zwölfuhrdreißig spätestens wird Dieter, der Betreuer von Noah, dazukommen. Er möchte sowohl euch, aber natürlich auch Simon, den möglichen Mitbewohner Noahs, kennenlernen. Ich hoffe, ihr hattet eine gute Anreise und seid nicht komplett gestresst von der Fahrt. Vorab zu eurer Info, wir werden morgen mit voraussichtlich dreizehn Leuten ins Möbelhaus fahren. Die beiden Jungs hier sind mit dabei, da sie ab Anfang März in eines der freiwerdenden Appartements im Gesindehaus einziehen werden.“

Inzwischen waren die beiden Jungs mit den zusätzlichen Stühlen in meinem Büro und hatten sich ebenfalls in die Besprechungsecke gesetzt. Simon schaute die beiden an und sagte: „Ihr beide seid auch schwul. Ich spüre, dass ihr ineinander verliebt seid und einer von euch beiden bis vor kurzem große Schwierigkeiten damit hatte.“

Babsi und Bruno schauten ihren Sohn an. Aber auch Frederik und Kevin schauten verwundert zu Simon, bis Kevin erklärte: „Ich bin derjenige, der bis Anfang der Woche in großen Schwierigkeiten steckte. Meine Eltern haben mich in eine psychiatrische Klinik gebracht, wo ich angeblich von meiner Krankheit geheilt werden könne. Mein Freund Frederik hat dem Jugendamt eine anonyme Nachricht zukommen lassen und sie haben mich dort am Montag herausgeholt.“

Bevor irgendwer etwas dazu sagen konnte, klopfte es an meiner Bürotür. Noah und Bernhard traten ein. Als Noah Simon entdeckte, gab es kein Halten mehr, er stürmte auf Simon zu, umarmte ihn und die beiden fingen vor uns Allen zu knutschen an.

Um das Ganze perfekt zu gestalten, öffnete sich die Tür von Petras Büro. Dieter und Petra traten in mein Büro ein. Als Dieter die beiden knutschenden Jungs entdeckte, sagte er: „Muss junge Liebe schön, ich möchte auch noch einmal so jung sein wie ihr.“

Petra kicherte dazu. Die beiden Jungs ließen sich auch durch Dieters Bemerkung nicht aus der Ruhe bringen und knutschten weiter hemmungslos. Um die zwei etwas zu schocken, sagte ich: „Wenn ihr nicht sofort mit eurer Knutscherei aufhört, werde ich es mir noch einmal überlegen, euch beide zu beschäftigen. Wenn ihr den ganzen Tag mit euren Lippen aneinanderklebt, kann keine vernünftige Arbeit herauskommen.“

Bernhard grinste und sagte: „Peter, da kann ich dir nur zustimmen. So sind die beiden nicht zum Programmieren zu gebrauchen. Vielleicht gibt es zwei Jungs mit Asperger-Syndrom, die nicht so hemmungslos ineinander verknallt sind, dann würde ich die ersatzweise nehmen.“

Noah hatte sich Simon von gelöst und antwortete: „Peter, ich denke Bernhard ist nur neidisch, weil Benjamin es nicht wagt mit Bernhard zu knutschen, wenn ich in ihrer Nähe bin. Simon und ich haben uns eine Woche nicht gesehen, und ich habe auch keine Ahnung, ob ich das durchstehe, bis Simon im September bei mir einzieht. Da musste das einfach sein.“

Ich stellte Dieter die Eltern von Simon vor und als sich alle gesetzt hatten, meinte Dieter zu mir: „Peter, warum hast du gestern Abend noch im betreuten Wohnen der Lebenshilfe angerufen und Noah ausrichten lassen, dass er heute Klamotten für drei Tage mitbringen soll? Für einen Tag verstehe ich ja, aber warum für drei Tage?“

„Ganz einfach“, sagte ich, „am Samstag fahren wir sehr früh zum Einkaufen der Möbel nach München. Bis wir zurückkommen wird es spät und um zwanzig Uhr habe ich für alle Helfer das Nebenzimmer für ein Abendessen reserviert. Am Sonntag werden die letzten Möbelteile ausgeladen und nach oben getragen, sofern wir morgen Abend nicht alles schaffen.

Danach beginnt in zwei Wohnungen der Aufbau der Möbel. Da Simon nicht nur übers Wochenende hier ist sondern eine ganze Woche, können die beiden Jungs mit Hilfe von den anderen Jungs gemeinsam die Möbel zusammenbauen und alles einrichten. Nächste Woche sind Winterferien in Bayern.

Wenn mein Plan funktioniert, wird Noah spätestens heute in einer Woche in seine und Simons Wohnung einziehen. Übernachten wird er die nächsten drei Nächte im Jugendhotel, ob allein oder mit Simon in einem Zimmer, sollen die beiden Jungs selbst entscheiden. Wenn ja, sehe ich das schon als gute Vorübung für ein späteres Zusammenleben.“

Bruno meinte: „Haben wir als Eltern kein Mitspracherecht? Immerhin ist Simon noch nicht volljährig.“

Dieter erklärte: „In der Theorie ja, im praktischen Leben schwer zu vollziehen. Wäre Simon nicht als behindert eingestuft, würden sie ihm verbieten sich mit seinem Freund oder seiner Freundin zu treffen? In diesem Moment geben sie die Entscheidungsgewalt an ihr Kind ab. Was die beiden miteinander treiben, ist und bleibt ihre Angelegenheit.

Nach dem deutschen Recht können Jugendliche ab vierzehn eine sexuelle Beziehung haben, sofern der Altersunterschied zum Partner nicht zu groß ist, man spricht von zwei oder drei Jahren. Nach dem Gesetz ist Simon kein Schutzbefohlener von Noah, und mit fast siebzehn Jahren kann er seine eigenen Entscheidungen treffen. Sexuelle Handlungen im gegenseitigen Einvernehmen sind für Heranwachsende untereinander nicht grundsätzlich strafbar.

Wer sagt, dass die beiden Jungs nicht nur fummeln, knutschen und Petting betreiben wollen, bis Simon volljährig ist. Dann das ist keineswegs verboten. Die andere Frage, die ich mir dabei immer stelle, wollen sie den Freund ihres Heranwachsenden verklagen, wenn doch einmal mehr passieren sollte? Das endet in den meisten Fällen damit, dass sich der oder die Jugendliche von den eigenen Eltern abwendet und im schlimmsten Fall beim Jugendamt vorstellig wird. Meine Frau kann ihnen da einiges erzählen.“

Babsi meinte: „Bruno, du kannst dein Kind nicht ein Leben lang davor schützen, dass es einen Fehler macht. Ich vertraue den beiden Jungs, dass sie wissen, wie sie miteinander umgehen sollen, damit ihre Verbindung ein Leben lang halten wird.“

Ich schaute zu Bruno und Babsi und meinte: „Sollte es für euch nicht wichtiger sein, dass Simon und Noah sich gegenseitig anspornen, um dauerhaft ihr Schneckenhaus zu verlassen. Das ist für mich wichtiger als die Frage, was die beiden in einem gemeinsamen Schlafzimmer treiben könnten. Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen als das Liebesleben unserer Kinder.

