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Regenbogenfamilie

Kapitel 3 - Überraschungen ohne Ende?

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Martina tauchte im Keller auf; sie zwinkerte ihrem Mann zu, schnappte sich ein Glas, drehte die Musik leiser und klopfte mit einem kleinen Löffel gegen das Glas. Langsam verstummten die Gespräche im Raum und man meinte fast, man könne eine Stecknadel fallen hören; geht hier aber nicht, es war ja Teppich im Raum.

„So, Papa“, fing sie an, „komm mal her zu mir und bring doch deinen Thomas gleich mit. Wir, also Philipp, Kevin, Christoph und ich, haben eine weitere Überraschung vorbereitet. Nein, Thomas weiß bisher nichts von dem, was da auf euch zukommt, er wird genauso überrascht sein wie du.“

Ich sah Thomas an, er zuckte nur mit seinen Schultern, erhob sich ebenfalls und folgte mir. Wir stellten uns neben meine Tochter und sie fuhr fort, das hörte sich für mich jetzt fast so an, als wären wir im Zirkus gelandet: „Wir haben keine Kosten und Mühen gescheut und es wurde uns auch nicht gerade sehr einfach gemacht, aber gerade deshalb freuen wir uns, ihnen heute eine weitere große Überraschung zu präsentieren.“ Christoph stand mit einer hell leuchtenden Taschenlampe neben uns und erhellte die noch geschlossene Tür. Ich dachte schon: ‚Na, was kommt da wohl jetzt, was haben die sich wieder Besonderes einfallen lassen?‘ „Also wir präsentieren ihnen heute Abend ...“

Langsam öffnete sich die Tür, im Schein der hellen Taschenlampen stand dort eine schon etwas ältere, aber noch sehr hübsche Frau und hielt Philipps und Kevins Hand. Eine Frau, die ich vorher noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Nein, ich kannte sie wirklich nicht. Wer sollte das denn sein? Ich wusste es beim besten Willen nicht. Das Geheimnis wurde aber schon nach kürzester Zeit gelüftet, als Thomas losbrüllte: „Maammmaaa!“ Er sah mich kurz an und dann rannte er auch schon los, schnappte sich seine Mutter, hob sie in die Luft und drehte sich mehrmals im Kreis mit ihr. Dann setzt er sie vorsichtig ab, küsste sie auf beide Wangen und strahlte über das ganze Gesicht.

Ich bemerkte, dass Philipp sich von Thomas‘ Mutter zurückgezogen hatte und händchen­haltend mit seinem Marcus hinter Thomas und seiner Mutter stand und ebenso fassungslos staunten, was da gerade abging. Philipp sah dann zu mir, ich nickte nur mit dem Kopf, was so viel bedeuten sollte wie ‚Gut gemacht von euch‘ oder auch bedeuten konnte: ‚Die Überraschung ist euch wirklich gelungen‘.

Thomas stand immer noch dort, inzwischen hatte er seine Mutter fest in den Arm genommen und ich konnte erkennen, dass wohl bei beiden die Tränen liefen. Ich ging zu den beiden rüber und schlang meine Arme um sie. Ja, Thomas hatte Tränen in den Augen, aber es waren Freudentränen. Plötzlich fingen alle zu klatschen an, das war wirklich ein mehr als bewegender Moment, den ich erlebte.

Ich ließ die beiden wieder los und suchte meine Kinder, die standen inzwischen eng beieinander und tuschelten irgendetwas. Ich näherte mich ihnen, nahm sie nun auch in die Arme und meinte: „Das ist das größte Geburtstags­geschenk, das ihr mir und Thomas nachträglich zu seinem vierzigsten Geburtstag machen konntet; so glücklich habe ich Thomas noch nie gesehen. Ihr solltet mir mal dringend verraten, wie ihr das möglich gemacht habt.“

Keiner der beiden sagte etwas, sie grinsten mich nur frech an, bis sie plötzlich fast synchron loslegten: „Alles zu seiner Zeit, ihr werdet diese abenteuerliche Geschichte von uns noch rechtzeitig erfahren.“ Ich sah beide an und dachte für mich: ‚Womit habe ich meine beiden Kinder nur verdient‘, und drückte beide fest an mich. Immerhin hatten sie es auch geschafft, meine Schwiegereltern zurückzuholen.

Langsam wurde es wieder etwas ruhiger im Hobbyraum, die Gäste verteilten sich wieder im Haus, nur der eine oder andere hatte sich zwischenzeitlich am Büfett bedient und saß an den Tischen und aß.

Thomas stand immer noch mit seiner Mutter im Arm an der Stelle, an der ich sie losgelassen hatte. Ich ging wieder rüber zu den beiden, schauten ihnen tief in die Augen, die richtig leuchteten. Ich nahm beide nochmal in meine Arme und meinte: „Wollen wir uns nicht setzen? Ihr habt euch sicher viel zu erzählen und vor allem möchte ich deine Mutter auch gerne näher kennenlernen.“ Plötzlich fragte Thomas: „Und was ist mit Papa?“ Ich sah sofort, dass Thomas‘ Mutter plötzlich trauriger ausschaute. Sie antwortete: „Er kann diesen Tag heute nicht mehr erleben und mit uns feiern, er ist vor eineinhalb Jahren an einem Herzinfarkt von mir gegangen.“

Nach einiger Zeit schafften wir es doch bis zu einem Tisch, an den wir uns setzen konnten. Ich betrachtete immer wieder Thomas und seine Mutter. Zwischenzeitlich hatten sich auch meine Kinder sowie Christoph, Kevin und auch Marcus zu uns an den Tisch gesetzt. Ich schaute Philipp und Martina tief in die Augen und meinte: „Wollt ihr uns jetzt erzählen, wie ihr diese Wunder vollbracht habt?“ Kein Ton von den beiden, bis plötzlich Thomas‘ Mutter mit dem Erzählen anfing.

