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Regenbogenfamilie

Teil 71 - Ostsee wir kommen

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Am Donnerstag, kurz nach elf Uhr, standen Felix und Dennis in meinem Büro und erklärten, das wir aufbrechen könnten. Ich bat die Beiden: “Holt aus dem Fuhrpark den reservierten Ford Galaxy für unsere Dienstreise. Baut bitte die beiden hinteren Sitz aus, damit wir reichlich Platz für unser Gepäck und für die Unterlagen haben, die wir auf dem Rückweg mitnehmen sollen, und kommt damit zum Gutshaus. Am Gutshaus laden wir unser Reisegepäck ein und fahren sofort weiter zur Schule, um Tobias und David einzusammeln.“

Ich fragte Felix: „Willst du den ersten Teil der Strecke übernehmen? Wir sollten insgesamt drei Fahrerwechsel einplanen und eine größere Pause beim zweiten Fahrerwechsel.“

Felix meinte, dann würde jeder von uns etwas mehr als zwei Stunden am Steuer sitzen, das sei für ihn ein vernünftiger Vorschlag.

Zwanzig Minuten später standen sie wieder in meinem Büro, ich war gerade fertig, mit dem Einpacken meines Notebooks und erklärten, dass das Auto vor der Tür steht. Felix sah mein Notebook und meinte, könnt ihr schon vorausgehen, ich hole noch schnell mein Notebook, das ich im Eifer des Gefechts vergessen habe. Weitere zehn Minuten später hatten wir alle Reisetaschen und die beiden Notebooks im Wagen verstaut.

Felix setzte sich hinters Steuer und fragte mich, welche Schule er anfahren soll. Ich lachte und meinte zu ihm, du musst nur zur Realschule fahren, aber nicht, dass du mir die Mädchen-Realschule ansteuerst. Wir brauchten gut fünfzehn Minuten bis zur Schule, wo uns die Beiden bereits vor dem Schulgebäude erwarteten. Sie stiegen hinten zu Dennis ins Auto und legten ihre Schulrucksäcke zu den Reisetaschen hinter ihrer Sitzreihe.

Ich informierte die Jungs, dass wir drei Pausen einlegen würden, die erste und die dritte werde nur kurz sein und hauptsächlich als Pinkelpause und zum Fahrerwechsel dienen. Die mittlere Pause wird länger ausfallen, da wir gleichzeitig eine kleine Mahlzeit einnehmen werden. Abendessen gibt es nach unserer Ankunft im Hotel. Das Restaurant dort bietet bis zweiundzwanzig Uhr eine warme Küche an.

In der nächsten Stunde sprach ich mit Dennis über sein Projekt „Diverse Veranstaltungen im großen Saal oder in einem Veranstaltungszelt“. Er stellte mir auch die Anregungen vor, die von den jüngeren, aber auch älteren Besuchern an ihn herangetragen wurden. Als ich zwischendurch aus dem Fenster blickte, stellte ich fest, dass wir bereits München hinter uns gelassen haben und auf der A9 in Richtung Norden unterwegs waren.

Kurz hinter Nürnberg, immer noch auf der A9 in Richtung Norden, fragte Felix, ob er den nächsten Rastplatz anfahren kann, er würde das Lenkrad an mich abgeben. Da wir etwa ein Viertel der Strecke bereits hinter uns hatten, stimmte ich sofort zu. An der Raststätte Fränkische Schweiz stellte Felix den Ford Galaxy ab und stieg sofort aus.

Ich meinte zu den Jungs: „Ihr solltet vorsichtshalber das stille Örtchen aufsuchen und euch ein wenig bewegen. Den nächsten Stopp werden wir erst wieder in etwa zwei Stunden einlegen, bei unserer längeren Pause.“ Ich stieg ebenfalls aus und ging in Richtung WC-Anlage. Die Jungs folgten mir nach kurzer Zeit. Auf dem Rückweg kam mir Felix entgegen, der mir den Autoschlüssel in die Hand drückte und sagte, dass er kurz zum Austreten geht und gleich wieder am Auto sein wird.

Kurz darauf standen alle wieder am Auto und ich forderte sie auf einzusteigen. Felix meinte, ich bräuchte nicht hetzen, wir liegen bisher gut in der Zeit, das Navi hat von der ursprünglichen Ankunft zwanzig Uhr fünfundvierzig, zwischenzeitlich auf zwanzig Uhr fünfzehn korrigiert. Selbst mit einer längeren Pause wären wir damit immer noch voll im Plan.

Ich meinte: „Wir sollten trotzdem wieder weiterfahren, wer weiß wo sich noch Staus bilden, die wir nicht planen können. Vermutlich werden doch viele Leute das lange Wochenende für einen Kurzausflug nutzen.“

Felix lachte und erklärte: „Peter, du glaubt doch nicht wirklich, dass im Oktober so viele Menschen an die Ostsee fahren für ein verlängertes Wochenende.“

Ich stieg trotzdem ins Auto, zwei Minuten später saß Tobias auf dem Beifahrersitz und die anderen drei machten es sich auf der Rückbank bequem. Während der Fahrt unterhielt ich mich hauptsächlich mit Tobias. Die Hinterbänkler hatten ihre Smartphones in den Händen und spielten. In Höhe von Leipzig wechselten ich auf die A14, der ich bis Magdeburg folgte. Bei Magdeburg fuhr ich auf die A2 in Richtung Hannover.

Meinen Törn beendete ich an der Raststätte Autohof Lehre. Während ich tankte, gingen die Jungs zuerst zu den Toiletten und danach in den Shop. Ich stellte unser Fahrzeug noch auf einem der Parkplätze ab und eilte ebenfalls zum Shop. Die Jungs hatten für alle schon belegte Brötchen geordert, die ich an der Kasse zusammen mit der Tankrechnung bezahlte.

Wir gingen zurück in Richtung unseres Fahrzeugs. Wir setzten uns in der Nähe unseres Autos auf eine Parkbank und kauten gemütlich an unseren belegten Brötchen. Nach knapp zwanzig Minuten erklärte Felix, dass er jetzt weiterfahren wolle. Ich ging erst noch einige Schritte auf und ab, bis ich mich auf die Rückbank zu David und Tobias setzte.

Wir waren kaum unterwegs, als mein Smartphone einen Anrufer signalisierte. Ich nahm das Gespräch an und hatte den Hotelmanager in der Leitung. Er fragte, bis wann wir voraussichtlich eintreffen würden, da er uns gerne persönlich begrüßen will. Ich erklärte ihm, dass wir erst Mittag losfahren konnten, und wenn ich dem Navigationsgerät Glauben schenke, wir vermutlich erst kurz vor einundzwanzig Uhr ankommen würden, sofern wir in keinen größeren Stau geraten. Er meinte, dann würde er jetzt eine Pause einlegen und uns ab zwanzig Uhr fünfundvierzig in der Lobby des Hotels erwarten.

Ich unterhielt mich mit Tobias und David, die unter anderem von mir wissen wollten, ob sie, so wie Dennis, auch ihre Augen offenhalten und mir ihre Eindrücke schildern sollen. Ich erklärte ihnen: „Zwingen werde ich euch nicht dazu. Doch wenn es euch Spaß macht, würde ich mich über eure Informationen freuen.“ Auf ihre Nachfrage, ob sie auf ganz bestimmte Dinge achten sollen, antwortete ich ihnen: „Konzentriert euch auf Auffälligkeiten, alles, was euch nicht unbedingt als normal erscheint.“

Die Zeit bis zum letzten Fahrerwechsel verging fast wie im Flug, vor allem, weil ich mich mit meinen beiden Pflegesöhnen hervorragend unterhalten konnte. Irgendwann meldete sich Felix vom Fahrersitz und erklärte, dass wir in Kürze die Raststätte Harburger Berge erreichen werden, und er wieder die Verantwortung für das letzte Teilstück in meine Hände legen will.

Beim Fahrerwechsel setzte sich David auf den Beifahrersitz und alle anderen machten es sich auf der Rückbank bequem. Wir hatten, wie geplant, wieder nur einen kurzen Aufenthalt eingelegt, also Pinkelpause und etwas Bewegung für die vom langen Sitzen lahmgelegte Muskulatur.

