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Die Rosenknospe

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Diese Story ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Sollte sich dennoch jemand in irgendeiner Form angegriffen fühlen, so bitte ich mit mir Kontakt aufzunehmen.

Lob, Kritik, Anfragen und Beschwerden an: richie1977@hotmail.com

(Ich bemühe mich, bald zu antworten.)

Teil 1 – Besuch im Kino

*** Tag zusammen. Ich bin vom Autor gebeten worden, diese Geschichte hier zu kommentieren. Also falls ihr nicht drauf steht, wenn dauernd wer dazwischenquatscht und bösartige Kommentare abgibt, dann seid ihr hier falsch. Ach ja, falls euch das interessiert, ich bin Gloria. Mein Alter? Also das tut wirklich nichts zur Sache! Nun ja, wenden wir uns also der Geschichte zu. – Ach ja, wenn ich was zu sagen habe, dann steht das zwischen Sternchen.

Also die Hauptperson ist ein ganz normaler Typ, gerade mal 16 Jahre alt und – wie könnte es anders sein – schwul. Falls ihr euch jetzt denkt, dass das sowieso schon die Luft draußen ist – falsch gedacht! Das ist der Vorteil einer allwissenden Erzählerin – ICH - weiß, dass er schwul ist. Er nicht. Ach so, noch fürs Protokoll: Er heißt Nathan Ziegler, ist zirka 175 cm groß, hat braune Haare und eine ganz gute Figur. ***

Verschlafen tastet Nathan nach dem Wecker, der ihn gerade jäh aus seinen Träumen gerissen hatte. Warum konnten nicht schon die Semesterferien begonnen haben? Nein, noch ein paar Tests und Schularbeiten standen stattdessen in den nächsten Wochen an.

Nicht dass Nathan etwas ein schlechter Schüler gewesen wäre, aber irgendwie fehlte ihm der rechte Draht zu den Anderen. Die anderen Jungs in seiner Klasse begannen sich immer mehr für die Mädels zu interessieren, aber er konnte dieses Interesse nicht so ganz nachvollziehen. Nur mit Robert verstand er sich halbwegs gut. Oft saßen sie nachmittags gemeinsam über den Mathematikaufgaben für die nächste Stunde oder über Cicero's Reden zu irgendwelchen Themen.

*** Das übliche Zeugs wie duschen, Zähne putzen und so weiter und so fort verkneifen wir uns hier mal, da wird wohl jeder wissen, wie das so läuft. Einzig bemerkenswert, dass Nathan in der Früh nur ein Häferl Kaffee trinkt. Also begleiten wir ihn nach Streichung aller Unwichtigkeiten gleich mal in die Schule. ***

Der Montagmorgen begann wie üblich mit einer Doppelstunde Chemie. Nathan und Robert, die auch im Chemiesaal beisammensaßen, schlossen sich dem Rest der Klasse an, die es schwer fand, sich montags um 07.30 umnebelt von diversen Chemikalien – der Architekt hätte wohl besser eine Lüftung für den Chemiesaal eingeplant – für die Ausführungen des Professors zu begeistern.

Immerhin ließ er sich dazu überreden, die Pause nicht wie üblich zu ignorieren, sondern sich selbst einen Imbiss zu vergönnen.

»Und, wie waren deine Ferien?«

»Ach, geht so. Das Übliche halt. Weihnachten, dann kurze Erholung vom Fest und fast nahtloser Übergang zu den Silvesterfeierlichkeiten und dann halt der 'Alle-Jahre-Wieder'-Skiurlaub«, antwortete Robert.

»Na ja. Auch so in dem Dreh. Und was haste zu Silvester gemacht?«

 »Eigentlich wollte ich auf die Party von Karin gehen, aber meine Eltern hams nicht erlaubt. Also bin ich daheimgesessen. Wir haben kalte Platte gegessen, ferngesehen und um Mitternacht Blei gegossen.«

»Und was hast du rausbekommen?«

»Keine Ahnung was das war. Hat irgendwie verdammte Ähnlichkeit mit Ziegenscheiße gehabt. Tolle Aussichten.«

»Tröste dich, mein Jahreswechsel war auch nicht spannender.« Nathan wollte gerade zur Schilderung ansetzen, doch das Läuten unterbrach ihn.

*** An dieser Stelle will ich mal zu Ende führen, wo Nathan hier unterbrochen wurde. Sein Silvester war auch nicht aufregender gewesen, vor allem, weil er nicht zu Karins Party eingeladen gewesen war. ***

Der Rest des Vormittags verlief eigentlich in den üblichen Bahnen. Die beiden Jungs nahmen mehr oder minder aktiv am Unterricht teil, besprachen ihre Ferien und verabredeten sich nach der Schule. Die letzten beiden Stunden waren sie getrennt, weil Robert bildnerische Erziehung besuchte, während Nathan Musik gewählt hatte, weil sich seine Zeichenkünste eher in Grenzen hielten.

*** Nicht, dass der Musikunterricht soviel spannender gewesen wäre – der Lehrplan behauptet, dass sich 16-jährige für Musikgeschichte begeistern sollen – aber manche Zeichenlehrer sind wahre Pädagogikgenies. Und nach dem x-ten Mal fragen, was das überhaupt darstellen solle, hatte Nathan beschlossen, sich lieber mit Musikgeschichte zu plagen, als sich für »Demütigung für Fortgeschrittene« zu entscheiden. ***

Kaum hatte Nathan sich daran gemacht, mit der Mathematikhausübung zu beginnen, als Robert an der Haustüre läutete.

»Hej, ich wollte gerade ohne dich anfangen.«

»Sorry, ich konnte nicht früher weg. Meine Mum hatte das Essen noch nicht fertig.«

Kurz darauf saßen die beiden über den Beispielen und stellten zu ihrer Freude fest, dass der Professor einen guten Tag gehabt hatte.

»Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Nachmittag?«

»Keine Ahnung. Was hältst du davon, wenn wir einfach Musik hören und ein wenig quatschen?«

»Ok. Leg was auf.«

Als die ersten Takte von 'The Miracle Of Love' ertönten, bekam Roberts Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck.

»Sag mal, warst du eigentlich schon mal richtig verliebt?«

»Ich glaub nich. Und du?«

»Hm, ich weiß nicht so recht. Im Skiurlaub hab ich ein nettes Mädchen kennengelernt ...«

»Und? Habt ihr – du weißt schon?«

»Wo denkst du hin. Nach diesem komischen Gemeinschaftsabend in unserem Gasthaus hat sie mir einen Kuss auf die Wange gegeben, aber das war's dann auch schon.«

Nathan merkte, dass Robert seiner Urlaubsbekanntschaft offensichtlich noch etwas nachhing und versuchte daher das Thema zu wechseln.

»Weißt du, was wir am Donnerstag für einen Film im Kino sehen? Frau Stangler hat sich ja dazu total ausgeschwiegen.«

»Keine Ahnung. Aber wie ich sie kenne, wird es sicher interessant. Sie hat nur gemeint, dass es zu unserem nächsten Themenkreis mit 'tolerance' passt.«

*** Frau Stangler, vom Computer mit dem tollen Kürzel StaPe bedacht, war für den Englischunterricht in der Klasse zuständig. Nach vier Jahren mit diversen anderen Lehrern übernahm sie voriges Jahr die Klasse und lehrte so manchem bequemlichkeitsgewohntem Schüler das Arbeiten. Mit flotten Sprüchen hielt sie, wie keine Andere, Ordnung in der Klasse und sorgte so manches Mal für ungläubiges Staunen, wenn sie eindrucksvoll für Ruhe sorgte. ***

»Ich hol mir ein Eis. Magst du auch eines? Hallo!«

»Hm, was hast du gesagt? Ich war grad in Gedanken.«

»Das hab ich gemerkt. Ob du ein Eis haben willst.«

»Ja, gerne«, antwortete Robert.

Als Nathan mit zwei Bechern Vanilleeis mit dick Schokosauce zurückkam, hatte Robert inzwischen die CD gewechselt.

»Cos every time I seem to fall in love, Crash! Boom! Bang! I find the heart but then I hit the wall, Crash! Boom! Bang! ...«

»Hier, dein Eis.«

Einige Zeit löffelten sie schweigend an ihrem Eis, dann meinte Nathan: »Du hast sie geliebt, oder?«

»Ich, ich weiß es nicht. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Da denkt man, man hat einfach so Spaß miteinander und dann bekommt man einen Kuss und mit einem Mal ist alles anders.«

»Hast du ihre Adresse?«

»Nein, dass hab ich Idiot glatt vergessen. Aber immerhin hat sie mir meine abverlangt.«

*** Jaja, so sind sie, die Männer. Wenn wir Frauen nicht immer für sie mitdenken würden, wären wohl einige Traumpaare für immer verloren gewesen. Warn halt doch nur Prototypen. ***

Den Rest des Nachmittags verbrachten die beiden mit verschiedenen Brettspielen, bis Robert schließlich am Abend nach Hause ging. An diesem Abend lag Nathan noch lange wach und grübelte, wie er Robert wohl aufmuntern könne, weil ihm diese Sache vom Skiurlaub offenbar mehr zusetzte, als er zugeben wollte.

In der Nacht hatte er wieder einmal diesen seltsamen Traum: Er steht in einem großen Tanzsaal und nacheinander kommen alle Mädchen aus seiner Klasse herein. Aber sie gehen alle an ihm vorbei und am Ende ist er von tanzenden Paaren umringt und spöttisch lachende Gesichter umkreisen ihn.

Am nächsten Morgen machte sich Nathan schon besonders früh auf den Weg zur Schule, weil er vor der ersten Stunde noch unbedingt mit Robert reden wollte.

Robert war schon da, als Nathan in die Klasse kam.

»Hey, gut geschlafen?«, begrüßte Nathan ihn.

»Ach geht so«, brummte Robert zurück.

»Was ist los? Hast du die ganze Nacht an sie gedacht?«

»Ich weiß nicht. Auf jeden Fall hab ich total schlecht geschlafen. Ich weiß gar nicht, was in letzter Zeit mit mir los ist.«

»Vielleicht sehnst du dich einfach nach einem Mädchen, dass dein Leben mit dir teilt?« »Das wird's wohl sein.«

*** Ist doch immer wieder herzig, wenn 16-jährige Jungs Dr. Sommer spielen. Aber mal sehn, vielleicht hat ja Nathan den Nagel sogar auf den Kopf getroffen. ***

»And in the next lesson we're going to start with the next topic. Please read page 37 in your textbook until then.«

»Frau Stangler?«

»Ja Nathan?«

»Welchen Film sehen wir denn am Donnerstag im Kino?«

»Das will ich noch nicht verraten.«

Enttäuscht ging Nathan zurück zu seinem Platz, wo Robert grinsend auf ihn wartete.

»Na, du Neugiernase. Erfolg gehabt?«

»Nein, hast du ja gehört.«

Am Nachmittag rief Robert bei Nathan an.

»Ziegler?«

»Grüß Gott Frau Ziegler, hier ist Robert Falkner. Ist Nathan zu sprechen?«

»Ja, einen Moment, ich hole ihn. – Nathan, Telefon!«

Wenig später war Nathan herunten.

»Wer ist es denn?«

»Robert.«

»Hallo Robert, was gibt's denn?«

»Steffi hat mir geschrieben!«

»Wer?«

»Steffi. Na du weißt schon, das Mädchen vom Skiurlaub.«

»Und?«

»Sie schreibt, dass sie mich total nett gefunden hat und dass es ihr leid tut, dass wir uns nicht schon früher kennengelernt haben. – Hallo, bist du noch da?«

»Jaja, find ich echt schön für dich. Seht ihr euch auch mal wieder?«

»Sie schreibt, dass sie eventuell mal in den Semesterferien zu Besuch kommen könnte.«

»Hey, und? Lädst du sie ein?«

»Ich weiß noch nicht. Muss erst noch meine Eltern fragen. Sehn wir uns dann morgen?«

»Klar doch, is ja eh Schule. Bis dann.«

»Bis dann.«

Langsam legte Nathan den Hörer auf die Gabel und ging wieder in sein Zimmer. Plötzlich fühlte er sich innerlich leer. Irgendwie gönnte er Robert sein Glück von ganzem Herzen, aber er hatte auch Angst. Angst, den einzigen Freund zu verlieren.

Als Robert so traurig war, da konnte er für ihn da sein, aber wenn er jetzt eine Beziehung eingehen würde, dann wäre er nur mehr das fünfte Rad am Wagen. Je länger er darüber nachdachte, desto schrecklicher malte er sich die Zukunft aus, bis ihm schließlich die Tränen kamen und er sich in den Schlaf weinte.

*** Tja Schätzchen, ich würde mal sagen, anhand der Symptome klarer Fall. Der Stoff aus dem Liebe, Intrigen, Eifersucht und die meisten Daily Soaps gemacht sind. Bleibt nur abzuwarten, ob die Freundschaft stärker ist. ***

Als der Wecker Nathan in der Früh aus dem Schlaf riss, war er schweißgebadet und sein Bett glich einer Trümmerwüste. Er hatte die ganze Nacht ziemlich schlecht geschlafen und war von Monstern gejagt worden.

Schwerfällig machte Nathan sich auf den Weg ins Bad, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und stellte letztendlich fest, dass alle Bemühungen, die dunklen Ringe unter seinen Augen verschwinden zu lassen, nichts fruchteten.

*** Jaja, wer kennt das Problem nicht. Scheinbar ist noch kein Make-Up erfunden worden, das Augenringe wirklich zuverlässig abdeckt. Willkommen im wirklichen Leben, Kleiner. ***

»Trödel nicht so rum, du kommst noch zu spät in die Schule«, rief seine Mutter von unten rauf.

»Ich komm ja schon.«

»Also das halt ich für ein Gerücht.«

Nathan beeilte sich seinen Kaffee zu trinken und aus dem Haus zu kommen. Seine Mutter hatte wieder mal unerträglich gute Laune und obwohl er sonst kein Morgenmuffel war, nach dieser Nacht wollte er sich das sparen.

Kaum in der Schule angekommen, begrüßte ihn auch schon Robert.

»Hej, ich dachte schon, du kommst heute gar nicht mehr.«

»Ich hab schlecht geschlafen. Was ist denn los?«

»Hier, das ist er.«

Robert fuchtelte mit einem Blatt Papier vor Nathans Nase herum.

»Das ist wer?«

»Na der Brief. Du bist aber heute schwer von Begriff.«

»Ach so, von deiner Urlaubsbekanntschaft.«

»Ja, genau der. Schau dir bloß mal diese Schrift an. So schön gleichmäßig und geschwungen.«

Tatsächlich verliefen auf dem Blatt schnurgerade Zeilen in gestochen schöner Schrift.

»Und das Papier ist sogar parfümiert«, schwärmte Robert weiter. Er schwebte offensichtlich im siebten Liebeshimmel.

Nathan hörte schon gar nicht mehr genauer, was Robert sagte. Er spürte nur einen Kloß, der sich in seiner Kehle breitmachte und ihm die Luft abzuschnüren drohte. Er fühlte sich, als ob er jeden Moment seinen Kaffee hochwürgen müsste. Was war bloß los mit ihm? Er sollte sich doch aufrichtig für seinen Freund freuen, dass er so verliebt war. War das die Eifersucht auf sein Glück? Oder bloße Angst, alleine dazustehen?

Das Läuten zur ersten Stunde unterbrach Roberts Schwärmereien und brachte beide wieder auf den Boden der Realität zurück.

Die letzten beiden Stunden hatten Nathan und Robert Turnen. Eigentlich hasste Nathan den Turnunterricht ja aufrichtig, weil er weder sportlich noch sportbegeistert war. Er hatte zwar das Glück, dass sich dies nicht negativ auf seine Figur auswirkte, aber er hätte sehr gut ohne leben können.

In der ersten Stunde gab es Musikgymnastik zu Kassetten, die schon in der Jugendzeit des Professors out gewesen waren, und danach wurde Bodenturnen geprüft.

Die diversen Varianten von Rollen bekam Nathan ja noch so halbwegs hin, aber beim Rad schlagen und Handstand versagte er mehr oder weniger.

*** Jaja, nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir. Und falls uns jemals ein Rudel feindlicher Agenten verfolgen sollte, so können wir sie mit einem Handstand oder Kopfstand beeindrucken, um dann flugrollend oder radschlagend das Weite zu suchen. ***

In der zweiten Stunde ließ sich der Professor dann dazu überreden, drei Mannschaften bilden zu lassen und Fußball zu spielen. Obwohl Nathan sonst auch diese Form von Sport hasste, kam es ihm heute gar nicht so ungelegen.

Irgendwie hatte er heute das Bedürfnis, unkontrolliert auf den Ball loszutreten. Gleich im ersten Spiel trafen Nathan und Robert als Gegner aufeinander.

Anpfiff.

Ein Spieler des gegnerischen Teams kam auf Nathan zu, der zur Abwehr eingeteilt worden war. Es war Alexander. Nathan konnte ihn nicht leiden, weil er in seinen Augen ein widerlicher Angeber war, der außerdem nichts im Kopf hatte. Aber im Sport war er ein As und die Mädels lagen ihm deshalb und auch wegen seines gestählten Körpers zu Füßen. Im Nu hatte Alexander Nathan ausgetrickst und den Ball ins Tor platziert.

»Versuchs das nächste Mal mit ein wenig Einsatz«, maulte Stefan Nathan an.

»Sehr witzig. Geh doch selber ran.«

Nach zehn Minuten hatte Nathans Mannschaft haushoch verloren und das dritte Team konnte gegen Alex und Co. kämpfen. Nach weiteren zehn Minuten gingen wieder die Gleichen siegreich aus der Schlacht hervor.

»Diesmal werde ich Verteidiger machen und du gehst ins Mittelfeld«, sagte Stefan zu Nathan.

»Wenn du meinst.«

»Vielleicht bringst du ja da mehr zusammen«, meinte Stefan mit einem spöttischen Grinsen.