Bruno und du Babsi, ihr bleibt bis Faschingsdienstag hier. Ich gehe davon aus, dass ihr ebenfalls den beiden Jungs beim Aufbau der Möbel helfen wollt. Simon ist hier, um bei uns ein Praktikum in der IT-Abteilung zu absolvieren. Er wird ab Montag immer vormittags bei Bernhard und Noah im Büro sein.“

Durch die vorherigen Gespräche kamen wir nicht zu allen wichtigen Themen. Wir beschränkten uns erst einmal auf die Punkte, die mit Dieter besprochen werden mussten. Kurz vor dreizehn Uhr drängte ich zum Aufbruch ins Gesindehaus, zum Einchecken der Gäste und anschließendem Mittagessen. Bernhard ging mit Noah ins IT-Gebäude, um Noahs Reisetasche zu holen.

Barbara und Bruno wurden sofort eingecheckt. Bei Simon warteten wir auf Noah, damit die beiden entscheiden konnten, ob sie sich ein Zimmer teilen wollen oder nicht. Als Noah an der Rezeption stand, fragte sie Dennis, ob sie ein gemeinsames Zimmer oder getrennt untergebracht werden wollen. Wie von mir erwartet, teilten sie sich ein Zimmer und so übergab ihnen Dennis zwei Zugangschips für ihr Zimmer.

Ich meinte: „Bringt eure Taschen und Koffer nach oben, dann treffen wir uns wieder hier in der Lobby und gehen zum Mittagessen in die Kantine“. Zehn Minuten später standen die beiden Jungs und Simons Eltern wieder bei uns in der Lobby. Inzwischen waren auch Benjamin, Ludwig und Christian zu uns gestoßen, da nach dem Mittagessen die Besichtigung und Verteilung der Wohnungen anstand.

Kurze Zeit später tauchten auch unsere Schüler in der Kantine auf und verteilten sich zu uns an die Tische. Gegen vierzehn Uhr gingen wir in größerer Gruppe ins IT-Gebäude, um die drei Wohnungen im Dachgeschoss zu besichtigen.

Noah zeigte Simon die Wohnung, die er für sich ausgesucht hatte. Ich hatte schnell den Eindruck, dass sie sich für diese Wohnung entscheiden würden, so wie es schon bei Noah allein der Fall war. Simon mochte sich jedoch erst die beiden anderen Wohnungen anschauen, bevor er seine endgültige Entscheidung treffen wollte.

Zuerst ging es in die andere Zwei-Zimmer-Wohnung, die ähnlich geschnitten war. Sie hatte nur einen anderen Ausblick. In die Wohnung wollte Simon keinesfalls einziehen, soviel konnte ich bei der Besichtigung aus seinen Augen lesen. Damit blieb nur noch die Drei-Zimmer-Wohnung übrig, die wir gemeinsam besichtigten.

Auch davon schien Simon nicht sonderlich überzeugt zu sein, so dass ich am Ende wieder der Überzeugung war, die beiden werden sich für die ursprünglich von Noah ausgesuchte Wohnung entscheiden. Was mir aber sofort auffiel, war die Tatsache, dass die beiden wieder einmal nonverbal kommunizierten.

Im Flur sprach ich sie an und fragte ganz frech: „Noah, Simon, ich bin mir nicht zu einhundert Prozent sicher, aber mir kam es so vor, als hättet ihr beide in der Drei-Zimmer-Wohnung wieder einmal nonverbal miteinander kommuniziert. Das ist mir bereits letztes Wochenende bei euch aufgefallen. Ich will nur wissen, ob ich mit meiner Vermutung überhaupt richtig liege. Ich kann mir denken, worüber ihr euch unterhalten habt, es ging um die Drei-Zimmer-Wohnung und was euch an der Wohnung gefällt oder nicht.“

Die beiden Jungs hatten sich angeschaut, als ich ihnen unterstellte, dass sie nonverbal kommunizieren würden. Das reichte mir bereits als Antwort. Noah erklärte: „Peter, wir können uns das selbst nicht erklären, aber du vermutest richtig.“

Dieter und Simons Eltern schauten mich und die beiden Jungs an, sagten aber nichts dazu. David meinte: „Ich habe auch etwas bemerkt, nur bin ich nicht auf die Idee gekommen, die beiden würden sich unterhalten. Noah, Simon, für welche Wohnung habt ihr euch entschieden?“

Simon grinste und meinte: „Fragt Peter, der kennt unsere Entscheidung bereits. Da bin ich mir ziemlich sicher. David, selbst du solltest fühlen, wofür wir uns entschieden haben.“

Jetzt wurde ich doch neugierig und ich konnte Dieter und Simons Eltern ansehen, dass sie von David wissen wollten, für welche Wohnung die Jungs sich seiner Meinung nach entschieden hatten. Ich sagte: „David, wenn du die Antwort kennen solltest, warte einen Moment. Ich will erst auf einen kleinen Zettel aufschreiben, in welche Wohnung die beiden Jungs meiner Meinung nach einziehen werden.“

Ludwig drückte mir die drei Grundrisse der Wohnungen in die Hand. Ich ging damit zum Fensterbrett des Fensters im Flur, und legte den Grundriss, für den sich die Jungs entschieden hatten, umgekehrt auf das Fensterbrett, die beiden anderen Grundrisse legte ich ebenfalls, mit der weißen Seite nach oben, in einiger Entfernung ab. Ich ging wieder zurück zu den Jungs und meinte: „David du kannst los legen. Die Wohnung, für die sich die Jungs entschieden haben, liegt links auf dem Fensterbrett.“

Nachdem David erklärte hatte, dass die beiden Jungs die bereits von Noah ausgesuchte Wohnung nehmen werden und ich zu grinsen anfing, ging Babsi, Simons Mutter, zum Fensterbrett und drehte das Blatt auf der linken Seite um und schaute sich den Plan genau an. Sie kam mit dem Plan zurück und sagte: „Peter, David, ihr beide seid zumindest einer Meinung, das ist an sich schon bemerkenswert. Simon, Noah, wenn ihr jetzt eure Entscheidung verkünden würdet, können wir das Ratespiel beenden.“

Noah und Simon grinsten und Noah erklärte: „Was sollen wir euch verkünden. Ihr kennt das Ergebnis der Wohnungsbesichtigungen. Wir bleiben bei der Wohnung, die ich bereits letzte Woche ausgesucht hatte. Entscheidend für uns war die Aussicht, die wir vom Wohnzimmer aus haben werden.“

Dieter schaute mich und David an und sagte: „Ihr behauptet jetzt doch nicht allen Ernstes, dass ihr wirklich gewusst habt, für welche Wohnung sich die Jungs entschieden haben?“

David und ich grinsten fast synchron, so dass ich erklärte: „Doch, ich wusste letzte Woche schon vor allen anderen, für welche Wohnung sich Noah entschieden hatte. Heute war das nicht anders. Ich habe beide Jungs beobachtet und, bereits als wir die erste Wohnung verlassen hatten, war mir klar, dass sie sich gemeinsam für Noahs Wohnung entschieden hatten.

