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Regenbogenfamilie

Teil 66 - Gespräch mit Barbara vom Jugendamt

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Informationen

 

Freitag ist im Normalfall der ruhigste Arbeitstag der Arbeitswoche. Viele Mitarbeiter verabschieden sich bereits gegen Mittag ins Wochenende. David saß bereits mit uns am Frühstückstisch, während Felix und Dennis noch weiter schlummerten. Während des Frühstücks erzählte David, dass sie Dennis gestern Abend noch überredet haben, am Samstag mit uns zum Einkaufen nach München zu fahren, da er erst wieder zur Abendschicht im Restaurant anwesend sein müsse.

Thomas fuhr wie immer ins Büro und David begleitete mich in mein Büro. Dennis, von den Handwerkern, war bereits anwesend und checkte kurz alle anstehenden Aufgaben, die von ihm heute noch zu erledigen sind, damit am Montag der Baucontainer aufgebaut werden konnte.

Er winkte David zu sich und erklärte ihm: „Ich habe vorher die Benachrichtigung erhalten, dass sich bei den Ausführungsplänen Änderungen bei verschiedenen Gewerken ergeben haben. Beim Öffnen des Programms wurde noch einmal darauf hingewiesen, dass es Veränderungen gibt. Wie du siehst sind einige Bereiche farbig unterlegt. Dort stecken die aktuellen Veränderungen, die ich mir im Detail ansehen muss, um festzustellen, ob sie für die Aufstellung des Containers oder für die Umbauarbeiten im zukünftigen Gebäude der IT wichtig sind.“

Er blieb noch kurze Zeit bei Dennis, bevor er sich wieder neben mich setzt und meinte: „Ich fürchte, wir sollten uns langsam, aber sicher, auf das Gespräch mit der Mitarbeiterin vom Jugendamt vorbereiten. Ich kann nur hoffen, dass von ihrer Seite keine zu hohen Erwartungen an mich gestellt werden, denen ich dann doch nicht gewachsen bin.“

Ich schaute ihn an und erklärt: „David, da sehe ich kein Problem auf uns zukommen. Denk einfach daran, dass du von uns, und da meine ich nicht nur Thomas und mich, sondern von allen Jungs die Unterstützung bekommst, die notwendig ist. Ich kenne Barbara einfach schon zu lange, um mir darüber groß den Kopf zu zerbrechen. Sie wird dich eher fragen, welche Eindrücke und Erfahrungen du in der kurzen Zeit gesammelt hast. Wenn du ihr offen erzählst, so wie gestern Abend bei unserem Gespräch, kann sie von dir nur eine positive Meinung bekommen. Du kannst ihr ebenso von unserem für morgen geplanten Einkaufsbummel erzählen.“ Nach einer kurzen Pause sprach ich weiter: „Wichtig ist auf jeden Fall, dass du zu ihr ehrlich bist. Wenn du sie belügst und sie merkt das, wird sie nicht mehr auf deiner Seite stehen.“

Bis Barbara in mein Büro trat, besprachen David und ich noch weitere Punkte, die bei unserem Gespräch mit ihr abzuklären sind. Sie begrüßte uns herzlich und wollte sich schon zu uns an den Tisch setzen. Ich erklärte ihr, dass wir in den Konferenzraum gehen sollten, damit wir Dennis nicht bei seiner Arbeit stören. Ich wusste, dass dort heute keine Gesprächsrunden anberaumt waren, so dass wir uns dort ungestört unterhalten können. Wir wechselten also ins Besprechungszimmer. Ich bat David sich an die Stirnseite der Tischgruppe zu setzen. Barbara und ich setzten uns seitlich davon, jeweils an einer der Längsseiten. Ich fragte Barbara wie sie sich den Ablauf unseres Treffens vorgestellt habe und ob es so etwas wie eine Tagesordnung gebe.

Sie lachte und erwiderte: „Schriftlich gibt es keine Tagesordnung, aber ich habe mir schon ein paar Gedanken zum Gesprächsverlauf gemacht. Zuerst würde ich von David gerne wissen, wie er sich bisher eingelebt hat, welche positiven oder negativen Erfahrungen er bisher gesammelt hat und wie er sich das das weitere Zusammenleben mit euch vorstellen könne. Danach würde ich mit euch über den geplanten Schulbesuch sprechen.

Als weiteres Thema hätten wir noch den organisatorischen Teil, wie den Pflegschaftsvertrag, welche Kostenerstattung möglich ist und wie das Finanzielle allgemein geregelt werden kann. Wenn das alles geklärt ist, können von euch weitere Fragen gestellt werden, die euch wichtig erscheinen und die im Gesprächsverlauf nicht angesprochen wurden. Zwischendurch habe ich noch eine Mittagspause eingeplant, bei der wir uns auch über private Dinge unterhalten können.“

Ich blickte zu David und meinte: „Dann darfst du anfangen, über Barbaras Frage nachzudenken. Sie wollte wissen, wie du dich bisher eingelebt hast und welche positiven oder negativen Erlebnisse du in den letzten fast zwei Tagen gesammelt hast. Das Wichtigste vorab ist die Frage, ob du überhaupt bei uns bleiben möchtest oder ob du lieber woanders untergebracht werden willst. Ich kann mir vorstellen, wie deine Antwort ausfallen könnte. Trotzdem kannst nur du Barbara diese Frage eindeutig beantworten.“

David schaute mehrmals von mir zu Barbara, bevor er mit seinen Ausführungen begann: „Meine kurzfristige Entscheidung, die ich vorgestern Abend aus einem reinen Bauchgefühl heraus getroffen habe, bleibt bestehen, obwohl ich vorher spontan eine andere Meinung vertreten hatte. Ich will hier bei Thomas und Peter bleiben, wieder zur Schule gehen und später meine Ausbildung durchziehen, möglicherweise sogar in einem der Unternehmen, die zum Gutshof gehören.

