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Regenbogenfamilie

Kapitel 17 - Neue Erkenntnisse

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Informationen

 

Am nächsten Morgen war Mutter diejenige, die als erstes aufgestanden ist und für alle das Frühstück vorbereitete hat. Als sie mit den Vorbereitungen fertig war, kam sie nach oben, klopfte an unsere Zimmertür und als Thomas etwas sagte, meinte sie nur, dass das Frühstück fertig sei und sie nun auch Marcus und Philipp aufwecken werde. Ich hörte noch, wie sie bei den Jungs anklopfte und die beiden ebenfalls zum Frühstück einlud.

Thomas meinte zu mir, dass wir wohl aufstehen und meiner Mutter Gesellschaft leisten sollten. Eigentlich wollte ich nach dem gestrigen Abend noch länger im Bett liegen bleiben, aber Thomas gab so lange keine Ruhe, bis ich mich endlich bereit erklärte ebenfalls aufzustehen.

Nach gut zwanzig Minuten erschienen wir beide im Esszimmer, wo wir meine Mutter und unsere Jungs bereits beim Frühstück vorfanden. Wir setzten uns zu ihnen an den Tisch, bei einer guten Tasse starken Kaffees waren meine Lebens­geister endgültig wieder geweckt.

Zum Ende des Frühstücks meinte Mutter, sie würde heute gerne wieder am Vormittag mit den Jungs zusammen zu Walter ins Krankenhaus fahren. Morgen wolle sie dann mit uns beiden ebenfalls am Vormittag zu Vater ins Krankenhaus fahren.

Die drei machten sich fertig und fuhren dann zu meinem Vater ins Krankenhaus. Thomas und ich räumten im Esszimmer auf und brachten alles in die Küche. Auch dort sorgten wir zunächst für die notwendige Ordnung.

Ich schnappte mir mein Smartphone und sah in unserer To-Do-Liste Mallorca nach, was noch alles zu erledigen sei, am oder im Haus. Gemeinsam mit Thomas beschlossen wir, heute im Haus einige der offenen Aufgaben abzuarbeiten.

Bevor wir jedoch loslegten, schaute ich noch in der Küche, was eventuell an Einkäufen zu tätigen sei. Diese Zusammenstellung stellte ich sofort in unsere gemeinsame Aufgabenliste. Sofern die beiden Jungs das rechtzeitig sähen, könnten sie mit Mutter die Einkäufe auf dem Rückweg vom Krankenhaus bereits erledigen.

Thomas hatte sich den Staubsauger aus der Abstellkammer geholt und fing damit an alle Böden im Erdgeschoß zu reinigen, logischerweise natürlich nur dort, wo auch wirklich Teppich­boden oder Teppiche vorhanden waren.

Ich selbst holte mir zwei große Schüsseln mit Wasser und fing an die Fenster und die Fensterrahmen zu putzen. Klar hatte ich zuvor in eine der Schüsseln auch noch etwas Spülmittel getan, mit klarem Wasser allein bringt man die Fenster schließlich nicht sauber. Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden war ich endlich mit den Fenstern im Erdgeschoß durch und leerte meine beiden Schüsseln in der Küche im Spülbecken aus und verstaute sie an ihrem ange­stammten Platz.

In der Zwischenzeit hatte Thomas auch noch alle Steinböden im Erdgeschoss feucht gewischt. Ich für mich hatte den Entschluss gefasst, dass wir uns morgen in aller Ruhe die Räume in der oberen Etage vornehmen werden. Wir waren schließlich nicht nur hier, um zu putzen, sondern um ein paar Tage auszuspannen und vor allem zu klären, wie es mit meinem Vater, genauer gesagt mit meinen Eltern, langfristig weitergehen wird.

Noch hatten wir reichlich Zeit, unser Rück­flug war spätestens in zehn Tagen geplant, da wir danach wieder arbeiten mussten. Wir hatten extra keinen der sonst üblichen Urlaubs­flüge gebucht, damit wir notfalls, zumindest was den Rückflug anbetraf, auch flexibel blieben.

