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Wer lieben will, muss reisen!

Teil 2

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„Hältst du am Ende dieser Reise um meine Hand an?“

 

Er sagte nichts. Er schaute mich nur an. Wieder konnte ich seinen Ausdruck nicht deuten. Was er jetzt wohl gerade dachte. Ich merkte nur, wie mein Atem immer schneller ging. Ich hielt mir meinen Kragen vor den Mund. Er sollte nicht mitkriegen, wie sehr mich dieses betretene Schweigen nervös machte.

Mir wurde so langsam klar, was ich gerade überhaupt gefragt habe, und das auch noch einen Mann. Einen Mann mit blauen Haaren, stahlblauen Augen und einem umwerfenden Lächeln mit unglaublichen, schneeweißen Zähnen.

Ich wollte gerade etwas sagen. Sagen, dass ich nicht nachgedacht habe, dass es doch der pure Wahnsinn wäre und so weiter, aber in dem Moment wo ich den Mund öffnete, um meine Aussage zu revidieren, kam Aaron mir zuvor:

„Ich habe noch einiges zu erledigen, bevor ich mich auf eine lange Reise mache. Man sieht sich!“

Mit diesen Worten, beugte er sich über mich rüber, und öffnete die Tür auf meiner Seite.

„Man sieht sich!“, sagte ich mit erstickter Stimme. „Hoffentlich!“, ergänzte ich noch leise. Dann stieg ich aus dem Bus. Aaron zog die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zu, bevor ich mich überhaupt umdrehen konnte.

Ich fühlte mich so alleine wie noch nie, als der Bus um die nächste Ecke fuhr. In diesem Moment wusste ich, dass mir etwas fehlen wird! Dass er mir fehlen wird.

 

Ich blieb noch eine ganze Weile, auf der Straße stehen, und schaute in die Richtung, wo der Bus in die weite Welt abgebogen war. Ich werde den Bus und was noch viel wichtiger war, ihn, nie wieder sehen.

Wie in Trance steckte ich mir wieder, meine Kopfhörer in die Ohren. Sehnsucht von Schiller mit Xavier Naidoo erfüllte meine Ohren.

Nach ein paar weiteren Augenblicken, machte ich mich langsam auf den Weg nach Hause. Ich wollte sogar einen Umweg gehen. Eigentlich wollte ich aber ganz und gar alleine sein. Den einzigen, den ich wirklich hätte sehen wollen, wäre… Aaron. Das Problem war: Er wollte mich anscheinend nicht mehr sehen. Und das war komplett meine eigene Schuld. Wir hatten nicht mal ein wirkliches erstes Date, und ich fragte ihn, ob er mich fragen würde, ob ich ihn heiraten möchte.

Wie hätte denn unser erstes Date ausgesehen? Ein Kinobesuch, oder ein romantisches Essen. Wären wir danach im Bett gelandet? Wäre ich nach unserem ersten Date noch Jungfrau?

Mir wurde bewusst was ich da dachte. Er ist ein Junge! Ich atmete wieder schneller und schwerer. Mir wurde bewusst, dass ich heute mit 20 Jahren meinen ersten Kuss hatte. Mit einem Jungen!

Ich konnte nicht leugnen, dass mir die Küsse mit diesem Jungen gefielen. Auch konnte ich nicht abstreiten, dass ich den Wunsch hatte, wieder geküsst zu werden. Und das von einem Jungen!

Ich fühlte, dass ich nicht von irgend jemandem geküsst werden wollte. Auch keine Mädchenlippen konnte ich mir auf den Meinen vorstellen. Nur die von einem Jungen. Von diesem Jungen! Von Aaron!

Mehr als alles Andere wünschte ich mir das gerade. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Nur noch daran, welche Gänsehaut auf meinem Körper lag, als unsere Lippen miteinander verschmolzen. Und das ich das unbedingt wieder spüren wollte!

 

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Auf einmal hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich drehte mich um. Nichts Auffälliges. Ich wandte mich wieder um, und ging weiter. Es dauerte ein paar Augenblicke bis ich das Gefühl, verfolgt zu werden, wieder los wurde, und meine Hand, die sich zur Faust geballt hatte, sich wieder entspannte. Ich nahm den Gedankenfaden unbewusst wieder auf.

