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Geheime Liebe

Teil 3

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Er hatte wirklich versucht, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, aber mit jeder Stunde, ja gar jeder Minute, die ihr Wiedersehen näher rückte, war Gian nervöser geworden. Ein paar Mal hatte er sich sogar dabei erwischt, dass er – und das war eigentlich nicht seine Art – aus dem Fenster starrte, im Grunde genommen ohne irgendetwas wahrzunehmen. Nicht die Geräusche der Einkaufsstraße, die sich ein paar Etagen unter seinem Fenster befand, noch das übliche Scheppern der Türen oder die Wortfetzen der Angestellten, die dumpf durch die Tür klangen. Selbst den später am Nachmittag erfolgten Anpfiff seines Vaters nahm er relativ kommentarlos hin.

Er hatte zwar die Fristsachen abdiktiert und sie auch irgendwann danach unterschrieben, aber er konnte nur hoffen, dass er keine Fehler eingebaut hatte, so wie er neben sich stand. Das kannte er gar nicht von sich ... hatte er bei seinem Ex-Freund jedenfalls nicht in der Form bemerkt. Klar war er damals noch Student gewesen, aber Arbeit war Arbeit und Freizeit war Freizeit. Punkt. Warum musste er das nun ausgerechnet vermischen? Was hatte dieser Mann an sich, dass er ihm so verfallen war? Das konnte auf Dauer doch nicht gut gehen ...

Mit einem Mal fiel ihm siedend heiß ein, dass er vergessen hatte, sich auf die morgige Verhandlung vorzubereiten. Er sollte seinen Bruder in einem Gerichtstermin vertreten, weil dieser einen anderweitigen Termin wahrzunehmen hatte und das Gericht nicht bereit war, den Termin ein weiteres Mal zu verschieben, nachdem bereits zweimal der Termin verlegt werden musste, weil zum einen der Sachverständige verhindert war und beim Ersatztermin keiner der Anwälte erscheinen konnte.

Normalerweise hätte er sich die Akte schon ein paar Tage vorher besorgt und sich eingelesen, aber durch seine eigene Beweisaufnahme am Vortag hatte er das vollkommen verschwitzt und sie unter einem Stapel Akten begraben, wo er sie nach einer ziemlich verzweifelten Suchaktion schließlich auch wiedergefunden hatte.

Eigentlich hätte er jetzt gehen können... die Fristen waren bearbeitet und die Eilsachen zu diktieren machte wenig Sinn bei seiner mangelnden Konzentration. Diese würden bis zum nächsten Tag warten müssen. Die einzige sinnvolle Lösung erschien ihm, die Akte mit nach Hause zu nehmen und sich dort auf den Termin vorzubereiten. Leider hatte er nicht mit seinem Vater gerechnet, der ihm natürlich wieder in die Quere kommen musste, indem er ihm diverse Recherchearbeiten aufs Auge drückte. Das hatte er nun davon, dass er sich in Sachen Computer und Internet auskannte. Sein Bruder hatte seine Kenntnisse in der Richtung immer schön hinter dem Berg gehalten, wohl zu Recht, wie sich jetzt herausstellte. So langsam kam er sich wirklich vor, wie ein Handlanger ... im Grunde genommen war er das ja auch.

In ihm brodelte es gewaltig, als er zwei Stunden später die Kanzlei verließ. So konnte es nicht weitergehen. Dafür hatte er nicht jahrelang studiert. Er hatte es seiner Mutter auf dem Sterbebett versprochen, aber was zu viel war, war zu viel. Aber daran wollte er jetzt nicht denken, sondern sich lieber auf den Abend mit Toni freuen.

Zu Hause angekommen entledigte er sich erst einmal des nervigen Jackets. Genauso wie bei der Krawatte, die er schon im Auto abgezogen hatte, atmete er – diesmal noch ein bisschen tiefer – durch. Er wusste genau, dass wenn er sich nicht jetzt sofort an das Aktenstudium begeben würde, er es womöglich ganz vergessen könnte. Und seine Konzentration würde mit Sicherheit auch nicht dadurch besser, dass er sich vorher erst frisch machte. Also Augen zu und durch...gesagt getan. Verkehrsrecht war nun wahrlich nicht sein Fachgebiet, aber zum Glück war die Akte nicht sonderlich dick und der Sachverhalt recht klar, wenn auch nicht unstreitig. Nicht umsonst hatte man den Sachverständigen zum Termin geladen.