Thomas wollte plötzlich von mir wissen, ob wir oben gleich noch weitermachen wollen, aber ich meinte zu ihm, das könnten wir morgen Nachmittag noch erledigen. Wir sollten uns vielmehr bereits auf die Vor­bereitungen für das Mittag­essen stürzen, denn wenn die drei aus dem Krankenhaus zurück­kämen, wäre es zweckmäßig, wenn das Mittagessen fast fertig wäre. Immerhin wollten wir am frühen Nachmittag meinen Vater, wie angekündigt, an seinem Krankenbett besuchen.

Wir hatten uns kaum in der Küche breit gemacht, um mit dem Kochen und Vorbereiten anzufangen, Thomas war schon ins Esszimmer gegangen, um den Tisch zu decken, als ich draußen ein Auto in die Einfahrt fahren hörte und kurz danach der Motor verstummte. Ich rief Thomas und meinte, er solle doch mal nachschauen, wer da angekommen sei. Er antwortete mir nur kurz: „Bin schon unterwegs zur Haustür.“

Es dauerte doch noch einige Minuten, bis sich die Türe zur Küche wieder öffnete und Philipp mit zwei großen Einkaufstüten im Türrahmen stand. Dahinter konnte ich noch Marcus erkennen, der ebenfalls eine weitere Einkaufstüte in der Hand hielt. Damit war mir klar: Sie hatten meine Einkaufsliste rechtzeitig gesehen und mit Mutter die notwendigen Einkäufe auf dem Rückweg vom Krankenhaus bereits erledigt.

Verwundert stellte ich jedoch fest: „Ihr seid schon wieder zurück vom Krankenbesuch und Einkaufen. Gab es irgendwelche Probleme, dass ihr jetzt bereits wieder zurück seid und in der Zwischenzeit schon beim Einkaufen gewesen seid?“

Beide stellten ihre Einkäufe in der Küche ab und mein Sohn Philipp erklärte mir: „Opa ging es heute wohl nicht so gut und er hat die meiste Zeit, die wir bei ihm Krankenhaus waren, mit Schlafen verbracht, so dass wir uns heute ausnahmsweise nicht so lange bei ihm im Krankenhaus aufgehalten haben. Marcus hat eure Einkaufsliste, da er neugierig war und wissen wollte, was ihr heute erledigt habt, beim Verlassen des Krankenhauses entdeckt. Deshalb sind wir mit Oma auf dem Rückweg zur Finca noch beim Supermarkt vorbeigefahren, um eure Einkaufsliste abzuarbeiten.“

Meine Mutter war zusammen mit Thomas direkt ins Esszimmer gegangen und die zwei deckten den Tisch gemeinsam für unser Mittagessen. Die Jungs blieben bei mir in der Küche, nachdem sie die Einkäufe in den Schränken und im Kühlschrank verstaut hatten, und halfen mir bei der restlichen Zube­reitung unserer Mittagsmahlzeit.

Während des Mittagessens erzählte uns Mutter dann aus ihrer Sicht die Geschehnisse des Vormittags und brachte damit gleichzeitig ihre Sorge zum Aus­druck, dass es mit Vater heute wieder einmal nicht zum Besten stehe.

Thomas und ich erzählten meiner Mutter kurz, was wir am Vormittag erledigt hatten, wobei Mutter dann dazu meinte, dass ihr das bereits aufgefallen sei beim Betreten des Hauses. Marcus meinte dazu frech: „Habt ihr heute keine große Lust verspürt, im Garten weiterzuarbeiten, da ihr euch nur Arbeiten herausgepickt habt, die im Haus zu erledigen sind?“

Thomas grinste und erwiderte ihm: „Ein Vögelchen hat uns laut gezwitschert, dass ihr beide nicht so auf die anstehenden Arbeiten innerhalb des Hauses steht. Somit haben wir heute Morgen beschlossen, euch die Arbeiten im Garten zu überlassen und wir uns heute und vermutlich auch morgen auf Arbeiten in den Innenräumen konzentrieren wollen. Sind wir nicht furchtbar lieb zu euch, weil wir die Arbeiten übernehmen, die ihr nicht so gern übernehmt?“

Nach dem Mittagessen waren es diesmal Thomas und meine Wenig­keit, die zügig aufbrachen, um zu unserem Krankenbesuch zu Vater ins Krankenhaus in Palma zu fahren.

