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Engel und Dämon

Teil 2 - Rosa Wölkchen

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Kapitel 2

Als ich erwachte war es kalt, mein Gesicht presste sich schmerzhaft gegen Asphalt. Gar nicht mal so weit entfernt hörte ich einzelne Autos vorbei fahren. Die Luft war sehr kalt und sehr klar, es musste also noch Nacht sein. Ich fröstelte, wenn der Wind über meinen Körper strich, der wieder von Joshs Sachen bedeckt war.

Langsam stemmte ich mich hoch, den Schmerz, der durch meinen Körper fuhr, ignorierte ich einfach so weit es ging.

Nach ein paar unbeholfenen Schritten wurde es auch schon besser und meine kalten Glieder begannen langsam wieder, mit einem widerlichen Prickeln aufzutauen.

Ich machte eine kurze Kontrolle.

Bis auf eine Schramme im Gesicht, leicht blutender Hüfte, einer kleinen Platzwunde und einer dicken, pochenden Beule am Hinterkopf (und gewisse Schmerzen am Hintern), schien soweit alles mit mir in Ordnung zu sein.

Natürlich abgesehen von der Tatsache, dass ich irgendwo, an einem völlig unbekannten Ort, allein auf einer, wohl etwas abgelegeneren Straße stand, nichts sehen konnte und meine Sascha noch immer weg war.

Mit leicht ausgestreckten Armen machte ich einige vorsichtige Schritte, bis meine Finger auf glatten Stein stießen.

Ich ließ meine Fingerspitzen sanft darüber gleiten und bemerkte schnell, dass ich an einer Ecke eines Backsteinhauses stehen musste... oder wenn ich Pech hatte auch nur eine Mauer...

Langsam wanderte ich an der Wand entlang und fand auch schnell eine Tür und eine Klingel, die ich nach kurzem Zögern auch drückte.

Einige Sekunden schrie ein kleines Kind los, dann waren schwere, polternde Schritte zu hören, die sich mit dem Kind der Tür näherten, während zwei Menschen, wahrscheinlich ein Mann und eine Frau, versuchten über das Gebrüll des Babies hinweg miteinander zu reden.

Die Tür unter meinen Fingern gab nach.

„Was ist??“, fragte die verschlafene Stimme einer Frau recht aufgebracht.

„Ich... i..“ ich stammelte etwas hilflos vor mich hin, bis ich es schaffte, nach vielen Entschuldigungen die Frau wegen meiner eigentlichen Bitte anzusprechen.

„Ich weiß nicht wo ich bin... Ich wollte fragen, ob sie mir vielleicht ein Taxi rufen könnten... Ich...“

Etwas klimperte... Geld?

Eine männliche Stimme mischte sich ein: „Da hast du etwas Kleingeld. Geh doch am Besten in die Telefonzelle da drüben und ruf von dort an. Die Nummer des nächsten Taxistandes klebt drin. Da müssen wir die nicht erst umständlich suchen. Ich weiß ja nicht, von welcher Party du grad kommst und was es da so an Getränken gab, aber Emily und ich müssen um halb sieben wieder aufstehen und arbeiten gehen!“

Ich druckste ein wenig herum, sah aber ein, dass ich wohl jemand anderen um Hilfe bitten musste. Mit einem gemurmelten „Danke“ streckte ich die Hand aus und ließ mir ein paar Münzen geben, drehte mich um und machte mich mit kleinen, vorsichtigen Schritten auf die Suche nach der Zelle.

Als ich unter meinen nackten Füßen wieder feuchten Rasen spürte, legte sich mir von hinten eine Hand auf die Schulter.

„Sag mal, wie viel hast du denn getrunken?? Die Zelle ist doch nur zehn Schritte von dir entfernt!!“ Emily musste mich also weiter beobachtet haben.

„Links? Rechts? Gerade aus?“, fragte ich leise.

„Lin..- Warte mal! Sieh mir mal bitte in die Augen!“ Ich erhob meinen Blick dorthin, wo ich eben ihre Stimme gehört hatte und versuchte mir auszurechnen, wo dann ihre Augen liegen müssten...

„Wieso hast du nicht gesagt, dass du blind bist??“, fragte ihre Stimme hinter meinem Rücken hervor.

Wie hatte sie es nur geschafft, sich so leise um mich herum zu schleichen? Irgendwie war ich immer noch etwas angeschlagen. Ich schaffte es nicht mich länger auf einen Gedanken zu konzentrieren und alles verschwand gleich wieder hinter diesem geistigen Nebel...

Aber ehe ich auf ihre Frage antworten konnte, hatte sie mir einen Arm um die Schulter gelegt und zog mich wieder auf den Asphalt, über die Straße (wobei ich fast über den unerwartet auftauchenden Bordstein gefallen wäre, hätte sie mich nicht festgehalten,. Naja, der angeschlagene Zeh tat trotzdem weh!) zurück bis zu ihrem Haus.

Ein unangenehmes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit und schrie mir zu, dass ich sie doch überreden sollte, mich einfach nur zur Telefonzelle zu bringen. Die fremden Berührungen waren einfach zu unangenehm und riefen die noch halb im Nebel liegenden Erinnerungen an die Ereignisse der letzten Stunden wach.

Allerdings war mein gesamter Protest völlig uninteressant für sie und wenig später saß ich neben ihrem Mann im Auto, der sofort nach meiner Adresse fragte.