Es war nur noch ein kurzes Teilstück auf der A7 und wir wechselten erneut die Autobahn, von der A7 auf die A1 in Richtung Lübeck. Felix hatte uns beim Wechsel mitgeteilt, dass wir, wenn das Navigationsgerät nicht schummelt, sogar noch vor der geplanten Ankunftszeit am Ziel wären. Ich erklärte: „Bisher hatten wir überwiegend Tageslicht. Jetzt, in der Dunkelheit, werde ich vermutlich doch etwas langsamer fahren. Wahrscheinlich werden wir, was die Ankunftszeit betrifft, eine sogenannte Punktlandung hinlegen können.“

Während der Fahrt unterhielt ich mich mit David, der mir irgendwann erklärte, dass er sich sehr darüber gefreut hat, dass ich ihn und Tobias nach so kurzer Zeit bereits auf diese Dienstreise mitnehme. Das zeige ihm, dass mir sehr daran gelegen ist, sie so schnell wie möglich vollständig in die Familie zu integrieren. Er hätte nur Angst davor, dass ihm oder Tobias Fehler unterlaufen und ich danach sauer auf sie sei.

Ich erklärte ihm: „Auch wenn euch Fehler unterlaufen, werde ich nicht sofort sauer auf euch sein. Wichtig ist, dass ihr aus den Fehlern etwas lernt und versucht sie zukünftig zu vermeiden. Nur wenn dieselben Fehler sich ständig wiederholen, werde ich euch ansprechen“, erläuterte ich ihm. Ich stellte erstaunt fest, dass wir unserem Ziel immer näherkommen.

Als das Navi der Meinung war, es wären nur noch fünf Kilometer, informierte ich die Jungs mit der Ansage: „Wir werden in Kürze unser Ziel erreichen, bitte bleibt noch angeschnallt, bis wir die endgültige Parkposition erreicht haben. Ich wünsche euch einen schönen Aufenthalt an der Ostsee. Ich hoffe, ihr hattet eine angenehme Fahrt und ich freue mich darauf, euch auf der Rückreise wieder begleiten zu dürfen.“

Felix lachte laut und erklärt: „Dein Spruch ist wirklich gut. Ich hatte bei manchen Streckenabschnitten sowieso das Gefühl, dass wir tief geflogen sind. Aber nicht nur, wenn du gefahren bist, sondern auch während meiner eigenen Törns. Was ich nicht gedacht hätte, wir sind wirklich gegen zwanzig Uhr fünfundvierzig am Ziel. Wie konntest du dir da so sicher sein?“

Ich grinste und erklärte ihm trocken: „Alles nur Lebenserfahrung. Mit fünfundfünfzig ist sie fast dreimal so hoch wie bei dir. Spaß beiseite, das hat mit Lebenserfahrung nichts zu tun. Es liegt einfach daran, dass ich schon sehr oft Langstrecken zurücklegen musste und im Laufe der Zeit sammelst du die nötigen Erfahrungen, die dir die Einschätzung der richtigen Ankunftszeit erleichtern.“

Inzwischen standen wir vor dem Hotel auf dem hoteleigenen Parkplatz. Die Jungs waren bereits aus dem Auto ausgestiegen und holten ihre Reisetaschen aus dem Wagen. Ich holte meine Reisetasche und mein Notebook, verschloss den Galaxy und ging mit den Jungs in Richtung Hotellobby.

An der Rezeption meldete ich uns an und erklärte, dass wir für drei Nächte gebucht hätten. Die junge Dame schaute in ihrem Computer nach. Plötzlich winkte sie einer Person und legte fünf Zutrittskarten für unsere Suite auf den Tresen. Sie wünschte uns einen angenehmen Aufenthalt und erklärte: „Unser Manager, Herr Bergmeier, erwartet sie hier im Foyer. Er ist bereits auf den Weg hierher.“

Ich drehte mich um und konnte einen etwa vierzigjährigen Mann erblicken, der sich in unsere Richtung bewegte. Als er mir gegenüberstand, stellte er sich kurz als Jan Bergmeier vor. Er begrüßte uns und gab jeden von uns die Hand. Dass ich Peter Maurer sein musste, war offensichtlich, so stellte ich ihm meine Begleiter vor.

Ich fing mit Felix Müller an und stellte ihn als Mitarbeiter der Stiftung vor. Der nächste war Dennis Huber, den ich als Auszubildenden zum Hotelfachmann in unserem Jugendhotel Gesindehaus im Gutshof und im Restaurant im Gutshaus vorstellte. David Politovsky und Tobias Huber stellte ich als meine beiden Pflegesöhne vor, die im kommenden Sommer die Schule beenden und ihre Ausbildung in einem der Betriebe der Gutshofgruppe beginnen werden.

Er wollte wissen, ob wir bereits zu Abend gegessen hätten. Als ich verneinte und erklärte, dass wir nach unserer Ankunft geplant hatten im Hotelrestaurant speisen zu wollen, bat er die Rezeptionistin unser Gepäck in die Suite bringen zu lassen und meinte, wir sollten ihm auf dem direkten Weg ins Restaurant folgen. Er sprach mit dem Restaurantchef, der uns zu einem ruhigen Tisch für sechs Personen brachte.

Eine Mitarbeiterin brachte uns die Speisekarte und fragte nach unseren Getränkewünschen. Während wir die Karte studierten, fragte Herr Bergmeier, wie unsere Anreise war. Ich meinte, wir hatten keine Probleme und bei zwei Fahrern ist es auch nicht so anstrengend, als wenn einer allein fahren würde. Wir erhielten zügig unsere Getränke und konnten gleichzeitig unsere Bestellung fürs Abendessen loswerden.

Ich bot Herrn Bergmeier das Du an, weil das in unserer Firmengruppe so üblich sei. Er stellte sich als Jan vor und ich erklärte, dass ich Peter bin. Er wollte wissen, ob es keine Hierarchie-Probleme gebe, wenn alle Mitarbeiter nur mit dem Vornamen angesprochen werden. Ich gab diese Frage an Felix und Dennis weiter. Felix erklärte: „Anfangs hatte ich schon Probleme meinen Chef nur als Peter anzusprechen. Erleichtert wurde es mir durch die Tatsache, dass Peter und meine Eltern schon seit vielen Jahren befreundet sind und ich ihn schon früher kennenlernte, als ich noch ein kleines Kind war. Bei Dennis, den ich als Auszubildenden kennenlernte, hatte ich gar kein Problem, da er im gleichen Alter ist. Mit Peters Lebensgefährten Thomas, immerhin Geschäftsführer in der J. Graf GmbH, die zur Gutshofgruppe gehört, hatte ich wiederum kein Problem.“

Er schaute zu Dennis und meinte, er solle seine Meinung kundtun. Dennis lachte, und erklärte: „Von der Schule her war ich es gewohnt, alle Lehrerinnen und Lehrer mit dem Nachnamen anzusprechen. Ich hatte das Glück, Peter kennenzulernen, als mein Vater am Gutshof eingeladen war, um den Mitarbeitern der Münchner Immobilienverwaltung, die die Stiftung geerbt hatte, den Umzug von München nach Rosenheim schmackhaft zu machen.

Felix hatte mit mir geflirtet und ich habe ihm erzählt, dass ich in München eine Ausbildung zum Hotelfachmann beginne. Ich wäre nicht glücklich darüber, dass ich in einem Jahr allein in München bleiben müsste, wenn meine Eltern mit meinen Geschwistern zum Gutshof umziehen.

Der wiederum hat das Peter erzählt und er hat mir angeboten, ich könne meine Ausbildung sofort am Gutshof antreten. Außerdem hatte Peter meinen Eltern angeboten, dass ich bis zum Umzug meiner Eltern entweder bei ihm im Gästezimmer wohnen oder ein Zimmer für Mitarbeiter im Seminarhotel beziehen kann. Deswegen ist es mir leicht gefallen, da ich für ihn auch so etwas wie ein Familienmitglied bin.“

Ich erklärte Jan: „Die Beiden sind zwei Beispiele, die zeigen, wie schwer es ist, Privat und Arbeit, auseinanderzuhalten. Soll ich mich von Dennis in meinem Wohnzimmer mit Du und während der Arbeit mit Sie ansprechen lassen? Ich habe zwischenzeitlich festgestellt, dass die meisten meiner Mitarbeiter weitaus weniger Probleme haben, mich direkt anzusprechen, wenn sie Probleme haben, die sie mit mir persönlich besprechen wollen.“

Unsere Essen wurden serviert und Jan meinte zu dem Thema: „Aus der Sicht habe ich das noch nie betrachtet, wir haben hier auch Mitarbeiter, die ich vorher privat gekannt hatte, bevor ich hier Manager wurde. Ich kenne die Schwierigkeiten, wenn man ständig zwischen privat und dienstlich unterscheiden muss.