»Sehr witzig.«

Im Verlauf des Spiels hielt sich Nathans Mannschaft tapfer und war kurz vor Spielende sogar um nur ein Tor zurück.

»Das schaffen wir auch noch.«

»Aber klar.«

»Auf geht's!«

Kurz nach dem Anpfiff bekam Nathan den Ball zugespielt. Alle andren waren von gegnerischen Spielern gedeckt, also machte er sich allein auf den Weg zum Tor.

»Vermassle das bloß nicht«, schoss es ihm durch den Kopf. Aber Robert hatte schon gemerkt, dass Nathan einen Alleingang versuchte und rannte auf ihn zu. Noch wenige Meter trennten Nathan vom Tor, er holte zum Schuss aus, doch genau in dem Moment, als er durchzog, schnappte Robert ihm den Ball weg.

Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Nathan schon im Schuss gewesen war, und ihm nun mit voller Wucht am Unterschenkel traf. Dem anschließenden Flug folgte eine harte Landung.

Der Professor pfiff ein Foul und eilte zu Robert, der stöhnend am Boden lag und sich seinen Fuß hielt. Nathan stand wie vom Blitz getroffen daneben und wusste nicht, was er sagen oder tun sollte.

»Lass mal fühlen, ist was gebrochen?«, fragte der Professor.

»Nein, ich, ich glaub nicht, aber es tut scheußlich weh.«

»Nathan geh mit ihm raus und legt kühle Umschläge auf das Bein. - du hast übrigens die rote Karte.«

»Nach der Stunde werde ich mit dir ins Spital fahren, damit sich ein Doktor deinen Fuß anschaut«, sagte er noch zu Robert, bevor dieser mit Nathans Hilfe zur Garderobe humpelte.

»Hey, tut mir echt leid«, meinte Nathan, »aber ich wollte es auf keinen Fall vermasseln und konnte einfach nicht mehr bremsen.«

»Ist schon ok. Das nächste Mal mach ich nen großen Bogen um dich, wenn du mit nem Ball kommst.«

»Ich hoffe es ist nichts Ernstes.«

»Halb so wild, in ein paar Tagen wird das schon wieder. Wird ne schöne Beule geben.«

»Wieso Beule?«

»Na weil ich bei der Landung ganz schön auf den Boden geknallt bin.«

»Wart, ich leg dir da auch n kaltes Tuch drauf.«

»Lass mal. Ich bin ja kein Waschweib. Das geht auch so. Is nich so tragisch. Hej, jetzt schau nicht so verzwickt. Man könnte ja meinen, du hast wen umgebracht.«

Bevor sie weiterreden konnten, kam schon die Meute aus dem Turnsaal gestürmt. Robert und Nathan machten sich auch ans Umziehen und wenig später kam auch schon der Professor.

»Fertig zur Abfahrt, Robert?«

»Ja, gleich.«

»Darf ich auch mitfahren? Immerhin bin ich ja Schuld an dem ganzen Schlamassel.«

»Na gut.«

Im Krankenhaus angekommen, stellten sie fest, dass heute offensichtlich ein beliebter Tag für Unfälle gewesen war. Fast alle Sitze im Wartesaal waren belegt und die Schwester bei der Anmeldung meinte, dass es wohl noch etwas dauern werde.

Nachdem er die Formalitäten erledigt hatte, meinte der Professor zu den beiden: »Ich kann leider nicht bei euch bleiben, weil ich selbst noch einen Zahnarzttermin habe, aber ich hoffe, ich kann mich drauf verlassen, dass ihr keinen Blödsinn macht.«

»Ist gut. Ich kann ja sowieso keine großen Sprünge machen.«

Nachdem der Professor gegangen war und einige Zeit vergangen war, meinte Nathan: »Was hältst du davon, wenn ich mich hinsetzte und du auf meinen Schoß? Mir fallen bald die Füße ab.«

»Spinnst du, ich bin doch nicht schwul!«

»Was hat denn das damit zu tun?«

»Nur Mädchen machen so was!«

Nach endlosen zwei Stunden war dann Robert endlich an der Reihe.

Der Arzt meinte, dass es zum Glück nur eine leichte Prellung sei und der Knochen nicht verletzt wurde. »Keinen Sport in den nächsten Wochen und überhaupt Ruhe geben. Außerdem mit dieser Salbe zweimal täglich schmieren und tagsüber mit einer Fasche* bandagieren.« (* Österreichisch: Fasche – Deutsch: elastische Binde)

Robert rief seine Eltern aus dem Spital an und sein Vater kam, um die beiden Jungen zu holen.

»Deine Mutter war in hellster Aufregung, als sie hörte, dass du aus dem Spital anrufst. Aber ich hab sie gleich beruhigt und ihr gesagt, dass es halb so wild ist.«

»Danke Paps.«

»Aber das nächste Mal pass besser auf beim Abwehren«, meinte Herr Falkner mit einem Augenzwinkern.

Nathan saß die ganze Fahrt schweigend im Wagen und sah die Straßenzüge vorbeiziehen.

»Schläfst du? Wir sind da.«

»Ach. Ich war nur grad in Gedanken. Danke fürs Heimbringen Herr Falkner. Und sorry noch mal wegen deinem geprellten Fuß.«

»Is halb so schlimm. Wir sehen uns dann morgen.«

»Ok. Bis dann. Wiedersehn.«

Auch an diesem Abend lag Nathan noch lange wach und grübelte. Warum wurde alles so kompliziert? Früher war er doch auch auf Roberts Schoß gesessen und keinen hatte es gekratzt. Und jetzt wär das auf einmal schwul?

»Wird man schwul, wenn man sich auf den Schoß eines Mannes setzt? Wie ist schwul überhaupt? Ist das nicht komisch, wenn man einen Mann küsst?« Schließlich schlief Nathan ein und träumte von Feen, Elfen und besseren Tagen.

Am nächsten Morgen beeilte sich Nathan ganz besonders in die Schule zu kommen, denn er wollte ja auf keinen Fall den Kinobesuch verpassen.

*** Kino ist zwar erst ab der vierten Stunde angesagt, aber so isse numal die Jugend. Ungestüm und begeisterungsfähig. Is doch schön. ***

Auch die anderen aus Nathans Klasse waren schon ähnlich neugierig und so war dies einer der seltenen Tage, an dem schon alle reichlich vor der ersten Stunde in der Schule waren. Und natürlich wurde viel gerätselt und spekuliert, welcher Film nun auf dem Programm stehen würde. In den kühnsten Spekulationen wurden Filme vorgeschlagen, doch die Nadel der Wahrscheinlichkeit brachte so manche Blase zum Platzen.

Nach endlosen zweieinhalb Schulstunden kam schließlich Frau Stangler herein, um die Klasse abzuholen. Herr Kettenbauer, der Mathematiklehrer der Klasse, war ausnahmsweise sogar froh, dass er die Klasse früher loshatte, weil die Aufmerksamkeit bereits stark an null angenähert gewesen war.

Fünf Minuten später stand die ganze Klasse vor dem Schultor und war zum Abmarsch bereit. »Wir gehen jetzt zum Filmpalast. Der Besitzer des Kinos hat sich bereit erklärt, für uns heute Vormittag eine Extravorstellung zu geben. Also los.«

*** Eine kleine Erklärung am Rande: Der Filmpalast ist ein kleines Kino, das neben dem üblichen Hollywoodkram auch gehobenere Filme und Originalfassungen zeigt. ***

Am Kino angekommen, bezahlte Frau Stangler für die Klasse und vereinbarte mit dem Besitzer, dass sie vor dem Filmstart noch ein paar Minuten mit der Klasse brauchte.

»Sit down and shut up please. Today we're going to see a film about two boys discovering their identity and feelings. The film will be in English, but there are German subtitles. I would ask you to try to follow the film without reading them. Homework until Saturday is to write down the plot of the film. Ok. Let's go now. Film ab bitte.«

Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Film 'Beautiful Thing' hieß, kam Nathan wieder ins Überlegen – soweit dies nebenbei möglich war. Irgendwo hatte er doch den Titel schon mal gehört. Oder war es doch nur Einbildung?

Jamie will Ste den Rücken einreiben und lässt ihn an einer Flasche Fußbalsam mit Pfefferminze riechen.

Jamie: »Like it and I rub it into your back ... If you want.«

Jamie: »Cold, isn't it?«

Ste: »Yeah.«

Jamie reibt Ste zärtlich den Rücken ein, achtet aber darauf, nicht an den Blessuren anzukommen.

Nathan sah es mit ungläubigem Staunen und wurde gleichzeitig immer verwirrter. Wieso fand er das nicht abstoßend? Was war dieses komische Kribbeln, das ihn ganz verrückt machte? Und wieso begann sich in seiner Hose etwas zu regen, wenn ein Junge dem anderen den Rücken einreibt?

Jamie: »Have you ever kissed anyone and stuck your tongue in?«

Ste: »How can I do this?«

Jamie: »It ain't ugly.«

Ste: »With me it'd be ugly.«

Jamie: »I don't think you're ugly.«

Jamie: »Turn over, I do your front.«

Ste: »I can't ... I'm too sore.«

»Pst! Robert. Wieso dreht er sich nicht um?«

»Was weiß ich. Vielleicht hat er ne Latte.«

»Wieso?«

»Keine Ahnung. Frag nicht so blöd.«

Ste: »Turn the light off ... Please.«

Jamie: »I don't wanna.«

Ste huscht schnell unter die Decke und die beiden liegen Kopf an Fuß.

Jamie: »Can I come up there?«

Ste: »No.«

Jamie: »Please.«

Ste: »Stay where you are!«

Ste beobachtet Jamie ängstlich und kämpft mit sich selber. Schließlich dreht er sich und liegt Kopf an Kopf mit Jamie.

Ste: »Satisfied?«

Jamie: »Mhm ... Night.«

Jamie küsst Ste auf die Lippen. Es folgen ängstliche Blicke, die sich in zärtliche verwandeln.

Ste: »Do you think I'm queer?«

Jamie: »Don't know what I think.«

Jamie dreht das Licht ab.

Jamie: »Can I touch you?«

Ste: »I'm a bit sore.«

Jamie: »Yeah.«

Jamie berührt Ste zärtlich ...

1996 Channel Four Corporation)

Den Rest des Films nahm Nathan kaum noch wahr, die aufkommenden Gefühle nahmen seine ganze Aufmerksamkeit in Beschlag. Immer deutlicher wurde es ihm klar, dass er, Nathan Ziegler, schwul war.

Und er beneidete Ste und Jamie. Er wollte auch einen Freund haben, gehalten, gestreichelt, geküsst werden.

*** Nathan ist so mit sich beschäftigt, dass er nicht mal merkt, dass Robert schon die ganze Zeit über sein Bein an seines angelehnt hat und während einer Kussszene auch mal kurz Nathans Knie berührt. War das Zufall? Wir werden ja sehn. ***

Als der Film zu Ende war und die anderen bereits aufgestanden waren, um sich im Vorraum zu sammeln, saß Nathan noch immer im Sessel und starrte wie gebannt auf die Leinwand.

»Hey, wach auf! Wir gehen«, sagte Robert. »Was ist los, hast du ein Gespenst gesehen oder biste verknallt?«

Nach diesen Worten sprang Nathan auf und stürmte an Frau Stangler und den anderen vorbei aus dem Kino.

»Nathan! Bleib stehn! Du kannst doch nicht einfach so weglaufen. Ihr bleibt hier.«

Aber als Frau Stangler aus dem Kino kam und sich umsah, war Nathan bereits weg.

Teil 2 – Coming Out

Nathan lief erst mal drei Häuserblocks weit, bevor ihm der Atem ausging. Atemlos lehnte er sich an eine Hausmauer. Vor seinem inneren Auge türmte sich eine Woge von Problemen auf, die jeden Moment über ihn hereinbrechen konnte.

"Schwule verschleppen Kinder."

"Schwule sind vom Jugendlichkeitswahn besessen."

"Schwule sterben einsam."

"Schwule haben AIDS."

"Schwule sind pervers."

"Schwule leben gegen die Natur."

"Schwule ... "

Immer schneller rasten die Sätze durch Nathans Kopf, drehten sich im Kreis – schneller! Schneller! Schneller!

Nathan merkte gar nicht mehr, wie seine Knie weich wurden und der Boden unter seinen Füßen nachzugeben schien. Ein kurzes Schwindelgefühl und Schwärze legte sich wie ein Tuch über sein Gesicht, bevor er ohnmächtig wurde.

*** Es ist doch wirklich unverantwortlich, junge Leute (und alle andren auch) mit solch dummen Vorurteilen zuzukippen. Und wenn sie dann selbst betroffen sind, passiert so was und alle wundern sich. Hoffentlich geht das mal gut für Nathan aus. ***

»Hej, Mensch wach doch auf«, war das Erste, das Nathan wieder hörte.

Langsam machte er die Augen auf und versuchte sich aufzurichten, wurde aber gleich von einer Hand sanft davon abgehalten. Als sich die Nebelschleier lichteten, blickte er in zwei strahlend blaue Augen.

Der Besitzer dieser zwei Augen mochte gerade mal 18 Jahre alt sein.

»Was, was ist passiert?«, fragte Nathan.

Der Junge antwortete: »Ich bin grade aus dem Drogeriemarkt dort drüben gekommen und hab gesehen, dass du hier herüben wie ein Stück Holz umgefallen bist. Da konnte ich doch nicht tatenlos zusehen.«

Jetzt erst bemerkte Nathan, dass der unbekannte Helfer ohne Jacke bei ihm kniete, und dass die Jacke unter seinem Kopf lag. Der angenehme duft stieg ihm in die Nase.

»Wie heißt du eigentlich?«

»Nathan. Und du?«

»Manuel. Komm, ich helf dir auf, sonst verkühlst du dich noch hier am Boden.«

Noch bevor Nathan protestieren konnte, hatte Manuel ihn unter den Schultern gefasst, als ob er einen Bewusstlosen schleppen müsste.

Bildete er sich das ein oder drückte Manuel ihn einen Moment länger als notwendig an sich?

»Weißt du was, wir gehen jetzt erst mal in das Café dort drüben und du trinkst einen heißen Tee, damit dein Kreislauf wieder auf Touren kommt.«

Nathan wollte etwas erwidern, aber Manuels Entschlossenheit duldete keinen Widerspruch.

Kurz darauf saßen sie sich bei einer Tasse heißem Früchtetee gegenüber.

»Ist dir so was schon öfter passiert?«, fragte Manuel.

»Äh. Wie? Was?« Nathan war mit seinen Gedanken schon wieder ganz wo anders gewesen.

*** Na ja, so wesentlich wo anders nu auch wieder nicht. Zum einen war er tief in Manuels Augen versunken gewesen und zum anderen überlegte er, ob er denn wirklich schwul war. Mal sehn, wie det weitergeht. Det knistert und prickelt ja richtig. ***

»Ich meinte, ob du schon öfter mal ohnmächtig geworden bist.«

»Eigentlich nicht.«

Nach einer kurzen Pause fragte Nathan: »Gehst du eigentlich noch in die Schule?«

»Ja. Aber nicht hier. Ich werde erst im nächsten Semester an das Gymnasium hier gehen. Wir sind erst vor Kurzem hierhergezogen und das Semester mache ich noch in meiner alten Schule fertig.«

»Hej, dann werden wir uns ja vermutlich öfter sehn. Ich geh ja auch hier ins Gym. Und in welcher Klasse bist du?«

»7. Und du?«

»Ich bin erst in der 6. Also ich hätte dich schon für älter gehalten.«

»Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit meinen 189 cm nicht unbedingt in der Durchschnittsgröße meines Alters liege. Hm. Ich muss jetzt leider los, sonst macht sich meine Mutter Sorgen. Du weißt ja, wie das ist. Aber wenn du magst, kannst du ja mitkommen. Meine Eltern haben sicher nichts dagegen.«

»Hm. Ja, gern.«

Nachdem sie bezahlt hatten, machten sie sich auf den Weg. Manuels Haus lag in einem Siedlungsgebiet am Stadtrand und so fuhren sie ein paar Stationen mit dem Bus. Nachdem sie noch ein paar Häuserblocks gegangen waren, standen sie vor einem schmucken Einfamilienhaus.

»Da wären wir. Gefällts dir?«

»Ja, ganz nett. Lass uns reingehen, es fängt zu schneien an.«

»Hallo, wer daheim?«

»Hallo Manuel, ich bin hier in der Küche.«

Eine angenehm sanfte Frauenstimme kam aus der Küche.

»Ich hab Besuch mit«, meinte Manuel und ging mit Nathan in die Küche.

»Das ist Nathan. Und das ist meine Mutter.«

»Grüß Gott Frau ähm ...« Nathan spürte, wie er rot wurde.

»Wallner«, ergänzte Manuels Mutter, »Aber das macht nichts. Fühl dich einfach wie zuhause hier - Soweit das schon geht. Wir haben nämlich noch nicht alles fertig ausgepackt. Wahrscheinlich hat Manuel dir ja schon erzählt, dass wir erst hierher gezogen sind.«

»Ja, hab ich. Wir gehen dann mal rüber in mein Zimmer.«

»Ist gut.«

»Schreck dich nicht, wenn du reingehst, es schaut noch ein wenig aus«, meinte Manuel.

*** Immer diese Untertreibungen. Im Zimmer standen gerade mal die Möbel – breites Bett übrigens – und jede Menge größere und kleinere Umzugskartons. Dazwischen lag außerdem noch eine Menge ausgepacktes Zeugs, das darauf wartete, verstaut zu werden. ***

»Ich kann dir nicht widersprechen«, meinte Nathan mit einem frechen Grinsen.

»Setzen wir uns einfach aufs Bett, der Sessel ist ja vollgeräumt«, schlug Manuel vor. »Tja, das ist also mein zukünftiges Reich.«

»Was ist denn das?«, fragte Nathan und deutete auf einen bunten Stoffzipfel, der aus einem der Kartons hing.

