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Nils und Jakob

Teil 5 - Heil Thalia!

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Nils

„Nee, das ist nix für mich, ich mach mich ja lächerlich!“, meint Jakob.

Ich korrigiere ihn: „ Wenn ICH dir sage, du kannst das, dann kannst du das auch!“

„Ja, aber da rumhopsen, vielleicht noch verkleiden! Und wenn ich stecken bleibe?“

„Du bleibst nicht stecken! Dafür gibt’s den Souffleur!“

„Ja!“ schnaubt Jakob, „Nils II! Er ist ja ganz witzig und so, ein lieber Kerl. Aber für so eine Aufgabe muss man doch … zuverlässig sein!“

„Wer redet hier von mir?“ kommt Nils rein, „zuverlässig ist mein zweiter Vorname!“

„Ah Nils, das trifft sich gut!“ ziehe ich ihn zur Seite, „Pass mal auf, du wirst in unserem Stück soufflieren, ok?“

„Ich werd SOWAS von … äh, WAS soll ich?“

„Soufflieren! Text vorsagen!“

„Also ich hab da mal mit meinem Anwalt gesprochen. Wenn ich noch mal was vorsage, sagt der, dann ist eine disziplinarische Maßnahme nicht auszuschließen!“

„Hä?“

„Nils hat Ärger in seiner Klasse bekommen,“, weiß Jakob, „weil er immer die Antwort rausposaunt, auch wenn ein anderer gefragt wurde!“.

Nils II ist empört: „Hey! Das unterliegt dem Anwaltsgeheimnis, klar?“

Jakob unterdrückt ein Grinsen: „ANWALTSGEHEIMNIS? ICH GEB DIR ANWALTSGEHEIMNIS!“

Ich glaube, ich muss da mal wieder etwas Ordnung reinbringen.

„Stopp! Hört mal zu, ihr Experten: Was da in der Schule abgeht, ist jetzt nicht das Thema. Hier geht es einzig und allein um das Theaterstück!

Jakob, spielst du nun die Rolle? Spielst du sie? Büüüütte! Du bist doch der einzige, der sie spielen kann.

Ich brauch dich doch!“

„Nicht jetzt, vor dem Kind!“ grinst Jakob.

„KIND? ICH GEB DIR KIND!“

„Hört doch mal AUF! Jakob, ich brauch dich für das Stück. Ein anderer kann diese Rolle nicht spielen, weil … weil ich eben dich darin sehe!“

Jakob überlegt, und ich schau ihn mit erprobter Miene an. Wenn ich so gucke, dann gewinne ich!

„Ok, aber nur, weil du der Regisseur bist!“

„Danke, Jakob! Nun zu dir, Nils Zuverlässig“, hole ich den Honigquast raus, „ zum Soufflieren brauche ich jemanden, der nicht nur intelligent ist und mit der Sprache umgehen kann, sondern auch jemanden, dem ich vertraue.“

„Hör sofort auf, hier rumzuschmusen! Du weißt genau, dass du mich damit nicht kriegst!“

„Ok, ok, ich brauch also jemanden, der nicht ZU sehr stottert, aber so dämlich ist, dass ich ihm auch mit dem größten Wohlwollen keine Rolle geben kann! Besser so?“

„Ach Nils-Heinrich, du bester Regisseur, den ich je hatte! Du bist so gut zu mir. Komm, ich leg mich jetzt hier auf die Pfütze, und du gehst trockenen Fußes über mich rüber und…“

„NILS! Hör auf! Erstens hattest du noch nie eine Rolle, also lass den Regisseur-Schmus, zweitens ist hier weit und breit keine Pfütze, und drittens: Was is denn nu?!?!“

„Gut. Aber nur, weil du Nils heißt!“

„Danke, Nils!“

Ok, das ist also klar.

Die weitere Besetzung steht, und wir können mit den Proben anfangen.

Ach so, hab ich ja noch gar nicht erzählt: Weil ich in einem Verein Theater spiele und auch schon inszeniert habe, gab mir der Schulleiter die ehrenvolle Aufgabe, im diesjährigen Schulfest das Feld „Kultur“ abzudecken (ja, er hat es wörtlich so formuliert.

Jetzt ist euch auch klar, warum ER das nicht macht!).

Da ich als Regisseur darauf bestehe, Besetzungen selbst vorzunehmen und darauf, dass mir da auch keiner reinredet, hatte ich also keine Mühe, meine beiden engsten Freunde unterzubringen.