Während ich meinen Sauerbraten genoss, besprachen wir, wie das mit den beiden Personalversammlungen ablaufen soll. Ich meinte, eine Versammlung morgen und die zweite am Samstag, damit möglichst viele der Mitarbeiter teilnehmen können. Er bot an, morgen Nachmittag und am Samstag vormittags jeweils eine Versammlung einzuberufen. Damit hätten fast alle Mitarbeiter die Chance daran teilzunehmen, mit Ausnahme der Kranken und den Urlaubern.

Gegen zweiundzwanzig Uhr verabschiedeten wir uns von Jan und fuhren mit dem Aufzug in die dritte Etage, wo unsere Suite war. Felix öffnete mit seiner Karte und schaltete das Licht ein. Über einen kurzen Flur erreichten wir eine Art Wohnzimmer mit mehreren Sitzgelegenheiten.

Von diesem Raum gingen drei Türen und ein weiterer kleiner Flur ab. An Ende des Flurs war einer der beiden Schlafräume mit den beiden Betten. Durch die Tür neben dem Flur ging es in ein großzügiges Badezimmer. Beiden anderen Zimmer entpuppten sich als das Einzelzimmer und das zweite Doppelbettzimmer.

Ich bat die Jungs kurz noch Platz zu nehmen, bevor wir in die Betten verschwinden. Ich fragte in die Runde, ob ihnen schon etwas aufgefallen sei. Felix meinte, ihm sei nichts aufgefallen, was aber daran liegt, dass er von der Fahrt völlig geschafft sei. Dennis meinte nur, beim Service habe er einige Dinge beobachten können, die Sebastian und Alexandra nicht durchgehen lassen würden.

David wiederum erklärte, ihm sei an der Rezeption aufgefallen, dass die junge Dame, unsere Gruppe zuerst äußerst skeptisch gemustert hatte, als wir uns dem Tresen näherten. Nachdem Peter seinen Namen genannt und sie im Computer nachgeschaut hatte, habe sich ihr Verhalten schlagartig geändert. Es war, als hätte jemand einen Schalter bei ihr umgelegt. Sie wirkte erheblich freundlicher, so dass ich vermute, ihr ist in diesem Moment bewusst geworden, dass sie den neuen Eigentümer der Hotelbetriebsgesellschaft vor sich hat. Auffällig war auch, dass sie sofort jemanden gewunken hat. Scheinbar um zu signalisieren, dass der neue Inhaber bei ihr am Tresen steht.

Tobias grinste und erklärte, dass ihm das Verhalten am Tresen zwar etwas verwundert hatte, er aber nicht die gleichen Rückschlüsse daraus gezogen habe wie David.

Ich versuchte ihnen die Situation zu erklären: „Nicht nur euch ist die Szene am Tresen aufgefallen. Meine Einschätzung sagt mir, man hatte im Hotel eine Truppe älterer Herrschaften erwartet, die zur Hotelbesichtigung und zu den Personalversammlungen mit ihren Ehefrauen anreisen. Da wir jedoch in für sie unerwarteter Besetzung angereist sind, war es für sie schwieriger uns eine perfekt inszenierte Komödie vorzuspielen, da wir, so betrachtet, nicht ihren Erwartungen entsprachen.“

Ich konnte sogar in Jans Gesicht noch ablesen, dass er völlig überrascht schien, eine Gruppe von jungen Männern und dazu einen älteren Herrn zwischen fünfzig und sechzig anzutreffen. Als ich David und Tobias als meine Pflegesöhne vorstellte, konnte ich ihm sofort ansehen, dass er erneut überrascht wirkte. Ein ähnliches Verhalten haben wir bereits im österreichischen Hotel erlebt, als ich mit Ludwig und Felix angereist bin. Was glaubt ihr, was morgen abläuft, wenn ich ihm Felix als seinen direkten Ansprechpartner in der Stiftung vorstelle, Aber darüber sprechen wir heute sicher nicht mehr. Übrigens, auch bei Dennis hat er kurz gezuckt. Er hat sich wahrscheinlich gefragt, wieso ich einen Auszubildenden mitbringe. Hätte er mich danach befragt hätte ich ihm erklärt, dass das bei uns ein Teil seiner Ausbildung zum Hotelfachmann ist.“ Abschließend meinte ich noch: „Ich bin sehr zufrieden mit euren ersten Ergebnissen, was eure Beobachtungen anbetrifft. Macht weiter so, und jetzt Abmarsch in eure Zimmer, wir treffen uns morgen um kurz vor acht Uhr hier im Wohnraum, um gemeinsam zum Frühstück zu gehen.“

Freitag, am Tag der deutschen Einheit, waren alle wieder vor acht Uhr im Wohnzimmer versammelt. Wir gingen nach unten ins Restaurant, das morgens als Frühstücksraum diente. Dort empfing uns die Chefin für den Frühstücksservice und brachte uns zu einem ruhigen Tisch für sechs Personen. Sie fragte uns nach unseren Getränkewünschen und erklärte, es gebe normalen Kaffee, koffeinfreien Kaffee, Kakao oder Tee in den verschiedensten Geschmacksrichtungen. Sie meinte, wir können uns am Frühstücksbuffet direkt holen, was jeder von uns bevorzugt.

Die Jungs stürmten das Buffet, während ich noch am Tisch sitzen blieb. Als sie mit einer großen Kanne Kaffee an den Tisch trat, sagte sie: „Ich sehe schon, ihre hungrige Meute ist bereits dabei das Buffet zu plündern. Ich hoffe, es ist ansonsten alles zu ihrer vollen Zufriedenheit.“

Ich sah sie an und antwortete: „Danke der Nachfrage. Trotzdem erwarte ich, dass wir nicht anders behandelt werden als alle anderen Gäste im Haus. Nur so können wir uns einen richtigen Eindruck von den Abläufen im Haus verschaffen.“

Sie antwortete nur: „Wir bemühen uns alle Gäste gleich zu behandeln, wir erhoffen ja, dass zufriedene Gäste wieder in unserem Haus absteigen. Davon hängen langfristig doch unsere Arbeitsplätze ab.“

Sie ging zurück hinter den Tresen und da die Jungs auf dem Weg zum Tisch waren, bewegte ich mich zum Buffet. Ich holte mir zwei Vollkornbrötchen, Margarine, etwas Wurst und Käse und eine Portion Honig.

Wir waren fast fertig mit unserem Frühstück, als sich kurz nach halb neun Uhr der Hotelmanager uns näherte. Am Tisch angekommen begrüßte er uns freundlich und frage, ob er sich auf eine Tasse Kaffee zu uns an den Tisch setzen könne. Ich nickte, und so nahm er mir gegenüber Platz.

Zuerst interessierte ihn, ob wir gut geschlafen hätten. Als alle nickten, wirkte er zufrieden. Danach erzählte er, dass er noch in der Nacht alle Mitarbeiter per Mail über die beiden Personalversammlung informiert habe. Für beide Veranstaltungen liegen bereits erste Zusagen vor. Er schlug uns vor, gemeinsam mit ihm die Hausbesichtigung zu absolvieren.