Manuel wurde etwas rot und verlegen: »Ach, das ist nur sone Fahne, nix weiter.« Er bemühte sich, den Stoffzipfel schnell in den Karton zurückzustopfen.

»Darf ich mal sehn? Wofür brauchste denn die?«

*** 100 Punkte für dich, Schätzchen! Schon mal was von Sensibilität, Feingefühl oder Fingerspitzengefühl gehört? Der Typ wird rot und versucht det Teil schnell zu verstecken und du bohrst ohne Zögern und Gnade nach ... ***

Zögernd zog Manuel eine Regenbogenfahne aus der Kiste. Irgendwie kam Nathan die Fahne bekannt vor, aber er kam nicht drauf woher. Nachdem Nathan die Fahne betrachtet hatte, legte Manuel sie wieder sorgfältig zusammen und verstaute sie im Karton.

»Woher hast du die?«, fragte Nathan.

»Die war ein Geschenk von meiner Mutter.«

Mittlerweile hatte sich Manuel wieder zu Nathan aufs Bett gesetzt und sie saßen jetzt nur mehr einen Schenkel breit auseinander. Manuels Nähe verwirrte Nathan genauso wie das komische Kribbeln, das ihn schon die ganze Zeit durchfuhr.

Das Gespräch war sowieso bei Null angelangt und sie blickten sich nur mehr tief in die Augen. Nathan verlor sich tief in diesen strahlenden Augen, tauchte in sie ein und hob ab. Er wollte Manuel berühren, ihn halten, einfach nur seine Wärme spüren.

Doch in dem Moment sprang Manuel auf und schaute Nathan mit angsterfüllten Augen an. »Hasst du mich jetzt? Ich glaub es ist besser, wenn du jetzt gehst.«

Nathan wusste gar nicht, was los war und reagierte auch nicht auf Manuels Aufforderung.

»Geh doch bitte. Geh!«

»Was ist los, warum sollte ich dich hassen?«

»Na wegen der Sache.«

»Was für eine Sache?«

*** Schätzchen, du bist wirklich naiver als die Polizei erlaubt. Der Typ liest dich von der Straße auf, geht mit dir auf einen Tee, nimmt dich mit nach Hause, hat eine Regenbogenfahne, schaut dir tief in die Augen und sitzt dir zum Greifen Nahe. Was brauchst du denn noch, um zu kapieren, was Sache ist? Eine Werbetafel an der Hauptstraße? Radiodurchsagen? Na ja. Dann mal wieder zurück zum Geschehen. ***

Während des Gesprächs hatten sie sich zu Manuels Zimmertür bewegt. »Dass ich schwul bin. Auf Kerle stehe.«

*** Schade, dass ihr Nathans Gesichtsausdruck nicht sehen könnt. Selten einen Dümmeren gesehn. ***

Nathans Verwirrung steigerte sich ins Unermessliche. War das etwa etwas Schlimmes? Mit feuchten Augen brachte Manuel ihn zur Tür und hob noch mal kurz die Hand zum Abschied, bevor er die Tür hinter Nathan schloss.

Nun stand Nathan inmitten von tanzenden Flocken und wusste nicht, wie ihm geschah. Irgendwie war ihm zum Heulen zumute. Langsam machte er sich auf den Weg Richtung stadteinwärts.

Aber schon an der ersten Kreuzung änderte er seinen Plan und ging ziellos durch die Siedlung. Je länger er ging, desto klarer wurden seine Gedanken, desto mehr festigte sich ein Entschluss in ihm. Er musste noch einmal zu Manuel gehen und ihm sagen, dass er ihn nicht hasste, dass er genauso empfand.

Nach zwei Runden um den Block hatte er dann auch den Mut gefasst, anzuläuten. Frau Wallner öffnete ihm. Auf ihrem Gesicht schien einen Moment lang so etwas wie Erleichterung geschrieben, oder bildete er sich das nur ein?

»Tut mir leid, dass ich noch mal störe, aber ich glaube, ich habe meine Füllfeder bei Manuel liegenlassen.«

*** Junge, Junge, ich hab ja schon viele schlechte Ausreden gehört, aber die hier schlägt sie alle. ***

»Geh nur nach hinten, er ist in seinem Zimmer.«

Nathan fragte sich, ob Frau Wallner wirklich nichts von dem Streit mitbekommen hatte, oder ob sie bloß eine gute Schauspielerin war.

Zaghaft klopfte er an die Tür zu Manuels Zimmer. Es folgte ein zaghaftes »Herein« und Nathan ging hinein. Manuel war offensichtlich überrascht, dass Nathan es war und bemühte sich, freundlich zu schauen, aber Nathan bemerkte, dass er scheinbar noch kurz zuvor geweint hatte.

Schnell schloss er die Tür.

»Ich hab noch mal über das nachgedacht, was du vorher gesagt hast.«

»Und?«, erwiderte Manuel ängstlich.

»Mir ist einiges klar geworden«, meinte Nathan und trat einen Schritt näher zu Manuel. Als Nathan nun direkt vor ihm stand, senkte Manuel den Kopf. Behutsam hob Nathan sein Kinn, blickte ihm kurz in die blauen Augen, die ihn ängstlich fragend anschauten, und gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund.

»Du auch?«, stammelte Manuel, aber Nathan deutete ihm nur leise, dass er nicht mit Worten diesen Augenblick zerstören solle und umarmte ihn. Es schien ihm wie eine Ewigkeit im 7. Himmel, wie sie so standen, sich umarmend. Er spürte Manuels Hand, die in seinem Haar ruhte, er spürte seine Nähe, seine Wärme, den wunderbaren duft.

Nach einer scheinbar endlosen Umarmung lösten sie sich voneinander.

»Seit wann weißt du's?«, fragte Nathan.

»Gute Frage. So bewusst eigentlich erst seit ich 16 bin. Ich hab mich zwar auch schon vorher in Jungs verguckt gehabt, aber konnte das halt noch nicht einordnen. Und du?«

»Seit heute Vormittag. Wir haben uns im Kino 'Beautiful Thing' angeschaut und da ist es mir schlagartig klar geworden.«

»Und das is dir dann alles ein wenig viel geworden.«

»Genau. Weiß es von dir eigentlich jemand?«

»Also meine besten Freunde wissen es und meine Eltern und natürlich die Jungs von der Gruppe.«

»Was für eine Gruppe?«

»Ich treff mich zweimal im Monat mit andren schwulen Jungs so in unsrem Alter. Ist zwar ein Stück weit zu fahren, aber es lohnt sich. Willste das nächste Mal mitkommen?«

»Na ja, ich weiß nicht.«

»Nur keine Panik, da beißt keiner. Die ham alle das Gleiche hinter sich wie du.«

»Ich werd's mir überlegen. Ich glaub ich muss jetzt los, sonst gibt meine Mutter noch eine Vermisstenanzeige auf. Du weißt ja, wie Mütter sind.«

»Sehen wir uns morgen?«

»Mal sehn, ob die Lehrer morgen gnädig sind.«

»Ich schreib dir auf jeden Fall meine Telefonnummer auf. Gibst du mir deine auch?«

»Ja, klar.« Nach erfolgreichem Nummerntausch begleitete Manuel Nathan noch zur Haustüre und umarmte ihn zum Abschied.

»Also dann, mach's gut und bis bald.«

»Ja, du auch«, verabschiedete sich Nathan.

*** Na, nun küss ihn doch schon! Dass ihr beide bis über beide Ohren verknallt seid, weiß ohnehin schon jeder in dem Haus und es schaut ja eh keiner zu. ***

Trotz Verabschiedung standen sie noch immer vor der verschlossenen Haustür und hielten sich die Hände. Manuel blickte tief in Nathans Augen und auch Nathan war versunken. Sanft zog Manuel ihn näher und hauchte ein fragendes »Darf ich?«.

»Was?«

*** Junge, Junge. Was wohl? dir nen Topflappen häkeln? ***

»Dich küssen.«

Statt einer Antwort zog Nathan Manuel noch näher an sich und kurz darauf tanzten ihre Zungen bereits den Reigen der Liebenden.

Voller Genuss und Zuneigung erforschten sie einander, Nathans Hand glitt unter Manuels Shirt und auch Manuel begab sich auf Forschungsreise. Wenig später, als Nathans Jacke bereits auf dem Boden lag, wurden die beiden durch ein Räuspern unterbrochen.

»Ich will euch beide ja nicht stören, aber wollt ihr nicht vielleicht in deinem Zimmer weitermachen?«, meinte Frau Wallner.

Nathan lief sofort rot an. »Wir, ich meine ich, ich meine wir ...«

»Ist schon ok. Ich weiß Bescheid und habe kein Problem damit. Ehrlich gesagt hatte ich ja sogar gehofft, dass du wiederkommst. Aber nun lasst euch nicht weiter stören.«

»Ich muss jetzt aber wirklich gehen. Wir sehen uns dann morgen. Versprochen.«

»Ok, bis dann.« Noch ein letzter Kuss wurde getauscht und dann ging es diesmal wirklich hinaus in die kalte Wirklichkeit.

*** Also mit dieser Schwiegermutter kann er sich ja wirklich glücklich schätzen. Ne andre hätte ihn vielleicht aus dem Haus gejagt, sobald sie wieder aus der Ohnmacht erwacht gewesen wäre. ***

Teil 3 – Almost Unreal

Draußen in der klaren Winterluft wurde es Nathan immer klarer, dass er bis über beide Ohren in diesen Jungen verliebt war, den er eben noch so heftig geküsst hatte. Und was ihm noch vor ein paar Stunden als das Ende der Welt erschienen war, bekam eine ganz andere Färbung. Beschwingt machte Nathan sich auf den Heimweg.

Daheim wurde er gleich von seiner Mutter in Empfang genommen.

»Sag mal, weißt du eigentlich, wie spät es ist? Du hättest wenigstens anrufen können.«

Erst jetzt wurde Nathan bewusst, dass er eigentlich schon vor einigen Stunden hätte Daheim sein sollen.

»Tut mir leid, ich hab die Zeit total übersehn.«

Und bevor seine Mutter noch weiter nachhaken konnte, verschwand Nathan auf sein Zimmer.

Am nächsten Morgen wurde Nathan in der Schule gleich von Robert in Empfang genommen.

»Sag mal, was war denn gestern los? Du bist ja gerannt, als ob wer weiß was hinter dir her gewesen wäre.«

Nathan merkte, wie er rot wurde. Was sollte er tun. Er wollte seinen besten Freund nicht anlügen, aber er konnte ihm nicht die Wahrheit sagen.

Er war sich ja selbst nicht einmal sicher, ob er das alles nur geträumt hatte. Aber dazu hatten Manuels Küsse doch zu echt geschmeckt.

»Aus dir ist wohl nichts herauszubringen«, meinte Robert, »Dann lass uns mal runter gehen, wir haben ja heut wieder mal Turnen.«

»Meinst du, Frau Stangler wird meinen Eltern was sagen?«

»Keine Ahnung. Sie sagte auf jeden Fall, dass du dich heute bei ihr melden sollst.«

Auf dem Weg zum Turnsaal überlegte Nathan, was Frau Stangler wohl von ihm wollte. Wusste sie bereits alles und wollte ihn nur als Boten für sein Todesurteil? Wollte sie von ihm wissen, was los war?

Als sie die Garderobe betraten, fand er gleich Ablenkung von seinen Gedanken. Irgendwie war etwas anders heute. Er beeilte sich, sein Turngewand anzuziehen und bemühte sich niemanden anzuschauen.

Aber was war anders?

War er denn nicht schon immer schwul gewesen?

Hatte er Angst vor allen einen Ständer zu bekommen?

*** Hach, er macht's sich aber wirklich nicht einfach. Die vielen Male davor ist doch auch nichts passiert. ***

Nach endlosen drei Stunden ging Nathan in der großen Pause zum Konferenzzimmer, um sich bei Frau Stangler zu melden. Nachdem sie gekommen war, meinte sie zu Nathan, dass sie etwas zu bereden hätten. Sie gingen in einen kleinen Besprechungsraum und Frau Stangler deutete Nathan sich zu setzen.

»Ich nehme an, dass du gestern einen guten Grund hattest, davonzulaufen«, meinte sie in ruhigem Ton.

Nathan spürte wieder einmal, dass er puterrot wurde.

»Ich, ähm, ich, na ja ...«

»Ich habe noch niemanden etwas davon erzählt, weil ich mir denke, dass wir das auch so aus der Welt schaffen können. Aber du musst einsehen, dass du mich in große Schwierigkeiten hättest bringen können. Wenn dir etwas zugestoßen wäre, wäre ich voll verantwortlich gewesen.«

»Es tut mir leid.«

»Dann betrachten wir die Sache als gegessen. So, ich muss mir noch die Sachen für meine nächste Stunde holen. Bleib noch einen Moment hier und denk noch mal über alles nach.«

Als sie ihre Tasche nahm, fiel ein kleines Heftchen raus.

»Sie haben da was verloren.«

»Ach las nur, das kann dableiben. Ich brauch's nicht mehr. Soderle, ich muss jetzt aber wirklich los.«

In der Tür drehte sie sich noch mal um: »Ach ja.«

Nathan blickte fragend auf.

»Geh deinen Weg und werde glücklich.«

Mit diesen Worten schloss sie die Tür hinter sich. Nathan stand auf und ging zu dem Heft, das auf dem Boden neben dem Sofa lag, wo Frau Stangler gerade noch gesessen hatte. Es war das Magazin einer Schwulengruppe. Irgendwie dämmerte ihm, dass Frau Stangler mehr wusste, als er gedacht hatte.

*** Aber sicher Schätzchen, die Frau ist nicht umsonst Lehrerin geworden. Sie kann sich in die Schüler hineinversetzen. Und wenn einer auf 'Beautiful Thing' hinauf zuerst dasitzt, als ob ihn der Blitz gestreift hätte und dann davonläuft, kommt das doch einem halben Coming Out gleich. ***

»Und?« Robert wollte gleich wissen, wie das Gespräch mit Frau Stangler gelaufen ist.

»Alles ok. Der Fall ist abgeschlossen.«

»Wie hast du denn das hinbekommen?«

»Sag ich nicht.«

»Und was hast du da für ein Teil?«, fragte Robert und deutete auf das Heft, das Nathan in ein Plastiksackerl gesteckt hatte.

Und wieder einmal spürte Nathan die Röte aufsteigen, während er nach einer plausiblen Antwort suchte.

»Das?«

»Ja genau das!«

»Na ja, das ist so ein Dings halt, ein, ein, ein Kinoprogramm.«

*** Jaja. Guck mal, dort fliegt ein rosa Dinosaurier. ***

»Darf ich mal sehn?«

»Ähm, na ja, also eigentlich ...«

»Dann lass es bleiben. Gehen wir heut Nachmittag in die Stadt.«

»Äh, tut mir leid, aber ich muss noch Geschichte lernen.«

»Aber er prüft doch morgen gar nicht.«

»Also ich hab gedacht ... na ja, irgendwas lernen halt.«

»Na dann halt nicht«, meinte Robert und ging auf seinen Platz.

Den restlichen Vormittag wartete Nathan eigentlich nur mehr auf das Ende des Schultages, um sich danach sofort nach Hause zu beeilen und nach den notwendigsten Aufgaben zu Manuel zu gehen.

Nach drei weiteren Unterrichtsstunden beeilte sich Nathan nach Hause zu kommen, aber Robert wollte eine Erklärung für die Ausrede mit Geschichte lernen.

»Sag mal, was ist los mit dir?«

»Nichts, was soll sein?« Nathan spürte, wie sich seine Nervosität ins Unermessliche zu steigern begann.

»Also dass nichts ist, kannst du wem andren erzählen, dazu benimmst du dich zu anders als sonst.«

›Oh mein Gott, man sieht's mir also schon an‹, schoss es Nathan durch den Kopf.

»Tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich, meine Mutter wartet bestimmt schon mit dem Essen. Bis morgen dann.«

»Ok, bis morgen.«

Auf dem Heimweg kam Nathan wieder ins Grübeln. Er musste es Robert auf jeden Fall sagen, sonst stand ihre Freundschaft auf dem Spiel. Schließlich konnte er nicht auf ewig lügen. Andererseits hatte er Sorge, dass sich Robert abwenden würde.

Nachdem er das Mittagessen und die notwendigsten Aufgaben hinter sich gebracht hatte, rief er gleich bei Manuel an.

»Wallner«, meldete sich eine Frauenstimme.

»Grüß Gott Frau Wallner, hier ist Nathan. Ich wollte fragen, ob Manuel zu sprechen ist.«

»Ja, einen Moment, ich hole ihn.«

Nathan hörte, wie der Hörer neben das Telefon gelegt wurde.

›Was, wenn er sich gar nicht mehr an mich erinnern kann oder will?‹, schoss es ihm durch den Kopf, ›oder wenn er mich nur benutzen will?‹

*** Nun mach aber mal nen Punkt! Erstens kannst du dich das immer noch fragen, wenn's soweit sein sollte. Und zum anderen warst du gestern auch nicht unbedingt schüchtern und zurückhaltend. ***

»Hallo Nathan, ich hab schon gedacht, du rufst überhaupt nicht mehr an.«

»Sorry, ich hatte noch Hausaufgaben zu erledigen.«

»Hast du Lust vorbeizukommen?«

»Klar, ich mach mich gleich auf die Socken.«

»Zieh dir lieber Schuhe an«, alberte Manuel.

»Bis dann.«

»Ja, bis dann.«

Schnell hatte er sich umgezogen und war auf dem Weg zu Manuel. Je näher er kam, desto beschwingter war ihm ums Herz. Als er schließlich bei den Wallners anläutete, öffnete Manuel im selben Moment die Tür.