Auf der Fahrt, die erschreckend lange dauerte, stellte Konrad, wie sich der Mann vorgestellt hatte, noch viele weitere Fragen.

Aber nachdem er wohl gemerkt hatte, dass ich nicht über die jüngsten Ereignisse sprechen wollte, wollte er wissen, wie ich denn so lebte, allein und ohne Licht.

Ich war so unglaublich erleichtert, als ich endlich unten in den Hausflur trat, den ich anhand des Geruches sofort als den Richtigen erkannte, mich vielmals bei Konrad bedankte und entschuldigte und dann aufatmend die Tür hinter mir zufallen hörte.

Nicht dass Konrad nicht nett gewesen wäre... im Gegenteil! Ihm schien es sehr unangenehm zu sein, dass er mich zuerst für einen besoffenen Teenager gehalten hatte und nahm mir auch die wirklich späte (oder eher frühe) Störung überhaupt nicht mehr übel...

Todmüde und erschöpft von der langen Nacht schleppte ich mich die Treppe nach oben, am Geländer entlang, in Gedanken noch immer bei Sascha.

Hoffentlich würde sie wirklich nach Hause finden!

Ich griff in meine Tasche, um den Schlüssel auszupacken und mich endlich in mein Bett fallen zu lassen.

Doch der war weg!

Ich erschrak fast zu Tode. Natürlich war meine erste Befürchtung, dass dieser widerliche Kerl, der... naja, jedenfalls, dass der mir den Schlüssel geklaut haben könnte, kam aber recht bald darauf, als ich den gesamten letzten Tag noch mal Revue passieren ließ, dass der Schlüssel wohl noch in meiner Hosentasche sein musste. Und die dazugehörige Hose lag noch immer in Joshs Wohnung.

Allerdings würde das heißen, dass ich unbedingt zu Josh zurück musste... denn in der Hose befand sich nicht nur mein Schlüssel, sondern auch mein Ausweis und mein derzeitig gesamtes Barvermögen (10 Euro). Aber ich konnte doch nicht einfach so wieder auftauchen (FALLS ich es überhaupt wiederfinden würde)... zudem ging Sascha im Moment vor. Sie musste ich morgen als erstes finden, sollte sie nicht von selbst zurück kommen!

Ich klingelte meine alte Nachbarin wach, die für solche Fälle immer einen Ersatzschlüssel hatte und mir auch gleich freundlich versicherte, sie hätte gar nicht mehr geschlafen und ich sähe absolut zum fürchten aus, wo ich denn gewesen wäre, wo Sascha sich rumtrieb und was mir denn passiert wäre und...

Mit einem letzten breiten Lächeln wünschte ich ihr eine gute Nacht, einen guten Morgen, schloss die Tür so höflich wie möglich, obwohl mir mehr nach zuschmeißen gewesen war und ließ mich in der Stille meiner Wohnung am glatten Holz hinabgleiten.

Diese Ruhe, auf die ich die letzten Stunden immer gewartet hatte, hallte jetzt in meinen Ohren. Erschöpft sank ich, von Weinkrämpfen geschüttelt, zur Seite, kuschelte mich schutzsuchend an das Holz der Tür und schlief sofort ein. Dieser Tag war einfach zu viel für mich gewesen.

Ich achtete nicht mal darauf, dass ich noch immer klatschnass und durchgefroren war...

Die Klingel weckte mich mit lautem, ohrenbetäubenden Schrillen, doch ich kroch lediglich ein paar Meter von der Tür weg, um dem zu entgehen.

Einen Moment versuchte ich die Wochentage nachzuzählen, ob vielleicht schon wieder 14 Tage um waren?

Denn alle 14 Tage kam Schwester Anika vom Rehazentrum, um zu sehen, ob ich bereits im Chaos versank.

Es schien sie zu stören, dass ich weder einen extra geschulten Blindenhund akzeptieren wollte, noch zu den Kursen in ihr Zentrum kam und hatte mir nach langem Kämpfen diese letzte Möglichkeit angeboten.

Am Anfang war sie täglich gekommen, hatte sich eine Weile in meine himmelblaue Küche gesetzt, die Nicholas mir aussuchen geholfen hatte, obwohl wir nicht zusammen lebten, und hatte schweigend zugesehen, wie ich mir etwas zu Essen machte oder verschiedene andere Dinge wie Geschirr aufspülen, Aufräumen oder Wäsche waschen erledigte.

Sogar zum Einkaufen hatte sie mich schweigend begleitet.

Die Küche hatten wir eigentlich durch Zufall in einem kleinen, kurz vor dem Bankrott stehenden Küche&Bad-Laden gefunden.

Ich hatte ewig gezögert, weil dieses farbenfrohe, hellblau-weiße Möbelstück überhaupt nicht zum Rest des Hauses oder auch nur zum Rest der Küchenmöbel passte.

Allerdings hatte Nicho so lange gebettelt, bis ich ihm nicht mehr widerstehen konnte und zugestimmt hatte.

Danach war er drei Tage lang überhaupt nicht mehr in seine Studentenwohnung zurückgekehrt.

Stundenlang hatten wir in meiner Küche gestanden und mit Schwämmen, Pinseln, Malerrollen und extra zusammen gemischten Farben den Himmel in den Raum gezaubert (auch die eigentlich farblich nun passende Küchenzeile bekam noch einige Wattewölkchen verpasst!).

