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Gideons Paukenschlag

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Er merkte, dass er langsam war. Die Zeiten, die ihm durchgegeben wurden, bestätigten nur sein Gefühl. Auch das Schießen klappte nicht. Zuviel war in seinem Kopf los. Er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste, aber wie? Die Saison war bald zu Ende, vielleicht würde er es dann schaffen.

Er war 28 Jahre alt, erfolgreicher Biathlet und eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere.

Schon als Kind stand er auf den Schiern und als er dann mit dem Biathlon anfing, wusste er, dass dies seine Sportart war.

Er schaffte es bis ganz nach oben. Seine WM-Erfolge waren die Höhepunkte.

Der Sport gab ihm aber auch die Möglichkeit, sich um so manche private Entscheidung zu drücken. Er merkte schon sehr früh, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte.

Doch wollte er sich nie eingestehen, dass er wirklich schwul war.

Natürlich gab es Männer in seinem Leben, aber das waren nur flüchtige Treffen, halt Ausrutscher. Dann lernte er Marie kennen. Die beiden verstanden sich perfekt. Sie war, wie er, ehrgeizig in ihrem Sport. Und auch sie versuchte, ihre Neigungen zu verdrängen. Jeder akzeptierte den anderen so wie er war und stellten keine Ansprüche an den jeweils anderen.

Sie wurden das Traumpaar des Biathlon.

Jahre lang klappte es wunderbar, doch dann brach das Kartenhaus zusammen.

Sven und Marie wollten heiraten. Der Termin stand fest. Mit dem Bau des Hauses sollte in Kürze begonnen werden. Doch dann verliebte sich Marie. Ihre Karriere als Biathletin war aus gesundheitlichen Gründen zu Ende. Der einzige Grund für diese Hochzeit war Gideon.

Doch sie sah ein, dass sie beide so nicht glücklich werden würden. Und so entschied sie sich für die Liebe und verließ Gideon.

Das war für Gideon, als ob man ihm den Boden unter den Füssen weggezogen hätte. Er hatte auch niemanden, an den er sich wenden konnte. Nie hatte er es zugelassen, eine richtige Beziehung aufzubauen. Er fiel in ein emotionales Loch.

Seine Leistungen ließen rapide nach. Sein Trainer versuchte herauszufinden, was los war, doch Gideon ließ niemanden an sich heran. Er baute ab, hatte keinen Hunger mehr und verlor extrem an Gewicht.

Dass er so nicht lange durchhalten konnte, war ihm wohl bewusst, doch einen

Ausweg sah er nicht.

Dann kam der Zusammenbruch.

Es war am Anfang des Sommertrainingslagers.

Beim Fahrradfahren hatte er einen Kreislaufkollaps. Er wurde bewusstlos und

fuhr eine Böschung hinunter. Er renkte sich die Schulter aus und zerrte sich massivst das Kreuzband. Man brachte ihn ins Krankenhaus. Da auch eine Gehirnerschütterung nicht ausgeschlossen werden konnte, behielt man ihn über die Nacht dort.

Auf einmal war er alleine mit seinen Gedanken. Er konnte sich nicht mehr von ihnen ablenken. In dieser Nacht bekam er keinen Schlaf. Die Gedanken rasten nur so dahin. Ihm wurde einiges klar, z.B., dass es für ihn auf Dauer nicht mehr möglich war, seine Neigungen zu verstecken. Doch wie sollte er das schaffen? Ihm gingen die Schimpfnamen durch den Kopf : Schwuchtel, Tunte,

Hinterlader usw.

Am Morgen wusste er gar nicht mehr, was er denken sollte. Aber er beschloss, sich Hilfe zu holen. Sein Trainer Frank holte ihn ab. Die beiden verstanden sich sehr gut. Und doch hatte Gideon Angst, sich ihm anzuvertrauen.

Als Gideon Frank erzählte, dass er sich einen Termin bei Dr. Brack dem Teampsychologen holen wollte, war dieser zutiefst erleichtert. Er machte sich wirklich schreckliche Sorgen um seinen Freund. Frank legte sich auch sehr ins Zeug, damit Gideon sehr schnell einen Termin bekam.

Zuerst nahm Dr. Brack die normale Krankheitsgeschichte bis hin zu Gideons Unfall auf. Auch fragte er ihn nach Schlafstörungen und seinem Appetit.

Dann wollte er wissen, warum Gideon bei ihm war.

Das brachte den Sportler sehr in Verlegenheit.

Der Arzt merkte sofort, dass Gideon starke Probleme bei der Beantwortung dieser Frage hatte. Also begann er sich vorsichtig an das eigentliche Problem heranzutasten.

Sie sprachen über den Sport und die Familie. Blieben aber noch bei den allgemeinen Sachen.

Als die Zeit vorüber war beschlossen sie, sich täglich wieder zu treffen.

Gideon ging sehr erleichtert aus der Sprechstunde. Er begann zu glauben, dass ihm der Psychologe helfen konnte.

Als er am nächsten Tag pünktlich erschien, war er fest entschlossen, zu sagen, wo sein wirkliches Problem lag.

Sie begrüßten sich und der Doc fragte ihn, wie es ihm nach der letzten Stunde ergangen sei. Gideon musste überrascht zu geben, dass es ihm sehr gut gegangen war. Er hatte zwar Probleme beim Einschlafen gehabt, aber dann tief und fest bis zum Morgen durch geschlafen.

Auf die Frage, warum er nicht einschlafen konnte, antwortete er, dass sich eine Menge Gedanken in seinem Kopf gedreht hatten und es mühevoll gewesen war, sie zum Stillstand zu bekommen.

»Was waren das für Gedanken?« hakte der Doktor nach.

»Viele verschiedene.«, kam die ausweichende Antwort.

Doch damit gab sich der Arzt nicht zu Frieden. »Gab es einen Hauptgedanken? Einen Gedanken, der am schwierigsten zur Ruhe zu bringen war?«

Gideon knete seine Hände. »Ja. ... Wie und wo ich anfangen soll!«

Auf einmal hatte er einen richtig Kloß im Hals.

»Womit? Womit wollen sie anfangen?«

»Die Wahrheit zu akzeptieren und endlich zu leben.«

»Was für eine Wahrheit?«

Gideon konnte seinem Gegenüber nicht ins Gesicht sehen.

»Was ich bin!«

»Was sind Sie?«, drängte Dr. Brack weiter.

Gideon schlug die Hände vor sein Gesicht und flüsterte »Schwul!«

Der Arzt war erschüttert.

Nicht darüber das sein Patient schwul war, sondern über die Qual, die diese Erkenntnis über diesen jungen Mann brachte. Darüber, dass diese Tatsache in unserer Zeit noch die Macht hatte, einen Menschen zu zerstören.

