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KeYNamM

Teil 6

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Inhaltsverzeichnis

17 Udad's Rache, Areksim's Tod

Udad und seine Kumpane lagen gefesselt auf dem staubigen Boden im stockdunklen Untergeschoss der verlassenen Kasbah. Sie lagen auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten und mussten mit der heißen und trockenen Luft den Staub einatmen, der sich in vergangenen Jahrzehnten auf dem Boden angesammelt hatte. Mit jedem ihrer Atemzüge wirbelte der feine Staub auf, der den Gefesselten dann Nase und Lunge verstopfte.

In diesem Augenblick hasste Udad seine Kumpane. Für ihn waren sie Feiglinge, die zu nichts anderem in der Lage waren, als mit der Nase im Staub zu röcheln und ihr Schicksal zu bejammern, anstatt sich Gedanken über eine Flucht zu machen. Er, Udad, dagegen überlegte kaltblütig wie er der todernsten Lage entkommen konnte. Und er sann auf Rache!

Der ehemalige Oberkapo der Kristallmine hatte schon zu Beginn seiner Verbrecherkarriere gelernt, dass Vorsorge besser als Nachsorge wäre. Auch jetzt hatte er ein Mittel parat, das ihm zur Flucht verhelfen konnte. Vorsichtig tastete er mit seinen freien Fingern den Saum am Ärmel seines weiten Gewands ab. Dort in einer Naht hatte er eine kleine Messerklinge versteckt. Die war nur so lang wie sein kleiner Finger, dünn wie Pergament, aber biegsam und scharf. Er wusste, wenn er sie erst herausgezogen hatte, wäre es für ihn leicht die Fesseln nach und nach durchzutrennen und erst die Arme dann die Beine freizubekommen.

Während seine Kumpane stöhnten und fluchten, konzentrierte er sich ganz auf diese Arbeit. Er zerrte mit seinen freien Fingern am Stoff bis er die Klinge fühlen konnte. Dann scheuerte er den Stoff solange über ihre Schneide, bis der aufriss und er die Klinge mit zwei Fingern fassen konnte. Noch längere Zeit benötigte er, um den groben Strick um das linke Handgelenk durchzuschaben. Als das endlich geschafft war, riss und zerrte er solange an den Fesseln, bis er erst die eine Hand, dann die andere Hand freibekommen konnte.

Udad triumphierte! Leise setze er sich auf, dehnte sich und überdachte die Möglichkeiten, die sich ihm boten. Sollte er sich allein davon machen? Sollte er die anderen losschneiden und mit ihnen zusammen fliehen? Verdient hatten sie es nicht! Er entschied sich trotzdem für die zweite Möglichkeit, da seine Kumpane bestimmt die Wachen alarmieren würden, wenn er sie im Stich gelassen hätte. Er kannte diese Gauner schließlich gut genug. Außerdem würde es einer Gruppe leichter gelingen zu flüchten und durch die Wüste bis nach Tinghir durchzukommen.

Er schnitt also einen seiner Kumpane nach dem anderen los. Dann befahl er ihnen die Seitenwände des Raums nach einem Ausgang abzutasten. Er selbst entschied sich für die Rückwand, da er in ihr den Durchgang zu den hinteren Räumen der Kasbah vermutete.

Weder an der linken noch der rechten Seitenwand war auch nur die kleinste Öffnung zu finden und der Durchgang an der Rückwand, den er schnell entdeckt hatte, war durch die herabgebrochene Decke verschüttet. Er kletterte auf den Schuttberg und hatte Glück. Er fand eine Lücke in der Zimmerdecke, zwängte sich nach oben durch und stand schon in dem darüberliegenden Raum.

Seine Kumpane kamen nach. Mit ihrer Hilfe kletterten sie durch ein enges Loch in der Rückwand in den dahinterliegenden Raum. Von dort aus tasteten sie sich durch ein Labyrinth von kleinen dunklen Kammern zur Rückseite der Wohnburg und standen plötzlich im Freien.


Was Udad nicht ahnte war, dass kurz zuvor die Imuhaghzwillinge an der Rückseite der Wohnburg eingetroffen waren. Sie lauerten noch im Dunkeln, als sie das Geräusch rutschender Steine, die die Fünf beim Verlassen der Wohnburg lostraten, sowie die geflüsterten Kommandos von Udad alarmierten. Regungslos beobachteten sie, wie die Flüchtenden einen Pfad einschlugen, der an der Steilwand des Talkessels entlang zum Ausgang in den Wadi führte. Sofort war den Brüder klar, dass es wichtig war, die Flucht Udad's und seiner Kumpane zu verhindern. Sie warteten bis die Dunkelheit die Fünf verschlungen hatte, tasteten sich dann durch die dunklen Kammern zur Vorderseite der Wohnburg und begannen Steine aus der Fensterluke eines Raumes auf die Wachen zu werfen, der sich im Stockwerk über Udad's ehemaligem Gefängnis befand. Als die Wachen nicht sofort alarmiert waren, versuchten sie mit halblauten Rufen deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hatte Erfolg. Die Wachen brachen die Tür zum Raum auf, in dem sie die Gefangenen gesperrt hatten. Als sie diese dort nicht fanden, alarmierte einer von ihnen den Feldhauptmann. Areksim ließ sofort Suchtrupps ausschwärmen, die den Talkessel durchsuchten und dessen Ausgang besetzten. Dort am Ausgang zum Wadi konnten die fünf Flüchtenden abgefangen und trotz heftiger Gegenwehr festgenommen werden.

Sobald die Jagd nach den Entflohenen begonnen hatte, verließen die Imuhaghzwillinge ihr Versteck in der Kasbah. Sie versuchten jedoch nicht zu Tarit und dem Amestan zurückzukehren, sondern schlichen dorthin, wo sie Areksim und sein Adjutanten vermuteten.


Im Talkessel war es so düster, dass die Zwillingsbrüder davon ausgehen konnten, dass sie von den Wachen nicht als Imuhagh erkannt werden würden. Und wirklich! Sie hatten Glück. Unbemerkt erreichten sie das Gestrüpp, dass um das Lager Areksim's wuchs und konnten von dort beobachten, dass drei gefesselte Gestalten zur Mitte des Lagers gebracht, besser geschleift, wurden. Zwei der Ex-Kapo schienen also entkommen oder getötet worden zu sein. Als einer der drei hinfiel, zerrten ihn die Soldaten einfach weiter durch den Sand und warfen ihn vor Areksim zu Boden.

Das kleine Feuer, das in der Mitte des Lagers brannte, loderte plötzlich auf und beleuchtete Feldhauptmann Areksim. Er hatte sich vor den drei Gefangenen aufgebaut. Inzwischen hatte sich fast das gesamte Expeditionskorps um den Feldhauptmann und die Gefangenen geschart und verdeckte den Zwillingen teilweise die Sicht auf das folgende Geschehen. Da die Beiden die Sprache des Imperiums nur ungenügend verstanden, konnten sie die folgenden Ereignisse nur schlecht verfolgen.