Ich erklärte ihm, dass ich mir vorgestellt habe, die Besichtigung nur mit ihm allein durchzuführen. Die Jungs wünschten eine eigene Führung, mit einem oder einer Auszubildenden. Er sagte: „Wenn ihr mich einen kurzen Moment entschuldigt, ich sehe kurz nach, welche Auszubildenden im Haus sind und wer die Führung für die Jungs übernehmen kann.“

Er stand auf und ging in Richtung Rezeption. Felix schaute mich verwundert an und fragte: „Was hat dich geritten, zu behaupten, wir würden uns eine eigene Führung mit einem Auszubildenden wünschen. Du hast doch bestimmt wieder einen Hintergedanken dabei.“

Ich grinste und erklärte ihnen: „Erwischt, natürlich habe ich mir etwas dabei gedacht. Er wird bei der Besichtigung versuchen, mir alles in den schillerndsten Farben zu schildern. Ihr habt jetzt mit eurer gleichaltrigen Begleitung die Möglichkeit auch die negativen Seiten kennenzulernen. Ihr könnt beispielsweise offen zeigen, dass ihr schwul seid und beobachten, wie sie darauf reagieren. Bei euch vermutet man sicher nicht, dass ihr spioniert. Ihr solltet nur darauf achten, dass er euch keinen Vorzeigeauszubildenden unterjubelt.“

Dennis sah mich ernst an und meinte: „Peter, du bist ein Chef, der jeden seiner Schritte sehr genau plant. Langsam verstehe ich, warum du uns wirklich mitgenommen hast. Wir sind hier um zu lernen alles zu hinterfragen und nicht alles zu glauben, was man uns vormacht oder erzählt.“

Ich sah, dass sich Jan mit einem Jungen näherte, der vom Alter her zwischen meinen Jungs lag. Er stellte ihn uns als Malte, einen achtzehnjährigen Auszubildenden zum Hotelfachmann im zweiten Lehrjahr vor. Er hinterließ bei mir auf Anhieb nicht den Eindruck, dass er über seine Aufgabe als Hotelführer glücklich ist. Als ihm jedoch bewusst wurde, dass er mit Gleichaltrigen auf Besichtigungstour durchs Hotel geschickt wird, löste sich seine Verspannung zusehends.

Ich sagte zu Jan: „Lass uns Beide schon losziehen. Die Jungs können sich in Ruhe untereinander bekanntmachen und danach zu ihrer eigenen Führung aufbrechen.“ Während Jan und ich uns wegbewegten, bekam ich noch am Rande mit, dass sich als erster Dennis vorstellte und dabei feststellte, dass sie beide den gleichen Ausbildungsberuf gewählt hätten, wobei er aber erst im ersten Ausbildungsjahr sein würde.

Jan ging mit mir zuerst in sein Büro und sagte mir, dass die gewünschten Kopien der Planunterlagen fertiggestellt seien und zeigte auf sieben oder acht Ordner, in denen sich die Unterlagen befanden. Ich bedankte mich für die rasche Umsetzung und erzählte ihm, dass die Unterlagen ab Montag, entweder bei uns im Haus oder direkt bei unserem Architekten, in digitale Pläne umgesetzt werden, damit unser Architektenteam sie für die Planung der Baumaßnahmen zur Renovierung und Neugestaltung verwenden können.Danach bat ich ihn sich zu setzen, weil ich ihm kurz den Ablauf der Personalversammlungen vorstellen möchte. Schritt für Schritt erklärte ich ihm den geplanten Ablauf. Beim Thema Personalplanung für die Zukunft und was mit den Mitarbeitern während der Umbauphase geschehen wird, hatte ich seine volle Aufmerksamkeit.

Am Ende sagte er zu mir: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr versuchen werdet, alle Mitarbeiter zu übernehmen. Auch eure Pläne für die Bauphase habe ich so nicht erwartet. Ich finde deine Idee, das Personal in dieser Zeit wochenweise zu euch oder in eure Niederlassung in Österreich zu holen, um sie auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten, als absolut genial. Dass ihr alle Auszubildenden, während dieses Zeitraums komplett zu euch holen werdet, um ihnen eine durchgehende Ausbildungszeit zu garantieren, wird bei ihnen sicher mit großer Begeisterung aufgenommen werden. Ich hatte mir gerade bei den Auszubildenden die größten Sorgen gemacht, wie es mit ihnen weitergehen würde. Jetzt verstehe ich, warum du Dennis mitgebracht hast, er soll den Auszubildenden Rede und Antwort stehen, wie es bei euch in der Ausbildung läuft.“

Ich bestätigte ihm seine Vermutung und ergänzte: „Auch Felix kann sicher dazu beitragen. Da wir im Haus mehrere Buchhaltungsteams und Mitarbeiter in der Verwaltung haben, können wir sogar Teilaspekte der erweiterten Ausbildung abdecken, die bei euch unter Umständen zu kurz kommen.“

Danach begaben wir uns auf den geplanten Rundgang durchs Haus. Zuerst zeigte er mir einige Gästezimmer in der ersten Etage. Auf unserem weiteren Weg durchs Haus besichtigten wir im Keller die Hotelwäscherei und weiter technische Räumlichkeiten. Im Erdgeschoß war unser erstes Ziel die Hotelküche. Unser Rundgang endete im Verwaltungstrakt, wo er mir im Marketingbüro den Marketing-Direktor Oliver Dombrowski vorstellte.

Der nutzte die Gelegenheit sofort und fragte mich direkt, ob ich mir überhaupt vorstellen könne, dass er bei der zukünftigen Nutzung des Hotels wirklich eine Chance auf Weiterbeschäftigung hätte.

Ich erklärte ihm: „Grundsätzlich ja. Er müsse sich nur darauf einstellen, dass sich seine Marketingaktivitäten in eine andere Richtung entwickeln dürfen, da zukünftige Gäste eine andere Klientel wird als bisher. Zusätzlich solle er sich überlegen, ob er auch den Part eines Eventmanagers übernehmen könne, da er nur mit Marketing wahrscheinlich einen Halbtagsjob haben würde.“

Oliver schaute mich an und fragte, wie ich die Rolle des Eventmanagers verstehen würde? Ich erklärte ihm, zum Beispiel Tagesausflüge für die Gäste planen und organisieren oder Veranstaltungen im Haus zu planen und vorzubereiten.

Er wollte von mir wissen, ob es im Unternehmen einen Mitarbeiter gibt, mit dem er sich über Details austauschen kann. Ich versprach ihm, dass sich unser Marketingmann Werner Wagner und Armin Schwarz als Eventmanager, bei ihm melden würden und wir ihn zu einem mehrtägigen Informationsaustausch mit den beiden Herren einladen, damit er die gesamte Bandbreite der Anforderungen kennenlerne.

Ich fragte Jan, ob er mir sagen kann, wo ich meine Jungs finden könne. Er meinte, das haben wir sofort. Er schnappte sich sein Mobilteil und wählte eine Nummer. Nachdem sich sein Gesprächspartner gemeldet hatte, schaltete er auf Mithören und fragte, wo er sich derzeit mit den Jungs aufhalte. Er erklärte, dass sie derzeit im Pausenraum für Mitarbeiter sitzen und Erfahrungen austauschen. Jan sagte, bleibt dort, ich werde gleich mit Herrn Maurer bei euch sein. Wir verabschiedeten uns von Oliver Dombrowski und gingen zum Pausenraum.

Im Pausenraum fanden wir meine Jungs mit Malte und zwei weiteren Mitarbeitern im Gespräch. Jan stellte mir die Beiden kurz als Ryan und Igor vor. Danach verabschiedete er sich mit den Worten: „Wir sehen uns später bei der Personalversammlung. Ich setzte mich zu den Jungs und erklärte ihnen: „Ihr könnt euren Erfahrungsaustausch weiter fortsetzen, ich werde euch erst einmal nur zuhören.“

In den nächsten Minuten hörte ich nur still zu, bis Felix erklärte, dass die Jungs auch Fragen an mich stellen könnten, wobei er sie darauf hinwies, mich bitte mit Peter anzusprechen, weil das in unserem Unternehmen so üblich sei. Nach anfänglichen Schwierigkeiten traute sich Malte doch mich zu fragen: „Peter, wir haben gerüchteweise vernommen, dass alle Auszubildenden, während der Umbauphase, ihre Ausbildung in Bayern fortsetzen werden. Stimmen die Gerüchte und wie soll das ablaufen? Deine drei Jungs konnten uns diese Fragen leider nicht beantworten.“

Ich erklärte: „Ich habe von dem Gerücht auch schon gehört und ich kann euch versichern, dass es kein Gerücht ist. Wir haben eingeplant, euch eine lückenlose Ausbildung zu ermöglichen, die während der Bauphase bei uns stattfinden wird. Dass wollte ich offiziell in den Personalversammlungen verkünden. Den genauen Ablauf kann ich euch noch nicht erklären, da sind zu viele individuelle Faktoren bei jedem von euch zu berücksichtigen. Was sicher ist, ihr werdet in dieser Zeit entweder im Jugendhotel Gesindehaus oder in unser Seminarhotel in zwei Kilometer Entfernung untergebracht.“