Irgendwann hatte ich den Fehler gemacht, mitten auf dem Küchentisch zusammengerollt einzuschlafen.

Ein leises Kichern an meinem Ohr hatte mich am nächsten Morgen geweckt und als ich es geschafft hatte, ein Auge aufzumachen, hockte vor mir ein todmüder, aber breit grinsender und offensichtlich zufriedener Nicholas.

In dem Moment, als ich das Flackern in seinen Augen bemerkte, machte ich mich auf das Schlimmste gefasst.

Er umarmte mich, zog meine Beine um seine Hüfte und drehte sich mit mir im Arm um.

Nicholas hatte die Zeit genutzt, um einen nackten Jüngling mit weißen Flügeln auf die Wand über einen Schrank zu malen. Das Bild war so über das Möbelstück fortgesetzt, dass es aussah, als würde der Kleine mit den Beinen über der Schrankkante baumeln.

Naja... meine Reaktion war zuerst ein Schreikrampf gewesen, der sehr schnell in eine Reihe von Lachanfällen umschlug, als mir auffiel, dass der Engel nicht nur meine Figur (auf die ich übrigens besonders stolz war) hatte, sondern auch mein Gesicht trug. Und nicht nur das Gesicht war perfekt ausgearbeitet und auf den ersten Blick erkennbar... ähm... naja, in Aktmalerei war Nicho einfach unschlagbar!

So in Gedanken versunken rappelte ich mich auf und ging, das Klingeln einfach weiterhin ignorierend, in die Küche.

Dort ließ ich mich auf meinen Lieblingsstuhl, direkt gegenüber dem Küchenschrank mit dem Engel und weinte. Mal wieder... wieso konnte ich mir das denn nicht endlich abgewöhnen? Aber für wen auch? Hier gab es keinen, den es stören konnte.

Das lästige Klingeln hatte inzwischen aufgehört und kurz darauf klirrte ein Schlüssel im Schloss.

Ich kam Anika nicht entgegen und rührte mich auch nicht, als nach einigem durch die Wohnung laufen ihre Schritte auf der leicht knarzenden Türschwelle zur Küche erklangen. Wozu auch?

Die Strafpredigt wegen meines Zustandes würde eh früh genug kommen.

Die Schritte stockten einen Moment und kamen dann sehr schnell näher.

Mit lautem Scheppern fiel erst der Schlüssel und dann etwas Weiches auf das Holz des blau lasierten Tisches und eine Hand umschloss mein Kinn, um es höher zu drücken.

Ich entzog mich dem Griff und drehte den Kopf zur Seite.

Das waren nicht Schwester Anikas Hände!

Der süße Duft von „Mango-Brombeer-Nochwas“-Shampoo erfüllte die Küche. Leise knarrend scharrte neben mir ein Stuhl über den Holzboden und ich spürte dieses unangenehme Kribbeln des Angestarrt-werdens auf der Haut.

„Warum hast du nicht aufgemacht?“ wollte Josh leise wissen.

Ich zuckte die Achseln und schwieg weiter beharrlich die Tischplatte an. Ich hatte irgendwie nicht die geringste Lust ihm zu erklären, dass der einzige Besuch, den ich bekam, eine Krankenschwester war, die ich zudem nicht leiden konnte.

Er seufzte leise. Seine Hose, wohl eine sehr dicke... vielleicht Jeans?... raschelte. Er stand wohl auf.

„Wo hast du deinen Sanikasten?“, fragte er, während das Klappern der Schranktüren ertönte.

Den Erste-Hilfe-Kasten hatten wir tatsächlich in der Küche untergebracht, da ich sehr ungeschickt war und mich beim Kochen ständig verletzt hatte (auch vor meinem Unfall!).

„Hast du dich geschnitten?“, fragte ich einfach nur abweisend zurück und zeigte in eine Richtung, rechts neben dem großen Schrank mit dem Engel.

„Da drüben, die rosa Wolke!“

Josh machte einige Schritte in die Richtung, blieb dann aber wieder stehen, obwohl er die Stelle noch gar nicht erreicht haben konnte.

„Woher weißt du, dass das Ding rosa ist?“, fragte er überrascht. Dann, nach ein paar Sekunden des Schweigens beantwortete er sich diese doofe Frage gleich selbst und fügte noch ein

„Stimmt, ich hatte gerade vergessen, dass du nicht blind geboren wurdest... Tut mir Leid!“ hinzu.

Die Tür des Schränkchens quietschte leise und Josh wühlte wohl darin herum, während er ein paar Dinge vor sich hin murmelte, die wohl aufgefüllt werden müssten.

Schließlich schien er mit seiner Inspektion fertig geworden zu sein, denn er schlug das Schränkchen wieder zu und kam zu mir zurück. Kurz drehte er noch den uralt-antiken, quietschenden Wasserhahn auf.

Ich zuckte zusammen, als mir seine nasse Hand sanft übers Gesicht strich, kurz wieder verschwand und noch nasser zurück kehrte. Diesen Vorgang wiederholte er einige Male, ehe er den Hahn zudrehte und mit irgendwas, wahrscheinlich einem Stück Küchenrolle, die Nässe wieder vorsichtig wegtupfte und mit einem feuchten Wattebausch erneut darüber fuhr.

Einen Moment wunderte ich mich über den Sinn dieser Tätigkeit, da gar nichts geschah... dann schoss ein brennender Schmerz durch meine Wange.