Das nächste jedoch, was sie mitbekamen, ließ es ihnen eiskalt den Rücken herunterlaufen. Der Kreis um den Feldhauptmann vergrößerte sich plötzlich und zwei der Gefangenen mussten sich vor ihm hinknien. Dann winkte der Feldhauptmann zwei seiner Männer heran, die ohne zu zögern ihre Dolche zogen und den Gefangenen die Kehle durchschnitten. In der Stille die folgte, wandte sich Areksim dem dritten Gefangenen zu. Er hieß ihn aufstehen und ihm die Fesseln abnehmen.

Der eine der Zwillinge hatte diesen Dritten schon gesehen. „Es ist Udad!“ flüsterte er seinem Bruder zu und fragte dann, „Was soll das?“ Weder er noch sein Bruder verstanden, warum Feldhauptmann Areksim so handelte. „Will er seine Männer beeindrucken? Will er dadurch einer Meuterei vorbeugen?“ Was dann geschah war noch seltsamer. Es folgte eine kurze, hitzige Auseinandersetzung, bei der Ex-Kapo Udad zunächst das große Wort führte. Er beschimpfte Areksim lauthals, beschuldigte ihn des Verrats am Imperator und dem Gouverneur. Soweit die beiden verstanden, war die Rede so angelegt, als würde Udad sie an die Truppe und nicht an den Feldhauptmann richten.

Areksim nahm das Benehmen Udad's zunächst ungerührt hin, begann dann aber eine längere Ansprache an seine Soldaten. Das war Areksim's Fehler. Er wurde unaufmerksam und plötzlich sprang Udad vor, drückte Areksim's Kopf mit einer Hand nach Hinten und trennte ihm mit der kleinen Klinge, die er in der anderen Hand hielt, die Halsschlagader durch. Das Durcheinander, das nun ausbrach, dauerte nur kurz. Dann lag Udad's Körper mit abgetrenntem Kopf neben dem sterbenden Feldhauptmann im Sand.


Der Tot ihres Anführers lähmte die Truppe des Gouverneurs nur einen Augenblick. Areksim's alte Kampfgefährten sammelten sich im Kreis um dessen toten Körper und nahmen sich an den Händen, als würden sie ihm ewige Treue schwören. Dann senkten sie die Köpfe und schienen ein Gebet zu murmeln. Nach kurzem Zögern holten sie die Fahne, die dem Expeditionskorps voraus geflattert war, und wickelten den Körper des Feldhauptmanns darin ein. Sechs seiner Getreuen nahmen das Bündel auf ihre Schultern und schlugen den Weg zur verfallenen Kasbah ein. Die übrigen Söldner folgten den Leichenträgern.

Die Imuhaghzwillinge wussten, dass bei der verfallenen Kasbah der alte Friedhof des Ksar der Jinns lag, ein kahles Feld mit hohen Haufen aus faustgroßen Steinen. Jeder Haufen beschützte die Gebeine der Verstorbenen einer Familie vor bösen Geistern. Sie gingen daher davon aus, dass die alten Kämpfer ein Grab anlegen wollten, in dem Areksim noch vor dem Morgengrauen bestattet würden.

Im Anschluss an das Begräbnis begannen die Teilnehmer an der Strafexpedition, besonders die jüngeren Söldner, hektisch die Ausrüstung und Vorräte zusammenzusammeln, zu Bündeln zu schnüren, Wasserschläuche zu füllen und alles auf die Reitpferde und Tragetiere zu laden. Gerade als die Sonne über den Rand des Talkessels kletterte, verließen die ersten Söldner fluchtartig das Ksar der Jinns, zunächst nur in Gruppen von vier oder fünf, bald aber in größeren Trupps. Die alten Kampfgefährten Areksim's verließen die Stätte der endgültigen Niederlage als Letzte und begaben sich als geschlossene Truppe auf den Rückweg zum Imperium. Dies beobachteten die Zwillinge, während sie zum Hohlweg zurückschlichen.


Tarit und KeYNamM waren unruhig geworden, als die Imuhaghzwillinge lange nicht zurückkehrten. Erst recht stieg ihre Sorge, als sie von ihren Beobachtungsposten oberhalb der Nordkasbah die Hektik im Lager des Expeditionskorps wahrnahmen ohne den Grund zu kennen. Sie berieten schon über einen Vorstoß zu Rettung der Zwillinge, als am Eingang des Hohlweges das ausgemachte Signal, der Gesang der Wüstenlerche, aufklang. Tarit antwortete mit dem Geschrei des Wüstenfalken und nach einigen Momenten tauchten die beiden unverletzt und in aufgekratzter Stimmung auf.

Tarit nahm ihren Bericht entgegen. „Damit ist also der große Feldzug des Gouverneurs gescheitert!“, verkündete er anschließend seinen Grenzsoldaten und den Imuhagh, die sich ihm zur Verteidigung ihres Territoriums, der großen, wilden Wüste, freiwillig zur Verfügung gestellt hatten. „Wir haben gewonnen! Jetzt ruht euch aus meine Freunde und schöpft neue Kräfte. Nach einem Bad in der Quelle des Jnun's werden wir uns am frühen Nachmittag trennen. KeYNamM, der König vom Unland und ich werden mit den Grenztruppen die Flüchtenden bis zur Grenze des Imperiums verfolgen. Ihr jedoch, ihr kehrt unter Führung von Yufayyur, meines treuen Sohns, und Ikken, den Sohn König Gaya's, zur Kasbah des Wüstenkönigs zurück, um dort den verdienten Lohn zu empfangen.“

18 Yufayyur's Klan

Ikken fror im kühlen Luftzug. Er fischte nach der leichten Decke, die er im Schlaf weggestrampelt hatte und zog sie über den Kopf. Doch nach einem Moment schob er sie wieder so weit zurück, dass er sich umsehen konnte. Wo war er?

Graues Dämmerlicht drang durch die Öffnung am Kopfende des niedrigen Bettgestells auf dem er lag. Mit dem Licht strömte kühle Luft in das Zelt und durch die Zeltöffnung am Fußende heraus. Er setze sich auf. Er war nicht allein. Neben ihm lag Yufayyur mit dem Rücken zu ihm, völlig nackt, d.h. nicht völlig, denn der Zipfel der Decke, die sich beide geteilt hatten, bedeckte seine Körpermitte. Als er genauer hinsah, bemerkte er die Gänsehaut auf dem Rücken seines Freundes. Er drückte sich ganz dicht an ihn, zog die Decke über sie beide, legte seinen Arm um seinen Freund und versuchte ihn aufzuwärmen. Yufayyur regte sich, wachte auf, drehte sich um und sah Ikken mit seinen großen dunklen Augen an.

Ikken hatte jetzt zum ersten Mal Gelegenheit Yufayyur's Gesicht in Ruhe zu betrachten, ohne dass es durch den grauen Tugulmust, das Mundtuch, verhindert wurde, das dieser immer zum Schutz vor bösen Geistern trug.