Sein Kumpel Ryan fragte nach: „Was verstehst du unter individuellen Faktoren?“

Ich erklärte ihm: „Wegen der Dienstpläne wird es sicher nicht möglich sein regelmäßig eure Eltern zu treffen. Wir bieten an, dass ihr über die gesamte Dauer der Ausbildung bei uns durchgehend vor Ort bleiben könnt und nur während eures Urlaubs nach Hause reist. Nicht jeder wird das für sich so handhaben wollen und öfters zu den Eltern, zum Freund oder der Freundin reisen wollen, das muss alles berücksichtigt werden. Bei den minderjährigen Jugendlichen besteht eine notwendige Aufsichtspflicht, die geregelt werden muss. Bei Malte ist es einfach, er ist bereits volljährig und kann selbst entscheiden, wie er das für sich handhabt.“

Ryan meinte: „Der größere Anteil der Auszubildenden ist bereits volljährig und kann damit für sich selbst entscheiden, nur zwei Jungs und Amanda aus dem ersten Ausbildungsjahr werden erst im nächsten Jahr volljährig. Was mich noch interessiert, wie wird das mit den Zwischen- und Abschlussprüfungen ablaufen und wie sieht es mit dem Besuch der Berufsschule aus?“

Ich versuchte zu erklären: „Berufsschule ist kein Problem. Ihr werdet als Gastschüler an der Berufsschule in Rosenheim angemeldet und dort am Unterricht teilnehmen. Bei den Prüfungen fehlen mir noch die endgültigen Informationen. Von der IHK in München wurde mir auf Anfrage mitgeteilt, mit Zustimmung der für den Wohnort zuständigen IHK in Lübeck, kann die Prüfung am aktuellen Ausbildungsort abgelegt werden. Andernfalls müsstet ihr zu den Prüfungen extra nach Lübeck anreisen.“

Ryan und Igor verabschiedeten sich, da ihre Pause zu Ende sei und sie wieder arbeiten gehen. Ich wollte von Malte wissen, ob es eine zeitliche Begrenzung gibt für die Betreuung meiner Jungs gebe. Er erklärte: Nein, gibt es nicht, aber ich will auch wieder zu meinen Aufgaben zurück. Ich habe bereits mit den Jungs vereinbart, dass wir uns nach Dienstschluss zu einem weiteren Gespräch in eurer Suite treffen wollen, sofern du nichts dagegen hast.“

Ich erklärte: „Die Jungs sind alt genug, um selbst zu entscheiden, mit wem sie sich treffen wollen. Ihr müsst nur berücksichtigen, dass ich zwangsläufig anwesend sein könnte. Ich bat ihn, uns noch bis in die Lobby zu begleiten.“

In der Lobby verabschiedeten wir uns von ihm und ich fragte die Jungs, ob ich sie zu einem kleinen Spaziergang am Strand überreden könnte. David erklärte: „Eine fantastische Idee, ich kann einen ordentlichen Happen frischer Luft vertragen.“ Ich sagte deshalb: „Wer mitkommen will, kommt mit nach oben, wir sollten uns wenigstens eine Jacke besorgen, wer kann schon wissen, wie frisch die Luft da draußen wirklich ist.“

Zehn Minuten später liefen wir über den Strand, genossen den Sonnenschein. Zwischendurch fragte ich sie, ob sie die Führung durchs Haus mit ihrem Auszubildenden genossen haben und wichtige Erkenntnisse sammeln konnten. Ich bat sie noch keine Details preiszugeben, sondern nur eine kurze Zusammenfassung zu geben. Felix meinte.,“Es war interessant, vor allem, weil genau das eingetroffen ist, was du vorausgesagt hattest.“

Tobias erklärte: „Es hat richtig Spaß gemacht, von Malte alles gezeigt zu bekommen. Er kann alles sehr gut erklären, so dass David und ich es auch verstanden haben.“

Dennis sagte, dass er einiges gelernt habet, wie sich unser Jugendhotel von einer Touristenhochburg unterscheidet. Hättest du mich bei uns mit so einer Führung beauftragt, ich wäre wahrscheinlich vor Angst gestorben, dass ich dabei einen großen Fehler machen könnte.

David, als letzter, schaute mich erst an, bevor er loslegte.: „Ich freue mich schon darauf, im kommenden Sommer eine Berufsausbildung anzufangen. Die Einblicke heute waren intensiver als ein einwöchiges Berufspraktikum während der achten Klasse. Ich danke dir, dass du uns mitgenommen hast und wir so viel Neues kennenlernen dürfen.“

Nach unserer Rückkehr ins Hotel gingen wir ins Restaurant zum Essen. Ich hatte den Jungs noch gesagt, dass wir uns hinterher zusammensetzen um unsere Eindrücke vom Vormittag kurz austauschen.

Um es kurz zu machen, der Informationsaustausch mit meinen Jungs brachte Erkenntnisse, die ich gut verwerten konnte und bestätigten meine Vermutungen, dass nicht alles das glänzt auch Gold sein muss. Ich freute mich schon jetzt auf die erste Personalversammlung, denn ich war mir sicher, wie ich die Angestellten in unser gemeinsames Boot holen konnte.

Um viertel vor vier Uhr nachmittags standen wir an der Rezeption und ich fragte, wie wir zur Personalversammlung kommen. Unser Ansprechpartner winkte einem der Hotelboys und erklärte ihm, dass er uns zur Personalversammlung in den Festsaal bringen soll. Er meinte noch, unser Begleiter kann auch gleich dort bleiben Denn das, worum es heute geht, betreffe auch ihn.

Er führte uns in einen Anbau auf der rechten Seite des Hotels, vom Strand aus betrachtet. Der Saal war bereits gut gefüllt, ich schätzte so etwa dreißig Personen, bei einer Belegschaftsgröße von rund achtzig Mitarbeitern. Wir gingen nach vorn aufs Podium und ich begrüßten Jan. Felix baute das Notebook mit der Präsentation auf und schloss es an den bereitgestellten Beamer an.

Um sechzehn Uhr eröffnete Jan die Versammlung. Inzwischen waren sicher fast fünfzig Mitarbeiter anwesend. Er wünschte allen einen informativen Nachmittag und gab das Wort an mich weiter.

Ich begrüßte die Mitarbeiter und bat sie mich mit meinem Vornamen anzusprechen, da das in unseren Unternehmen und in der Stiftung so üblich sei. Sie sollten sich bitte ebenfalls mit ihrem Vornamen und ihrer Berufsbezeichnung vorstellen, damit ich mir von ihnen ein Bild machen könne.

Ich erklärte, dass mein Mitarbeiter Felix ihnen einen Überblick über die Stiftung Sonneneck für benachteiligte Kinder und Jugendlich und dem dahinterstehenden Firmenverbund geben wird. Die nächsten zwanzig Minuten fütterte er sie mit allen wichtigsten Informationen zur Stiftung und den Unternehmen, die zur Gutshofgruppe gehören. Er erzählte, dass die erste Stiftung ursprünglich von meinem Vater in Spanien gegründet wurde. Vor knapp zwei Jahren wurde von mir und Gerhard Bauer die deutsche Stiftung ins Leben gerufen mit einem Startkapital von zehn Millionen Euro.

Im letzten Jahr wurde die deutsche Stiftung durch einen Nachlass in Hohe von rund sechzig Millionen Euro als Immobilienbesitz, aufgestockt. Deshalb wurde Ende letzten Jahres beschlossen, die beiden Stiftungen zusammenzuführen. Vor gut einem halben Jahr wurde ein weiterer Nachlass an die Stiftung vermacht. Mit diesem Nachlass haben sich die Werte in Immobilien auf fast eine halbe Milliarde Euro erhöht.

Dabei war ein älteres Hotel in Österreich, das dringenden Sanierungsbedarf hatte. Bei der ersten Besichtigung ergab sich, dass wir das Hotel zwar renovieren würden, aber einer Nutzung als Jugendhotel zuführen würden. Vor gut einer Woche wurde uns dann dieses Haus als Nachlass angeboten mit der Vorgabe des Erblassers, dieses Haus in den nächsten zwei Jahren zu renovieren und danach als Jugendhotel, im Stil unseres Gesindehauses und des österreichischen Jugendhotels, weiterzuführen. Damit endete Felix mit seinem Vortrag. Ich bedankte mich bei ihm, für die ausführliche Darstellung. Es gab kurzen Beifall für seine Mühe, die er in die Darstellung gesteckt hatte.