Mit Fug und Recht konnte ich behaupten, dass es der schönste Abend in meinem Leben gewesen war. Der schönste Abend bis jetzt jedenfalls. Ich konnte dies behaupten, obwohl der Abend so traurig geendet hatte. Was Aaron wohl jetzt gerade…“

Mit einem harten Schlag in die Seite wurde ich förmlich aus meinen Gedanken geschleudert. Der Schlag war so hart, dass ich für einen kleinen Moment keine Luft mehr bekam. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Ich schaute zu dem Wesen, das mir diesen Hieb versetzt hatte. Sein Gesicht lag jedoch im Dunkeln, dass ich ihn nicht erkennen konnte. „Wo ist Aaron?“, fragte eine jungenhafte Männerstimme.

Es konnte sich nur um den Jungen handeln, der Aaron so wütend gemacht hatte.

„Ich weiß es nicht.“, stammelte ich, nach Luft ringend. Ich wusste es ja ehrlich gesagt (leider) wirklich nicht. Der Junge trat mir wieder mit voller Wucht in die Seite. Ich krümmte mich vor Schmerz.

„Lüg nicht! Natürlich weißt du das! Du bist ihm doch wie ein notgeiler Stricher gefolgt!“

Ich war schockiert. Den Jungen, mit dem Aaron vorhin im Lokal noch gestritten hatte, habe ich mir ganz anders vorgestellt. Ich konnte nicht genau sagen wie, aber auf alle Fälle anders, als er sich jetzt gerade präsentierte. Nicht so aggressiv. Nachdem was mir Aaron erzählte, hatte ich ihn mir wie ein treues Hündchen vorgestellt, der alles machte, was sein Herrchen verlangte.

Ich stellte mich wieder auf meine zwei Beine, um gleich darauf einen heftigen Schlag ins Gesicht zu kassieren. Wieder stürzte ich zu Boden. „Man kann von mir Vieles behaupten“, keuchte ich, „aber nicht, dass ich ein notgeiler Stricher bin, ist das klar.?“ Ich fasste mir an die Stelle, dort wo mich seine Faust getroffen hatte. Sie war feucht. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich den Geschmack von Blut im Mund hatte.

„Dann sag mir, wie ich dich sonst nennen soll? Schwanzgesteuerter Stricher oder was hälst du von …!“ Ich erfuhr nicht mehr, wovon ich noch was halten sollte, denn im gleichen Moment stellte ich ihm ein Bein, und er verlor selbst den Boden unter den Füßen. Er rappelte sich jedoch ganz schnell wieder auf. Ihm schienen jetzt endgültig die Sicherungen durchgeknallt zu sein. Ungebremst trat der Junge jetzt auf mich ein, und das nicht gerade zaghaft. Ich stöhnte laut vor Schmerzen. Das schien diesen Psychopathen aber noch mehr anzustiften und er trat noch härter zu.

Als irgendwo in einem Haus, dass circa 50 Meter entfernt von uns war, ein Licht anging, hörte der Junge auf, und schaute sich um. Als aus der Richtung des Lichts jemand rief, trat mir der Junge einmal richtig fest in den Schritt und rannte davon. Ich krümmte mich vor Schmerzen. Ich hörte Schritte die herbei geeilt kamen. Die Stimme kam mir bekannt vor, aber ich hatte nicht mehr die Kraft darüber nachzudenken woher. Die Geräusche um mich herum wurden immer leiser und ich kriegte rein gar nichts mehr mit.

 

Als ich aufwachte, hörte ich ein regelmäßiges Piepen. Vorsichtig öffnete ich meine Augen, um sie gleich darauf wieder zu schließen.

Wo auch immer ich jetzt gerade war, es war hier auf jeden Fall verdammt hell. Ich öffnete meine Augen wieder, aber diesmal nur einen Spaltbreit, damit ich mich langsam an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen konnte.

Über mir war eine große Lampe. Eine helle Lampe. Und ich lag in einem Bett. Es war aber nicht mein Bett.

Auf einmal drangen ganz langsam wieder Geräusche an meine Ohren. Ein Husten von links. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung woher das Husten kam. Da lag auch ein Junge, der gerade interessiert auf den Fernseher starrte, der vor seinem Bett, an der Wand angebracht war. Ich guckte wieder gerade aus. Auch da war ein Fernseher angebracht.

Erst jetzt merkte ich, dass jemand meine rechte Hand hielt.

Ich sah zu meiner Hand die festgehalten wurde. Mit den Augen verfolgte ich den Arm, der zu der Hand gehörte, dann den Körper der zu dem Arm gehörte, um dann zu dem Kopf zu kommen, der zu dem Körper gehörte

Es war… Aaron! Aaron saß an meinem Bett. Er zwinkerte mir freundlich zu. Besorgnis war in seinen Augen zu erkennen. Ich fühlte mich schwach und mir fielen wieder die Augen zu. Das störte mich nicht, denn aus irgendeinem Grund fühlte ich mich gerade geborgen wie noch nie und war froh, dass er da war. Dass er bei mir war!

