zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die Liebe und die Freiheit

Teil 9 - Aurelias und Kaskur

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Es würde ein langer Weg zurück nach Aurelias sein. Tasius war wiedergefunden, er hatte sich als Mädchen Darina im Land Kaskur versteckt. Dabei hat er den jungen Mann Cain kennen und lieben gelernt, doch Cain verliebte sich in Darina und nicht in Tasius. Deshalb machte sich Tasius mit Julius und dessen Gefährtin wieder auf die Reise zurück in die Heimat. Er konnte auch deshalb nicht bei Cain bleiben, denn dieser würde es ihm nie verzeihen, dass er so mit seinen Gefühlen gespielt hatte. Julius war wieder an seiner Seite und der Streit, bevor sie sich trennten, bevor er seine Heimat verließ, war vergessen. Nur die Gedanken an seinen Vater machten ihm Sorgen. Wie würde er auf seinen zurückkehrenden Sohn reagieren?

Julius bemerkte, dass Tasius mit seinen Gedanken ganz wo anders war und sprach ihn an: „Tasius was ist los mit dir? Ist es wegen Cain? Du hast ihm doch den Brief geschrieben, wie ich ihn einschätze, wird er deine Entscheidung verstehen. Wenn er dich liebt und zwar wirklich dich, als Tasius und nicht als Darina, dann wird er es dich wissen lassen. Glaube mir! Und vor deinem Vater brauchst du auch keine Angst haben. Also komm, lass uns mit einem glücklichen Gesicht nach Hause gehen“.

Die drei wanderten weiter durch die Ebene.


Im Palast von Kaskur, saß Cain in dem großen Saal mit dem Brief in der Hand. Noch hatte er ihn nicht gelesen, aber er wusste, Darina war fort. Cain war traurig, wütend und enttäuscht zu gleich. Was würde er in dem Brief lesen und wie würde er auf das reagieren, was er darin erfahren würde? Cain gab sich selbst einen Ruck, öffnete den Brief und las ihn, Seite für Seite. Erst wurde er richtig wütend, dann sehr, sehr traurig. Seine Gefühle waren jetzt total durcheinander, hatte er sich wirklich so in diesem Menschen getäuscht? Cain nahm den Brief und lief wortlos, nicht links und nicht rechts schauend, in sein Gemach.

Daikin der auch in dem Saal war, folgte seiner Majestät „Hoheit, Cain! Hört Ihr mich? So wartet doch!“

Cain hörte nicht auf die Rufe, er war mit den Gedanken bei Darina, oder wer auch immer sie war.

Daikin folgte seinem König bis in dessen Gemach. Erst dort hielt er ihn auf, nahm seinen Arm und hielt ihn einfach fest: „Was ist los mit euch? Cain, so sprecht doch!“

Der neue König reagierte überrascht auf Daikin, blickte diesem tief in die Augen. Dann brach es aus ihm heraus, er ließ seinen Gefühlen freien Lauf und erzählte seinem Freund und Berater alles, gab ihm den Brief zu lesen: „Was soll ich jetzt tun, das grenzt doch an Verrat! Wie kann sie, ich meine er, wie kann er mir das antun? Und was soll das Volk von mir denken, er ist ein Mann wie ich!“

Daikin war von dieser Neuigkeit erschrocken. Dass Darina anders war als andere Mädchen, das hatte er bemerkt. Aber mit einer derartigen Wendung hatte er auch nicht gerechnet. Doch Cain erwartete eine Antwort von ihm: „Ich weiß nicht, was Ihr tun könnt. Wenn es wirklich so sein sollte, wie es zunächst scheint, denke ich, das Volk sollte erfahren, dass Ihr so getäuscht worden seid. Dennoch bitte ich Euch, in Ruhe darüber nachzudenken, was Ihr tun werdet. Wenn Ihr echte Gefühle zu diesem Menschen habt, ist es dann nicht - verzeiht mir meine so direkten Worte - ist es dann nicht egal, ob er eine Frau oder ein Mann ist? Der Mensch zählt doch, seine Art und Weise Euch gegenüber. Ihr müsst eine Entscheidung treffen und ich bin sicher, Ihr werdet Euch richtig entscheiden“.

Cain hatte seinen Blick immer noch auf Daikin gerichtet und es war ihm anzusehen, dass es in ihm heftig arbeitete. Dann löste er sich langsam aus dem Griff seines Beraters und lief weiter in sein Gemach. Er musste jetzt für sich allein sein und über die Worte seines Freundes nachdenken. In seinen Räumen fühlte er sich sicher, hier konnte er seine Gedanken sortieren.

Der junge König nahm sich Tasius´ Zeilen noch einmal zu Hand. Und er las sie wieder und wieder. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr wurde aus seiner Wut und Traurigkeit Enttäuschung. In dem Brief schrieb Tasius auch, wo er zu finden sein würde, wenn Cain ihm verzeihen und ihn wirklich so, wie er sei lieben würde. Cain legte sich mit den Gedanken an Tasius zu Bett. Es war ein sehr anstrengender Tag gewesen, doch auch seine Nacht wurde anstrengend und unruhig.


Draußen in der Ferne waren Tirka, Julius und der verschollene Prinz Tasius immer noch unterwegs. Es würde Tage dauern, bis sie Aurelias erreichen und dann dort in der Stadt Lia und im Königspalast eintreffen würden. Der Abend brach an, die Sonne versank allmählich hinter dem Horizont und die Freunde machten eine Rast.

„Wir sollten hier ein Lager aufschlagen, ich bin hungrig und kann nicht mehr“, schlug Tirka vor. Obwohl sie erst am Anfang ihrer Schwangerschaft war, war ihr die Fußreise dennoch schwergefallen. Julius und Tasius stimmten ihrem Vorschlag zu.

„Ich werde als erster Wache halten, ich kann sowieso nicht schlafen“, erklärte Tasius.

Und da Julius seinen Freund kannte und seine Lage nachempfinden konnte, widersprach er ihm nicht und ließ dem Prinzen seinen Willen. Julius kümmerte sich um das Feuer und Tirka bereitete das Essen.

In einem stillen Moment verriet Tirka dem Prinzen: „Julius hat viel auf sich genommen um dich zu finden. Er war schon am Ende seiner Kräfte. Tasius, du kannst dich glücklich schätzen, solch einen Freund zu haben. Er liebt dich von ganzem Herzen auf seine Art und Weise.

„Ich danke nicht nur Julius, sondern auch dir Tirka. Ich bin wirklich glücklich euch beide zu haben. Das einzige, was mir nicht aus dem Kopf geht und mich unentwegt beschäftigt, ist Cain. Wird er mir jemals verzeihen, dass ich ihn so verletzt habe?“, gab Tasius ohne zu zögern zurück.

„Wenn er deinen Grund dafür versteht und wenn er sich in den Menschen verliebt hat, den ich jetzt kennenlernen darf, dann wird er dir verzeihen, ganz sicher. Er braucht nur Zeit, die solltest du ihm geben“, antwortete Tirka liebevoll.

Tirka fand genau die richtigen Worte, Tasius fühlte sich schon etwas besser. Und obwohl er zunächst keinen Appetit hatte, konnte er nun doch etwas essen. Nach der Mahlzeit legten sich Julius und Tirka zum Schlafen nieder. Tasius übernahm die erste Wache, wie vereinbart.


Im Land Kaskur im Palast, lag Cain derweil auf seinem Bett immer noch wach und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. „Konnte ich mich so täuschen? Warum habe ich nichts bemerkt, wie blind war ich denn? Wir haben schöne Zeiten zusammen gehabt, ich habe mich so wohl gefühlt. Ich liebe sie doch, ich meine ihn. Ach, was denke ich da, ich kann ihn nicht lieben. Egal was ich gefühlt habe, als er noch Darina war, es geht nicht. Und doch fühlte es sich so normal an, so ehrlich, so echt. Bin ich nicht normal? … Doch, ich bin normal. Ich habe mich in ein Mädchen verliebt, nicht in einen Mann. Er hat mich getäuscht!“

Cain war in seinen Gefühlen so verletzt, dass er nicht einen Augenblick an seine neuen Aufgaben als König denken konnte. Nur diese verletzten Gefühle beschäftigten ihn in diesem Moment. Sein Stolz war auf das Schlimmste beschädigt, sein königliches Ansehen in Gefahr.