Yufayyur war wirklich schön! Yufayyur war wirklich „Schöner Als Der Mond“ wie sein Namen besagte. Er staunte. Ohne den dichten Schleier, der nur die Augen freiließ, sah Ikken erst wie schön sein Freund war. Lange Wimpern über den glänzenden, fast schwarzen Augen, darüber dichte Augenbrauen, die beinahe mit dem Haaransatz verschmolzen, dichte schwarze Haare, die bis zu den Schultern reichten. Die Nase war schmal, sehr gerade und der Bartflaum über den weichen Lippen dunkel wie die Brauen. Ikken verstand jetzt, warum Tarit den jungen Imuhagh fast so liebte, wie seine Lieblingsfrau Tamimt.

Ikken fragte sich, waren es diese Augen, deretwegen er Yufayyur schon auf den ersten Blick gemocht hatte, waren es seine geschmeidigen Bewegungen, seine Höflichkeit, seine Tapferkeit? Er hatte sich in den zwei Jahre älteren Wüstensohn verliebt, heftiger verliebt als je in einen Menschen zuvor. Zu Yufayyur fühlte er sich stärker hingezogen, als selbst zu Hiyya. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Hiyya mehr wie eine Schwester liebte, wie eine neugierige Schwester. Als er sich dessen sicher war, beugte sich Ikken über Yufayyur und küsste ihn auf die Stirn.

Yufayyur lächelte zurück, drehte sich dann auf den Rücken, „Komm her, leg dich auf mich, kleiner König Gaya. Wärme mich, ich friere.“ Ikken krabbelte auf Yufayyur, umarmte ihn und beide drückten sich aneinander und begannen Küsse auszutauschen. Als die Gänsehaut durch ein ungeahnt wohliges Gefühl verdrängt war, fragte Yufayyur, „Willst du mein Bruder sein, kleiner König?“ Als Ikken nickte, setzte er hinzu, „Zusammen können wir die Welt erobern!“

„Und ich?“, tönte plötzlich eine helle Stimme von Zelteingang her „Willst du mir meinen Bruder wegnehmen oder willst du mich auch als Bruder?“

„Aylal! Aylal!“ Ikken rollte sich von Yufayyur herunter, „Wie habe ich dich vermisst! Warum hast du uns gestern Nacht nicht begrüßt, kleiner Vogel? Ich habe dich bei Tamimt gesucht, aber dort warst du nicht, auch nicht bei ihren Schwestern!“

Yufayyur setzte sich auf und lächelte Aylal an, „Komm her! So also sieht mein kleiner Bruder Aylal aus! Schon fast so groß wie mein Ikken. Und er hat seine hellen Haare, seine blauen Augen und seine kleine Nase, und seine liebliche Stimme. Aylal, ich lieb dich schon jetzt wie einen Bruder, komm!“ Er rutschte zur Bettkante und machte Aylal auf dem Bett Platz zwischen sich und Ikken. Dann grinste er und begann Ikken's Bruder zu kitzeln „Und haben dich meine drei Schwestern verwöhnt, kleiner Vogel? Haben sie dich so verwöhnt wie mich, als ich klein war?“

Aylal wunderte sich, dass Yufayyur nackt unter der Decke lag. Er drehte sich um und tastete nach Ikken. Der war auch nackt. „Habt ihr gar nichts an? Muss ich auch mein Hemd ausziehen, damit ich euer Bruder sein kann?“ Ohne auf die Antwort zu warten, zog er sein Hemd über den Kopf.


In der Morgensonne saßen die drei, Ikken, Aylal und Yufayyur, vor dem Zelt von dessen Mutter, der ältesten und weisesten Frauen des Klans. Sie war die Klanälteste, aber nicht auf Grund ihres Alters, sondern auf Grund der Weisheit, mit dem sie den Klan führte. Sie aßen lauwarmen Hirsebrei mit Fingern aus einer großen Pfanne. Erst jetzt fiel Aylal auf, dass KeYNamM nicht dabei war. „Wo ist KeYNamM-baba! Wo ist Tarit? Tamimt, Lunja und Dihya fragen schon dauernd nach den Beiden. Auch Tarit's kleine Söhne wollen endlich, dass sie ihr Baba auf den Arm nimmt!“

„KeYNamM und Tarit? Sie verfolgen mit den Grenztruppen die Reste von Areksim's Armee. Sie hetzen sie bis zur Grenze des Imperiums. Keiner von ihnen darf im Reich des Wüstenkönigs zurückbleiben. Wenn das einer will, muss er dem Amenokal ewige Treue schwören.“

„Haben Tarit's Männer viele der Feinde getötet?“ Als die beiden nickten, „Wirklich?“ Dann schaute Aylal seinen großen Bruder neugierig an „Und du Brüderchen? Du hast gelobt nie jemanden zu töten! Du magst noch nicht einmal eine Maus töten, die in die Milch gefallen ist! Du hast bestimmt keinen getötet!“ Als Ikken rot wurde und nicht sofort antwortete, „Oder doch? “

Ikken blickte verlegen zu Boden blickte. Daher legte ihm Yufayyur einen Arm über die Schultern, „Ikken musste töten! Er war tapfer! Er musste mich und sich verteidigen. Er war tapfer!“ Dann erzählter Yufayyur stolz von der Begegnung mit Areksim's Soldaten beim Siebenziegenbrunnen und schloss den Bericht mit, „Er und ich waren nur Späher, wir wollten keinen der Feinde töten, aber Krieg ist Krieg und da heißt es immer, sie oder wir. Wir mussten uns verteidigen, sonst hättest du uns nie wiedergesehen!“

„Und KeYNamM-baba? Der war bestimmt der Tapferste! War er tapferer als Tarit? Hat er das Reich des Wüstenkönigs gut verteidigt? Hat er Tarit geholfen? Schnell, schnell, ich muss Dihya, Lunja, und Tamimt alles erzählen, sie warten schon ganz ungeduldig, besonders Tamimt! Sie hat mir verraten, dass sie und Tarit erst richtig heiraten, wenn Tarit mit Baba zurück ist! Das gibt dann ein großes Fest, ein größeres als heute Abend.“ Als Ikken ihn fragend anblickte, schlug er sich auf den Mund „Ich darf es eigentlich nicht verraten! Es ist noch ein Geheimnis, aber Tamimt hat es mir verraten. Der Stamm will eure Rückkehr feiern und die aller Kämpfer. Ganz groß! Bestimmt schon heute Abend.“ Aylal machte eine Pause, „Sollen sie auch eure Hochzeit feiern?“

„Wie kommst du darauf?“ Yufayyur runzelte die Stirn und schüttelte fragend den Kopf?