Auf dem Weg dorthin unterhielt ich mich mit Thomas über die Informationen und Erläuterungen, die uns die beiden Jungs und meine Mutter von ihrem Kranken­besuch heute Vormittag erzählt hatten. Ich meinte zu Thomas: „Wir werden sicher gleich feststellen, ob es ihm wirklich so viel schlechter geht, wie es uns von Mutter berichtet wurde.“

Im Krankenzimmer meines Vaters angekommen, fanden wir eine gänzlich veränderte Situation vor, als sie uns beim Mittagessen von Mutter und den Jungs geschildert worden war. Vater schlief nicht, sondern lag wach in seinem Bett und freute sich bereits auf unseren Besuch. Er begrüßte uns erfreut und Thomas sagte zu ihm: „Schön, dich so gut gelaunt in deinem Krankenbett vorzufinden, nach den Schilderungen deiner Gattin und der beiden Jungs haben wir schon befürchtet, dass wir heute kein Wort mit dir reden könnten.“

Vater fing zu lachen an und erklärte uns: „Ich wollte eigentlich nicht, dass meine Gattin euch mit meinem Zustand verschreckt, aber heute Morgen hat sie mich irgendwann so dermaßen genervt mit immer wieder der gleichen Frage, wie es mir denn heute gehe und wie ich mich heute fühle. Ich habe das irgendwann nicht mehr ausgehalten und habe ihnen immer häufiger vorgespielt, dass ich regelmäßig am Einschlafen sei. Ich hoffe nur, ihr verpetzt mich nicht deswegen bei Gerlinde.“

Ich schaute Vater an und sagte zu ihm: „Keine Sorge, das erfährt sie frühestens dann von uns, wenn du deine Augen für immer geschlossen hast. Bis dahin bleibt es definitiv unser Geheimnis, es sei denn, du versuchst deine schauspielerischen Fähigkeiten auch bei uns beiden anzuwenden. Dann lasse ich dich auffliegen, das ist dir hoffentlich bewusst.“

Diesmal schaute mich mein Vater zuerst vorwurfsvoll an und erklärte grinsend: „So läuft das also bei euch, ihr erpresst mich damit, dass, wenn ich euch eine Komödie vorspiele, ihr mich bei meiner Gattin verpfeift.“

Thomas lachte laut und erklärte: „Walter, ich würde das nicht als Erpressung bezeichnen, es ist eine Übereinkunft zweier Geschäftspartner, von der beide Seiten am Ende profitieren, du verarscht uns nicht und wir verpfeifen dich nicht bei meiner Schwiegermutter.“

Er schaute uns an und meinte: „Ihr beiden Halunken, ihr habt mir damit wieder einmal bewiesen, dass mein Entschluss, Peter zum neuen Familienoberhaupt zu machen, die richtige Ent­scheidung gewesen ist, die ich mit Gerlinde getroffen habe.“

Danach unterhielt er sich mit uns noch einmal über einige Punkte, die in nächster Zeit anstehen, unter anderem die Klärung der Frage mit einem neuen Pächter für den Gutshof in Deutschland. Er wollte von mir wissen, ob ich über diese Angelegenheit in den letzten Tagen schon einmal nachgedacht hätte.

Was sollte ich ihm antworten, klar hatte ich über seine Wünsche immer wieder intensiv nach­gedacht, aber bisher konnte ich mich noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung, wie ich diese Aufgabe lösen soll, durchringen. Ich hatte bei meinen bisherigen Über­legungen und Gesprächen mit Thomas immer betont, dass eine Entscheidung für mich einfacher wäre, wenn bereits mehr Fakten oder weiteres notwendiges Wissen bei mir vorlägen.