Bei der anderen Zwei-Zimmer-Wohnung deuteten alle Signale darauf, dass es diese Wohnung nicht sein wird. Bei der großen Wohnung fiel die Entscheidung erst in dem Moment, wo die beiden Jungs ihre stille Kommunikation führten.

Damit steht jetzt fest, Ludwig und Christian bekommen die zweite Zwei-Zimmer-Wohnung und Bernhard und Benjamin richten sich die Drei-Zimmer-Wohnung ein. Jungs, ihr könnt jetzt mit eurer Planung anfangen, was ihr morgen alles im schwedischen Möbelhaus einkaufen wollt.“

Ich wandte mich an meine Adoptivsöhne und sagte: „Ihr wolltet doch heute mit Karam und Maruan sprechen wegen einer gemeinsamen Lerngruppe mit den Jugendlichen vom Gutshof, zur Vorbereitung eurer Abschlussprüfung. Gibt es da bereits ein Ergebnis oder wird das erst nach den Winterferien entschieden?

Kevin, Frederik, von euch fehlt mir auch noch der mündliche Bericht über euren Besuch mit Frederiks ehemaligen Chef, Herrn Köllner, im Hofladen. Gestern hattet ihr es eilig zu eurem Termin mit den vier Jungs vom Gesindehaus zu kommen und heute Vormittag sind wir noch nicht dazugekommen. Euch vier erwarte ich in einer Stunde bei mir im Büro.

Noah, Simon, euch sehe ich um neunzehn Uhr im Restaurant zum gemeinsamen Abendessen mit Simons Eltern, Thomas, David und Tobias. Dieter, Bruno und Babsi, ihr begleitet mich bitte in mein Büro. Dort können wir uns in aller Ruhe und ohne die Jungs unterhalten. Jungs, ich wünsche euch viel Spaß beim Planen.“

Wir verabschiedeten uns von den Jungs. Wobei ich noch mitbekam, dass Bernhard meinte, sie holen sich ihre Notebooks und fangen mit der Planung direkt auf den Internetseiten des schwedischen Möbelhauses an. Unterwegs kam uns Thomas entgegen, der meinte, er schaut kurz nach den Jungs und kommt dann zu uns in mein Büro.

Wir setzten uns in die Besprechungsecke und Dieter sagte: „Peter, du hättest mich ruhig vorwarnen können, dass die zwei Jungs nonverbal kommunizieren. Vor allem, dass nicht nur Bernhard und du die beiden aus ihren Schneckenhäusern herausholen können.“

Ich erklärte: „Bis vorher war ich mir nicht sicher, ob die beiden Jungs nonverbale Kommunikation betreiben. Schon letzten Samstagabend hatte ich den Verdacht, der sich am Sonntag vor unserer Abreise noch einmal verstärkte. Erst heute, mit der Bestätigung von beiden Jungs, wusste ich es sicher. Bernhard, David und Gerry können die Schwingung fühlen, die angeblich auch von mir ausgehen. Da ich sie nicht empfangen kann, kann ich das nicht bestätigen.

Wobei David mir am Sonntag erklärte, dass er meine Schwingungen seit dem ersten Tag empfangen kann, sie bei ihm aber nur dann ankommen, wenn er Hilfe bei einem größeren Problem braucht. Diese Schwingungen würden ihm helfen richtige Entscheidungen zu treffen, ihn aber nicht beeinflussen zu wollen.“

Bruno meinte: „Dieter, dann hat dir Peter auch nicht erzählt, was mit Simon im Laufe der Woche abgelaufen ist. Am Dienstagabend zeichnete sich ab, dass sich Simon wieder in sein Schneckenhaus zurückzieht. Babsi hat am Mittwochvormittag bei Peter angerufen und ihm davon berichtet. Er hat ihr vorgeschlagen, Simon seine Ferien bis zum Sommer am Gutshof verbringen zu lassen und ihm das so zu erklären. Gleichzeitig sollte sie ihn daran erinnern, dass er am Freitag Noah wieder treffen werde, mit der Erklärung, dass Simon damit vermutlich wieder aus seinem Schneckenhaus herausgelockt wird. Mittags, als er von der Schule nach Hause kam, erklärte sie ihm das, was ihr Peter aufgetragen hatte, und innerhalb weniger Minuten war er wieder raus aus dem Schneckenhaus.“

Dieter grinste und meinte: „Der Trick hat schon bei Noah funktioniert. Seit er weiß, dass er zukünftig am Gutshof wohnen wird, ist er nicht mehr in der Versenkung verschwunden. Wenn mit dem heutigen Tag feststeht, dass Simon ab Herbst seine Ausbildung hier absolviert und bei seinem Freund leben wird, kann ich mir vorstellen, dass er eher selten wieder in die Versenkung abtaucht.“

Ich ergänzte: „Dadurch, dass Bernhard mit Benjamin zu Noah ins IT-Gebäude umziehen, ist der positive Einfluss ständig im Umfeld von Noah und später auch von Simon vorhanden. Ich bin mir sicher, dass die beiden sich auch gegenseitig positiv beeinflussen. Ich hätte noch einen Vorschlag für euch. Wenn ihr euch zutraut, würde ich Noah zwischen den Ferien für eine Woche oder ein paar Tage zu euch schicken, um die Zeit des Wiedersehens zu verkürzen und positive Signale zwischen den beiden Jungs auszutauschen.“

Babsi erklärte: „Ich hoffe, dass wir das nicht heute bereits entscheiden müssen. Denn ich hätte mit Sicherheit riesige Probleme, wenn beide Jungs „in der Versenkung verschwinden“, so wie Dieter es bezeichnete.“

Bruno erklärte: „Babsi und ich haben am Montag und Dienstag noch ziemlich kontrovers diskutiert, ob es nicht sinnvoller sei, Simon doch in einer Behindertenwerkstatt unterzubringen. Nachdem Peter am Mittwoch Babsi erklärt hat, wie sie Simon wieder herauslocken kann, haben wir uns endgültig dazu entschieden, ihm die Chance zu geben und eine Ausbildung als Programmierer zu ermöglichen.

