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Oberstorf

Teil 2

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„Klar sind wir zusammen“, antwortete Deniz und zog Roman in eine Umarmung. Teils um ihm zu zeigen, dass er da war und teils weil er immer noch hoffte, dass er so um die Frage herumkam. Aber im Grunde genommen wusste er, dass er ihm letzten Endes alles erzählen musste. Nur was würde Roman zu seinem Plan sagen, in Essen zu bleiben? Er wusste ja noch nicht einmal, wie sein Vater reagieren würde. Und schon mal überhaupt nicht, wie er damit umgehen würde, dass er sich in einen Mann verliebt hatte. Ein paar Mal war er kurz davor gewesen, ihn anzurufen und ihm davon zu erzählen, aber jedes Mal hatte ihn dann doch der Mut verlassen. Am liebsten hätte er das Gespräch schon hinter sich. Roman hatte sich inzwischen wieder von ihm gelöst und sah ihn an. Offensichtlich wartete er auf eine Antwort. „Er weiß es nicht, oder?“, hörte er ihn fragen. Sein „Nein“ kam sehr leise über seine Lippen. Wenn er bedachte, was Roman schon alles erleben musste, wie konnte er da von ihm erwarten, dass er sich zu ihm bekannte, zumal er selbst ja noch nicht einmal den Mut gefunden hatte, irgendwem außer Kerstin von seinen Gefühlen zu erzählen? Er wusste, dass er mit seinem Vater sprechen musste. Aber zuerst wollte er wissen, wie Roman dazu stand, dass er hier in Essen bleiben wollte.

Vom Gang her klangen Sprachfetzen und Gelächter in die Umkleide. Das konnte eigentlich nur die Eishockeymannschaft sein ...Was nun?, dachte sich Roman. Er wusste nur eins: in der Umkleide konnten sie nicht bleiben. Deniz durfte eigentlich sowieso nicht da sein, weil der Raum nur für Mitglieder des Steinkampteams vorgesehen war. Und den neugierigen Fragen wollte er sich nicht auch noch aussetzen.

Gerade als er Deniz soweit hatte, den Raum zu verlassen, strömten die Eishockeyspieler auch schon herein. Und natürlich konnten sie sich nicht so einfach verdrücken. Als auch noch ausgerechnet Ingo dazu kam, der eigentlich nur seiner Mannschaft Beine machen wollte, war alles vorbei. Deniz wurde im Nu mit Fragen gelöchert. Als er merkte, dass Deniz die Situation ganz gut im Griff hatte, entspannte er sich etwas. Anscheinend kauften sie ihm die Story ab, dass er gerade nach Essen gezogen sei und sich das Team mal ansehen wolle. Als Roman dann hörte, wie Deniz auf die Frage antwortete, was ihn ausgerechnet nach Essen verschlagen hatte, dass er der Liebe wegen nach Essen gekommen sei, hielt er einen Moment die Luft an. Er würde doch nicht …? Natürlich wollten sie dann auch wissen, wie sie denn hieße. Scheiße Deniz, nein bitte nicht, konnte er nur noch denken, nicht hier vor der ganzen Eishockeymannschaft. Als Deniz dann „Kerstin“ sagte, wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Wie gerne hätte er laut geschrien, dass Deniz wegen ihm gekommen war, aber er konnte nicht. Er hasste sich selbst dafür, als er merkte, dass er seine Tränen nicht mehr lange würde aufhalten können. Er musste raus...raus aus dem Steinkampzentrum. Niemand sollte ihn so sehen. Annette, ja Annette würde ihn verstehen.

Ingo hatte Roman die ganze Zeit immer wieder angesehen und sich über sein Verhalten gewundert. Obwohl sie sich noch nicht so lange kannten, hatte sich dennoch eine recht enge Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Aber irgendwie hatte er trotzdem immer das Gefühl gehabt, dass Roman ihm etwas verschwieg. Mochte Roman doch sonst so viel reden, wurde er immer wenn es um das Thema Liebe oder im Speziellen um seine Freundin Annette ging sehr schweigsam. Gut, das mochte seine Art sein, aber es war schon sehr merkwürdig. Und nun das? Warum war er so plötzlich verschwunden? Hatte es etwa etwas mit diesem Deniz zu tun? Aber er hatte jetzt keine Zeit sich darum zu kümmern, er musste jetzt erst einmal seine Jungs aufs Eis bekommen, sonst konnten sie das Training vergessen.

Obwohl er sich unter den Eishockeyspielern eigentlich sehr wohl fühlte, war Deniz froh, dass er Ingos Angebot zur Probe mit zu trainieren mit der Begründung ablehnen konnte, dass er seine Schlittschuhe nicht dabei hatte. Aber als er die skeptische Miene des Eishockeytrainers bemerkte, fiel ihm siedend heiß ein, dass es etwas merkwürdig aussehen musste, dass er sich ohne Schlittschuhe und vor allem ohne Trainingskleidung in einer Umkleide aufhielt. Am naheliegendsten erschien ihm die Version, dass er und Roman sich aus dem Trainingscamp kennen würden und er ihm das Steinkampzentrum empfohlen hätte, als sie sich zufällig getroffen hatten und er ihn gleich begleitet hatte. Ingo schien die Erklärung plausibel zu finden, jedenfalls fragte er nicht weiter nach und ging zum Tagesgeschäft über.

Irgendwann hatte er es geschafft, sich loszueisen und war nun auf der Suche nach Roman, konnte ihn aber nirgends finden. Wo konnte er nur sein? An sein Handy ging er auch nicht. So langsam fing er an, sich Sorgen zu machen.

Indes hatte Ingo einen Moment Zeit bis das Team vollständig auf dem Eis erschien und sich warmgelaufen hatte. Unweigerlich musste er an Romans Reaktion denken. Zumindest wusste er jetzt, dass die beiden sich aus dem Trainingscamp kannten. Aber was hatte das alles zu bedeuten?

Auf der Suche nach Roman war Deniz direkt seinem Vater in die Arme gelaufen. „Da bist du ja endlich. Hast du überhaupt schon was gegessen?“

Etwas essen? Dafür war jetzt doch keine Zeit, er musste Roman finden. Aber wo sollte er anfangen? Er kannte sich in dieser Gegend doch nicht wirklich aus. Er wusste ja noch nicht einmal genau, wo Roman wirklich wohnte. Verdammte Heimlichtuerei!, fluchte Deniz in sich rein, während sein Vater immer noch auf eine Antwort wartete.

„Deniz, heh ich hab dich was gefragt!“, versuchte es Marian noch einmal, erhielt aber wiederum keine Antwort. Erst als er seinen Sohn an die Schulter fasste, sah er ihn an. Er wusste zwar nicht, was los war, aber er merkte doch sehr deutlich, dass sein Sohn mit seinen Gedanken ganz woanders war. „Deniz was ist los?“

Ja was war los? Wie sollte er das seinem Vater nur erklären? Sollte er ihm sagen, dass er sich in Roman verliebt hatte und er sich nun Sorgen machte, weil er einfach so abgehauen war und er ihn nicht finden konnte? Im Grunde genommen wollte er ja genau das, aber es dann wirklich auszusprechen war eine ganz andere Sache. Er kam sich wie ein feiger Hund vor, als er seinem Vater vorlog, dass er zufällig, als er noch im Bus saß, einen Kumpel aus dem Eishockeytrainingscamp gesehen hätte, mit dem er sich im Camp ganz gut verstanden habe und dass er ihn nicht erreichen könne, weil er seine Handynummer nicht habe und nicht genau wisse, wo er wohne. Als er fertig war, beobachtete er seinen Vater genau, um festzustellen, ob er ihm die Geschichte abkaufte. Er hatte wirklich schon einmal besser gelogen.