»Hey, hast du hinter der Tür gestanden?«

»Nicht direkt. Schön, dass du da bist.«

Mit diesen Worten zog er Nathan herein und ließ die Tür ins Schloss fallen. Im nächsten Moment umarmten sie sich schon und küssten sich innig.

»Na, wenn das nicht Nathan ist«, meldete sich eine Stimme aus dem Hintergrund.

Die beiden trennten sich.

»Grüß Gott Frau Wallner.«

»Hallo Nathan. Ich wollte euch eigentlich auch gar nicht stören. Ich muss nur noch mal kurz weg, aber ich schätze mal, dass ihr auch ohne mich gut zurecht kommt.«

»Ich werde mich aufopfernd um Nathan kümmern«, gab Manuel zurück.

Nach einer kurzen Verabschiedung begaben sich die beiden in Manuels Zimmer, das sehr zu Nathans Erstaunen einen wesentlich aufgeräumteren Eindruck als am Tag zuvor machte.

»Wow, was ist denn hier passiert?«

»Ich dachte mir, dass du vielleicht mehr auf Ordnung als auf Chaoten stehst.«

»Na ja, so toll schaut's bei mir dann auch nicht aus.«

Tatsächlich waren bereits einige Kartons verschwunden und im Gegenzug einige Regale teilweise eingeräumt. Die große Stereoanlage hatte es Nathan besonders angetan.

»Und, wie ist die so? Ich will mir nämlich jetzt auch mal eine ordentliche Anlage zulegen, aber ich weiß noch nicht welche.«

»Ja, die ist schon ganz gut. Wart mal, ich leg was auf.«

»Stehst du auch auf Eurythmics?«, fragte Nathan, als die ersten Takte von 'Sweet Dreams' ertönten.

*** Nein, ich kann das Lied nicht ausstehen, hab aber Dank meiner Sehergabe gewusst, dass du es magst und es daher aufgelegt. Blöde Frage. ***

»Ja, ich fand's schon immer toll, wie Annie in die verschiedensten Rollen schlüpft.« Sie setzten sich aufs Bett und ließen die Musik auf sich wirken.

Wie das so bei frisch Verliebten ist, saßen sie nicht lange nebeneinander, bevor sie sich wieder innig küssten. Schon bald lagen sie eng umschlungen auf dem Bett und streichelten sich gegenseitig.

*** Und wie das halt so kommt, fallen mit der Zeit die überflüssigen Hüllen und so finden wir die Beiden schon bald in Unterhosen – schnucklige Teilchen übrigens. ***

Zärtlich streichelte Manuel über die immer größer werdende Beule zwischen Nathans Beinen. Nathan bekam Gänsehaut und begann zu zittern.

»Hej, was ist denn los?«

»Ich, ich bin mir bloß nicht sicher, ob ich schon dazu bereit bin. Es geht alles so furchtbar schnell.«

Sanft streichelte Manuel Nathans Rücken.

»Gestern wusste ich noch nicht, was mit mir los ist und jetzt liege ich hier neben dir. Einerseits würde ich's ja gerne tun, aber andererseits hab ich Angst davor.«

»Das Gefühl kenne ich. Aber ich glaube, ich weiß da was. Entspann dich einfach und genieße es.«

*** Na da hat Nathan ja wieder mal mehr Glück als Verstand. So manch Anderer hätte einfach weitergemacht oder vielleicht die alte 'Wenn du mich liebst, dann schläfst du mit mir'-Masche abgezogen. Na dann wollen wir mal sehn, was ihm denn Gutes eingefallen ist. ***

Manuel ließ Nathan sich lang ausgestreckt auf den Bauch legen. Dann begann er behutsam jedes Fleckchen des sich darbietenden Körpers zu streicheln und zu liebkosen. Er begann damit, Nathans Füße zu streicheln und zu massieren, strich und küsste sich die Schenkel hoch, verweilte unterwegs bei den Kniekehlen, wanderte weiter und knetete schließlich den knackigen Hintern, der sich ihm darbot.

Dann küsste und streichelte er sich die Wirbelsäule hoch, massierte Nathans Schultern und Nacken, strich ihm zärtlich durchs Haar, knabberte an seinen Ohrläppchen und fuhr schließlich noch einmal mit der Zunge die Wirbelsäule entlang, bevor er Nathan auf den Rücken drehte.

Nathan wollte sich ein wenig aufrichten und Manuel küssen, doch der drückte ihn sanft auf die Matratze und rutschte tiefer. Wieder streichelte er seine Füße, strich und küsste sich die Schenkel hoch, bis er bei den Lenden angekommen war.

Sanft strich er links und rechts an der Wölbung vorbei und brachte Nathan damit fast um den Verstand. Dann rutschte er wieder ein Stückchen höher und begann mit seiner Zunge an Nathans Nabel zu spielen, wanderte höher, knabberte und saugte zärtlich an den Brustwarzen, die sich hart und groß präsentierten.

Und weiter führte sein Weg wieder zu Nathans Ohrläppchen, an denen er knabberte, während er ihm durch die Haare fuhr. Schließlich küsste er ihn auf die Nasenspitze, fuhr mit seiner Fingerspitze über die feucht glänzenden Lippen, um letztendlich das Ganze mit einem nicht enden wollenden Kuss zu beenden.

*** Schatz, schalt mal den Fernseher aus und komm rüber, ich brauch's, ähm, brauch dich mal ganz dringend. ***

Nathan zog Manuel ganz dicht an sich.

»Lass es uns tun. Ich verlier hier sonst noch den Verstand«, flüsterte er Manuel ins Ohr.

»Ok.«

Während Nathan versuchte, ihn seiner letzten Hülle zu berauben, fischte Manuel zwei Kondome aus der Nachttischlade.

»Damit wir keine Kinder bekommen«, meinte er schmunzelnd, während er nun auch Nathan aus seiner Hose schälte.

Das Kondom war schnell an seinem Platz und wenig später fühlte sich Nathan wesentlich erleichtert.

»Oh, Banane«, stellte er fest, als er zum Gegenangriff schritt.

Schließlich lagen sie eng umschlungen im Bett und kuschelten.

»Ich hätte nicht gedacht, dass Sex so schön sein kann«, meinte Nathan, »du hast mich ja fast um den Verstand gebracht.«

»Es scheint dir aber ganz gut gefallen zu haben«, schmunzelte Manuel.

Statt einer Antwort küsste Nathan ihn wieder und ließ seine Hand tiefer gleiten.

»Nicht, dass ich was dagegen hätte, aber ich schätze mal, dass meine Mutter jeden Moment wieder hier ist. Und so leise wie du vorhin warst ...«

Nathan wurde ein wenig rot.

»Ist ja kein Problem. Es war ja keiner da zum Zuhören.«

*** Ich bin jetzt übrigens auch wieder da. Tut mir leid, dass ich euch kurz mal alleine gelassen habe, aber das war notwendig. ***

Tatsächlich kam wenig später Manuels Mutter nach Hause.

»Tut mir leid, aber es hat ein wenig länger gedauert. Ich hoffe, ihr seid auch ohne mich ausgekommen.«

»Ja, danke. Manuel hat sich wirklich aufopfernd um mich gekümmert.«

»Das kann ich mir vorstellen«, schmunzelte Frau Wallner, was Nathan wieder einmal einen Anflug von Röte ins Gesicht trieb. »Helft ihr mir bitte die Einkäufe hereinzutragen?«

Wie sich herausstellte, hatte sich das 'kurz weg' zu einem ausgewachsenen Wocheneinkauf entwickelt und so gab es Einiges hereinzutragen.

»Was hältst du davon, wenn du heute mit uns zu Abend isst?«, meinte Frau Wallner.

»Gerne, ich muss bloß vorher noch meinen Eltern Bescheid geben. Darf ich mal Ihr Telefon benutzen?«

Wenig Zeit und einiges an Überredungskunst später war auch das geklärt und so ging Nathan wieder mit Manuel ins Zimmer.

»Also ich bin irgendwie ein wenig nervös.«

»Wieso?«

»Na ja, mein erstes Familienessen als Schwiegersohn«, schmunzelte Nathan.

»Ach, das brauchst du nicht so dramatisch sehen, meine Eltern wissen's ja schon eine Zeit lang und können von daher auch gut damit umgehen. Solange du dich nicht wie ein Tier benimmst, gibt's da kein Problem.«

»Dann bin ich ja einigermaßen beruhigt. Und was machen wir bis zum Essen?«

»Was hältst du von ein wenig Musik hören und kuscheln?«

»Hmm«, stellte Nathan sich grüblerisch, um Manuel nach einem scheinbar gleichgültigen »Wenn du meinst« in sein Zimmer zu ziehen und gleich hinter der Tür innig zu küssen.

*** Soderle, dann wollen wird das Rad der Zeit mal um ein paar Stunden und viele Knutschereien weiterdrehen. ***

Schließlich rief Frau Wallner die beiden zu Tisch und, vom vielen Knutschen hungrig geworden, folgten sie schnell ihrem Ruf. Es gab gegrillte Koteletts mit Bratkartoffeln und Letscho.

Interessiert aber vorsichtig musterte Nathan Herrn Wallner, der gerade zur Tür hereinkam.

»Du musst Nathan sein«, meinte er, um ihn gleich darauf die Hand zu schütteln.

Nachdem alle ihr Teller gefüllt hatten und bei Tisch saßen, erhob Herr Wallner sein Glas.

»Dann wollen wir mal auf euch beide trinken. Wir freuen uns, dass ihr beide euch gefunden habt und wünschen euch alles Gute.«

Dann wandte sich der sympathische Zweiundfünfziger mit der silberfarbenen Locke an Nathan.

»Da du jetzt sozusagen zur Familie gehörst, würden wir uns freuen, wenn du uns Franziska und Wolfgang nennst.«

Das Abendessen verlief im Weiteren recht zwanglos und fröhlich und auch Nathan begann nach einiger Zeit etwas aufzutauen.

Schließlich kam wieder einmal die Zeit des Abschieds und mit einem letzten innigen Kuss machte sich Nathan auf den Heimweg.

Teil 4 – Heading For Troubles

An dem folgenden Wochenende verbrachte Nathan soviel Zeit wie möglich mit Manuel. Zu gerne hätte er das ganze Wochenende mit ihm verbracht, aber er befürchtete, dass das seine Eltern misstrauisch machen könnte.

Robert war ein wenig eingeschnappt, da er nicht wusste, warum Nathan so von heute auf morgen kaum mehr Zeit für ihn hatte. Am Montag schließlich nahm er ihn in der großen Pause beiseite.

»Sag mal, was ist los mit dir? Seit wir diesen Film gesehen haben, hast du kaum noch Zeit für irgendwas und hörst nicht einmal richtig zu, wenn man mit dir redet.«

»Ach Quatsch. Ich hab halt momentan viel zu tun, das ist alles.«

»Und das soll ich dir abkaufen?«

»Ob du's glaubst oder nicht, es ist so«, antwortete Nathan trotzig und wandte sich ab und ging. Robert blickte ihm kopfschüttelnd nach.

Nathan ging in die alte Garderobe, die jetzt als Abstellkammer für verschiedene Sachen genutzt wurde. Hier wurde er wenigstens von niemandem gestört. Als er so für sich betrachtete, wie sich die Dinge entwickelten, spürte er, wie ihm die Tränen kamen.

Gerade eben hatte er wieder seinen besten Freund belogen und vor den Kopf gestoßen. Wenn er ihm doch einfach die Wahrheit sagen könnte, aber er hatte Angst, dass Robert kein Verständnis haben würde.

Als es zur nächsten Stunde läutete, beeilte sich Nathan noch sein Gesicht zu waschen, damit nicht jeder gleich sehen würde, dass er geheult hatte.

Die Wochen bis zu den Semesterferien verliefen alle ähnlich. Nathan traf sich mehr oder minder heimlich mit Manuel, versuchte die Schule nicht allzu sehr zu vernachlässigen und traf sich ein oder zweimal mit Robert, wobei diese Treffen mehr aus Schuldgefühlen heraus entstanden, da Nathan ihm kaum mehr in die Augen schauen konnte.

*** Also, wenn er nicht bald den Mut findet, Robert zu sagen, dass er schwul ist, dann befürchte ich, dass diese Freundschaft den Bach runtergeht. ***

»Und freust du dich schon auf die Ferien?«

»Na klar, noch ein paar Tage, dann kommt Steffi.«

»Ach ja, hattest du ja erzählt. Was sagen eigentlich deine Eltern dazu, dass du Damenbesuch bekommst?«

»Ach, die sind da sehr aufgeschlossen, wenn sie auch nicht groß reden drüber. Sie schläft natürlich in meinem Bett, während ich mir's im Schlafsack am Boden gemütlich mache. Aber meine Eltern nehmen wohl an, dass das mehr laufen wird, gestern fand ich eine Packung Kondome unter dem Kopfpolster.«

»Na dann wünsch ich euch beiden viel Spaß.«

»Mal sehn. Wie steht's eigentlich bei dir in Sachen Liebe? In letzter Zeit lässt du dir ja nicht mehr in die Karten gucken.«

»Ich glaube da gibt's was, was ich dir sagen sollte.«

»Was denn?«, fragte Robert mit erstauntem Gesicht.

»Tja, also dass ich in letzter Zeit so wenig Zeit hatte, hat einen bestimmten Grund.«

»Das hab ich mir fast gedacht. Nun mach's nicht so spannend.«

»Tja, ich hab mich Hals über Kopf und bis über beide Ohren verliebt.«

»Hej, das ist ja großartig. Dann können wir ja in den Semesterferien zu viert was unternehmen. Wer ist denn die Glückliche?«

»Tja, da gibt es noch was«, sagte Nathan und spürte einen Kloß in seinem Hals aufsteigen, »Es gibt keine 'Glückliche', es ist ein Junge.«

Robert konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »Du? Was?! Du bist ne Schwuchtel?«

*** Wirklich sehr einfühlsam, Schätzchen. Ist dir überhaupt bewusst, wie schwer es für ihn war, dir das zu sagen? ***

Nathan spürte die Tränen aufsteigen und lief davon.

Zielstrebig lief er zu dem Platz, an dem er schon so viele Stunden mit oder ohne Robert gesessen hatte. Als er im Schnee am Ufer des Baches saß und auf die Luftblasen unter der Eisdecke starrte, gab es für ihn kein Halten mehr.

Er spürte die Tränen heiß auf seinen Wangen und kam nicht mehr aus dem Schluchzen raus. So lange waren sie schon befreundet und jetzt sollte das alles aus sein, bloß weil er Manuel liebte? Zornig warf er einen Eisklumpen auf die blausilbrige Oberfläche vor ihm. Kleine Eisklumpen stoben davon, als er auf der Eisfläche aufschlug und auf ihr entlang schlitterte.

Das Knirschen von Schritten im Schnee ließ ihn herumfahren.

»Und, ist er gut zu dir?« Robert war gekommen.

Ohne Nathans Antwort abzuwarten, sprach er weiter: »Es tut mir leid, dass ich vorhin so blöd reagiert habe, ich war einfach erstaunt irgendwie. Ich hab einfach geglaubt, dich zu kennen. Aber 'das' habe ich wohl übersehen. Aber egal wen du liebst, wir bleiben Freunde.«

Mit diesen Worten bot Robert ihm die Hand. Zögernd ergriff Nathan die Hand und aus dem Händedruck wurde eine Umarmung.

Wieder spürte Nathan Tränen auf seinen Wangen.

»Du weinst ja«, stellte Robert fest.

»Ja, aber diesmal ist es Erleichterung, dass ich meinen besten Freund nicht verloren habe.«

Nachdem sie noch eine Zeit lang geredet hatten, machte sich Nathan auf den Weg, um Manuel von seinem Outing zu erzählen.

»Hej, das ist ja großartig gelaufen«, umarmte Manuel Nathan.

»Klar können wir dann zu viert mal was unternehmen. Aber wie wär's, wenn wir in den nächsten Tagen mal was zu dritt unternehmen?«

»Ok, kann ich mal kurz telefonieren? Dann kann ich gleich was mit Robert ausmachen.«

Wenig später war ein Stadtbummel zu dritt am nächsten Tag ausgemacht.

In der Nacht konnte Nathan kaum schlafen, weil ihn die Ereignisse des Tages noch so beschäftigten.

Drum war er am nächsten Tag auch heilfroh, als die Schule aus war. Schließlich bummelte er mit Robert zum vereinbarten Treffpunkt.

Manuel ließ noch ein wenig auf sich warten. Fünf Minuten später kam er mit rotem Kopf gelaufen. Er gab Nathan einen Kuss und entschuldigte sich für sein Zuspätkommen.

»Ich hoffe, ihr habt noch nicht allzu lange gewartet, aber ich musste noch was besorgen und da war wiedermal eine endlose Schlange an der Kassa.«

»Wir haben eh noch nicht lange gewartet. Ach ja, auch wenn ihr's vielleicht geahnt habt, Manuel, das ist Robert, Robert, das ist Manuel.«

Die beiden gaben sich kurz die Hand, verstohlen gemustert hatten sie sich ohnehin schon vorher.

»Gut so, und was machen wir jetzt?«

»Also ich würde vorschlagen, wir gehen erst mal was essen, sonst sterbe ich hier gleich noch vor Hunger.«

»Na, nun übertreib mal nicht so schamlos, so schnell fällst du schon nicht vom Fleisch«, meinte Manuel.

»Willst du mir damit sagen, dass du mich für dick hältst?«, gab Nathan mit gespielter Beleidigung zurück.

Als Robert die beiden so sah, hoffte er, dass er sich mit Steffi genauso gut verstehen würde.

*** Den Verlauf des restlichen Nachmittags will ich mal kurz zusammenfassen, weil soweit eigentlich nich viel passiert is.

Sie sind eigentlich bloß durch die verschiedenen Geschäfte gezogen, haben hier und da mal was anprobiert oder – Nathan und Manuel halt – ne Umkleidekabine für nen innigen Kuss gebraucht.