Als ich wieder aufwachte –ich musste wohl wieder komplett weg gewesen sein - saß Aaron immer noch da, seinen Blick fest auf mich fixiert. „Wie geht es dir?“, fragte er. „Wie soll es mir denn gehen?“, fragte ich leise zurück?

„Auf alle Fälle besser, als vor drei Tagen.“, meinte er mit ernstem Ton.

Drei Tage? Hatte er gerade wirklich drei Tage gesagt? Ich schluckte, was mir wehtat.

„Wie ging es mir denn vor drei Tagen?“

„Ist ja uninteressant, jetzt geht es dir ja besser.“, sagte er. Ich beschloss in Gedanken, dass ich es wohl lieber gar nicht wissen wollte, wie es mir da ging.

„Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

Aaron lachte. „Ganz einfach! Weil ich dich hierher gebracht habe!“

Er also war die mir bekannte Stimme gewesen.

„Übrigens du schuldest mir neue Sitzbezüge für meinen Bus. Die alten sind dermaßen mit Blut getränkt, das krieg ich da nie im Leben wieder raus.“

Ich starrte ihn entgeistert an. Du hättest mich ja nicht aufgabeln brauchen. Wessen Exfreund hatte mich denn verprügelt?

Ich war aber zu schwach, um mich jetzt zu streiten. Und mit ihm wollte ich sowieso nicht streiten. Die Zeit mit ihm ist mir einfach zu kostbar. Wer weiß wie lange diese Zeit noch ging.

Er sah das mich etwas beschäftigte und sagte: „He, das war doch nur ein Scherz!“ Er lächelte, und streichelte meine Wange zärtlich. Ich glaube ich hätte wieder eine Gänsehaut gekriegt, aber die Schmerzmittel die sie mir hier wohl reingepumpt hatten, sorgten dafür, dass ich noch etwas benommen war.

„Wo sind meine Eltern? Wissen sie Bescheid?“ Er nahm wieder meine Hand.

„Ja, seit gestern. Sie waren kurz hier, habe ich gehört. Denn zu dem Zeitpunkt, war ich gerade bei mir zu Hause, um meine letzten Sachen zu packen. Ich habe eigentlich nur gewartet bis du aufwachst, damit ich ein nicht ganz so schlechtes Gewissen haben muss, und ich weiß, dass es dir gut geht.“

Aaron stand auf, hielt meine Hand aber noch fest. Er beugte sich zu mir runter und gab mir einen vorsichtigen Kuss auf den Mund.

Dann wandte er sich um und ging Richtung Tür. Ich wollte aber nicht, dass er jetzt schon ging. Ich wollte nicht alleine sein. Was konnte ich jetzt sagen?

„Diesmal frage ich nicht, ob du um meine Hand anhältst!“, meinte ich. Ich lachte, damit es als Scherz rüberkam. Jedenfalls war das der Plan, denn Aaron drehte sich zu mir um, und guckte mich wieder mit einem Ausdruck an, den ich nicht deuten konnte. Ich gab wieder ein zaghaftes Lachen von mir. „Schon gut, vergiss es einfach. Das sind bestimmt die Drogen die sie mir reingepumpt haben. Nimm mich nicht ernst!“, lachte ich. Er aber guckte mich immer noch mit einem Ausdruck an, der mir jetzt so langsam Angst machte.

„Wie geht es dir?“, fragte er mich nach einer kurzen Zeit des Schweigens wieder. Er schien irgendwas im Schilde zu führen. Das spürte ich. Darum dachte ich diesmal wirklich über diese Frage nach und horchte in mich hinein. Es ging mir gut. Ich fühlte mich fit. „Gut! Es geht mir wunderbar!“, stellte ich zufrieden fest.

„Das ist gut! Das ist mehr als gut, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.“, sagte Aaron. Er lächelte. Seine Augen funkelten wieder strahlend blau. Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Die Tür war gerade zu, als sie schon wieder aufgerissen wurde! Eine große, schlanke, rothaarige Krankenschwester, kam ins Zimmer getänzelt. „Guten Abend, Herr Mertens. Befinden wir uns auch wieder unter den Lebenden? Wie geht’s uns denn heute?“

Sofort bekam ich eine sehr schlechte Laune! Genau das hasste ich an Krankenhäusern.