Am nächsten Morgen versuchte Cain sein Bestes und versuchte sich in seine Arbeit als König zu stürzen. Er hielt Audienzen ab und schaute sich die Pläne an, wie man die Stadt erneuern konnte. Er konnte sich jedoch, entgegengesetzt zu den Tagen vor Tasius´ Brief, nicht wirklich konzentrieren, ständig geisterten ihm Darina und Tasius duch den Kopf. Am Nachmittag gab er schließlich eine Erklärung ab, dass die Hochzeit mit Darina abgesagt sei, nur den Grund verschwieg er. Der König wollte keine Schmach über sich ergehen lassen, dabei wusste er immer noch nicht, wie er mit dem Verrat umgehen sollte: „Die Hochzeit mit Daina ist abgesagt, sie hat sich entschieden uns zu verlassen und ist zu ihrer Familie zurück gekehrt. Sie hat sich entschuldigt und hofft darauf, dass sie immer wieder willkommen ist. Doch ich als König finde, wir brauchen Zeit. Uns stehen jetzt hohe Aufgaben und, wenn wir alles richtig machen und fleißig sind, auch große Glanzzeiten bevor.“ Mit diesen Worten wandte sich der König an die Bewohner der Stadt, diese klatschten und jubelten ihm hinterher.


Während Cain mit seinem Volk sprach, wanderte Tasius mit seinen Freunden weiter. Sie waren schon den halben Tag unterwegs, Julius und Tirka tollten unterwegs miteinander herum, lachten viel und genossen es, endlich nach Hause zurückzukehren und glücklich miteinander leben zu können. Tasius lief hinter ihnen her, er war unglücklich, er freute sich für seinen Freund, ohne Frage, dennoch wäre auch er gern mit frohem Herzen unterwegs gewesen.

„Komm, das wird auch bei dir schon alles gut werden, jetzt hör doch bitte auf dir Gedanken zu machen. Und freu dich auf ein neues Leben zu Hause, mit uns“, stellte Julius klar.

„Genau, Kopf hoch! Wir sind jetzt zusammen und Cain wird bald bemerken, dass er dich braucht. So, jetzt ist Schluss mit Trübsal blasen, jetzt werden wir leben und Spaß haben!“

Nach diesen Worten schubste Tirka Tasius etwas, sodass er zu Fall kam. Tasius rappelte sich wieder auf und sah sie verwundert an. Doch Tirka und Julius hielten sich den Bauch fest vor Lachen, daraufhin konnte auch Tasius nicht länger ernst bleiben. So unbeschwert zu lachen, dies hatte er schon lange nicht mehr getan. Insgeheim freute sich Tasius ja doch auf zu Hause, seinen Vater zu sehen, in seinem eigenem Bett zu schlafen und sich in seiner Stadt wieder umzuschauen. Die weißen Häuser, die in der Sonne glänzten, sie fehlten ihm. Julius´ Familie fehlte dem Prinzen ebenso, sie waren immer gut zu ihm gewesen, hatten ihn behandelt wie ihren eigenen Sohn. Je weiter sie sich von Kaskur entfernten und Aurelias näherten, desto leichter fiel es ihm, Kaskur und Cain hinter sich zu lassen.

Der Prinz und seine Freunde wanderten ihrem Ziel entgegen, doch bald hatten sie noch eine Rast zu machen und diese bei Tirkas Mutter Sarafina.


Cain saß im Thronsaal in Kaskur und überlegte mit einer Armee im Land Aurelias einzumarschieren. Er wollte keinen Krieg, er wollte nur den, in seinen Augen den Verräter, haben, der mit seinen Gefühlen gespielt hatte. Er wollte den jungen Mann dazu anhören und ihn des Verrates anklagen. Der junge König ließ sich von seinen Beratern über mögliche Vorgehensweisen unterrichten, Feldherren waren auch dabei. Cain entschied dann, nur so viele Soldaten mitzunehmen, wie es unbedingt nötig sein würde. Gerade genug, um Eindruck zu schinden, aber nicht genug, um einen Krieg zu führen. Er hatte gerade seinen Vater vom felsigem Thron gestoßen, das Land war ohnehin geschwächt, da kämme ein Krieg keinesfalls in Frage. „Wie besprochen, wir machen uns mit hundert Soldaten auf den Weg ins Reich Aurelias. Sobald wir in das Land vorgedrungen sind, werden Kundschafter vorreiten und König Fietus unser Anliegen melden!“, bestimmte der junge Cain.

Nach diesem Befehl machte er sich wieder daran, die Aufgaben zu erledigen, die nötig waren, ein Land zu regieren und es neu aufzubauen. Das war harte Arbeit. Sein Vater Kieran der Schreckliche hatte alles verkümmern lassen und sich den Reichtum selbst in die Schatzkammern gepackt. Das wollte Cain nun ändern. Neue Häuser bauen, neue Straßen und alles was dazu gehörte, um der Stadt und dem Land ein neues, friedliches Bild zu geben.

Seine Untertanen waren froh, nun einen solchen Herrscher zu haben. Sie vergötterten ihn schon jetzt, da er den Willen für Veränderungen zum Nutzen des Volkes gezeigt hatte, sangen Lobeshymnen auf ihn. Er war die gute Hoffnung, die neue Seele des Landes. Die Bauern bestellten das Land neu, die Maurer bauten die Häuser und die Frauen kümmerten sich um die Männer und Kinder, webten neue, farbenfrohe Stoffe, nähten neue Kleider. Das Land war im Wiederaufbau und die Bewohner waren glücklich, endlich wieder für sich und für das allgemeine Wohlergehen arbeiten zu können.


Draußen in der weiten Ferne, in der Ebene waren die drei Freunde unterwegs. Es war schon am Dämmern, als sie ihr Tagesziel erreichten und am Haus von Tirkas Mutter ankamen. Die Frau saß draußen und war überaus froh, ihre Tochter gesund und munter zu sehen: „Endlich bist du wieder zu Hause, ich habe dich so vermisst und sehnsüchtig auf dich gewartet.“

Beide Frauen nahmen sich in Arm, dabei sah sie Julius und winkte ihn zu sich: „Du hast meine Tochter zurück gebracht, ich danke dir sehr. Und hast du gefunden, wo nach du gesucht hast?“

Nach diesen Worten drehte sich Julius um und zeigte auf Tasius. Der Prinz kam auf die drei Personen zu und nickte der Dame zur Begrüßung zu. Die Frau knickste vor dem Prinzen und bat alle hinein ins Haus. Sie setzten sich an einen runden Tisch, der in der Kochecke stand.

„Und wie war die Reise? Ich bin neugierig auf eure Erzählungen. Und lasst nichts aus!“, sprach Sarafina.

Tirka machte den Anfang, sie erzählte von der Reise, dass sie lange umherwanderten, von Dorf zu Dorf und nur erahnen konnten, welchen Weg Tasius genommen haben könnte, schließlich im Land Kaskur in der Stadt vor dem schwarzen Palast Kieran des Schrecklichen ankamen und wen sie dort alles kennenlernten. „Nach gut zwei Tagen fanden wir den Prinzen, aber ich glaube, das sollte er lieber selbst erzählen“, endete sie.

Tasius schaute zwischen seinen Freunden und der Frau hin und her, dann begann er zu erzählen: „Ich stand vor den Toren der riesigen Stadt in Kaskur. Da ich nicht wusste, was mich dort erwartete oder wer mich dort kennt, habe ich mich nicht zu erkennen gegeben und dann als Mädchen namens Darina getarnt. Am Ende lernte ich Cain kennen, gemeinsam haben wir Kieran vom Thron gestoßen. Naja und jetzt bin ich hier, auf dem Weg nach Hause.“

Sarafina staunte und hörte angeregt zu, schließlich fragte sie: „Wie hat Cain darauf reagiert, dass Ihr ein Mann seid? Ich glaube er war ziemlich enttäuscht.“

Tasius schaute beschämt auf den Tisch und fuhr fort: „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich das nicht ganz so recht. Ich habe ihm, so feige wie ich war, einen Brief hinterlassen, in dem ich ihm alles erklärte, selbst meine Gefühle habe ich ihm gegenüber offenbart.“

Als sie das mit den Gefühlen hörte, traute sie ihren Ohren kaum. Für Sarafina, eine Frau der alten Schule, war es schwer zu glauben, dass ein Mann einen Mann lieben könnte. Aber die Zeiten ändern sich nun mal. Und mit manchen neuen Dingen kam sie nicht ganz so zurecht. „Nun Junge, da hast du aber was angestellt. Ich hoffe, dass es Cain auf sich beruhen lässt und dich nicht verfolgt“, gab sie zurück.