„Ich habe es schon wenige Monate, nach dem du ausgezogen warst, bereut, dass ich mich nicht gegen deinen Vater und meinen Mann entschieden habe, als er dich aus dem Haus geworfen hat. Aber du kennst deinen Vater ja nur zu gut, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, war Gesetz für die ganze Familie, da war jeder Widerstand zwecklos. Ich weinte sehr viel in dieser Zeit. Du hast dich all die Jahre nie wieder bei uns gemeldet, ich hätte schon gerne gewusst, wie es dir geht. Ich hatte jahrelang die Hoffnung, dass du dich irgendwann doch wieder bei uns meldest.“

Kurze Stille, bis Thomas sich zu Wort meldete und zu ihr sagte: „Ja, ich weiß, ich habe mich nie wieder bei euch gemeldet, das ist richtig, aber ich bin bis zum heutigen Tag immer davon ausge­gangen, dass ihr nichts mehr mit mir zu tun haben wollt, und nachdem ich Peter und seine Kinder kennengelernt hatte und wir eine glückliche Familie wurden, wollte ich nicht, dass ihr mir mein Glück zerstört. Deshalb habe ich mich bis heute nicht mehr bei euch gemeldet.“

Wieder war es einen Moment ruhig, ich schaute zu Martina und hoffte, sie würde jetzt mit der Erzählung fortfahren. Aber nicht sie, sondern Philipp legte los: „Ich weiß ja nun auch schon einige Zeit, dass ich schwul bin und dass wir, Martina und ich, es eigentlich mit euch beiden sehr gut getroffen haben. So fragte ich vor einigen Monaten Martina, ob wir nicht einen Versuch wagen wollen und Thomas‘ Eltern suchen sollten, mit ihnen reden und sie vielleicht auch, wie Mamas Eltern, davon überzeugen könnten, nach dieser langen Zeit wieder mit Thomas ins Gespräch zu kommen. Wir hatten schon lange mit Mamas Eltern darüber geredet und konnten sie so nach und nach davon überzeugen, aber erst nachdem wir Thomas‘ Mutter endlich gefunden hatten und sie sich ebenfalls telefonisch mit ihnen unterhalten hatte, waren sie restlos überzeugt davon.“

Nach einer kurzen Pause, in der er nochmal zu Gabis Eltern blickte, setzte er fort: „Thomas‘ Vierzigster war zu dieser Zeit nicht mehr allzu weit entfernt und es wäre eine grandiose Überraschung, wenn wir das bis dahin schaffen könnten. Sie meinte dann zwar zu mir, dass ich spinne, aber Christoph hat sie dann am Ende davon über­zeugen können. Etwa zwei Wochen später kam sie auf mich zu und meinte, wir versuchen es. Okay, aber wie stellen wir das an? Das erste, was uns einfiel, war, Thomas hatte mal gesagt, er stamme aus dem Norden Deutschlands, aber woher genau, wussten wir bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Es war, Gott sei Dank, einfach für uns, an Thomas‘ Geburtsurkunde heranzu­kommen, sie war hier im Haus und damit hatten wir wenigstens schon mal einen Anhaltspunkt, wo wir mit der Suche anfangen konnten.“

Ich blickte bewundernd zu Philipp und Martina und dachte: ‚Nicht schlecht.‘ Philipp setzte fort: „Aber einfacher wurde es für uns dadurch auch nicht. Wir suchten im Internet, in den Telefonbüchern der Umgebung, aber wir fanden keinen Eintrag mit Thomas‘ Familiennamen und den aus der Geburtsurkunde bekannten Vornamen seiner Eltern. Zwischenzeitlich war dann Thomas‘ Geburtstag auch schon gelaufen und wir wollten schon fast aufgeben, als ein Bekannter von Martina uns riet, wir sollen es doch einmal über das Einwohner­meldeamt versuchen.

Wir schrieben also das Ein­wohnermelde­amt an und warteten dann auf Antwort. Nach drei Wochen kam endlich ein Brief, in dem stand, dass Thomas‘ Mutter vor etwa einem Jahr verzogen sei und wohin. Jetzt hatten wir immerhin schon mal eine Anschrift, an der wir unser Glück versuchen konnten. Jetzt ging es nur noch darum, wie wir weiter vorgehen sollten.“

Nun mischte ich mich ein und meinte: „Ich vermute da jetzt was: Kann es sein, dass das so vor knapp sechs Wochen war, als Martina mit ihren beiden Kerlen einen geheimnisvollen Wochenendausflug unternommen hat?“