Marian kam die Sache in der Tat ziemlich komisch vor. Sein Sohn war doch nicht so durch den Wind, nur weil er zufällig einen Kumpel gesehen hatte ... Irgendwas stimmte da nicht. „Deinen Kumpel (er betonte das Wort besonders) kannst du doch auch noch nachher suchen, wenn er irgendwo hier wohnt, wirst du ihn nachher auch noch treffen. Im Zweifelsfall findest du ihn eh im Steinkamp-Zentrum. Die Jungs von der Eishockeymannschaft trinken nach dem Training öfter was bei mir in der 7. Wenn mich nicht alles täuscht, müssten die gerade Training haben. Also komm doch einfach mit in die 7. Vielleicht kommt dein Kumpel ja auch, dann kannst du dir die Sucherei sparen.“

Mist, dachte sich Deniz. Hatte er etwas gemerkt? Bildet er sich das nur ein oder hatte er wirklich das Kumpel so komisch ausgesprochen? Sollte er sich jetzt etwa in die 7 setzen, nur damit er nicht aufflog? Nein, das ging nicht, er konnte doch nicht hier rumsitzen. Er musste Roman finden... so wie er vorhin drauf war...Außerdem. wenn das Team wirklich in die 7 kommen würde, würde sein Vater sicherlich von seiner anderen Lüge Wind bekommen ...

Während Deniz noch mit sich kämpfte, war sich Marian inzwischen ziemlich sicher, dass da was Anderes hinterstecken musste. Er hatte sich eh gewundert, warum Deniz auf einmal zu ihm zu Besuch kommen wollte. Und warum hatte er überhaupt so viele Klamotten mitgebracht? Die würde er doch nie alle für dieses eine Wochenende brauchen. Es war nur ein Gefühl, aber konnte es sein, dass sein Sohn vielleicht etwas mehr als Freundschaft für diesen Mann empfand? Vielleicht hatte er sich in ihn verliebt, aber er wollte nichts von ihm wissen? Konnte das wirklich sein? War sein Sohn schwul? Hatte er womöglich schon einmal etwas mit einem Mann gehabt? Bisher hatte er sich ja immer sehr bedeckt gehalten, was das betraf und war ihm immer ausgewichen, wenn er ihn gefragt hatte, ob er eine Freundin hatte. „Eine? Zehn kann ich haben.“ hatte er ihm manchmal zur Antwort gegeben. Wer weiß, vielleicht stimmte das ja auch. Aber das hieß noch lange nicht, dass er sich auch wirklich auf eine eingelassen hätte. Plötzlich fiel ihm sein Traum ein, den er vor ein paar Wochen gehabt hatte. Der Traum hatte ihn sehr irritiert. Wer träumt schon davon, seinen eigenen Sohn beim Sex, naja nicht ganz, aber beim Knutschen auf der Couch zu erwischen? Sehr seltsam war vor allem, dass ihm das alles so real vorkam. Der Traum hatte ihn ein paar Tage lang beschäftigt, denn der Arm, der auf Deniz' Schulter gelegen hatte, war eindeutig ein Männerarm gewesen. Das war auch das einzigste Körperteil gewesen, das er hatte erkennen können. Über allem anderen lag ein seltsamer Schleier. Er hatte immer wieder versucht den Gedanken zu verdrängen, dass sein Sohn womöglich schwul war, weil er nicht recht wusste, wie er reagieren sollte, wenn es wirklich so war. Konnte er damit umgehen? Klar hatte er schon mehrfach knutschende Männer gesehen und auch kein Problem damit, aber wenn sein eigener Sohn....irgendwie war das anders. Oder doch nicht? Im Grunde genommen wollte er doch eigentlich nur, dass Deniz glücklich wurde. Er musste es jetzt wissen ...“Deniz, warum bist du hier?“, versuchte er es erst einmal mit einer harmlosen Frage.

Deniz war bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und ruhig zu antworten, dass er das doch wisse ... um ihn zu besuchen halt, wurde dann aber doch laut. Für seinen Vater eine weitere Bestätigung dafür, dass er auf der richtigen Fährte war. „Deniz, wie heißt er?“

Die Frage irritierte Deniz nun endgültig. Hatte er etwas gemerkt oder wollte er nur wissen, wie „sein Kumpel“ hieß? Mist, was sollte er ihm jetzt sagen? Einen Namen erfinden? Ach was soll's, dachte sich Deniz. „Er heißt Roman.“

„Roman? Womöglich Roman Wild?“, hakte Marian nach und konnte sogleich sehen, wie sein Sohn leicht rot anlief.

Jetzt war alles klar. Es war doch kein Wunder, dass sein Vater Roman kannte. Schließlich trainierte er direkt gegenüber im Zentrum. Dann wusste er auch, dass er kein Eishockeyspieler war. Shit, er brauchte doch nur eins und eins zusammenzählen. „Ja Roman Wild und wenn du es genau wissen willst, er ist mehr als ein Kumpel ... ich ... ich ... liebe ihn.“, stieß er hervor und stürmte an seinem Vater vorbei. Marian konnte nur noch hinterherrufen: „Deniz warte!“

Roman war froh gewesen, als er Annette an der Pommesschranke entdeckt hatte. Sie hatte sofort gemerkt, wie schlecht es ihm ging. Zum Glück war Keule auch da gewesen, so dass sie eine Pause machen und in Ruhe mit ihm hatte reden können. Sie hatte einen Moment gebraucht, um zu verstehen, was eigentlich passiert war, weil er in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit gesprochen und die Hälfte auch noch verschluckt hatte. Im Grunde genommen hatte sie gewusst, dass es irgendwann soweit sein würde. Spätestens seit Roman ihr von seinen Gefühlen zu Deniz erzählt hatte, war ihr klar gewesen, dass der Tag kommen würde, an dem Roman sich nicht mehr verstecken wollte. Nur, dass es so bald sein würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie allerdings daran dachte, wie oft sie in den letzten Wochen mitbekommen hatte, wie schnell sich seine Laune nach einem Telefonat mit Deniz verschlechterte. Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode getrübt lagen nur ein paar Minuten und es tat ihr sehr weh, es beobachten zu müssen. Dabei ging es ihr im Grunde genommen nicht viel besser. Wenigstens konnte Roman mit Deniz telefonieren, aber sie? Ja ihr blieb nur, Ingo heimlich anzuschmachten. Sie war sich schon ein bisschen egoistisch vorgekommen, als sie Roman schließlich geraten hatte, sich öffentlich zu Deniz zu bekennen und hatte sich eingeredet, dass es für ihn auch besser sein würde. Nur war es das auch? Was würde vor allem werden, wenn Deniz wieder zurück nach München ging? Wenn sie das richtig verstanden hatte, würde er ja nicht lange bleiben. Nachdem sie Roman gebeten hatte, ihn allein zu lassen, damit er in Ruhe über alles nachdenken konnte, war sie wieder an die Arbeit gegangen, aber auch da ließ sie das Ganze nicht los. Keule fing schon an sich zu wundern, weil sie mal wieder anfing wie wild die Schranke zu putzen.

Etwas atemlos war Deniz schließlich in einem Park stehen geblieben. Wohin sollte er auch laufen? Ohne zu wissen, wo Roman war, machte es eh keinen Sinn. Vielleicht hätte er nicht einfach wegrennen sollen. Vielleicht wusste sein Dad ja zufällig, wo Roman sein könnte oder zumindest wo er wohnt. Aber wie würde er reagieren? Würde er sauer sein, weil er sich in einen Mann verliebt hatte oder ihn gar als seinen Sohn verstoßen? Sein Geständnis war mehr im Affekt gekommen und jetzt nach ein paar Minuten war er sich nicht mehr so sicher, ob es nicht ein Fehler gewesen war. „Shit“, fluchte er laut und vernehmlich während er auf einen Baum einschlug. Die Verletzungen an seinen Händen nahm er gar nicht war. Auf einmal hörte er, wie eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Erst war er sich nicht sicher, ob er sich das nur einbildete, aber als er sich umdrehte, konnte er sich selbst davon überzeugen, dass es nicht so war.