Uns war bewusst, wenn Simon in die Behindertenwerkstatt kommt, wird er immer wieder in sein Schneckenhaus zurückkriechen, bis er eines Tages ganz dicht macht und nicht mehr reagiert. So hat er wenigstens die Möglichkeit ein einigermaßen normales Leben zu führen. Dass er mit Noah zusammenleben will, war für uns eine gewaltige Überraschung, da wir davon ausgegangen sind, dass Menschen mit dem Asperger-Syndrom eher nicht dazu neigen, sich an einen fremden Partner zu binden.“

Dieter meinte: „Wie gut das Zusammenleben der beiden Jungs funktionieren wird, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Ist vielleicht ein guter Test für beide, ein paar Tage so aneinander zu kleben. Wenn ich ein paar Tage zurückdenke, dann war ich am Anfang nicht davon überzeugt, dass Noah selbstständig leben kann. Inzwischen bin ich mir sogar sicher, dass er es schaffen wird. Noah ist so viel offener und empfänglicher, entgegen dem, wie ich ihn erlebte, als er zu uns ins betreute Wohnen gekommen ist.

Bruno, Babsi, wir sollten uns darüber unterhalten, wie ihr euch die Betreuung eures Sohnes und seines Freundes vorstellt, bis wir eine gewisse Sicherheit haben, dass die Jungs nicht ständig betreut werden müssen. Da ich inzwischen eng mit Peter zusammenarbeite, immerhin sind inzwischen acht Bewohner des betreuten Wohnens in einem der Unternehmen der Gutshofgruppe beschäftigt, würde ich vorschlagen, mit Peter regelmäßig nach dem Rechten zu sehen.“

Bruno erklärte: „Ich denke, es reicht, wenn sich Peter und Bernhard um die beiden Jungs kümmern. Wir werden mindestens einmal im Monat an einem Wochenende hier sein und nach den beiden Jungs sehen. Vielleicht verlegen wir unseren Wohnwagen dauerhaft hierher auf einen Campingplatz. Dann würden wir fast jedes Wochenende hier sein und die Jungs könnten gelegentlich bei uns im Wohnwagen übernachten.“

Wir einigten uns darauf, dass Bernhard und ich uns um die Jungs kümmern würden. Wenn die Hilfe eines Sozialarbeiters nötig würde, wird Dieter eingeschaltet. Die Stunde war inzwischen knapp abgelaufen, Dieter verabschiedete sich und fuhr nach Hause. Ich meinte, Simons Eltern sollten doch inzwischen auspacken und wir sehen uns um neunzehn Uhr beim gemeinsamen Abendessen im Nebenzimmer des Restaurants.

Mit rund zehnminütiger Verspätung standen die vier Jungs in meinem Büro. Sie setzten sich zu mir in die Besprechungsecke und ich fragte als Erstes: „Vertragen sich die sechs zukünftigen Bewohner bei der Planung ihrer Einrichtung?“

David grinst und meinte: „Bis wir das Haus verlassen haben, blieb alles friedlich. Bernhard und Benjamin planen für ihre Wohnung, Ludwig und Christian wollen sich ähnlich wie in ihrem Appartement einrichten und planen auch in diese Richtung. Nachdem Bernhard Simon und Noah gezeigt hatte, wie sie ihren Kleiderschrank planen können, planen sie ihren Schrank und wie er ausgestattet sein soll, damit sie Ihre ganzen Klamotten sauber unterbringen können. Damit waren sie gerade fertig, als wir aufgebrochen sind. Wir haben nur noch mitbekommen, wie ihnen Ludwig gezeigt hat, wie sie die Teileliste und die Ansicht ausdrucken können.“

Kevin ergänzte: „Als du und Tobi bei den anderen Jungs waren, haben sie sich bereits ihr Bett ausgesucht. Zuerst wollten sie zwei getrennte Betten ins Zimmer stellen, haben sich dann am Grundriss orientiert und sich für ein großes Bett mit einer Breite von einhundertachtzig Zentimetern entschieden. Bei den Matratzen wollten sie sich erst vor Ort, nach einer Liegeprobe, entscheiden, welche sie nehmen wollen.

Ich denke, wir werden morgen nicht allzu lange in der Ausstellung sein, wenn ich bedenke, mit welcher Akribie bereits jetzt alles geplant wird. Vermutlich die meiste Zeit wird der Einkauf von Geschirr, Vorhängen, Teppichen und ähnlichem Zeug in Anspruch nehmen. Nicht zu vergessen, die ganzen Bauteile für die Möbel zu bestimmen.

Ludwig hat allen erklärt, dass sie drei verschiedenfarbige Filzschreiber mitnehmen, mit denen die Pakete beschriftet werden, wem welches Paket gehört und in welchen Raum es soll. Als Beispiel erklärte er das Kürzel SNSZ, das für Simon und Noah stehen soll, und die Pakete zum Aufbau im Schlafzimmer benötigt werden. Simon meinte dann, es würde doch auch SZ ausreichen, wenn beispielsweise die Farbe Rot für Simon und Noah steht. Ludwig meinte, dass er das mit Peter besprechen möchte, von ihm stamme die Idee, die Pakete zu beschriften.“

Ich lachte und meinte: „Da werde ich keine Entscheidung fällen, die Jungs sind alt genug. Simon sieht das richtig, wenn jede Wohnung eine eigene Farbe hat, reicht es, wenn nur der Raum angegeben ist. Na Jungs, wer von euch möchte anfangen und mir berichten, wie es bei ihnen gelaufen ist?“

David meinte: „Am besten fangen Tobi und ich an. Wir wollen noch unsere Hausaufgaben erledigen, damit wir nächste Woche Zeit haben, um den Jungs beim Aufbau ihrer Möbel zu helfen. Wir haben heute mit Karam und Maruan gesprochen. Sie haben sich gefreut, dass wir ihnen angeboten haben, mit uns gemeinsam für die Prüfungen zu lernen.

Sie wollen heute noch mit den anderen Flüchtlingen reden, die in unseren beiden Abschlussklassen sind und mir am Montag mitteilen, wie viele von ihnen mitmachen wollen. Wir haben vereinbart, dass wir eine WhatsApp-Gruppe einrichten und uns am Mittwochnachmittag zum ersten Mal treffen. Die WhatsApp-Gruppe ist bereits eingerichtet. Karam, Maruan, Tobias und ich sind bereits eingetragen.

