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Michael und der Zauberbusch

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Es war einmal vor langer Zeit ein junger Mann namens Michael, der lebte in einem kleinen Häuschen am Rande des Waldes.

Rund um das Häuschen hatte er einen kleinen Garten angelegt, der von einem Zaun vor den Tieren des Waldes geschützt war. Im Garten zog er allerlei Gemüse und Kräuter, aber auch schönste Blumen verschiedener Art.

Seine Eltern waren schon lange tot und so lebte er alleine von dem, was in seinem kleinen Garten wuchs und was er im Wald sammeln konnte. Es war nicht viel, aber es reichte, um ihn zu erhalten und ihm ein bescheidenes Leben zu ermöglichen. Und wenn etwas übrig blieb, dann teilte er gerne mit den Tieren des Waldes oder versorgte kleine Verletzungen.

So lebte er im Einklang mit sich und der Natur.

Doch immer wenn die Sonne langsam hinter den Bergen verschwand, spürte er eine Leere in sich aufsteigen. Er konnte nicht genau sagen, was diese Leere auslöste oder was er dagegen tun könnte. Die Vöglein aus dem Wald setzten sich zu ihm auf die Bank vor dem kleinen Fenster, aber auch ihr fröhlicher Gesang konnte ihn nicht aufmuntern.

Einmal in der Woche ging er ins nahe Dorf, um sich am Markt mit dem notwendigsten einzudecken, das er gegen Kräuter und Beeren aus dem Wald eintauschte. So ging er auch diese Woche auf den Markt und schon am Weg ins Dorf schallte ihm fröhliche Musik und Jauchzen entgegen. Im Dorf wurde die Hochzeit der Bürgermeistertochter mit dem Sohn des größten Bauern im Dorf gefeiert. Das ganze Dorf war auf den Beinen, sang, schwatzte, lachte, aß und trank. Über den ganzen Dorfplatz war eine große Tafel aufgestellt, die sich unter der Last der vielen Köstlichkeiten nur so bog. Duftende Braten und dicke Eintöpfe wechselten sich mit Schüsseln voller Kraut und Knödel. Dazwischen standen Krüge mit Wein und Most. Es war als wären alle Vorräte des Dorfes aufgetragen worden.

Da wurde Michael klar, was seinem Leben fehlte. Er war schrecklich einsam und wünschte sich auch einen Menschen an seiner Seite.

»Komm her und feier mit uns! Heute soll keiner leer ausgehen!«, rief der Bürgermeister ihm zu. Sein Kopf war schon ein wenig rot vom vielen Wein und es sollte wohl heute nicht bei diesem Becher bleiben.

Sonst war Michael ja nicht so gerne gesehen im Dorf. Die Leute schätzten sein Wissen über die Kräuter und Beeren des Waldes, aber sie fürchteten ihn deshalb auch. Es wurde gemunkelt, dass er über magische Kräfte verfügen würde. Und dass er außerhalb des Dorfes in einer einsamen Hütte lebte, gab den Gerüchten noch mehr Nahrung.

Schüchtern machte Michael dem Brautpaar seine Aufwartung, wünschte ihnen Glück und Segen und setzte sich an den Rand der Tafel. Er nahm sich ein Stück eines Bratens sowie Kraut und Knödel und dazu einen Becher Wasser.

Nachdem er gegessen hatte, verabschiedete er sich und ging wieder zurück in seine Hütte. Ihm war heute einfach nicht nach feiern zu Mute. Denn obwohl er ein wunderbarer Mensch war, kamen die Leute nur dann zu ihm, wenn sie seine Hilfe benötigten. Sicher, er war keine Schönheit, aber er fand sich durchaus auf seine Art nicht unhübsch. Aber das schien einfach nicht genug zu sein.

Schwermütig grübelte er noch lange nachdem die Sonne hinter den Bergen verschwunden war.

Schließlich beschloss er, zur Johannes-Quelle zu wandern. Die lag tief drinnen im Wald und die Menschen sagten ihr wundertätige Kräfte nach. Niemand wusste so genau, wo die Quelle lag und es ging die Sage, dass die Quelle immer wieder ihren Ort wechselte und nur von Menschen mit reiner Seele gefunden werden könnte.