Romans Stimme klang sehr besorgt, als er ihn fragte, warum er gegen den Baum boxe.

Ja warum? So genau wusste er das selber nicht. Aber irgendwie tat es ihm gut, auf etwas einzuschlagen, ein bisschen Luft abzulassen. Dass das nicht wirklich weiterhalf, war ihm auch klar, aber er brauchte das einfach. Einen Moment lang sah er Roman einfach nur in die Augen, bevor er auf ihn zuging und ihn fest umarmte. Je länger er ihn im Arm hielt, umso ruhiger wurde er. Wenn er daran dachte, wie oft er das die letzten Wochen vermisst hatte. Auf einmal wusste er gar nicht mehr, warum er so panisch nach ihm gesucht hatte. Es ging Roman doch augenscheinlich gut, auch wenn er ziemlich gerötete Augen hatte. Hatte er etwa nochmal geweint? In dem Augenblick fiel ihm sein Vater ein und sein Geständnis. Er musste es Roman erzählen, aber war jetzt der richtige Zeitpunkt dafür? Gab es den überhaupt?

„Nun sag schon. Was ist los? War noch irgendwas im Zentrum“, wollte Roman wissen, als sich Deniz nach einer ganzen Weile immer noch nicht gerührt hatte.

„Nein. Ich ... ich hab meinem Vater gesagt, dass ich mich in dich verliebt hab.“

Roman hatte es sich ja schon gedacht, dass Deniz' Vater nichts von ihnen wusste, als Deniz in der Umkleide so komisch gestockt hatte. Aber warum hatte er ihm jetzt auf einmal von ihnen erzählt? Und wie hatte er vor allem reagiert? Hatte er deswegen gegen den Baum geboxt? Genau diese Fragen stellte er nun auch Deniz.

Mit einem „ich bin vorher abgehauen“ löste er sich abrupt von Roman und drehte sich wieder zum Baum. Roman dachte schon, dass er gleich wieder anfangen würde dagegen zu boxen, aber er stemmte sich nur dagegen. Deniz konnte ihm einfach nicht ins Gesicht sehen. Es war ihm irgendwie peinlich, dass er abgehauen war. „Ich hatte Angst, weil du plötzlich weg warst und ich wusste nicht wohin. Ich weiß ja noch nicht mal, wo du wohnst.“, gestand er schließlich.

Daran hatte Roman überhaupt nicht gedacht. Aber wozu gab es Handys? „Warum hast du mich denn nicht einfach angerufen?“

Mit einem Mal drehte sich Deniz um und gab sauer zurück: „Was meinst du, wie oft ich das versucht habe, aber der Herr geht ja nicht an sein Handy.“

Indem wo Deniz das sagte, merkte er erst, dass sein Handy nicht in der Seitentasche steckte. Er musste es irgendwo liegen gelassen haben. Deniz wusste indes nicht so recht, wohin mit sich. Einerseits war er sauer auf Roman, weil er einfach so abgehauen war, aber andererseits hätte er ihn am liebsten festgehalten und nie wieder losgelassen.

„Deniz es tut mir leid, aber ich hab‘s da drin einfach nicht mehr ausgehalten. Das war alles zu viel. Ich hab gerade mit Annette geredet und sie meinte auch, dass ...“ Roman merkte, dass Deniz ihn erwartungsvoll ansah, als er die kleine Pause machte. „dass ich mich outen soll.“ So, jetzt war es raus. Aber war er schon bereit dazu? Deniz hatte offensichtlich den ersten Schritt hinter sich gebracht. Wie auch immer sein Vater reagieren würde, es ließ sich eh nicht mehr ändern. Aber was würden die Steinkamps dazu sagen und die Werbeträger erst?

So richtig wusste Deniz nicht, wie er reagieren sollte. Im Grunde genommen war es ja genau das, was er sich wünschte. Nur was würde passieren, wenn sie ihre Beziehung öffentlich machten. Im Gesicht seines Freundes konnte er sehen, dass er Angst hatte. Wenn er ehrlich war, hatte er die auch. Aber vielleicht würde ja auch alles halb so schlimm werden. Schließlich war Roman jetzt nicht mehr alleine und er nicht hunderte von Kilometern weit weg. Und selbst wenn sein Vater ihn nicht bei sich wohnen ließ, würde er sich einfach einen Job und ein Zimmer suchen. Immerhin war er quasi volljährig. Nur wie würde Roman auf seinen Plan reagieren? Aber eigentlich konnte er doch nichts dagegen haben, oder?

„Ich muss dir was sagen ...“ setzte Deniz an und machte eine Pause. Roman sah ihn überrascht und fast schon ein bisschen ängstlich an. Was würde jetzt kommen? Wollte er etwa nicht, dass er es öffentlich machte, dass er schwul war? Hatte womöglich sein Vater von ihnen erfahren? Deniz' Vater war soweit er wusste doch Türke ...oder hatte er da etwas verkehrt verstanden? Aber selbst wenn nicht ... seiner war auch keiner und trotzdem hatte er nicht zu ihm gestanden, als er ihn am dringendsten gebraucht hätte, sondern ihn noch verhöhnt. Und eigentlich hatte er bei seinen Besuchen in der 7 immer den Eindruck gehabt, dass Marian recht locker drauf war. Obwohl ihm die Kneipe noch nicht sehr lange gehörte, schien er die meisten seiner Gäste näher zu kennen, jedenfalls duzte er sich mit ihnen und hatte immer ein paar private Worte für den einen oder anderen. Aber das hieß ja noch lange nicht, dass er nichts gegen Schwule hatte, vor allem nicht, wenn sein eigener Sohn ...

Weiter kam Roman mit seinen Gedanken nicht. Deniz hatte inzwischen seinen Mut gesammelt und gestand ihm endlich, dass er für immer in Essen bleiben wollte und dass er seinem Vater davon noch nichts erzählt habe, weil er erst wissen wollte, was er davon halte.

Nun war es Roman, der etwas sprachlos war. Deniz wollte wirklich alles aufgeben in München? Nur für ihn? Anfangs hatte er ja insgeheim gedacht, dass Deniz bald das Interesse verlieren würde bei der weiten Entfernung. Gerade in seinem Alter verliebte und entliebte man sich schnell. Aber das sah ja nicht so aus, sonst würde er doch nicht so etwas planen, oder? Warum hatte er denn vorher nie etwas gesagt? Sie hatten schließlich täglich telefoniert ... oder war das nur eine Kurzschlussreaktion? Ein Strohfeuer? Wer weiß, vielleicht würde er es schon eine Woche später bereuen und dann konnte er nicht mehr zurück. Konnte er das verantworten, dass Deniz einfach so sein Leben aufgab? Immerhin war er der Ältere von beiden. Was sollte er Deniz denn nur sagen? Wenn er ehrlich war, hatte er sich im letzten Monat nichts sehnlicher gewünscht, als dass er bei ihm sein könnte und zwar so richtig und nicht heimlich. Eigentlich jedes Mal, wenn er mit ihm telefoniert hatte, war seine Sehnsucht besonders groß und es frustrierte ihn, dass diese Sehnsucht wohl nie erfüllt werden würde. Und jetzt auf einmal sollte es soweit sein? So nah und doch so fern. Er wusste genau, wenn Deniz blieb, würde es irgendwann so oder so rauskommen, dass sie zusammen waren. Und dann? Aber was war die Alternative? Deniz wieder nach München zurückschicken und weiterhin nur telefonieren? Wer weiß, wann sie sich wiedersehen würden. Lange würde Deniz das nicht mitmachen, da war er sich sicher. Immerhin war er ein attraktiver, junger Mann, der sich vor Angeboten sicherlich nicht würde retten können. Er würde das nicht verhindern können. Und Scheiße verdammt, er liebte diesen Kerl. Wie unsicher er ihn jetzt gerade wieder ansah. Ungewollt schlug sein Herz einen Takt schneller.