Eine halbe Stunde später hatte er die Akte erleichtert an die Seite legen können. Ein Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass es so langsam wirklich Zeit wurde, dass er unter die Dusche kam, sonst würde er Toni noch halbnackt die Tür öffnen müssen. Ein Gedanke, der ihn kurz schlucken ließ. Unweigerlich hatte sich sein Kopfkino eingeschaltet. Er sah sich – nass von der Dusche und nur mit einem Handtuch „bekleidet“ - und Toni in seinem Flur stehen, konnte förmlich Tonis braune Augen auf seinem Körper spüren...seine Lippen auf seinen ... Tonis Hände auf seinem Rücken ... Tonis Hemd auf seiner Haut ...

erdammt Johannes, jetzt reiß dich mal zusammen, schalt er sich selbst und erschrak ein bisschen, als er merkte, dass er das laut ausgesprochen hatte. So langsam kam er sich ziemlich bescheuert vor. Das war doch peinlich. Hoffentlich gingen ihm die Pferde nachher nicht durch, wenn er Toni wahrhaftig gegenüberstand. Was, wenn Toni doch nur an einer Freundschaft interessiert war? Nicht mehr und nicht weniger? Ach verdammt ... er musste aufhören, sich so einen Kopf zu machen, einfach alles auf ihn zukommen lassen ... nur wie? Sein Bauch schien Samba zu tanzen und sein ganzer Körper fühlte sich an, als würden Ameisen darüber laufen, von seinen Beinen, die neuerdings aus Gummi zu bestehen schienen, mal ganz zu schweigen ... Er wusste es jetzt schon... das konnte nur in einer Katastrophe enden ... er würde sich blamieren ... irgendwas umschubsen, sich in den Finger schneiden oder ähnliche Sachen. Und wahrscheinlich kein vernünftiges Wort über die Lippen bekommen.

Natürlich hatte er sich, während er hin- und her überlegte hatte, nicht einen Zentimeter vom Fleck bewegt, sondern befand sich immer noch in seinem Wohnzimmer und blickte in den Flur, genauer gesagt auf die Wohnungstür, als wenn sich Toni dort von selbst materialisieren würde. Zehn, ja fast fünfzehn verschenkte Minuten ... “Verdammt!“, fluchte er, bevor er förmlich seine Beine in die Hand nahm und durch die Wohnung raste. Und direkt stand er vor dem nächsten Problem: Was anziehen? Jeans? Oder doch besser eine Stoffhose? Hemd? Oder T-Shirt? Der Verzweiflung nahe hatte er diverse Kleidungsstücke aus dem Schrank gezogen, sie auf sein Bett gelegt und fing an zu kombinieren. Richtig zufrieden war er jedoch bei keiner Kombination und er stellte mal wieder fest, dass bei einer Jeans blau noch nicht gleich blau ist. Die Zeit lief ihm unermüdlich davon ...

Es kam wie es kommen musste ... seine Befürchtungen wurden sogar noch übertroffen: Sein elektrischer Rasierapparat streikte mal wieder, so dass er sich nass rasieren musste. Er hatte sich gerade eingeschäumt als es an der Tür klingelte. Das konnte doch jetzt bitte alles nicht wahr sein!!!

Auf die Schnelle blieb ihm nichts anderes übrig, als sich sein Handtuch umzuwickeln und ansonsten, so wie er war, seinen Gast zu begrüßen, wenn er es denn überhaupt war ... Es bestand immer noch die Chance, dass einer seiner Nachbarn etwas von ihm wollte. Naturgemäß hatte er auch kein Verlangen danach, diesen in seinem jetzigen „Outfit“ gegenüberzutreten, aber es wäre ihm lieber gewesen als ...

„To ... Toni“ Oh Gott, das fing ja gut an, jetzt stotterte er schon seinen Namen. Wahrscheinlich hatte er dabei auch noch ziemlich irritiert geguckt, so wie dieser reagiert hatte. Täuschte er sich nur, oder war Toni tatsächlich rot geworden als er „Scusa ... bin ich zu früh?“ fragte? Sollte er etwa auch nervös sein?

Anscheinend hatte er ihn richtiggehend angestarrt, stellte er nach einer Weile fest. Erst als Toni Anstalten machte, wieder zu gehen, wachte er auf. „Halt! Stopp! Hier geblieben! Sorry, aber das ist ... das war ...“ Wie sollte er dem Braunhaarigen nur erklären, dass er gerade an seinen Tagtraum gedacht hatte? Er konnte richtiggehend merken, wie ihm das Blut zu Kopf stieg, als er irgendwas erzählte, von wegen, dass er erst so spät aus dem Büro gekommen sei und er – Toni – keineswegs zu früh dran sei und ihn hereinbat. Irgendwie war er jetzt noch nervöser wie vorher, hätte er doch bloß nicht so rumgetrödelt mit der Klamottenauswahl ...