Ich fragte, ob es zu dem Vortrag noch Fragen gebe, dann hätten sie jetzt die Gelegenheit dazu. Ein Herr mittleren Alters meldete sich und sprach: „Ich bin Michael und arbeite in der Personalabteilung. Mich würde interessieren wie viele Menschen die Gutshofgruppe und die Stiftung derzeit beschäftigen?“

Ich schaute zu Felix, der nur den Kopf schüttelte. So erklärte ich: „Nach den mir zuletzt vorgelegten offiziellen Zahlen, den Neuverpflichtungen der letzten Wochen durch Expansion, sowie den in eurem Haus übernommenen Mitarbeitern dürften wir inzwischen die Marke von siebenhundertfünfzig Mitarbeitern locker geknackt haben. Mit den geplanten Erweiterungen in einem neuen Geschäftszweig und mit dem erhöhten Personalbedarf in der Stiftung, sowie den im Handwerksbereich benötigten Verstärkungen, könnte es sein, dass wir bis Mitte nächsten Jahres die Marke von achthundert Beschäftigten überschreiten. Sollte wieder ein Nachlass hinzukommen, dann kann ich heute noch nicht absehen, wie sich die Zahl der Mitarbeiter erweitert.“

Da keine weiteren Fragen kamen, begann ich mit meinem Teil der Vorstellung. Entgegen der ursprünglichen Planung begann ich mit dem Schicksal der Auszubildenden: „Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Gerüchteküche, die bei uns Bayern liebevoll auch „Flurfunk“ genannt wird, in diesem Haus bereits voll unter Dampf steht. Nehmen wir beispielsweise das Gerücht um die Auszubildenden. Ein Gerücht besagt, wir würden alle Auszubildenden während der Umbauphase nach Rosenheim umsiedeln und dort ihre Ausbildung lückenlos weiterführen.

Ich kann ihnen versichern, dass wir genau diesen Plan verfolgen, allen Auszubildenden die Möglichkeit anzubieten, ihre Ausbildung,nahtlos weiterzuführen. Von einer Umsiedelungsaktion war unsererseits nie die Rede. Die Voraussetzungen dafür sind vorhanden. Wir betreiben vor Ort ein Restaurant, ein Hofcafé, unser Jugendhotel Gesindehof und etwa zwei Kilometer entfernt ein Seminarhotel. Zusätzlich haben die Auszubildenden die Möglichkeit in der Buchhaltung, der Informationstechnologie und im Marketing ihre ersten Erfahrungen zu sammeln. Auch eine Unterbringung, entweder in Personalzimmern, im Seminarhotel oder im Gesindehaus ist gewährleistet. Sollte einer der Auszubildenden seine Ausbildung weiter hier vor Ort fortsetzen wollen, sind wir behilflich einen neuen Ausbildungsplatz in der Umgebung zu finden.“

Ich fragte, ob es zu diesem Thema Fragen oder Anregungen gebe, ansonsten würde ich mit dem nächsten Thema weitermachen. Ryan meldete sich und ich erteilte ihm das Wort: „Peter, wir konnten uns heute Vormittag bereits zu diesem Thema austauschen. Ich habe mich bei den heute im Haus anwesenden Azubis umgehört und ihnen deinen Plan erläutert. Alle, mit denen ich bisher gesprochen habe, würden dein Angebot sofort annehmen. Mancher vielleicht auch mit dem Hintergedanken, ohne die Anwesenheit der Eltern einmal auf den Putz zu hauen.“

Tobias deutete mir, dass er dazu ebenfalls eine Frage hätte: „Papa, kannst du mir und allen Anwesenden erklären, ob deine Idee erst hier entstanden ist, oder du bereits vorher darüber nachgedacht hast?“

Als Tobi mich mit Papa angesprochen hatte, konnte ich in vielen Gesichtern erkennen, dass sie überrascht wirkten. Ich antwortete: „Ich sehe in ihren Gesichtern, dass ihr überrascht sind, dass sich Tobi als mein Pflegesohn vor ihnen outet. Er und David sind beide meine Pflegesöhne.

Zu deiner Frage, Tobias, die Idee wurde nicht erst hier und heute geboren. Bereits seit dem Tag, an dem ich wusste, dass Auszubildende in dem neuen Hotel arbeiten, habe ich mich damit beschäftigt, wie ich ihre verzwickte Situation lösen kann. Ich habe bereits die IHK kontaktiert und mir wurde versichert, dass sie von ihrer Seite kein Problem sehen, die Ausbildung in einem weiter entfernten Haus des Unternehmens während dieser Zeit weiterzuführen, sofern dort die notwendigen Voraussetzungen vorliegen.

Da wir bereits Auszubildende beschäftigen, sind diese Voraussetzungen gegeben. Ryan, dir danke ich, dass du deine Mitstreiter bereits informiert hast. Ich bin hoch erfreut, dass scheinbar der überwiegende Teil Gefallen an diesem Vorgehen gefunden hat, immerhin ergibt sich für sie bereits während ihrer Ausbildung die Chance, Tagesabläufe in einem anderen Hotel kennenzulernen.

Deine Andeutung, dass der eine oder andere dabei eine Chance sieht, mal auf den Putz zu hauen, ist sicher nicht von der Hand zu weisen. Ich vertraue trotzdem auf euren guten Menschenverstand, womit sich das Problem von allein löst. Sollten sich diese Eskapaden auf eure tägliche Arbeit auswirken, rechnet einfach damit, dass es für euch Konsequenzen haben wird. Das beginnt mit einer Abmahnung und endet im Katastrophenfall mit einer fristlosen Auflösung des Ausbildungsverhältnisses. Ich nehme an, dass es da keinen Unterschied gibt, ob es hier oder in Bayern stattfindet.“

Ryan lachte und sagte: „Du bist also der Meinung, über die Stränge zuschlagen ist so lange in Ordnung, solange unsere Ausbildung und unsere tägliche Arbeit davon nicht beeinträchtigt wird. Wenn ich nicht schon einen Vater hätte, der die gleichen Ansichten vertritt, ich würde dich sofort als Vater adoptieren.“

Bei Ryans letztem Satz sah ich in viele schmunzelnde Gesichter, was mir wiederum zeigte, dass ich den richtigen Ton getroffen hatte. Damit war das Thema Auszubildende abgehakt.

Ich konnte meinen Vortrag über das geplante Vorgehen bei den sonstigen Mitarbeitern fortsetzen: „Für alle anderen Mitarbeiter gibt es von unserer Seite das Angebot, ihre Beschäftigung im neuen Jugendhotel fortzusetzen. Das bedeutet für den einen oder anderen, dass sich seine täglichen Arbeiten verändern wird. Bei einigen Berufsgruppen, wie bei den Mitarbeitern in der Küche, wird zwar weiterhin gekocht, aber unsere Ansprüche an die Ernährung der Kinder und Jugendlichen sind sehr hoch. Wir verwenden überwiegend regionale biologisch angebaute und saisonale Lebensmittel. Sebastian, unser Küchenchef, veranstaltet einmal wöchentlich Kochkurse, die sowohl von unseren Hausgästen als auch von ortsansässigen Kindern besucht werden können.“

Bevor ich zu weit abschweifte, setzte ich meine geplanten Ausführungen fort: „Ich garantiere ihnen, dass bei keinem Mitarbeiter von unserer Seite die Kündigung ausgesprochen wird. Wenn trotzdem einer das Haus freiwillig verlassen will, werde ich ihm nicht im Wege stehen. Jedem Mitarbeiter, der sich verpflichtet, sein Beschäftigungsverhältnis nach dem Umbau mindestens vierundzwanzig Monate mit uns fortzusetzen, wird während des Umbaus der vereinbarte Grundlohn weitergezahlt, wegfallen würden nur sämtliche Zuschläge, wie Schicht- oder Feiertagszulage.“

Ich hatte die Mitarbeiter während meines Vortrages intensiv beobachtet, wobei ich feststellen durfte, dass einige doch sehr überrascht wirkten. Ich legte nach: „Wer von ihnen Interesse hat, kann zeitweise in einem unserer anderen Häuser mitarbeiten und sich intensiv auf seine geänderten Aufgaben vorbereiten. In dieser Zeit werden natürlich wieder alle Zuschläge in voller Höhe bezahlt. Ihnen muss aber auch bewusst sei, wir nicht allen zur gleichen Zeit dieses Angebot machen können, sondern nach und nach. Das gilt für unsere Häuser im Raum Rosenheim, aber auch für unser Haus in Österreich.“

Nach kurzer Pause beendete ich meinen Vortrag: „Zu einem genauen Zeitplan, wann umgebaut wird, also das Haus hier vorübergehend geschlossen wird, kann ich noch keine definitiven Angaben machen. In wenigen Wochen, wenn die Architekten ihre Arbeit geleistet haben, wird der Zeitplan erstellt und alle davon informiert. Sollten Fragen oder Unklarheiten auftauchen, können sie mich jederzeit direkt kontaktieren. Felix, könntest du bitte die Infoseite mit deiner und meiner Telefonnummer und die Mailadressen an die Wand werfen. Wir werden nach einer kurzen Pause mit der Fragerunde weitermachen. Ich hoffe, dass für alle Mitarbeiter ausreichend Pausengetränke bereitstehen.“

Ich sah, wie Jan zuckte und sich sofort bemühte für alle Anwesenden kistenweise Getränke zu beschaffen. Nach gut zehn Minuten beendete ich die kurze Pause und eröffnete die Fragen- und Diskussionsrunde.