Im ersten Moment musste der Arzt nach Worten suchen.

»Warum fürchten Sie sich so sehr davor?«, fragte er sanft.

Gideon musste sich erst einmal beruhigen. Der Arzt ließ ihm diese Zeit. Doch die Frage stand im Raum und musste beantwortet werden.

»Ich glaube, dass ich mich vor den Konsequenzen fürchte.«

»Welche wären das?«

»Ich würde Freunde verlieren, ein völlig anderes Leben führen müssen. Sogar den Sport, der mir alles bedeutet, müsste ich aufgeben. Er ist doch mein Leben. Was würde meine Familie dazu sagen? Und meine Fans? Ich würde alles verlieren.«

Gideon war verzweifelt.

»Ich möchte die Stunde hier beenden.

Allerdings möchte ich sie bitten sich heute noch hinzusetzten und Gründe aufzuschreiben, warum sie der Meinung sind, durch ein eventuelles Outing alles, was ihnen in ihrem Leben wert und teuer ist, zu verlieren.»

Gideon verließ die Praxis mit sehr gemischten Gefühlen. Es war das aller erste Mal in seinem Leben, dass er sich und einem Fremden gegenüber eingestanden hatte, schwul zu sein.

Das war ein wirklich tolles Gefühl. Ein Teil seiner Last hatte er damit über Bord geworfen. Auf der anderen Seite hatte er fast das Gefühl, dass es ihm jeder ansah.

Als ob er das Wort »Schwul« auf seine Stirn tätowiert hätte. Das machte ihm wiederum Angst.

Aber er merkte auch, dass dies der einzig richtige Weg war.

An diesem Abend war er richtig euphorisch. Dies fiel auch seinen Teamkollegen auf. Sie verbrachten einen tollen Abend miteinander.

Doch als Gideon sich an die Aufgabe machte, die ihm Dr. Brack aufgegeben hatte, hatte er doch wieder das Gefühl, eine schwere Last senke sich auf seine Seele.

Er saß alleine in seinem Zimmer und dachte über die Frage des Arztes nach.

Ja, warum sollte er alles, was ihm etwas bedeutete, verlieren. Er blieb doch eigentlich der Mensch, der er immer gewesen war. Glücklicher und offener vielleicht aber immer noch er selbst.

Die Veränderung, die es mit dem Outing geben würde, machte ihm Angst. Er befürchtete, Freunde zu verlieren, dass seine Familie nicht zu ihm stehen würde und dass er in der Achtung seiner Fans, die ihm sehr wichtig war, sinken würde. Genau so schrieb er es auf und legte dies am nächsten Tag dem Arzt vor.

»Hallo Gideon. Wie geht es ihnen heute? Wie sind sie mit ihrer Aufgabe klargekommen?«

»Es geht mir eigentlich ganz gut. Aber ihre Aufgabe hat mich ganz schön Nerven gekostet!«

»Wieso das?«

»Ich habe mir viele Gründe überlegt, warum ich mich nicht outen sollte. Doch bei jedem Grund, der mir einfiel, kam gleich der Gegengrund. Zum Beispiel, dass ich Freunde verlieren könnte, wenn sie erfahren, dass ich......«,

er musste erst einmal tief durchatmen, bevor er weiter sprechen konnte. Zögernd fuhr er fort.

»....schw...... schwul bin.

Aber auf der anderen Seite würden richtige Freunde wissen, dass ich mich dadurch ja nicht verändert habe. Sondern immer noch der gleiche geblieben bin. Also würde ich meine richtigen Freunde immer behalten oder?»

»Das stimmt schon.

Allerdings kann es sein, dass ein Teil ihrer Freunde sie fallen lässt, weil sie damit nicht klar kommen. Freunde, von denen sie meinten, sie zu kenne. Ich will ihnen keine Angst machen, aber das muss ihnen klar sein. Sie können nicht zu viel von den Menschen verlangen.»

In den nächsten Sitzungen überlegten sie, wie Gideon sein Coming Out beginnen sollte. Wozu war er schon bereit? Wollte er nur einzelne Personen einweihen, oder sollte er es allgemein bekannt machen? Sollte seine Familie es erfahren? Wie sehr würde es seinen Beruf belasten?

Nach zwei Wochen begann Sven wieder mit dem Training. Jetzt war für ihn auch der Moment gekommen, wo er anfangen wollte, sein »Neues Leben« öffentlich zu machen. Der erste, dem er es sagen wollte, war einer seiner besten Freunde. Seinem Trainer Frank.

Gideon bat ihn, nach dem Abendessen zu ihm aufs Zimmer zu kommen. Aufgeregt wartete er auf ihn.

Sie unterhielten sich über das Training und wie viel Gideon sich diesbezüglich schon wieder zumuten konnte. Dann fragte Frank, ob es Gideon jetzt wieder besser ginge.

»Die Stunden bei Dr. Brack scheinen dir gut zu bekommen!«

»Ja es läuft ganz gut. Aber es wird wohl noch ein langer Weg sein, bis es mir wieder richtig gut geht.«

»Wirklich? Ich habe das Gefühl, dass du jetzt schon wieder ganz der Alte bist!«

»Das werde ich nie wieder sein!«

Erstaunt schaute ihn Frank an.

»Wieso denn das?«

»Weil ich dir und allen anderen nur etwas vorgespielt habe.«

Betreten schaute Gideon zu Boden.

»Das musst du mit jetzt aber mal genauer erklären.«,

forderte ihn sein Freund auf.

»Du weißt ja, dass Marie und ich uns getrennt haben.«

»Ja und ich dacht, dass es das war, was dich so mitgenommen hat.«

»Das stimmt in einem gewissen Sinne ja auch...habe ich dir jemals den Grund für unsere Trennung erzählt?«

»Du sagtest damals, dass es zwischen euch schon eine ganze Weile schief gelaufen sei und dass Marie sich in jemand anderen verliebt hätte.«

»Zwischen Marie und mir ist nie was gelaufen....«, unterbrach ihn Sven heftig.

»Wie bitte?«

»Wenn wir geheiratet hätten, wäre diese Ehe für mich und für Marie nur eine Scheinehe gewesen.«

Franks Augen wurden groß, als er begann zu verstehen, was Svens Äußerungen bedeuteten.

»Marie hat es wesentlich eher begriffen als ich, Gott sei dank. Sonst hätte ich vielleicht mein Leben lang so weiter gemacht. Und irgendwann wäre ich daran zerbrochen.«, fuhr er fort.

»Willst du mir damit sagen, dass du schwul bist?«

Sven schaute Frank in die Augen und nickte.

Eine Zeit lang sagte niemand etwas. Dann fragte Frank:

»Was erwartetst du jetzt von mir?«

»Ich weiß es nicht... vielleicht, dass es nichts zwischen uns ändert und dass wir Freunde bleiben?«

Wieder herrschte eine Zeit lang Stille.