Der Abend wurde immer später, die beiden Frauen machten gemeinsam das Essen, so wie sie es früher immer taten. Die Männer saßen draußen vor dem Haus und beobachteten die Sterne am Himmel. Tasius war wieder in Gedanken versunken. Julius musste seinen Freund nur anschauen, da wusste er schon was los war: „Mach dir nicht so viele Gedanken, es wird schon alles wieder gut werden. Sicher wird Cain wütend sein, aber er wird es verstehen. Und der König wird zwar wütend sein, weil du dich über seinen Kopf hinweg gesetzt hast, doch ich denke, er wird froh und glücklich sein, dass du wieder da und vor allem gesund bist.“

Tasius erwiderte die Worte nur mit einem Lächeln. Dann ging er hinein ins Haus, in dem die Frauen mit dem Essen warteten. Sie nahmen alle zusammen das Mahl ein, erzählten dabei noch die eine oder andere Begebenheit. Bald aber machten sie sich bereit, um sich schlafen zu legen.


Während sich in Sarafinas Haus alle zur Ruhe legten, schmiedete Cain in seinem Gemach einen Plan, um an Tasius heranzukommen. Er hoffte, dass der König ihm seinen Sohn überlassen würde. Doch auch ihm überkam alsbald die Müdigkeit. Der junge König hätte nie gedacht, dass die Aufgaben eines Herrschers so anstrengen könnten. Er brauchte nicht lange, um in den Schlaf zu fallen.

Am nächsten Morgen machte sich Cain bereit, um mit seinen Feldherren und Beratern die Vorbereitungen für seine Abwesenheit und für die Reise zu treffen. Denn es stand fest, er würde alsbald aufbrechen in das Land Aurelias, um Tasius zu suchen: „Wie besprochen, werde ich morgen auf die Suche nach dem Verräter gehen, mit einer handvoll Soldaten. Da ich nicht genau weiß, wie lange die Reise dauern wird, wird sich meine Mutter in der Zwischenzeit um die Geschicke des Landes kümmern. Sollten in meiner Abwesenheit Entscheidungen getroffen werden müssen, bitte ich euch, euch an die Königsmutter Tyaida zu wenden. Ich werde so schnell zurückkehren, wie ich kann und dann werden wir den Verräter vor Gericht stellen.“

Die Berater und Feldherren verneigten sich vor ihrem neuen König und verließen die große Halle. Nur Cain blieb zurück, er sackte in sich zusammen und holte erleichtert Luft. Tyaida sah, wie sehr ihr Sohn unter dem Verlust seiner Liebe zu leiden schien und ging auf ihn zu, nachdem sie inzwischen ebenso von dem Inhalt des Briefes erfahren hatte und es für sich einzuordnen wusste: „Cain, ich weiß es fällt dir schwer, den vermeintlichen Verrat zu vergessen. Nur vergiss nicht, ohne sie, ich meine ihn, wären wir jetzt nicht hier und dein Vater … ich möchte nicht wissen was mit uns passiert wäre. Bitte denke drüber nach, auch Tasius war ein Gefangener. Sicher nicht in der gleichen Art, wie wir es hier waren. Doch nur so kam er dort hinaus und sah für seine Situation einen Ausweg, er hatte garantiert nie etwas Schlechtes mit dir vor. In seinem Brief steht doch alles genau drin und so, wie ich den Jungen einschätze Cain, liebt er dich, deswegen ist er gegangen. Er hatte sicher nur Angst, Angst vor dem, was passieren würde, vielleicht auch Angst vor sich selbst. Bitte, überlege es dir gut.“

Sie nahm die Hand ihres Sohnes, sprach weiter und bat: „Und wenn du in dich hinein schaust, dann sei ehrlich zu dir selbst. Auch du liebst diesen Jungen, egal was er getan hat. Bitte glaube mir, eine Mutter spürt das. Werde bitte nicht wie dein Vater.“ Diese Worte klangen verzweifelt, denn sie kannte diesen Gesichtsausdruck gut genug, den Cain im Augenblick zeigte, sie hatte diesen schon oft genug bei Kieran gesehen.

Cain wandte sich von seiner Mutter ab und ging in der Halle hin und her. Er musste über die Worte seiner Mutter nachdenken, sie hatte mit ihren Worten den Finger in die Wunde gelegt. Und das tat weh, verdammt weh. Es tat weh, ausgerechnet von seiner Mutter so direkt auf seinen größten Schmerz gestoßen zu werden.


Auch die drei Gefährten, die im Haus von Sarafina genächtigt hatten, machten sich wieder auf den Weg, um nach Lia zu gelangen. An diesem Morgen fiel der Mutter auf, dass Tirka sich verändert hatte. Und Mütter ahnen ja vieles, besonders bei ihren eigenen Kindern. Und so war sich Sarafina sicher, dass Tirka ein Kind erwarteten würde. „Kind, was für eine freudige Neuigkeit. Warum hast du mir gestern Abend nicht erzählt, das du ein Kind erwartest?“, wollte Sarafina wissen.

Tirka gab zur Antwort: „Mutter, du warst so froh, dass ich wieder zurück bin, dann die ganze Geschichte mit Tasius. Das ist gestern einfach nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, darüber zu sprechen. Ich wollte, dass du es in Ruhe erfährst, denn ich werde mit Julius nach Lia gehen und ich möchte das du uns begleitest.“

Sarafina drehte sich von ihrer Tochter weg. Abgewandt und traurig sprach sie: „Ich werde nicht mitkommen, ich bin eine alte Frau und ich werde die Reise nicht schaffen. Ich wünsche mir, dass es dir gut geht. Ich weiß, Julius ist der Mann, der dich glücklich macht. Geh nur, ich komme hier zurecht.“

Tirka nahm ihre Mutter in den Arm und versprach ihr, sie oft zu besuchen. Sie löste sich von ihr mit Tränen in den Augen und ging zu Julius. Als Julius sie sah, schüttelte sie mit dem Kopf. Er verstand das Zeichen und wandte sich an Tasius. Der junge Prinz nickte und somit machten sich die zwei allein auf den Weg nach Lia. Tirka blieb zurück, sie wollte ihre Mutter nicht allein lassen, sie wusste aber auch, dass Julius wieder kommen würde. Denn er hatte es ihr eine Nacht zuvor versprochen.

Die beiden Freunde gingen über eine weite Wiese, die sie beide gut kannten. Denn es war die Wiese zwischen dem großen Wald und Kaskur, wo für Julius das Abenteuer mit Tirka begann und über die er nun als werdender Vater zurückkehrte.

Sie waren bereits einen guten halben Tag lang unterwegs, die Sonne stand sehr weit oben am Himmel und brannte den beiden jungen Männern auf den freien Nacken. Tasius und Julius schwitzten sehr, Julius machte einen Vorschlag: „Schau, dahinten ist ein Baum. Lass uns dort eine kleine Rast machen, Tirka hat mir Proviant mitgegeben. Immerhin dauert es ja mindestens noch einen weiteren Tag, bis wir zu Hause sind. Wir müssen uns die Kräfte einteilen und die Sonne brennt mir außerdem auf den Rücken.“

„Du hast Recht, Julius. Ich bin auch schon total erschöpft, könnte jetzt wirklich etwas im Magen vertragen“, stimmte Tasius zu.

Die Freunde setzten sich unter den Baum, den sie ausgemacht hatten und kamen etwas zur Ruhe. Der Schattenplatz war genau das Richtige, was sie brauchten. Es lag such noch eine gute Wegstrecke vor ihnen, bis sie in Lia ankommen würden.

Plötzlich schreckte der Prinz auf: „Ich habe etwas vergessen!“

Julius erschrak: „Was? Tasius, was hast du vergessen?“

„Als ich von zu Hause weggelaufen bin, war ich in diesem großen Wald unterwegs, der noch vor uns liegt. Und da haben mich zwei Burschen überfallen. Eher harmlose Jungen, doch ich war überrascht und unvorsichtig. Das hatte mit deutlich gemacht, dass es wohl sicherer wäre, mich aller meiner Habe zu entledigen, die mich als Prinz erkennbar machen würde. Ja, erkannt zu werden, davor hatte ich schon etwas Angst. Jedenfalls habe ich die wertvollen Sachen an einem Baum vergraben, mit denen man mich hätte erkennen können, was die beiden Dummköpfe zum Glück nicht hatten. Diesen Beutel muss ich holen.“

Julius schaute seinen Freund entsetzt an: „Deine Wertsachen? Und ich dachte schon etwas Schlimmeres! Die können wir auf dem Weg nach Hause noch holen. Vorausgesetzt, du weißt noch welcher Baum es war.“

Tasius kratzte sich am Kopf, dabei schaute er sich sein Schwert an. Voller Hast packte er es und öffnete den Knauf. Er zog ein Stück Papier hervor, das zeigte er Julius mit einem Grinsen im Gesicht: „Ich bin doch nicht von gestern. Jeder Baum sieht da gleich aus. Also war ich so frei, es mir genau aufzuschreiben.“

Julius schaute auf das Stück Papier, lächelte und nickte. Nach einer guten Weile der Rast machten sie sich wieder auf den Weg. In der Ferne war schon der große Wald zu sehen.