Ich meinte damit auch nicht unbedingt, dass mein Vater bereits verstorben sei, es gibt genügend andere Gründe, die mich bisher be­schäftigten. Da waren zum einen meine Geschwister, die ich immer noch mit im Boot haben wollte, aber auch die Aussage meiner Eltern, dass diese ihren Anteil am Erbe bereits zum Großteil von ihnen erhalten haben. Ich konnte nicht zuverlässig nachvollziehen, dass meine Eltern ihnen bereits wirklich so viele Immobilien überschrieben hatten.

Wie wenn mein Vater meine Gedanken lesen könnte, sprach er zu mir: „Deine beiden Geschwister haben von uns bereits etwa zwei Drittel des gesamten Wohnungsbestandes übergeben bekommen. Damit sind ihre zukünftigen Erban­sprüche fast vollständig abgegolten, im Grunde genommen ist aktuell fast nur noch dein Erbteil übrig, das noch an Immobilien bei mir und Gerlinde vorhanden ist.

Die Finca habe ich ebenfalls bereits aus unserem Vermögen herausgenommen, sie wurde in eine eigene Gesellschaft übertragen, damit sie von euch allen, auch zukünftig während eures Urlaubs, genutzt werden kann.“

Ich schaute ihn an, das war sogar mir noch neu. Ich überlegte, ob das viel­leicht Auswirkungen auf meine Gespräche mit Pedro Garcia haben könnte.

Er erklärte weiter: „Bei dieser Gesellschaft sind derzeit Mutter und ich als Geschäftsführer eingetragen und mit meinem oder Mutters Tod würdest du automatisch als Geschäftsführer und Mitinhaber nachrücken, das ist bereits alles vertraglich so geregelt. Damit bist du dann mit Mutter oder mir zusammen in der Geschäfts­führung für diese Firma. Wir hatten das so geregelt, dass der zuerst Ver­sterbende seinen Sitz in der Gesellschaft dir übertragen würde.

Nach unser beider Tod wird die derzeitige Gesellschaft in eine gemeinnützige Stiftung übertragen werden, dort sollst du zukünftig als Vorstand fungieren. Der Zweck der Stiftung ist auch bereits geregelt, die Überschüsse sind für soziale Zwecke gebunden und die Gelder sind vorwiegend für Mallorca oder Spanien, für Kinder, die in Kinderheimen leben, vorge­sehen“, erklärte Vater weiter.

„In der bereits urkundlich errichteten Stiftung ist festgelegt, dass mit einem Teil der jährlichen Überschüsse benachteiligte Kinder entweder gefördert werden oder ihnen ein Urlaub ermöglicht wird. Mit dem anderen Teil der Überschüsse sollen weitere Immobilien erworben werden, um die Stiftung langfristig mit jährlich steigenden Fördermitteln auszustatten.“

Ich schaute ihn immer noch an, sprachlos über das eben Gehörte. Gut, ich wusste, dass Vater immer sehr voraus­schauend gehandelt hatte, aber mit so etwas hatte ich überhaupt nicht gerechnet, vor allem hatten bisher weder Mutter noch Vater mir gegenüber überhaupt eine Andeutung in diese Richtung gemacht.

Thomas, für den das ebenso neu war wie für mich, erklärte meinem Vater: „Davon haben wir beide bisher nichts gewusst. Warum habt ihr, du und Mutter, Peter nicht früher ins Vertrauen gezogen und ihn in eure Pläne eingeweiht? Selbst das Wissen, dass ihr an seine beiden Geschwister bereits knapp zwei Drittel des Immobilienvermögens verteilt habt, fehlte uns.“

Vater lächelte ihn an und antwortete ihm: „Ja, Thomas, das ist richtig, dass ihr nichts davon wusstet. Diese Entscheidung über die Finca auf Mallorca haben wir erst vor wenigen Wochen getroffen. Die Eintra­gung im Handelsregister ist ebenfalls noch neu. Mit dieser Regelung entfällt die Erbschaftssteuer für sämtliche spanischen Immobilien, da sie im Besitz einer Gesellschaft sind.“

Ich wunderte mich mehr darüber, warum Mutter bei unserem Gespräch mit Pedro Garcia nichts davon erwähnt hatte. Vielleicht wollte sie Vater nur nicht vorgreifen, auf der anderen Seite, im Fall des Falles hätte sie alle notwendigen Information an uns weitergeben müssen.