Das riss mich aus meiner Starre. Mit aller Kraft stieß ich ihn von mir weg, rannte den Weg, der mir inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen war, aus der Küche, wobei ich nur einmal mit dem Ellenbogen anstieß, und stolperte in mein Schlafzimmer, wo ich mich keuchend und mit rasendem Herzen gegen die Tür lehnte.

Ich hörte Josh meinen Namen rufen.

Er versuchte zwar die Tür zu öffnen, gab aber sofort auf, als er merkte, dass sie blockiert wurde.

„Finn! Es tut mir Leid! Komm bitte da raus!“, bettelte er durch das Holz der Tür.

„Nein! Du tust mir weh!“, erwiderte ich leise und hätte mich am Liebsten selbst getreten. Ich hörte mich wie ein kleines Kind an!

Als Josh weiter redete klang seine Stimme viel näher, als hätte er sich hingehockt und würde nun direkt an meinem Ohr sprechen.

„Ich weiß! Es tut mir wirklich leid aber die Schürfung sah ziemlich dreckig aus. Die muss gereinigt und desinfiziert werden... Und ich... ich finde die Stelle wahrscheinlich viel besser als du und sehe, ob noch was drin ist.“

Eine Weile schwiegen wir beide, bis die leicht blechern klingende Stimme meines Weckers, noch in gemilderter „Nachtlautstärke“ verkündete „Neun Uhr!“

Leise seufzend kroch ich auf Händen und Knien von der Tür weg und lehnte mich gegen einen Pfosten des Hochbettes.

„Zum Himmel gehört auch die Hölle!“, hatte Nicholas damals laut und bestimmend verkündet, nachdem wir die Küche fertig hatten.

Mein silbernes Metall-Doppelbett-Gestell (in dem allerdings auch vier Leute noch bequem Platz gefunden hätten), hatte er, als ich einmal zum Geburtstag einer Tante gemusst hatte, schwarz angestrichen, genau wie den Rest der Möbel und hatte es auf Stelzen gestellt, so dass darunter noch ein knallrotes Sofa Platz gefunden hatte, dass wir zusätzlich noch mit Dekokissen in anderen Rotschattierungen verziert hatten, so dass es mit der ebenfalls unregelmäßig rot gestrichenen Wand harmonisierte.

Zum Glück hatten wir auf kitschige Flammenmalerei an der Wand verzichtet. Nur einige, ein wenig flammenähnliche, hellere Rot- und Orange-Töne schlängelten sich um den Türrahmen.

Auch da hatte er es sich nicht verkneifen können: ein Akt von mir, mit kleinen Hörnern und frechem Grinsen hockte über dem Türrahmen und bewachte alles, was in diesem Raum so vor sich ging und jeden, der es wagte, mein, noch mit einigen schwarzen und roten überall im Raum verteilten Kissen verziertes Reich zu betreten.

Ich hatte diese Bilder immer geliebt.

Wenn ich traurig war und Trost suchte saß ich immer in der Küche, war ich wütend oder einfach nur zu Scherzen aufgelegt verkrümelte ich mich auf mein Hochbett und schmiedete mit dem kleinen Dämon Pläne. Und obwohl ich die Beiden nicht mehr sehen konnte, wusste ich noch bis ins kleinste Detail wie die Beiden ausgesehen hatte und suchte noch immer ihren Schutz und Unterstützung, setzte mich gegenüber, den Kopf erhoben, als würde ich sie ansehen.

Ich fand es lustig, dass ich, wenn ich versuchte mich an mein eigenes Aussehen zu erinnern, ich immer an diese Bilder dachte. Mein Spiegelbild war mir längst entglitten.

Die Tür öffnete sich leise und zaghafte Schritte näherten sich.

„Hast du die Räume so angemalt?“, fragte er bewundernd.

Ich nickte und schüttelte sofort wieder heftig den Kopf. Ich hatte keine Lust das näher zu erläutern.

Ein kurzes Schweigen trat ein. Leises Stoffrascheln, ein leichter Luftzug... Josh hatte sich neben mich gesetzt.

Ich zuckte wieder leicht zusammen, als seine Finger sanft über meine Wange strichen und er, unter einem Schwall von Erzählungen, wieder mit dem Wattebausch über mein Gesicht fuhr.

Er hatte mein Freigeben der Tür offenbar als Aufforderung oder zumindest Zustimmung verstanden.

Er berichtete mir, dass er Medizin studierte und nebenbei in einem Buchladen als Aushilfe arbeitete, vor kurzem ein Praktikum als Pfleger in einem Krankenhaus gemacht hatte, wie viele Verwandte er hatte und wie sie alle hießen, was sie machten, wie alt sie waren...

Ich hörte eigentlich nicht richtig zu, aber immer wieder schoss mir die Frage durch den Kopf, wieso er eigentlich noch nicht am Sauerstoffmangel gestorben war... naja. Vielleicht hatte er ja Kiemen oder ganz besonders große Poren oder irgendwas.

Als er fertig war, zog er mich auf die Füße, legte einen Arm um meine Schultern und zog mich aus dem Schlafzimmer zurück in die Küche.

Dort bat er mich, mich zu setzen, drehte den Wasserhahn auf, klapperte mit meinem guten alten Wasserkessel auf meinem Gasherd herum und ließ sich dann lautstark mir gegenüber auf einen Stuhl fallen.