„Wenn die Sonne untergeht, müssten wir dort angekommen sein und im Wald suchen wir uns einen Schlafplatz“, erklärte Julius.

Die Freude nach Hause zu kommen, stand Tasius für einen kurzen Augenblick ins Gesicht geschrieben. Doch dann senkte er seinen Kopf und verfiel wieder dem Liebeskummer, dem Schmerz. Es fühlte sich an, als hätte man ihm die Luft zum Atmen genommen, er bekam Herzdrücken und das Weitergehen fiel ihm schwer. Dennoch wanderte Tasius tapfer weiter bis an den Waldrand.


In Kaskur, im Palast, war Cain damit beschäftigt seinen Quersack zu packen. Er wusste nicht, wie viel er einpacken sollte, so packte er nur das Nötigste zusammen. Er hatte nicht vor, eine Ewigkeit in Aurelias zu bleiben. Dabei dachte er immer noch über die Worte seiner Mutter nach: „Was mache ich hier eigentlich? Warum tue ich das? Ich wurde verletzt und getäuscht, von einem Jungen! Das kann ich nicht beiseiteschieben. Aber was ist, wenn seine Worte in dem Brief wahr waren? Wenn er mich wirklich liebt, wie es Mutter sagt? Nein, das kann nicht sein, er ist ein Mann, ich bin ein Mann! Was würde das Volk denken? Es darf einfach nicht sein! Ich werde mir diesen Tasius zur Brust nehmen, egal was kommen mag!“

Auch in Kaskur ging allmählich die Sonne unter. Man hörte im Hof die Knappen, wie sie die Pferde für die Reise vorbereiteten, man sah die Bediensteten in der Küche das Reiseproviant zusammenpacken. Es war ein wildes Getümmel am Hofe bis tief in die Nacht. Der junge König legte sich in sein Bett und schlief ein.

In der frühen Morgenstunde klopfte es an seinem Gemach. Daikin sein Lehrer, Freund und nun Vertrauter trat ein. Er war schon in voller Ausrüstung. Bewaffnet mit Schwert und Bogen: „Hoheit, es wird Zeit, dass wir aufbrechen. Wenn wir früh losreiten, haben wir eine gute Chance am nächsten Morgen in Aurelias zu sein. Darf ich Euch bitten, im Hof zu erscheinen? Eure Mannschaft steht bereit.“

Cain machte eine dankende Geste. Daikin verließ das Gemach und schloss die Tür.

Bereits aus dem Bett gesprungen und Daikin bis zum Eingang gefolgt, war Cain nun mit dem Rücken an einen Flügel der Tür gelehnt, er atmete tief durch. Er musste jetzt ein starker Mann, ein starker König sein. Er hatte eine Entscheidung getroffen, er hatte einen Befehl erteilt, nun wartete alles darauf, dass er den Tross anführte und als Führer auftrat.

Somit raffte er sich auf und zog sich um. Seine Rüstung, die er auch im Kampfunterricht trug, streifte er sich über. Dabei bemerkte er nicht sofort, wie seine Mutter hereinkam. Sie ging auf ihren Sohn zu und half ihm in die Rüstung. Tyaida schaute bedrückt den entschlossenen, jungen König an.

„Mutter, macht bitte nicht so ein Gesicht! Ich werde zurückkommen, versprochen“, versicherte Cain.

Mit unterdrückten Tränen gab sie zurück: „Das ist es nicht, mein Sohn. Hast du über meine Worte genau nachgedacht? Du könntest endlich glücklich sein und in Frieden leben. Er liebt dich Cain, nur so macht alles einen Sinn. Er hat geholfen, uns von der Unterdrückung deines Vaters zu befreien. Bist du dir sicher, mit dem was du tust?“

„Mutter, ich bin mir sicher. Ich kann das nicht einfach so vergessen, sie, ich meine er, hat mich verletzt, mich schändlich hinters Licht geführt. Dieser Junge hat mit mir, mit uns nur gespielt. Ich werde ihn bestrafen müssen. Auch wenn es mir schwer fällt.“

Cain schaute verlegen zum Fußboden, während seine Mutter mit dem Schnüren der Rüstung fertig wurde.

„Weißt du, das ist nur verletzter Stolz, der aus dir spricht“, erwiderte sie.

Cain drehte sich zu ihr um, es stand Wut in seinem Gesicht, das grässliche Gesicht seines Vaters spiegelte sich in ihm: „Das hat nichts mit Stolz zu tun, er, wir können uns nicht lieben. Wir sind Männer, das geht einfach nicht. Ich habe mein Herz an eine Frau verschenkt, nicht an einen Jungen. Was soll das Volk von mir denken? Jetzt lasst mich durch, ich muss auf Reise gehen.“

Als Cain sich der Tür näherte, brach seine Mutter in Tränen aus, sie schlug die Hände vor ihr Gesicht, so hatte sie ihren Sohn noch nie gesehen. Sie hatte Angst vor ihm, aber die Angst, die eine Mutter hat, wenn sie feststellt, dass ihr Kind trotz besseren Wissens doch den falschen Weg einschlägt und es sich dadurch schaden würde. Sie konnte es nicht verhindern, aber eines musste sie ihm dennoch sagen: „Du bist gerade, genau jetzt wie dein Vater! Denke drüber nach, sei ehrlich zu dir, du liebst ihn genauso sehr wie er dich. Und das Volk, darüber machst du dir Gedanken? Wir wollen alle dass du glücklich bist. Und es sind andere Zeiten, mein Sohn. Du hast es in der Hand, es zu ändern. Du bist nicht dein Vater. Und du liebst ihn!“

Cain drehte sich nicht einmal zu Tyaida um, er öffnete die Tür und lief hinaus in den Hof, dort warteten schon seine Gefolgsleute. Sie waren alle bereit für die Reise. Cain stieg auf sein Pferd, welches vorne an der Spitzte des Trosses stand, mit einer prächtiger Mähne und kräftiger Statur. Der Schimmel sah aus, als könnte er eine Woche durchgeritten werden. Cain schaute zu Daikin hinüber, der seinen Platz neben ihm hatte. Dakin hob eine Hand und der Tross setzte sich in Bewegung in Richtung Aurelias. Auf dem Weg durch die Stadt standen die Bewohner und winkten dem König, dem Gefolge und den Soldaten zu. Sie schwangen Tücher zum Abschied. Bis auf eine Frau, sie hatte in dieser Stadt gelebt. Diese alte Frau erkannte er sofort, es war die, die Tasius bei sich aufnahm. Sie war unverkennbar seine Großmutter. Die Alte ging auf ihren Enkelsohn zu, sie nahm eine Hand und flüsterte ihm zu: „Verzeih mir Junge, ich war es, die Tasius half sich als Darina verkleidet zu verstecken, ich konnte nicht ahnen, was sich daraus entwickeln würde. Aber bitte beherzige meinem Rat: Folge deinem Herzen, nur dein Herz kennt den Weg! Entscheide dich richtig!“

Mit ihrer anderen Hand berührte sie eine seiner Wangen seines vom Pferd herabgeneigten Gesichtes. Cain schloss die Augen und schmiegte seine Wange in ihre Hand, sie war so warm, so liebevoll. Als Cain seine Augen wieder öffnete, hatte er Tränen vergossen, ohne es zu merken. Er küsste die Hand seiner Großmutter. Für sie war es ein Zeichen, das er sie verstanden hatte.

Der junge König ritt weiter. Die Bewohner schauten und jubelten den Soldaten lange nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren.


Im großen Wald vor der Stadt Lia, längst war nicht klar, welcher Weg dahin führen würde, machten sich Tasius und Julius bereit das letzte Stück des Weges nach Hause zurückzulegen. Einen Abend zuvor hatten sie den Waldrand erreicht und sich einen Schlafplatz gesucht. Mit jeder Meile, die die beiden Freunde der Stadt nun wohl näher kamen, wurde Tasius unruhiger.

Sonne kämpfte sich durch die dichten Baumkronen und Julius drehte sich im Kreis. Er suchte nach einem Hinweis, um die Lichtung zu finden, die sie in Richtung Lia überqueren müssten: „Weißt du, wo wir hier genau sind, Prinz? Mein Kopf schläft noch, ich finde diese Lichtung nicht“, kratzte Julius sich hinter seinem Ohr.