Deniz hatte gemerkt, wie Roman mit sich rang und wollte ihn nicht drängen, aber er hielt die Warterei irgendwann einfach nicht mehr aus und sagte einfach: „Ich hab meinem Vater gesagt, dass ich dich liebe.“ um gleich wieder zu verstummen.

„Und?“, brachte Roman nur raus.

„Keine Ahnung, ich bin abgehauen, bevor er etwas dazu sagen konnte.“, gab Deniz etwas kleinlaut zu und drehte sich etwas weg.

„Heh, das ist doch nicht schlimm.“, versuchte er ihn zu trösten.

„Doch Roman! Ich bin so ein erbärmlicher Feigling.“, stieß er hervor, merkte aber zu spät, was er da eigentlich gesagt hatte, als er in die Augen seines Freundes blickte. „Bei dir ist das etwas Anderes.“, versuchte er noch einmal die Kurve zu bekommen.

„Nein es ist nicht anders! Sag's ruhig, ich bin ein Feigling. Ich bin nun einmal schwul, ob es gewissen Leuten nun in den Kram passt oder nicht, verdammt. Und ich liebe dich und das soll auch jeder wissen!“ Roman war selbst überrascht, wo er auf einmal diese Sicherheit hernahm, aber als er sah, wie sich auf dem Gesicht seines Freundes ein breites Lächeln ausbreitete, wusste er, dass es die richtige Entscheidung war. Zweifel hatte er jedoch immer noch. Was war, wenn sein Vater nichts mehr mit Deniz zu tun haben wollte? Alleine konnte er wohl kaum seinen Lebensunterhalt bestreiten und von seinem Geld würden sie auch nicht leben können. Wer weiß, vielleicht stand er bald selbst ohne Job da, oder zumindest ohne die lukrativen Werbeeinnahmen. Und was dann? Er konnte und wollte diese Entscheidung nicht übers Knie brechen, schließlich hing davon nicht nur seine, sondern auch Deniz' Zukunft ab. Seinem Vorschlag, ins Loft zu gehen, um noch einmal in Ruhe über alles zu sprechen, stimmte Deniz sofort zu.

Auf dem Weg durch den Park streiften sich immer wieder ihre Arme. Zu gerne hätten sie dem Drang nachgegeben, sich weiter zu berühren, aber so weit waren sie noch nicht.

Annette war gerade dabei die Tische vor der Pommesschranke abzuwischen, als sie die beiden kommen sah. Auch wenn sie Deniz nie vorher gesehen hatte, wusste sie doch genau, wer da neben ihrem besten Freund lief.

Zum Glück war gerade nicht viel los, als die beiden an die Theke traten und so konnte Roman Deniz richtig vorstellen. Wie das klang, dachte er sich. „Darf ich vorstellen: Deniz, mein Freund.“, hatte er gesagt. Das erste Mal in seinem Leben. Und es fühlte sich gut an. Wenn es doch nur immer so einfach wäre ...

Nachdem sich Deniz und Annette miteinander bekannt gemacht hatten, hatte Roman sie schnell auf den aktuellsten Stand gebracht und versuchte nun, an ihrem Gesicht abzulesen, was sie darüber dachte. Er kam jedoch nicht mehr dazu, sie zu fragen, weil in dem Moment eine ganze Horde Kinder nach Pommes verlangte. Roman konnte ihr nur noch zurufen, dass er mit Deniz ins Loft gehen würde.

Kaum war die Aufzugtür hinter ihnen zugefallen, klebten schon ihre Lippen aneinander. Finger tasteten unter den Oberteilen nach nackter Haut und strichen durch Haare. Sie waren so miteinander beschäftigt, dass sie gar nicht gemerkt hatten, dass der Aufzug gar nicht fuhr. Roman hatte im Eifer des Gefechts den Knopf nicht richtig getroffen, sondern nur das Schild daneben. So machten die beiden große Augen, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und niemand anderer als Ingo vor ihnen stand, der eigentlich nur nach Roman sehen wollte. Einen Moment lang stand ihm der Mund offen und in seinen Gehirnwindungen arbeitete es. Jetzt machte Romans Reaktion auch einen Sinn. Der Mistkerl betrog Annette und er machte sich auch noch Sorgen um ihn.

Roman und Deniz wussten gar nicht, wie ihnen geschah, als Ingo auf einmal losbrüllte, was ihm einfiele, seine Annette – auch wenn sie es nicht wirklich war, aber in seinen Träumen war sie es – so zu hintergehen. Das konnte und wollte Deniz nicht so stehen lassen, so war er es, der als erster zurückbrüllte, wurde aber gleich von seinem Freund zurückgehalten. Roman wusste, dass jetzt der Moment der Wahrheit gekommen war. Zumindest hatte Ingo nichts dazu gesagt, dass er einen Mann küsste, sondern nur, dass er Annette betrog, dachte sich Roman, bevor er laut sagte: „Deniz, jetzt sei mal still! Ingo hör mir zu! Annette spielt nur meine Freundin. Sie liebt nur dich.“

Mehr hörte Ingo schon gar nicht mehr. Der letzte Satz klang in seinem Kopf wie ein Echo wieder. Wenn das stimmte, dann würden seine kühnsten Träume wahr. Er sah ungläubig von einem zum anderen und nahm entfernt wahr, dass Roman sagte, dass er mit Deniz zusammen sei, aber niemand davon wisse, außer Annette, und Deniz dann noch ergänzte: „und mein Dad.“ Nachdem Ingo die beiden in eine kurze Umarmung gezogen hatte, drehte er sich auf dem Absatz um. Er wollte jetzt, wo er wusste, dass Annette dasselbe für ihn empfand wie er für sie, keine Minute mehr verschwenden.

Die anfängliche Lust war verflogen. Sie wollten sich zwar nah sein, aber nicht so. Stattdessen hatten sie sich zusammen auf die Couch gesetzt. Roman hatte sich bei Deniz angelehnt und seine linke Hand auf den Bauch seines Freundes gelegt. Während er darüber streichelte, fühlte er wie Deniz seine Schulter umfasste und ihn so noch näher heranzog. Einen Moment lang hingen sie ihren Gedanken nach und genossen es einfach nur, den warmen Körper neben sich zu spüren. Unausgesprochen stand die Frage danach im Raume, wie wohl die anderen reagieren würden, wenn sie von ihnen erfuhren. Ingo schien ja kein Problem damit zu haben, aber ob das bei den anderen auch so war? Roman kamen die Sponsoren und die Steinkamps wieder in den Sinn. Deniz hatte sich derweil ein Herz gefasst. „Ähm Roman, ich muss dir noch was sagen.“, begann er schließlich und erntete dafür einen überraschten, ja fast schon ängstlichen Blick, der sich aber sogleich, nachdem er ihm von seinem Plan erzählte, in Essen bleiben zu wollen, in ein Lachen veränderte. Stürmisch wurde er von Roman umarmt. Bei seiner Freude hätte Roman fast vergessen, was Deniz alles damit für ihn aufgab. Als er Deniz von seinen Bedenken erzählte, versuchte dieser sie sofort zu zerstreuen. Zur Schule gehen könne er schließlich auch hier und außerdem habe er ja schon sein Fachabi. Zur Not würde er eben arbeiten gehen. Nur bei der Frage, ob sein Vater schon davon wisse, wollte er nicht so recht mit der Sprache raus. Er brauchte auch nichts mehr zu sagen, Roman hatte es auch so verstanden. „Komm, dann lass uns zu ihm gehen und hören, was er zu dem Ganzen sagt.“ Deniz sah ihn erstaunt an und auch Roman wusste nicht, woher das auf einmal kam. Er hatte immer noch Angst, aber er hoffte einfach, dass Marian genauso locker mit ihrer Homosexualität umgehen würde, wie er das bei seinen Gästen tat. Deniz zögerte erst, aber er wusste genau, dass er sich der Situation irgendwann stellen musste. Und immerhin war Roman mit dabei, versuchte er sich selbst Mut zu machen.