„Heute Morgen wart ihr beide nackt und du Ikken lagst auf Yufayyur, genau wie ich es gesehen habe, wenn zwei sich lieben! Ätsch! Ich habe auch gehört wie das Bett gequietscht hat!“

Ikken wurde rot, „Na und!“, er zögerte, „Das verstehst du noch nicht, Aylal. Woher weißt du das überhaupt, mit dem Lieben?“

Aylal wurde rot, „Du darfst uns aber nicht verraten! Was glaubst du was meine neuen Freunde und ich nach Einbruch der Dunkelheit machen? Wir schleichen von Zelt zu Zelt und spicken herein!“

Als Ikken erstaunt zu Yufayyur blickte, lachte der „So ist das hier! Ich war damals auch so neugierig. Hier ist doch sonst nichts los!“


Später führte Aylal die beiden, Ikken und Yufayyur, zu den Zelten der drei Schwestern, die im Schatten von knorrigen Akazienbäumen errichtet waren. Im ersten Zelt stillte Dihya gerade ihren kleinen Sohn. Ikken bekam große Augen, als sie die Drei hereinwinkte. Der kleine Prinz, so nannte sie ihren Sohn, nuckelte geräuschvoll an ihrer Brust und als sie ihn kurz ablegte, um ihren Bruder und Ikken zu umarmen, protestierte er laut. „Der ist immer hungrig! Mein Prinz wird später bestimmt genauso stark und tapfer wie sein Vater!“, lachte sie und reichte dem Baby ihre andere Brust.

Ikken wunderte sich über ihr freizügiges Benehmen. In der Stadt würde keine Mutter ihrem Säugling in aller Öffentlichkeit die Brust geben und er musste zugeben, Dihya's Brust war schön. Sie war rund, fest und voll Milch, so voll Milch, dass sie dem Kleinen aus dem Mund rann, als er daran saugte.

Yufayyur wollte beginnen vom Feldzug zu erzählen, doch sie unterbrach ihn, „Warte einen Augenblick bis mein Prinzchen satt ist, lieber Bruder, lass uns dann nach draußen gehen und uns im Schatten der Bäume niedersetzen. Dort warten bestimmt schon Lunja und Tamimt, denn sie sind genauso neugierig wie ich.“

Die beiden Schwestern warteten wirklich schon im Schatten der Bäume. Sie hatten dort eine Decke ausgebreitet. Lunja's kleiner Sohn schlief auf ihrem Arm und Tamimt vertrieb sich die Zeit mit Flechtarbeiten. Als Yufayyur sie mit einer Umarmung begrüßte, überfiel sie ihn mit Fragen. „Wann kommen Tarit und der Amestan endlich? Wann kann ich den KeYNamM endlich kennenlernen. Ich warte und warte, denn dein zweiter Vater Tarit hat versprochen, das wir richtig Hochzeit feiern, wenn KeYNamM endlich frei ist und wir alle zusammen sind.“

„Ja, die kommen bald, liebstes Schwesterlein! Tarit hat seinem Freund von deiner Schönheit erzählt und ich wette, er hat sich schon in dich verliebt, bevor er auch nur einen Blick auf dich werfen konnte.“

Ikken blickte erst auf Tamimt, dann auf die beiden anderen Schwestern, „Er liebt nicht nur dich Tamimt, KeYNamM-baba, unser Vater liebt Lunja und Dihya genauso. Er kann gar nicht erwarten euch alle drei zu umarmen!“

Jetzt mussten alle drei Schwestern lachen und die Älteste reichte Ikken ihren Sohn, „Schau wie schön er ist, dunkelhäutig wie Tarit. Er hat jetzt schon Locken wie Tarit und sonst gleicht er ihm auch!“ Lunja fügte hinzu, „Wer weiß, vielleicht werden unsere nächsten Söhne blond sein wie der Amestan.“

Dann bat sie Ikken und Aylal sich vor ihnen einmal im Kreis zu drehen. Sogleich klatschte sie erfreut in die Hände. „Seid ihr blond und blauäugig wie er? Ist er auch so hübsch wie seine Söhne?“ lachte sie, „Wenn das so ist, dann freuen wir uns ihm zu begegnen!“

„Aber er ist unser zweiter Vater, nicht unser richtiger Vater! Er kannte unsere Mutter nicht einmal. Aylal hat sich ihn zum Vater ausgesucht!“

„Nein Ikken, du hast ihn dir zuerst ausgesucht und jetzt liebe ich ihn genau wie du!“

„Kleiner König Gaya! Kleiner Vogel! Ich weiß, dass ihr ihn liebt, seit ihr ihn zum ersten Mal gesehen habt! Darum habt ihr keinen Augenblick überlegt und ihn gerettet, als er in Not war! Ihr seid seine echten Söhne!“, sagte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen. Ikken und Aylal drehten sich um und da stand sie, die Klanmutter, die Mutter von Dihya, Lunja, Tamimt und Yufayyur, in einem weißen, weiten Kleid, ihr Aleshu, das Kopftuch, mit goldenen Blättchen über und über verziert, und einem Brustschmuck, den Chomeissa, aus riesigen weißen Muschelschalen. Nach ihr kamen die anderen Frauen des Klans, viele mit Kleinkindern auf dem Arm, und dahinter die kleinen Mädchen und Jungen. Sie umringten den heimgekehrten Yufayyur und seinen Gast Ikken. Auf ein Zeichen der Klanmutter näherte sich ein Diener, setzte ein großes Tablett mit Tee vor die beiden auf die Decke und die Klanmutter setzte sich zu ihnen nieder.

Jetzt erst bemerkte Ikken, dass die größeren Jungen und die jungen Männer es sich im Schatten der Bäume bequem gemacht hatten. Die Klanmutter suchte die Gruppe mit den Augen ab und winkte dann die fünf jungen Männer heran, die am Feldzug teilgenommen hatten.

Als das Gemurmel der Unterhaltungen nicht sofort verklang, richtete sich die Klanmutter auf und befahl den Versammelten mit einer weit ausholenden Geste Ruhe. Dann wandte sie sich an ihren Sohn, seine Mitstreiter und an Ikken „Wir danken dir mein tapferer Sohn und all deinen Mitstreitern! Wir danken dir Ikken, Sohn des Königs Gaya, der, obwohl noch so jung, keinen Kampf gescheut. Eure Tapferkeit hat den Feind vertrieben, die Söldner des Imperiums, die auch uns knechten wollten. Ihr seid alle heil zurückgekommen und habt bewiesen, dass die Wüstensöhne auch einen überlegenen Feind in die Flucht schlagen können.“

Diese Lobpreisung sprach sie feierlich und ohne einmal Luft zu schöpfen. Dann hielt sie kurz inne, um den Anwesenden die Bedeutung ihrer Worte klarzumachen und schloss, „Jetzt sprecht meine Söhne, erzählt uns alles über den Kampf und den Sieg!“

Yufayyur strahlte und begann mit der Schilderung des Feldzuges. Er schilderte die Ereignisse so anschaulich, dass alle die Kämpfe miterlebten. Ikken ergänzte das Geschehen aus seinem Blickwinkel. Für den Jungen, der sein bisheriges Leben fast vollständig in der Stadt verbracht hatte, war die Begegnung mit dem Wüstengeist ein besonderes Erlebnis. Vor Aufregung zitternd erzählte er wie Kel Essuf sie als Sturmwind geweckt hatte und von den Rosen, die er ihnen schenkte. Dann verbeugte er sich tief vor der Großen Mutter, „Dir weise Mutter und allen Müttern ein Gruß von Kel Essuf, dem der Gutes schenkt, denen die ihn fürchten. Die Wüstenrosen werden dem Klan Glück, Gesundheit und Freude bescheren!“

Während der Mittagshitze zogen sich alle in die Zelte zurück, in denen der durchziehende Wind für etwas Erfrischung sorgte. Ikken und Yufayyur warfen sich müde vom überstandenen Feldzug und dem anstrengenden Morgen auf das niedrige Bett und wachten erst auf, als die Sonne hinter den Sanddünen versank.