»Ich verstehe nicht«, ergriff Frank schließlich wieder das Wort, »warum du es so lange verschwiegen hast? Aber jetzt weiß ich wenigstens, was schon so lange an dir nagt. In meine Augen bist du doch immer noch der gleiche, der du immer warst. Und ich würde mich freuen, wenn wir weiterhin Freunde bleiben.«

»Du weißt gar nicht, was mir das bedeutet.«

Erleichtert lachte Gideon auf. Sie unterhielten sich noch sehr lange an diesem Abend und als sie sich trennten war ihre Freundschaft noch fester geworden.

Dies war der erste Schritt gewesen.

Der zweite bestand darin, es seinen Eltern und seiner Schwerster zu sagen. Zuerst wollte er mit seiner Schwester sprechen...

Schon am nächsten Wochenende war die Gelegenheit gegeben. Er lud seine Schwester zum Essen ein. Als sie ihr Essen bekamen versuchte Gideon, ihr Gespräch auf sein Problem zu lenken.

»Sag mal Susan, du hast dich mit Marie doch immer sehr gut verstanden, oder?«

»Wir verstehen uns immer noch sehr gut, wieso?«

»Habt ihr euch auch über private Sachen unterhalten?«

»Ja sicher, aber sag mal, worauf willst du eigentlich hinaus?«, fragend schaute ihn seine Schwester an.

»Habt ihr jemals über unsere Trennung geredet?«

»Ja natürlich.«

»Was hat sie dir erzählt?«

»Sie hat mir gesagt, dass sie sich in jemand anderen verliebt hat!«

»Weißt du auch, in wen?«

»Ja, klar. Und falls du wissen willst ob ich auch über dich bescheid weiß, lautet die Antwort: Ja!«

Sven wusste gar nicht, was er sagen sollte. Susan sah ihm in die Augen. Sie nahm seine Hand und drückte sie. Da wusste er, dass alles in Ordnung war.

Beim Nachtisch fragte Sven:

»Wissen Mama und Paps auch bescheid?«

»Ja.«

Sven war unglaublich erleichtert. Seine Eltern hatten ihr Verhalten ihm gegenüber nicht geändert.

Also konnte er davon ausgehen, dass sie es akzeptierten.

»Warum habt ihr mir nie gesagt, dass ihr wisst, was mit mir los ist?«

»Ich kann da nur für mich sprechen, großer Bruder. Aber ich habe mir gedacht, dass ich dich zu einem Outing nicht zwingen sollte. Und du bist so selten zu Hause. Es hat auch eine Weile gedauert, bis es mir klar wurde. Außerdem ist es doch dein Leben, oder? Ich denke mal, unseren Eltern wird es genauso gegangen sein. Ich glaube sie warten darauf, dass du es ihnen endlich sagst.«

Und genau das wollte Sven auch tun. Die Gelegenheit bot sich am nächsten Morgen beim Frühstück.

»Guten morgen!«

»Guten morgen mein Junge. Hast du gut geschlafen?«

»So gut, wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.«

»Ich soll dich übrigens schön von Susan grüßen. Sie hat vorhin angerufen.«

Wusste sein Vater beim reinkommen zu berichten.

»Na dann hat sie bestimmt auch erzählt, worüber wir uns gestern unterhalten haben, oder?«

Er hatte einen Kloß im Hals. Vor diesem Gespräch fürchtete er sich noch immer.

»Sie hat ein paar Andeutungen gemacht.« Meinte seine Mutter.

»Susan sagte auch, dass du eine Frage an uns hast!«

Erwartungsvoll schauten ihn seine Eltern an.

Tief durchatmend fragte Gideon also.

»Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass ihr schon eine ganze Weile vermutet, dass ich homosexuell bin?«

»Das ist eine gute Frage.«, sein Vater schaute ihm offen ins Gesicht. »Wir dachten uns, dass du selber entscheiden sollst, wann du bereit bist, es uns zu sagen.«

»Ja so was hat Susan auch gemeint. Und es ist ok für euch?«

»Schatz, auf uns kommt es nicht an. Wir wollen, dass du glücklich bist und hoffen so sehr, dass du einen Menschen findest der dich glücklich macht.« Seine Mutter nahm ihn in den Arm.

»Gideon was uns sehr zu schaffen gemacht hat, war, dass wir gesehen haben, wie sehr du dich gequält hast. Und wir konnten dir nicht helfen, weil wir lange Zeit nicht wussten, was dich so belastet hat. Das war wirklich schlimm für uns!«

Als Gideon wieder im Trainingslager war, merkte er erst, wie sehr ihn die letzten Wochen psychisch ausgelaugt hatten.

Er merkte, dass er den Urlaub, die obligatorischen vierzehn Tage Resturlaub vor der anstrengenden Saison, sehr gut gebrauchen konnte. Gideon wollte diese Tage bei seinem Teamkollegen Eirik Aukland in Norwegen verbringen. Dieser wohnte in der Nähe von Stockholm. Er hatte Gideon in der letzten Woche der vergangenen Saison gefragt, ob er ihn besuchen wollte und Gideon hatte gerne angenommen. Norwegen hatte es Gideon angetan und so hatte er auch die Möglichkeit, Freunde zu besuchen.

Er kam dort an einem frühen Nachmittag an. Eirik bewohnte ein Zweifamilienhaus. In der zweiten Wohnung wohnte sein jüngerer Bruder Fredrik.

Zu Svens Überraschung bewohnte Eiriks älterer Bruder Doug zu dieser Zeit die Zweizimmerwohnung im Keller.

Doug war genauso alt wie Gideon und er war gerade von den Skilangläufern zu den Biathleten gewechselt. Die kommenden Wettkämpfe würde seine zweite Saison darstellen. Gideon hatte noch nicht allzu häufig mit Doug zu tun gehabt, aber ihm gefiel der große blonde Sportler sehr.

Er freute sich, die Gelegenheit zu haben, den jungen Mann besser kennen zu lernen.

Die ersten zwei Tage ruhte er sich aus. Er schlief viel, las etwas und besuchte alte Freunde.

Da Eirik sich sehr um seine Werbeverträge kümmern musste, er entschuldigte sich auch tausendmal dafür, musste Doug den »Fremdenführer« spielen. Doch diese Aufgabe schien ihm nicht gerade unangenehm zu sein. Auch Gideon genoss die Gegenwart des anderen.

Er fühlte sich zu Doug hingezogen und konnte sich das erste Mal in seinem Leben seine Gefühle ehrlich eingestehen. Hoffnung machte er sich nicht, da es für ihn immer noch abstrakt erschien, dass außer ihm noch andere Sportler, geschweige denn andere Biathleten, schwul sein könnten. Doug zeigte ihm die Sehenswürdigkeiten Stockholms. Sie besuchten das norwegische Trainingslager, gingen zusammen essen und an den Abenden in die Discos oder ins Kino.