In den letzten eineinhalb Tagen wurde mir durch die Beiden, aber auch durch alle anderen Jungs, die wie ich schwul sind und hier arbeiten, deutlich gezeigt, dass meine anfänglichen Überlegungen, ich könnte als eine Art Lustknabe für Peter und Thomas da sein, völliger Irrsinn sind. Vor allem die Jungs haben mir erzählt, dass ich nicht der Erste bin und wahrscheinlich auch nicht der Letzte sein werde, dem von Thomas und Peter geholfen wurde oder wird, ohne jemals eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Wobei, nebenbei bemerkt, Gegenleistungen werden schon von mir erwartet. Aber eben nicht in sexueller Hinsicht.“

Barbara lachte kurz, sah David in die Augen und erklärte ihm: „Das musst du mir jetzt schon etwas genauer erklären, welche Gegenleistungen von den Beiden gefordert werden. Vor allem, interessiert mich, warum du mit den Anforderungen keinerlei Probleme zu haben scheinst.“

David schaute zu mir, lächelte mich an und sagte zu Barbara: „Ich will für mich hoffen, dass ich jetzt keinen Fehler gemacht habe und du deine Entscheidung mich in die Obhut von Peter und Thomas zu geben, zurücknimmst.“

Barbara blickte ernst zu David und meinte: „Das hängt ganz davon ab, was du mir erzählst über die Gegenleistungen, die Peter und Thomas von dir gefordert haben. Normalerweise kann ich mir bei den Beiden keinerlei Forderungen vorstellen, die das beeinflussen könnten, vor allem, nachdem du selbst offensichtlich keine Bedenken gegenüber diesen Punkten hast und das ist schon ein gewichtiger Pluspunkt dafür.“

Da ich David nicht beeinflussen wollte, hielt ich mich zurück und wartete zusammen mit Barbara darauf, dass er von sich aus erzählte, was wir mündlich vereinbart hatten. Nach kurzer Pause begann er zu sprechen: „Barbara, du siehst das völlig richtig, ich habe keinerlei Bedenken gegen ihre Forderungen. Ich finde sie in Ordnung, weil ich einen Teil davon bereits im Heim so oder in ähnlicher Art kennengelernt habe.

Der erste Punkt ist die Mithilfe im Haushalt, als Beispiel. Frühstück vorbereiten, Tisch abdecken, mein Zimmer selbständig aufräumen. Dazu kommen Arbeiten, wie gelegentlich Wäsche waschen, mal Staub zu saugen oder ähnliches. Der zweite Punkt betrifft den Schulbesuch, dort erwarten die Zwei von mir, dass ich versuchen werde, den noch fehlenden Schulstoff so schnell wie möglich nachzulernen und letztendlich einen vernünftigen Abschluss hinzulegen. Letzteres brauche ich sowieso, damit ich eine Berufsausbildung meiner Wahl machen kann. Hinzu kommt, und das ist eine der positiven Erfahrungen, dass einige der Jungs von sich aus angeboten haben, mich beim Lernen des inzwischen versäumten Unterrichts zu unterstützen.“

Er legte eine kurze Pause ein und nachdem er sich wieder gesammelt hatte, sprach er weiter: „Der dritte Punkt betrifft meine Berufsausbildung. Hier musste ich ihnen versprechen, dass ich auch dort einen guten Abschluss erreichen will. Das sind alle Gegenleistungen, die Thomas und Peter von mir erwarten.“

Er unterbrach kurz, schaute dabei zu Barbara, bevor er wieder zu sprechen begann: „Barbara, wir sind gestern Abend zusammengesessen und haben über die Hochzeit von Peter und Thomas, Daniel und Manuel, sowie Philipp und Markus, sowie über die Möglichkeit gesprochen, als schwules Pärchen Kinder zu adoptieren. Ich habe dort die Frage gestellt, ob es denn möglich sei, dass ich von Peter und Thomas nach deren Heirat ebenfalls adoptiert werden könne, da ich mir inzwischen so etwas durchaus vorstellen könnte. Soweit ich das verstanden habe wäre es möglich, es würden sich nur eine Menge an rechtlichen Fragen ergeben. Dabei wurde angesprochen, dass es von meinen Eltern abhängig sein könnte, oder möglicherweise vom Jugendamt über ein Gericht geklärt werden kann.

Viel wichtiger dabei ist für mich die Erkenntnis, dass ich in diesem Fall, wie Peters Kinder, erbberechtigt sei. Ich habe bereit gestern erklärt, dass ich nichts erben will. Kann das bei einer Adoption nicht ausgeschlossen werden? Ansonsten hat Philipp gemeint, ich könnte meine Erbschaft später an die Stiftung für benachteiligte Kinder einbringen, was ich in diesem Fall bevorzugen würde. Peter und Thomas haben gestern Abend zumindest erklärt, dass es für sie durchaus eine Option sei, mich zu adoptieren. Philipp meinte, für ihn sei es auch kein Drama, wenn er noch einen jüngeren Bruder bekäme.“

Barbara hatte Davids Ausführungen aufmerksam zugehört und es dauerte eine kurze Zeit bevor sie sich dazu äußerte: „Über dieses Thema habe ich mir bisher, zumindest was deine Person angeht, keine Gedanken gemacht. Ich kann dir jedoch bestätigen, dass dafür einige Voraussetzungen notwendig sind, die dann zu klären wären. Dass Peter, Thomas und Philipp sich das vorstellen können, entspricht genau dem Bild, dass ich bisher von dieser Familie habe. Wir sollten das Thema jetzt trotzdem zurückstellen, bis wir später zu den Fragen von eurer Seite kommen. Die Anforderungen, die von Thomas und Peter an dich gestellt wurden, sind kein Hinderungsgrund für mich, warum du nicht bei ihnen bleiben könntest. Ich finde es sogar hervorragend, dass ihr bereits über solche Dinge gesprochen habt. Solange sie nicht mehr erwarten als man von seinen eigenen Kindern erwartet, ist alles im gesetzlichen Rahmen. Aber nun zu deinen positiven und negativen Erlebnissen.“

Diesmal überlegte David nicht lange, sondern antwortete ihr sofort: „Kein Problem, das Thema Adoption können wir gerne zurückstellen, ich wollte es nur angesprochen haben, bevor ich es später vielleicht vergesse, weil mein Kopf vollständig überlastet ist. Zum Punkt negative Erfahrungen kann ich bisher nichts beitragen.