Ich bewunderte zwar zutiefst, den Fortschritt der Medizin, aber Patient darf man echt nicht in einem Krankenhaus sein, außer es steht so schlecht um einen, dass man es schon gar nicht mehr mit kriegt. Aber selbst da, sollte man jemanden haben, der dafür sorgt, dass einem noch eine gewisse Würde erhalten bleibt, die man noch hat.

„Wie es ihnen geht, weiß ich nicht! Es ist mir ehrlich gesagt auch scheißegal!“ Die Rothaarige und der Junge im Nachbarbett schauten mich schockiert mit offenen Mündern an, sagten aber kein Wort. „Aber ich nehme an, sie interessiert mehr, wie es mir geht! Die Antwort: Gut. Ich fühle mich gut und würde jetzt gerne nach Hause!“

Ihre Fröhlichkeit wurde ihr aus dem Gesicht gerissen. Mit zusammengebissenen Zähnen antwortete sie: „Ich werde den Oberarzt über ihren Wunsch informieren, aber ich glaube nicht, dass er schon das Ok gibt!“ Mit den Worten verließ sie das Krankenzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

„Was sollte das?“, fragte mich der Junge.

„Was sollte was?“, blaffte ich ihn an.

„Warum redest du so mit ihr, es ist doch eine ganz liebe Krankenschwester. Das hat sie wirklich nicht verdient. Ich mag sie sehr!“

„Jeder mag sie, der es mag wie ein Unterbemittelter behandelt zu werden.“

Er guckte mich fragend an. „Aber das tut sie doch ganz und gar nicht!“, erwiderte er.

„Sie redet mit Kranken, als wären sie Kinder. Nicht mit ihr auf gleicher Augenhöhe. Nur weil ich im Bett liege, heißt es nicht, dass ich weniger oder mehr wert bin als sie. Wäre sie eine gute Schwester, würde sie mich behandeln, als wären wir auf gleicher Augenhöhe und mich zum Beispiel fragen: Wie geht es ihnen denn heute Herr Mertens? Und nicht: Wie geht es uns denn heute Herr Mertens?“

Darauf wusste der Junge neben mir keine Antwort. Verdattert schaute er mich an. Zufrieden legte ich mich wieder zurück und schloss die Augen. Man das waren aber echt verdammt gute Schmerzmittel, dass musste man ihnen lassen.

 

Als ich wieder aufwachte, war es dunkel. Ich schaute auf das Telefon auf meinem Nachttisch, das auch die Uhrzeit anzeigte. 00:03 Uhr war es. Ich schloss wieder die Augen, öffnete sie aber wieder, als ich hörte, dass die Tür vorsichtig geöffnet wurde. Durch den Lichtschein, der durch die Tür hinein gelassen wurde, konnte ich erkennen, wie ein Rollstuhl ins Zimmer geschoben wurde. Denjenigen, der den Sessel auf Rädern ins Zimmer schob, konnte ich leider nicht identifizieren. Er schaltete das Licht an. Aaron stand vor meinem Bett, und strahlte mich an.

„Bist du fit?“, fragte er.

„Ja!“, rief ich wie aus der Pistole geschossen. Ich guckte nach links, aber der Junge, der da vorhin noch lag, ist weg. Ich schaute wieder zu Aaron. Auch er hat gesehen, dass der Junge, der es mochte bemitleidet zu werden, nicht mehr da war.

„Um so besser!“, sagte er zu mir. Dann ging er an meinen Kleiderschrank und öffnete diesen. Ich konnte erkennen, das dort meine Reisetasche drin war, meine Eltern müssen sie mir wohl gebracht haben.

„Kannst du dich in den Rollstuhl setzen?“, fragte er mich.

„Ich kann es versuchen.“ Ich schlug langsam die Bettdecke beiseite und setzte mich auf die Bettkante. Vorsichtig rutschte ich weiter runter bis meine Füße den Boden berührten und versuchte mich hinzustellen. Erst da merkte ich, dass ich doch tatsächlich einen Katheter verpasst bekommen habe. Einen richtig schönen durchsichtigen Pissbeutel, der zur Hälfte schon mit meinem Urin befüllt war. Meine Gesichtsfarbe glich jetzt mehr einer Tomate. Als ich aufstand, rutschte der Schlauch der in meiner Lunte steckte, ein Stück raus. Ich schrie kurz auf. Ich war sowieso schon wackelig auf den Füßen, aber durch den Schmerz, der sich in meiner Lendengegend breit machte fiel ich zurück ins Bett.

Das wäre ich zumindest, jedenfalls, wenn Aaron mich nicht aufgefangen, und mit einem Schwung in den Rollstuhl verfrachtet hätte.