Ich benutzte immer den Gasherd und wollte auch keinen anderen. Zwar wurden mir die Risiken eines solchen bereits detailreich auseinander genommen aber nachdem ich mir im Rehazentrum an einem noch heißen Cerankochfeld die ganze Hand verbrannt hatte, weil diese zwar ausgeschaltet aber noch immer sehr heiß gewesen war, beschloss ich, an meinem Herd nichts zu ändern. Lieber einmal in die Luft fliegen oder vergast werden, als sich ständig zu verbrennen!

... wieder trat dieses unangenehm drückende Schweigen ein, doch ich ignorierte es gekonnt und hob den Kopf, wie um den Engel anzusehen.

Das Brodeln des kochenden Wassers unterbrach schließlich die Anspannung und Josh schob seinen Stuhl knarrend über das Parkett zurück.

„Wo hast du Kaffee?“, fragte er. Schnell stand ich auf, tastete kurz nach dem dritten Fach von links, im „schwebenden“ Teil der Küchenzeile und zog sofort, mit geübtem Griff, die kühle Metallbüchse und die Kaffeekanne heraus, in die ich auch gleich das Pulver einfüllte, um die Dose wieder an genau den selben Platz wie vorher zu stellen, damit ich sie beim nächsten Mal wieder finden würde, ohne alles Andere aus dem Regal zu schubsen.

Während ich den Kaffee mit dem noch immer sprudelnd kochendem Wasser aufgoss, deutete ich mit dem Ellenbogen auf einen Schrank, der sich seitlich neben meinem Kopf befinden musste.

„Da sind Tassen drin!“. Ich brauchte beide Hände um den Kaffee einzufüllen, da ich ja immer mit einer Hand prüfen musste, wie viel Wasser schon drin war. Aber bei den guten Glaskaffeekannen spürte man das zum Glück auch, wenn man die Hand einfach außen anlegte, auf die entsprechende Mengenangabe, die ja durch den billigen Aufdruck leicht hervorstand und aufhörte zu gießen, sobald es zu heiß an den Fingern wurde.

Josh trat hinter mich, doch anstatt die Tassen aus dem Schrank zu holen strichen seine Finger über meinen Hinterkopf, fuhren durch meine Haare, bis er in einer verkrusteten Stelle hängen blieb.

Wahrscheinlich Blut.

Ich schlug seine Hand weg, nahm nun selbst zwei Tassen aus dem Schrank und stellte diese zusammen mit dem Kaffee auf den Tisch.

„Milch und Zucker stehen im Kühlschrank!“.

Schnell prüfte ich nach, wo genau meine Tasse nun stand und goss mir selber Kaffee ein.

Im Grunde war das recht unhöflich, aber ich bezweifelte irgendwie, dass Josh es so toll finden würde, wenn ich mit meinen Fingern IN der Tasse prüfte, wie viel schon drin war. (Die Tassen waren zu dick, um das von außen rechtzeitig zu spüren)

„Wie viel Zucker willst du?“, fragte mich Josh, doch anstatt zu Antworten schob ich meine Hand über den Tisch, bis ich leicht an die Milchkanne und die Zuckerdose stieß und schob ihm stattdessen die Kaffeekanne hin.

Als es nun nichts mehr zu tun gab und wir uns einfach nur schweigend gegenüber saßen, kam natürlich die unausweichliche Frage, was nun mit mir passiert war:

„Kannst du mir jetzt vielleicht erklären, wieso dein Hund um fünf Uhr am Morgen bei mir auftaucht, mit meinem völlig verdreckten Sweatshirt im Maul und vor meinem Fenster jault, bis ich ihn rein lasse?

Und als ich mich dann endlich aufgerafft habe und zu ihm runter gegangen bin, hat sie mich ewig durch verschiedene Straßen gezerrt, bis sie vor einem Haus stehen geblieben ist.

Ich hatte echt Angst, sie frisst mich, wenn ich nicht sofort alle Bewohner wach klingle.

Aber da kannte dich auch keiner und den Hund schien auch noch niemand gesehen zu haben.

Wo warst du? Und überhaupt: wieso war Sascha nicht an ihrer Leine? Woher die Blutflecken auf dem Pulli kommen hab ich ja jetzt gesehen.“

Er war offensichtlich fertig und wartete auf eine sinnvolle Antwort. Ich klammerte meinen Blick an meinem Engel fest.

„Ich wollte mich einfach nur ausruhen, weil ich mich verlaufen hatte und nicht wusste, wie weit es noch bis zu mir nach Hause ist und hab Sascha irgendwo in einem kleinen Park oder etwas ähnlichem von der Leine gelassen, weil sie schon den ganzen Tag mit mir ruhig rumsitzen musste.“

Ich machte eine kurze Pause und trank meinen Kaffee in einem Zug aus.

Seit ich gestern im Regen auf der Straße aufgewacht war, wartete ich nun darauf, dass sich Wut, oder wenigstens Ekel über das, was danach passiert war einstellte, aber genauso, wie meine Erinnerungen daran nur sehr verschleiert waren, war es auch von den Gefühlen her, eher ein schwarzes Loch.

„Als ich dann weiter wollte und nach Sascha gerufen habe ist sie nicht zurückgekommen... Und dann hab ich halt an diesem Haus geklingelt und wurde von einem Mann namens Konrad heimgefahren.“

Ich stand auf und trat ans Fenster. Obwohl ich den Regen draußen hören konnte öffnete ich beide Fensterflügel weit und beugte mich hinaus. Das Wasser war angenehm kühl auf meiner heißen Haut, wie es in kleinen Bächen meinen noch immer nackten Oberkörper hinab rann und im Bund meiner Hose versickerte.