Dem Ersten, der sich meldete, erteilte ich das Wort: „Ich bin Siegfried und arbeite in der Küche. Meine Frage betrifft auch meinen Arbeitsbereich. Wird auch den Mitarbeitern in der Küche die Möglichkeit geboten, zwischenzeitlich in einem den anderen Häusern zu arbeiten? Anmerken möchte ich noch, mir ist die Reaktion unseres Chefs aufgefallen, als du sagtest, du hoffst, dass für alle ausreichend Pausengetränke bereitstehen. Das war bisher in unserem Haus nicht üblich.“

Ich antwortete ihm: „Ich habe vorher angedeutet, das gilt für alle Mitarbeiter und so habe ich das auch gemeint, egal welches Aufgabengebiet davon betroffen ist. Jeder soll die Chance erhalten. Wer sie nicht nützen will hat trotzdem keine Nachteile zu befürchten.“

Ich bat um weitere Meldungen, diesmal gab ich einer jungen Dame die Chance: „Mein Name ist Mareike und arbeite als Zimmermädchen. Wird meine Tätigkeit im Jugendhotel überhaupt benötigt?“

Ich lachte und erklärte ihr: „Selbstverständlich, bei jedem Bettenwechsel werden die Räume von ihrem Team wieder auf Vordermann gebracht. Langweilig wird es ihnen trotzdem nicht, sie werden den Kindern und Jugendlichen erklären und zeigen, wie sie ihre Betten selbst jeden Morgen aufbereiten, sie sollen bei uns auch etwas lernen. Das meinte ich beispielweise mit erweiterten Aufgaben, die auf den Einzelnen zukommen. Zusätzlich können sie bei den Essensausgaben mithelfen, immerhin gibt es für alle Hausgäste drei volle Mahlzeiten täglich. Mit den bisher im Bereich der Gastronomie vorhandenen Mitarbeitern ist diese Aufgabe nicht zu erledigen, da sie weiterhin im Restaurant benötigt werden.“ Sie bedankte sich für meine Antwort und deutete an, dass sie sich diesen erweiterten Arbeitsbereich für sich durchaus vorstellen könne.

Ich will euch jetzt nicht mit allen Fragen, die gestellt wurden, quälen; ich wollte euch nur einige als Beispiel vorstellen. Nach knapp eineinhalb Stunden verkündete ich das Ende der Personalversammlung und erklärte noch, dass ich mich auf eine gute Zusammenarbeit mit ihnen freuen würde.

Felix flüsterte mir ins Ohr: „Peter ich bin immer wieder überrascht, wie souverän, du dich durch die Fragen arbeitest. Selbst wenn eine Frage zum wiederholten Mal, auch wenn leicht abgewandelt, gestellt wird, bleibst du ruhig und gelassen.“

Ich lachte ihn an und flüsterte ihm ins Ohr: „Jetzt verstehst du vielleicht, was es unter anderem ausmacht ein guter Chef zu sein, nie die Geduld mit seinen Mitarbeitern zu verlieren.“

Laut sagte er zu mir, dass alle Anwesenden mithören konnten: „Ich finde, es war eine, aus meiner Sicht, harmonische Mitarbeiterversammlung. Ich habe durchwegs nur in zufriedene Gesichter geblickt.“

Jan, der inzwischen neben mir stand, erklärte: „Felix, ich kann deine Aussage nur bestätigen. Ich hatte mit weitaus mehr Problemen gerechnet bei den Mitarbeitern. Ich empfand es sogar als genial, dass du zuerst auf die Probleme der Auszubildenden eingegangen bist. Mit diesem Schachzug hast du schon einmal die Mitarbeiter auf deine Seite gezogen, deren Eltern oder Elternteile ebenfalls bei uns beschäftigt sind.

Deine Ankündigung, Pausengetränke für alle, hat mich zwar kurzzeitig ins Schwitzen gebracht. Im Nachhinein betrachtet finde ich, dass es eine gute Idee war. Ehrlich gesagt, ich hatte gelegentlich den Eindruck in einer Lehrstunde zum Thema Mitarbeiterführung zu sitzen, wobei ich eigentlich davon überzeugt war, bereits alles zu wissen. Ich traue mich fast zu wetten, dass nahezu alle Mitarbeiter in Zukunft verbleiben werden. Dein Angebot in euren vorhandenen Häusern vorübergehend mitzuarbeiten, werden sicher auch mehr als fünfundsiebzig Prozent nutzen.“

Ich fragte ihn, ob er an der morgigen Versammlung ebenfalls teilnimmt, oder wir sie allein gestalten dürfen. Dazu meinte er: „Die Gelegenheit werde ich mir nicht entgehen lassen, obwohl ich der Überzeugung bin, dass ihr sie auch ohne mich bewältigen würdet. Allein deine Aussagen zum Thema „auf den Putz hauen“, haben mich davon überzeugt, dass du alle Mitarbeiter bestens im Griff hast.“

Ich fragte Dennis, ob sich an ihren Plänen, sich mit Malte und Ryan zu treffen etwas geändert habe. Er meinte dazu: „Nein, wir werden eine größere Gruppe sein, da sich weitere Auszubildende gemeldet haben, die unbedingt dabei sein wollen. Wir haben nur vereinbart, dass wir uns erst gegen neunzehn Uhr treffen, damit vorher alle zu Abend essen können. Die Jungs sind unterwegs nach Hause und kommen später wieder. Wir sollten auch in der Zwischenzeit essen, außer du willst später allein zum Essen gehen.“

Felix ging als einziger nach oben, um unsere technische Ausrüstung loszuwerden, der Rest bewegte sich sofort in Richtung Restaurant. Der Restaurantchef brachte uns wieder an einen ruhigen Tisch und meinte zu mir: „Obwohl mein Sohn noch zu den Minderjährigen gehört, habe ich keine Bedenken ihn allein nach Bayern gehen zu lassen. Ich fühle, dass er bei euch bestens aufgehoben sein wird. Er hat mir nach der Versammlung noch mitgeteilt, dass er sich später mit deinen Jungs und weiteren Auszubildenden bei euch in der Suite treffen wird. Er hat mir außerdem verraten, dass Dennis ebenfalls erst sechzehn sei, wie deine beiden Pflegesöhne David und Tobias, und dass er ohne seine Eltern, die noch in München leben, seine Ausbildung bei euch macht.“

„Wir haben nicht nur Dennis, auch sein ehemaliger Mitschüler Toni macht bei uns seine Ausbildung zum Koch. Er ist ebenfalls erst sechzehn Jahre alt“, erklärte ich dem Restaurantchef. Nach einem ausgiebigen Abendessen waren wir kurz vor neunzehn Uhr in unserer Suite. So nach und nach trudelten zehn Auszubildende beiderlei Geschlechts in der Suite ein.

Teilweise saßen sie auf dem Boden, vor allem, nachdem die vorhandenen Sitzgelegenheiten schon gut belagert waren. Ich fragte in die Runde, ob Sitzkissen oder ähnliche Sitzgelegenheiten im Haus vorhanden wären, die sie organisieren könnten, da ich es unglücklich empfand, dass einige auf dem Boden sitzen müssen.

Ryan meinte, er wüsste, wo solche Teile gelagert wären und forderte zwei Jungs auf, ihm zu folgen. Fünf Minuten später stand er wieder in der Suite, zusammen mit den zwei Jungs hatten sie sechs Sitzkissen mitgebracht. Da jetzt alle auf gleicher Höhe saßen, meinte ich in die Runde: „Gibt es noch allgemeine Fragen, die ihr an mich stellen wollt?