Auf dem Weg in die 7 kamen sie an der Pommesschranke vorbei und konnten beobachten, wie Ingo gerade Annette abknutschte, um sie sodann hochzuheben und sich mit ihr um die eigene Achse zu drehen. Roman freute sich wirklich sehr für die beiden. Schließlich hatte er oft genug miterlebt, wie sehr Annette sich nach Ingo sehnte, auch wenn sie es ihm zuliebe oftmals zu verstecken versuchte. Ob er das wohl mit Deniz eines Tages auch so öffentlich konnte? Ihn umarmen und küssen? Unbewusst hatte er seine Hand gesucht. Als sich ihre Finger berührten, sahen sie sich an. Ohne ein Wort zu sagen verschränkten sie ihre Hände. Für beide war es ungewohnt, aber es gab ihn auch Kraft.

Ohne dass sie auch nur einer dumm angemacht oder sie angestarrt hatte, hatten sie schließlich den Rest des Weges zurückgelegt. Sollte es wirklich so einfach sein? Einen Moment lang hatte Deniz zögernd die Hand auf der Klinke liegen lassen und Roman angesehen. Als dieser ihm zugelächelt hatte, hatte er schnell die Tür aufgemacht und ihn hinter sich in die 7 gezogen.

Marian kam gerade aus der Küche, als die beiden die 7 betraten. Im Grunde genommen hatte er ja darauf gewartet, dass zumindest sein Sohn wieder auf der Bildfläche erschien. Er hatte die ganze Zeit überlegt, was er ihm sagen sollte, hatte sich Deniz zusammen mit Roman vorgestellt...hatte ihn in Gedanken mit dem Mann aus seinem Traum zu ersetzen versucht...und trotzdem kam es ihm mehr als komisch vor, als er die beiden dann Hand in Hand vor ihm stehen sah. Was sollte er jetzt nur machen? Sie umarmen? Oder war das zu viel? Er versuchte es erst einmal mit einem „Hi ihr beiden.“ An der Art, wie sie den Gruß erwiderten, konnte er merken, dass sie beide genauso unsicher waren wie er selbst auch. Deniz hatte schon wieder sein trotziges Gesicht aufgesetzt, das er schon immer als kleines Kind gezogen hatte. Manche Dinge würden sich wohl doch nie ändern, dachte sich Marian. Als er gerade ansetzen wollte, etwas zu sagen, platzte Deniz plötzlich heraus: „Ich bin mit Roman zusammen, ob dir das passt oder nicht.“ und fing sich dafür ein tadelndes „Deniz!“ von seinem Freund ein, woraufhin Marian unwillkürlich lachen musste, als er das Gesicht seines Sohnes sah. Dass er das noch einmal erleben durfte ... anscheinend hatte er in Roman genau den Gegenpol gefunden, den er brauchte, um sein hitziges Gemüt im Zaum zu halten. „Jetzt setzt euch mal hin ihr Zwei. Wollt ihr was trinken?“ fragte er sie, um noch etwas Zeit zu gewinnen, weil er immer noch nicht so recht wusste, was er sagen sollte.

Als sie merkten, dass Marian keineswegs wütend war und auch nicht sofort lospolterte, dass Deniz gegen die Familienehre verstoßen habe – so wie es Deniz befürchtet hatte, entspannten sie sich etwas. Während er die Getränke an der Theke eingoss, beobachtete er aus den Augenwinkeln seinen Sohn und dessen Freund. Er konnte zwar nicht genau sehen, was sie unter dem Tisch taten, aber er war sich ziemlich sicher, dass sie sich an den Händen hielten. Was sie miteinander sprachen, konnte er leider nicht verstehen, dafür flüsterten sie zu leise. Als er näher kam, verstummten sie für einen Moment, um dann auf einmal beide gleichzeitig los zu plappern. Nur mit Mühe hatte er sich Gehör verschaffen können. Dass Roman gerne und viel redete, hatte er schon bei seinen bisherigen Besuchen in der 7 mitbekommen, aber dass sein Sohn so viel redete, das war neu. Noch überraschter war er aber von Deniz' Plan nach Essen zu ziehen und alles andere als begeistert, dass Deniz womöglich die Schule hinschmeißen wollte. Es endete damit, dass Deniz aufsprang und ihn anbrüllte, dass er eh bald 18 sei und er dann machen könne, was er wolle. Dabei hatte er ihm doch eigentlich nur sagen wollen, dass er es für wenig sinnvoll ansah, die Schule mitten im Schuljahr und dann auch noch so kurz vor dem Abi zu wechseln, zumal er alles andere als ein Musterschüler war – soviel hatte er trotz der Entfernung zu München mitbekommen. Mit einem scharfen „Deniz, setz dich!“ versuchte er ihn aufzuhalten, erreichte aber eher das Gegenteil. Erst Roman schaffte es, mit einem „Deniz bitte ... Ich dachte, wir wollten das zusammen durchstehen?“ ihn dazu zu bringen, sich wieder neben ihn zu setzen. Nach einem kurzen Blickwechsel zwischen Roman und Deniz traf Marian wiederum der böse Blick seines Sohnes, was ihn dazu veranlasste, an das Sprichwort:“ Wenn Blicke töten könnten“ zu denken.

Es dauerte eine ganze Zeit, bis sie halbwegs einen Konsens gefunden hatten, während der Deniz auch mehr als einmal kurz davor gewesen war, die 7 zu verlassen. Sie hatten sich schließlich darauf geeinigt, dass Marian sich mit seiner Ex-Frau in Verbindung setzen würde, um mit ihr zu besprechen, wie es mit ihrem Sohn weiterging. Marian war sich nicht wirklich sicher, ob es die richtige Entscheidung war, zuzustimmen, dass Deniz erst einmal in Essen bleiben konnte, aber während des Gesprächs hatte er gemerkt, wie gut Roman ihm tat und ihm waren auch die verliebten Blicke zwischen den beiden nicht entgangen. Er kannte den neuen Mann seiner Ex-Frau zwar nicht sehr gut, aber die wenigen Male, die er mit ihm zu tun gehabt hatte, hatten ihm auch schon gereicht. Es würde für alle Beteiligten nicht leicht werden, das war ihm klar, aber Deniz zuliebe wollte er es versuchen. Er hoffte nur, dass Deniz nie so etwas passieren würde wie Roman. Ganz offensichtlich beschäftigte ihn der Überfall noch immer, so wie er davon erzählt hatte. Er wollte nicht so sein wie Romans Eltern. Letzten Endes hatte das auch den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben.

Eigentlich hatte Marian gehofft, direkt mit seiner Ex-Frau sprechen zu können, aber erwischte leider nur den Anrufbeantworter. So blieb ihm nichts anderes übrig, als um Rückruf zu bitten und das Gespräch auf später zu verschieben, denn auf den AB wollte er so eine Nachricht dann auch nicht sprechen.

Inzwischen war es auch Zeit für den Abendbetrieb, so dass Marian die Tür, die er zu Beginn des Gesprächs abgeschlossen hatte, wieder aufmachte. Sein Angebot, den beiden schnell etwas zu essen zu machen, schlugen sie aus. Sie wollten lieber alleine sein.