Allerdings muss ich mal ganz deutlich sagen, dass ich eine Rolle nur an den oder die vergebe, wenn der oder die auch wirklich passt.

Kompromisse mache ich da nicht.

Was ist denn das für n Stück?, fragt Ihr?

Lasst Euch überraschen.

Jakob

Da hat er mich doch tatsächlich rumgekriegt!

Tja, wenn der so guckt, dann kann ich nicht anders. Aber dafür muss er heute Abend noch leiden!

Ich sage nur: Kitzelorgie!

Nur schade, dass er nicht selber mitspielt!

Da gibt es nämlich eine Rolle, in der ein Junge viel Trost braucht, und ICH muss den trösten.

Und der, der diese Rolle spielen soll, den mag ich überhaupt nicht.

Na ja, ganz stimmt das nicht.

Was ich meine, ist, dass ich eben lieber Nils trösten würde.

Da wüsst ich schon, wie ich das spielen muss.

Nämlich gar nicht!

Da wäre ich sicher sehr überzeugend.

Immerhin freue ich mich, dass ich nun offiziell die Zeit, in der wir sonst Bilder malen oder Gedichte aufsagen oder schwere Literatur lesen müssten, mit meinem Nils verbringen darf.

Korrektur: mit meinen beiden Nilsen.

Nilsen?

Wie das klingt!

Wie ist der Plural von Nils?

Nilse? *gg*

Nilsen? *prust*

Nilsae? *lol*

Nilsata? *rofl*

„Hey, etwas mehr Aufmerksamkeit, bitte! Jakob, was ist denn so lustig?“

Mann, was ist denn mit dem los?

„Nichts, Nils, ich … ich musste gerade an was denken…“

„Ich weiß, an was du denken musst!“, flüstert Nils II.

„Klappe! Gar nichts weißt du“, raune ich zurück.

„Doch! Du hast darüber nachgedacht, wie die Mehrzahl von Nils ist!“

Woher weiß der denn das nun wieder?

Der Bengel wird mir langsam unheimlich!

Nils

„So, Männer! Wir wollen jetzt mal eine Leseprobe machen.

Hat jeder seinen Text vor sich liegen?

Ok! Nils, du musst mitlesen. Wenn ich eingreife, um was zu ändern, dann musst du das gleich in deinem Text auch ändern, ok?“

„Sir! Jawohl, Sir!“

„NILS! Sei nicht albern und mach jetzt!“

„Ist ja GUT, Mensch! Ich MACH ja! MANN“

Nils’ Gesicht entgleist.

Ich muss mich wirklich zusammenreißen, damit ich nicht zu schroff bin!

„Ähm, Nils, entschuldige bitte, das ist nicht so böse gemeint, wie das vielleicht klingt. Ok, Nils? Komm, gimme five!

Hört mal bitte alle zu, wenn ich mal lauter werde, das ist nicht persönlich gemeint, und ich versuche, mich da zurückzuhalten.

Ich möchte eben, dass das ein gutes Stück wird, und da geht manchmal der Gaul ein bisschen mit mir durch. Ok?“

Allgemeines lustloses oder uninteressiertes Gemurmel der Zustimmung.

„Nein, Leute, das ist mir wichtig!

Ich will keinerlei Unfrieden in unserem Haufen.

Schließlich könnt ihr auf der Bühne nur etwas wie Freundschaft oder Nähe glaub¬haft darstellen, wenn ihr euch – nein, wir uns – verstehen.

Und außerdem ist mir bewusst, dass ich für euch die Verantwortung dafür trage, dass niemand auf der Bühne dumm aussieht. Da brauche ich auch euer Vertrauen, dass ich dafür sorge.“

Jetzt haben alle zunehmend interessierter zugehört. Schön!

„So, jetzt zu den Rollen.

Jakob, du spielst Jakob.

Ich habe den Rollen die Namen der Spieler gegeben, so ist es für alle einfacher, den Überblick zu behalten.

Jakob ist ein Junge, der in einer Stadtvilla mit seinen Eltern lebt.

Ein Einzelkind.

Der Vater ist ein erfolgreicher Broker, die Mutter war vor ihrer Ehe eine erfolgreiche Kauffrau.

Sie haben Geld wie Heu, aber mit Gefühlen sind sie immer sehr sparsam umgegangen.

Oleg, du spielst einen Jungen aus Jakobs Klasse.

Dieser Oleg hat es im Leben nie leicht gehabt.