Ich bin auch bereit, Vier-Augen-Gespräche mit jedem von euch zu führen, der sich das wünscht. Muss nicht sofort sein, auch im Laufe des Abends oder morgen Nachmittag werdet ihr noch die Gelegenheit haben mit mir ein persönliches Gespräch zu führen. Morgen müsst ihr euch die zur Verfügung stehende Zeit allerdings mit euren anderen Kollegen teilen. Ich bin jetzt mal neugierig und will wissen, wer von euch der Sohn vom Restaurantchef ist.“

Alle Auszubildenden schauten einen der Jungs an, bis dieser sagte: „Ich bin Jasper Wilke, der Sohn des Restaurantchefs. Warum willst du wissen, wer sein Sohn ist?“

„Ganz einfach erklärt“, meinte ich, „er hat mich beim Abendessen im Restaurant angesprochen und so nebenbei erklärt, dass er kein Problem damit habe, wenn sein Sohn einen Teil seiner Ausbildung bei uns in Bayern absolviert. Er würde uns vertrauen, dass wir schon auf dich achten würden.“

Jasper meinte: „Das hat er mir auch schon nach der Personalversammlung erklärt und gemeint, ich solle die Chance nutzen, er würde dem nicht im Wege stehen.“

Ich wollte jetzt nicht als Moderator auftreten und so hielt ich mich vornehm zurück. Interessant wurde es als Dennis erklärte: „Einige von euch wissen bereits, dass ich schwul und hoffnungslos in Felix verknallt bin. Wie stehen die anderen zu diesem Thema?“

Erst einmal war es sehr ruhig, bis sich der Erste zu diesem Thema äußerte. Der Bann war gebrochen und einer nach dem anderen verkündete seine Meinung. Im Grunde genommen, waren die Reaktionen eher positiv als negativ anzusehen.

Lachen musste ich nur über einen Kommentar eines Mädchens, mit folgendem Inhalt, warum müssen alle hübschen Jungs eigentlich immer schwul sein. Das konterte Malte mit der Bemerkung, ob er etwa hässlich sei, weil er nicht schwul ist. Ryan setzte noch einen obendrauf mit, soll ich extra schwul werden, damit ich in deine Meinungs-Schublade passe.

Alle lachten herzhaft und beruhigten sich erst langsam wieder.

Der nächste war Tobias, der den Auszubildenden von sich erzählte: „Meine Eltern sind vor sieben Jahren bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückt. Vor knapp fünf Jahren bin ich im Kinderheim in München gelandet. Als schwuler elternloser Jugendlicher hast du es nicht nur schwer in eine Familie vermittelt zu werden, auch im Kinderheim läuft das nicht immer ohne Probleme ab. Seit genau einer Woche lebe ich jetzt bei Peter und Thomas, die mich sofort akzeptiert haben, so wie ich bin. Schuld ist eigentlich meine große Liebe, hier neben mir. David war im selben Kinderheim wie ich, vor gut zwei Wochen war er wieder einmal ausgeflogen und als ich erfuhr, dass er nie wieder ins Kinderheim zurückkommt, habe ich angekündigt, ebenfalls zu verschwinden und David zu suchen.

Bevor ich mich absetzen konnte, bot man mir an, ich könnte in eine Pflegefamilie in der Nähe von Rosenheim kommen, mit dem Versprechen ich würde David in derselben Schule finden. Genau heute vor einer Woche wurde ich zu Peter und Thomas gebracht, um die Beiden ein Wochenende lang kennenzulernen.

Schon am Freitag, nach dem ersten Gespräch mit den Beiden und der Mitarbeiterin vom Jugendamt, habe ich beschlossen bei den Beiden bleiben zu wollen, selbst auf die Gefahr, dass ich David doch nicht wiedertreffen würde. Umso größer war die Überraschung als ich abends erfuhr, dass David auch von den Beiden aufgenommen wurde. Papa, du entschuldigst bitte, dass ich dich dadurch mitgeoutet habe.“

Ich hatte,während Tobi seine Geschichte erzählte, aufmerksam die Gesichter der Auszubildenden beobachtet. Einige schienen schwer mit Tobias Schicksal zu kämpfen. Ich erklärte deshalb: „Tobi, kein Problem, über kurz oder lang hätten sie es so oder so erfahren. Ich bewundere mehr deinen Mut, fast wildfremden Jugendlichen deine Probleme und dein Schicksal zu schildern. Für alle anderen, ja ich bin bisexuell, war verheiratet und habe zwei Kinder, Martina und Philipp, zwei Enkelkinder Katharina und Kevin und meinen Lebensgefährten Thomas, mit dem ich sehr glücklich bin. Ich bin nicht geschieden, Thomas ist erst in mein Leben getreten, nachdem meine Frau vor mehr als fünfzehn Jahren an Brustkrebs gestorben ist.“

Das hatte gesessen. Alle, mit Ausnahme meiner Truppe schaute mich an, als ob ich ein achtes Weltwunder wäre. So schob ich hinterher: „Wenn einer von euch der Meinung sein sollte, er will nicht für einen bisexuellen oder schwulen Chef arbeiten, der darf das Unternehmen gern auf eigenen Wunsch verlassen. Ich bin tolerant genug, Menschen mit anderer Meinung zu akzeptieren, so wie ich es auch von ihnen erwarte.“

Felix preschte vor und erklärte: „Keine Sorge, das Unternehmen besteht nicht nur aus schwulen Mitarbeitern, wobei der engste Kreis um Peter herum, doch eher aus schwulen Kollegen besteht. Immerhin sind achtundvierzig Prozent der Beschäftigten weiblich. Ehrlicherweise sollte ich euch sagen, dass einige der schwulen Mitarbeiter, die dort arbeiten, genau deswegen eingestellt wurden, weil sie oft anderweitig keinen neuen Job gefunden haben.“

Einer der Jungs, bei dem ich bisher seinen Vornamen noch nicht kannte sagte: „Ich bin Heiko Schulz, im dritten Lehrjahr und vor drei Monaten achtzehn geworden. Wenn Peter nicht selbst bestätigt hätte, dass er mit einem Mann zusammenlebt, ich hätte euch für verrückt erklärt, wenn ihr mir das erzählt hättet. Er verhält sich in keiner Weise so, wie ich mir einen schwulen Mann vorstellen. Auch bei Felix, Dennis, David und Tobias kann ich mir das eigentlich nicht vorstellen. Ich habe kein Problem mit einem schwulen Chef, solange er alle Mitarbeiter nach den gleichen Grundsätzen behandelt.“

Ich versuchte den Jungs zu erklären: „Statistisch betrachtet sollte jedes zehnte männliche Wesen schwul oder bisexuell sein. Wenn du diese Gruppe wiederum als eine Einheit betrachtest, entsprechen weniger als zehn Prozent dem typischem Schwulenklischee. Mit anderen Worten, neun von zehn schwulen Menschen, würden dir bei einer Gegenüberstellung nicht einmal auf Anhieb auffallen, weil sie sich wie alle anderen Menschen verhalten.“

Bei der anschließenden Diskussion hielt ich mich wieder zurück und war eigentlich nur noch Zuhörer. Gegen einundzwanzig Uhr meinte ich, wir sollten so langsam zum Ende kommen. Ich wies darauf hin, dass einige von ihnen morgen früh wieder ihren Dienst im Hotel antreten und heute erst noch den Heimweg zu bewältigen hätten. Außerdem hätten wir morgen noch einmal die Möglichkeit uns zu treffen, da wir erst am Sonntag abreisen würden.

Einer der Jungs, er stellte sich mir als Carsten Arndt vor, wollte sich morgen mit mir zu einen Vier-Augen-Gespräch treffen. Ich meinte, wenn er um dreizehn Uhr Zeit hat, soll er um diese Zeit zu mir kommen, wo die Vier-Augen-Gespräche stattfinden werden, wird vormittags noch am schwarzen Brett veröffentlicht.

Die sechs Sitzkissen, hatten sie zurückgelassen, mit dem Hinweis, dass diese morgen noch einmal gebraucht werden. Meine Jungs nutzten den restlichen Abend, um sich mit mir auszutauschen. Hauptthema war der heutige Abend, aber ebenso wurde über den Vormittag mit der Besichtigung und den Nachmittag mit der Personalversammlung ausgiebig diskutiert. Reichlich spät gingen wir gegen Mitternacht zu Bett.

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