„Mann, warum kann ich nicht so einen Vater haben?“, kam es von Roman, kaum dass sie die Tür der 7 hinter sich geschlossen hatten. Deniz zog seinen Freund daraufhin sichtlich erleichtert in seinen Arm. So einfach hatte er sich das Ganze nicht vorgestellt. Plötzlich merkte er auch, dass sein Appetit zurückkam und kurz darauf machte sich auch sein Magen lautstark bemerkbar. Roman, der gerade an der Schulter seines Freundes lehnte, hatte das Knurren auch vernommen und meinte grinsend: „Hätten wir wohl doch besser in der 7 essen sollen, wie?“ „Da könnte ich aber nicht…“ Der Rest kam nur noch geflüstert in Romans Ohr an. „Stimmt, so cool wie Marian gerade reagiert hat, aber ich glaube DAS will auch er nicht unbedingt live sehen.“ „Mmh“, bekam Deniz gerade noch so raus, bevor er laut losprustete. Die Bilder, die in dem Moment vor seinem geistigen Auge auftauchten, waren doch sehr lebhaft…

Damit sich die Bilder dann nicht doch noch realisierten, hatten sie sich schließlich entschlossen, nicht in die Öztürksche Wohnung, sondern in die WG zu gehen, um dort schnell etwas zu kochen. Die Pommesschranke wäre zwar wesentlich schneller zu erreichen gewesen und sie hätten mit Sicherheit auch sofort von Keule ein paar Pommes serviert bekommen, aber Roman war leider Gottes im Training und musste auf solche Kalorienbomben verzichten.

Roman konnte sich nicht ganz so vorbehaltlos freuen wie Deniz, für den mit dem erfolgreichen Gespräch scheinbar alles gegessen war. Ein bisschen konnte er ihn ja verstehen, schließlich war es nicht selbstverständlich, dass Marian so reagiert hatte. Dass die Liebe von Eltern nicht immer bedingungslos ist, hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, umso mehr freute er sich für seinen Freund, dass es bei ihm – zumindest was seinen Vater betraf – anders war. Trotz aller Freude, konnte er seine Bedenken wegen den Steinkamps, seinen Sponsoren und allen anderen, die möglicherweise etwas gegen ihre Beziehung oder einfach gegen Schwule hatten, nicht vergessen. Deniz zuliebe versuchte er sie jedoch – zumindest für den Moment – auszublenden. Immerhin gab Deniz alles für ihn auf, um mit ihm zusammen sein zu können. Seine Freunde, seine Familie und die Schule war alles weit weg in München ... hoffentlich bereute er die Entscheidung nicht irgendwann einmal ...

Deniz merkte jetzt auch, wie nachdenklich sein Freund war. „Heh, wir schaffen das. Zusammen.“, versuchte er ihm Mut zu machen und bekam ein „Na klar schaffen wir das“ zur Antwort, das in seinen Augen ein bisschen unsicher klang, was auch der Tatsache entsprach. Um Roman zu zeigen, dass er zu ihm stand, nahm er seine Hand und drückte sie fest. In den blauen Augen, die ihn wieder einmal zum Verweilen einluden, erkannte er einen kleinen Hoffnungsschimmer. Das Lachen fiel Roman schon bedeutend leichter, als er ihn aufforderte, sich ein wenig zu beeilen, wenn er heute noch etwas zu essen bekommen wolle. Dafür fing er sich einen kleinen Rippenrempler ein, bevor Deniz meinte: „Hauptsache dein Kühlschrank gibt auch was her. Mit Kaninchenfutter gebe ich mich nämlich nicht zufrieden“ und ihn breit angrinste. Natürlich hatte Roman das nicht auf sich sitzen lassen und so ging es immer hin und her zwischen den beiden, bis sie schließlich das Loft erreicht hatten. Im Aufzug war es auf einmal so plötzlich still... Jetzt erst wurde ihnen bewusst, dass sie die ganze Zeit entweder Hand in Hand gelaufen waren oder sich sonst wie berührt hatten. Wenn sie jemand jetzt so gesehen hatte, der musste doch denken... Aber hatte sie einer angesprochen, gar angepöbelt? Nein. Aber was noch nicht war, konnte ja noch kommen. Es gab immerhin auch genug Menschen, die ihre Abneigung nicht so offen zeigten. Jetzt war es Roman, der als erster das Wort ergriff und als wenn er es sich selbst noch einmal in Erinnerung rufen wollte, sagte: „Wir schaffen das!“ Von Deniz kam nur ein knappes „yap“, bevor er seinen Freund in seine Arme zog und küsste. Wenn doch nur jeder Tag so sein könnte …

Nach der Inspektion des WG-Kühlschranks musste Roman leider gestehen, dass so gut wie keine Zutaten vorhanden waren, aus denen sich auf die Schnelle etwas halbwegs Essbares zaubern ließe. Dabei war er ziemlich sicher gewesen, dass er am Morgen noch gut gefüllt gewesen war. Deniz wollte natürlich sofort wissen, was es geben sollte, kaum dass Roman mit dem Kopf aus dem Kühlschrank wieder aufgetaucht war.

„Öhm, naja... irgendwer hat unseren Kühlschrank leer gefressen.“, gab Roman etwas kleinlaut zu. „Du willst mich also verhungern lassen, ja?“, fragte Deniz grinsend nach, während er auf ihn zukam und seine Arme um seine Schultern legte. „Soll ich vielleicht dich auffressen?“ Eine Antwort wartete er jedoch nicht ab, sondern nahm direkt Romans Ohrläppchen erst zwischen die Lippen und setzte dann seine Zähne und seine Zunge ein, womit er bei seinem Gegenüber ein Kribbeln auslöste, das sich durch den ganzen Körper fortsetzte. Seine Stimme klang ein wenig rauer als sonst, als er sich schließlich zwang halbwegs ruhig zu sagen: „Na, ob sich dein Magen mit dem bisschen auch zufrieden gibt?“

„Stimmt, du bist nur noch Haut und Knochen ... aber für die Vorspeise wird es schon reichen.“, gab Deniz grinsend zurück, bevor er sich wieder dem Ohr widmete. „Mmh, fehlt nur noch ein wenig Salz.“ Während Roman seinen Freund mit einem liebevollen „Spinner!“ betitelte, verstärkte er den Druck seiner Arme auf Deniz' Rücken und genoss den warmen Atem auf seinem Hals und die Nähe seines Liebsten. Wenn er daran dachte, wie oft er in den letzten Wochen wach gelegen und sich gewünscht hatte, dass Deniz neben ihm im Bett lag und nicht mehrere hundert Kilometer entfernt ... Es tat so gut, ihn endlich wieder zu spüren, seinen Duft zu riechen und sein Herz schlagen zu hören. Fingerspitzen auf warmer Haut... Lippen die mal zart und dann wieder fordernd geküsst wurden ... Hüften die zueinander drängten ... Shirts, die erst hochgeschoben und dann ausgezogen wurden ... Zungen, die ihr Gegenstück suchten und fanden ... Zähne, die sanft in weiches Fleisch bissen ... Hände, die unter dem Hosenbund verschwanden ... vergessen der Hunger ... eine Tür, die aufgestoßen wurde ... zwei Menschen, so gut wie nackt, nur mit einem Handtuch bekleidet, die erst mit großen Augen dastanden und dann in Lachen ausbrachen ... zwei Menschen, die sich endlich gefunden hatten ... Annette und Ingo. Sofort stoben die beiden Männer auseinander. Sichtlich peinlich berührt. Aber die beiden nahmen ihnen sofort die Scheu, machten ihnen klar, dass es ihnen nicht peinlich sein musste, küssten sich selbst, neckten sich. Trotzdem hatten sie sich lieber wieder angezogen. Zu neu, zu ungewohnt war die Situation ... wollten nicht halbnackt vor Annette und Ingo stehen, auch wenn die beiden selbst viel weniger anhatten. Das Knurren von Deniz' Magen durchbrach den kurzen Moment der Stille ... Dumme Sprüche wie „heute noch nichts gegessen, Kleiner?“, von Ingo natürlich, aber nicht böse gemeint ... zog ihn ein wenig auf ... Die Anspannung löste sich und sie neckten sich gegenseitig. Man einigte sich darauf zusammen etwas zu kochen ... Nudeln waren noch im Haus und eine Art Sauce hatten sie auch irgendwie hinbekommen.