Das war eine ganz schöne Anstrengung und ich brauchte ein paar Augenblicke, um mich davon zu erholen.

„Was hast du vor?“, fragte ich, während, er eine warme, kuschelige Wolldecke um mich legte, und mir meine Schuhe über meine Füße zog. Offensichtlich dachte er darüber nach, was er jetzt als nächstes sagen wollte.

„Dich auf eine Reise mitnehmen, an deren Ende ich um deine Hand anhalten werde!“ Ich sah ihn überrascht an. „Vertrau mir!“, fügte er hinzu, als er gerade meine Schuhe zuband.

Das tat ich, und ich wusste, das wollte ich mein ganzes Leben lang tun. Ich packte ihn am Kragen und zog ihn zu mir hoch und küsste ihn. Das war das erste Mal, dass ich ihn küsste und er nicht mich. Ich bekam wieder eine wunderbare Gänsehaut am ganzen Körper. Die Beruhigungsmittel haben wohl nachgelassen.

 

Mit der Tasche auf meinem Schoss, schob mich Aaron, raus auf den Flur. Keine Menschenseele war zu sehen. Er rollte mich langsam und leise zu den Fahrstühlen.

„Wo wollt ihr denn hin?“, rief eine Stimme, die die Totenstille durchbrach, als mich Aaron gerade in den Fahrstuhl schob. Ich konnte gerade noch erkennen, wie die rothaarige Krankenschwester auf uns zu gerannt kam, als sich die Fahrstuhltüren schlossen.

„Pass auf“, sagte Aaron zu mir, „wenn sich die Türen gleich öffnen, werde ich dich ganz schnell zu dem Bus schieben müssen. Sobald, wir da sind, hebe ich dich rein, und schmeiß den Rollstuhl hinten rein. Dann gebe ich Gas. Ich hoffe dir wird bei hoher Geschwindigkeit und rasanten Manövern nicht schlecht!“

„Normalerweise nicht!“, meinte ich.

„Das ist gut!“ Mit diesen Worten öffneten sich die Fahrstuhltüren und Aaron schob mich in einem gewaltigen Tempo, durch die große Eingangshalle des Krankenhauses.

 

Dafür das es mitten in der Nacht war, war hier ganz schön viel los. Viele Leute die uns erblickten, konnten gerade im letzten Moment noch zur Seite springen. Beinahe hätten wir auch eine ältere Dame mit ihrem Gehwägelchen auf dem Gewissen gehabt. Aber eben halt nur beinahe.

Wir steuerten direkt auf den Ausgang zu, als eine Stimme von hinten rief: „Haltet sie auf!“

Es war zweifelsohne die rothaarige, inkompetente Krankenschwester, die noch nie etwas über menschliche Würde gehört hatte.

Aaron wurde noch schneller. Wir waren keine 10 Meter mehr von der Eingangstür entfernt. Ich hoffte nur, dass die Schiebetüren schnell genug aufgehen, denn sonst würde es ein großes Geschepper geben. Ich drehte mich um, und schaute an Aaron vorbei, dessen Schweißperlen mir ins Gesicht sprangen.

Mehrere Menschen verfolgten uns. Wir hatten keine Chance. Ich wandte mich wieder nach vorne um. Die Tür kam immer näher. Ich machte die Augen zu, und machte mich auf Schmerzen gefasst. Doch es passierte nichts. Aaron hatte auch nicht angehalten.

Er lenkte mich abrupt nach rechts. Dabei rutschte mein Pissbeutel von meinem Schoß und fiel auf den Boden. Der Schlauch riss vom Beutel, der aufplatzte. Aaron rutschte auf meinen Körpersäften aus, und legte sich der Länge nach hin, dabei ließ er den Rollstuhl los, und ich rollte weiter. Direkt auf eine Wand. Ich bremste vorsichtig ab, und lenkte daran vorbei. Der Schlauch steckte immer noch in meinem Schritt. Es brannte fürchterlich, doch damit konnte ich mich gerade nicht befassen.

Schon war Aaron wieder da, und übernahm wieder das Kommando. „Du stinkst nach Pisse!“, sagte ich mit einem fetten Grinsen im Gesicht. „Sehr witzig!“, maulte er. Ich schaute zu ihm hoch. Auch er lächelte.

Er fuhr wieder zu den Fahrstühlen. Nein doch nicht. Auch da fuhr er dran vorbei. Denn was ich nicht gesehen hatte –wie auch?-, neben den Fahrstühlen war auch ein Ausgang. Jemand hielt uns netterweise die Tür auf. Offensichtlich hat er gesehen, dass wir verfolgt wurden und war aus irgendeinem Grund auf unserer Seite. Bei genauerem hinsehen, erkannte ich, dass es ein niedlicher alter Mann war. Er nahm seinen Hut vom Kopf um uns zu Grüßen. Ich lächelte als wir auf ihn zufuhren und bedankte mich mit einem Lächeln, als wir an ihm vorbei rasten.