Es war weder die Sonne, noch der Durst, noch der Hunger der sie gegen Abend aus dem Tiefschlaf holte, sondern der eintönige Rhythmus einer Trommel, die den Saiteninstrumenten den Rhythmus vorgab. Er lockte Ikken und Yufayyur zum Versammlungsplatz am Brunnen. Dort hatten sich die Mitglieder des Klans fast vollständig in einem Halbkreis versammelt. Mütter mit ihren Säuglingen an der Brust hockten auf dem sandigen Boden vor den Bäumen. Zahnlose alte Frauen kauerten dort, Geschichten längst vergangener Zeiten austauschend. Halbwüchsige Burschen versuchten junge Mädchen aus der Reserve zu locken. Diese spielten die unnahbaren Jungfrauen, warfen aber geschützt vom geschmückten Kopftuch, dem Aleshu, dem einen oder dem anderen Burschen vielversprechende Blicke zu. Die Kinder hatten ihre Spiele eingestellt und lauschten dem Gesang und der Musik.

Die Instrumente wurden von Frauen gespielt. Sie wurden angeführt von einer weißhaarige Alten, die mit einer großen Trommel den Takt vorgab. Das Instrument war aus einem alten Hirsemörser hergestellt, der mit einer Ziegenhaut bespannten war. Auf der Trommel ahmte sie den Rhythmus galoppierender Pferde nach. Neben ihr hockten zwei noch ältere Frauen und entlockten den einsaitigen Fiedeln klagende Laute. Die Klagelaute überdeckten die weichen Töne der dreisaitigen Laute, einer Tahardent, die ein junges Mädchen schlug. Über allem schwebte der sich gleichförmig wiederholende Gesang der übrigen Frauen, der ab und zu von schrillen Trillern und spitzen Jodlern unterbrochen wurde.

Beim Anblick so vieler Frauen und Mädchen fühlte sich Ikken zunächst verloren und suchte im Halbdunkel Yufayyur's Hand. Dabei erblickte er die Männer, die im Hintergrund im Kreis um ein niedriges Feuer saßen, über dem sich geschlachtete Ziegen am Spieß drehten. Die jungen Männer, von denen fünf unter Yufayyur's Führung am Feldzug teilgenommen hatten, sah er erst als sein Freund ihn ins Dunkel unter die Bäume zog. Hier hatten sie schon ungeduldig auf die beiden gewartet. Zur Feier des Tages trugen sie weiße, lange Überkleider, die im schwachen Licht des Feuers leuchteten.

Als Yufayyur und Ikken eintrafen, mussten sie sich an der Spitzte der kleinen Gruppe stellen. Langsam und würdevoll schritten die jungen Männer durch eine Lücke in der Kette der Frauen und formierten sich davor zu einem Kreis, in dessen Mitte Yufayyur und Ikken treten mussten.

Das rhythmische Klatschen der Frauen, das zuvor nur schwach zu hören war, schwoll an, ihre schweren Armreifen klapperten im Takt und eine raue Stimme hob an zu singen. Sie gehörte einer Frau, die wie eine Statue neben den Musikerinnen stand. Es war Yufayyur's Mutter, die Anführerin des Klans. Ikken verstand den Dialekt der Wüstensöhne nur ungenügend, aber aus den wenigen Worten, die er verstand, erriet er, dass die Klanmutter von einem Falken sang, der über einem Löwenrudel kreiste, sich dann tollkühn auf den Rudelführer stürzte, sich auf dessen Kopf festkrallte und ihm mit seinem scharfen Schnabel die Augen aushackte. Nach jeder Strophe des Liedes erklangen Triller, die Fiedeln schrillten auf. Nur die Laute behielt den Grundton bei. Ikken verstand, sein Freund Yufayyur war der Falke.

Die jungen Männer folgten dem Rhythmus der Trommel. Sie umrundeten ihren Anführer Yufayyur einmal schwerfällig wie müde Reittiere, dann wieder leichtfüßig wie junge Fohlen, dabei schwangen sie ihre langen Messer, als würden sie unsichtbare Feinde angreifen. Tanzten die jungen Männer links herum, dann bewegten sich Yufayyur und Ikken rechts herum. Am Ende jeder Strophe, wenn die schrillen Triller zum Nachthimmel aufstiegen, begannen sich die Tänzer um ihre eigene Achse zu drehen. Dabei flatterten die weiten Oberkleider. Je schriller die Triller erklangen, desto schneller drehten sich die Tänzer. Am Beginn jeder neuen Strophe begann der Kreistanz aufs Neue, aber diesmal bewegten sich die Tänzer in die entgegengesetzte Richtung wie bei der vorherigen Strophe.

Während die jungen Männer im Kreis tanzten, begann Yufayyur zunächst rhythmisch auf den Boden zu stampfen. Mit den Füßen kickte er den Sand hoch und imitierte so ein galoppierendes Pferd. Der feine Sand wirbelte über den Boden, wie der Sand im Sturmwind über die Wüste. Dann begann sich Yufayyur um die eigene Achse zu drehen, um gegen Ende der Strophe wieder in den Pferdetanz zu wechseln. In den Pausen zwischen den Strophen, wenn die Kreistänzer sich um sich selbst drehen, hängte sich Yufayyur bei Ikken ein und sie tanzten langsam im Kreis. Während der ersten Strophen hatte Ikken Mühe Yufayyur's Tanzschritten zu folgen, aber nach der dritten oder vierten Strophe bewegte er sich so leicht im Rhythmus der Trommel wie eine Feder.

Als die Saiteninstrumente nach dem ersten Tanz kurz aussetzten, blieben die Tänzer auf der Stelle stehen, um nach ihrem erneuten Erklingen, ihren Tanz in anderer Formation fortzusetzen. Nun reihten sich auch die Männer, die nicht am Feldzug teilgenommen hatten, in den Kreis ein und die fünf Teilnehmer am Feldzug gegen die Truppen des Gouverneurs traten in die Mitte des Kreises zu Ikken und Yufayyur. Da alle mit ihren Dolchen während des Tanzes nach imaginären Feinden stießen, wurde Ikken nervös, schließlich wollte er KeYNamM unverletzt wiedersehen. Die Männer hatten jedoch den Tanz so oft vorgeführt, dass niemand verletzt wurde. Nach dem dritten Tanz, löste sich der äußere Kreis ganz auf und alle Männer, alte und junge, stampften wie Reittiere, wirbelten den Sand auf, drehten sich wie Windhosen um ihre eigene Achse und verbeugten sich, als die letzte Strophe verklungen war, vor den Musikerinnen, den Sängerinnen und besonders vor Yufayyur's Mutter, der Klanältesten.