Wir werden nachher noch unsere Mitschüler vom Gutshof einbinden. Um die Mitschüler bei den Flüchtlingen kümmern sich Karam und Maruan. Wir treffen uns bei uns im Esszimmer. Willst du auch bei unserem ersten Treffen dabei sein?“

Tobias erklärte: „Papa, gibt es die Möglichkeit, dass wir uns statt in unserer Wohnung, in einem der Gruppenräume im Gesindehaus oder einen größeren Besprechungsraum treffen? Ich finde es immer besser, sich auf neutralem Boden zu treffen und nicht in unserer Wohnung. Wäre sicher auch im Interesse der Flüchtlinge, denn sie können uns nicht zu sich ins Flüchtlingsheim einladen.“

Ich meinte: „Sprich mit Alexandra und sag ihr, dass ich mit eurem Vorgehen einverstanden bin. Ist vielleicht auch besser. Nicht, dass eure Mitschüler sich unwohl fühlen, weil sie euch nicht zu sich einladen können. Wenn ihr euer erstes Treffen bei uns im Esszimmer abhalten wollt, bin ich dabei.“

David meinte: „Okay, beim ersten Mal bei uns im Esszimmer und wegen später spreche ich Alexandra an, welchen Raum wir zum gemeinsamen Lernen nutzen können. Mache ich gleich heute Abend, wenn wir im Restaurant zum Essen sind. Wenn du uns nicht mehr brauchst, verschwinden Tobi und ich nach oben und machen unsere Hausaufgaben.“

Die Beiden packten ihre Schultaschen, verabschiedeten sich eilig und verließen mein Büro. Ich sagte: „Jungs, dann erzählt mir jetzt, wie euer Besuch mit Herrn Köllner im Hofladen abgelaufen ist, oder gibt es da nichts, was zum Erzählen geeignet ist.“

Frederik grinste und sagte: „Peter, es gibt eine Menge zum Erzählen. Du erinnerst dich doch, wie abrupt ich beim Betreten des Hofladens stehen geblieben bin und gestaunt habe. Die gleiche Reaktion zeigte sich bei Alfons Köllner in dem Moment, als wir eingetreten sind. Kevin, der direkt hinter ihm ging, ist voll gegen meinen ehemaligen Chef gerannt und hätte ihn beinahe umgeworfen“.

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, so dass mich Kevin und Alfons böse angeschaut haben. Sie fanden das wohl nicht so lustig als ich. Ich erklärte, dass es mir gestern beim ersten Eintreten in den Hofladen ähnlich passiert ist. Mit einem kleinen Unterschied, Peter konnte noch abbremsen und hat mich nicht in Schwierigkeiten gebracht.

Jetzt konnten die beiden auch darüber lachen, weil sie verstanden hatten, dass nicht sie gemeint seien, sondern dass ich, einen Tag früher, genau wie Alfons reagiert habe. Diesmal war deine Tochter Martina nicht im Laden, aber eine weitere Verkäuferin hatte den Vorfall beobachtet. Sie kam näher und fragte die Beiden, ob ihnen etwas passiert sei. Dazu erklärten sowohl Alfons als auch Kevin, dass bei ihnen alles noch heil ist.

Sie fragte, ob sie uns weiterhelfen könne, was wir verneinten und ich ihr erklärte, dass sich Herr Köllner nur den Hofladen anschauen möchte. Alfons meinte: Er habe einen Supermarkt in Miesbach und der junge Mann, der als erster gelacht hatte, war mein ehemaliger Mitarbeiter. Inzwischen war auch ihre Kollegin Anita hinzugekommen, die mich sofort begrüßte und laut verkündete, dass ich der neue Chef vom Hofladen in der Gärtnerei Grubmüller werde und ab Montag für ein paar Tage im Hofladen mitarbeiten würde, um mich einzuarbeiten.

Die neue Kollegin, die sich uns als Beate vorstellte, meinte noch, dass er sich in aller Ruhe umschauen solle. Wenn er Fragen haben sollte, könne er sich gern an sie oder ihre Kollegin Anita wenden. Ich erklärte ihm, woher die einzelnen Waren kommen. Das saisonale Gemüse zum Beispiel kommt aktuell noch aus der Gärtnerei Winter. Beate rief dazwischen und erklärte, dass der Feldsalat, den Manuel heute Mittag frisch geliefert hat, bereits aus der Gärtnerei Grubmüller kommen würde. Alfons begutachtete den frischen Feldsalat und ließ sich einhundertfünfzig Gramm in eine Papiertüte packen. An der Kasse bezahlt er anstandslos einen Euro und achtzig Cent für den Salat. Er meinte, der Preis für einen frisch geernteten und biologisch angebauten Feldsalat, den er derzeit im Supermarkt verkaufen würde, kostet im Einkauf schon den gleichen Kilopreis.

Nun meinte er zu mir, dass ich mit dem neuen Job eine gute Wahl getroffen hätte. Auch erklärte er, dass er noch nie einen Hofladen gesehen habe, der ein derartig umfangreiches Sortiment an regionalen Produkten habe.

Beate erläuterte, dass im Fleisch- und Wurstwarenbereich das Angebot noch viel größer sei, weil der Kunde im Internet die Produkte von sieben Bauern bestellen kann und es zeitnah in seinem nächstgelegenen Hofladen, der zur Vertriebsgenossenschaft gehört, abholen kann. Was bis gestern Abend bestellt wurde, kann der Kunde heute Nachmittag bei uns abholen. Heute wurden sieben Vorbestellungen geliefert, zwei davon wurden bereits wieder abgeholt. Wir haben heute morgen acht Bestellung abgepackt, die Manuel zu den anderen Hofläden mitgenommen hat.

Als er im angebauten Hofcafé entdeckte, dass dort Kuchen und Torten, aber auch sonstige Backwaren, wie Brot, Semmeln, Brezeln und Kleingebäck verkauft werden, musste er sich dort auch noch umsehen. Alfons lud Kevin und mich auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Torte oder Kuchen ein. Als er sich verabschiedete meinte er, wir würden in Verbindung bleiben. Was was er heute bei uns gesehen habe, gefällt ihm so gut, dass er es auch umsetzen wolle, in einem eigenen Hofladen mit angeschlossenem Café.“

Kevin ergänzte: „Frederik hätte mich ruhig vorwarnen können. Dann wäre ich nicht auf seinen Ex-Chef aufgelaufen. Das war mir richtig peinlich, als Frederik auch noch lachte deswegen. Erst als er erklärte, warum er so lachen musste, weil auch du, Peter, ihn beinahe umgerannt hättest, musste ich ebenfalls lachen. Was Frederik vielleicht nicht so aufgefallen ist. Die Augen seines Ex-Chefs leuchteten, als er sich den Laden genau angesehen hat. Ich verstehe nicht, warum ein Supermarkt-Besitzer sich einen Hofladen zulegen will, er verkauft doch Lebensmittel in einer weit größeren Auswahl, als sie ein Hofladen anbieten kann.“

Frederik meinte: „Ich glaube, ich kann dir das erklären. Alles, was du in einem Hofladen kaufst, sind vorwiegend regional hergestellte Produkte. Wenn du dir die Auswahl in einem Supermarkt oder bei einem Discounter betrachtest, kommen zu einem Drittel die Produkte aus dem Ausland. Weitere sechzig Prozent stammen aus Deutschland, sind aber keine regionalen Produkte. Sie werden oft mehrere hundert Kilometer durch Deutschland bewegt.