Lange noch bevor die Sonne ihre ersten Strahlen über die Berge schickte und der erste Hahn im Dorf krähte, stand Michael auf und machte sich für die Wanderung fertig. Er nahm einen Laib Brot, einen Schlauch Wasser und einen Wanderstock und machte sich auf den Weg in den Wald.

Zuerst nahm Michael den Weg, der durch den großen Wald führte, aber schon bald wich er von diesem ab, um sein Glück querfeldein zu versuchen. Im Dickicht sah er Rehe und andere Tiere des Waldes, die ihn interessiert beobachteten, aber sich nicht vor ihm fürchteten. Es schien sogar, als wollten sie ihm einen Weg zeigen, denn manchmal deuteten sie mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung oder sprangen ein paar Sätze in eine Richtung und schauten sich dann nach ihm um.

Tiefer und tiefer führte ihn seine Wanderung in den Wald und schon bald sah er nur mehr vereinzelte Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach dringen. Er hatte auch schon längst die Orientierung oder das Zeitgefühl verloren, da er sich hier nicht nach dem Stand der Sonne richten konnte. Als es Abend zu werden schien, suchte er sich ein geschütztes Plätzchen am Fuße einer großen Buche und legte sich ins Moos.

Er teilte seine bescheidene Mahlzeit mit ein paar Rehen, die ganz nah zu ihm gekommen waren, und schlief auch bald ein.

Am nächsten Morgen wachte Michael davon auf, dass ein kleines Rotkelchen an seinen Haaren zupfte. Neben ihm schlief noch friedlich eines der Rehe und in den Baumkronen sangen schon die Vöglein.

Als er so erwachte, war ihm, als hörte er das Plätschern von Wasser. Aber er war sich sicher, dass hier gestern Abend noch keine Spur von Wasser gewesen war, sondern nur moosbewachsener Waldboden.

Verschlafen rieb Michael sich seine Augen und sah sich um. Das Reh neben ihm hob fragend den Kopf. Ein wenig entfernt von ihm sah er im Moos eine kleine Wasserfläche schimmern. Ein goldener Sonnenstrahl fiel durch die Baumkronen und tauchte das Wasser in sanftes Licht. Ein sanftes Rinnsal plätscherte von einem Stein in den kleinen Tümpel.

»Das muss die wundertätige Quelle sein, von der die Sage erzählt«, dachte Michael. Langsam, um das Reh nicht zu erschrecken, stand er auf und ging zur Quelle.

Da hörte er auf einmal eine Stimme, die sanft und weich seinen Namen rief. Erschrocken drehte er sich um, aber er konnte niemand sehen.

»Michael. Hab keine Angst! Trink einen Schluck aus mir und dann geh heim. Du wirst in deinem Garten einen Rosenbusch finden, der fast verdorrt ist und wie tot ausschaut. Pflege ihn und bringe ihn zum Blühen. Es wird dein Schaden nicht sein.«

Michael trank einen Schluck von dem Wasser und er spürte ein warmes Gefühl, das sich von innen her auszubreiten schien und ihn wie ein goldener Sonnenstrahl erfasste. Es war ein Gefühl der Geborgenheit, Liebe und Wärme, wie er es bis dahin noch nicht gekannt hatte. Überwältigt machte er sich auf den Weg nach Hause. Obwohl er ziellos durch den Wald gewandert war, um die Quelle zu finden, hatte er keine Probleme den Weg nach Hause zu finden. Er ließ sich einfach von seinem Gefühl leiten und auch die Tiere des Waldes begleiteten ihn.

So kam er dann auch spät abends bei seinem Häuschen an und siehe da: Wirklich stand da neben der Fensterbank ein verdorrter Rosenbusch, wie es ihm verheißen worden war. Gleich ging er zum Brunnen und holte einen Kübel Wasser für den Rosenbusch, bevor er schlafen ging.