Thomas war auch noch mit seinen Gedanken beschäftigt, als mein Papa wieder zu sprechen anfing: „Ich hatte vor, aus unserem aktuellen Barvermögen noch einige weitere Ferienwohnungen auf der Insel zu kaufen und diese ebenfalls in die Gesell­schaft, die zukünftige gemeinnützige Stiftung, einzubringen.“

„Von dem Kauf weiterer Ferienwohnungen hat Mutter bisher noch nichts gewusst“, ergänzte er. „Das wollte ich mit ihr noch besprechen, bevor ich von einem Tag auf den anderen im Krankenhaus landete. Ich werde meine letzten Pläne mit Sicherheit nicht mehr zu Ende führen können, deshalb befürchte ich, das wird damit auch eine deiner zukünftigen Aufgaben werden.“

Thomas und ich schauten uns an, dann wieder meinen Vater. Wusste er mehr, als er uns bisher immer erzählt hatte? Ich war etwas überrascht, doch bei meinem alten Herrn wusste ich ja, dass er immer wieder für weitere Überraschungen gut war.

Nach einigen Minuten sagte mein Vater zu uns: „Ich denke, ich sollte euch beiden endlich die volle Wahrheit über meine Erkrankung erzählen, bisher habt ihr immer nur Teile davon erfahren. Ich bin mir sicher, dass ich nur noch wenige Tage zu leben habe. Ich habe meinem Arzt das Ver­sprechen abge­nommen, mit niemandem, auch nicht innerhalb der Familie, darüber zu sprechen, wie ernst es inzwischen wirklich um mich steht.“

Wieder machte er eine Pause und ich dachte in diesem Moment an unser erstes Zusammen­treffen mit Vaters Arzt, Doktor Ramirez, der zu dem Zeitpunkt bereits Andeutungen gemacht hatte, die ich damals nicht richtig ein­ordnen konnte. So langsam, aber sicher setzte sich bei mir die Erkenntnis durch, dass mein Vater vermutlich schon längere Zeit gewusst hatte, dass er wahrscheinlich nie wieder lebend nach Deutschland zurückkehren würde.

Nach kurzer Pause sprach er weiter: „Ich weiß schon seit einigen Monaten, dass mir nur noch eine begrenzte Zeit verbleiben wird, darum habe ich auch versucht, in der mir noch verbleibenden Zeit alles zu regeln, was notwendig ist. So wie es heute aussieht, werde ich wohl nicht mehr alles selbst zu Ende bringen können, deshalb meine Andeutung, dass du diese restlichen Aufgaben zu übernehmen hast.

Im Schwestern­zimmer oder bei Doktor Ramirez habe für dich ein großes Briefkuvert hinterlegt, das dir nach meinem Tod sofort ausge­händigt werden soll. Dort habe ich in den letzten Tagen alles niedergeschrieben, teilweise auch mit Hilfe der Mitarbeiter im Krankenhaus, was ich noch geplant hatte, aber bisher noch nicht erledigt habe. Deine Aufgabe wird es nach meinem Tod sein, dies alles zu einem guten Ende zu bringen.“

Erschrocken über seine Aussagen schaute ich meinem Vater in die Augen. „Mir ist klar“, sprach er weiter, „dass das für dich und Thomas jetzt etwas überraschend kommt, aber ich hatte dir vor wenigen Tagen bereits erklärt, dass du allein derjenige bist, der diese offenen Aufgaben am besten und in meinem Sinne umsetzen wird.

Du kennst meine persönliche Meinung zu deinen Geschwistern. Ich kann es nur immer wieder erneut betonen, du warst der Einzige von unseren Kindern, der uns in all den Jahren nie um Geld angepumpt hat, selbst wenn du in finanziellen Schwierigkeiten gesteckt hast.

Ich weiß das sehr genau, denn deine Mutter und ich haben immer bemerkt, wenn du am Limit warst. Gerlinde hat mich mehrfach aufgefordert, mit dir über dieses Thema zu sprechen und dir unsere Hilfe anzubieten.