Während des Essens verschwanden immer wieder Hände unter dem Tisch, suchten das Bein des Geliebten ... erst auf der einen Seite des Tisches und dann auch auf der anderen ... Finger die sich verschränkten ... streichelten. Nudeln, die Sauce verteilten ... Gesichter, die mit der Zunge gereinigt wurden ... zaghafte Küsse... erst noch mit Seitenblick auf das andere Paar ... dann mit geschlossenen Augen und voller Konzentration auf das was geschah ... zwei Menschen, die versuchten sich lautlos zu entfernen, was nicht ganz gelang ... Ingo, der kurz aufjaulte, weil er gegen das Tischbein getreten hatte ... eine Annette, die ihn zur Ruhe mahnte ... ein kurzes Auftauchen aus dem Kuss ... ermunternde Blicke von beiden ... Schließlich ein „Lasst euch nicht stören“ von Ingo und dann Stille ... nur ihrer beider Atem war zu hören ... immer schwerer ... ein fast nur noch gehauchtes „in mein Zimmer“, der Atem fehlte ... die Erregung wuchs ... Stühle, die zurückgestoßen wurden ... einer fiel um ... nebensächlich ... Haut auf Haut ... die Shirts waren schon wieder irgendwo auf dem Boden gelandet ... fast schon ein Rennen in Romans Zimmer ... eine zugedrückte Tür ... das Bett in Reichweite ... Hosen, die geöffnet und abgestreift wurden ... endlich komplett spüren ... nichts störte mehr ... Bettwäsche auf nackter Haut ... Atmen, das in Stöhnen überging ...

„Du Deniz …“, kam es gedehnt von Roman, der sich auf der Seite liegend an seinen Freund gekuschelt hatte. Mehr wie ein „Mmh“ brachte dieser nicht hervor, drehte aber zumindest seinen Kopf um ihn anzusehen. „Du bist ja vollkommen aus dem Training.“, stellte Roman grinsend fest und fing sich dafür einen Schlag auf seinen Allerwertesten ein, den er mit „Ach, doch noch ne Runde.“ kommentierte. DAS hatte Deniz eigentlich nicht im Sinn gehabt, aber wer konnte schon diesem Blick widerstehen? Außerdem hatten sie ja schließlich auch etwas nachzuholen. Er durfte gar nicht an die Nächte denken, in denen er alleine in seinem Bett gelegen hatte. Nicht selten hatte er Kerstin angerufen. Eigentlich war das gar nicht seine Art, so über seine Gefühle zu reden, aber irgendwie war es ein kleiner Trost. Meistens hatte sie es geschafft, ihn auf andere Gedanken oder zumindest zum Lachen zu bringen. Mit ihr konnte er zur Not stundenlang über Roman reden. Obwohl sie noch nicht so lange miteinander befreundet waren, war sie die einzigste von seinen Freunden, die er wirklich vermissen würde. Die anderen würden ihm mit Sicherheit auch fehlen … Alleine die Frotzeleien zwischen ihnen … Er hoffte einfach, dass er auch hier in Essen genug Freunde finden würde. Allerdings gab es in Essen ein Problem, das er in München so noch nicht gehabt hatte. Schwul war er zwar auch schon vorher, aber jetzt wollte er auch dazu stehen. Wie sich das Ganze dann in der Realität gestalten würde, konnte er nicht sagen. Aber er hatte verdammt noch mal Schiss davor, dass sie ihn nicht so akzeptieren würden, wie er war. In München hatte es schließlich auch genug Mitschüler gegeben, die sich abfällig über Schwule geäußert hatten. Warum sollte das in Essen anders sein? Aber er musste da jetzt durch... für Roman, aber auch für sich selbst. Aber darüber konnte er sich noch Gedanken machen, wenn es wirklich so weit war. Jetzt war erst einmal etwas Anderes wichtiger. Wer weiß, wie oft sie in nächster Zeit noch Gelegenheit haben würden, tagsüber zusammen im Bett zu liegen. Mit einem „Ach dir gefällt das also, wenn ich dir auf den Hintern haue?“ drehte er sich grinsend auf die Seite und ließ – während er Roman in die Augen sah - seinen Worten auch direkt Taten folgen. Immer darauf bedacht, ihm nicht wirklich weh zu tun, schlug er mehrmals auf den Po seines Freundes. Auch wenn sie sich nicht immer nur sanft geliebt hatten, geschlagen hatte er ihn noch nie. Aber ihm schien es zu gefallen … seine Augen und schon gar nicht sein beschleunigter Atem ließen keinen Zweifel zu. Es dauerte nicht sehr lange, bis sich ihre Lippen fanden und ihre Zungen einen heißen Kampf ausfochten. Ihre Körper drängten zueinander … rieben sich aneinander. Der Atem ging inzwischen nur noch stoßweise. Langsam fehlte ihnen auch die Luft, so dass sie sich kurz von einander lösten, um nach Luft zu schnappen. Viel hatte nicht gefehlt und sie wären auch so zum Höhepunkt gekommen, wenn …ja wenn nicht Ingo in diesem Moment an die Tür geklopft hätte. Deniz war so berauscht, dass er das Klopfen glatt überhört hatte. Erst als sein Freund ihm auf die Schulter schlug und zeitgleich Ingo vor der Tür brüllte: „Roman! Training!“, registrierte er den Störenfried. Gerade als Ingo erneut ansetzte, war Annette zu hören, die ihren Freund zurückhalten wollte. „Nu lass die beiden doch. Einmal das Training ausfallen zu lassen, wird schon nicht schaden.“ Während vor der Tür eine hitzige Diskussion darüber entbrannte, ob das Training nun unbedingt erforderlich war oder nicht, grinsten sich die beiden Herren im Bett eins.

„Ich sollte Annette und Ingo mal besser Bescheid sagen, dass Mike das Nachmittagstraining gecancelt hat, bevor es mit den beiden vorbei ist, ehe es richtig angefangen hat.“, seufzte Roman und erhob sich schweren Herzens aus dem Bett. Nur mit einer Hose bekleidet, die er über dem Bettgestell baumelnd vorgefunden hatte, öffnete er die Tür. Es war auf einmal so komisch still... wunderte er sich. Als er den Kopf aus der Tür streckte, wusste er auch warum... Beim Knutschen ließ sich so schwer streiten. Bis die beiden auf ihn reagierten, dauerte es eine Weile.

Als er ihnen vom Ausfall der Trainingsstunde berichtet hatte, meinte Ingo nur: „Dafür dürfen wir jetzt als erste ins Bad.“

„Von mir aus ...“ Mit Deniz im Bett war es eh schöner ...wenigstens noch einen Moment mit ihm alleine sein. Seine Laufeinheit war zwar nicht an eine feste Zeit gebunden, aber zu spät wollte er auch nicht laufen gehen, damit er nicht förmlich über die ganzen Freizeitsportler, die nach Feierabend unterwegs waren, „stolperte“.

Schnell hüpfte er wieder zurück ins Bett.