„Wo ist Sascha? Wenn du sie hast, wieso hast du sie dann nicht mitgebracht?“

„Hm... zu Hause.“, murmelte Josh nur. Ich richtete mich auf, drehte mich um und „starrte“ ihn an.

„Du gehst jetzt Sascha holen! Derweil wasche ich deine Sachen und dann können wir die Sache beenden. Oder soll das hier eine Lösegeldforderung werden? Wenn, dann klappt das nicht! Alles Geld, das ich derzeit besitze hast du!“

Ich ging bis zum Tisch zurück und stützte mich auf. Da ich nicht besonders lange geschlafen hatte war ich todmüde und wollte mich einfach nur noch in mein Bett verkriechen, Sascha in ihrem Korb neben mir und alles vergessen, was seit Gestern passiert war.

„Bitte keine Widersprüche jetzt!“, unterbrach ich Josh, der schon tief Luft geholt hatte.

„Welche Farbe haben diese Sachen?“

„Weiß.“, kam die irgendwie niedergeschlagene Antwort.

/Scheiße!/ war das einzige passende, wenn auch unschöne Wort, das mir spontan einfiel. Meine Hand tastete nach dem „weichen“, das vorhin auf den Tisch gefallen war.

„Ist das alles weiß?“, fragte ich, als ich den Stapel aufhob.

Josh Zog ein paar Sachen aus dem Stapel und seufzte ein leises „Jetzt ja. Die Hose, die du trägst auch, die Shorts sind dunkelrot. Aber die kannst du behalten. Die sind mir eh zu klein!

Der Rest ist dein eigenes Zeug. Links von dir der rote Pulli und genau vor dir die tannengrüne Cordhose.“

/TANNENGRÜNER Cord??? zu einem roten Pullover??/ erschrocken tastete ich danach.

Josh lachte leise.

„Wenn du möchtest sortier ich nachher mit dir mal deine Sachen durch... vielleicht sollten wir mal ein paar zusammenpassende Outfits zueinander legen!“

Er fragte mich noch, wo ich meine Dreckwäsche stapelte und sortierte aus dem Korb in meiner Abstellkammer noch ein paar andere Sachen heraus, die er mir mit auf die Arme stapelte.

Ich wartete, bis er meine Wohnung verlassen hatte. Dann riss ich mir die Sachen, die ich noch trug, vom Leib, schmiss sie ins Waschbecken und versuchte das Blut so weit es ging mit kaltem Wasser auszuspülen.

Als der Blutgeruch immer mehr abnahm und ich glaubte, das Gröbste raus zu haben, setzte ich die Waschmaschine an und ließ mir erst mal ein Bad ein.

Ich musste in der Badewanne eingeschlafen sein, denn das nächste, das ich wieder mitbekam war eine wild bellende Sascha, die auf meinem Bauch im inzwischen ausgekühlten Badewasser stand und mir über das Gesicht leckte.

Glücklich lächelnd schlang ich meine Arme um ihre Schultern und drückte sie an mich.

Nachdem wir beide die Euphorie des ersten Wiedersehens überwunden hatten, schnüffelte sie skeptisch an meinen Haaren. Ich schob sie ein Stück weg und kniete mich aufrecht hin.

„Du müffelst aber auch ganz schön, Süße!“

Ich griff nach meinem Shampooregal, nahm eine Flasche herunter, roch daran und nahm mir eine andere.

Zuerst wurde Saschas Fell eingeseift, dann erst meine Haare und zum Schluss der Rest meines Körpers.

Sascha wurde wieder als erstes geduscht, da ihr Schwanz schon ungeduldig auf das Wasser peitschte und alles umher nass spritzte.

Als sie mir noch einmal quer über das Gesicht leckte strahlte ich sie wieder überglücklich an, spülte mich selber schnell ab und kletterte aus der Wanne, um Sascha so schnell wie möglich trocken zu rubbeln, damit sie nicht wieder die ganze Wohnung durchtränkte.

Sascha sprang laut bellend aus dem Raum.

Hinter mir ertönte eine blecherne Melodie. Ich zuckte zusammen, machte mir allerdings nicht die Mühe, mich umzudrehen.

„Wie lange sitzt du da schon?“, fragte ich ihn leise, stand so würdevoll wie möglich auf und tastete nach meinem Handtuch.

„Mit Sascha.“, erwiderte Josh nur kurz und beendete das Piepsen.

„Ja? Hallo Schatz! Nein. Nein, bin ich nicht. Ich hab da gestern jemanden kennen gelernt... Wie? Nein! Natürlich nicht! Was denkst du nur von mir?? Weiß nicht. Finn. Ja? In Ordnung... wenn’s sein muss. Tut mir Leid! OK. Ich liebe dich auch! Ciao!“... mit leisem Piepsen beendete er das Gespräch und sprach dann wieder direkt an mich gewandt:

„Tut mir Leid! Ich bin vorhin mit Sascha rein gekommen und hab mir irgendwie Sorgen gemacht, weil du so still in der Wanne lagst... Und vorhin das Blut an deinem Kopf... Außerdem warst du vorhin so komisch und hast gelogen!“

Überrascht drehte ich mich nun doch zu ihm (Ich hatte mich inzwischen fertig abgetrocknet und das Handtuch fest um meine Hüfte geschlungen.)