Nur rund sechs Prozent der angebotenen Waren werden in einem Umkreis von fünfzig Kilometer um den Supermarkt herum produziert. Dein ökologischer Fußabdruck ist ein Mehrfaches mit den aus dem Supermarkt erworbenen Waren, im Vergleich zu dem, was du in einem Hofladen erwerben kannst.

Wenn du als Konsument umweltfreundlich einkaufen willst, bleibt dir eigentlich nur der Erwerb von regionalen Produkten. Wenn regional Produziertes kaum mehr kostet als die Supermarktware, würden vermutlich mehr Menschen umsteigen auf diese ökologisch produzierten Waren.“

Es klopft und meine Tochter Martina trat in mein Büro ein. Sie meinte: „Frederik, gut dass ich dich hier antreffe. Ich habe von meinen Damen schon erfahren, dass gestern dein Ex-Chef hier war und sich über die Warenvielfalt eines Hofladens gewundert hat. Sie haben mir auch berichtet, dass er einen Hofladen mit Café nach unserem Muster errichten will.

Aber das ist nicht der Grund, warum ich bei Peter bin. Florian hat mir heute Vormittag berichtet, dass ihr gestern drei Auszubildende gefunden habt, für den Verkauf, die Bäckerei und die Konditorei. Jetzt haben wir nur ein Problem bei den Bäckern. Denn wir haben keine feste Meisterin oder festen Meister. Eine Voraussetzung, die wir benötigen, damit wir Bäckernachwuchs ausbilden dürfen.

Ich habe bei Florian angefragt und gebeten, dass er sich bei der Innung erkundigt, ob es ausreicht, wenn unser Ausbilder auch bei einer anderen Bäckerei als Ausbilder angegeben ist. Du weißt doch, dass unser Bäckermeister nur Montag bis Mittwoch bei uns arbeitet, von Donnerstag bis Samstag arbeitet er in einer anderen Bäckerei. Ich habe bei unseren Gesellen nachgefragt, aber keiner ist bereit, die Weiterbildung zum Meister in Angriff zu nehmen. Ich hoffe nicht, dass wir extra einen eigenen Meister einstellen müssen. Vom Umsatz her könnten wir es uns leisten. Doch ich möchte eher einem jüngeren Mitarbeiter die Chance geben.“

Ich meinte: „Wenn er bei beiden Bäckereien als Meister gemeldet ist, sehe ich kein Problem, dass sich die Innung groß quer stellen kann. Warten wir ab, welches Ergebnis Florian bei dem Gespräch mit der Innung erreicht.“

Martina erklärte, dass sie jetzt zum Hofladen gehe und den Tagesabschluss durchführen wird. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es bereits kurz vor achtzehn Uhr war. Ich sagte zu Kevin und Frederik: „Euch erwarte ich auch um neunzehn Uhr zum Abendessen, da ihr morgen mit ins Möbelhaus kommt. Sagt bitte den Appartementbewohnern, dass sie ebenfalls zum Essen kommen sollen. Ich will mit allen besprechen, wann wir abfahren und wie der morgige Tag ablaufen wird.“

Dann sperrte ich mein Büro ab und ging nach oben, wo mich Thomas und unsere beiden Jungs bereits erwarteten. Glücklicherweise hatte ich mit Thomas bereits gestern vereinbart, dass er mittags auf dem Rückweg bereits einkaufen sollte, da wir am Samstag keine Zeit dazu hätten.

Ich meinte, dass ich mich kurz umziehe, zum Abendessen möchte ich doch lieber im Freizeitlook erscheinen. Ich kann mich in diesem Outfit heute nicht mehr sehen. Nachdem ich mich und auch die Jungs sich umgezogen haben, setzten wir uns noch im Wohnzimmer zusammen und Thomas fragte: „Warum gehen wir heute und morgen Abend zum Essen?“

Ich erklärte: „Heute Abend klären wir während des Essens, wie der morgige Tag ablaufen wird. Morgen kommen alle Helfer zum Abendessen, die den Jungs nach unserer Rückkehr aus München helfen, die Sachen nach oben in die drei Wohnungen zu bringen. Aufgebaut wird erst ab Sonntagvormittag und nur in den Wohnungen von Bernhard und Benjamin, sowie Noah und Simon.

Noah wird spätestens ab Ende der kommenden Woche endgültig aus dem betreuten Wohnen umgezogen sein, und damit gleichzeitig mit Benjamin und Bernhard, die innerhalb des Gutshofes umziehen. Fast zeitgleich können Kevin und Frederik in das freiwerdende Appartement im Gesindehaus umziehen.

Ich habe in der kommenden Woche die beiden Herren von den zuständigen Jugendämtern im Allgäu und Scharbeutz hier, um zusammen mit Barbara unser Konzept der Jugendwohnungen vorzustellen.“

Eine viertel Stunde vor der vereinbarten Zeit standen wir im Restaurant und ich klärte mit Alexandra ab, dass wir am Samstag erneut zum Essen kommen, mit allen Helfern, die beim Hochschleppen der Möbelteile und der sonstigen Kisten helfen. Sie schaute mich an und fragte, mit wie vielen Helfern ich rechnen würde. Wir könnten gut über dreißig Leute sein erklärte ich.

Alexandra erklärte: „Das Nebenzimmer kann ich euch morgen nicht geben. Wir haben dort eine Familienfeier eingeplant“. Sie holte Sebastian und der meinte, er könne mir alternativ ein Buffett im Gesindehaus für fünfunddreißig bis vierzig Personen anbieten, da an diesem Wochenende keine sonstigen Gäste anwesend sind. Ich stimmte zu, was blieb mir auch anderes übrig.