Die vierzehn Tage vergingen wie im Fluge und Gideon fühlte sich richtig gut. Für den letzten Abend musste Doug ihm leider absagen, da er zu dem Geburtstag eines Freundes eingeladen war. Sven bedauerte dies sehr und beschloss abends dann halt alleine auszugehen. Doug versprach Gideon, dass er ihn am nächsten Morgen zum Flieger bringen würde.

Als Doug gegangen war macht Gideon sich auf den Weg. Ihm war in der Innenstadt eine Disco aufgefallen, die das Regenbogenbanner im Fenster hatte. Da er wohl kaum Angst vor Entdeckung zu haben brauchte trat er ein.

In dem Laden war schon gut was los. Anscheinend wurde im hinteren Bereich der Disco sogar noch ein Geburtstag gefeiert Gideon ging zur Bar und bestellte sich einen Drink. Dann ließ er das Geschehen erst mal auf sich wirken. In der Welt dieser Bar schien es ganz normal, dass zwei Männer mit einander tanzten, sich küssten und Zärtlichkeiten austauschten. Die Musik war gut und riss ihn förmlich auf die Tanzfläche. Und wo vorher noch Angst vor Entdeckung und Zurückweisung war, machte sich ein Gefühl von Anerkennung und Willkommen breit.

Auf einmal bemerkte er, wie ihm jemand auf die Schulter tickte. Er drehte sich erschrocken um und sah in die großen, wunderschönen und leicht irritierten Augen von Doug.

Beide sprachen gleichzeitig.

»Was machst du denn hier?«

Sie mussten lachen.

»Ich feiere hier mit einem Freund Geburtstag, wie ich es dir gesagt hatte.«

»Und ich hatte Lust zu tanzen.«

»Du weißt nicht zufällig was das hier für ein Laden ist, oder?«, hakte Doug nach.

»Wenn du meinst, ob ich weiß, dass hier hauptsächlich Homosexuelle herkommen, muss ich sagen, ja, das weiß ich wohl. Und ich habe mich nicht verlaufen!«

Gideon sah Doug dabei fest in die Augen. Dass er dabei ziemlich errötete, war ihm klar. Doch er wollte nicht mehr lügen. Zwar wollte er seine Neigung nicht öffentlich breittreten, aber wenn das Gespräch auf dieses Thema kam, wollte er ehrlich antworten.

Doug lächelte.

»Ich wusste nicht, dass der liebe Gott Hoffnungen so schnell erfüllt.«

»Werden deine Freunde sich nicht wundern, wo du bleibst?«

»Nein, das glaube ich nicht. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mit die reden muss und dass das etwas dauern kann.«

»Wie kommt es, dass ihr den Geburtstag deines Freundes«,

seine Augen waren prüfend auf Doug gerichtet,

»in einer Schwulendisco feiert?«

»Na ja, das hier ist unser Stammdisco und wir kennen den Wirt sehr gut. Der feiert übrigens gerade da drüben seinen Geburtstag, weißt du?«

Doug grinste Gideon schelmisch an und dieser konnte nicht anders, als dieses zu erwidern.

»Wie hast du das eben eigentlich gemeint von wegen Hoffnung erfüllen?«

»Das würde ich lieber wo anders mit dir besprechen. Was hältst du davon, wenn wir nach Hause fahren und es uns bei mir bequem machen?«

Gideon sagte ja und Doug ging sich bei seinen Freunden verabschieden.

Sie nahmen sich ein Taxi und waren bald bei Doug in der Wohnung angekommen.

»Sag mal, warum wohnst du eigentlich hier? Ich dachte du hättest eine Wohnung in der Innenstadt?«

»Hatte ich auch mit meinem Ex-Freund zusammen. Wir haben uns im September letzen Jahres getrennt. Dann ging ja die Saison schon bald wieder los und bis jetzt bin ich noch nicht dazu gekommen, mir wieder etwas eigenes zu suchen. Ich finde es hier eigentlich ganz gemütlich. Möchtest du was trinken?«

»Ja, ein Bier wenn du hast. Ab morgen ist ja wieder Schluss mit dem sündigen Leben.«

Doug reichte Gideon ein Bier und machte es sich auf dem Sofa neben ihm bequem.

»Also wie war das mit der Hoffnung?«, fragte Gideon wieder nach.

»Du lässt aber auch nicht locker was?«, versuchte Doug verlegen auszuweichen.

»Nicht, wenn ich das Gefühl habe, dass ich da irgendwie eine Rolle spiele!«

»Na OK. Du hast gewonnen. Ich erzähle es dir. Als ich dich letztes Jahr zum ersten Mal sah, habe ich mich in dich verguckt. Ich habe mich ein bissel umgehört und war recht enttäuscht, als ich hörte, dass du in festen Händen bist und bald heiraten wolltest. Kurz darauf kam mir zu Ohren, dass zu wieder solo bist. Na ja ich finde dich sehr interessant und darum habe ich Eirik gebeten, dich einzuladen.«

Gideon war völlig baff.

»Du bist ja raffiniert. Warum hast du mich nicht einfach angesprochen und mich gefragt, was mit mir los ist?«

»Hättest du mir damals ehrlich geantwortet?«

»Nein, ich glaube nicht!«

Doug nahm Gideons Hand in seine eigene und drückte sie leicht. Er hatte gemerkt, wie schwer es seinem Gegenüber fiel, über das alles zu sprechen.

»Du hast vorhin gesagt, dass du mit deinem Freund zusammen gelebt hast...«

»Ex-Freund!«

».... OK Ex-Freund. Dann wissen deine Brüder und deine Eltern bescheid, oder?«

»Unsere Eltern sind vor 6 Jahre bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«

»Oh, das wusste ich nicht.

»Sie haben nie erfahren, dass ich schwul bin. Eirik und Frode habe ich es kurz nach dem Tod der Eltern gesagt. Mir ist bewusst geworden, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Und dann will ich für mich sagen können, so würde ich mein Leben noch mal Leben wollen. Klingt verrückt, oder?«

»Nein, überhaupt nicht«

Sie sprachen über Svens coming out und über Dougs Ex-Freund. Die Zeit verging wie im Fluge und als sie das erst mal auf die Uhr schauten, war es schon 6 Uhr früh.

Doug beschloss Frühstück zu machen, währen Gideon duschte.

Als Gideon unter der Dusche stand, dachte er über Doug nach. Er war dabei, sich zu verlieben. Doch wie sollte es mit ihnen weitergehen? Er in Deutschland und Doug in Norwegen. Sie mussten unbedingt darüber sprechen.