Kaum waren wir an der frischen Luft, riß mich Aaron schon wieder rum. „Wir müssen jetzt ganz schnell um das halbe Krankenhaus herum! Der Parkplatz ist auf der anderen Seite“, keuchte er.

Unsere Verfolger konnten uns wohl nicht mehr so dicht auf den Fersen sein. Zumindest konnte ich sie nicht mehr sehen.

Wir rasten durch die Notfallauffahrt der Krankenwagen. Gerade noch konnten wir an einem Schwerverletzten vorbei fahren, der gerade auf einer Trage in die Notfallaufnahme geschoben wurde.

Kurz darauf, sah ich schon den Bus von Aaron. Aus irgendeinem Grund ging die Kofferraumklappe schon von alleine auf. „Ich wusste doch, das würde sich irgendwann bezahlt machen.“, lachte Aaron.

Wenige Augenblicke darauf durfte ich auch erfahren, wie viel Kraft Aaron doch tatsächlich hatte. Den Rollstuhl, in dem ich immer noch saß, hob er mir nichts dir nichts in den Kofferraum. Hinter mir knallte er die Klappe zu und stieg vorne in den Wagen. Der Motor heulte los und mit quietschenden Reifen verließen wir rasant das Krankenhausgelände.

Erst als wir auf die Autobahn fuhren, wagte ich es wieder laut zu atmen.

 

„Wo geht’s hin?“, fragte ich von hinten.

Durch den Rückspiegel trafen sich unsere Blicke. Er lächelte, das konnte ich daran sehen, dass seine Augen strahlten.

„Wir fahren jetzt ein paar Kilometer, damit ich sicher gehen kann, dass uns niemand verfolgt. Dann fahren wir auf eine Raststätte, wo wir die Nacht verbringen. Du musst dich ausruhen, und ich muss dringend mal wieder duschen!“

Wir beide mussten lachen. „Da hast du allerdings Recht!“, sagte ich zu ihm und grinste ihn durch den Rückspiegel an. Jetzt hatte sein Blick doch etwas Zärtliches an sich. „Ich liebe dich auch, mein Schatz.“

Diese Worte trafen mich wieder unerwartet. Es war immer noch neu für mich. Doch ich wollte mich nicht wieder so aufführen, wie an dem Abend, als ich ihn kennenlernte. Wie lange war der Abend jetzt eigentlich her? Egal!

„Ich liebe dich mehr!“, erwiderte ich fröhlich und warf ihm einen Luftkuss zu.

 

Zwei Stunden später, lag ich frisch gewaschen und ohne Pissbeutelschlauch in einem frisch bezogenen Bett und betrachtete meinen Bald-Verlobten dabei, wie er sich seiner Kleidung entledigte, um sich danach zu mir zu legen. In seinen Armen eingekuschelt und mit einem scharfen Brennen in meinem besten Stück schlief ich ein.

 

Als ich aufwachte, lag ich immer noch genauso in seinen Armen wie ich auch eingeschlafen war. Ich drehte mich zu ihm um. Er war schon wach und lächelte mich an.

„Als wir uns kennengelernt haben, hätte ich nie gedacht, dass du ein paar Tage später in meinen Armen aufwachst.“

Ich lächelte ihn an und gab ihm einen Kuss. Aus irgendeinem Grund fühlte es sich wie das Normalste der Welt an, und ich wusste, dass ich in Zukunft immer mit seinem Lächeln aufwachen wollte.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er. „Gut, aber noch ein bisschen schlapp.“ Er streichelte meine Wange. „Gut, dann bleiben wir noch einen Tag hier. Du ruhst dich aus, und ich besorge dir Klamotten. Denn du hattest nicht wirklich viel in deiner Reisetasche. Nur eine Unterhose und ein paar Socken. Nicht mal T-Shirt und Hose haben dir deine Eltern eingepackt. Die denken doch nicht ernsthaft, dass du mit vollgebluteten Klamotten nach Hause gegangen wärst, oder?“ Aaron redete sich in Rage. Aber warum nur? „Nichts gegen dich, aber deine Eltern sind zum kotzen!“ Leider konnte ich nichts darauf erwidern, denn er hatte leider Recht.