Tasius sah sich um, dabei hatte er die Skizze in der Hand, die er von dem Baum gemacht hatte, unter welchem er seine wertvolle Habe vergraben hatte: „Wenn wir diesen Baum finden, glaube ich, dass wir auch den richtigen Weg hier heraus finden. Ich habe mir doch diese Zeichnung gemacht, sie kann uns helfen.“

Julius schaute ihn mit großen Augen an. „Worauf warten wir dann noch? Ich glaube nicht, dass hier noch eine Kutsche vorbei kommt, Eure Hoheit“, stellte Julis mit einer scherzhaften Verbeugung fest.

Diese Worte zauberten Tasius ein Lachen ins Gesicht. Das mochte er so sehr an seinem Freund, dass Julius, ganz gleich in welcher Situation sie sich befanden, immer einen Scherz parat hatte. Um es Julius gleich zu tun, machte Tasius einen eleganten Knicks. Und jetzt kam auch Julius nicht mehr aus dem Lachen raus, deutete noch einen Handkuss an. Er hielt sich den Bauch, vor lauter Gelächter tat dieser ihm schon weh. Immer noch lachend machte sie sich nun sogleich mit der Hilfe der Zeichnung auf die Suche nach dem Baum.

Keiner der beiden wusste wie lange sie so umher liefen, wie lange sie den Blick in die Baumwipfel hoben, um die Zeichnung mit den Baumkronen zu vergleichen. Bald waren sie erschöpft von der Suche.

Julius lehnte sich dann irgendwann an einen Baum, wischte er sich den Schweiß von der Stirn: „Komm, wir machen eine Rast. Wir suchen schon eine gefühlte Ewigkeit. Ich habe langsam echt Hunger, ich könnte sicher einen ganzen Ochsen vertragen.“

Tasius drehte sich in Julius´ Richtung, machte dabei eine Entdeckung, ging direkt auf diese zu, ohne auf Julius zu achten und stieß ihn dabei zur Seite.

Julius taumelte etwas zurück: „He, was soll das?“

Doch Tasius reagierte darauf nicht, ließ die Zeichnung fallen und fing mit seinen bloßen Händen an zu graben. Schon nach kurzer Zeit hielt er einen kleinen Beutel in der Hand, öffnete diesen und holte Münzen hervor. Julius stand staunend mit offenem Mund da.

Sogar die Ringe mit dem Familienwappen, hielt ihm Tasius hin. „Wir haben den Baum gefunden! Es ist alles noch da. Jetzt können wir Rast machen und uns stärken. Dann gehen wir nach Hause“, stellte Tasius klar.

Julius umarmte seinen Freund und holte den restlichen Proviant hervor. Sie blieben an dem Baum sitzen und aßen. Und während sie die Ruhe des Waldes genossen, schaute sich Tasius genauer um. Mit Hilfe der Zeichnung und der Lage des Baumes erkannte er allmählich, wo sie entlang gehen müssten: „Ich denke, ich habe den Weg gefunden, an bestimmte Dinge hier im Wald kann ich mich erinnern, denn ich kann sie mir gut merken, wenn ich sie selbst gesehen habe … So, bist du nun langsam satt, oder willst du hier Wurzeln schlagen?“

„Ja, ja. Bin ja schon so weit. Dafür, dass du ungern zurück wolltest, drängst du jetzt ganz schön. Lass mich das noch zusammenpacken, dann können wir los. Was denkst du, wie lange werden wir noch brauchen? Ehrlich gesagt, ich freue mich auf ein ordentliches Bett.“

Tasius zuckte mit den Schultern: „Ich weiß es nicht, aber wenn wir gut sind, dann dürften wir zu Hause sein, wenn die Sonne gerade untergegangen ist.“

Julius legte sich seinen Quersack über die Schulter und folgte seinem Prinzen durch das Unterholz. Der Prinz hielt seine Zeichnung wieder in der Hand und versuchte an Bäumen und Sträuchern rauszufinden, welchen Weg sie einschlagen mussten. Julius schaute sich auch um, er suchte nach bekannten Flächen oder nach Spuren anderer Wanderer. Die Bäume wurden weniger und breiteten den Gefährten eine freiere Sicht in den Wald. Die Baumkronen wurden lichter, so dass das Sonnenlicht hindurch scheinen konnte. Schließlich fanden sie auch die Lichtung. Sie überquerten sie und folgten dem Weg, der weiter durch den Wald führte. Zügigen Schrittes hatten sie nach einiger Zeit das Ende des Waldes erreicht.

Und da sahen sie sie wieder, die große Wiese vor der Stadt. Das saftige Grün färbte sich langsam Orange ein, ein Zeichen der untergehenden Sonne. In der Ferne, auf der anderen Seite der Wiese konnte Julius die Stadtmauer erkennen.

Tasius konnte diese auch sehen und blieb plötzlich wie ein angewurzelt stehen. In seinem Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit, er war auch wieder sehr unruhig geworden: „Ich kann nicht weiter Julius, nicht wieder zurück dorthin.“

Julius drehte sich mit einem Ruck zu Tasius um und fuhr ihn so plötzlich an, so dass dieser heftig erschrak: „Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass du jetzt kneifen kannst? Das kannst du nicht tun! Du hast die Menschen um dich herum genug vor den Kopf gestoßen. Meinst du nicht, dass es reicht? Und ich habe mir bestimmt nicht die Füße wund gelaufen, um dich zu finden und dich jetzt, so kurz vor dem Ziel, umkehren zu lassen. Wir werden jetzt zusammen ins Schloss gehen, ob du es willst oder nicht! Alles andere lässt sich klären, verstanden?“

Tasius war entsetzt, seinen Freund so wütend zusehen. Aber er hatte Recht. Er konnte nicht schon wieder davonlaufen. Die Menschen, die er liebte, die ihn liebten, hatte er schon genug verletzt. Und so stimmte er mit einem Kopfnicken zu.

Tasius sprach kein Ton, als sie über die Wiese und durch die Stadt Lia bis auf dem Marktplatz liefen. Alles sah immer noch so aus, wie er es vor seiner Reise gesehen und in Erinnerung hatte. Immer noch dasselbe Treiben, dieselben Häuser, einfach alles noch so bekannt.

Julius fasste den Prinzen leicht am Arm und führte ihn durch die Gassen, bis nach oben an das gewaltige Messingtor. Erst dort ließ er seinen Freund wieder los: „Wir gehen jetzt zusammen hinein. Ich bleibe an deiner Seite, wenn du das wünschst. Und bitte, lass deinen Vater ausreden, danach erkläre dich. Du weißt, was beim letzten Mal geschehen ist“.

Tasius schaute seinen Knappen und Freund an: „Ich kann ihm nicht mal in die Augen sehen, solch schlechtes Gewissen habe ich. Aber ja bitte, bleib an meiner Seite. Ich werde das sicher ohne dich nicht überstehen.“

Die Wachen, die am großen Tor der Schlossmauer standen erkannten Prinz Tasius und seinen Knappen Julius sofort. Die beiden machten einen Schritt auf das Tor zu und die Wachen öffneten es mit einer tiefen Verbeugung. Für Tasius war es ein schwerer Gang, es kam ihm vor, als würde es Stunden dauern, bis sie das Palasttor erreichen würden. Und jeder Schritt darauf zu wurde schwerer für ihn. Und dieser Gang zog sich wirklich. Er war diesen riesigen und gepflegten, saftiggrünen Garten und den geräumigen Schlosshof nicht mehr gewohnt, bei Cain war es bei weitem nicht so weitläufig gewesen, dafür aber unglaublich trist. Von dieser Seite her gesehen war er froh, wieder in der Heimat zu sein.

Ein Berater seines Vaters kam auf die zwei zugelaufen, dabei breitete er die Arme vor Freunde aus und empfing den Prinzen zuerst mit einer tiefen Verbeugung und dann mit einem herzlichen Griff an den Schultern: „Eure Hoheit, Gott sei Dank! Ihr seid zurück. Wir alle haben uns große Sorgen gemacht. Welche Freude Euch zu sehen. Und Ihr seid völlig unversehrt, wie ich sehe, und macht einen kräftigen Eindruck.“

Und während er Tasius weiter von oben bis unten musterte: „Euer Vater, Ihre Majestät der König, hatte es nicht leicht in den letzten Wochen und Monaten. Die Suche nach Euch, ein fehlendes Lebenszeichen von Euch, das zehrte doch sehr an der Gesundheit seiner Majestät. Aber bitte, kommt! Ich bringe euch zu ihm.“

Die Nachricht über Tasius‘ Heimkehr hatte sich schneller verbreitet, als Tasius und Julius zum Palast gehen konnten. Die Meldekette funktionierte also noch tadellos.