Ich habe bisher nur positive Erfahrung machen können. Ich hatte Peter gestern Morgen gefragt, ob es möglich sei, eventuell eine Spielkonsole und einen kleinen Computer zu bekommen. Er ist sofort mit mir in die IT-Abteilung und hat bei Philipp versucht, die von ihm und Marcus ausrangierte Spielekonsole abzustauben und für mich ein gutes gebrauchtes Notebook der Firma zu finden. Die Jungs hatten mich noch gefragt, ob ich ein Smartphone besitze. Als ich verneinte, fragten sie Peter, ob sie mir ein Älteres, aber noch Aktuelles aus dem Firmenbestand herrichten dürfen. Seit gestern Nachmittag bin ich jetzt im Besitz eines Smartphones und eines Notebooks und seit gestern Abend steht die Spielekonsole mit einigen Spielen in Peters Wohnzimmer. Ich durfte mich anschließend mit den Jungs unterhalten und habe ihnen dabei erzählt, wieso ich auf dem Gutshof gelandet bin.“

Wieder legte er eine kurze Pause ein, trank etwas von seiner Cola und sprach weiter: „Zurück in Peters Büro lernte ich Dennis kennen und er bot mir an, mich zu den Handwerkern mitzunehmen, wenn Peter keine Einwände habe. Bevor wir am Nachmittag zur Außenstelle der Handwerker fuhren, machte Peter mit mir noch eine Besichtigungstour durch den Gutshof. Wir waren dabei im Hofladen, wo ich seine Tochter Martina und seine Enkelin Katharina kennenlernte. Die Kleine meinte, wenn ich zu Peter und Thomas gehöre, dann sei ich wohl so etwas wie ein Onkel für sie, genau wie Philipp und Markus.

Danach ging es weiter ins Verwalterhaus, wo ich Daniel und Manuel, sowie Tim und Jonas kennenlernte. Ich erhielt Einladungen zur Besichtigung der Gärtnerei und des landwirtschaftlichen Bereichs, wo mir sogar angeboten wurde, dass ich den Führerschein für landwirtschaftliche Fahrzeuge machen könne, dann könnte ich bei der Ernte mithelfen, wen ich wolle und es mir Spaß machen würde. Während des Mittagessens in der Kantine erklärte mir Peter, dass ich jederzeit nach der Schule dort essen könne, wie alle Mitarbeiter und Familienangehörige und wie das Ganze organisiert ist.“

Er griff erneut zum Glas, genehmigte sich einen Schluck und fuhr mit seinen Ausführungen fort: „Am Nachmittag war ich mit Dennis in den Büros und im Lager der Handwerksbetriebe. Dort habe ich Dennis Partner Axel kennengelernt und sein haben mir im Obergeschoss ihre frisch bezogene Wohnung gezeigt.

Dabei habe ich erfahren, dass Dennis über den Ankauf der Elektrofirma bei Peter gelandet ist und er seinen Freund Axel als Maler mit in die Firma geholt habe, nachdem feststand, dass das Unternehmen zukünftig fast alle Gewerke, die am Bau benötigt werden, abdecken will. Peter habe sofort zugestimmt, als sein alter Chef vorschlug, die Jungs könnten die vorhandene, leerstehende Betriebsleiterwohnung als gemeinsamen Wohnsitz nutzen.

Beide sind derzeit dabei die Meisterprüfung zu machen um später als Chefs die Abteilungen zu leiten. Sie würden sich sehr bemühen, um Peters Vertrauen nicht zu enttäuschen. Zurück am Gutshof durfte ich noch an einer Besprechung Peters mit der IT-Abteilung teilnehmen, bei der es um die Erweiterungsbauten, sowie die Umgestaltung der Datentechnik und der Arbeitsbereiche ging.

Im Anschluss daran erhielt ich das Notebook und das Smartphone, zusammen mit einem Crash-Kurs von Bernhard, überreicht. Bernhard hat mir dann noch so einiges über sich und seine Arbeit für die Firma erzählt. Er lud mich ein, ihn und seinen Freund Benjamin in ihrer kleinen Wohnung im Dachgeschoss des Gesindehauses zu besuchen.“

Erneut unterbrach er kurz seine Ausführungen, griff nach seinem Glas, um zu trinken und setzte dann fort: „Morgen will Peter mit mir zum Großeinkauf nach München fahren, um die fehlenden Dinge für den Schulbesuch zu besorgen. Gleichzeitig wollen wir noch Bekleidung für mich erwerben, da nach Peters Meinung, die wenigen Kleidungsstücke, die ich noch besitze, nicht ausreichend sind. Felix und Dennis wollen mich als Berater in Sachen Klamotten begleiten.

Danach ist noch ein Besuch in einem Möbelhaus geplant, da das bisherige Gästezimmer als Jugendzimmer umgebaut werden soll. Dort wollen wir einen Schreibtisch, einen Stuhl und einige Regale und Poster oder Bilder erwerben. Eventuell wünsche ich mir noch eine kleine Sitzgelegenheit, damit ich nicht nur am Schreibtisch oder im Bett sitzen kann.

Die Details, wie wir umbauen, werden wir heute Abend, zusammen mit Felix, Dennis und Thomas abklären. Ansonsten kann ich nur behaupten, dass ich komplett überrascht bin von den Reaktionen der Jungs, mit denen ich mich bisher unterhalten konnte. Von niemandem habe ich Unmutsbekundungen erhalten. Alle meinten nur, zusammen schaffen wir das.“

Bevor Barbara reagieren konnte, sprach David weiter: „Ich hätte noch eine Frage an dich, Peter, die Barbara sicher ebenso interessieren könnte. Wie würdest du reagieren, wenn ich eines Tages einen festen Freund haben sollte und ihn mit nach Hause bringen will?“

Ich lachte kurz und antwortete ihm: „Wenn du jetzt annimmst, ich würde dir das verbieten, dann täuscht du dich gewaltig. Du kannst jederzeit Freunde mitbringen, wir werden das nicht anders handhaben, als wir es bei meinen Kindern getan haben. Du hast sicher schon davon gehört, dass wir Marcus sofort bei uns aufgenommen haben, als seine Eltern ihm erklärten, dass er ab sofort zuhause unerwünscht sei, nachdem er sich ihnen gegenüber geoutet hatte. Da Marcus zu diesem Zeitpunkt bereits volljährig war konnten er und wir das einfach entscheiden.