„Ja! Meinst du, ich hätte das nicht bemerkt? OK, in der einen Wohnung hat sich keiner gemeldet, aber wenn dich jemand nach Hause gefahren hätte, dann hätte dich in dem Haus doch jemand kennen müssen, oder? Und außerdem hat Sascha den Mann aus der zweiten Etage fast angefallen... und in der gegenüberliegenden Wohnung scheint nur eine Frau zu wohnen, die wohl einfach sehr tief schläft, wenn man den anderen Mietern glauben darf... und das DIE Konrad heißt, bezweifle ich... Außerdem weiß ich immer noch nicht, wieso du so dreckig und verletzt bist?“

Ich tappte, ohne zu antworten, zur Waschmaschine, die nicht mehr rappelte und holte die Sachen heraus.

„Wer hat eben angerufen?“, fragte ich ihn, während ich die Wäsche in den Trockner steckte. „Deine Freundin?“

„Ja! Sie hat gefragt, ob sie ihre Mädchenrunde nicht in meiner Wohnung abhalten kann, da ihre Eltern morgen sehr früh zu Besuch kommen und sie keine Lust hat, noch mal aufzuräumen... und wie könnte ich ihr widersprechen?“, fragte er lachend. „kann ich so lange bei dir bleiben? Wir können ja mal deine Klamotten durchgucken.

Tut mir leid, dass ich gestern so doof reagiert habe!“, begann er plötzlich ziemlich ernst zu werden.

„Aber ich werd selber, wegen meiner fröhlichen Art wahrscheinlich, für schwul gehalten, obwohl ich mit meiner Caroline sehr glücklich bin und hab auch schon mit Schwulen eher sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Ich wurde... sagen wir mal SEHR aufdringlich und blöd... angemacht. Nicht, dass ich dich jetzt mit denen in eine Schublade stecken will...“ Er schwieg.

Ich wollte eigentlich etwas sagen wie `kein Problem´ oder `macht doch nichts!´ aber es wäre eine Lüge gewesen, da mich das gestern dann doch ziemlich aus der Bahn geworfen hatte.

Mir fiel mal wieder auf, was für eine komische Art zu erzählen Josh hatte. Wenn er einmal anfing, hörte er nicht auf, bis er zu ersticken drohte. Ich glaube, wenn er gestern nicht so reagiert hätte, hätte ICH auch versucht, ihn anzubaggern. Er verbreitete einfach gute Laune, ob man nun wollte, oder nicht.

...Nicholas hatte mich auch immer liebevoll „Plappermaul“ genannt. Ob ich genauso schlimm gewesen war, wie Josh?

Aber wenn ihn das gestört hat, wieso hat er mich dann verlassen, als ich seinem „Wunsch“ nachkam und fast nur noch schwieg?

Das Wasser lief aus meinen Haaren in kitzelnden Rinnsalen über meinen Rücken, so dass ich wirklich streng an mich halten musste, um nicht über die kribbelnden Stellen zu reiben.

„Ich muss mir was zum Anziehen holen gehen!“, teilte ich Josh mit. „Und wenn dich meine Modecréationen nicht visuell beglücken, solltest du mir vielleicht bei der Auswahl helfen, wenn du nun länger gezwungen bist hier zu bleiben.“

Josh lachte. „Du kannst ja doch witzig sein, wenn du willst!“, verkündete er, griff mein Handgelenk und zog mich mit sich aus dem Bad.

Kurz darauf spürte ich den weichen Teppich unter meinen Füßen, der mich beim Verlegen so viel Schweiß, Blut und Tränen gekostet hatte (auf den Blutfleck hatte ich meinen Schreibtisch gestellt.). Das Klappern meiner Schranktür und das Rascheln von Stoff zeigten mir, dass Josh schon begonnen hatte, eifrig in meinen Sachen zu wühlen.

Kurze Zeit (die ich etwas hilflos herum stand und tatenlos Löcher in die Luft... lauschte?, während das Stoffrascheln in meinem Schrank immer lauter wurde) später legte Josh mir eine Hand auf die Schulter.

„Wieso trägst du eigentlich diesen Fummel, mit dem sich nicht mal ein Hippie mehr auf die Straße trauen würde, wenn du SOWAS im Schrank hast??“, fragte er mich recht aufgeregt.

Verwirrt streckte ich die Hand aus und spürte weichen, seidigen Stoff zwischen meinen Fingern hindurch gleiten. Ich wertete dies einfach als stumme Aufforderung, sortierte die Sachen schnell nach ihrem Zweck und fand meinen Verdacht bestätigt, dass es sich hierbei um ein komplettes Outfit, inklusive Unterwäsche und Socken handelte.

Ich stieg in die eng anliegenden Shorts (was auch endlich die Peinlichkeit, nackt vor meinem Gast zu stehen, endlich beendete) und trocknete dann die letzten Wasserreste, die aus meinen Haaren gelaufen und sich über meinem Rücken und Brust verteilt hatten ab, um mich dann in Ruhe anzuziehen, ohne gleich wieder durchweicht zu sein.

Josh lamentierte im Hintergrund gerade lautstark herum, dass das, was ich gestern auf dem Campus getragen hatte, ja wohl mit Abstand das hässlichste gewesen wäre, was mein Schrank hergab.