Martina lächelte mich an und sagte: „Nicht schlecht geraten, Papa, das war genau an diesem Wochenende, wo wir unterwegs waren. Wir sind an diesem Wochenende nach Hannover gefahren und machten uns dort auf die Suche nach Thomas‘ Mutter. Wir wussten nicht, was uns erwartet, es hätte genauso gut schiefgehen können, aber wer nichts wagt, kann auch nichts gewinnen. Wir sind am Freitag bereits hingefahren und haben in einem kleinen Hotel übernachtet. Samstagvormittag bummelten wir erst mal durch die Stadt und kauften diverse Dinge ein, damit wir zumindest ein Alibi für euch haben, für den Fall, dass wir gefragt werden, was wir an diesem Wochenende alles gemacht hatten. Am Samstag­nachmittag sind wir dann zu der Adresse gefahren, die uns vom Einwohnermeldeamt mitgeteilt wurde. Kaum waren wir vor Ort und standen vor der Haustür, bekam ich kalte Füße und wollte schon wieder weglaufen, aber Christoph hat dann einfach frech geklingelt. Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Türe langsam öffnete.“

Jetzt meldete sich Thomas‘ Mutter, um wieder weiter zu erzählen: „Ich öffnete also die Tür, draußen stand ein junges Pärchen mit einem kleinen Jungen. Ich fragte sie, was sie von mir wollen. Ich weiß noch, Martina schaute mich mit großen Augen an und brachte kein Wort heraus. Der junge Mann, also Christoph, fragte mich, ob ich Elisabeth Müller sei. Ich bejahte zwar, aber damit wusste ich immer noch nicht, was sie von mir wollten. Zwischenzeitlich hatte sich Martina wohl wieder etwas gefangen und sagte zu mir: ‚Dann sind sie vermutlich die Mutter von Thomas, meinem Stiefvater. Mein Bruder Philipp und ich sowie mein Sohn Kevin wollten so gerne ihre andere Großmutter bzw. Urgroßmutter kennenlernen und so haben wir uns auf die Suche nach ihr gemacht.“ Jetzt war ich diejenige, die, glaube ich zumindest, das dümmste Gesicht ihres Lebens machte. Ich glaubte in diesem Moment, dass Thomas nicht mehr schwul, sondern normal und verheiratet sei. Ja, das war wirklich eine Riesenüberraschung für mich. Auf der anderen Seite, das konnte gar nicht möglich sein, er konnte keine Tochter in diesem Alter haben, so lange war es noch gar nicht her, dass er von meinem Mann aus dem Haus geworfen wurde.“

„Ich hatte ja nie damit gerechnet, dass ich jemals Enkelkinder oder Urenkel haben würde, nachdem uns Thomas erklärt hatte, er sei schwul. Im ersten Moment dachte ich sogar daran, dass die drei vor mir Mitglieder einer Bande von Betrügern sein könnten, die es nur auf mein Geld abgesehen hätten. Man hört oder liest immer wieder, wie versucht wird, alte Leute mit dem Enkeltrick abzuzocken.“

„Es dauerte eine ganze Weile, bis mir doch so langsam klar wurde, dass sie Thomas wirklich kennen mussten. Ich selbst hatte bereits seit Jahren nie mehr mit jemanden über dieses Thema oder meinen verlorenen Sohn gesprochen. Aber Enkelkinder und auch Urenkel, das war dann doch immer noch etwas unheimlich für mich in diesem Moment.“

Sie stoppte in ihrer Erzählung, bevor sie nach kurzer Pause weiter­sprach: „Mit meiner Annahme, Thomas sei nicht mehr schwul, lag ich wohl völlig daneben. Das wurde mir aber erst im Laufe des Nachmittags bewusst, als die beiden mir so nach und nach die Geschichte von Thomas und ihrem Vater Peter er­zählten.“

Sie stockte erneut und so erzählte Christoph weiter: „Wie sie so mit herunterhängender Kinnlade dastand und uns weiterhin ungläubig betrachtete, bekam ich es jetzt doch leicht mit der Angst zu tun. Ich fürchtete schon, sie würde gleich tot umfallen oder losbrüllen ‚verschwindet aus meinen Augen‘ oder so etwas Ähnliches. Ich nahm Kevin wieder auf meinen Arm, legte meinen Arm um Martina und wir wollten schon zum Auto zurückgehen, als sie sich scheinbar doch wieder etwas gefasst hatte und fragte, ob wir nicht doch hereinkommen und ihr alles erzählen wollen. Ich schaute zuerst Martina in die Augen und antwortete Elisabeth: ‚Ja gerne.‘ Sie führte uns in ihr kleines Wohnzimmer, bat uns, uns zu setzen, und fragte, ob wir etwas zum Trinken wollten. Als wir dies bejahten, verschwand sie kurz und kam nach kurzer Zeit mit Getränken und Gläsern zurück. Sie setzte sich zu uns und meinte, wir sollen ihr erst mal die vollständige Geschichte erzählen.“