Solltest du einen Freund haben, der unserer Hilfe bedarf und noch nicht volljährig ist, würden wir das Jugendamt einschalten und mit Barbara abklären, ob dein Freund dauerhaft bei uns bleiben könnte. Dabei gehe ich davon aus, dass es von Seiten des Jugendamtes zu keinen Schwierigkeiten kommen wird. Wir haben bereits einmal, mit Hilfe des Jugendamtes, einen Minderjährigen aus einer Einrichtung herausgeholt, die behauptet hat, sie könnte Schwule heilen. Er und sein volljähriger Bruder sind auch hier auf dem Gutshof untergekommen. Den Eltern wurde das Sorgerecht für Christian entzogen und an seinen Bruder übertragen. Die Beiden leben immer noch hier und arbeiten hier im Gutshof. Der große Bruder ist im übrigen Benjamin, der mit Bernhard zusammenlebt und sein kleiner Bruder Christian ist mit Ludwig, dem Enkel des Mitbegründers der Stiftung, liiert.“

Barbara lachte und erzählte kurz aus ihrer Sicht wie es sich damals abgespielt hatte: „Wir bekamen am frühen Nachmittag von Peter den Anruf, dass ein Minderjähriger in einem Sanatorium eingesperrt sei, weil seine Eltern der Meinung sind, er könne dort geheilt werden. Benjamin bestätigte diese Angaben, so dass wir sofort vor Gericht einen Beschluss auf Herausgabe des Minderjährigen erhielten, der noch am gleichen Tag mit Hilfe der Polizei vollstreckt wurde.

Gleichzeitig wurde vom Gericht den Eltern die Sorgeberechtigung für Christian entzogen. Normalerweise werden diese Jugendlichen in einer staatlichen Betreuungseinrichtung, genannt Kinderheim, untergebracht. Peter erklärte sich jedoch bereit, die beiden Brüder kurzfristig bei sich aufzunehmen und in den nächsten Tagen die beiden Appartements im Dachgeschoss des Gutshauses mit ihnen einzurichten. Benjamin, der zu diesem Zeitpunkt noch bei den Eltern lebte, konnte nach dieser Aktion jedenfalls auch nicht mehr zu ihnen zurückkehren. Wie du erkennen kannst ist es nicht das erste Mal, dass Peter sich für schwule Jugendliche einsetzt, und ich bin mir sicher, dass es nicht zum letzten Mal sein wird.“

David sah uns an und meinte: „Wenn ich das alles vorher gewusst hätte, hätte ich mir einiges ersparen können. Meine blöde Reaktion vorgestern wäre nicht notwendig gewesen. Da ich in meiner Situation immer vom Schlimmsten ausgehe, kann ich im Nachhinein nur sagen, Gott sei Dank habe ich mich dieses Mal aus meinem Bauch heraus richtig entschieden.“

Barbara lachte und erklärte uns warum: „Nach meinen bisherigen Erfahrungen mit Thomas und Peter war ich mir von Anfang an sehr sicher, dass du bei den Beiden am besten aufgehoben bist. Sonst hätte ich bei ihnen nicht angefragt, ob sie sich dich aufnehmen können.“

Nach kurzer Unterbrechung sprach sie weiter: „Aber bleiben wir lieber bei unseren Aufgaben für heute. Mit der Schule ist bereits alles so weit abgeklärt. Was noch fehlt sind deine Noten aus der bisherigen Schule. Ich habe die Unterlagen bereits über das Münchner Jugendamt angefordert. Dein erster Schultag ist am kommenden Dienstag, da solltet ihr euch kurz vor acht Uhr im Sekretariat melden. Deinen Stundenplan habe ich bereits erhalten und gleichzeitig eine Liste welche Unterrichtsmaterialien du benötigst. Einem Einkauf morgen sollte also nichts mehr im Wege stehen.

Eine vorläufige Vormundschaftsbescheinigung für Pflegeeltern liegt ebenfalls bei den Unterlagen, die ich euch hiermit offiziell übergebe. Damit kann Euch, Peter und Thomas, bei der Schule anmelden und ihr werdet dort als Erziehungsberechtigte geführt. Gibt es von eurer Seite noch Fragen zum Thema Schulbesuch?“

Ich blickte zu David und erkannte sofort, dass er wohl mehr als eine Frage dazu haben würde. Ich erklärte ihm, dass er als Erster seine Fragen stellen solle, weil sich danach vermutlich einige meiner Wissenslücken automatisch schließen würden.

David überlegte nicht lange, wandte sich an Barbara und fragte: „Mir ist bewusst, dass ich mich wieder einmal einer neuen Klasse vorstellen darf, nur habe ich im Moment keinen blassen Schimmer davon, wie ich mich vorstellen soll. Klar, meinen Namen und wie alt ich bin, ist noch kein Problem für mich. Das ich ursprünglich aus München komme, wo ich geboren bin, sehe ich auch nicht als schwierig an.