Ich sah ihn schweigend an und hörte ihm weiter zu. „Du hättest sterben können, zweimal wärst du das sogar fast, und sie denken nur daran, dass die Firma von deinem Vater, bald 10-jähriges Jubiläum hat.“

Das mit dem Jubiläum wusste ich, auch das meine Eltern seit Wochen an nichts anderes mehr dachten, aber das ich beinahe gestorben wäre und das nicht nur einmal, dass wusste ich nun nicht! Entgeistert sah ich ihn an. „Warst du etwa die ganze Zeit bei mir?“ Er legte seine Hand in meine. Ich drückte sie. „Na ja nicht ganz, aber die Meiste.“

Ich lächelte ihn an. Ehrlich gesagt war ich sogar froh, dass ich nicht alleine war. Zumindest nicht in den Momenten, als ich wach gewesen war.

„Als sie dich operiert hatten, war ich kurz noch Klamotten für die Reise kaufen. Irgendwie musste ich mich ja schließlich ablenken. Auch ein paar Sachen für dich habe ich gekauft, aber sie reichen immer noch nicht, denn wir reisen noch länger als eigentlich geplant.“

Ich war überrascht. „Wie? Woher kannst du dir das eigentlich leisten?“

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn auch das fragen, obwohl ich wusste, dass die Stimmung dann flöten ging. „Wie viel Geld kriegst du eigentlich noch von mir?“ Er sah mich eindringlich an, und nahm auch noch meine andere Hand in die Seine.

„Woher ich das Geld hab? Das lasse mal meine Sorge sein“, er machte eine kurze Pause; „Und du? Du bist mein Verlobter… Na ja zumindest bald. Ich habe dich zu dieser Reise eingeladen. Du zahlst nichts!“ Ich öffnete den Mund, um zu sagen, dass ich auf alle Fälle was dazu steuern würde, aber soweit kam ich gar nicht. „Keine Widerrede! Ist das klar?“ Er sah mir fest in die Augen und küsste mich dann. Schon wieder bin ich ihm einmal komplett verfallen. Ich genoss das, und schloss die Augen, während unsere Zungen einen Ringkampf ausfochten.

„So, du ruhst dich jetzt aus, schläfst noch ein bisschen, und ich besorge das was wir noch brauchen.“, er ging zu Tür. „Für unser Abenteuer“, sagte er noch über die Schulter.

Als er die Klinke in der Hand hatte, drehte er sich noch einmal ganz zu mir um, schaute mir tief und feste in die Augen und sagte: „Ich liebe dich!“ Ich lächelte, ließ mich in die Kissen fallen und hörte wie die Tür ins Schloss fiel. Jetzt war ich allein! Ich liebe dich auch!

 

Als Aaron am frühen Nachmittag wieder kam, mit Dutzenden von Plastiktüten in den Händen, lag ich hellwach im Bett. Ich konnte nicht schlafen. Aber warum nicht? Ich fühlte mich hundemüde, aber egal wie oft ich mich rumwälzte, ich konnte und konnte nicht einschlafen.

Es klang vielleicht blöd, aber ich vermutete, dass es tatsächlich daran lag, dass Aaron nicht bei mir gewesen war.

Er stellte die Tüten auf den Boden, legte sich zu mir ins Bett und gab mir einen Kuss. Im nächsten Moment war ich eingeschlafen.

 

Als ich wieder aufwachte, merkte ich sofort, dass es mir besser ging. Nur brannte meine Lendengegend noch gewaltig von dem blöden Pissbeutel.

Ich setzte mich auf. Keine Schwindelgefühle mehr. Ich schaute auf den Radiowecker auf dem Nachttisch. Es war vier Uhr Nachts.

Das schwache Licht, dass der Mond durch das Fenster warf, lies mich erkennen, dass Aaron auch schon wieder wach war. Ich konnte seinen Körper erkennen, der auf der Bettkante saß. Ich rutschte näher zu ihm hin, und fasste unter sein T-Shirt, dass er bereits angezogen hatte. Sofort fühlte ich, wie sich eine Gänsehaut auf seinem Rücken breit machte. Er drehte sich zu mir um. „Habe ich dich geweckt.“, fragte er mich ganz leise. Er flüsterte schon fast. Meine Hand war noch immer unter seinem T-Shirt und auf seinem Rücken. Ich drückte ihn zu mir herunter, und wir küssten uns.

Als sich unsere Lippen nach einer kleinen Unendlichkeit wieder von einander lösten, fragte er mich: „Wie geht es dir heute?“

Ich gab ihm noch einen kurzen Kuss. „Besser, ich mag schon fast fantastisch sagen.“

Seine weißen Zähne die sein wunderschönes Lächeln zeigten, konnte ich sogar in der Dunkelheit erkennen.