Eigentlich hatten sie ja zusammen joggen gehen wollen, aber Deniz war auf dem Weg in die Öztürk’sche Wohnung, wo ja immer noch seine Reisetasche stand, seinem Vater in die Arme gelaufen. Den Flüchen, die sein Vater ausstieß, hatte er entnehmen können, dass sich offensichtlich seine Mutter bei ihm gemeldet hatte. Auf seine knappe Frage: „Was hat sie gesagt?“ bekam er zunächst keine Antwort. Als sein Vater dann mit Einzelheiten rausrückte, wusste er auch genau, warum er es eigentlich hatte verschweigen wollen. Zum Glück war in dem Moment Roman vorbeigekommen, der ihn wenigstens ein bisschen hatte beruhigen können, obwohl er genauso wütend war, aber mehr noch enttäuscht, dass es ihm genauso ging wie ihm, wenn auch nur ein Elternteil betroffen war. Hans-Peter hatte sich anscheinend auch noch eingemischt, aber von ihm hatte er nichts Anderes erwartet, als dass er gegen seine Homosexualität war. Es hatte so gut getan, in Romans Armen zu liegen und ihn seine eigenen Worte wiederholen zu hören: „Wir schaffen das.“ Wenn seine Mutter jetzt nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Bitte! Das konnte sie haben. Sollte sie doch glücklich werden mit ihrem Hans-Peter. Warum musste es nur so weh tun?

Marian wusste nicht so recht, was er seinem Sohn sagen, wie ihn trösten sollte. Für ihn war die Situation schließlich auch neu. Vor allem verstand er die Reaktion seiner Ex-Frau nicht. Deniz war ihr Sohn, wie konnte sie ihn so ablehnen, nur weil er in einen Mann verliebt war? Zugegeben, er hatte auch so seine Probleme damit gehabt und ihm wäre es auch lieber gewesen, wenn sein Sohn ein hübsches Mädel mitgebracht hätte, aber wenn er die beiden beobachtete, wie sie miteinander umgingen und sich gegenseitig Halt gaben ... wie konnte er da noch was dagegen haben? Er hatte seinen Sohn noch nie so erlebt. Wenn er in der Vergangenheit mit ihm telefoniert und er ihn nach einer Freundin gefragt hatte, hatte er stets den Aufreißer gegeben. So nach dem Motto 10 Mädels an einer Hand. Und er konnte nicht leugnen, dass ihm das gefallen hatte. Aber nun war es einmal so und nicht anders. Sein Sohn interessierte sich halt nicht für Mädels. Irgendwann würde seine Ex-Frau das hoffentlich auch mal kapieren. Vielleicht war es auch nur der erste Schock ... Roman riss ihn aus seinen Gedanken, als er seinen Freund fragte, ob sie lieber das Joggen ausfallen lassen sollten, was dieser aber sofort negierte und meinte, dass er sich nur eben umziehen würde.

Plötzlich war er mit dem Freund seines Sohnes allein. Die Situation war Marian irgendwie unangenehm. Über was sollte er mit ihm reden? Er wusste es nicht. Roman wirkte ein bisschen verloren auf ihn. Für ihn war es bestimmt auch nicht leicht. Erst wollte er ihm zum Abschied – er musste ja langsam mal in die 7 zurück – nur die Hand geben, legte ihm dann aber doch noch die Hand auf die Schulter, woraufhin ihn Roman überrascht ansah und noch erstaunter dreinblickte, als er ihn schließlich in eine kurze Umarmung zog. „Passt auf Euch auf, ja?“ „Machen wir. Und danke Marian.“, bekam er zur Antwort.

Roman hatte noch einen Moment Zeit, den er nutzte über die Ereignisse der letzten Stunden nachzudenken. Unglaublich, was alles passiert war. Am Morgen hatte er noch traurig unter der Dusche gestanden und sich vorgestellt, wie es wäre, wenn Deniz bei ihm wäre. Und jetzt saß er hier und wartete auf ihn. Konnte ihn gleich wieder riechen, schmecken, fühlen. Wenn er daran dachte, wie oft er sich das in den letzten Wochen gewünscht hatte... Und bis jetzt war alles glatt gelaufen, naja fast alles, wenn man von Deniz' Mutter einmal absah. Es tat ihm weh, zu sehen, wie sehr seinen Freund die Ablehnung seiner Mutter traf. Wenigstens dachte Marian da anders. Allerdings hatte er den Eindruck gehabt, dass ihm das alles auch nicht so leicht fiel. Die Umarmung schien ihn etwas Überwindung gekostet zu haben, aber immerhin bemühte er sich. Er konnte ihn ja verstehen, man erfuhr schließlich nicht jeden Tag, dass der eigene Sohn schwul war.

„Worüber denkst du nach?“, wollte Deniz von ihm wissen, als er sich neben ihn setzte. „Nicht so wichtig.“, wich Roman aus. Er wollte nicht den ganzen Tag darüber grübeln und sich stattdessen lieber darüber freuen, dass sein Freund endlich bei ihm war. Er hoffte, dass das Laufen Deniz auch ein bisschen ablenken würde. Ihm half es jedenfalls meistens, den Kopf klar zu bekommen. „Zeig mir mal lieber, dass du in München nicht aus dem Training gekommen bist. Wetten, ich hänge dich ab, Mr. Schlappe Socke?“ Kaum ausgesprochen war er auch schon losgerannt. Dass er sich besser hätte vorher aufwärmen sollen, wurde ihm schon recht bald klar ... er wurde merklich langsamer und Deniz, der ihm die ganze Zeit dicht auf den Fersen gewesen war, schloss zu ihm auf. Gerade als sie den ersten größeren Baum des Parks erreicht hatten, überholte ihn sein Freund und stoppte ihn. Auch er war etwas außer Atem, als er keuchte: „Ich geb dir gleich Mr. Schlappe Socke.“ Und schon fand sich Roman mit dem Rücken an den Baum gepresst vor. Seine Hände hatte Deniz mit seinen eigenen über seinem Kopf an der Rinde fixiert. Sie blickten sich tief in die Augen, während sich ihre Lippen immer weiter näherten. Die Außenwelt war für den Moment vergessen. Auch der soeben einsetzende Regen störte beide wenig. Erst nach einer ganzen Weile – inzwischen waren sie schon komplett durchnässt, nahmen sie ihre Umgebung wieder wahr.

Auch wenn sie noch nicht wirklich viel gelaufen waren, aber eins war beiden klar: so konnten sie nicht weiterjoggen. Nass bis auf die Haut ließ sie der aufkommende Wind frösteln. Die Vernunft siegte und sie liefen zurück. Nur wohin? Der Weg zur Öztürk’schen Wohnung war nur unwesentlich kürzer, aber wenigstens konnte Deniz sich dort umziehen. Als Deniz gerade die Haustür aufgeschlossen hatte, wurde er von seinem Freund aufgehalten. „Kommst du mit zu mir? Da sind wir wenigstens ungestört.“, wollte er von ihm wissen und löste damit bei Deniz ein breites Grinsen aus. „Klar. Ich hol nur eben ein paar Klamotten.“

„Okay, dann geh ich schon mal vor und lass das Badewasser ein.“, gab Roman mit eben einem solchen Grinsen zurück. Das war etwas, auf das er sich seit er mit Deniz zusammen war, gefreut hatte. Im Sporthotel hatte es nur eine Dusche gegeben, die ohne Frage auch ihren Reiz hatte, aber er stellte es sich einfach schön vor, zusammen mit seinem Freund in der Wanne zu liegen.

Und nun saß er hier auf dem Badewannenrand, nur mit einem Handtuch bekleidet und wartete, dass der Aufzug hoch kam ... So langsam wurde das Wasser kalt ... Wo blieb Deniz???

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