Bei allem anderem bin ich verunsichert, was ich der Klasse erzählen soll. Ich denke da an die Tatsache, dass ich schwul bin, oder wie erkläre ich, dass ich bei einer Pflegefamilie untergekommen bin. Im Heim war das noch einfach, da habe ich einfach erklärt, dass ich im Kinderheim wohne. Vor allem will ich nicht vor der ganzen Klasse erklären, wo und wie ich die letzten Monate gelebt habe.“

Bevor Barbara antwortete, fing ich zu erklären an: „An diese Dinge habe ich bisher überhaupt nicht gedacht. Aber du siehst das richtig, dass das vorher eindeutig geklärt sein sollte. Die Frage, ob du vor der ganzen Klasse sofort alles erklären willst, kannst nur du selbst entscheiden. Ich persönlich rate dir davon ab. Du kannst später jederzeit, wenn du dich in der Klasse integriert hast, immer noch dein persönliches Outing durchführen. Deine Erlebnisse der letzten Monate kannst du ebenso weglassen, das braucht keinen zu interessieren. Was deine Unterbringung anbetrifft, reicht es doch sicher aus, wenn du ihnen erklärst, dass du bei einer Pflegefamilie auf dem Gutshof untergekommen bist. Du brauchst auch keinem erklären warum, und dass deine neue Familie aus zwei Vätern besteht.“

Barbara hatte meinen Ausführungen bisher ruhig zugehört und erklärte: „Im Großen und Ganzen kann ich Peter nur zustimmen. Die Frage, warum eine Pflegefamilie, würde ich anders lösen. Du solltest deiner Klasse gegenüber erwähnen, dass du wegen komplizierten familiären Verhältnissen aus deiner bisherigen Familie herausgelöst wurdest und vom Jugendamt für dich eine Pflegefamilie als vermutlich bessere Lösung gegenüber einer Heimunterbringung eingestuft wurde. Das entspricht den Tatsachen. Wir waren wirklich der Meinung, dass für dich die Unterbringung in einer Pflegefamilie als die bessere Lösung, auf Grund deiner Vorgeschichte, anzusehen ist.“

David überlegte kurz und antwortete: „Okay, wenn ich das so erklären darf, dann werde ich es so handhaben. Genaugenommen war es aber meine Entscheidung, dass ich bei einer Pflegefamilie gelandet bin und nicht im Kinderheim.“

Barbara lacht und ergänzte dazu: „Sicher war es am Ende deine Entscheidung. Aber wir haben bisher die besten Erfahrungen gemacht, dass eine Unterbringung in Zusammenarbeit mit dem Betroffenen, auch unter Berücksichtigung seines Alters, in den meisten Fällen eine erfolgversprechendere Lösung darstellt. Leider gibt es viel zu wenige Pflegefamilien, die Jugendliche in deiner Altersgruppe überhaupt noch aufnehmen wollen. Die meisten bevorzugen vor allem Kinder bis zu maximal zehn Jahren.“

Nachdem Barbara geendet hatte, sagte David zu ihr: „Dann bin ich wohl doch ein Glückspilz. Zum einen, weil ich an dich geraten bin, zum anderen deswegen, weil du mir eine Pflegefamilie beschaffen konntest, die mit meinem Schwulsein und meinem Alter keinerlei Probleme hat.“

Danach wendete er sich an mich und erklärte: „So langsam fange ich an zu begreifen, und da muss ich mich wohl wiederholen, deine und Thomas Einstellung vor allem schwulen oder lesbischen Jugendlichen zu helfen, beruht nicht darauf, dass ihr nur helfen wollt, sondern dass in der Vergangenheit, euch ähnliches widerfahren ist, und ihr deswegen der Meinung seid, dass eure Hilfe notwendig ist. Kannst du mir sagen, womit ihr zu kämpfen hattet?“

Diesmal war ich gefragt, deswegen erklärte ich David: „Bei Thomas ist das einfach zu erklären. Er hatte Eltern wie du, die ihn nach seinem Comingout einfach vor die Tür gesetzt haben. Er war glücklicherweise schon älter als du und hat sich sein eigenes Leben aufgebaut. Seine Eltern haben diesen Schritt irgendwann bereut und versucht ihren Sohn wieder zu finden. Wegen seines Familiennamens Müller hat das leider nicht so einfach funktioniert.

Zu seinem vierzigsten Geburtstag wollten meine Kinder, zwecks Versöhnung, seine Eltern ausfindig machen, was ihnen nach einiger Zeit auch gelungen ist. Nur leider lebte sein Vater zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr. Seine Mutter lebt heute mit uns im Gutshof. Sie teilt sich eine der Wohnungen, zusammen mit meiner Mutter.“

Diesmal legte ich eine kurz Trinkpause ein und erzählte danach weiter: „Bei mir ist es etwas komplizierter, also hier in Kurzform. Ich war verheiratet, meine Frau ist noch jung an Krebs gestorben. Danach bin ich mit Thomas zusammengekommen, der zum einen mein Arbeitskollege war, und mir und den Kindern in traurigen Phasen unterstützend zur Seite stand. Nachdem irgendwann feststand, dass wir zusammenbleiben wollen, haben sich meine Schwiegereltern von mir abgewandt. Sie sahen das als Verrat an ihrer Tochter an, dass ich mit einem Mann glücklich sein wollte. Meine Kinder, also ihre Enkelkinder, haben es zu meinem fünfzigsten Geburtstag geschafft, endlich wieder normale Verhältnisse zu schaffen.“

Barbara überlegte kurz, sah auf die Uhr und erklärte uns: „Wenn ihr Zwei so weiter macht, sitzen wir morgen früh noch hier und haben die wichtigsten Dinge in Sachen Pflegefamilie immer noch nicht geklärt. Wir sollten uns erst einmal auf die wichtigen Fakten konzentrieren. Eure Lebensgeschichten könnt ihr euch erzählen, wenn alles geklärt ist.

Wenn ich mir meine Uhr so betrachte, sollten wir zur Mittagspause kommen und danach die weiteren Dinge besprechen. Peter, gehen wir ins Restaurant oder wollen wir in die Kantine gehen?