Dann begannen die Frauen das gebratene Fleisch zu verteilen, brachten Fladenbrote, Datteln und Feigen, reichten den Frauen Tee, den Männern Palmwein und den Kindern mit Honig gesüßtes Wasser. Yufayyur's Mutter nahm Ikken in den Arm und führte ihn etwas abseits und reichte ihm ein ausgesucht gutes Stück Fleisch. „Ich danke unserem Schöpfer, dass er Yufayyur so einen Freund geschenkt hat. Jetzt weiß ich, warum ich nach Beginn des Feldzuges alle Angst verlor und wusste, dass mein Sohn, der zukünftige Führer unseres Klans, unversehrt zurückkehren wird. Du bist wirklich der Sohn Gaya's! Wenn ich dich sehe, weiß ich, dass du den Imuhagh und den Menschen am Draa Frieden und Glück bringen wirst.“

Ikken war so müde, dass er die Worte der weisen Frau nur halb verstand, aber er verbeugte sich tief, „Mutter?“ fragte er, „Mutter? Kannst du auch meine Mutter sein? Einen neuen Vater habe ich schon! Es ist KeYNamM, aber meine Mutter ist schon so lange tot, dass ich sie nur noch als Traumgestalt kenne.“

19 Tarit's Tamimt

Leises Pferdegetrappel riss Ikken noch vor Tagesanbruch aus einem tiefen Schlaf. Er fuhr hoch, saß mit geschlossenen Augen noch einen Moment im Bett und lauschte. Er musste sich im dämmerigen Zelt erst wieder zurechtfinden. Rechts neben ihm atmete Yufayyur ruhig und tief. Er erkannte ihn an seinem Geruch. Aber da war noch jemand im Bett, dort zu seinen Füßen. Als er vorsichtig mit den Zehen nach dem Eindringlich tastete, drehte der sich um, murmelte unverständlich vor sich hin und atmete dann ruhig weiter. Jetzt wusste er, es konnte nur Aylal, der kleine Vogel, sein Bruder, sein. Ikken erinnerte sich, dass er sich nach dem Tanz mit Yufayyur ins Zelt zurückgezogen hatte und wie tot ins Bett gefallen war. Aber wo kam sein Bruder plötzlich her?

Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Zeltvorhang flog zurück und eine große Gestalt drängte sich in das enge Zelt und dann noch eine. Er brauchte nur einen Augenblick und wusste, dass dies KeYNamM und Tarit waren. Nackt wie er war, sprang er aus dem Bett und fiel seinem neuen Vater aufgeregt um den Hals und küsse ihn auf beide Wangen, „KeYNamM, KeYNamM-baba!“, rief er froh, drehte sich um, „Aylal, KeYNamM ist da! KeYNamM-baba, Baba ist heil zurück!“

Das Freudengeschrei weckte beide Schläfer. Aylal versuchte sich sofort zwischen Ikken und KeYNamM zu drängen und zerrte solange an den beiden bis alle drei aufs Bett fielen. In der Zwischenzeit hatte Tarit Yufayyur an den Schultern gepackt, „Lass dich ansehen Söhnchen! Du siehst glücklich aus! Glücklicher als ich dich je erlebt habe! Du strahlst! Ich weiß, wer Schuld daran hat!“, dabei deutete er auf Ikken. Anstatt zu antworten, zerrte Yufayyur so lange an Tarit, bis auch sie zusammen auf dem Bett landeten.

Als endlich jeder der fünf seinen Platz auf dem schmalen Bettgestell gefunden hatte, KeYNamM zwischen Ikken und Aylal und Tarit neben Yufayyur, erzählten sie sich, was in den letzten Tagen alles passiert war. Nach kurzer Zeit fielen zunächst Aylal, dann Ikken und schließlich auch den anderen die Augen zu.

Sie wachten erst auf, als sich Yufayyur's Mutter mit Tamimt, Lunja und Dihya ins sonnenhelle Zelt drängten. Hinter ihnen tauchten wie aus dem Nichts die anderen Frauen des Klans auf. Bevor die auch nur einen Blick ins Zelt werfen konnten, drängten sich Kinder herein, zunächst die Jungen, von denen die Keckesten aufs Bett kletterten, um Tarit begrüßen zu können, und dann die Mädchen. Die halbwüchsigen Mädchen standen erst stocksteif da, begannen aber zu tuscheln, als sie bemerkten, dass sich Ikken und Yufayyur unter der Decke versteckten. Als ein vorlautes Mädchen herausplatzte „Die sind ja nackt!“, scheuchte die Klanmutter alle Besucher hinaus. „Wir treffen uns unter den Bäumen, dort müsst ihr uns alle Neuigkeiten berichten!“

Dihya und Lunja war das gar nicht recht, sie hatten Tarit nun schon fast einen Monat entbehren müssen. „Erst musst du deine Söhne sehen!“, protestierten die beiden unisono, „Was glaubst du, wie die beiden in der Zeit, in der du weg warst, gewachsen sind! Komm, wir gehen zu Dihya's Zelt, dort schlafen sie beide!“ Aber ihre Mutter runzelte nur die Stirn „Erst sind Tarit und KeYNamM dem Stamm Rechenschaft schuldig und dann könnt ihr Tarit ganz für euch haben.“

Als Tarit bemerkte, dass seine Lieblingsfrau Tamimt enttäuscht zu ihm aufblickte, nahm er sie in den Arm, küsste sie auf die Stirn, „Warte bis heute Nacht, dann erfülle ich mein Versprechen. KeYNamM und ich werden die ganze Nacht mit dir verbringen! Daher habe ich eine Bitte, leiste meinem Freund Gesellschaft, während ich mich um meine kleinen Söhne kümmere.“


Als Tarit gegen Abend Lunja und Dihya verließ, war er todmüde, müder als nach einer Woche im Sattel und sogar noch müder, als nach dem Feldzug gegen Areksim. Als er vor dem Zelt von Yufayyur traf, stolperte er fast über KeYNamM, der dort Aylal und seinen Freunden vom Feldzug erzählte.