Am nächsten Morgen küsste ihn ein Sonnenstrahl sanft wach. Verschlafen rieb Michael sich die Augen und blickte zum Fenster. Die Vöglein sangen bereits ihr fröhliches Lied und der blaue Himmel zeigte sich von seiner besten Seite. Als er vors Haus ging, um sich am Brunnen Wasser zum Waschen zu holen, bemerkte er, dass der Rosenbusch nicht nur viel frischer und grüner aussah, als es eigentlich möglich war, sondern dass er sogar noch über und über Knospen angesetzt hatte.

Sofort goss Michael den Rosenbusch mit dem Wasser und holte sich dann erst für sich. Während er sich wusch, nahm er den zarten Duft von Rosenblüten wahr, und als er sich nach dem Busch umwandte, sah er, dass die Knospen gerade aufbrachen und ihren süßen Duft verströmten. Staunend ging Michael zum Rosenbusch und betrachtete das Wunder, das sich vor seinen Augen abspielte. Zart fuhr er über die Blätter, berührte die Blüten und konnte das Wunder nicht verstehen.

Irgendwie fühlte er eine besondere Liebe für den Rosenbusch. Und es schien auch so etwas wie grenzenlose Liebe von dem Busch auszugehen, die ihn ganz und gar durchströmte und ihm fast die Sinne raubte. Irgendwann wurden seine Knie weich und ihm wurde schwarz vor Augen, als er ins üppige Gras sank.

Lange dauerte seine Ohnmacht an, die schließlich in einen schlafähnlichen Zustand überging. Als Michael erwachte, schickte sich die Sonne bereits an, unterzugehen. Verschlafen rieb er sich die Augen und überlegte, was eigentlich passiert war. Als sein Blick in Richtung des Rosenbusches fiel, sah er, dass der Rosenbusch auf genauso wundersame Weise verschwunden war, wie er auch aufgetaucht war. Da nahm er auch wahr, dass jemand mit zarten Händen seine Schultern massierte, und fuhr erschrocken hoch.

Es stellte sich heraus, dass dieser Jemand ein nackter Mann ungefähr gleichen Alters war, von vollkommener Statur und mit edlen Gesichtszügen. »Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin dein Rosenbusch.« Michael wich einen Schritt zurück. »Oder besser gesagt ich bin ein Königssohn aus fernen Landen. Mein Herz schlug einst für einen schönen Jüngling aus dem Hofstaat meines Vaters. Mein Vater tat dies als Spielerei ab und duldete unsere Romanze. Doch als mich mein Vater zwingen wollte, eine Frau zu wählen, und ich mich weigerte, ließ er meinen Geliebten heimtückisch ermorden und mich von einem Magier in einen Rosenbusch verwandeln. Ich sollte meine Tage im tiefsten Wald zubringen und nur die Liebe eines Mannes sollte mein Leiden erlösen. Durch schicksalhafte Fügung kamst du zur wundertätigen Quelle und so wurde ich an dein Haus versetzt. Und nur deine große Liebe allein hat mich erlöst. Darum will ich nun auf ewig bei dir bleiben und mit dir zusammen mein Leben verbringen.«

Bei den letzen Worten hatte sich der Königssohn niedergekniet, Michaels Hand in seine genommen und, nachdem er fertig gesprochen hatte, an seine Lippen gedrückt.

»So steht doch auf, edler Herr«, sagte Michael und warf sich seinerseits vor dem Königssohn auf die Knie. »Ich weiß Ihre Worte sehr wohl zu schätzen, aber ich befürchte, ich kann Ihnen nicht bieten, was Ihnen zusteht. Ich habe doch nichts weiter als diese bescheidene Hütte und den Garten hier.«

»Ach Michael«, sagte der Königssohn und zog ihn zu sich hoch, »es geht mir nicht um Geld, Paläste oder andere Besitztümer. Ich will nichts weiter, als mein Leben hier mit dir zusammen verbringen.«

Und so umarmte der Königssohn Michael und sie küssten sich lang und innig.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lieben sie sich noch heute wie am ersten Tag.

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