Ich überlegte nur kurz, bevor ich antwortete: Im Prinzip ist es egal, wohin wir Essen gehen. Der schnellste Weg ist, direkt in das Restaurant zu gehen. Aber da es draußen nicht regnet, könnten wir ebenso problemlos in die Kantine gehen. Bei den Mittagsmenüs spielt es sowieso keine Rolle, wo du isst, es sind immer die gleichen Gerichte. Barbara, wenn du uns einladen willst, gehen wir ins Restaurant, ansonsten in die Kantine.“

Barbara lachte und erklärte mir: „Peter, du glaubst doch nicht etwa, dass wenn ich vom Essen spreche, ich euch nicht einladen würde. Somit steht fest, wir gehen ins Restaurant zum Speisen.“

Wir standen auf und gingen über den Flur zum Restaurant, wo wir von Dennis in Empfang genommen wurden. Nachdem er uns gefragt hatte, ob wir einen eher ruhigeren Tisch haben wollen, dem von uns zugestimmt wurde, brachte er uns im Nebenzimmer unter, wo wir die einzigen Gäste waren. Er fragte nach unseren Getränkewünschen und meinte, die Speisenkarten bringe er gleich noch vorbei. Während des Essens wurde hauptsächlich privatere Dinge besprochen, die nichts mit der Unterbringung von David bei uns als Pflegefamilie zu tun hatten. Anschließend kehrten wir in den Bürobereich zurück und setzten unser Gespräch mit Barbara fort.

Wir hatten uns wieder in den Besprechungsraum niedergelassen.,‘Bevor wir unsere Besprechung fortsetzten klärte ich noch ab, ob wir Kaffee oder Tee trinken wollten und bestellte dann bei meiner Sekretärin eine Kanne Kaffee, nachdem wir uns auf dieses Heißgetränk geeinigt hatten. Sie brachte uns nach kurzer Zeit eine Kanne Kaffee und verabschiedete sich dann ins Wochenende. Nachdem sie mir mitgeteilt hat, dass die Telefonzentrale auf die IT-Abteilung umgeleitet sei, war sie auch schon weg.

Barbara meinte, dass wir als nächsten Punkt die organisatorischen Fragen abarbeiten werden. Sie überreichte mir den Pflegschaftsvertrag, den ich zusammen mit Thomas unterschreiben und ihr dann wieder zurückgeben sollte. Danach ging es in erster Linie um die finanziellen Dinge, die im Zusammenhang mit der Pflegschaft stehen. Sie erklärte uns, dass wir Anspruch auf das Kindergeld haben, solange David noch keine achtzehn Jahre alt sei. Sie ergänzte, dass das Kindergeld weiterbezahlt werde, solange sich David in einer Ausbildung befindet und weiterhin bei uns wohnen würde. Das Kindergeld wird uns vom Jugendamt ausgezahlt, da nur das Jugendamt im Falle einer Pflegschaft das Kindergeld bei den staatlichen Stellen beantragen könne. Sollten wir David adoptieren, könnten wir das Kindergeld direkt beantragen.

Da damit alle organisatorischen Fragen mit uns geklärt waren, meinte Barbara, dass wir jetzt in die allgemeine Fragerunde einsteigen könnten. Bevor sie uns erlaubte unsere Fragen zu stellen, wollte sie uns noch eine weitere Frage stellen. Wir stimmten nicken zu.

Barbara überlegte kurz und stellte uns folgende Frage: „Könntet ihr Beide, beziehungsweise mit Thomas ihr Drei, euch vorstellen zukünftig ein weiteres Pflegekind, in etwa im gleichen Alter wie David, in die Familie aufzunehmen. Wobei mir wichtiger ist, wie David dazu steht, denn bei dir, Peter und auch bei Thomas, kann ich mir das durchaus vorstellen.“

Bevor David ihr antworten konnte, erklärte ich: „Grundsätzlich können Thomas und ich uns das durchaus vorstellen, wir würden unsere Entscheidung aber davon abhängig machen, dass auch David, sollte er zu diesem Zeitpunkt noch bei uns wohnen, zustimmen würde. Zum anderen ist das auch eine Platzfrage, solange Felix und Dennis noch hier wohnen, ist der Platz für ein weiteres Pflegekind sehr eingeschränkt. Es müsste sich im ungünstigsten Fall sogar ein Zimmer mit David teilen, zumindest so lange, bis im nächsten Jahr die neuen Wohnungen fertiggestellt sind.

Zu diesem Zeitpunkt werden Felix und Dennis in eine der neu errichteten Wohnungen auf dem Gutshofgelände einziehen und damit das zweite Zimmer wieder frei werden. Gibt es denn einen aktuellen Anlass, warum du uns diese Frage gestellt hast?“

Barbara lachte laut auf und erklärte: „Ich habe es bereits geahnt, dass du mir diese Frage stellen würdest, und ich kann sie dir nur ehrlich beantworten. Ja, es gibt eine weitere Anfrage des Münchner Jugendamts, ob wir eine Möglichkeit sehen, einen weiteren Jungen aus dem Kinderheim aus dem David kommt, hier im Landkreis unterzubringen. Ursprünglich habe ich nicht an euch gedacht, aber als sie mir die ganze Geschichte des Jungen erzählt haben, ist mir im Grunde genommen nur diese eine Lösung eingefallen.“

Jetzt hatte sie sowohl mich als auch David neugierig gemacht. David stellte die Frage: „Könnte es sein, dass ich diesen Jungen kenne und er in einer der anderen Gruppen im Heim lebt? Kann es sein, dass er vermutlich auch schwul ist und sehr schüchtern ist?“

Barbara schaute David an und grinste als sie ihm antwortete: „Ich denke du vermutest richtig. Es handelt sich um einen Jungen namens Tobias. Nach den Auskünften des Jugendamts in München ist er ebenfalls schwul und hat sich in David verknallt. Er hat mitbekommen, dass du nicht mehr ins Kinderheim zurückkommst und seiner Betreuerin erklärt, dass er wie du aus dem Heim verschwinden will, um dich zu suchen. Sie befürchten, dass er in diesem Fall in deine Fußstapfen treten will und dich auf dem Strich suchen wird. Bevor es dazu kommt, haben sie vorsichtshalber bei uns angefragt, ob wir eine Möglichkeit sehen, Tobias in deiner Nähe unterzubringen, damit ihr euch zumindest regelmäßig sehen und treffen könntet.“

David schaute Barbara traurig an und erklärte: „Ja, bei meiner Vermutung hat es sich um Tobias gehandelt. Auch ich habe mich etwas in ihn verschaut, wollte ihn jedoch nie in meine Probleme mit hineinziehen. Ich wollte nicht, dass er ebenfalls auf dem Strich landet und bin deshalb auf Distanz zu ihm geblieben. In meiner heutigen Situation kann ich mir durchaus vorstellen, ihn näher an mich heranzulassen und mir sogar ein Zimmer in der Wohnung von Peter und Thomas mit ihm zu teilen. Ich kann diese Entscheidung natürlich nicht allein treffen. Wenn meine beiden Pflegeväter der gleichen Meinung sind, dann sollte Tobias bei uns mit einziehen.“