Jetzt meldete sich Elisabeth, Thomas‘ Mutter, wieder und erzählte weiter: „Sie stellten sich jetzt erst mal vor, dass sie Martina sei, ihr Bruder Philipp heiße und dass Christoph ihr Mann sei. Der Kleine heißt Kevin, aber das hatte ich ja schon mitbekommen. Ich fragte sie, wie sie mich überhaupt gefunden hätten, was sie mir dann auch ausführlich erklärten. Wir unterhielten uns mehr als zwei Stunden und so nach und nach erfuhr ich, wie es meinem Thomas geht, dass er mit dir, Peter, dem Vater von Martina und Philipp zusammenlebt und ihr seit mehr als zehn Jahren eine glückliche Familie seid. Auch dass ihre Mutter sehr früh verstorben sei, erzählte sie mir. Ich wiederum erzählte ihnen, dass mein Mann auf seinem Sterbebett gesagt hätte, ich solle doch weiterhin nach Thomas suchen und mich endlich wieder mit ihm aussöhnen. Ja, ich hatte mir dies auch fest vorgenommen, nur wo sollte ich nach so langer Zeit zu suchen anfangen? Mir war klar, das wird ein fast unmögliches Unter­fangen, wenn man Müller heißt und nicht einmal weiß, wohin mein Sohn überhaupt hingezogen ist. Es war wie ein Wunder für mich, als die drei da an diesem Samstagnachmittag plötzlich vor meiner Tür gestanden sind. Abends haben mich die drei dann sogar noch zum Essen eingeladen. Dabei erzählten sie mir, dass du, Peter, in Kürze deinen fünfzigsten Geburtstag feiern würdest und sie mich sozusagen als Über­raschungsgast auf deiner Feier präsentieren wollten. Sie erzählten mir auch davon, dass sie mich eigentlich schon zu Thomas‘ vierzigsten Geburtstag gesucht hatten, aber bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefunden hatten.

Sie unterbrach kurz, nahm einen Schluck Wasser und setzte fort: „Es war nicht gerade einfach für mich gewesen, jetzt wo ich wusste, wo mein Thomas abgeblieben war, und ich ihn so schnell wie möglich wiedersehen wollte. Christoph meinte nur: ‚Jetzt hast du Thomas seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen, hattest die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben, ihn jemals wieder zu sehen‘, dann sollten doch die knapp sechs Wochen bis zu Peters Geburtstag kein Problem mehr sein und die Freude, die ich Thomas und Peter an diesem Tag machen würde, wäre umso größer für alle Beteiligten. Schweren Herzens willigte ich in ihren Vorschlag ein, nachdem sie mir versprochen hatten, mich regelmäßig anzurufen und mich weiterhin auf dem Laufenden zu halten.“

Jetzt meldete sich Martina wieder und erzählte weiter: „Wir haben in der Folgezeit einmal wöchentlich mit Großmutter Elisabeth telefoniert, Philipp war manchmal mit von der Partie und gestern war dann der große Tag. Oma Elisabeth kam mit dem Zug in Rosenheim an, Kevin und ich haben sie vom Bahnhof abgeholt und bei uns im Gästezimmer untergebracht. Meine einzige, aber größte Sorge in diesen Wochen war eigentlich immer nur: ‚Hoffentlich hält Kevin dicht.‘ Wir hatten ihm zwar das Versprechen abgenommen, dir und Thomas ja nichts zu erzählen bis zu deinem Ge­burtstag, es sollte unsere große Überraschung für euch beide werden. Alle Achtung, er hat wirklich bis zu zuletzt nichts ausgeplaudert. So, dazu gibt es jetzt noch eine weitere ungeplante Überraschung, aber die soll euch Elisabeth selbst verraten.“

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Elisabeth loslegte: „Also, nachdem ich jetzt seit einigen Wochen weiß, dass du, Thomas, glücklich mit deinem Peter zusammenlebst, würde ich gerne noch mal das Abenteuer und die Strapazen eines Umzuges auf mich nehmen, um zukünftig in eurer unmittelbaren Nähe zu leben, wenn du, Thomas, ach Quatsch, wenn ihr, Peter und Thomas, nichts dagegen einzuwenden habt; ich möchte die mir noch verbleibenden Lebensjahre nahe bei euch, aber auch bei meinen Enkelkindern und meinem Urenkel sein.“

Ich blickte zu Thomas und sah sofort, dass er davon noch mehr überrascht war als ich. Er überlegte kurze Zeit und ich befürchtete schon, dass er das möglicherweise ablehnen wolle, als er dann doch sagte: „Ja, ich freue mich sehr, und hoffentlich kann ich das auch im Namen von Peter sagen, dass wir uns sehr darüber freuen.“ Ich warf ihm einen Blick zu und signalisierte damit meine Zustimmung.

Jetzt mischte ich mich wieder ein und sagte zu Thomas: „Ich glaube, es wird langsam Zeit, dass wir uns wieder den anderen Gästen widmen, nicht, dass die zu kurz kommen und am Ende vielleicht sauer auf uns sind. Deine Mutter wird uns sicher nicht sofort wieder davonlaufen, sie versteht das sicher. Wir haben sicher in den nächsten Tagen noch mehr Gelegenheiten, uns mit deiner Mutter ausführlich zu unter­halten und einen möglichen Umzug vorzubereiten.“

Sie lächelte mich an: „Jetzt verschwindet schon, ich werde mich mit meinen Enkeln und mit meinem Urenkel schon wundervoll auch ohne euch beide amüsieren, und zudem möchte ich deine Eltern und die Eltern der Mutter von Philipp und Martina gerne näher kennenlernen. Ich bleibe auf alle Fälle erst noch mal ein paar Tage bei Christoph und Martina, und ihr kümmert euch jetzt um eure Gäste, was seid ihr eigentlich für schlechte Gastgeber, die sich nur um mich kümmern.“

Wir standen auf und verließen beide den Hobbyraum, gingen erst mal wieder nach oben und gesellten uns zu den anderen Gästen. So, wie es aussah, hatte es uns wohl keiner übelgenommen, dass wir uns nicht so um sie gekümmert hatten, wie das von guten Gastgebern erwartet wird, auf Grund der Situation hatte man das auch von ihnen erwarten können. Ich stellte fest, dass trotz allem gute Party-Laune herrschte.