Kurz nach neunzehn Uhr waren alle im Nebenzimmer versammelt, die morgen mit nach München zum Möbelkauf mitkommen würden. Nachdem alle ihre Getränke und sowohl Vorspeise als auch Hauptessen bestellt hatten, erklärte ich, dass ich ihnen den morgigen Ablauf vorstellen will: „Wir treffen uns morgen um sieben Uhr bei uns im Esszimmer zum gemeinsamen Frühstück. Die beiden Transporter stehen vor dem Gesindehaus bereit, so dass wir um acht Uhr abfahren können.

Die beiden Galaxy sind für uns reserviert. Alejandro hat in beiden Fahrzeugen die dritte Sitzreihe ausgebaut, so dass reichlich Platz zum Einladen zur Verfügung steht. Morgen holen wir noch zwölf bis sechzehn Umzugskartons aus dem Keller im Gutshaus, je sechs bis acht für jeden Galaxy, damit die kleineren Sachen in die Kartons eingeräumt werden können und nicht einzeln nach oben tragen werden müssen.

Einen Galaxy fährt Ludwig, mit Christian, Bernhard und Benjamin als Beifahrern. Den zweiten Galaxy übernehmen Bruno und Babsi, bei denen Noah und Simon mitfahren werden. Die beiden Transporter werden von Thomas und mir gesteuert. Bei mir fahren Kevin und Frederik mit, bei Thomas sind David und Tobias die Beifahrer.

Wir fahren in einem Konvoi nach München. Das langsamste Fahrzeug bestimmt die Geschwindigkeit. Gegen neun Uhr werden wir den Parkplatz des schwedischen Möbelhauses erreichen. Am besten parken wir alle vier Fahrzeuge nebeneinander, damit wir beim Einladen alles möglichst gleichmäßig verteilen können. Ich sehe gerade, dass unsere Vorspeisen serviert werden. Alls weitere erkläre ich in der Pause, bis der Hauptgang geliefert wird.“

Nachdem fast alle mit ihrer Vorspeise fertig waren, sprach ich weiter: „Zuerst eine Frage, wie weit seid ihr mit euren Vorplanungen bisher gekommen? Bitte für jede Wohnung einen kurzen Bericht.“

Christian meinte: „Wir haben alle Schränke fix und fertig geplant. Um Zeit beim Einsammeln der Teile zu sparen, haben wir alle Schränke, Kommoden und so weiter, bereits mit Click und Collect vorbestellt und können ab etwa dreizehn Uhr in der Warenausgabe abgeholt werden. Nur für das, was wir uns beim Rundgang durch die Ausstellung noch aussuchen, müssen wir den Rest zusammensuchen.

Noah erklärte: „Nachdem uns die Jungs gezeigt haben, wie das mit Click and Collect abläuft haben wir alle Schränke, Kommoden und sogar unser Bett vorbestellt. Fürs Bett müssen wir nur noch die Matratzen auswählen. Unsere Sachen werden auch kurz nach dreizehn Uhr zur Abholung bereitgestellt.“

Bevor Benjamin oder Bernhard ihren Part loswerden konnten, wurde der Hauptgang geliefert. Erst als alle gegessen hatten, forderte ich die beiden Jungs auf, ihren ausführlichen Bericht aus ihrer Sicht abzugeben.

Benjamin lachte und meinte: „Was soll ich dir lang erklären. Das gleiche wie bei den beiden anderen Paaren. Einiges bereits vorbestellt und kann ab dreizehn Uhr dreißig abgeholt werden.“

„Okay,“ meinte ich, „das erspart uns mindestens eine bis eineinhalb Stunden für die Sucherei der einzelnen Pakete und Päckchen. Ich kann nur hoffen, dass ihr nichts übersehen oder vergessen habt. Im Ausstellungsbereich schreibt ihr euch zusammen, was noch extra eingesammelt werden muss. Bevor wir dann unten Geschirr, Betten und so weiter zusammensuchen, machen wir eine kurze Kaffeepause im Restaurant.

Wenn ihr alles in eure Einkaufswagen eingeladen habt was ihr einkaufen wollt, gehen wir zur Kasse und bringen alles so weit möglich in den beiden Galaxy unter. Während acht Leute die Umzugskisten befüllen, fahren wir zu sechst zur Warenausgabe und holen die vorbestellten Sachen und die Waren, die über die Warenausgabe laufen. Wenn ihr alles verstaut habt könnt ihr anfangen, die restlichen Pakete und Päckchen einzusammeln. Denkt daran, wir brauchen von jedem Filzstift zwei in der gleichen Farbe, einen für euch, um die Kisten zu beschriften und einen für uns, um unsere Teile korrekt zu kennzeichnen.

Wir stoßen wieder zu euch, wenn wir alles kontrolliert und eingeladen haben. Mit eurer Vorbestellung sparen wir viel Zeit ein und mit etwas Glück sind wir spätestens gegen fünfzehnuhrdreißig bereits auf dem Rückweg. Damit wären wir spätestens um siebzehn Uhr wieder im Gutshof und uns verbleiben gut zwei Stunden, um beide Transporter auszuleeren.

Um zwanzig Uhr treffen wir uns mit allen Helfer. Auch denjenigen, die nur beim Hochtragen geholfen haben, im Gesindehaus zum Abendessen. Sebastian bereitet uns ein Buffett vor, über das wir herfallen können. Spätestens gegen zweiundzwanzig Uhr ist Schluss, da am Sonntag in zwei Wohnungen die Möbel aufgebaut werden und da will ich nur ausgeschlafene Gesichter sehen.

Nicht dass am Ende die Möbel zweimal aufgebaut werden, weil im unausgeschlafenen Zustand die Pläne nicht richtig gelesen werden. Denkt daran, morgen früh um sieben Uhr bei uns zum Frühstück. Ich wünsche euch allen noch einen schönen Abend.“

Damit war der offizielle Teil des Abends abgeschlossen. Wir saßen trotzdem noch längere Zeit gemütlich zusammen und so gegen zweiundzwanzig Uhr löste sich die Runde auf.

In der Wohnung meinten Tobi und David, dass sie sofort ins Bett gehen. Ich stoppte die beiden und fragte: „Heute war doch der letzte Schultag vor den Faschingsferien? Thomas und mich würde brennend interessieren, wie eure Zwischenzeugnisse ausgefallen sind. Sie wurden doch sicher heute Vormittag an euch ausgegeben. “

Unsere beiden Adoptivsöhne grinsten frech. Beide standen ruckartig auf und verließen eilig das Wohnzimmer, als wenn sie auf der Flucht wären. Thomas schaute mich an und sagte: „Was ist mit unseren Jungs los? So schnell habe ich noch nie erlebt, dass sie aus unserer Nähe geflüchtet sind. Angst, uns ihre Zeugnisse zeigen, kann ich mir kaum vorstellen. Was ich bisher so mitbekommen habe, sind ihre Leistungen durchaus ordentlich.“

Keine Minute später standen sie wieder im Wohnzimmer und wedelten mit ihren Zwischenzeugnissen, als wenn hier innerhalb kurzer Zeit die Temperatur um zehn Grad gestiegen wäre. David schaute uns an und sagte: „Wer von euch will unsere Zeugnisse zuerst sehen? Thomas, Peter, wir wollten euch unsere Zwischenzeugnisse nicht vorenthalten. In dem Trubel heute Nachmittag mit den Wohnungen und der Einkaufsplanung haben wir sie komplett aus dem Auge verloren.