„Dann geht’s heute los!“

Jetzt passierte es wieder. Das Gefühl des Schocks überkam mich. Die Realität holte mich ein.

Bis jetzt war das für mich alles nur ein Traum. Zugegeben, ein mehr als schöner Traum, der allerdings mit einem Alptraum, blutig auf einer Straße anfing.

Was war mit meinen Eltern? Freunde hatte ich zwar keine, aber trotzdem? Würde man mich vermissen. Würde es überhaupt jemandem auffallen, dass ich nicht mehr da war, sondern statt dessen, eine Art Weltreise mache, an deren Ende ich in Amerika sein werde und mich sogar verloben werde? Das klingt doch alles nach einem kitschigen Film, wo alles perfekt läuft. Jetzt fehlt nur noch die Mafia die uns auf den Fersen ist, um aus der ganzen Lage einen spannenden Action-Thriller zu machen.

Nein, das ist hier doch alles ein einziger großer Witz.

Schweißausbrüche überkamen mich. Ich schlug die Decke beiseite und sprang aus dem Bett. Ich hielt kurz inne, aber meine Beine hielten stand. Schwindelig war mir auch nicht. Ich rannte ins Badezimmer, zog meine Boxer-Shorts aus. Wer hat sie mir eigentlich angezogen?

Das war mir in diesem Moment gerade total egal. Ich sprang unter die Dusche und stellte sie auf eiskalt, und ließ das kalte aber erfrischende Wasser auf mich rauf prasseln.

Ich ließ mich noch keine zehn Sekunden von der Duschbrause bearbeiten, da klopfte Aaron an der Tür. „Alles okay bei dir?“

Da war sie schon wieder. Die Frage ob alles okay ist. Ich beschloss nicht zu antworten. Stattdessen stellte ich den Wasserstrahl so langsam immer wärmer.

Es klopfte wieder an der Tür. „Sascha, alles in Ordnung?“

Keine Reaktion meinerseits.

Es klopfte erneut. „Darf ich reinkommen?“

Ich erstarrte, erwiderte jedoch nichts.

Poch-Poch. „Ich komme jetzt rein, ja?“

Kein Wort. In dem Moment, wo sich die Türklinke nach unten bewegte, stellte ich rasch das Wasser ab, und wickelte mir das Handtuch, dass Gott sei Dank, über der Duschwand hing, um meine Hüften. Aaron stand in der Tür und schaute mich mit seinem Blick an, den ich nicht deuten konnte.

In diesem Moment stellte ich fest, wie sehr ich diesen Ausdruck doch an ihm hasste. „Was ist los?“

Huch, das war eine neue Frage, auf die ich jetzt ganz und gar nicht eingestellt war. Diesmal fragte er mich direkt. Er kam einen Schritt auf mich zu, mich, der abgesehen von einem schmalen Handtuch um seine Hüften nackt war. „Ni..Nichts!“, sagte ich schnell. So schnell, dass ich ein Zittern in meiner Stimme nicht unterdrücken konnte.

„Sicher?“

Ich nickte schnell, und hielt krampfhaft mein Handtuch fest. Er merkte dies, und musste grinsen. Dann schaute er mir direkt in die Augen.

„Sicher, dass du dir sicher bist?“ Mit diesen Worten stand er dann ganz nah vor mir. Ich war ein Stück größer als er, weil ich in der Duschwanne stand. Ich dachte ich wäre im Vorteil, doch da sollte ich mich täuschen.

Ungeniert fasste er mir unters Handtuch. Ich merkte, dass er in diesen Angelegenheiten auf keinen Fall ein Anfänger war.

Lustschübe durchfuhren meinen Körper, als er mir das Handtuch von den Hüften riss.

Nun stand ich völlig entblößt vor ihm. Ich lief rot an. „Glaub es mir oder nicht, aber ich sehe dich nicht zum ersten Mal nackt.“ Aaron grinste.

Ich war erschrocken. Reflexartig, legte ich meine Hände über mein Zentrum. „Wer glaubst du hat dich in den letzten Wochen gewaschen und dir die Unterwäsche gewechselt.“

Mein Gesichtsausdruck hätte jeder Tomate Konkurrenz gemacht.

Irgendwie gefiel mir aber die Situation. Mitsamt Klamotten zog ich Aaron zu mir in die Duschkabine, machte die Türen zu und stellte das warme Wasser wieder an. Wir küssten uns, als das warme Wasser auf uns herab fiel.

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