Ich blickte zu Barbara und David bevor ich Barbara den Vorschlag machte: „Ist es möglich, den Jungen noch heute hierher zu bringen zu lassen? Dann könnte er zumindest bis Sonntag bleiben, mit David und uns alles besprechen und in der Zeit seine Entscheidung treffen, ob er auf Dauer als Pflegekind bleiben will. Sollte er bleiben wollen, können wir am Sonntag mit ihm nach München fahren und seine persönlichen Dinge im Kinderheim abholen, wenn von Seiten des Jugendamts keine Einwände gegen diese Vorgehensweise bestehen.“

Sowohl David als auch Barbara schauten mich mit großen Augen an. Sie hatten wohl nicht mit dieser schnellen Reaktion meinerseits gerechnet. Es dauerte doch einige Sekunden, bis sie meinte: „Auf der einen Seite bin ich doch etwas überrascht von deinem Vorschlag. Andererseits hätte ich so etwas bei dir eigentlich ahnen können. Ich kann sofort in München anrufen und anfragen, ob dein Vorschlag so kurzfristig umgesetzt werden kann.“

Während Barbara mit den Münchner Kollegen telefonierte, meint David zu mir: „Nicht nur Barbara hast du mit deinem Vorschlag überrascht. Glaubst du wirklich, dass das heute noch funktioniert, es ist immerhin Freitagnachmittag. Auf der anderen Seite, bevor Tobias im Kinderheim die Biege macht und sich verkrümelt, um mich auf dem Münchner Straßenstrich zu suchen. In diesem Fall ist vielleicht besser so, als wenn er erst von der Polizei gesucht werden muss. Ich würde mich auf alle Fälle freuen, wenn er heute noch zu uns käme. Dürfte er morgen mit uns zum Einkaufen fahren oder verschieben wir diesen Termin um eine Woche.“

Ich erwiderte David: „Klar fährt Tobias morgen mit uns zum Einkaufen. Ich bin sowieso der Überzeugung, dass es nicht bis Sonntag dauern wird, bis er eine Entscheidung getroffen hat. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass er sich kurzfristig noch heute entscheiden wird. Spätestens dann, wenn er erfährt, dass du in der Nähe bist und er sich regelmäßig mit dir treffen könnte. Ich würde das erste Gespräch gerne ohne dich führen. Erst wenn er zustimmt, als Pflegekind bei uns einzuziehen, wird er die ganze Wahrheit erfahren, dass er in der gleichen Pflegefamilie untergebracht wird.“

David erklärte mir dazu: „Ich bin nicht davon überzeugt, dass dein Plan so funktioniert, aber lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. Warten wir aber erst einmal ab, was Barbara in München erreicht.“

Barbara hatte ihr Telefonat beendet und wandte sich wieder zu uns. Sie schaute mich an und erklärte: „Tobias wird heute noch nach Rosenheim gebracht, wenn alles reibungslos abläuft, sollten sie in etwa zweieinhalb Stunden hier auftauchen. Tobias erfährt vorerst nur, dass er in der Nähe von Rosenheim bei einer Pflegefamilie untergebracht werden soll und er David zukünftig täglich zumindest in der Schule treffen könne, wenn er sich für die dortige Pflegefamilie entscheiden sollte.

Ihm wird auch erklärt, dass es sich bei dem Termin um ein erstes Kennenlernen mit seiner Pflegefamilie handeln soll und er bis Sonntag Zeit hat eine Entscheidung zu treffen. Ich habe gebeten direkt mit Tobias zum Gutshof zu kommen, da ich sie dort mit seiner zukünftigen Pflegefamilie erwarten würde. Wenn sie unterwegs sind, melden sie sich kurz bei mir, damit wir in etwa wissen, wann sie ankommen.

Ich habe mitbekommen, dass Peter sich mit Thomas und mir, zuerst ohne dich mit Tobias treffen wollen. Ich bin wie Peter davon überzeugt, dass er, ohne zu zögern, zustimmen wird, bei den Beiden als Pflegekind unterzukommen, wenn er die Möglichkeit bekommt, sich regelmäßig mit dir zu treffen.“

Barbara wandte sich an David und sagte zu ihm: „Peters Argument, dass es vernünftiger wäre, noch heute einen Wochenendausflug mit Tobias in die Nähe von Rosenheim zu unternehmen, hat in München überzeugt. Sie befürchteten, dass er das Wochenende nutzen könnte, um sich aus dem Kinderheim abzusetzen und um sich auf die Suche nach dir zu machen. Dass sie ihn in diesem Fall polizeilich suchen müssten, gefiel keinem der Beteiligten. Bevor meine Münchner Kollegen mit Tobias hier auftauchen, sollten wir noch die offenen Fragen besprechen.“

Diesmal war ich es der die erste Frage loswurde: „Meine erste Frage geht in Richtung Taschengeld, ob jetzt nur für einen oder zwei Jungs, ist dabei egal. Es gibt doch Empfehlungen für die Höhe des Taschengelds für Kinder und Jugendliche. Müssen wir uns strikt an diese Vorgaben halten, oder haben wir, wie bei eigenen Kindern einen Ermessensspielraum, in dem wir uns bewegen können?“

Ohne groß Nachzudenken, antwortete Barbara: „Selbstverständlich schreibt das Jugendamt nicht vor, wie hoch das Taschengeld ausfallen muss, sie bitten jedoch darum es möglichst innerhalb der empfohlenen Unter- und Obergrenze zu halten.“

David wollte auf des Thema Adoption zurückkommen und wollte wissen, ob auch Tobias eventuell von Thomas und Peter adoptiert werden könne, sofern er das wolle. Er würde auf alle Fälle seine eigene Entscheidung davon abhängig machen.