In den nächsten Stunden widmeten wir uns dann doch wieder mehr allen Partygästen. Der eine oder andere verwickelten mich oder Thomas in Gespräche, die sich jedoch meistens um ein Thema drehten.

Unsern Chef, den ich mit seiner Frau zum Geburtstagsfest eingeladen hatte und der sich gut mit den anderen Gästen unterhalten hatte, kam dann irgendwann auf uns zu und meinte: „Peter, Thomas, das war bisher für mich die verrückteste Geburtstagsparty, die ich jemals erlebt habe. Für den Fall, dass ihr in nächster Zeit gelegentlich ein paar freie Tage brauchen solltet, um mit Thomas‘ Mutter alles zu regeln und zu klären, dann sehe ich keine Probleme darin. Ich freue mich mit Thomas, dass er nach so langer Zeit seine Mutter endlich wieder in den Arm und in seine Familie mit aufnehmen kann.“

Es ging inzwischen bereits auf Mitternacht zu und ich dachte für mich: „So langsam geht nun mein Geburtstag zu Ende, das waren ja jede Menge Überraschungen, die da auf mich, besser gesagt, auf uns beide, zuge­kommen waren.“

Kurz nach Mitternacht fingen dann auch die ersten an sich zu verabschieden und die Reihen lichteten sich langsam, aber sicher. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich Marcus‘ Eltern schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatte.

Meine Eltern verabschiedeten sich und verschwanden zusammen mit Gabis Eltern, damit wurde mir klar, wo meine Eltern untergekommen waren. Der Kontakt zu meinen Eltern war also die ganzen Jahre doch nicht abgerissen, wie ich immer vermutet hatte. Danach folgten Martina mit ihrem Mann und Thomas‘ Mutter; sie meinten, es wäre Zeit, dass Kevin jetzt ins Bett komme. So gegen eine Uhr nachts waren dann auch die letzten verschwunden, nur noch Philipp, Thomas und ich standen im Flur, nachdem wir die letzten Gäste verabschiedet hatten.

Ich fragte Philipp, ob er wüsste, wann Marcus mit seinen Eltern heimgegangen sei und warum sie sich nicht von uns verabschiedet hätten. Gleichzeit wollte ich wissen, ob sich am heutigen Abend eine günstige Gelegenheit ergeben habe, um Marcus‘ Eltern alles schonend beizubringen, gerade nach der Szene mit Thomas‘ Mutter hätte ich mir das gut vorstellen können. Er meinte nur dazu, nicht, dass er wüsste; sie hätten das eine oder andere Mal zwar komisch geschaut, aber zu einem klärenden Gespräch mit ihnen sei es wohl nicht gekommen. Marcus habe sich noch von ihm, so kurz vor Mitternacht, verabschiedet und sei mit seinen Eltern losgefahren.

Ich sagte dann nur noch: „Aufräumen werden wir erst heute Vormittag, ich habe jetzt absolut keinen Bock mehr darauf.“ Zuvor hatte ich zumindest einen kurzen Blick in den Hobbyraum geworfen und gesehen, dass das übrig gebliebene Essen und die Salate bereits ordentlich im Kühlschrank gelagert waren. Als keiner der beiden mir widersprach, war es für mich so viel wie eine beschlossene Angelegenheit; Philipp verabschiedete sich in sein Zimmer und ich hatte erst mal nur noch einen Wunsch, mich mit Thomas irgendwo ruhig hinzusetzen, abzu­schalten und vielleicht noch einen Gute-Nacht-Drink zu nehmen, dabei noch ein wenig über den abgelaufenen Tag sprechen, bevor wir nach dem turbulenten Tag auch ins Bett verschwinden wollten.

Wir machten es uns im Wohnzimmer auf der Couch gemütlich, ich kuschelte mich an Thomas und versuchte einfach, den Tag in aller Ruhe ausklingen zu lassen.

Plötzlich sprach mich Thomas an und erklärte: „Das war wirklich eine Riesenüber­raschung für mich, als heute Abend plötzlich meine Mutter mit Philipp und Kevin in der Tür stand.“

Nach einer kurzen Pause setzte er fort: „Ich hätte nie im Leben vermutet, dass ich meine Eltern, in diesem Fall meine Mutter, jemals wiedersehen werde. Ich ahnte nicht einmal, dass sie und Vater das inzwischen bereut hatten, was damals geschehen ist. Mir ist inzwischen klargeworden, dass nicht nur meine Eltern, sondern auch ich einen Riesenfehler begangen habe. Vielleicht hätte ich doch in der Vergangenheit noch einmal ein Gespräch mit meinen Eltern suchen sollen, nachdem wir eine glückliche Regenbogenfamilie wurden. Ich freue mich jetzt auf alle Fälle darauf, wenn meine Mutter nun in unsere Nähe zieht und an unserem glücklichen Familienleben teilhaben will.“

Nach kurzer Überlegung antwortete ich ihm: „Mag sein, dass du dabei auch einen Fehler gemacht hast, aber ich kann dich trotzdem sehr gut verstehen. Denk nur daran, welche Schwierigkeiten wir mit Gabis Eltern hatten: Sie wollten von mir ja auch nichts mehr wissen, nachdem bekannt wurde, dass wir zwei zusammenleben wollen. Das hat sich erst mit dem gestrigen Tag erledigt. Sie haben jetzt sogar dich ohne weitere Vorurteile in die Familie mit aufgenommen. Dann könntest du genauso behaupten, dass ich ebenfalls einen Riesenfehler gemacht habe, da ich ebenfalls nie versucht habe, mit ihnen über diese unglückliche Angelegenheit zu reden.“