Als sie sich am Frühstückstisch trafen war Gideon ziemlich nervös. Doug hatte den Tisch mit viel Liebe gedeckt und Brötchen geholt.

Er setzte sich Doug gegenüber.

»Doug hast du eine Ahnung wie es zwischen uns weitergehen soll?

»Gibt es denn ein «Uns»?«

»Von mir aus ja!«

Doug stand auf und kam zu ihm hinüber. Er zog Gideon hoch und nahm in fest in die Arme.

»Du weißt gar nicht, wie glücklich du mich machst.«

Sanft küsste er ihn auf den Mund. In diesem Moment wusste Gideon, dass das, was er getan hatte, richtig war. Nur mit dem Weg, den er letztendlich eingeschlagen hatte, würde er glücklich werden. Und er hoffte sehr, auch mit diesem Mann.

»Doch wie soll es nun weitergehen? Du hier in Norwegen und ich in good old Germany?«

»Es sind doch nur noch ein paar Wochen. Wenn die Saison und das Vortraining beginnt, sind wir doch wieder zusammen. Und das dann an jedem Wettkampfort. Sogar in den gleichen Unterkünften. Die Zeit bis dahin müssen wir irgendwie überbrücken. Es gibt Telefon, E-Mails, Post und Flugzeuge. Ich glaube, dass wir das schaffen. Du auch?«

Doug hatte sehr schnell gesprochen. Gideon merkte seine Unsicherheit. Nach der letzten Frage schaute Doug ihn hoffend und fragend an. Gideon musste lächeln und nickte.

»Ja, wir werden das schaffen.«

Dann wurde es Zeit zum Aufbruch. Gideon räumte seine Sachen ins Auto und dann ging es Richtung Flughafen. Beiden fiel dieser Augenblick schwer. Sie wollten miteinander reden, ihre Liebe entdecken. Der eine hatte dem anderen noch so viel zu geben. Gideons Flug wurde aufgerufen. Sie wussten kaum, wie sie sich verabschieden sollten. Ihre Liebe war so frisch und so zerbrechlich. Sie gaben sich die Hand und wollten »Auf Wiedersehen « sagen, da riss Doug Gideon in seine Arme und küsste ihn. Dann ging er.

Gideon ging mit tränenverschleierten Augen an Bord.

Doug hatte ihm kurz vor der Abfahrt ein Päcken gegeben, das er aber erst öffnen sollte, wenn das Flugzeug in der Luft war.

Kaum hatte das Flugzeug den Boden verlassen, riss er das Päckchen auf. Es kam eine Wettkampfmedaille und ein Brief zum vorscheinen.

»Lieber Gideon,

die Medaille, die Du in den Händen hältst, ist die erste, die ich jemals gewonnen habe.

Sie ist für mich etwas ganz besonderes,

genau wie Du.

Ich möchte, dass Du sie behältst, bis wir uns wiedersehen.

Ich liebe dich,

Doug»

In dem Brief fand er auch ein Bild von ihnen beiden. Eirik hatte es am Anfang des Urlaubes von ihnen geschossen.

Beide lachten und fühlten sich wohl.

Gideon kam am Abend im Trainingslager an.

Nach dem Abendessen sprach er mit Frank seinen Trainingsplan durch. Danach sah ihn Frank prüfend an.

»Dir scheint der Urlaub wirklich gut getan zu haben, was?«

»Wie kommst du darauf?«

»Du siehst sehr erholt aus. Und du strahlst richtig. Gibt es da etwas was ich vielleicht wissen sollte?«

»Zur Zeit noch nicht. Aber vielleicht bald.«

Und er konnte sich ein grinsen nicht verkneifen.

Als er auf seinem Zimmer war, sah er, dass auf seinem Anrufbeantworter zwei Nachrichten waren. Mit Herzklopfen hörte er sie ab. Die erste war von seiner Mutter. Sie wollte wissen, wie sein Urlaub war und ob er gut zurückgekommen war. Er beschloss, seine Mutter am nächsten Tag zurückzurufen.

Der zweite Anruf war von Doug.

»Hallo Gideon...

ich weiß, dass ich viel zu früh dran bin. Geduld hatte ich noch nie. Ich habe gehofft dich schon etwas früher zu erwischen, aber wahrscheinlich war es wirklich zu zeitig.

Ich warte auf deinen Anruf.

Tschau.»

Gideon kamen die Tränen. Einerseits war er traurig, dass Doug nicht bei ihm sein konnte und er sich sehr einsam fühlte. Auf der anderen Seite war er auch glücklich. Hatte ihm Doug mit seinem viel zu frühen Anruf doch gezeigt dass es ihm nicht anderes ging.

Er machte es sich auf seinem Bett bequem und wählte mit leicht zittrigen Finger Dougs Nummer. Es hatte nur kurz geklingelt als am anderen Ende auch schon abgenommen wurde.

»Hi!«

»Hallo, na bist du gut zurück gekommen?«

»Zurück ja, aber nicht gut!«

Erschrocken hielt Doug den Atem an.

»Was ist passiert? Bist du in Ordnung?«

»Keine Angst. Mir geht es gut. Nur fühle ich mich so einsam und alleine ohne dich.«

»Mensch hast du mir einen Schrecken eingejagt.«

»Tut mir leid, das wollte ich nicht. Ich vermisse dich nur so wahnsinnig.«

»Ich vermisse dich doch auch. Warum, denkst du, habe ich schon versucht dich vor einer Stunde anzurufen? Hast du das Päckchen aufgemacht?«

»Ja und ich verspreche dir, dass ich gut auf die Medaille aufpassen werde und unser Bild ist schon in meiner Brieftasche.«

»Ich habe eine kleine Überraschung für dich!«

»Ja? Was denn?«

»Das Wochenende in drei Wochen könnte ich dich besuchen kommen? Aber nur, wenn du willst?«, kam es zögernd hinter her.

»Aber natürlich will ich das. Ich kann es kaum erwarten.«

Sie telefonierten noch lange.

Die nächsten drei Wochen waren für Gideon ziemlich anstrengend.

Das Training war hart und intensiv. Doch das war auch gut so. So hatte er kaum Zeit um einsam zu sein und Doug zu vermissen. Sie telefonierten jeden Abend miteinander. Und die Sehnsucht nach einander wurde immer größer.

Dann war es da. Das lang ersehnte Wochenende.

Gideon holte Doug vom Flughafen ab. Bei der Begrüßung schaffte Gideon es nicht, seinen Gefühlen nachzugeben. Er war in seiner Heimat und hier wusste sonst niemand, dass er schwul war.

Er umarmte Doug zwar, doch traute er sich nicht, den Mann den er liebte in aller Öffentlichkeit zu küssen.

Während der Fahrt. sprachen sie über Belanglosigkeiten.