Der Prinz und sein Knappe folgten dem Berater bis zu dem Thronsaal, dort wurde ihnen die große Tür geöffnet. Am anderen Ende des Saales saß der König. Er sah sehr erschöpft aus, das konnte man sogar auf diese Entfernung hin erkennen. Die drei Männer gingen auf den König zu, sie verbeugten sich, doch der König würdigte sie keines Blickes.

„Majestät, entschuldigt bitte, Euer Sohn ist zurückgekehrt.“

König Fietus wandte sich den dreien zu und sprang von seinem Thron auf. Die Augen die gerade noch dunkel und leer erschienen, schienen jetzt wieder heller und fast funkelten sie. Der König ging auf seinen Sohn zu und umarmte ihn. Er sprach zunächst keinen Ton, als er müsste er erst feststellen, ob es auch wirklich Tasius sei.

„Du bist zurück mein Sohn.“ Die Erleichterung war seiner Stimme anzuhören. „ Ich habe nach dir suchen lassen, habe Gesandte in jede Richtung des Landes geschickt um dich und deinen Knappen zu finden. Doch immer wieder ohne Erfolg. Schreckliche Sorgen und Vorwürfe habe ich mir gemacht. Du siehst gut aus, ich möchte fast sagen kräftiger, männlicher. Doch sag mir, wo warst du, woher kommst du so plötzlich?“

Tasius schaute beschämt zu Boden, dann zu Julius. Sein Freund nickte ihm zu, sodass Tasius verstand, er solle seinem Vater jetzt alles erklären und erzählen.

„Vater, es ist eine lange Geschichte. Aber ich möchte mich zuerst für mein Benehmen entschuldigen. Es war falsch von mir einfach wegzulaufen, nur weil Ihr mir aus Sorge um mich, meinem Wunsch die Welt kennen zu lernen, nicht gleich entspracht. Dass Eure Sorge nicht unbegründet war, weiß ich jetzt sicher und es tut mir leid, dass ich Euch damit so viel Kummer bereitet und Ärger gemacht habe. Ich hoffe, Ihr könnt mir verzeihen.“

Der König legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes und deutete ihm an, ein paar Schritte zu gehen: „Ich habe Zeit mein Sohn, erzähle mir alles. Verziehen habe ich dir schon lange, ich war der Dickkopf von uns beiden, ich habe dir nicht zuhören wollen. Das möchte ich aber ändern. So lass uns durch den Schlosspark gehen und du erzählst mir alles!“

Die beiden Hoheiten waren im Begriff den Saal zu verlassen und Julius wollte ihnen folgen, doch Tasius drehte sich zu ihm um und legte ihm beide Hände auf die Schultern: „Ich danke dir mein treuer Freund, ich wäre nicht hier ohne dich und du bist nicht von meiner Seite gewichen, ich danke dir für alles. Ich hatte Angst, meinem Vater entgegen zu treten, jetzt werde ich ihm alles erklären, aber das werde ich alleine machen, das bin ich meinem Vater und mir schuldig. Geh und ruhe dich aus!“

Nach diesen Worten des Prinzen nickte auch König dem Knappen zu und verließ, seinen Arm auf die Schultern seines Sohnes gelegt, mit diesem den Saal. Nun stand Julius plötzlich allein da, wusste nicht so recht, wohin er jetzt gehen sollte. Tirka war bei ihrer Mutter geblieben, seine Eltern hatte er auch noch nicht wiedergesehen. Doch seinen Prinzen jetzt zu verlassen, empfand er als falsch. Also blieb er in dessen Nähe, unscheinbar. Er ging zunächst in den Teil des Schlosses, in dem er seine Kammer hatte. Sie war immer noch seine. Alles darin war noch so, wie er es verlassen hatte, als wäre er nicht fort gewesen. Man hatte seine Kammer sauber gehalten während seiner Abwesenheit. Das rührte in schon, denn auch von ihm gab es ja nach Beginn seiner Suche nach Tasius´ ebenfalls kein Lebenszeichen. Sie hatten ihn nicht vergessen, hatten alles bereitgehalten für seine Rückkehr. Sogar frisches Wasser hatten sie in seinem Waschkrug vorbereitet. Also wusch sich Julius und zog andere Kleider an, die am Hofe für die Knappen und Diener üblich waren. Dann trat er hinaus in den Garten und ging dahin, wo er sooft mit Tasius das Kämpfen geübt hatte und erinnerte sich an die Zeiten vor der Suche.

Die Sonne war schon lange untergegangen, der König und der Prinz spazierten noch immer auf den mit Fackeln erleuteten Wegen im Schlosspark und -hof umher. Tasius erzählte von seiner Reise, er ließ nichts aus. Wie er aus dem Schloss gekommen sei, dann sogar überfallen wurde, sich fortan tarnte, seine Herkunft geheim hielt und schließlich dann in Kaskur gelandet war. Wie er sich dann als Mädchen Darina verkleidet in dem Land aufhielt. Wie er dabei half, den Herrscher zu stürzen.

„Als ich mich in das Mädchen verwandelte, habe ich nicht über die Auswirkungen nachgedacht. Vater, ich möchte zu euch ehrlich sprechen, ohne das ihr ein schlechtes Bild auf mich auf habt. Ich habe viel gelernt die letzten Wochen, ich bin ein erwachsener Mann. Ich habe in Kaskur den Prinzen Cain geholfen, haben gemeinsam gekämpft, haben viel miteinander gesprochen, waren uns sehr nah. Dabei habe ich mich in ihn verliebt. Ich liebe diesen Mann, Vater, von ganzem Herzen.“

Der König hörte den Worten seines Sohnes genau zu, doch mit dieser Neuigkeit hatte er nicht gerechnet. So sagte er eine Zeitlang nichts zu seinem Sohn. Er blickte nur auf den Boden, mit den Händen in dem Rücken, so wie er immer tat wenn er überlegte. Und der König kannte seinen Sohn, denn er wusste, dass dieser kein kleiner Junger mehr war, sich seine Worte soeben genau überlegt hatte.

„Tasius, ich möchte ehrlich sein. Dass es neue Dinge in der Welt gibt, ist mir sehr bewusst, aber diese Neuigkeit übersteigt meinem Horizont. Du bist mein einziger Sohn, ich dachte, du könntest das Reich eines Tages übernehmen, es deinen Kindern vererben. So kannst du doch kein Reich regieren. Einen Mann lieben, das geht nicht Tasius.“

Tasius versuchte weiterhin Verständnis bei seinem Vater zu erwirken: „Ich habe nie viel verlangt, ich wollte nur kennenlernen und entdecken, mehr als unseren Garten oder die Stadt. Dass ich mich so verlieben würde, mit jeder Faser meines Körpers, davon hatte ich keine Ahnung. Leider kann ich es nicht unterdrücken oder einfach vergessen, ich kann es auch nicht zurückdrehen, es hat meine ganze Seele ergriffen, ich spüre es bei jedem Gedanken, den ich ihm schenke, es ist echt.“

Tasisus hatte sich im Laufe des langen Gespräches immer mehr gestärkt und traute sich nun: „Aber jetzt erwarte ich etwas von euch Vater, lasst mich mein Leben so leben, wie ich es für richtig halte, ich bin nicht mehr der kleine Prinz, ich habe mich verändert. Und ich wünsche mir sehr, dass ihr meine Entscheidungen akzeptieren werdet.“

Der König war schon innerlich auf sehr viel Entgegenkommen vorbereitet und antwortete fast ohne Denkpause seinem Sohn: „Nun, dann soll es wohl so sein. Ich werde deinem Glück keinesfalls im Wege stehen. Auch wenn es sehr ungewöhnlich ist, ich noch keine Vorstellung davon habe, wie es sich auswirken wird. Ich sehe, dass du älter geworden bist und vertraue deinem Urteil. Du wirst immer mein Sohn bleiben, egal wie du dich entscheidest. Ich stehe zu meinem Wort.“ Dabei sah er ihm tief in die Augen und schloss nach einigen Augenblicken: „Doch es ist schon spät. Ich begleite dich noch zu deinem Gemach, dann gehen wir schlafen. Es war anstrengend heute. Wir können uns morgen weiter unterhalten. Und darum bitte ich dich, hilf mir dich zu verstehen!“

Diese Worte hatte Tasius, obgleich er ein gutes Gefühl hatte, nicht erwartet und war gerührt. Er umarmte seinen Vater, der seinerseits seinen Sohn ebenso herzlich an sich drückte.

Schweigend gingen sie anschließend in Richtung der königlichen Gemächer. Vor Tasius´ Tür saß mittlerweile Julius schon eine ganze Weile und schien auf den Prinzen zu warten.