Robert war hin und wieder in nem Zwiespalt der Gefühle, mal freute er sich für den Freund, manchmal beneidete er ihn um sein Glück. Mal sehn, was die Ferien und Steffi für ihn bringen. ***

Schließlich trennten sich die Wege der Drei. Robert musste nach Hause und auch Manuel und Nathan gingen zu Manuel. Nachdem sie dort angekommen waren und Frau Wallner Nathan begrüßt hatte, zogen sie sich in Manuels Zimmer zurück.

*** Da wollen wir den beiden mal wieder ein wenig Privatsphäre gönnen. Wie is denn das Wetter so bei euch? Schön? Na das is doch fabelhaft. ***

Als sie schließlich erhitzt aneinandergekuschelt dalagen, fragte Manuel: »Hast du Lust am Samstag mit zur Jugendgruppe zu kommen?«

»Wenn du mitkommst schon.«

»Ok, dann treffen wir uns einfach um 12 am Bahnhof. Ach ja, damit du dich nicht wunderst: Da wird wahrscheinlich auch ein Typ sein da sein, der mal was von mir wollte und seitdem nen Groll auf mich hat, weil ich ihn abblitzen hab lassen.«

»Ok, aber jetzt hab ich eine andere Idee«, meinte Nathan und drehte sich wieder mehr zu Manuel.

Am Samstag beeilte sich Nathan nach der letzten Stunde nach Hause zu kommen, um nach den üblichen Verschönerungsritualen sich zum Bahnhof zu beeilen.

»Ich dachte schon, du kommst nicht mehr«, begrüßte Manuel ihn mit einem Kuss.

»Ich hab mich bloß nicht entscheiden können, was ich anziehen soll.«

»Wärste halt ohne gekommen.«

»Sehr witzig. Hoffentlich bekommen wir ein leeres Abteil. Ich hasse es, in einem Großraumviehwaggon zu fahren.«

Als der Zug einfuhr, hatten sie Glück, da eine größere Reisegruppe ausstieg. Sofort nahmen sie eines der 6er Abteile in Beschlag und zogen die Vorhänge zu. Wenig später setzte sich der Zug auch schon in Bewegung.

Nachdem kurz darauf der Schaffner ihre Fahrkarten kontrolliert hatte, fragte Manuel: »Und, biste schon nervös?«

»Eigentlich schon. Immerhin ist es doch mein erstes Mal.«

»Hm, dann werd ich dich am Besten mal ein wenig ablenken.«

Sprachs und begab sich auf Entdeckungsreise unter Nathans T-Shirt. Wenig später waren auch dessen Bedenken Geschichte, weil die Leidenschaft sie weggefegt hatte. So küssten und streichelten sie sich und hatten auch die Hosen bereits geöffnet.

Plötzlich hörten sie die Tür zum Abteil nebenan.

»Boardservice. Kaffee, Tee, kalte Getränke. Kleine Snacks. Darf's etwas sein?«

In Windeseile zogen sie sich wieder an, doch der Boardservice zog an dem Abteil mit den geschlossenen Vorhängen vorüber.

Schließlich waren sie angekommen und begaben sich auf den Weg zur Jugendgruppe.

»Du brauchst wirklich nicht nervös zu sein«, meinte Manuel, wusste aber genau, dass wohl erst die beruhigende Erfahrung, dass in der Jugendgruppe keine Aliens waren, Nathan beruhigen würde.

Als sie vor dem Eingang zu dem alten Haus standen, gab er ihm noch einen flüchtigen Kuss und dann gingen sie hinein.

Die Räumlichkeiten waren liebevoll eingerichtet, wenngleich sich auch keine besondere Stilrichtung festlegen ließ. Sofort fiel Nathan der große Zeitungsständer auf.

»Sind das alles ...?«, flüsterte er.

»Ja,«, meinte Manuel, »Du kannst dir einige mitnehmen. Die meisten liegen gratis auf.«

»Hey, Manuel du alter Herzensbrecher!« kam es aus der Tür.

Als Nathan sich mit großen Augen umdrehte, sah er einen mittelgroßen, schlanken Typen so um die 20. Sofort fiel Nathan auf, dass er stark geschminkt war und auch grün lackierte Fingernägel hatte.

»Na was haben wir denn da?«, meinte der Unbekannte zu Nathan. »Keine Angst, ich beiße nicht. Es sei denn, ich gerate beim Sex in Ekstase.«

»Es reicht Richie, erstens ist Nathan mein Freund und außerdem soll er nicht gleich beim ersten Mal einen schlechten Eindruck von der Jugendgruppe bekommen.«

»Pah, du hast ja bloß Angst, dass er mich attraktiver als dich finden könnte.«

Mit diesen Worten kehrte ihnen Richie den Rücken, nicht ohne ein überspitzes »Ciao Schätzchen« in Nathans Richtung geschickt zu haben.

»Wa...was war das denn?«, fragte Nathan sichtlich schockiert.

»Das war Richie. Ich gebe zu, er ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber wen er ins Herz geschlossen hat, der kann alles von ihm haben.«

»Hat er das mit dem Beißen beim Sex ernst gemeint?«

»Ach wo, ich hab zwar nie mit ihm, aber das Meiste ist bei ihm bloß eine Art Spiel mit dem Klischee. Er ist halt eine Tunte in Reinkultur.«

»Und ich bin stolz drauf, Mäuschen«, kam es von der Tür. »Aber wollt ihr nicht mal reinkommen, wir hätten dann gerne angefangen.«

Im Gruppenraum saßen bereits ein paar andere Jungs, die – sehr zu Nathans Erleichterung – weniger auffällig waren.

*** Und während sich jetzt alle einen Platz suchen in dem Raum, der eigentlich die Behaglichkeit von einem übergroßen Wohnzimmer ausstrahlt, will ich mal kurz die Runde vorstellen. Also Richie hat ja schon nen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Er is übrigens grad 23 und auch der Älteste in der Gruppe. Dann sind da noch Michael und Simon, die zusammen die Gruppe leiten, mit jeweils 20 Lenzen, Tim mit 22 und Jan mit 19. ***

»Was machen wir denn heute? Heten umpolen?«

»Nein Richie, das überlassen wir dir. Heut steht bloß Klatsch & Tratsch auf dem Programm.«

 »Wer will alles Kaffee?«, fragte Tim.

»Eins, zwei, drei, vier ... ach was, ich mach gleich eine Kanne voll.«

»Wo habt ihr euch denn kennengelernt?«, wollte Simon von Nathan und Manuel wissen.

 »Ach weißt du, er fiel mir sozusagen fast vor die Füße.«

»Wie, was?«

»Na ja, ich hatte grad erkannt, dass ich schwul bin und das war mir alles ein wenig zu viel und so bin ich umgekippt.«

»Und ich hab ihn wieder auf die Füße gestellt.«

»Hach wie romantisch«, meinte Michael, der sich inzwischen auch dazugesellt hatte.

»Meinen Schatz«, begann er und streichelte zärtlich über Simons Hand, »hab ich schon von der Jugendgruppe gekannt. Aber eigentlich war da nix weiter, bis ich ihn eines Tages vorm Postamt mit dem Rad fast über den Haufen gefahren hätte. Zuerst fluchte er und schimpfte – du bist ja so süß, wenn du wütend bist – und als wir dann so beisammenhockten und Briefe einsammelten, war es um uns geschehen.«

»Seit damals organisieren wir auch die Jugendgruppe gemeinsam«, ergänzte Simon.

Nachdem der Kaffee getrunken und jede Menge Klatsch & Tratsch ausgetauscht worden war, tauchte der Vorschlag auf, eine Runde durch die Stadt zu gehen. Der Vorschlag wurde mit allgemeiner Freude angenommen und schon bald bummelte die Gruppe die Hauptstraße entlang. Simon und Michael gingen Hand in Hand und nach einiger Zeit griff auch Nathan nach Manuels Hand. Er fühlte sich noch irgendwie ein wenig unsicher, einfach in der Öffentlichkeit so Hand in Hand zu gehen, aber er wollte einfach alle Welt wissen lassen, dass er Manuel liebte.

»Sag mal«, wisperte er in Manuels Ohr, »wer ist jetzt eigentlich der mit dem Grant auf dich?«

»Der ist heut nicht da.«

»Aso.«

»Darf man mitlästern?«, meldete sich Richie von hinten.

»Och, nix Wichtiges.«

»Ihr lästert doch nicht etwa über mich!«

»Ach, das würden wir uns doch nie trauen.«

»Oh mein Gott, seht ihr diese Sahneschnitte da drüben? Wie kann man bloß so gut ausschauen?«

»Meinst du den da drüben? Na ja, sooo toll dann auch wieder nicht. Da bleib ich lieber bei meinem Schatz hier.«

»Na das will ich auch hoffen«, gab Nathan zurück.

»Und außerdem leidet er an Geschmacksverwirrung. Schaut euch bloß diese Tussi da an. Billig und überschminkt. Das könnt er von mir auch haben.«

»Ach lass sie doch, Richie. Ohne Heteros gäbs doch keine schönen Männer mehr für uns.«

»Ok, wo du recht hast, hast du recht.«

*** Jaja, wie sagte schon Boy George: »Immer schön nett zu Heteros sein, es braucht zwei von denen um einen von uns zu machen.« ***

Schließlich entschieden sie sich, nach dem Bummeln eines der Schwulenlokale zu besuchen. Nathan hatte zwar zuerst ein wenig Bedenken, aber Manuel versicherte ihm, dass ihn auch dort niemand auffressen würde.

»Zumindest nicht, solange ich dabei bin«, fügte er grinsend hinzu. So ganz wohl war Nathan dann nicht, als sie die Stufen zum Kellerlokal hinabstiegen, aus dem ihnen schon eine der aktuellen Scheiben entgegenhämmerte.

Im Lokal war noch nicht besonders viel los. Ein paar einzelne Typen langweilten sich an der Bar, ein paar andere verteilten sich in den Sofas, die um ein paar Tische gruppiert waren.

*** Vergessen wir aber bitte nicht den einzelnen (und seltsamen) Typen auf der kleinen Tanzfläche, der wohl schon so lange nicht mehr getanzt hat, dass alle seine Knochen eingerostet sind. Na ja, vielleicht war's ja zu der Zeit, aus der der Aufzug stammt, ja auch modern, so zu tanzen. ***

Nachdem sich die Gruppe auf einer der Sofagruppen verteilt hatte und ein Kellner die Bestellungen aufgenommen hatte, meinte Tim, dass er eigentlich Lust auf Tanzen habe. Die anderen wollten noch auf ihre Getränke warten und erst mal nur zuschauen.

»Sag mal, schauen alle Kellner in Schwulenlokalen so schlimm aus wie der?«, fragte Nathan.

»Nein, es gibt da auch total schnucklige Typen. Aber du hast recht, der hier schaut schlimm aus. Wie viele Polyesterschlangen wohl für dieses Outfit sterben mussten?«, meinte Manuel.

»Bestimmt nicht so viele wie Spraydosen für die 'Omis feuchter Wischmop' Frisur«, ergänzte Richie.

Als der Kellner wiederkam, hatte Nathan ernstliche Probleme, ernst zu bleiben.

»Komm, lass uns tanzen gehen«, schlug Manuel vor.

»Na ja, ich weiß nicht so recht. Ich hab eigentlich noch nie so öffentlich getanzt«, antwortete Nathan.

»Na dann wird's ja höchste Zeit!«

Sprachs und zog Nathan mit sich auf die Tanzfläche.

*** Eigentlich gemein, ihn so ins kalte Wasser zu stoßen, aber nach ein paar zögernden Bewegungen fand er in den Rhythmus und tanzte schließlich, als ob er noch nie zuvor etwas andres gemacht hätte. ***

»Hey du tanzt ja wirklich spitzenmäßig«, meinte Manuel.

»Du bist aber auch nicht übel. Komm, biete wir den Jungs was zu gucken.«

Noch bevor sich Manuel wehren konnte, zog Nathan ihn zu sich und sie tanzten mit aneinandergepressten Hüften, bevor Nathan sich eng an ihn schmiegte.

»Nu mach's aber nicht zu heiß, sonst platzen unserem Publikum noch die Hosen. Und mir auch übrigens.«

»Na gut«, kicherte Nathan und stieß Manuel spielerisch von sich.

*** So und ähnlich verlief der Rest des Abends, weshalb wir hier jetzt mal das Rad der Zeit ein wenig vordrehen wollen. Mittlerweile sind die Semesterferien angebrochen und Robert wartet am Bahnhof auf Steffi. Bevor ihr euch jetzt wundert – wir werden jetzt mal eine Runde Robert begleiten. ***

Teil 5 – The Day Before You Came

Natürlich musste sich Mutter Natur gerade dann zu einem eisigen Schneesturm entschließen, wenn er am Bahnsteig auf die Ankunft seiner Freundin wartete.

Endlich kam die Ansage des Zuges. Mittlerweile war er gründlich durchgefroren. Der Zug hielt mit quietschendem Geräusch und einige Türen öffneten sich, um ein paar Reisende in die kalte Wirklichkeit zu entlassen.

So sehr sich Robert auch bemühte, er konnte Steffi nicht zwischen den Flocken entdecken. Er spürte bereits die Enttäuschung in ihm hochsteigen, als sich am Zugende noch eine Tür öffnete und ein Mädchen mit langen blonden Haaren ausstieg. Sofort beeilte sich Robert zu ihr und sie fielen sich in die Arme.

»Schön, dass du da bist.«

»Freut mich auch, dass ich kommen durfte. Aber jetzt lass uns von hier verschwinden, sonst holt uns hier ja noch der Teufel.«

 

Auf dem Weg zu Roberts Haus unterhielten sie sich angeregt. Er war zwar ein wenig nervös, aber er war bis über beide Ohren verliebt. Er hatte ganz vergessen gehabt, wie toll Steffi ausgesehen hatte.

Nachdem sie schließlich angekommen waren und auch die obligaten Begrüßungsorgien elterlicherseits abgeschlossen waren, beschloss Steffi ein Bad zu nehmen, während Robert seiner Mutter half, noch eine Kleinigkeit zum Abendessen zu richten.

Als das Essen – kalte Küche – vorbereitet war, wollte Robert gleich in seinem Zimmer die Heizung runterdrehen, weil er wusste, dass Steffi nicht gerne in überheizten Räumen schlief.

Ganz in Gedanken öffnete er die Tür und stand Steffi gegenüber, die gerade ihren BH zumachte. Sie sah ihn zuerst erschrocken an, lächelte ihn dann aber verführerisch an, als Robert rot anlief.

*** Is das nicht süß? Zuerst platzt er einfach so rein, staunt dann erst mal die sprichwörtlichen Bauklötze und übt dann für den 'Wer wird schöner tomatenrot' Contest. ***

»Oops, tschuldige. Ich äh, ich äh wollte bloß die Heizung runterdrehen, weil du ja lieber kühl schläfst. Bin schon weg. Komm dann einfach in die Küche, wenn du fertig bist.«

»Ach darum ist mir so heiß. Ach komm doch mal her und hilf mir kurz mit dem Verschluss. Ich bekomm ihn einfach nicht zu.«

Robert halft ihr wie befohlen, aber irgendwie fühlte er sich nicht besonders wohl in seiner Haut. Steffi roch angenehm nach Schaumbad, fast zu gut fand er.

»So, zu isser«, sagte er mit einem leisen Unterton der Erleichterung in der Stimme.

»Dann werd ich mir noch schnell was drüberziehen und dann nichts wie zum Abendessen. Ich bin total hungrig.«

*** Weil das Abendessen eigentlich soweit ganz unspektakulär verlaufen ist, gehen wir mal gleich ein wenig weiter. Mittlerweile haben sich alle Beteiligten für die Nacht fertig gemacht. Robert liegt am Boden im Schlafsack und Steffi in seinem Bett. ***

»Bist du noch wach?«

»Hm?«

»Sag mal, isses da unten nicht furchtbar unbequem?«

»Geht so, wieso?«

»Ich dachte mir halt, dass wir auch beide hier heroben Platz hätten.«

»Du meinst?«

»Ja ...«

Langsam und vorsichtig kletterte Robert zu Steffi aufs Bett, blieb aber auf der Decke.

»Nun komm doch mal schon her«, meinte Steffi mit gurrendem Unterton und nahm seine Hand. Noch bevor er sich's versah, führte sie seine Hand unter das alte T-Shirt, das sie für die Nacht trug, und legte sie auf ihre Brust. Kaum hatte sich Robert von seinem "Schreck" erholt, spürte er, wie Steffi ihrerseits an seinen Boxershorts fingerte und langsam mit ihrer Hand hineinglitt.

Während sie sein bestes Stück streichelte, zog sie ihn heran und begann ihn leidenschaftlich zu küssen. Nach kurzer Zeit begann Robert das Spiel ihrer Zunge zu erwidern und seine Anspannung begann sich zu lösen.

Nachdem sie sich eine Weile heftig geküsst hatten, knabberte Steffi lustvoll an seinem Ohr.

»Ich will dich«, hauchte sie.

»Jetzt gleich?«, fragte Robert und kämpfte mit seiner Unsicherheit.

»Ja, jetzt gleich.«

*** Na ja. Die Frau scheint ja sehr genau zu wissen, was sie will. ***

Kaum hatte sie's gesagt, war sie auch schon dabei, ein Kondom auszupacken und es Robert überzustreifen. Dann senkte sie langsam ihre Lenden auf Robert, der ausgestreckt im Bett lag, und begann sich langsam und rhythmisch zu bewegen.

Sie war noch kaum schneller geworden mit ihren Bewegungen, als sich Robert im letzten Moment einen Polster schnappte und aufs Gesicht hielt, damit nicht jeder im Haus seinen Orgasmus zu hören bekam.