Doch kaum war die Wohnungstür von Gideons Domizil geschlossen, da zog dieser Doug in seine Arme und küsste ihn. Zuerst vorsichtig und sanft, dann immer fordernder und forschender.

Sven zog Doug mit sich ins Schlafzimmer.

Dort sanken sie in einer innigen Umarmung aufs Bett.

Als sie sich erschöpft in den Armen lagen, meinten Gideon:

»Mein Gott, bin ich froh, dass du endlich bei mir bist. Ich hätte es keinen Tag länger ausgehalten.«

Doug lächelte glücklich und kuschelte sich in die Arme seines Freundes.

»Ich habe dich auch sehr vermisst. Für mich war das Warten auch fast unerträglich. Es ist schade, dass ich nur so kurz bleiben kann.«

»Ich will gar nicht daran denken, dass du so bald wieder weg musst.«

»Hoffentlich hast du nicht all zu viel für diese Wochenende geplant?«

Mit einem spitzbübischen Augenzwinkern lächelte er Gideon an.

»Eigentlich ist das ganze Wochenende schon verplant. Du wirst kaum Zeit zum Luft holen haben.«

Doug schaute Gideon entsetzt an. Erst als er merkte, dass es in dessen Augen ebenfalls glitzerte, merkte er, dass er auf einen Scherz herein gefallen war.

Am nächsten Morgen weckte Gideon seinen Freund mit einem Frühstück im Bett. Sie verlebten einen schönen Tag. Auch wenn Doug sich wunderte, dass Gideon sich, sobald sie die Wohnung verließen, benahm, als ob sie wirklich nur Freunde wären.

Beim Abendessen sprach Doug ihn direkt drauf an.

»Sag mal, kann es sein, dass dir mein Besuch hier doch nicht ganz so recht ist?«

Gideon sah ihn ganz erschrocken an.

»Wie kommst du denn darauf?«

»Weil du dich so merkwürdig verhältst, wenn wir nicht alleine sind!«

»Wie meinst du das?«

»Na ja. Immer wenn wir deine Wohnung verlassen verhältst du dich so distanziert zu mir. Als ob ich ein völlig Fremder wäre und nicht der Mann, dem du sagst, dass du ihn liebst.«

Gideon schluckte hart. Leider wusste er genau, was Doug meinte. Er war aber noch nicht bereit, weiter zu gehen in ihrer Beziehung. Er wollte Doug erst besser kennen lernen, wollte sich sicher sein, dass sie beide zusammen gehörten.

Genau das versucht er ihm klar zu machen.

»Doug, ich bin noch nicht so weit, mich in der Öffentlichkeit zu outen. Im Moment will ich einfach nur unsere Zweisamkeit genießen. Ohne an die Zukunft zu denken.

Sie sprachen ausführlich darüber, wie sie in Zukunft ihre Beziehung gestalten wollten.

Nach außen hin wollten sie nur eine sehr gute Freundschaft zeigen, bis Gideon bereit war, auch in der Öffentlichkeit zu seiner Homosexualität zu stehen.

Doug konnte Gideons Angst vor der Öffentlichkeit nicht ganz verstehen. Er lebte ja auch öffentlich als Homosexueller und niemanden kümmerte das. Doch er war bereit, diesen Kompromiss einzugehen. Solange er sicher war, dass Gideon ihn liebte.

Am nächsten Tag waren sie bei Gideons Eltern eingeladen.

Gideon war sehr gespannt, wie sie reagieren würden. Er war noch nicht sicher, ob er seinen Eltern sagen würde, dass Doug sein fester Freund war.

Sie hatten für seine Mutter Blumen besorgt und standen pünktlich vor der Tür. Der Empfang war herzlich.

Da Doug sehr gut deutsch sprach, war die Unterhaltung kein Problem und es würde ein gemütliches Essen.

Als Gideon seiner Mutter half, den Nachtisch zu holen fragte er sie, wie sie Doug fände. Er hoffte, dass er unverbindlich klänge, aber schnell wurde klar, dass er seiner Mutter nichts vormachen konnte.

»Wieso ist dir meine Meinung über Herrn Aukland??? so wichtig?«,

fragte sie zurück und schmunzelte in sich hinein.

»Na ja, ich würde gerne wissen ob ich Doug hin und wieder mit zu euch bringen kann oder ob ihr das nicht so gerne hättet? Wir sind halt gute Freunde geworden!«

»Ich kann natürlich nur für mich reden. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn du deinen Freund hin und wieder mitbringen würdest.«

Ihr Tonfall machte ihm klar, dass sie über ihre Beziehung im Bilde war. Er nahm seine Mutter fest in den Arm.

»Danke!«

Das Wochenende verging viel zu schnell. Und die Trennung fiel ihnen beiden umso schwerer.

Der einzige Trost war, dass sie sich in wenigen Wochen im Trainingslager wieder sehen würden.

Die Zeit kroch dahin. Am Abend vor seiner Abreise ins Trainingslager bekam Sven einen Anruf von seinem Mannschaftsbetreuer.

»Hallo Gideon!«

»Hallo Martin. Was gibt es den so Wichtiges?«

»Wir haben hier ein kleines Problem mit der Zimmerbelegung. Durch einen Wasserrohrbruch sind einige Zimmer zurzeit unbewohnbar geworden.«

»Oh! Und wo liegt jetzt das Problem?«

» Wir haben jetzt zu wenige Zimmer. Das bedeutet, entweder müsstest du ins Hotel im Ort ziehen oder dir mit jemandem das Zimmer teilen.«

»Na ja bevor ich jeden Tag mehrfach den Weg in den Ort auf mich nehme, teile ich liebe das Zimmer mit jemandem...«

»Das ist ja wunderbar!«

»Weißt du schon wer mein Zimmergenosse werden wird?«

»Nein. Es kann auch sein das es jemand aus einer der andern Mannschaften sein kann.«

»Na dann werde ich mich wohl mal überraschen lassen!«

»Na dann bist morgen.«

»Ja tschau.«

Gideon hoffte sehr das Doug das nicht missverstehen würde, wenn er das Zimmer mit einem anderen Mann teilte.

Allerdings wusste er nicht wie er reagieren würde, wenn der Fall umgekehrt läge. Er beschloss, so bald wie möglich mit Doug darüber zu reden. Doch vor dem nächsten Abend würde er ihn nicht erreichen.

Als Gideon am nächsten Vormittag seinen Schlüssel abholte, konnte man ihm noch nicht sagen, wer auf sein Zimmer kommen sollte. Also ging er auf sein Zimmer und packte seine Sachen aus. Dann wurde es Zeit für die Trainerbesprechung.

Irgendwie ging der Tag schnell vorbei.

Er schaffte es kurz vor dem Abendessen noch mal auf sein Zimmer und bemerkte dass sein Zimmergenosse wohl auch schon da gewesen war.