König Fietus ging auf ihn zu und reichte Julius seine Hand: „Ich muss mich bei dir bedanken Julius, du hast meinen Sohn nicht im Stich gelassen. Knappe Julius, du bist ein wahrer Freund. Glaube mir, wenn ich sage, dass ich sehr stolz auf dich bin. Und deine Eltern dürfen es auch sein! Aber nun müssen meine alten Knochen ins Bett. Ich wünsche euch eine angenehme Nacht.“

Der König strich beiden noch mal über den Kopf, eine Geste, die Tasius überraschend, aber liebevoll empfand. Dann drehte er sich weg und verschwand in Richtung seines Gemaches. Die zwei Freunde gingen in Tasius´ Gemach und unterhielten sich noch sehr lange. Tasius saß auf seinem Bett, Julius in einem Sessel daneben. Beide vergaßen ihren Hunger, waren noch sehr aufgeregt, wieder im Palast zu sein und waren beeindruckt, wie großartig die Wiederkehr ablief. Und so merkten sie nicht, dass sie inmitten ihrer Unterhaltung eingeschlafen waren.

Es war schon später Morgen, als eine Magd in das Gemach von Tasius hinein stürmte. Nicht nur der Prinz schreckte auf, auch Julius, der im Sessel lag. Tasius fragte die Magd was passiert sei.

„Hoheit, Ihr möchtet euch sofort im Thronsaal einfinden, es ist wirklich dringend.“

Tasius sprang auf und lief hinaus, er hatte sich nicht einmal am Waschtisch erfrischt, auch Julius sprang auf und rannte dem Prinzen hinterher. Sie liefen durch die Gänge bis zu der großen Tür. Als sie den Saal betraten, trauten sie ihren Augen nicht. Mittendrin stand Cain, der neue Herrscher über Kaskur. Er war nicht alleine gekommen, auch dessen Vertrauter und Freund Daikin stand dabei. Tasius ging hinein, schlich sich an Cain und seinem Begleiter vorbei und stellte sich neben seinen Vater, der auf dem Thron saß.

Der König von Aurelias hatte eine versteinerte Miene. Und brach dann das Schweigen: „Was kann ich für Euch tun, Eure Majestät von Kaskur?“

Diese Worte klangen schroff und ein wenig abweisend. Doch Cain ließ sich nichts anmerken: „König Fietus, ich bin gekommen, um den Verräter meines Landes zu stellen und vor Gericht zu bringen. Prinz Tasius hat mein Volk und mich auf das Tiefste getäuscht. Ich bitte also darum, ihn mir zu übergeben. Das Land Kaskur möchte keinen Krieg auslösen, deshalb sind wir persönlich hier bei euch erschienen.“

Der König schaute zu Tasius hinauf, der blass und wie angewurzelt einfach nur da stand und erschrocken und starr dem Mann zuhörte, den er doch liebte.

„Ich glaube, das kann ich nicht zulassen. Der Prinz hat mir alles von seinen Taten berichtet und ich kann euch verstehen, Hoheit. Dennoch, habt ihr denn wirklich genau darüber nachgedacht? Ohne Prinz Tasius würdet ihr doch gar nicht die Krone eures Vaters tragen“, erwiderte Fietus.

Doch Cain ließ nicht locker: „Wie ich schon sagte, er hat das Land Kaskur verraten …“

Cain wurde unterbrochen, von einer Stimme die von dem anderen Ende des Saales kam. Julius war an der Tür stehen geblieben und hatte alles mit angehört: „Verrat am Land, oder ein Verrat an der Liebe? Eure Hoheit, Tasius hatte nie böse Absichten. Es war falsch Euch etwas vorzumachen, aber hätte man gewusst, dass er sich in eurem Land aufhält, würde Tasius jetzt hier stehen können? Das wage ich zu bezweifeln. Die letzten Wochen waren auch für ihn sehr hart. Und dass er entschied, sich als Mädchen zu verkleiden, war reiner Selbstschutz. Dennoch ändert das nichts an seinen Gefühlen zu euch …“

Cain hob eine Hand, um Julius zu deuten, dass er still sein sollte: „Das ist nur leeres Geschwätz! Der Prinz hat mit mir gespielt, lieben tut er mich nicht! Ich habe mein Herz an ein Wesen mit Anmut und Grazie verschenkt, an ein Wesen, welches so wie ich mit Mut und Stärke im Herzen an die Freiheit glaubte. An ein Wesen, mit dem ich Seite an Seite kämpfen konnte. Das alles hat mir man nur vorgespielt?“, dabei schaute er Tasius in die Augen und ihm liefen Tränen über die Wange, bei seinen letzten Worten drohte seine Stimme zu ersticken.

Auch Tasius hatte Tränen in den Augen, seine Starre war verschwunden, seine Gefühle leiteten ihn jetzt: „Es tut mir schrecklich Leid, was ich dir angetan habe, aber dieses Wesen was du beschreibst, das bin ich. Das habe ich dir nie vorgespielt. Ja, ich bin ein Prinz, was ändert das? An meinen Gefühlen zu dir hat sich nichts verändert. Cain, glaube mir, ich liebe dich von ganzem Herzen. Das alles wollte ich nicht. Aber als du zu mir kamst, konnte ich nicht mehr zurück.“ Tasius ging auf Cain zu, dieser bewegte sich kein bisschen: „Weißt du noch, wie du auf den Stufen der Bibliothek über mich gestolpert bist? Genau das war der Zeitpunkt, in dem ich mich in dich verliebte. Glaubst du, wenn es nicht so wäre, dass ich dann bei dir geblieben wäre, mein Leben aufs Spiel gesetzt, in die Höhle des Löwen gegangen wäre? Bitte hör auf dein Herz, und wenn du ehrlich bist, ist es dir egal ob ich Darina bin oder Tasius.“

„Nun Hoheit, ihr habt meinen Sohn gehört, wie werdet ihr euch entscheiden? Meine Meinung hat sich nicht geändert, ich werde euch meinen Sohn nicht überlassen, wenn ihr ihn vor Gericht stellen wollt!“, unterbrach Fietus das sich anschließende, bedrückende Schweigen im Saal.

Cain ging nun auf und ab, er war wie in Trance, dabei murmelte er die Worte seiner Großmutter: „Folge deinem Herzen, denn dein Herz kennt den Weg.“ Immer wieder wiederholte er diesen Satz. Plötzlich schaute er zu Julius hinüber, der mit verschränkten Armen an der Tür stand, bereit notfalls für seinen Prinzen zu kämpfen, und er sah zu Tasius hinüber, der ihn verlegen und mit bittenden Augen fogte. Dann wandte er sich König Tasius zu: „Ich werde mich jetzt zurückziehen, werde über die Worte die man zu mir sprach nachdenken. Ich kann jetzt noch keine Entscheidung fällen, dafür bin ich zu sehr verletzt und erzürnt. Doch Zorn ist kein guter Ratgeber.“

König Fietus nickte dem jungen König zu. Daraufhin wandte sich Cain ab und verließ den Saal zusammen mit seinem Vertrauten Daikin. Daikin legte dabei kurz eine Hand auf die Schulter seines Königs. Somit signalisierte er ihm, dass er ihn verstehen würde. Die beiden Männer sprachen kein Wort bis sie im Lager angekommen waren. Dieses vor den Stadttoren zu errichten, hatte Cain seinen Soldaten befohlen, bevor er loszog ins Schloss, um sich an Tasius zu rächen. Er wollte in niemandes Schuld stehen und nicht unter einen Dach mit dem Prinzen schlafen müssen. Cain ging in sein Zelt, dies war nur mit dem Nötigsten eingerichtet, einem Feldbett, einer Truhe und einem Tisch mit zwei Stühlen. Auf dem Tisch stand eine Schale Obst und zwei goldene Becher, dazu der passende Krug, dieser war mit Met gefüllt. Der junge König legte seine mitgeführten Waffen auf das Feldbett und ließ sich auf einen der Stühle fallen, nur Daikin blieb stehen und beobachtete Cain.

„Was schaust du mich so an?“, wollte Cain leicht verärgert wissen, als er Daikins Augen auf sich gerichtet sah.

Daikin machte einen Schritt auf seinen König zu: „Darf ich mit Euch offen sprechen?“

Cain nickte und war sicher, eine Moralpredigt zu erhalten. Vielleicht musste es so sein.