Spätestens nächsten Sonntag wäre es uns bestimmt aufgefallen, dass unsere Zeugnisse noch ohne die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten sind, wahrscheinlich früher, spätestens, wenn fünf Pflegekinder zur Unterschrift aufgetaucht wären.“

Beide Jungs drückten mir ihre Zeugnisse in die Hand und setzten sich schwungvoll neben mich. Mein erster Blick galt den Noten in den einzelnen Schulfächern, die aus meiner Sicht ordentlich ausfielen, sowohl bei David als auch bei Tobias. Beim Lesen der Bemerkungen in Davids Zwischenzeugnis musst ich schmunzeln und fragte: „David, wie soll ich folgende Bemerkung verstehen, der Schüler zeigt ein ausgeprägtes soziales Verhalten gegenüber dem Klassenverband.“

Tobias grinste nur, sagte jedoch nichts, David meinte: „Ganz verstehe ich den Satz auch nicht, aber vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich hilfsbereit bin und mich mit fast allen Mitschülerinnen und Mitschülern gut verstehe.“

Thomas lacht und sagte: „Wenn so ein Satz im Arbeitszeugnis steht, ist das eher negativ zu verstehen. Es bedeutet, dass der Mitarbeiter bei jeder Feier mit dabei ist und erst als einer der letzten nach Hause geht. Vermutlich soll er in deinem Zeugnis ausdrücken, dass du dich gegenüber der Klasse hilfsbereit verhältst und nicht zu denen gehörst, die jeden anpöbeln und einen Streit vom Zaun brechen wollen.“

Tobias grinste immer noch und meinte: „Derselbe Satz steht auch in meinem Zeugnis. Mir geht es wie David, ich verstehe ihn nicht so richtig. Für mich sind die Noten in den Fächern wichtiger, damit muss ich ein Leben lang zurechtkommen, die Bemerkungen interessieren doch wirklich keinen.“

Bevor ich erklärte, drückte ich Thomas die beiden Zeugnisse in die Hand: „Dass sich Bemerkungen keiner anschaut und sie nicht interessant sind, sehe ich nicht so. Ich lese sie immer, den man kann sehr viele versteckte Informationen finden. Ich mache mir trotzdem ein eigenes Bild von der Person, die mir gerade gegenübersitzt und beurteile sie nach meinen persönlichen Empfindungen. Tobias, stimmt, bei dir im Zeugnis entspricht die Bemerkung wortwörtlich derjenigen, die bei David steht.“

Jungs, was mich freut sind eure guten Noten. Ich bin positiv überrascht, da ich schlechtere Leistungsbewertungen erwartet habe. Was ich nur damit entschuldigen kann, dass ich bisher von euch beiden keine älteren Schulzeugnisse kennengelernt habe und damit keine Vergleichsmöglichkeit hatte. Zu den Zwischenzeugnissen kann ich euch nur gratulieren.“

Thomas meinte: „Jungs, ich gratuliere euch ebenfalls zu euren guten Leistungen. Da ich auch die Mittlere Reife als Schulabschluss habe, kann ich eure Ergebnisse sehr gut beurteilen und muss gestehen, in einigen Schulfächern habe ich nicht ganz so gut wie ihr abgeschlossen, aber dafür sind in anderen Schulfächern die Noten geringfügig besser ausgefallen. Der Durchschnitt aller Noten dürfte in etwa dem entsprechen, wie mein Abschlusszeugnis ausgesehen hat.“

David grinste und erklärte: „Peter, du brauchst dich nicht für deine niedrigeren Erwartungen entschuldigen. Die letzten drei oder vier Zeugnisse aus meiner Schullaufbahn entsprechen vermutlich genau dem, was du dir erwartet hast. Ich denke eher, dass sie sogar noch schlechter ausgefallen sind. Seit ich bei euch lebe und wieder regelmäßig zur Schule gehe, sind meine Leistungen um einiges besser geworden.

Das liegt vor allem daran, dass zur Schule gehen wieder mehr Spaß macht und ich ein Ziel vor Augen habe, das mich zusätzlich anspornt. Aus der Sicht betrachtet, hat mir der Wechsel zu euch, als meine beiden Väter, mehr als nur gutgetan. Peter, Thomas, wir beide, Tobias und ich, sind so glücklich darüber, dass ihr uns in eure kleine Familie mit aufgenommen habt. Ihr habt immer an uns geglaubt und uns positiv beeinflusst. Da wären schlechtere Leistungen nicht nur für euch eine riesige Enttäuschung gewesen.“

Tobias schob hinterher: „Selbst ich habe mich verbessert, nicht so stark wie David. Für mich war entscheidend, dass ich nicht mehr als Heimkind betrachtet werde. Das habe ich euch zu verdanken. Seit ihr uns als Adoptivsöhne angenommen habt, gab es bei mir eine weitere Motivationssteigerung. Wir sind bei euch in die Familie aufgenommen worden, als wären wir leibliche Kinder von einem von euch beiden. Am meisten beeindruckt hat mich dabei die Tatsache, dass Peters Kinder voll hinter der Adoption gestanden haben und ich genau genommen zwei Brüder und eine Schwester dazu gewonnen habe.“

Ich sagte: „Jungs, wir lieben und behandeln euch wie eure beiden älteren Geschwister. Macht weiter so, ich bin stolz auf euch. Jetzt lasst uns aber das Thema abhaken. Morgen wird wieder ein anstrengender Tag für alle, wenn wir ins schwedische Möbelhaus fahren und für Noah, Simon, Bernhard, Benjamin, Christian und Ludwig neue Möbel organisieren.“

Thomas schaute mich an und meinte: „Dann sollten wir die Gelegenheit nutzen und ins Bett verschwinden. Wir haben morgen früh die ehrenvolle Aufgabe, das Frühstück für alle vorzubereiten, die mit zum Einkaufen fahren.“

Wir wünschten den Jungs noch eine gute Nacht und wechselten lachend ins Schlafzimmer.

Lesemodus deaktivieren (?)