„Gian ...“ drang an sein Ohr und er sah seinem Gegenüber in die braunen Augen und fühlte gleich darauf, wie sich zwei warme Hände auf seine nackten Schultern legten. Offenbar hatte sich der Koch schnell wieder beruhigt und erfasste die Situation mit einem Blick.

„Vorschlag: Du sagst mir, wo ich die Küche finde, dann kann ich die Lebensmittel schon mal in den Kühlschrank packen und du ziehst dir in der Zeit was an und rasierst dich zu Ende. Deal?“, schlug Toni ihm vor und er nickte nur noch bevor er sich umdrehte und beim nächsten Schritt fast über die Kiste stolperte, in der viele leckere Sachen lagen. „Seit wann stand die denn da?“, dachte er nur, während er mit den Armen ruderte, um nicht doch noch zu stürzen. Sein Gast wollte ihm anscheinend zu Hilfe eilen, indem er ihn hinten am Handtuch festhielt. Dummerweise löste sich jenes durch diese Rettungsaktion jedoch ganz, so dass er zwar auf seinen Füßen blieb, dafür aber nun vollkommen nackt – wenn auch mit dem Rücken zu seinem Gast stand. Warum musste ihm immer so etwas passieren?

Erst hörte er ein unterdrücktes Lachen hinter sich, das schließlich zu einem Prusten wurde. Na toll! Jetzt lachte ihn Toni auch noch aus ... Ging es noch peinlicher?

„Scusa ... das wollte ich nicht ...“, erklang es ziemlich kleinlaut hinter ihm. „Hier dein Handtuch.“

Blind griff er hinter sich und nahm das angebotene Handtuch entgegen. Bestimmt war sein Gesicht feuerrot ... Wie sollte er Toni denn jetzt in die Augen sehen? Wer weiß, was er alles von ihm gesehen hatte ... seine Rückansicht auf jeden Fall und was war mit dem kleinen Johannes? So schnell wie irgend möglich hatte er sich mit dem Handtuch den Schaum aus dem Gesicht gewischt und es sich umgewickelt, ließ sich dann aber viel Zeit, um den Handtuchzipfel festzustecken, damit er zum einen nicht sofort wieder im Freien stand und zum anderen um seinem Blut Zeit zu geben, sich wieder im ganzen Körper zu verteilen. Ihm war bewusst, dass er die Aktion nicht ewig in die Länge ziehen konnte, aber sein Körper gehorchte ihm einfach nicht, so dass er sich dazu entschloss, ohne sich zu Toni umzudrehen, in die Küche voranzugehen, was zwar nicht gerade höflich seinem Gast gegenüber war, aber darauf konnte er jetzt keinen Wert legen.

Die Wohnung war etwas seltsam angelegt, so dass er zunächst einen Gang entlang gehen und sodann sein Esszimmer durchqueren musste, bis er in seiner Küche stand. Erst dort drehte er sich zu seinem Gast um. Dass er ihm gefolgt war, hatte er an dem Klang seiner Schritte auf dem Parkettfußboden gehört und nun sah er ihn am Türholm lehnen. Seine Augen wirkten ein kleines bisschen glasig und seine Wangen hatten auch wieder Farbe angenommen. Als er ihm den Vorschlag machte, die Kiste doch solange auf einen der Küchenstühle zu stellen, glich der Rotton in Tonis Gesicht bald einer Tomate.

Als dieser dann an zu stottern anfing „Ich ... ähm ...“ und verlegen lächelte, fiel beim ihm selbst der Groschen und er musste breit grinsen. Das gab‘s ja nicht, Toni stand auf ihn – im wahrsten Sinne des Wortes.

Sein Herz raste, als er auf den Koch zuging, aber er hielt den Augenkontakt – auch während er beide Griffe der Kiste und damit zum Teil auch Tonis Finger umfasste. Langsam beugte er sich über die Kiste und fing die Lippen des Italieners ein, die ihm auf den letzten Zentimetern entgegen kamen. Am liebsten hätte er seine Lippen gar nicht mehr von ihrem Gegenstück gelöst, aber irgendwann unterbrach Toni den Kuss und stieß ziemlich atemlos hervor „Die Kiste ...“

Zusammen stellten sie sie auf der Erde ab, stießen sich dabei noch halb den Kopf, bevor sie sich – immer noch über die Kiste gebeugt - erneut küssten. Er hatte sich seit langer Zeit nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesem Moment.

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