*** Hm, die typische Samstagabendachtzehnuhrdreißigehebettnummer. 2mal angekommen, einmal stöhnen und fertig. Dabei sind sie nichtmal verheiratet. ***

»Ähm sorry, ich war wohl ziemlich unter Druck«, entschuldigte sich Robert, aber Steffi schob seine Hand weg.

»Lass mal, ich bin jetzt nicht mehr in Stimmung. Ich werd jetzt wohl schlafen. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.« Dabei signalisierte sie Robert nur zu deutlich, dass er unten am Boden und nicht bei ihr schlafen sollte.

Am nächsten Morgen war Robert schon eine Zeit lang vor Steffi wach. Er beobachtete, wie sich ihr Brustkorb gleichmäßig hob und senkte. Die blonden Haare umrahmten ihr Gesicht. Robert fand, dass sie wie ein Engel aussah.

Als er sich wieder an den vorangegangenen Abend erinnerte, begann er zu überlegen, wie er seinen Fehler – das hatte Steffi ihn ja deutlich spüren lassen – wieder gutmachen konnte. Schließlich beschloss er, sich aus dem Zimmer zu schleichen und Frühstück zu machen. Seine Eltern waren für ein paar Tage fortgefahren und so waren sie ganz alleine.

Als der Kaffee dampfend in die Kanne tröpfelte und alles bereitstand, kam auch schon Steffi herein.

»Oh, du hast ja schon Frühstück gemacht«, meinte sie mit verschlafener Stimme.

Robert fand, dass sie mit ihren von der Nacht zerzausten Haaren noch besser aussah als sonst.

»Ja, ich hoffe es ist alles da, was du magst.«

»Ich denke schon. Kann ich bitte gleich mal einen Kaffee haben. Den brauch ich in der Früh erst mal. Sonst geht gar nichts.«

»Du siehst gut aus.«

»Was?«, schaute ihn Steffi mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung an.

»Ich meine so mit deinen strubbeligen Haaren und so«, druckste Robert herum.

Als sie sich am Frühstückstisch gegenüber saßen, spürte Robert einen Fuß, der sich zuerst an seinem Schenkel entlang tastete und schließlich ziemlich unverholen sein bestes Stück rieb.

*** Nu, die Frau scheint's ja wirklich dringend zu brauchen. ***

Nachdem er sich fast am Kaffee verschluckt hätte, begann er seinerseits mit seinem Fuß auf Forschungsreise zu gehen.

Fünf Minuten später war die Sache wiederum erledigt. Steffi saß in eine Decke gehüllt auf Roberts Schreibtisch und blies Rauchwolken aus dem Fenster, während Robert grübelte, warum es diesmal schiefgegangen war.

*** Das bekannte Problem: einmal zu fest angefasst und die Sache war gelaufen. ***

Am Nachmittag trafen sie sich dann mit Nathan und Manuel.

»Steffi, das ist Nathan, mein bester Freund, und das ist Manuel, sein Freund. Nathan, Manuel das ist Steffi.«

»Hallo Steffi, nett dich kennenzulernen«, meinte Manuel und schüttelte ihr die Hand.

»Hallo Steffi«, tat Nathan es ihm nach. Steffi schaute mit fragendem Blick zuerst Nathan, dann Manuel und dann wieder Nathan an.

»Ihr seid ...«, sie stockte ein wenig, als ob sie erst überlegen müsste, welche Bezeichnung ihr treffend erschien, »... also Arschficker.«

»Schwul wäre uns lieber«, antwortete Manuel, »Und, Problem damit?«

»Nein nein«, meinte Steffi, die wieder zu ihrer Fassung gefunden hatte, »Du schaust bloß gar nicht so aus, als ob du so was notwendig hättest. Du könntest doch jede Frau haben, die du willst.«

Bei den letzten Worten sah sie ihm tief in die Augen und hatte den Tonfall dermaßen geändert, dass bei Nathan und Robert die Alarmglocken schrillten. Beide witterten Gefahr, dass ihre Felle davonschwimmen könnten.

»Ich will aber nichts von einer Frau und bin mit meinem Freund vollkommen zufrieden.«

»Hast du's schon mal probiert?«

»Hab ich nicht und ehrlich gesagt, verspür ich auch keine besondere Lust dazu.«

Steffi verzog keine Miene. »Gehen wir jetzt bummeln oder wollen wir hier Wurzeln schlagen«, sagte sie und zog Robert in Richtung Hauptstraße. Nathan und Manuel folgten ihnen.

»Also ich finde nicht, dass diese Steffi zu Robert passt«, meinte Nathan zu Manuel.

»Ach, du weißt ja, wo die Liebe hinfällt.«

Im weiteren Verlauf des Nachmittags folgte auch der unvermeidliche Besuch eines bekannten Kleiderriesen. Robert und Nathan fanden sich nichts, das ihnen so sehr gefallen hätte, als dass sie es sofort gekauft hätten. Manuel entschwand mit einem engen T-Shirt in einer Umkleidekabine.

»Und - steht's mir? Was meint ihr?«, meinte er, als er den Vorhang mit einem Ruck aufzog. Das T-Shirt betonte wirklich seine Vorzüge.

»Ja, das steht dir fabelhaft. Richtig zum Verlieben«, schwärmte Nathan.

»Moment mal«, meinte Steffi und zog ihm das T-Shirt am Rücken glatt, nicht ohne über seinen Hintern zu streichen, »So ist's besser.«

Roberts Laune näherte sich dem Tiefpunkt, aber er wollte es sich nicht so anmerken lassen und hoffte insgeheim, dass Steffi nur testen wollte, ob er eifersüchtig werde.

Nachdem die Jungs ausgiebig geschaut und probiert hatten, ging's weiter in die Damenabteilung. Steffi genoss die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde.

»Sind die dann nicht doch ein wenig kurz«, meinte Robert, als sie ein paar doch ziemlich knappe Hotpants probierte.

»Also ich finde sie gut«, meldete sich Manuel zu Wort.

»Wenigstens einer auf meiner Seite«, gurrte Steffi und beugte sich weit nach vorn, sodass sich die Jungs davon überzeugen konnten, dass da wirklich kein bisschen Stoff zu viel war.

Nachdem die Hotpants bezahlt waren, schlug Manuel vor, dass sie doch einfach zu ihm fahren könnten und Video schauen, da seine Eltern heute bei irgendwelchen Verwandten waren.

*** Nachdem das Wetter sich inzwischen auch wieder verschlechtert hat, sind alle von der Idee angetan und etwas später sitzen alle vor der Glotze. ***

Der Videoabend verlief soweit ohne gröbere Ereignisse. Nathan hatte sich an Manuel gekuschelt und auch Steffi ließ Robert näher ranrücken, obwohl es mehr den Anschein einer mitleidigen Geste als ehrlicher Zuneigung hatte.

Als sich der Abend dem Ende zuneigte und die Zeichen auf Aufbruch standen, machte sich auch Nathan fertig. Eigentlich hatte er ja bei Manuel schlafen wollen, aber seine Eltern meinten, dass er auch hin und wieder zuhause schlafen sollte, damit er den Wallners nicht auf die Nerven ginge. Und nachdem er ihnen noch nicht erklärt hatte, wieso das so schnell nicht passieren würde, musste er wohl oder übel hinaus in die kalte Wirklichkeit.

Kurz darauf war er schon mit Steffi und Robert unterwegs zur Bushaltestelle. Bei der Haltestelle angekommen merkte Steffi, dass sie ihre Geldbörse bei Manuel hatte liegen lassen.

»Ich geh sie nur schnell holen«, meinte sie schnell und drehte sich um. »Wartet einfach solange hier, ich bin gleich wieder da.«

Als sie um die Ecke gebogen war, meinte Robert: »Und, was hältst du von ihr?«

»Ehrlich?«

»Ehrlich.«

»Sie ist nicht dir Richtige für dich. So unverholen wie sie in deiner Gegenwart mit anderen Kerlen flirtet. Du hast dir was bessres verdient.«

Nachdem sie eine Weile auf Steffi gewartet hatten, meinte Nathan, er ginge schauen, wo sie bleibe. Robert meinte zwar, sie würde gleich nachkommen und wollte warten, aber Nathan stapfte durch den mittlerweile knöcheltiefen Schnee los.

*** Hach, das wird ja jetzt noch richtig spannend. Wo is Steffi und warum braucht sie so lange? Was da wohl passiert is? ***

Vor Manuels Haus angekommen sah Nathan, dass er Steffi wohl verpasst hatte, weil im Haus kein Licht brannte. Manuel musste wohl schon schlafen gegangen sein. Umso mehr würde es ihn überraschen, wenn er sich mit dem Ersatzschlüssel – die berühmte Schlüssel unter dem Blumentopf Nummer – aufsperren und sich zu ihm reinschleichen würde.

Leise schloss er auf und schlüpfte ins Haus. Die Tür zu Manuels Zimmer stand einen Spalt offen und er sah das beruhigende Glimmen der Lavalampe.

Doch etwas irritierte ihn. Nach einem Moment war ihm auch klar, was ihn irritierte. Es war ein Stöhnen oder besser gesagt Stöhnen aus zwei Kehlen. Zu laut und zu lustvoll als dass es Schmerz bedeuten konnte.

Vorsichtig schlich er zur Tür hinter der er das Stöhnen vermutete und was er sah verschlug ihm den Atem.

Teil 6 - It Will Take A Long Long Time

Manuel lag lang ausgestreckt am Boden, seine Hose zu den Knöcheln runtergezogen. Steffi saß nackt auf ihm und während sie ihre Hüften rhythmisch bewegte und abwechselnd ihre blonde Mähne zurückwarf oder Manuel küsste, knetete dieser ihre Brüste.

Nathan spürte Übelkeit ihn ihm aufsteigen und für einen kurzen Moment überlegte er, die Szene zu beenden. Aber er entschied sich anders und schlich so leise wie er gekommen war, wieder aus dem Haus.

Vor der Tür angekommen blieb er einen Moment stehen. Mittlerweile war eine steife Brise aufgekommen, die die Schneeflocken fast waagrecht an ihm vorbeitrieb. Dann rannte er zur Bushaltestelle. Der Wind trieb ihm die Tränen in die Augen und nahm ihm fast die Sicht, aber das war ihm jetzt auch egal.

*** Det arme Dingens. Dass Robert mit Steffi nicht glücklich wird, war ja abzusehen. Aber dass jetzt auch noch Manuel Nathan betrügt ... ***

An der Haltestelle wartete Robert immer noch, als er Nathan um die Ecke biegen sah. Völlig atemlos und mit tränenverschmiertem Gesicht blieb er vor Robert stehen.

»Was ist denn los?«, fragte Robert besorgt.

»Ich hab sie gesehen«, keuchte Nathan mit tränenerstickter Stimme, »Steffi hat ...«

Dann brachen alle Dämme und Nathan konnte nur noch weinen.

Robert konnte zwar mit den Wortfetzen nichts anfangen, aber er nahm Nathan erst mal in den Arm und versuchte ihn zu trösten.

»Hej, was ist denn los? Nichts ist so schlimm, als dass wir beide es nicht schaffen könnten.«

Nathan fing sich ein wenig, aber als er Robert erzählen wollte, was er gesehen hatte, war seine Fassung erneut dahin.

Nachdem sie wohl eine Viertelstunde so gestanden hatten, fand Nathan seine Fassung wieder.

»Ich hab gesehen«, brachte er unter Schluchzen hervor, »wie Steffi es mit Manuel getrieben hat.«

Robert wurde blass. Er hatte zwar gemerkt, dass sich Steffi sehr für Manuel interessiert hatte, aber er hatte angenommen, dass dieser nicht an ihr interessiert war.

»Verstehst du, die verdammte Schlampe hat mir meinen Freund weggenommen!«

»Komm, lass uns erst mal zu mir fahren. Hier verkühlen wir uns nur.«

»Du, du willst gar nicht auf sie warten?«

»Wieso? Sie wird schon zu mir finden. Oder sonst wird sie schon wissen, wo sie bleiben kann. Und außerdem ist mir das egal. Sie hat meinem besten Freund den Freund weggenommen. Mit der bin ich fertig.«

*** Das nenn ich wahre Freundschaft. Aber viel hat er ohnehin nicht an ihr verloren. ***

Als sie bei Robert angekommen waren, schickte er Nathan gleich mal heiß duschen.

»Du weißt ja, wo alles ist.«

»Ah, seid ihr schon da«, kam es auch der Küche. »Das Abendessen ist aber noch nicht fertig.«

»Ach, ist gut Mum, aber uns ist eh nicht nach Essen.«

Auf diese Antwort hin schaute Frau Falkner nach ihrem Sohn.

»Sag mal, du bist ja ganz blass, ist was passiert?«

»Das kann man so sagen. Aber das kann ich dir jetzt nicht so einfach erklären. Nathan ist grad unter der dusche und es ist alles ziemlich verworren. Mach uns doch bitte einfach eine heiße Schokolade. Ich erklär's dir später.«

Aus dem Blick ihres Sohnes sah Frau Falkner, dass es besser war, das alles erst einmal so hinzunehmen.

Nachdem seine Mutter in der Küche verschwunden war, rief Robert bei den Zieglers an.

»Hallo Robert, was gibt's denn?«, begrüßte Frau Ziegler ihn.

»Ich wollte ihnen nur sagen, dass Nathan heut Nacht bei mir schläft. Wir haben eine wilde Schneeballschlacht gemacht und jetzt ist sein Gewand total nass. Und weil er sich so sicher verkühlen würde, hängt das Zeug erst mal zum Trocknen und er duscht heiß.«

»Na ja, begeistert bin ich zwar nicht, aber bevor er krank wird. Aber sag ihm, dass er morgen dann gleich in der Früh nach Hause kommen soll.«

»Ja, mach ich. Gute Nacht dann, Frau Ziegler.«

Als er den Hörer aufgelegt hatte, war Robert erleichtert, dass ihm Frau Ziegler die Notlüge mit der Schneeballschlacht abgenommen hatte.

Aber nachdem Nathan Daheim noch nicht geoutet war, wollte er ihm das heute ersparen. Zumindest diese Nacht sollte Nathan jemanden zum Reden haben. Und auch ihm würde es gut tun.

Als Nathan aus dem Bad kam, brachte er ihn mit einem Häferl heißer Schokolade in sein Zimmer und verschwand auch schnell unter die dusche, denn schön langsam begann er zu merken, dass auch er ganz schön durchgefroren war.

Als er wieder ins Zimmer kam, saß Nathan in Roberts Bettdecke gehüllt am Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

»Hej.«

Erst jetzt registrierte er Robert und drehte sich ein wenig zu ihm.

»Es hätte so schön werden können. Du mit Steffi und ich mit Manuel. Aber ich frag mich immer warum. Warum hat er mit ihr geschlafen? War ich ihm nicht genug?«

Nathan war wieder den Tränen nahe.

»Ich kann's dir leider nicht sagen. Wirst du ihm eine zweite Chance geben?«

»Ich weiß es nicht«, schluchzte Nathan, »ich liebe ihn doch immer noch. Aber gegen eine Frau komm ich nicht an. Ich kann ihm nicht bieten, was sie ihm geben kann.«

»Vielleicht wollte er ja nur mal probieren, wie's mit einer Frau ist.«

»Und wenn's ihm gefallen hat? Ich will nicht dauernd Sorge haben müssen, dass er mich wegen einer Frau verlässt. Oder überhaupt mit der nächstbesten Person rumvögelt, die ihm über den Weg läuft.«

Die letzten Worte waren in Schluchzen übergegangen, und als ihn Robert in den Arm nahm, heulte sich Nathan wieder fast die Augen aus.

»Hej, wir beide schaffen das. Du wirst sehen. Es wird alles wieder gut.«

Nachdem sie eine Weile so gestanden hatten, löste Robert sich, um das Bett frisch zu überziehen.

*** Denn schlussendlich isses zu zweit im Schlafsack dann doch etwas eng und Nathan in Steffis Bettzeug schlafen zu lassen, wäre wohl auch keine gute Idee gewesen. ***

Wenig später lag Nathan in Roberts Bett und Robert am Boden im Schlafsack.

»Also dann gute Nacht.«

»Gute Nacht. Und danke, dass du das hier für mich machst.«

»Hej, ich kann doch meinen besten Freund nicht im Stich lassen.«

Nathan lauschte den Atemzügen Roberts, die gleichmäßig die Stille durchschnitten.

»Bist du noch wach?«

»Ja, was gibt's denn?«

»Hm, ich weiß es klingt vielleicht blöd und du musst es auch nicht machen, wenn du nicht willst.«

»Was denn?«

»Legst du dich zu mir herauf?«

»Hm, ok, aber nur wenn du mir versprichst, brav zu bleiben.«

»Ok, danke.«

Robert schälte sich aus dem Schlafsack und legte sich zu Nathan ins Bett.

»Rutsch mal ein Stück, damit ich die andre Backe auch noch reinbekomme!«

*** Also der Robert is echt ein wahrer Freund. Da wär dann doch wohl bei vielen Schluss gewesen. ***

Als Nathan am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sich sein linker Arm ganz taub an. In der Annahme, dass er bei Manuel geschlafen hatte, schlang er seine Arme um die zweite Person im Bett und kuschelte sich eng ran.

Doch langsam wurden ihm die Ereignisse der letzten Nacht wieder bewusst und auch der duft des neben ihm Liegenden gehörte nicht zu Manuel. Neben ihm lag ja Robert. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, zog er seinen Arm wieder zurück und fühlte gleichzeitig die Röte ins Gesicht steigen, da ihm bewusst wurde, dass er gerade eine stolze Morgenlatte an Robert gepresst hatte. Vorsichtig schlüpfte er unter Robert heraus und aus dem Bett. Leise schlüpfte er in seine Jeans, da er nicht unbedingt Frau Falkner seine Unterwäsche präsentieren wollte.

Am Gang lief er ihr prompt in die Arme.