Dir war, vor allem im Gegensatz zu deiner Schwester, deine Familie immer wichtiger als deine persönlichen oder finanziellen Vorteile, was man von deinen beiden Geschwistern nicht unbe­dingt behaupten kann.“

Ich saß am Krankenbett meines Vaters und war sprachlos. Thomas stand hinter mir und hatte mir eine Hand auf die Schulter gelegt.

Wieder ergriff mein Vater das Wort und sprach weiter: „Eines sollte dir damit endgültig bewusst sein, du bist damit das zukünftige Oberhaupt der Familie und nicht eines deiner Geschwister. Wie du meine offenen Pläne und Wünsche später im Detail umsetzen wirst, das überlasse ich dir und deinem Thomas. Ich bin mir jedoch sicher, dass du immer die richtigen Ent­scheidungen im Sinne unserer Familientradition treffen wirst.“

„Eines noch“, meinte mein Vater, „bitte sprecht vorerst mit niemanden über das, was ich euch heute erzählt habe, deine Mutter weiß vieles davon, aber auch sie habe ich zum Schweigen verpflichtet. Eines weiß sie jedoch bis heute nicht, wie ernst meine Erkrankung wirklich ist, und das soll auch noch ein paar Tage so bleiben. Wir können hoffentlich morgen wieder weiterreden, aber jetzt brauche ich dringend wieder eine meiner Ruhe- und Erholungs­phasen, ohne euch damit eine Komödie vorzu­spielen.“

Ich wusste, jetzt wird Vater uns nichts mehr weiter erklären, deshalb verabschiedete ich mich. Thomas drückte ihm noch die Hand und meinte: „Morgen Vormittag sehen wir uns wieder.“

Auf dem Weg zum Auto, ich war, wie momentan üblich in solchen Situa­tionen, wieder in meine eigenen Gedanken versunken, fragte mich Thomas: „Hast du etwas davon gewusst oder hattest du wenigstens eine Ahnung davon?“

Während er mich ansah, überlegte ich, mir fiel jedoch keine Ge­legenheit ein, bei der mein Vater so etwas auch nur andeutungsweise angekündigt oder angedeutet haben könnte. Ich antwortete auf seine Frage deshalb: „Nein, bis heute ist mir von allem, was er uns heute vermittelt hat, nichts bekannt gewesen, zumindest nicht in diesem enormen Umfang. Ich wusste zwar, dass meine Geschwister immer wieder von ihm Geld er­halten hatten, aber dass es zwischenzeitlich so viel gewesen sein soll, selbst das war mir bis heute nicht bekannt. Ich war echt überrascht von der Dimension, die er uns heute Nachmittag offenbarte.“

Der restliche Tag ist kurz abgearbeitet, es gab keine weltbewegenden Neuig­keiten und die meiste Zeit saßen wir nur auf der Terrasse und unterhielten uns. Zwischendurch spielten wir mit Mutter und den beiden Jungs einige Runden Uno.

Fast wie immer ging Mutter früher ins Bett und so saßen wir am späten Abend nur noch mit den Jungs auf der Terrasse. Wir tranken den von meinem Vater eingelagerten guten spanischen Wein, den wir in seinem gut bestückten Weinkeller entdeckt hatten, und sprachen darüber, was wir in den nächsten Tagen unter­nehmen wollten.

Beim Zubettgehen meinte Philipp noch frech: „Ich will morgen früh beim Frühstück keine Klagen hören, also macht heute Nacht keinen Krach.“

Ich schaute ihn an und erwiderte: „Vorsicht mit deinen Äußerungen, sonst könnte heute Nacht noch der Klabautermann bei euch beiden vorbeischauen.“

Marcus kam Philipp zu Hilfe und antwortete frech: „Der kann ruhig kommen, dann machen wir einen flotten Dreier mit ihm.“

Thomas lachte und erklärte: „Fragt sich nur, wer da mit wem einen flotten Dreier veran­staltet, und jetzt Schluss damit, verzieht euch zum Spielen in eure eigenen Betten.“

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