Nach diesem Satz war es erst einmal wieder ruhig zwischen uns beiden und jeder hing wohl seinen eigenen Gedanken nach, bis Thomas dann doch wieder anfing und fragte: „Sag mal, was war eigentlich heute Nachmittag mit dir los, so kenne ich dich gar nicht: Zuerst vergisst du total die Zeit, wir machen uns schon fast Sorgen, es könnte was passiert sein? Dann kommst du hier an und bist immer noch geistig abwesend. Das würde mich jetzt brennend interessieren, gibt es da ein Problem, von dem ich wissen sollte?“

„Nein, es gibt kein Problem, von dem du wissen müsstest“, antwortete ich und setzte fort: „Das späte Coming-Out von Philipp hatte mich intensiv beschäftigt und vor allem ist mir da so einiges über unsere eigene Vergangen­heit und unser eigenes Coming-Out bei den Kindern durch den Kopf gegangen. Ich habe einfach Teile meines bisherigen Lebens Revue passieren lassen, deswegen war ich die ganze Zeit so in Gedanken versunken.“

Ich trank kurz einen Schluck und sprach weiter: „Hängen geblieben bin ich dann bei unserem ersten gemein­samen Besuch auf den Weihnachtsmarkt, du weißt, der Samstag nach der Betriebs­-Weih­nachts­feier, als du zu viel gebechert hattest, ich dich nach Hause bringen wollte und du deine Schlüssel im Büro vergessen hattest und letztendlich dann oben im Gäste­zimmer übernachten musstest.“

Thomas lächelte mich an und sagte: „Ja, daran kann ich mich auch noch sehr gut erinnern; genau genommen war das der Startpunkt für unser gemeinsames Leben, in dem wir uns dann Schritt für Schritt nähergekommen sind.“

„Stimmt“, meinte ich, „aber das war noch ein langer Weg, bis es wirk­lich bei uns beiden endgültig gefunkt hatte.“

„Ich kann mich noch sehr gut erinnern“, fuhr Thomas fort, „ich hatte Philipp an der Hand und Martina hing die ganze Zeit an dir, als wir zusammen über den großen Weihnachts­markt schlenderten.“

Er unterbrach sich, setzte dann aber kurze Zeit später fort: „Wir standen gerade an einem der Glühweinstände, die beiden Kinder tranken einen Kinderpunsch und wir hatten uns einen Glühwein genehmigt, als ich euch zusagte, mit euch Weihnachten zu feiern. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich dir gerade noch den Becher mit Glühwein in die Hand drücken konnte, bevor die beiden an mir dranhingen und sich wie verrückt darüber freuten, dass ich mich dazu entschlossen hatte, mit euch Weihnachten zu feiern.“

Thomas unterbrach kurz, bevor er weitersprach: „Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, dir da noch etwas zu beichten, ich hatte mir nämlich zwischenzeitlich überlegt, ob es möglich sei, über deine Kinder dein Herz für mich zu gewinnen. Ich wusste zwar, dass du hetero bist, und schätzte die Chancen eher schlecht ein, aber wenn ich mit dir und deinen Kindern befreundet wäre, könnte ich dir nicht nur immer dienstlich, sondern auch privat näher sein.“

Ich schaute ihm ungläubig in seine Augen, bevor ich ansetzte: „Wenn ich das aus heutiger Sicht betrachte, hast du mit dieser Masche am Ende sogar Erfolg gehabt. Okay, im Grunde genommen hattest du recht mit deiner Vermutung, dass deine Chancen nicht sehr groß waren, aber da du mit meinen beiden Kindern bestens klargekommen bist und von ihnen fast adoptiert wurdest und sich meinen Gefühlen für dich im Laufe der Zeit entwickelt haben, hat es dann letztendlich wirklich funktioniert.“

„Genau genommen muss ich wohl schon immer bisexuell gewesen sein, durch meine Heirat mit Gabi habe ich mich aber erst mal in die eine Richtung festgelegt. In den Monaten nach Weihnachten hat sich dann meine andere Neigung hin zum männlichen Geschlecht immer mehr in den Vordergrund geschoben, woran du sicher nicht ganz unbeteiligt gewesen bist. Nicht nur meinen Kindern warst du sympathisch, auch mein Herz hat sich nach und nach für dich entschieden und dadurch wurde meine Liebe zu dir immer größer.“

Wir redeten dann doch noch eine ganze Weile darüber, was an diesem Nachmittag und Abend so alles gelaufen war. Vom Bummel über den doch hektischen Weihnachtsmarkt, den Einkäufen, die du, Thomas, mit den Kindern getätigt hast, die anschließende Fahrt in die Firma, um deine Schlüssel und dein Auto zu holen, darüber, dass wir dann mit den Kindern noch beim Essen waren, zu dem uns Thomas eingeladen hatte, und er dann zu sich und ich mit meinen Kindern zu uns nach Hause gefahren bin.