„Wie hättest du SO vor deinen Freund treten und eure Beziehung retten wollen?“

Mit einem Ruck drehte ich mich um und wollte zum Fenster gehen, um Josh so zu zeigen, dass ich gerade nicht über das Thema Nicho sprechen wollte, als ich über unerwartet auf dem Boden verteilte Stoffbündel stolperte und fiel. Aus einem alten Reflex heraus kniff ich die Augen zusammen, warf die Arme schützend vor mein Gesicht... aber ich erreichte den Boden nicht.

Überrascht spürte ich, wie sich ein paar Arme fest um meinen Körper schlangen und mir Halt gaben.

Erschrocken stieß ich ihn von mir.

Diese eigentlich sanfte, beschützende Geste trat irgendetwas in mir los. Der Schleier zerriss, die Erinnerungen an die Gefühle der letzten Nacht stürzten auf mich ein. Kurz ballte ich meine Hände zu Fäusten, grub meine Fingernägel tief in meinen Handballen und wartete, bis das Zittern nachließ.

Zum Glück dachte Josh wohl, das wäre einfach nur der Schock gewesen und stellte keine blöden Fragen.

Schnell richtete ich mich richtig auf, trat, nun vorsichtiger, ans Fenster und lehnte meine Stirn an die kühle Scheibe... und im gleichen Maße, wie die Kälte meine Haut durchdrang, verlor die vergangene Nacht ihren Schrecken und wich einfach Gleichgültigkeit.

„Bei den hässlichen, alten Sachen macht es nichts, wenn ich sie trage... ob sie schmutzig werden, verwaschen oder verfärben... das ist egal. Für wen soll ich mich denn noch herausputzen?

Für den Engel und den Dämon? Für mich??

Ich sehe es nicht... und bei dem andern Zeug würde ich mir nur sorgen machen, ob ich es nicht schmutzig oder kaputt mache. Ich kaufe mir vielleicht ein Aldi-T-Shirt pro Halbjahr...“

Nachdenklich strich ich mit einer Hand über meine Seiten.

Irgendwie fühlte es sich schon toll an, wieder diesen engen, weichen Stoff an meinem Körper zu spüren.

Wenn ich die Lage der Nähte richtig einschätzte, musste das hier der schwarze, ärmellose Rolli mit dem transparenten, seidenen Rücken sein... Ich hatte viel Sport getrieben in den letzten beiden Jahren. Hauptsächlich nur, um die mich langsam erschlagende Zeit und Einsamkeit zu überbrücken aber trotzdem hatte ich das Gefühl, meinen Körper auch durchaus gut geformt zu haben. Ich hatte mich nie so wohl gefühlt... Und ich hatte mich viel zu lange schon vor der Welt (und den Männern) versteckt. The Show must go on!

„Ich will heute Abend ausgehen!“, teilte ich Josh mit. „kannst du mir nachher vielleicht helfen? Beim Outfit, frisieren, schminken... und so... Ich würde mich natürlich freuen, wenn ich nicht alleine gehen müsste. Auch weil ich dann Sascha dabei hätte und die Rauch nicht leiden kann... Naja, ich eigentlich auch nicht, aber ihre Nase ist auch viel feiner als meine und so...

Naja... wenn du keine Lust hast in eine Schwulen-Bar zu gehen kann ich das natürlich auch verstehen… aber…“ Irgendwie klang das jetzt ziemlich wild durcheinander gestottert, aber ich hoffte, dass Josh schon verstehen würde, wie es gemeint gewesen war.

Ich wollte die eklige Erfahrung von gestern einfach so schnell wie möglich wieder verdrängen. Und die beste Möglichkeit dafür schien mir momentan ein One Night Stand zu sein... einfach jemanden zu finden, der für diese eine Nacht mit meiner Behinderung klar kam. Ich wollte wieder anfangen zu leben.

Eigentlich fand ich es fast schon erschreckend, wie kalt ich den größten Teil der Zeit mit der Erfahrung einer Vergewaltigung umging... aber was sollte das Geschrei auch. Ich war am Leben, nicht schlimm verletzt und außerdem keine Frau, für die das Folgen haben konnte... und schon gar kein Kind mehr. Wahrscheinlich würden sich die anderen viel eher wundern, wenn ich jetzt weiter hysterisch geheult hätte... Der Schock war verflogen.

Ohne dass ich selbst den Gedankengang verschwand, drängte sich die Frage in mein Bewusstsein, was ich nun in meiner Zukunft machen sollte... Dass ich meinen Job als Friseur aufgeben musste, war klar... Aber es gab ja noch mehr Möglichkeiten.

Für Behinderte nicht viele, aber es gab sie.

Back to life!!

Nachwort

So... vielen Dank, dass ihr bis hierher gekommen seid (und ich hoffe, dass ihr auch nach diesem Teil noch weiter lesen werdet ;) )! Ich hoffe, für alle, die gefragt haben, ist nun klar geworden, in welchem Zusammenhang der Titel zur Story steht ^^ Ich hoffe natürlich auf viele Tipps, Ratschläge und konstruktive Kritik. Bitte seid dabei nicht ZU hart zu mir, da ich nie blind war und daher das alles nur aus meiner Vorstellung schreibe, wie ich glaube, dass es sein könnte. An dieser Stelle noch tausend Dank an alle, die mir zum letzten teil so viele, liebe Mails geschrieben haben!!! Seid alle geknuddelt XD Bis bald Scip

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