»Guten Morgen Nathan. Na, gut geschlafen?«

»Danke, bestens.«

»Ist Robert schon auf?«

»Nein, der schläft noch fest.«

»Schade, aber na ja. Ich muss los. Wir sehn uns.«

»Ja. Auf Wiedersehen.«

Frau Falkner knöpfte sich ihren Mantel zu, nahm ihre Handtasche und die Schlüssel und gleich darauf war sie weg. Nathan ging ins Bad, um endlich sein Problem loszuwerden und war sehr erleichtert, dass Frau Falkner entweder nichts gemerkt hatte oder aber taktvoll genug gewesen war, es nicht zu bemerken.

Als er zurück ins Zimmer kam, begrüßte Robert ihn mit breitem Grinsen.

»Sag mal, kuschelst du dich immer an alles, was im Bett rumliegt?«

»Nein, nur an Typen wie dich. Ich dachte, du hast noch geschlafen.«

»Hab ich auch. Aber wenn mich wer in der Leistengegend so penetrant stupst«, antwortete er mit breitem Grinsen im Gesicht.

»Ups, sorry, das war nicht so wie du denkst. Ich wollt mich nicht an dich ranmachen. Wirklich nicht. Aber im Halbschlaf hab ich dich wohl mit Manuel verwechselt«, meinte Nathan puterrot.

»Is schon ok. Du warst ja auch sehr vorsichtig. Und das morgendliche Problem haben wir doch alle, oder?«

»Ja, aber das hätte ich dir auch ohne Beweis geglaubt«, grinste Nathan und deutete auf die Wölbung der Bettdecke.

Jetzt lief Robert rot an, aber Nathan beruhigte ihn.

»Geh doch einfach ins Bad. Keine Sorge, ich schau dir nix ab. Ich hab schon mehr steife Schwänze gesehen als du.«

»Na dann hoff ich mal, dass ich einen guten Platz in der Rangliste bekomme und geh ins Bad«, grinste Robert und schälte sich aus dem Bett.

*** Ok, genug der morgendlichen Albernheiten. Gehen wir gleich mal weiter zum Frühstück, wo die beiden den gestrigen Abend und die weiteren Pläne besprechen. ***

Beim Frühstück hatte sich Nathans gute Laune wieder verzogen.

»Ich kann ja verstehen, dass du sauer bist, aber irgendwas solltest du tun«, meinte Robert.

»Ich werd ihm heut Nachmittag einen Besuch abstatten. Und dann werden wir ja sehen, was Mr. 'Ich-Ficke-Alles-Was-Nicht-Wegläuft' zu sagen hat.«

»Ich denke, du solltest ihm noch eine Chance geben. Jeder macht mal einen Fehler.«

»Ich würde ihm ja noch eine Chance geben, aber wer weiß, ob er mich nicht immer wieder betrügen würde. Weil ich ja eh dumm genug bin, ihm zu verzeihen«, schluchzte Nathan, »Ich will einfach nicht, dass er mir noch mal so weh tut.«

»Das kann ich verstehen, aber die Gewissheit kann ich dir nicht geben. Wenn überhaupt, dann nur Manuel. Übrigens, deine Mutter meinte gestern, du solltest gleich nach dem Frühstück nach Hause kommen. Und offiziell warst du gestern nach einer Schneeballschlacht total nass.«

»Danke. Was würde ich ohne dich machen?«

»Hilflos durch die Welt streifen, um mich zu finden!« lachte Robert.

*** Schließlich war dann auch der Toast gegessen und der Tee getrunken. Nathan is schon fast zu Hause und überlegt, wie er Manuel am Besten zur Rede stellt und ob er ihm noch eine Chance geben soll. Daheim angekommen beschließt er, das in der Situation zu entscheiden und sich auf sein Gefühl zu verlassen. Und schon geht die Haustür auf ... ***

Teil 7 - Twist The Knife

»Hallo, ich bin wieder daheim.« Nathan bemühte sich, fröhlich zu klingen.

»Ach, unser Herr Sohn lässt sich auch wieder einmal blicken«, hörte er seinen Vater aus dem Wohnzimmer.

»Tut mir leid, aber es wär gestern zu spät geworden«, entschuldigte Nathan sich halbherzig und wollte in sein Zimmer gehen.

»Ach es wär zu spät geworden«, äffte sein Vater ihn nach, »eine bessere Ausrede ist dir wohl nicht eingefallen. Wann lernst du endlich, Verantwortung zu übernehmen. Du solltest am Abend zu Hause sein, aber du ziehst ja lieber durch die Gegend!«

»Gar nicht wahr, ich war bei Robert!«

»Du hattest dort ja auch keine Möglichkeit anzurufen. Lieber Robert vorschieben, damit wir nichts sagen können. Du hältst dich wohl für besonders clever.«

Nathans Mutter war mittlerweile auch ins Wohnzimmer gekommen, wo Nathan wie ein Häufchen Elend bei der Türe stand. In ihm kämpfte eine aufkeimende Wut gegen seine Eltern gegen das Wissen um die Folgen eines Wutausbruchs.

*** Det arme Dingens! Gestern geht der Freund fremd und jetzt nerven auch noch seine Eltern. ***

»Was ist bloß in letzter Zeit los mit dir?«, schaltete sich jetzt auch seine Mutter ein, »Früher warst du kaum einmal wo über Nacht und jetzt ziehst du nur noch durch die Gegend und treibst wer weiß was!«

»Ach, wovon habt ihr schon eine Ahnung!« schrie Nathan,, »Ihr versteht doch sowieso nichts!«

»Ach was, WIR verstehen nichts?«, sprang Nathans Vater mit hochrotem Kopf auf, »Vielleicht hätte der Herr ja dann gnädigerweise mal die Zeit, sein großes Wissen mit uns zu teilen!«

»Als ob dich das interessieren würde.«

Im nächsten Moment hatte Nathan bereits eine Ohrfeige bekommen.

»Verschwinde in dein Zimmer und scher dich bis morgen nicht mehr raus! Ich hab die Schnauze voll von dir!«

Aber Nathan drehte sich um, nahm seine Jacke und lief aus dem Haus.

Nachdem er erst mal ein Stück gelaufen war, blieb er atemlos stehen und lehnte sich an eine Laterne. Sollte er lieber wieder zu Robert gehen und dort unterkriechen oder reumütig nach Hause laufen oder zu Manuel gehen und ihm die Meinung sagen.

Nachdem er die Idee mit reumütig gleich wieder verworfen und über die andren ein wenig nachgedacht hatte, entschied er sich für die Konfrontation.

Er wollte eine Entscheidung und zwar gleich. Also machte er sich gleich auf den Weg zu Manuel.

*** Na ja, so geladen wie der Kleine momentan is, werden da wohl gleich gewaltig die Fetzen fliegen. Aber schaun wa mal. ***

Bei Manuels Haus angekommen, musste sich Nathan beherrschen, nicht Sturm zu läuten. Frau Wallner öffnete ihm.

»Oh hallo Nathan, schön dich zu sehen. Komm doch rein.«

»Hallo Franziska, ist Manuel da?«

»Ja, er ist hinten in seinem Zimmer. Du findest ja hin.«

Nathan zog sich schnell Jacke und Schuhe aus und ging zu Manuels Zimmer.

Nach einem kurzen Klopfen ging er ohne auf eine Antwort zu warten hinein. Manuel war alleine und saß beim Schreibtisch.

»Hallo mein Schatz, schön dich zu sehen.«

»Warts ab, ob du's gleich noch immer so schön findest«, fauchte Nathan. »Hast du mir nicht etwas zu erzählen?«

»Nein, was denn?«, stellte sich Manuel unwissend, doch seine entschwindende Gesichtsfarbe und sein unruhiger Blick verrieten ihn.

»Zum Beispiel, dass du gestern mit Steffi rumgefickt hast?«

»Scheiße, woher weißt du?«

»Ja, scheiße! Da geb ich dir recht. Wie konntest du mir das antun? Ich hab mich gewundert, wo sie solange bleibt und bin noch mal zurück. Nachdem bei euch alles dunkel war, dachte ich mir, ich überrasche dich und hab mir selber aufgesperrt. Und da hab ich euch dann gesehen.«

»Es, es war ein Ausrutscher.«

»Och, da bist du aber schön heftig ausgerutscht, wenn du dabei deine Wäsche verloren hast.«

»Steffi ist noch mal wegen ihrer Geldbörse zurückgekommen, und ich war kurz am Klo und als ich zurück ins Zimmer gekommen bin, stand sie nackt da und begann mich zu küssen ...«

»Und du armer wehrloser Mann konntest sie nicht davon abbringen und hast dich natürlich nur unter heftigster Gegenwehr vergewaltigen lassen.«

»Na ja, ich war halt irgendwie neugierig, wie's mit einer Frau ist, und da kam sie mir ganz gelegen.«

»Und da dachtest du dir, ich hab zwar einen Freund, aber was soll's, der ist eh schon weg, kann ich auch mit dieser Schlampe rumvögeln. Er ist dumm genug, er wird's schon nicht merken.«

»Nein, ich wollte dir nicht weh tun, ich ...«

»Es ist dir aber gelungen! Und, wie soll's jetzt weitergehen? Willst du mich jetzt regelmäßig betrügen? Oder steigst du ganz auf Frauen um?«

»Nein! Ich liebe dich doch. Es tut mir so leid. Das musst du mir glauben. Es war gut, aber nicht so gut wie mit dir.«

»Ach, es war gut. Das ist ja gut für dich. Ich hab aber nicht vor, mir jedes Mal, wenn ich dich alleine lasse, mir zu überlegen, mit wem du's heute hinter meinem Rücken treibst. Such dir einen anderen Idioten!«

Nathan schickte sich an zu gehen.

»Bitte! Geh nicht!« Manuel war den Tränen nahe. »Ich will dich nicht verlieren.«

»Du hast mich bereits verloren. Es tut mir leid, aber ich komme einfach nicht damit klar, dass du mit ihr geschlafen hast. Ich weiß nicht, ob ich mit einem Mann klar käme, aber da könnte ich wenigstens versuchen, ihn auszustechen. Aber gegen eine Frau komm ich einfach nicht an. Es tut mir leid.«

*** Sprachs und ging davon. Schade, dass es so enden muss, wo es doch so schön begonnen hat. ***

Nathan lief ziellos durch die Straßen. Hatte sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen? Sein Freund geht fremd und ausgerechnet jetzt stellen seine Eltern dumme Fragen.

Die kalte Luft klärte langsam seine Sinne und das dichter werdende Schneetreiben machte ihm klar, dass er irgendwohin musste. Aber wohin? Manuel war Geschichte und seine Eltern wollte er jetzt auch nicht sehen. Also machte er sich wieder auf den Weg zu Robert.

»Guten Tag Frau Falkner!«

»Hallo Nathan. Du willst bestimmt zu Robert. Geh einfach rein«, meinte Frau Falkner ohne ein Zeichen des Erstaunens.

»Warum kann ich bloß nicht so unkomplizierte Eltern haben?«, fragte sich Nathan und ging zu Roberts Zimmer. Er klopfte an und hoffte innig, dass Steffi nicht da war.

»Herein. Ach du bist's. Was treibt dich denn wieder her?«

Steffi war nicht da, aber auch keine Spur im Zimmer verriet, dass sie je da gewesen war.

»Ähm, wo ist denn Steffi?«

»Die hab ich in den nächstbesten Zug nach Hause gesetzt. Nachdem sie ja mehr als deutlich ihr wahres Gesicht gezeigt hat ...«

»Ah so. Warum ich schon wieder da bin? Na ja, als ich heimgekommen bin, hat mein Vater gleich total Ärger gemacht, weil ich gestern nicht nach Hause gekommen bin. Und da hab ich sie angeschrien, dass sie sowieso nichts verstehen und bin weggelaufen. Ich wollte ihnen einfach nicht sagen, was passiert war. Es war einfach noch zu früh. Und dann bin ich zu Manuel.«

»Und?«

»Er hat auf unschuldig getan, als ob nix gewesen wäre. Und als ich ihm gesagt habe, dass ich ihn gesehen hab, da meinte er, dass er mich nicht verlieren will. Aber ich hab Schluss gemacht. Ich will mir nicht immer Gedanken machen, ob er mir treu ist. Und ich will ihn nicht teilen.«

Nathans Worte endeten in Schluchzen.

»Hej, es wird wieder gut«, flüsterte Robert, während er ihn in den Arm nahm.

»Deine Eltern werden verstehen, warum du nicht reden wolltest. Und du wirst jemanden finden, der dich liebt und dir treu ist. Ganz sicher!«

Langsam wurde Nathans Schluchzen leiser. Robert strich ihm sanft über den Rücken.

»Ich bin mir ganz sicher, dass du wen finden wirst. Ganz sicher«, flüsterte er.

»Hey, danke.«

Nathan drückte Robert noch einmal und setzte sich dann zum Schreibtisch.

»Ich schau mal, ob du heute bei uns zum Essen blieben kannst«, meinte Robert und verschwand aus dem Zimmer.

*** Na mit dem Freund kann er sich wirklich alle Zehne abschlecken. Aber ob seine Eltern so begeistert sind, wenn er sich nicht bald meldet? ***

»Ok, ist kein Problem. Du kannst bei uns Essen.«

»Danke.«

»Und was willst du jetzt deinen Eltern sagen?«

»Ich weiß es nicht. Denkst du, ich soll es ihnen sagen?«

»Ich weiß nicht! Aber immer lügen? Was meinst du denn, wie sie zu dem Thema stehen?«

»Ich weiß nicht. Eigentlich ist da nie drüber geredet worden.«

»Ach, es wird schon gut laufen. Da bin ich mir sicher.«

»Essen ist fertig«, rief Frau Falkner aus der Küche.

Wenig später saßen drei Falkners und Nathan um den Küchentisch und aßen.

»Sag mal Nathan, es geht mich ja nichts an, aber ist irgendetwas los? Du wirkst irgendwie blass.«

»Nun, na ja. Es ist nichts. Wirklich.«

»Entschuldige, wenn ich zu aufdringlich war.«

»Nein, nein. Macht ja nichts.«

Der Rest des Essens verlief ziemlich schweigsam, und nachdem er sich noch einmal bei Frau Falkner fürs Essen bedankt hatte, machte sich Nathan auf den Heimweg.

»Machs gut und ruf mich an, wie's gelaufen ist«, meinte Robert zum Abschied und klopfte Nathan auf die Schulter.

»Ok, mach ich. Und danke noch mal für die Erste Hilfe.«

»Klar doch.«

*** So, genug der schönen Worte und Verabschiedungen. Du hast noch was zu erledigen Junge! Es wird nicht leicht, aber du wirst sehen, es ist's wert. ***

Den ganzen Heimweg grübelte Nathan, wie er es am besten sagen sollte, aber irgendwie fiel ihm keine befriedigende Lösung ein. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass seine Eltern sowieso schon sauer waren, weil er abgehauen war.

Warum war bloß alles so kompliziert? Er wünschte sich, es wäre wieder so wie früher, früher als er noch nicht wusste, dass er die Liebe eines Jungen brauchen würde. Dass er anders wäre als seine Eltern erwarteten. Nichts mit Enkelkindern. Aus der Traum von der süßen Schwiegertochter.

Da stand er nun vor der Haustüre. 'Jetzt oder nie', dachte er sich und ging hinein.

Teil 8 - Chances

»Hallo!« Nathan bemühte sich, sicher zu klingen.

»Guten Tag der Herr«, kam es aus dem Wohnzimmer, »Was für eine Begründung hast du denn diesmal?«

»Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte vorher nicht einfach davonlaufen sollen, aber es ist mir alles zu viel geworden«, sagte Nathan während er ins Wohnzimmer ging.

Seine Mutter war gerade beim Bügeln und sah mit Nathans Vater fern. Herr Ziegler schaltete den Fernseher ab.

»Was war dir zu viel?«, wollte Nathans Mutter wissen.

»Na ja, gestern ging meine erste Beziehung in die Brüche und da hab ich dann bei Robert übernachtet, weil ich total durch den Wind war. Und dann heut die Anschuldigungen und die Ohrfeige ...«

»Hm, das konnten wir ja nicht wissen. Aber wieso hast du uns deine Freundin denn nicht vorgestellt? Wie heißt sie denn?«

»Manuel.«

»Wie?« Frau Ziegler ließ das Bügeleisen auf dem weißen Hemd stehen.

»Manuel.«

»Karoline, der Junge ist ...«

»Ja, das hab ich auch gehört.«

»Aber wir müssen da was tun«, meinte Herr Ziegler mit einer seltsamen Aufregung in der Stimme.

»Ja, das müssen wir. Und zwar ihm genauso gute Eltern sein wie bisher. Er ist unser Sohn. Das allein zählt«, erwiderte Nathans Mutter mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.

Dann wandte sie sich wieder zu Nathan: »Du musst verstehen, es ist doch ein wenig überraschend für uns und wir werden ein wenig Zeit brauchen, um uns daran zu gewöhnen, aber du bist unser Sohn und wirst es immer bleiben. Wir stehen zu dir.«

»Danke«, sagte Nathan und erwiderte die kurze Umarmung seiner Mutter.

»Aber dass mir solche nächtlichen Extratouren nicht zur Gewohnheit werden«, warf Nathans Vater von der Seite ein.

*** Merkwürdige Familie irgendwie. Normalerweise hätte doch die Mutter jetzt alles über die zerbrochene Beziehung wissen wollen und den Sprössling getröstet. Aber hier keine Spur davon. Damit war die Sache erledigt und vom Tisch. Wirklich merkwürdig. ***

Nathan rief noch schnell bei Robert an und erzählte ihm den Ausgang des Gesprächs und ging dann in sein Zimmer. Wenig später lag er auf seinem Bett und, obwohl es noch gar nicht so lang nach Mittag war, schlief er ein.

»Nathan, wir fahren noch zu Bekannten«, rief Frau Ziegler hoch. Nathan streckte sich.