„KeYNamM, KeYNamM!“ er hockte sich neben seinen Freund, „Glaub mir, mit der ersten Frau ist es aufregend, mit der zweiten Frau macht es noch viel mehr Spaß, aber mit beiden zugleich, das macht dich total fertig! Ich bin völlig fertig KeYNamM, halt mich fest, sonst falle ich auf der Stelle um!“

„He, he! He Tarit! Was hast du mir im Camp jeden Morgen erzählt? Die ganze Nacht habe ich von meinen Wüstenblumen geträumt! Wenn ich erst zurück bin, bleib ich eine ganze Woche bei meinen Schönen im Zelt! Und jetzt?“ KeYNamM feixte und drohte Tarit mit dem Finger, der aber feixte zurück, „Lach nicht zu früh, alter Mann! Warte, warte bis morgen früh!“ Als KeYNamM seinen Freund erstaunt ansah, „Du kennst mein Versprechen, Mann ohne Namen. Tamimt möchte Zwillinge, einen mit blauen Augen und schwarzem Kraushaar und einen mit schwarzen Augen und blondem Haar. Und wer könnte ihr die besorgen? Nur wir beide gemeinsam.“

Aylal, der KeYNamM seit dem Morgengrauen nicht von den Fersen gewichen war, wollte zeigen, was er von seinen Imuhaghfreunden alles gelernt hatte und mischte sich vorlaut ein, „Tarit, wenn du Tamimt Zwillinge machst, dann haben beide Kraushaar und sind schwarz, ganz wie die Söhnchen von Dihya und Lunja. Die sind schwarz wie du und bestimmt nicht so blond wie KeYNamM-baba! Das weiß jedes Kind!“ Tarit zupfte ihm am Ohr, „Viel gelernt hier Aylal! Ja? Hier draußen sieht man mehr als in der Stadt, oder? Aber warte, um diese Zeit nächstes Jahr hast du vielleicht zwei Brüderchen! Ein schwarzes und ein weißes! Wetten!“


Das Trommeln weckte Tarit. Verdammt, dachte er, ich muss eingeschlafen sein! Er brauchte nur einen Moment bis er wusste, was das Trommeln bedeutete. Ein großes Fest! Das siebentägige Fest zu seinen Ehren. Das Fest zu KeYNamM's Ehren, zu Ehren ihrer Söhne Yufayyur und Ikken. Die Siegesfeier! Sie würde noch sechs Abende dauern, denn den ersten Festabend hatten er und KeYNamM verpasst, denn da waren nur Yufayyur und Ikken beim Klan. Die hatten es genauso verdient, wie er und der Amestan. „KeYNamM, KeYNamM! Wo bist du?“, rief er vergebens, denn der war schon bei den Männern am Festplatz, wohin ihn Aylal und der Duft der über dem offenen Feuer bratenden Ziegen hingezogen hatte.

Heute war das Fest anders als am Abend zuvor. Die Musikantinnen waren die gleichen, die Frauen, jungen Mädchen und Kinder standen im Halbkreis vor den dunklen Bäumen, jedoch heute sang nicht nur die Klanmutter, heute trugen auch Tarit's Frauen Dihya, Lunja und Tamimt Lobeshymnen auf die Helden vor.

Als der Tanz begann, schritten als erstes KeYNamM und Tarit durch die Lücke im Halbkreis und begannen den Tanz der stolzen Pferde. Während sie mit ihren Füßen den Staub hochwirbelten, wie diese, wenn sie im Galopp durch den Wüstensand stürmten, begann die Klanmutter mit den Lobpreisungen “Schwarzer Reiter! Schwarzer Reiter! Wüstenprinz, der siegreich ist ...“ und nacheinander stimmten Dihya, Lunja und Tamimt in den Wechselgesang ein, nur unterbrochen von dem schrillen Trillern der anderen Frauen am Ende jeder Strophe. Das Loblied auf Tarit ging ohne Verzögerung auf die Lobpreisung von KeYNamM über, nur das hier Tamimt die Ehre der Vorsängerin übernahm, „König des Draa, Beschützer des Unlands, Unsichtbarer, den niemand kennt, der verschwindet wie der Draa in der Sandwüste und wieder auftaucht, wo ihn niemand vermutet! Beschützer des Unlands ...“ Als die Strophen verstummten, drängten sich die jungen Männer durch den Halbkreis der Frauen, Yufayyur und Ikken an der Spitze, und der Rundtanz um die Helden des Abends begann. Beim zweiten Tanz holte Tarit Yufayyur und Ikken in den Kreis und der beim Tanz aufgewirbelte Staub trieb nicht nur den alten Frauen Tränen in die Augen.


Wo war der bunte Teppich mit den Blumen, der den Wind am Zelteingang aufhielt? Aylal rieb sich die Augen. Dann lauschte er den Atemzügen neben sich. Es war nicht Tamimt! Er wälzte sich von seiner linken auf seine rechte Seite. Natürlich war es nicht Tamimt, wie in den Wochen zuvor, es war Ikken und die Arme, die um seinen Bruder geschlungen waren, gehörten Yufayyur. Darum war das Zelt so kahl! In Yufayyur's Zelt war nur das Notwendigste, eine Truhe mit Gewändern, außerdem Waffen und der Sattel. Er setzte sich auf. Nicht einmal etwas zu Essen, kein Honig, keine Datteln, keine Feigen nur ein Krug mit Wasser. Yufayyur verließ sich ganz auf seine Mutter oder er schmarotzte bei seinen Schwestern, am liebsten bei Dihya, der Ältesten, denn die kochte am besten.

Aylal überlegte, ob er sich noch einmal umdrehen und weiterschlafen sollte, dann aber hatte er das Gefühl, dass er dringend in den Wald musste, denn seine Blase drückte. Außerdem! Wer hatte heute Nacht Tamimt Gesellschaft geleistet? Er musste sich an ihr Zelt schleichen und spionieren!

KeYNamM hatte nach dem Tanz den am Versammlungsplatz in den Schlaf gefallenen Aylal auf den Armen ins Zelt von Yufayyur getragen und ins noch leere Bett gelegt. Ikken, der sehr viel später verschwitzt und mit vollem Bauch vom Tanzplatz kam, hatte seinen kleinen Bruder an den äußersten Bettrand gedrückt, sich hingelegt und hatte beinahe schon geschlafen, als Yufayyur kam. „Tamimt hat heute Nacht wohl andere Gesellschaft“, bemerkte er, als er Aylal sah. Dann küsste er Ikken auf den Mund. „Heute Nacht feiern Tarit und Tamimt endlich ihre richtige Hochzeit. Meine kleine Schwester hat mir verraten, dass Tarit sie erst dann zur Frau machen will, wenn KeYNamM frei ist“, dann zögerte er, „Tamimt verlangte von Tarit, dass sein Freund an diesem feierlichen Augenblick zugegen ist. Sie weiß, dass sich die beiden schon geliebt haben, noch bevor er sie zum ersten Mal sah!“

Ikken versuchte seinem Freund tief in die Augen zu sehen, was im Dunklen fast nicht möglich war „Yufayyur, sag mir, sind Tarit und KeYNamM immer noch ineinander verliebt, so wie damals als sie sich zum ersten Mal sahen?“, dann zögerte Ikken, „Glaubst du, dass wir auch noch ineinander verliebt sein werden, selbst wenn du hier beim Klan und ich am Draa lebe?“ „Kleiner König Gaya, ich weiß es! Ich glaube daran! Aber wer weiß jetzt schon, was dann ist.“

Am Abend dieses Tages begann der dritte Abschnitt der siebentägigen Siegesfeier. Am ersten Abend hatten nur die Bewohner des kleinen Klans die Sieger gefeiert, schon am zweiten Abend stimmten die Klans aus den nächsten Dörfer in den Siegesjubel ein und vom dritten Abend an strömten Besucher von Nah und Fern herbei. Mit jedem neuen Besucher steigerte sich das rhythmische Klatschen, nahm die Intensität der Lobgesänge und die schrillen Triller der Frauen zu. Es wurden jetzt nicht nur die Sieger des jetzigen Feldzugs in den Liedern und den Tänzen gepriesen, sondern die Sieger vergangener Schlachten bis zurück zum König Gaya und jedes Mal am Ende der Tänze wurde Kel Essuf angefleht, die Sinne der Feinde auch bei zukünftigen Feldzügen zu verwirren.