„Ihr habt Euch gut geschlagen, dort oben. Aber …“, Daikin legte sich den Zeigefinger nachdenklich über den Mund, „… meint Ihr nicht, dass Ihr etwas übertreibt? Man sah es doch deutlich, Prinz Tasius schien genauso zu leiden wie Ihr. Und dass Ihr leidet, war ganz klar an Eurer Stimme zu spüren und Euren Tränen zu sehen. Bitte seid ehrlich zu Euch selbst, gesteht es Euch doch ein, Ihr liebt diesen jungen Mann.“

Cain machte keine Anstalten um Daikin zu wiederversprechen, er nahm sich ein Becher Met und trank ihn in einem Zug aus.

Daikin hingegen schüttelte mit dem Kopf und ging zum Zeltausgang. Mit einem letzten Blick über die Schulter bat er seinen König: „Entscheidet richtig und weise, Ihr seid jetzt König!“ Und ging hinaus.

Cain blieb alleine in seinem Zelt zurück, schlafen konnte er nicht. In seinem Kopf drehte sich alles. Die Worte von Julius, Tasius und Daikin schwirrten in seinen Gedanken herum. An Ruhen war nicht zu denken. Dabei trank er einen Becher Met nach dem anderen, lief in seinem Zelt auf und ab. Irgendwann ging er vor sein Zelt, von dort aus hatte er einen guten Blick auf den Palast. Er setzte sich auf die Wiese und schaute den Sternen beim Wandern zu, immer wieder den Blick auf das vor ihm liegende Schloss hinwendend.

Oben im Palast saß Tasius, in seinen Räumen am Fenster. Er hatte einen guten Ausblick nach unten zum Stadttor, er sah die vielen weißen Zelte davor. Der Gedanke an Cain schnürte ihm den Magen zu. Tasius konnte den verbitterten Blick nicht vergessen, den Cain hatte. Seine Hoffnung auf den nächsten Morgen und einen besänftigten Cain schwand.

Beide jungen Männer hatten kein Gefühl für die Zeit und die Sonne ging langsam wieder auf.

König Fietus und Tasius trafen sich an dem Morgen auf dem Korridor, der zum Thronsaal führte: „Und mein Sohn, wie war deine Nacht?“

Tasius antwortete: „Meine Nacht war nicht besonders gut. Ich habe kein Auge zugemacht. Ich konnte Cain´s Blick nicht vergessen, so voller Hass und Wut. Vater was mache ich nur, wenn er sich nicht umstimmen lässt?“

Der König blieb stehen, legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes: „ Er wird sich entscheiden, aber ich kann dir die Angst nicht nehmen, mein Sohn. Doch ich versichere dir, dass ich alles für dich tun werde, so dass er sich das Recht nicht nehmen kann. Ich stehe voll und ganz hinter dir.“

Tasius umarmte seinen Vater, er schämte sich etwas. Sein Vater würde alles ihn für tun und dabei er hatte er ihn sehr verletzt. Die beiden lösten sich voneinander und schritten weiter Richtung Thronsaal. König Fietus nahm auf seinem Thron Platz, neben ihm war ein Thron frei, dort saß damals die Königin. Tasius stellte sich neben seinen Vater, für ihn war es unpassend einen Platz einzunehmen, der ihm nicht zustand. Auch Julius fand sich im Thronsaal ein. Der junge Knappe wollte seinem Freund zur Seite stehen. Wenn nötig für ihn nochmals kämpfen, blieb wie am Tag zuvor an der Saaltür stehen. Er mochte es, lieber im Hintergrund zu bleiben. Plötzlich ging die Saaltür auf, mit einem großen Schwung. Daikin kam als erster hinein, gefolgt von einer Handvoll Soldaten. Zum Schluss erst betrat Cain den Saal. Tasius erblickte ihn, sein Herz pochte schon fast so laut, das er Angst hatte jeder im Saal könnte es hören. Cain ließ sich nichts anmerken, er starrte geradeaus und sein Gang war sicher. Der junge König stellte sich vor König Fietus und dem Prinzen auf, er verbeugte sich und wartete bis man ihn ansprach.

„Nun, König Cain, wie habt Ihr Euch entschieden? Bitte denkt daran, egal was kommen mag, ich werde nicht zulassen, dass Ihr meinem Sohn schadet. Sprecht!“, sprach der alte König.

Cain verzog keine Miene, er trug an diesem Tag ein helles Gewand mit einem Umhang. An seiner Hüfte hing sein Schwert. Die Schneide gut im Schaft versteckt. Cain sah wirklich aus wie ein König. Tasius war von der Schönheit die er ausstrahlte ergriffen. Cain machte keine Anstalten und schaute nicht einmal zu Tasius hinüber. Der junge König war in seiner Haltung sehr sicher und souverän. Er ging auf den König und dessen Prinzen zu und verneigte sich nochmals höflich. König Fietus erwiderte es mit einem leichten Nicken.

„Und König von Kaskur, wie habt ihr euch entschieden?“, wollte Fietus wissen.

Tasius wurde nun nervös. Was würde sein, wenn wegen ihm ein Krieg ausbräche? Das könnte er sich nie verzeihen.

Doch Cain schaute zu den beiden auf und hob an: „Nun, Eure Hoheit. Ja, ich habe mich entschieden. Doch eines solltet Ihr vorher noch wissen …“ Cain stellte sich sehr selbstbewusst und aufrecht hin. „Ich hatte es in meinem Leben nicht leicht. Mein Vater hat nie hinter mir gestanden, so wie Ihr hinter Eurem Sohn. Vieles mussten mein Volk, meine Mutter und ich ertragen, doch Dank der unstrittig selbstlosen Hilfe eines mutigen Wesens konnten wir uns befreien. Doch dann, als sich herausstellte, dass dieses mutige Wesen, genau wie ich, ein junger Mann und nicht das vermeintliche starke Mädchen war, fühlte ich mich entsetzlich getäuscht. Ich hatte mich in das Wesen verliebt, es schenkte mir Kraft, Mut und machte mich einfach glücklich. Und durch Tasius wurde ich zutiefst verletzt und ich wollte nur, dass er gerecht bestraft wird.“ Cain zögerte noch einen Moment und schaute immer noch ernst, er wollte nicht, dass Tasius oder der König bemerkten, wie es in ihm brodelte, er seine Gefühle stark unterdrücken musste. Mit auf- und abgehenden Schritten sprach Cain weiter: „Als ich hierher aufbrach, hatte ich nur ein Ziel, Euren Sohn an den Pranger zu stellen. Doch eine sehr weise Frau, die das Wesen ganz zu Anfang bei sich aufgenommen hatte, welches ich liebe, hatte mir etwas mit auf dem Weg gegeben, einen ganz bestimmten Satz: ‚Folge deinem Herzen, denn dein Herz kennt den Weg.‘ Ich wusste zunächst nicht, wie ich diesen verstehen sollte, doch jetzt kenne ich die Bedeutung der Worte.“ Dabei machte Cain ein paar Schritte auf Tasius zu und blieb ganz nah vor ihm stehen, nahm seine Hand und sprach weiter: „Ich werde meinem Herzen folgen, ich werde deinem Herzen folgen. Egal was du bist, ob ein Prinz oder das Mädchen Darina. Ich liebe dich, ich wollte es nur nicht wahr haben. Aber ihr alle hier, habt mir die Augen geöffnet. Vor allem du, Tasius. Du hast mir gezeigt, dass es sich dafür zu kämpfen lohnt. Kannst du mir verzeihen?“

Tasius war so überwältigt, dass er alles um sich herum vergaß, jede Etikette und Cain um den Hals fiel. Cain erwiderte dieses stürmische Gefühl. Die zwei jungen Männer schauten sich lange in die Augen, bevor Cain zum erstaunten König Fietus schaute und dann zu seinem Vertrauten Daikin hinüber, dieser stand ganz ruhig an der Seite. Beide Männer nickten dem jungen König zu. Daraufhin übertrat Cain seine Hemmschwelle und küsste Tasius.

Viele derer, die im Saal waren, jubelten. Aus dieser Situation heraus war es für sie verständlich, dass sich diese beiden Männer lieben durften. Aber manche waren noch vom alten Schlag, es würde eine Zeit brauchen, bis auch sie akzeptieren würden, dass Männer Männer und Frauen Frauen lieben dürften. Doch ab diesem Zeitpunkt änderte sich das Verständnis dazu im ganzen Königreich, in beiden Königreichen, nicht nur in Aurelias, sondern auch in Kaskur. Und sie vereinigten sich, wurden ein Land, wie früher. Wohlstand wurde geschaffen durch die vielen fleißigen Hände und dem regen Handel mit den Nachbarländern. Und man munkelte, dass sich die alte Königin von Kaskur und der alte König von Aurelias auch näher kamen, wo sich doch ihre Söhne so friedvoll und liebevoll um das große Land kümmerten.

Lesemodus deaktivieren (?)