»Ja«, rief er schlaftrunken. Wie spät war es überhaupt? Dass es draußen schon wieder dunkel war, bot ihm keine besondere Hilfe. Der Radiowecker zeigte 19 Uhr. Nathan überlegte, was er machen könnte. Einerseits war er noch immer – oder schon wieder – müde und hatte auf nichts so richtig Lust, aber nach Schlafen war ihm auch nicht.

Er entschloss sich erst mal ins Bad zu gehen und sich die Zähne zu putzen, denn der eklige Schlafgeschmack störte ihn.

Während des Zähneputzens meldete sich durch die Reibung am Waschbecken auch ein anderes Körperteil zu Wort. Sanft begann Nathan die Vorhaut vor- und zurückzuschieben, aber schon nach wenigen Bewegungen hatte er die Lust verloren und hörte auf. Es konnte ja ohnehin nicht so schön werden, wie es mit Manuel gewesen war, also wozu die Anstrengung.

Er ging wieder in sein Zimmer und zog sich vollkommen nackt aus. Dann betrachtete er sich im Spiegel. »Eigentlich nicht so schlecht«, befand er. Ok, hier hätten ein wenig mehr Muskeln dran können und da etwas weniger Blässe, aber sonst konnte er doch ganz zufrieden sein.

Aber irgendwas musste doch zu wenig gewesen sein für Manuel. Es ging ihm nicht in den Kopf. Mit einer Frau. Und noch dazu mit dieser Schlampe Steffi. 'Aber vielleicht ist es ja das, was er braucht', dachte er sich. Schnell nach unten ins Bad seiner Eltern gehuscht, nein doch noch mal zurück. Wer weiß, wann sie zurückkommen und nackt wollte er ihnen dann doch nicht gegenübertreten.

Im Bad seiner Eltern begann er den Kosmetikschrank seiner Mutter zu durchforsten. Feinsäuberlich legte er die Instrumente, die ihm brauchbar erschienen, auf die Ablage unterm Spiegel. Wimperntusche, Lippenstift, Lidschatten, Rouge und Puder.

*** Och süß, will er sich jetzt schminken? ***

»Hm, die Wimperntusche kommt erst am Schluss, der Lippenstift auch. Aber wie war's mit dem Rest?« Nathan ärgerte sich, dass er den Schminkübungen seiner Mutter nie mehr Beachtung geschenkt hatte. Er beschloss, erst mal mit dem Lidschatten anzufangen.

Nach ein wenig Anfangsschwierigkeiten konnte er sogar halbwegs mit dem kleinen Pinselchen umgehen und im Nu waren seinen Augen großflächig von blauem Lidschatten umrahmt. Der Lidstrich mit dem Kajal stellte sich als unüberwindbare Hürde heraus. Das Ergebnis war weder annähernd so dünn noch so gerade wie ein Strich.

Aber Nathan ließ sich nicht beeindrucken und trug kräftig Wimperntusche auf und klimperte probeweise mit den ungewohnt fülligen Wimpern. Prompt war die Hälfte der Wimperntusche jetzt auch auf den umliegenden Hautpartien verteilt. Nachdem er noch kräftig Rouge und Lippenstift aufgetragen hatte, räumte er die Sachen wieder in den Schrank und ging zurück nach oben. »Das ist es also, was du willst«, zischte er in den Spiegel, »Ich bin Steffi und treib's mit allen, die mir in den Weg kommen. Tun wir's?« Tränen kullerten ihm über die Wangen und hinterließen schwarze Spuren.

Nathan musste über sein Spiegelbild lächeln. Wenn er sich wirklich mal ernsthaft schminken wollte, dann musste er wohl erst noch eine Runde üben.

*** Die restlichen paar Ferientage verliefen weitestgehend ereignislos. Nathan verbrachte viel Zeit mit Robert, die Familie Ziegler schwieg "das" Thema tot und das Wetter war unverändert kalt und abweisend. Drum jetzt gleich weiter zum ersten Schultag nach den Ferien. Es ist sieben Uhr und Nathan betritt gerade das Schulgebäude. ***

»Guten Morgen Nathan, na wie geht's?«

»Ähm gut und dir?«

»Ach danke, hattest du schöne Ferien?«

»Jaja, das Übliche halt«, wand sich Nathan.

Wieso war Sandra plötzlich so interessiert an ihm? Wusste sie etwas?

»Na dann, ich muss wieder. Wir sehen uns dann nachher in Chemie. Bis dann.«

»Ja, bis dann«, murmelte Nathan und schaute ihr nach, wie sie in Richtung Klassenzimmer verschwand.

»Na, was wollte denn die von dir?« Nathan erschrak und fuhr herum. Es war Robert.

»Keine Ahnung. Entweder mich verarschen oder bezirzen. So oder so schlecht für mich. Warum interessieren sich die Leute immer dann für einen, wenn man's am wenigsten gebrauchen kann?«

»Tja. Und was willst du da jetzt machen, du Herzensbrecher?«, meinte Robert, was ihm einen gutgemeinten Knuff und einen genervten Blick von Nathan einbrachte.

In der Chemiestunde wurden dann Nathans Befürchtungen bestätigt. Als der Lehrer gerade voller Enthusiasmus die Tafel mit Formeln und Merksätzen füllte, traf Nathan eine Papierkugel, die sich als Brief entpuppte.

Hallo Nathan! Willst du dich mal mit mir Treffen? Sandy

»Scheiße, was mach ich'n jetzt?«, flüsterte Nathan.

»Keine Ahnung«, meinte Robert.

»Sag ihr doch die Wahrheit und hoff, dass sie's versteht.«

»Was Bessres fällt dir nicht ein?«

»Eigentlich nicht.« Nathan seufzte. Er drehte sich kurz um und lächelte – zugegebenermaßen ein wenig gequält – zu Sandra, die ihn freudig anstrahlte.

*** Na mal sehn, wie er da wieder rauskommt. Aber immerhin bemüht er sich scheinbar, sie nicht zu verletzen. Hoffentlich versteht sie ihn dann auch. ***

Nach den beiden Chemiestunden kam Sandra zu Nathan.

»Und?«

»Und was?«

»Na treffen wir uns mal?«

»Hm, tja. Klar können wir, aber da ist dann noch was, was du wissen solltest«, druckste Nathan herum.

»Was denn?«, fragte Sandra ahnungslos.

»Es ist so, dass ich ...«

»Ah, gut, dass ich dich treffe!«

Es war Manuel.

Nathans Gesicht verdunkelte sich. »Was gibt's?«

»Ich muss mit dir reden.«

»Jetzt auf einmal? Vergiss es.«

»Doch, bitte.«

»Nein. Da gibt's nichts mehr zu bereden. Punkt um Ende und aus. Und jetzt entschuldige mich, ich muss in meine Klasse.«

Nathan drehte sich um und ging. Sandra stand mit halboffenem Mund neben Manuel und kapierte gar nichts mehr, während dieser mehr einem geprügelten Hund ähnelte.

Inzwischen war auch Robert aus dem Chemiesaal gekommen und hatte die Szene beobachtet.

»Hej Manuel.«

Manuel blickte erstaunt auf. Er hatte Robert gar nicht bemerkt gehabt.

»Ja?«

»Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen sollte, aber ich glaub es ist besser, du lässt ihn erst mal in Ruhe. Es hat ihn schwer getroffen und er wird wohl einige Zeit brauchen, bis er drüber hinweg ist.«

»Tja, danke. Das hab ich mir dann wohl selber zuzuschreiben. Aber sag ihm bitte, dass es mir wirklich leidtut.«

»Ok, mach ich. Aber ich muss jetzt auch los. Also dann.«

»Könntest du mir vielleicht erklären, was hier los ist?«, meldete Sandra sich zu Wort.

»Was soll los sein?«

»Na ja, spiel mir nichts vor. Nathan redet mit wem Wildfremden und rauscht dann davon, dann redest du mit dem Typen. Ihr verheimlicht hier doch was. Ich bin doch nicht blöd.«

»Tja, ich denke nicht, dass ich dazu befugt bin, hier groß Auskünfte zu erteilen«, meinte Robert und lies Sandra stehen.

*** Na wenn sich das mal nicht rächt, die Gute da so abperlen zu lassen. Ich wär ja ganz schön sauer. ***

»Also rate ich dir, ihr möglichst bald zu sagen, was Sache ist, sonst hast du bald ein Problem mehr am Hals. Ich hab sie zwar erst mal abblitzen lassen, aber ich glaube nicht, dass sie das so auf sich beruhen lässt.«

»Dann bleibt mir wohl nichts andres übrig«, seufzte Nathan und hoffte, dass Sandra nicht allzu negativ reagieren würde.

Weitere Sorgen musste er erst mal auf später vertagen, denn Herr Kettenbauer war bereits in die Klasse gekommen und hatte wie üblich pünktlich mit dem Läuten seinen Mathematikunterricht gestartet.

Nach fünfzig Minuten Algebra war die Stunde beendet. Nathan hatte sich inzwischen überlegt, wie er Sandra am besten einweihen könnte.

»Kennst du das kleine Café ums Eck beim Kino?«

»Ja, wieso?«

»Treffen wir uns heute um vier da. Aber komm bitte alleine.«

»Ok, um vier dann.«

*** Gut so, mal sehn, wie das so wird. Nathan is natürlich schon ziemlich nervös, aber zu seinem Glück entgeht er in den restlichen Unterrichtsstunden peinlichen Fragen. Nach dem üblichen Zeugs – Heimgehen und Essen für alle Neugierdsnasen – kommen wir gleich mal zum Treffen im Café. ***

»So einmal Kamillentee und einen Früchtetee für die junge Dame.«

»Danke. Also wirklich, ich hab noch nie jemanden gesehen, der freiwillig Kamillentee trinkt«, wunderte sich Sandra.

»Na ja, ich hab mal gehört, der soll beruhigend und sehr gesund sein«, meinte Nathan nervös, »Und außerdem haben die hier sicher keinen Baldriantee.«

»Jetzt übertreibst du aber«, kicherte Sandra, »Mach ich dich etwa so nervös?«

*** Och, jetzt legt sie auch noch ihre Hand auf seine. Mal sehn, kollabiert er zuerst und sagt ihr dann was Sache is oder sagt er's ihr zuerst und kollabiert dann? ***

»Da gibt es etwas, das du wissen solltest«, sagte Nathan langsam und zog seine Hand zurück, »Ich stehe nicht auf Frauen.«

»Du meinst, du bist schwul?«

»Ja. Ich hoffe, du bist nicht böse deswegen oder so. Ich finde dich ja ganz nett, aber das war's dann halt auch schon. Wirst du's den anderen erzählen?«

»Hehe, beruhig dich erst mal. Ich bin dir deshalb nicht böse oder so. Sicher find ich's schade, dass ich keine Chance hab, diesen gutaussehenden Typen für mich zu interessieren, aber was soll's. Aber wehe du spannst mir mal einen Freund aus.«

Nathan musste lachen: »Keine Sorge, wenn er sich für mich interessiert, dann dürfte er wohl nicht der Richtige für dich sein.«

»Punkt für dich. Ach ja, morgen wirst du am schwarzen Brett stehen.«

Nathan wurde kreidebleich.

»Hej, war nur ein Scherz, reg dich wieder ab. Es ist deine Sache, wem du was erzählst. Aber jetzt klär mich mal auf, wer war der verzweifelte Typ von heute Vormittag? Ich denk mir mal, der ist auch für die Frauenwelt verlorengegangen.«

»Hm, wenn ich das wüsste. Wir waren ein Paar, aber vor ein paar Tagen hat er hinter meinem Rücken mit einer Frau rumgemacht. Und drum haben wir uns getrennt.«

»Dumme Sache, hm?«

»Ja, da glaubst du, du hast alles Glück auf Erden und im nächsten Moment liegt alles in Scherben.«

»Nun mal mal nicht so schwarz. Es wird bestimmt auch wieder bessere Zeiten geben. Wer weiß, wofür's gut war. Du weißt ja, wo kein Schaden da kein Nutzen oder so.«

Nathan musste grinsen: »Du hörst dich schon wie deine eigene Großmutter an. Jo mei domois in da guaten oiden Zeit *husthust* ...«

»Da will man dich ein wenig aufbauen und was ist der Dank dafür?«, spielte Sandra auf beleidigt.

»Ok ok, ich lad dich dafür auf den Tee ein. Nicht dass du mir sonst noch einen Vortrag über Kavaliere in der guten alten Zeit hältst«, grinste Nathan.

Nachdem Nathan bezahlt hatte, brachen sie auf. Ein Stück weit gingen sie noch zusammen, dann trennten sich ihre Wege.

»Ok, dann mach's gut. Bis morgen dann.«

»Gut, bis morgen. Und Sandra ...«

»Ja?«

Nathan küsste sie auf die Wange.

»Danke.«

»Klar doch.«

Zuhause angekommen, merkte Nathan, dass seine Eltern nicht zu Hause waren. Dafür fand er einen Zettel am Schreibtisch. »Wir sind zu Freunden gefahren. Robert hat angerufen.« Nathan war sich sicher, dass er wissen wollte, wie der Treff mit Sandra gelaufen war. Er lief nach unten und wählte Roberts Nummer.

»Falkner?«

»Hallo Robert, ich bin's.«

»Hi Nathan! Und, wie ist es gelaufen?«

»Total gut. Sie war zwar ein wenig enttäuscht, dass ich nicht für die Frauenwelt zur Verfügung stehe, aber sie hat kein Problem damit.«

»Schön zu hören. Ich hab grad nix vor, kann ich zu dir rüberkommen?«

»Ja, ok, wieso nicht. Bis dann also.«

»Ja bis dann.«

Nachdem er aufgelegt hatte, beschloss Nathan schnell unter die dusche zu hüpfen. Das warme Wasser prasselte über seinen Körper und weckte seine gekühlten Lebensgeister wieder auf. Auch Klein-Nathan regte sich, aber wurde auf später vertröstet, denn so lange würde Robert dann doch nicht brauchen. Kaum war Nathan aus dem Bad gekommen und in frische Shorts geschlüpft, da läutete es auch schon an der Tür. Schnell schlüpfte Nathan in seinen Schlafrock und lief nach unten.

»So da bin ich. Öffnest du immer so leicht bekleidet?«

»Nein, aber ich wollte dich verführen.«

Robert stutzte.

»Hej, kleiner Scherz. Geh schon mal nach oben, du kennst den Weg ja. Willst du irgendetwas trinken?«

»Ein Tee wär nicht schlecht.«

»Früchte ok?«

»Ja, passt.«

Wenig später saßen sie oben in Nathan Zimmer am Bett und tranken heißen Früchtetee.

»Manuel hat heut noch mit mir geredet, nachdem du weg warst.«

Nathans Gesichtszüge verhärteten sich: »Was wollte er denn noch?«

»Es tut ihm wohl wirklich leid. Ich hab ihm gesagt, er soll dir jetzt erst mal Zeit gegen, vielleicht bekommt ihr ja mal ein freundschaftliches Verhältnis, wenn die Sache länger her ist.«

»Danke. Mal sehn, aber es ist wohl wirklich noch zu früh dafür.«

»Da wäre noch was ...«

»Was wollte er denn noch?«

»Na ja, nicht er, ich ...«

Robert überlegte offensichtlich ziemlich angestrengt, wie er das am besten sagen sollte.

Die gerade laufende CD schaltete weiter und die ersten Takte von 'The Miracle Of Love' erklangen.

»Kannst du dich noch erinnern, wie wir den Song das letzte Mal zusammen gehört haben und ich gerade traurig war, weil ich an Steffi denken musste?«

»Ja, damals wusstest du noch nicht, was für eine Schlange sie ist.«

»Tja, ich bin wieder verliebt.«

»Hej, hast du dir auch verdient. Ich hoffe du hast diesmal Glück bei deiner Auswahl. Wer ist denn die Glückliche?«

Statt einer Antwort beugte sich Robert vor und küsste Nathan auf den Mund. Zuerst zögernd und vorsichtig, aber langsam fordernder.

Nach einer Weile trennten sie sich.

»Aber ich dachte, du bist hetero.«

»Na ja, als wir den Film sahen, dachte ich mir, es wäre schön von dir den Rücken eingerieben zu bekommen. Aber ich wollte nicht schwul sein. Drum wollte ich auch mit Steffi schlafen. Ich wollte es wissen. Aber es hat nicht geklappt. Aber inzwischen warst du schon mit Manuel zusammen. Ich hab mich für dich gefreut und bin mir gleichzeitig so allein vorgekommen. Ich war so wütend auf ihn, als eure Beziehung zerbrochen ist. Es war schlimm, dich so leiden zu sehen. Ich wollte für dich da sein und es war so schön, als du dich damals in der Früh an mich gekuschelt hattest. Ich war drauf und dran dir zu sagen, dass ich dich liebe, aber ich hatte Angst, du würdest denken, ich nütze die Situation aus.«

»Tja, was soll ich sagen. Ich bin ein wenig überrascht. Immerhin habe ich angenommen, du bist hetero. Und als mein bester Freund warst du sowieso immer tabu.«

Roberts Gesicht wurde nachdenklich.

»Du liebst mich also nicht?«, fragte er besorgt.

»Sicher tu ich das du Spinner! Ich brauch bloß noch einen Moment, das alles zu realisieren. Aber ich hab schon eine Idee, was mir dabei helfen könnte.«

Er kicherte, als er Roberts fragendes Gesicht sah, zog ihn zu sich und küsste ihn lang und ausgiebig.

*** He he, Moment! Ihr dachtet doch nicht, dass ihr euch hier so einfach davonstehlen könnt! Also Robert hat endlich zu Nathan gefunden und ich muss sagen, sie sind wirklich ein süßes Paar. Dann wollen wir ihnen mal wünschen, dass das noch möglichst lang so bleibt und schließen hier an dieser Stelle das Buch. Macht's gut und bleibt sauber.

Euer Glörchen. ***

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