Schon am Tag darauf nervten mich meine beiden damit, wann Thomas wiederkäme, sie wollen mit ihm spielen oder was unter­nehmen. Ich meinte dann nur: „Thomas kommt am Heiligen Abend wieder, also in zehn Tagen, und solange werdet ihr es wohl noch aushalten ohne ihn. Außerdem ist Thomas mein Arbeitskollege und er will sicher sein eigenes Privatleben führen und kann nicht immer nur für euch da sein, so wie ich es bin.“

„Ich habe dir das am Montag dann erzählt und du hast darauf geantwortet, warum nicht öfter und nicht nur an Weihnachten. Wegen deines Geständnisses von vorhin wird mir jetzt auch klar, was du damit bezwecken wolltest. Ich habe aber abgelehnt und dir erklärt, dass es nichts bringen würde, weil sich die Kinder sonst zu sehr an dich gewöhnen könnten, und wenn du eines Tages andere Wege gehen würdest, wären sie zu sehr enttäuscht von dir.“

„Ja“, meinte Thomas zu mir, „und ich habe dir versucht verständlich zu machen, dass Kinder, wenn sie in diese Situation geraten, sehr schnell vergessen würden. Ich habe sogar damit argumentiert, dass du in eine ähnliche Situation kommen könntest, wenn du eines Tages eine neue Freundin oder Lebenspartnerin mit nach Hause bringen würdest.“

Wir redeten noch eine ganze Weile miteinander, bis Thomas so kurz nach zwei Uhr morgens sagte: „Ich glaube, wir sollten dann doch langsam ins Bett verschwinden, die Nacht ist jetzt eh schon verdammt kurz und am Morgen sollten wir doch einigermaßen ausgeschlafen sein, damit wir die Wohnung auf Vordermann bringen können, bis meine Mutter und die anderen am Nachmittag zum Kaffee kommen.“

Wir waren gerade aufgestanden und wollten nach oben in unser Schlafgemach verschwinden, als plötzlich die Hausglocke stürmisch geläutet wurde. Ich blickte zu Thomas und fragte ihn: „Erwartest du noch jemand?“ Er antwortete mir: „Nein, ich erwarte niemand und von weiteren Überraschungsgästen weiß ich auch nichts, ich habe ja nicht mal von allen Überraschungen gewusst, die da vorbereitet waren.“

Wir gingen beide zur Haustür, öffneten sie und schauten uns ganz erschreckt an, als wir Marcus vor der Tür heulend vorfanden.

Es dauerte einen kurzen Moment, bis wir uns wieder gefangen hatten und Thomas als Erster reagierte: „Komm rein, es ist so kalt da draußen, bevor du uns noch krank wirst oder am Ende erfrierst.“

Vor uns stand Marcus immer noch mit einem verheulten Gesicht, in der Hand hielt er einen kleinen Rucksack. Wie angefroren blieb er auf seinem Platz stehen, bis Thomas schließlich seine Hand packte und ihn in die Diele zog. Ich verschloss die Haustür und drehte mich zu den beiden um. Thomas hatte ihm inzwischen den Rucksack aus der Hand ge­nommen und auf den Boden abgestellt.

Was war passiert, war etwa das eingetreten, womit wir alle am wenigsten gerechnet hatten? Das konnte doch gar nicht sein, aber irgendetwas musste ja geschehen sein. Ich ging den einen Schritt auf Marcus zu, nahm ihn in meine Arme und fragte: „Willst du uns erzählen, was los ist?“ Weiter kam ich nicht, er fing wieder laut zu schluchzen an und ich verstand nur: „… meine Eltern.“

Ich drückte ihn noch fester an mich und meinte: „Jetzt beruhige dich erst einmal, du bist jetzt bei uns in Sicherheit.“ In diesem Moment polterte Philipp die Treppe herunter und wollte wissen, wer denn um diese späte Uhrzeit an der Haustür so einen Radau veranstaltet und ihn aufgeweckt hatte.

Als er das Häufchen Elend in meinen Armen sah und erkannte, dass es sich um seinen Marcus handelte, kam er zu uns und nahm Marcus ebenfalls in seine Arme.

Ich schaute zu Thomas und meinte lapidar: „Das mit dem zu Bett gehen werden wir wohl noch ein wenig verschieben müssen.“ Ganz flapsig antwortete er: „Wenn die Überraschungen an deinem Ge­burts­tag kein Ende nehmen, kommen wir wahr­scheinlich überhaupt nicht mehr ins Bett.“

Vorsicht schob ich meine beiden Anhängsel, Marcus und Philipp, ins Wohnzimmer. Thomas folgte uns und fragte: „Wer will noch was zum Trinken?“

„Jetzt lass uns erst mal in Ruhe setzen, danach kannst du uns immer noch was zum Trinken anbieten“, war meine Reaktion auf seine Frage.

Philipp schnappte sich Marcus, zog ihn zum Sofa, setzte sich und zerrte Marcus auf seinen Schoß, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: „Marcus, Marcus, ich liebe dich und jetzt beruhige dich erst mal und dann erzählst du uns in Ruhe, was bei dir zu Hause abgelaufen ist.“

Ich schaute zu Philipp und deutete ihm an, er solle doch Marcus erst mal etwas Zeit geben, damit er sich endlich richtig beruhigen könne. Er verstand wohl, drückte Marcus nur noch fester an sich und küsste ihn im Nacken, gleichzeitig streichelte er vorsichtig mit seinen Händen über Marcus‘ Rücken. So langsam merkte man, dass Marcus wieder etwas ruhiger wurde.