Barbara erklärte: „Soweit ich mich bisher mit dem Fall vertraut machen konnte, dürfte es grundsätzlich von der Entscheidung des Jugendamtes und des Gerichts abhängig sein. Nach den mir bisher vorliegenden Unterlagen sind Tobias Eltern vor etwa neun bei einem Unfall tödlich verunglückt und weitere Verwandte konnten nicht gefunden werden.“

Ich brachte mich wieder in die Diskussion ein und meinte: „Ich denke, wir sollten das Gespräch über eine mögliche Adoption vorerst vertagen. Erst sollten wir herausfinden, wie Tobias sich entscheidet, bevor wir bereits vorher über seinen Kopf hinweg eine Entscheidung treffen.“

Barbaras Smartphone klingelte und wir unterbrachen, damit sich Barbara dem Gespräch widmen konnte. Zwischendurch lachte sie lauf auf und meinte, als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, da haben wir aber noch einmal großes Glück gehabt, Tobias rechtzeitig vor seinem Abgang aus dem Kinderheim abzufangen.

Nach dem Ende des Gesprächs erzählte sie uns: „Die Betreuer im Kinderheim erwischten Tobias dabei, wie er sich mit gepacktem Rucksack vom Acker machen wollte. Sie wollten ihm gerade die Nachricht von seinem Wochenendausflug zu einer Pflegefamilie überbringen und sind jetzt bereits unterwegs und werden bereits in knapp einer Stunde hier eintreffen, sofern die Verkehrsverhältnisse kein Hindernis darstellen. Wir sollten uns jetzt darauf konzentrieren, wie das erste Zusammentreffen mit Thomas und Peter ablaufen soll. Vor allem, was machen wir mit dir in der Zwischenzeit?“

Bevor David irgendeinen Vorschlag unterbreiten konnte, erklärte ich: „Ich hätte da so eine Idee.,Wir werden mal Philipp und Bernhard zu unserem Gespräch einladen. David, gehst du bitte zu den Beiden ins Büro und bittest sie zu unserer Gesprächsrunde hinzuzustoßen.“

David stand auf und verließ den Besprechungsraum, um die beiden Jungs zu holen. Kaum hatte er den Raum verlassen wollte Barbara von mir wissen, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich erläuterte ihr kurz meinen Plan. Sie meinte dazu, dass ich aus dem ersten Gespräch mit David etwas gelernt hätte und die gleiche Situation nicht erneut heraufbeschwören möchte.

Kurze Zeit später betraten die drei Jungs den Besprechungsraum und setzten sich zu uns. Philipp stellte die Frage direkt an mich: Warum sollten Bernhard und ich jetzt zu euch kommen, ihr seid doch noch mit Barbara im Gespräch wegen der Pflegschaft mit David?“

Barbara lachte und meinte zu Philipp: „Ich fürchte, ich bin die Schuldige, warum ihr hier antreten durftet. Es gibt einen weiteren Problemfall im Münchner Kinderheim. Der junge Mann ist auf dem Weg hierher, um sich seine neue Pflegefamilie anzuschauen. Dein Vater ist der Meinung, dass ihr die zwei Richtigen wäret, um das Problem zu lösen. Aber das soll er euch bitte selbst erklären, wie und was er sich ausgedacht hat.“

Damit lag es jetzt an mir alles zu erklären: „Ich werde es kurz und einfach machen. Barbara hat mich und David vorher gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, einen weiteren Jungen als Pflegekind aufzunehmen. Nachdem wir Beide nicht abgelehnt haben, hat sie uns den Fall kurz geschildert. Es geht um einen Tobias, der mit David im selben Kinderheim lebt. Der hat, nachdem bekannt wurde dass David nicht mehr ins Heim zurückkommt, angekündigt, sich auf die Suche nach David zu machen. Mir war sofort klar, dass er in erster Linie versuchen wird, David am Straßenstrich zu finden. Da David nicht mehr in München lebt, wird er dort keine Chance haben. Erschwerend kommt hinzu, Tobias hat seinen Betreuern im Heim erklärt, dass er sich in David verknallt hätte, und deshalb hat das Jugendamt in München mit Barbara Kontakt aufgenommen.“

Bevor ich weiterreden konnte, fragte Philipp David: „Stimmt das bisher so, wie es mein Vater erzählt hat und bist du auch in Tobias verliebt? Wie stehst du zu der ganzen Angelegenheit. “

David wandte sich zu Philipp und antwortete ihm: „Ja, ich mag Tobias auch sehr gerne, nur bisher habe ich mich immer zurückgehalten, da ich nicht wollte, dass er denselben Fehler begeht, wie ich und auf der Straße lande. Jetzt, in der neuen Situation, kann ich mir gut vorstellen mit ihm fest befreundet zu sein.“

Ich riss die die Diskussion wieder an mich und erklärte: „Ich habe Barbara gebeten, den Jungen, wenn möglich, noch heute hierher zu holen. Er wird in knapp einer Stunde hier ankommen und er bleibt, falls er nicht zu uns als Pflegefamilie will, maximal bis zum Sonntag. Wir wollen das Gespräch mit Tobias erst einmal ohne David führen, aber mit Philipp und Markus zusammen.

Bernhard sollte sich in der Zwischenzeit um David kümmern, damit Tobias ihn nicht sofort zu Gesicht bekommt. Am Besten ihr verschwindet in der Zwischenzeit in die Wohnung von Bernhard und Benjamin. Wenn ich Bernhard später anrufe, sollen David, Bernhard und Benjamin zum weiteren Gespräch hinzukommen. Ich werde euch dann sagen, wo wir auf euch warten.“

Bernhard sagte zu David: „Dann komm mal mit mir mit, ich hole mir nur kurz mein Notebook und dann verkrümeln wir uns ins Gesindehaus, damit uns Tobias nicht noch aus Versehen über den Weg läuft. Bis wann können wir mit eurem Anruf rechnen, damit ich planen kann.“

Ich meldete mich wieder und meinte: „Sagen wir mal, spätestens eine Stunde nach dem Eintreffen von Tobias sollten wir so weit sein, euch wieder dazu zu holen.“

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