Der Bote des Amenokal kam bei Tagesanbruch. Bei den drei Zelten Tarit's sprang er vom Pferd, stürmte durch den Eingang des ersten, „Tarit, Herr und liebster Sohn des Wüstenkönigs, in der Grenzprovinz des Imperiums gehen seltsame Dinge vor. Reiter nähern sich Tinghir in der Grenzprovinz. Es ist Gefahr in Verzug! Der Amenokal muss wissen, was die Reiter vorhaben. Sollen sie die Niederlage Areksim's Expeditionskorps rächen? Sollen sie den eigenmächtigen Gouverneur in die Schranken weisen?“, er schnappte nach Luft, „Wach auf Tarit, deine Männer erwarten auf dich schon morgen am Ksar der Jinns.“

Aber Tarit war nicht im Zelt von Dihya. Sie wachte auf, beschimpfte den Boten, „Unverschämter! Was gibt dir das Recht in das Zelt einer ehrenhaften Frau einzudringen! Nicht einmal der Amenokal darf ohne Einladung hier herein.“ Dann besann Sie sich „Such ihm im geschmückten Zelt. Er und sein Freund KeYNamM haben diese Nacht dort verbracht! Weck ihn auf, wenn du dich traust!“

Der Bote traute sich und schon vorm Mittag brachen Tarit und KeYNamM auf. Ikken und Aylal mussten mit. Aylal jammerte „Jetzt verliere ich meine neuen Freunde und wer soll Tamimt bewachen, wenn ich nicht mehr da bin?“ Ikken war nicht so traurig, denn Yufayyur würde mitreiten, „Bis zur Grenze mein Ikken!“, sagte er, „Und wenn es sein muss, bis nach Tinghir. Ich helfe dir deinen Vater zu rächen.“

Die kleine Gruppe von Reitern nahm nicht den Umweg über die Kasbah des Wüstenkönigs zum Ksar der Jinns, sondern ritt auf direktem Weg dorthin. Trotzdem dauerte der Ritt eineinhalb Tage. Als sie endlich bei der Quelle des Jnun an den drei Wohnburgen ankamen, sanken alle erschöpft aus dem Sattel und schliefen bis zum Morgengrauen des nächsten Tages. Der Amenokal hatte Wort gehalten. Tarit's alte Truppe war vollzählig eingetroffen, ergänzt durch die beiden ehemaligen Söldner Areksim's aus Tinghir, die dem Amenokal die Treue geschworen hatten.

Beim Ritt entlang des Trockentals zur Quelle der Meryem, ärgerte sich Tarit über den Unrat, den die Söldnertruppe des Gouverneurs überall zurückgelassen hatte, leere Wassersäcke, zerborstenes Geschirr, unbrauchbare Waffen. In ihrer Eile hatte sich die Söldner nicht einmal bemüht ihre Ausscheidung mit Sand zuzudecken. Tarit schüttelte angeekelt den Kopf und befahl seinen Männern die Überreste des Feldzuges aufzusammeln und zu verbrennen.


Ikken und Yufayyur wussten, dass die Nacht an der Quelle der Meryem für lange Zeit die letzte sein würde, die sie unter einer Decke miteinander verbringen konnten. Sie kletterten den steilen Pfad zur Hochfläche über der Quelle hinauf, breiteten ihre Decke auf den Klippen aus und starrten traurig in den Nachthimmel.

„Glaubst du, dass Kel Essuf und seine Jinns mich auch beschützen werden, wenn ich im Tal des Draa bin? Glaubst du, dass sie mich beschützen, wenn ich zur Stadt aufbreche, um meinen Vater zu rächen?“ Ikken klammerte sich an Yufayyur, „Dich beschützen sie bestimmt, denn du bleibst in der Wüste und bewachst die Grenze!“

Ich bin kein Marabout, dachte Yufayyur bei sich, kein weiser Mann, der die Zukunft vorhersagen kann. Er sprach es aber nicht aus, sondern griff stattdessen nach einem Lederbeutel, den er um den Hals trug, „Hier!“, er legte die Lederkordel mit dem Beutelchen um Ikken's Hals, „Hier! Das Amulett hat meine Mutter mir für dich mitgegeben. Es hat ihren Bruder beschützt, es wird dich beschützen, wie mein Amulett uns beide auf dem Feldzug beschützt hat.“ Im schwachen Mondlicht suchte Yufayyur Ikken's Augen, „Ich soll dir von ihr sagen, dass sie dich liebt, dass sie dich ebenso liebt wie ich dich.“ Als Ikken erstaunt blinzelte, „Sie ist eine weise Frau, sie weiß alles, sei weiß was uns verbindet.“

Als sie die Morgenröte aufweckte, kuschelte sich Ikken noch enger an Yufayyur als in den Nächten zuvor. „Ich habe dich stärker gespürt als je zuvor. Du warst tiefer und länger bei mir als je zuvor. Ich habe mir gewünscht, die Nacht würde nie zu Ende gehen.“

Yufayyur steckte seine Nase tief in Ikken's Haarschopf, atmete seinen Duft ein, „Diese Nacht war schöner als jede zuvor. Ich spüre dich immer noch!“ Dann kicherte er leise, „War ich ein guter Lehrer?“ Als Ikken den Kopf drehte und ihm zunickte, meinte er „Du musst in Übung bleiben, mein Ikken, wenn wir getrennt sind. Ich bin ein strenger Lehrer und prüfe deine Fortschritte, sobald wir uns wiedersehen.“

Als die Pferde unten bei der Quelle unruhig zu wiehern begannen, rannten die Freunde übermütig den steile Pfad hinunter, sprangen auf die schon gesattelten Pferde und folgten den anderen, die den Weg zum Grenzgebiet des Wüstenreichs eingeschlagen hatten. Einige Meilen unterhalb der Quelle der Meryem trennten sich KeYNamM mit Ikken und Aylal von Tarit, Yufayyur und ihren Soldaten. Während KeYNamM mit seinen Söhnen nach Nordwesten abbogen und dem Pfad durch das Gebirge folgten, ritten die Grenzschützer in Richtung zur Mündung des Wadi ins Draatal.

Beim Abschied richtete sich Yufayyur in den Steigbügeln auf und warnte Ikken, „Du darfst das Amulett nie öffnen, kleiner König Gaya! Du darfst das Amulett nie ablegen. Es verliert dann seine Kraft und muss neu gesegnet werden.“

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