Als er nach dem Abendessen nach oben ging, nahm er erst einmal eine heiße Dusche.

Währendessen merkte er, dass sein Mitbewohner zurückgekommen war. Er war schon recht neugierig, wen sie ihm aufs Zimmer gelegt hatten.

Als er fertig war betrat er das Wohn- Schlafzimmer und traute seinen Augen kaum.

Vor ihm stand Doug.

Er hatte zwei Gläser in den Händen und das Zimmer war in Kerzenlicht getaucht.

»Überraschung!«

»Was machst du den hier?«

»Na das ist ja mal eine Begrüßung! Ich bin für die nächsten Wochen dein Mitbewohner.«

»Das glaube ich einfach nicht. Das ist ja fantastisch. Ist das Zufall oder Schicksal?«

»Na ja ich habe dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge geholfen.«

»Wie meinst du das?«

»Ich wurde heute bei meiner Ankunft gefragt in welches Zimmer ich wollte. Und da habe ich mich natürlich für dich entschieden!«

»So? Wer stand denn noch zu Auswahl?«

»Also außer dir war da noch mein kleiner Bruder. Der wollte aber liebe mit seiner Freundin zusammen wohnen. Verständlicherweise und dann war da noch Raphael im Gespräch. Die Wahl viel mir wirklich sehr schwer.«

Er grinste Gideon übermütig an.

»Na ja Raphael sieht auch ganz süß aus. Allerdings ist er ein absoluter Stino.«

»War das der einzige Grund, warum du mich bevorzugt hast?«

Fragte Gideon im Spaß, aber Doug merkte doch einen ersten Unterton.

»Natürlich nicht. Das weißt du doch auch, oder? Ich bin so glücklich, dass uns diese Gelegenheit förmlich in den Schoß gefallen ist. Und keiner wird etwas merken.«

Während er das sagte kam er auf Gideon zu und schloss ihn in seiner Arme.

»Glaubst du mir denn nicht, dass ich dich liebe?«

»Sicher glaube ich dir. Mir geht es mit dir ja nicht anders. Ich hoffe nur, dass du genügend Geduld mit mir haben wirst.«

»Wir werden sehen. Im Moment möchte ich dich nur in die Arme nehmen und deine Nähe spüren.«

Gideon fand es wunderbar mit Doug zusammen zu leben. Ihm wurde klar, dass aus dem Verliebt-sein Liebe wurde.

Doch noch immer konnte er sich nicht überwinden, sich in der Öffentlichkeit zu outen.

Als die Wettbewerbe begannen, mussten sie sich räumlich trennen und von da an gestaltete es sich für sie beide immer schwieriger, mal alleine zu sein. Doch sie versuchten das Beste daraus zu machen.

Die Saison lief gut für beide. Besonders für Gideon. Er erreicht seine alte Form wieder und gewann oft oder platzierte sich sehr gut. Er war die große Hoffnung auf Gold für die olympischen Spiele.

Doch Doug verlor langsam die Geduld. Er wollte ihre Liebe nicht immer verstecken.

Eines Abends gerieten sie darüber in Streit.

»Warum drängst du mich so? Ich habe dir gesagt das ich noch Zeit brauche!«, versuchte Gideon sich zu verteidigen.

»Macht es dir wirklich Spaß, unsere Beziehung im Geheimen zu Leben? Also mir nicht mehr!«

»Was soll ich den machen? Wenn ich offen zugebe, schwul zu sein, verliere ich meine Sponsoren. Und was mache ich dann? Und was sollten meine Fans von mir denken?«

»Ja vor allen Dingen die weiblichen, nicht wahr? Glaubst du wirklich, dass unsere Beziehung, unsere Liebe dieses Versteckspiel auf Dauer aushält? Ich bezweifele das sehr!«

Gideon wusste nicht, was er machen sollte. Er konnte Doug ja verstehen. Aber die Angst war einfach zu groß.

Ein paar Tage später wurde er zu einem Interview eingeladen. Dort wurde natürlich auch nach seinem Privatleben gefragt. Das Gespräch wurde live übertragen.

»Gideon, wie sieht ihr Privatleben aus?«

»Das existiert während der Saison so gut wie gar nicht.«

»Sie haben sich ja vor einiger Zeit von ihrer Verlobten getrennt. Sind sie immer noch Single, oder gibt es wieder jemanden in ihrem Leben?«

»Nein. Ich lebe alleine. Die richtige Frau ist mir noch nicht begegnet!«

Doug sah diese Sendung und konnte kaum glauben was er hörte. Gideon, der Mann, den er so sehr liebte, verleugnete ihn.

Blind vor Wut und Traurigkeit rannte er zu seinem Auto und fuhr los. Er wollte nur noch weg. Doch Doug überschätzte sich. Er kam auf Spiegel glatter Fahrbahn ins rutschen und prallte gegen einen Baum.

Gideon kam erst ziemlich spät in sein Quartier zurück.

und suchte nach Doug, konnte ihn aber nirgendwo finden. Da hörte er, wie sich zwei Kollegen darüber unterhielten, dass ein Biathlet mit dem Auto verunglückt sei.

Gideon bekam Angst. Es konnte doch nicht Doug gewesen sein? Als er auf sein Zimmer gehen wollte gab man ihm eine Nachricht.

Sie war von Eirik.

»Hallo Gideon,

Doug ist mit dem Auto verunglückt.

Es besteht keine Lebensgefahr.

Er liegt hier im Städtischen Krankenhaus.

Er sagte zwar, dass er dich nicht sehen will, doch ich glaube, dass er lügt...

Bestimmt wartet er insgeheim auf dich.

Lass ihn nicht zu lange warten.

Eirik»

Gideon ahnte, warum ihn Doug nicht sehen wollte. Er fürchtet sich davor, dass Doug ihrer Beziehung ein Ende setzten würde.

Er rief sich ein Taxi und machte sich auf den Weg in die Klinik.

Als er sich nach seinem Freund erkundigte, wurde er zu Eirik geführt.

»Hallo Gideon!«

»Wie geht es ihm?«

Seine Stimme zitterte vor Angst.

»Er wird gerade operiert. Sein Knie und das Handgelenkt haben einiges abbekommen.«

»Aber sein Leben ist doch nicht in Gefahr oder?«

»Nein, jedenfalls nicht durch den Unfall!«

Gideon schaute ihn erschrocken an und wurde noch blasser.

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, dass er dein Interview gesehen hat und ihn das total fertig gemacht hat. So wurde es mir jedenfalls erzählt.«

»Du weißt, dass wir zusammen sind?«

»Ja, weiß ich. Allerdings habe ich das Gefühl, dass ihm das bei weitem mehr bedeutet, als dir.«

»Das stimmt nicht! Ich liebe ihn, wie sonst niemanden anderen auf dieser Welt.«

»Warum zeigst du es ihm dann nicht. Ich glaube nicht, dass er zuviel von dir verlangt, oder?«

In dem Moment verließ der Arzt den OP.