„Ich glaube, wir können wohl alle einen Whiskey oder einen Whiskey-Cola vertragen“, meinte ich und schaute dabei zu Thomas. Der ging zum Wohnzimmerschrank, holte den Whiskey, schnappte sich vier Gläser und kam zurück zum Tisch. Ich hatte mich zwischen­zeitlich auf einen der beiden Sessel gesetzt und hatte immer noch Marcus und Philipp im Blick.

„Falls jemand Whiskey-Cola will, muss ich noch schnell Cola aus dem Keller holen, hier oben ist keine mehr“, meinte er. Philipp meinte: „Lass es sein, Whiskey allein reicht in der Situation vollkommen aus.“ Thomas setzte sich in den anderen Sessel und schenkte in die vier Gläser ein und reichte uns allen jeweils eines der Gläser.

So langsam beruhigte sich Marcus endgültig und dann erzählte er uns: „Meine Eltern waren auf dem Heimweg schon irgendwie komisch drauf, aber zu Hause ging dann so richtig die Post ab. Mein Vater brüllte mich an und wollte mir den Umgang mit Philipp verbieten, er bezeichnete euch als schwules Pack, das seinen einzigen Sohn verführt habe. Auch meine Mutter giftete mit ihren Worten durch die Gegend. Als ich den beiden zu erklären versuchte, dass ich Philipp schon längere Zeit liebe, kam als Antwort: ‚Das kann gar nicht sein, wir haben unseren Sohn nicht schwul erzogen.‘ Das ging dann eine ganze Weile so weiter, bis es mir plötzlich zu bunt wurde und ich zu ihnen sagte: ‚Am besten, ich verschwinde erst einmal und wenn ihr euch beruhigt habt und wieder normal seid, werdet ihr schon wissen, wo ihr mich finden könnt.‘“

Marcus stoppte in seiner Erzählung, nippte kurz am Whiskey und es dauerte dann doch noch einen Moment, bis er weitererzählte. „Ihr glaubt mir gar nicht, was dann erst los war. Mein Vater brüllte wieder: ‚Wenn du jetzt verschwindest und zu dem schwulen Pack gehst, dann brauchst du nie wieder zu kommen, du bist dann nicht mehr unser Sohn.‘ Ich schaute zu meiner Mutter, in der Hoffnung, sie würde was dagegen sagen. Da ich bei ihr jedoch keinerlei Regung erkennen konnte, bin ich aus dem Wohnzimmer nach oben in mein Zimmer gestürzt und habe mir schnell ein paar Sachen zum Anziehen in den Rucksack gepackt. Auf dem Weg nach unten habe ich meinen Hausschlüssel vom Schlüsselbund gelöst und von der Wohnzimmertüre aus meinem Vater vor die Füße geworfen. Ohne einen weiteren Ton bin ich dann fluchtartig aus dem Haus gelaufen.“

Wieder legte er eine kurze Pause ein, kuschelte sich noch enger an Philipp, bevor er weitererzählte: „Ich setzte mich in mein Auto und wollte direkt losfahren, aber so durchein­ander, wie ich in dem Moment war, konnte ich nicht mal das Auto starten. Ich überlegte mir eine ganze Zeit lang, ob ich jetzt wirklich zu euch kommen und euch aus dem Bett holen sollte oder ob es nicht vielleicht besser wäre, einfach für immer zu verschwinden. Den Plan mit dem für immer verschwinden hatte ich schneller verworfen, als ich ihn gefasst hatte, denn dafür liebe ich dich zu sehr, Philipp. Ich wollte und konnte nicht einfach aus deinem Leben verschwinden, nur weil meine Alten verrücktspielen.“

„Das will ich dir auch geraten haben“, kam von Philipp, und er setzte fort: „Du kannst dich nicht einfach so aus meinem Leben stehlen, nicht, nachdem ich endlich gestern meinem Vater und Thomas die große Liebe zu dir gestanden habe.“

Danach war es still im Raum, ich sah zu Thomas, und bevor ich noch was sagen konnte, legte Thomas los: „Marcus, du bleibst jetzt erst mal bei uns. Wie es dann weitergeht, das werden wir sicher in den nächsten Tagen sehen. Ihr zwei verschwindet jetzt schnellstens nach oben und schaut, dass ihr ins Bett kommt. Es bleibt uns jetzt eh nur noch wenig Schlaf, wir müssen in der Frühe das Haus aufräumen, bevor am Nachmittag die Omas und Opas nochmal zum Kaffee kommen, aber mit deiner Unterstützung, Marcus, schaffen wir das schon.“

Philipp schob Marcus von seinem Schoß und erhob sich ebenfalls vom Sofa, er zog Marcus hinter sich her und die beiden verschwanden. Ich hörte noch, wie Philipp sich den Rucksack von Marcus im Flur schnappte und die beiden über die Treppe nach oben gingen.

„Und wir zwei verschwinden jetzt auch ganz schnell ins Bett, bevor noch irgendeiner auf die dumme Idee kommt, wir hätten noch nicht genügend Überraschungen in den letzten vierundzwanzig Stunden gehabt“, sagte ich zu Thomas.

Wir sind sofort und auf dem schnellsten Weg nach oben in unser Schlafzimmer und in unser Bett gegangen; eng aneinander ge­kuschelt sind wir dann auch sehr schnell eingeschlafen. Müde genug waren wir ja, wir waren doch lange genug auf den Beinen gewesen.

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