Die beiden Männer eilten auf ihn zu.

»Wie geht es meinem Bruder?«

»Die OP ist zufriedenstellend verlaufen. In wiefern er seinen Sport weiter ausüben kann, kann ich noch nicht sagen, das wird sich mit der Zeit zeigen müssen.«

»Können wir zu ihm?«

Der Arzt schaute Gideon an und fragte:

»Sind sie auch ein Verwandter?«

Eirik schaute ihn fragend an.

Gideon holte tief Luft.

»Nein, aber ich bin der Lebensgefährte von Herrn Aukland.«

»Wenn das so ist. Im Moment liegt Herr Aukland noch im Aufwachraum, wenn er dann auf sein Zimmer kommt, können sie zu ihm. Aber bitte nur kurz. Er ist noch sehr schwach.«

Gideon wurde bewusst, wie dicht dran er gewesen war, Doug zu verlieren. Der Gedanke macht ihn fix und fertig. Im wurde klar, dass es jetzt an ihm lag, ihre Beziehung zu retten.

Nach anderthalb Stunden wurde Doug aus dem Aufwachraum auf sein Zimmer gebracht. Als Gideon ihn in seinem Bett sah, schlafend und absolut hilflos, schossen ihm die Tränen in die Augen.

Wie hatte er Doug das nur antun können?

Eirik und Gideon setzten sich an Dougs Bett und warteten, dass er aufwachen würde. Nach einer Weile meinte Eirik, dass er mit Frode telefonieren wollte, um ihm über Dougs Zustand bescheid zu geben.

Als Eirik weg war nahm Gideon Dougs Hand in die seine.

»Schatz, was ich dir angetan habe, tut mir leid. Ich liebe dich doch und nichts in der Welt könnte daran etwas ändern.

»Das weiß ich doch, aber es hat so verdammt wehgetan.« Antwortet ihm eine schwache Stimme.

»He, du bist ja wach. Gott sei Dank. Du hast mir so eine Angst eingejagt!«

»Es tut mir leid!«

»Und mir erst. Ich will nur eins wissen und dann lasse ich dich in Ruhe. Meinst du, du kannst mir noch mal verzeihen?«

Doug nickte schwach und war auch schon wieder eingeschlafen.

Eine unglaubliche Erleichterung durchflutete den jungen Mann.

Die Saison war für Doug beendet. Er musste noch einige Tage in der Klinik bleiben. Gideon besuchte ihn sooft es ihm möglich war.

Doug merkte, dass in seinem Freund eine große Veränderung vorgegangen war. Gideon versuchte, nicht mehr ihre Liebe zu verheimlichen. Wenn sie alleine waren hielt er Dougs Hand und streichelte sie zärtlich. Er zog sie auch nicht zurück, wenn jemand das Zimmer betrat.

Als Doug dann soweit genesen war, dass er die Klinik verlassen konnte, zog er zu Gideon in die Wohnung. Gideons Eltern wollten sich um ihn kümmern und da bei ihm zu Hause keiner war, nahm er dieses Angebot dankend an.

Dann begann die Olympiade.

Im Vorfeld hatte es einige Gerüchte gegeben. Gideon wusste, dass sich die meisten davon um ihn und sein Privatleben drehten.

Doch er war nun bereit, der ganzen Welt zu sagen, dass er verliebt war und in wen.

Die ersten Rennen waren vorbei und er hatte sehr gut abgeschnitten.

Dann kam seine Paradedisziplin. Der Massenstart.

Am Abend vor dem Rennen war Doug angereist. Er bat ihn, am nächsten Tag am Ziel auf ihn zu warten und gab ihm einen Brief den er erst öffnen sollte, wenn das Rennen gestartet war.

Am nächsten Morgen sahen sie sich nur kurz. Doug schaut bei Gideon vorbei um ihm viel Glück zu wünschen.

»Hallo Schatz. Ich drücke dir ganz fest die Daumen.«

Gideon zog Doug in seine Arme und küsste ihn.

»Hmmm, das haben wir schon lange nicht mehr gemacht. Aber ich verspreche dir, wenn dieser ganze Zinober vorbei ist, werde ich gaaanz viel Zeit für dich haben. Ich liebe dich!«

Dann trennten sich ihre Wege.

Sie sahen sich noch mal kurz vor dem Start und dann ging es los.

Der Startschuss fiel und die Läufer machten sich auf die Strecke. Als Gideon außer Sichtweite war öffnete Doug den an ihn gerichteten Brief.

»Hallo Doug,

wenn Du diesen Brief liest ist das Rennen schon gestartet.

Du wirst dich vielleicht wundern, dass ich um diese Zeile so ein Geheimnis

gemacht habe. Aber ich wollte, dass Du es erst nach dem Start erfährst.

Dieses Rennen werde ich nur für Dich gewinnen und jetzt soll es auch jeder erfahren, dass ich Dich, und somit einen Mann, liebe.

Wir sehen uns am Ziel,

Gideon.»

Doug schlug das Herz bis zum Hals. Mit angehaltenem Atem beobachtete er das Schießen. Der härteste Konkurrent von Gideon war Dougs eigener Bruder Eirik.

Die ersten Schießeinlagen liefen für beide gut. Beide kamen mit null Fehlern durch und sie waren gleich auf. Beim letzten Schießen sah es so aus, als ob Gideon Nerven zeigte. Der erste Schuss ging daneben. Doch dann fing er sich wieder und brachte die restlichen Schüsse sauber ins Ziel. Also hieß es für ihn einmal in die Strafrunde. Doch Eirik ging es nicht besser. Auch er verschoss den ersten und auch den letzten Schuss. Also musste er zweimal in die Strafrunde.

Gideon nahm seine Chance war und flog nur so über die Strecke.

Dann kam das Ziel in Sicht. Gideon schaute sich um. Eirik war noch nicht zu sehen. Da wusste er dass der Sieg ihm gehörte.

Ein lächeln zog über sein Gesicht, das zu einem Strahlen wurde als er Doug im Ziel erblickte.

Als er durch die Zielgerade fuhr hob er jubelnd die Arme. Sofort nach der Gewehrkontrolle eilte er zu Doug und fiel in seine Arme. Als er wieder zu Luft gekommen war sagte er so laut, dass jeder es hören konnte:

»Dieser Sieg ist nur für dich! Ich liebe dich!«

Und dann küsste er Doug. Aus den Augenwinkeln sah er Blitzlichter aufleuchten und er wusste, dass es richtig und gut war.

Jetzt konnte sein Leben beginnen.

Mit Doug an seiner Seite.

Und es würde wundervoll sein.

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