Seine Mutter wurde vom Vater verlassen, als Oleg ½ Jahr alt war.

Sie bringt die kleine Familie mit Nähen schlecht und recht durch.

Oleg ist in Jakob verliebt, Jakob ahnt davon nichts.“

(Die anderen Rollen sind hier eigentlich unwichtig, es geht um die Liebe Olegs zu Jakob, die aussichtslos ist.)

„Schön!

Dann lasst uns mal lesen.

Ihr lest nur den Text, die Regieanweisungen werde ich lesen, falls erforderlich.

Los geht’s.

Und bitte mit richtiger Betonung. Ich werde nötigenfalls auch korrigieren, wenn…“

„Oh Mann, Nils, jetzt lass uns doch erstmal anfangen!“

Jakob hat ja Recht!

„Ok, dann los!“

Sie beginnen zu lesen.

Grauslig!

Eine Betonung wie in der zweiten Klasse, das bekannte Vorlese-Leiern!

Komm, Nils, beherrsch dich!

„Stopp! Sagt s a moi, Kinder, woits ihr mich fertigmocha?“

„Was ist denn nun schon wieder?“

„Bitte mit Betonung.

So, wie ihr das auch auf der Bühne sagen würdet.

Ok?

Also bitte noch mal.“

Und nun lesen sie, ab und zu greife ich ein, korrigiere hier und da die Aussprache, muss immer wieder sagen ‚bitte, langsamer. Nicht so schnell! Der Zuschauer hört diesen Text zum ersten Mal, er muss mitdenken können.

Weiter!’

Jakob

Ist DAS ein blöder Text!

Wer hat sich denn SOWAS ausgedacht!?!

Ausgerechnet Oleg!

Und dann noch in mich verliebt!

Dieser Schwulenhasser!

Das kann nicht wahr sein!

Ich hatte schon versucht, Nils den auszureden, aber er besteht darauf, diese Rolle Oleg spielen zu lassen.

Und wenn er das so sagt, dann bleibt er auch dabei!

Na schön, da werde ich nichts machen können.

Also Oleg!

„So, wir kommen zu den Stellproben.

Jakob, wenn der Vorhang aufgeht, sitzt du schon in dem Sessel und hörst irgendwas ausm IPod.

Oleg, du stehst hier hinter Jakob und machst ihm verliebte Nasenlöcher, ok?“

„Soll ich davon was merken?“

„Nein, du kümmerst dich nicht um Oleg, das kommt erst später, wenn das Telefon klingelt.

So, Oleg, weil Jakob dich nicht beachtet, gehst du um seinen Sessel rum, damit du in sein Blickfeld kommst.

Nein, geh anders herum.

Und denk dran, dass du nie dem Publikum deinen Rücken zuwendest, außer, wenn das erforderlich ist, aber das sag ich dir dann.

Geh ganz rum, bitte, ja genau bis dahin.

Jakob, beachte ihn noch immer nicht.

Jetzt kommt dein erster Satz, Oleg. Bitte!“

Oleg sagt seinen Text, geht dabei weiter um mich herum.

„Oleg, bitte bleib stehen, während du den Satz sagst.

Gehen und sprechen ist ungünstig.

Da ist nur manchmal richtig.

Nils, mach dir bitte auch eine Anmerkung in deinem Text.

Da ich keinen Regieassistenten habe, musst du mich auch da ein bisschen unterstützen, ja?“

Nils II schaut zwar ein wenig ungehalten, aber als Nils ihn bittend ansieht, scheint er dahin zu schmelzen. Mhh, was gibt das denn?

Na ja, so geht der Probennachmittag herum, wie probieren eine Szene nach der anderen.

Am Ende versammelt Nils noch einmal alle Mitwirkenden auf der Bühne.

„So, kommt alle noch mal im Kreis zusammen.“

Nachdem sich die Spieler und Nils II in einen Kreis gestellt haben, meint unser Regisseur:

„Hört bitte mal genau zu, das ist wichtig:

Wer sich das Stück mal ganz durchgelesen hat – wer nicht, den bitte ich, das noch zu machen, ruhig auch ein paar Mal –, der wird die Szenen gesehen haben, in denen es richtig zur Sache geht.

Liebe, Eifersucht, Hass…!

Große Gefühle eben, sowohl negative als auch positive, Krisen, Konflikte.

Das macht in einem Stück ja gerade die Spannung aus.

Aber da gibt es auch eine Gefahr dabei.

Wir wollen das ja glaubhaft darstellen, ihr müsst euch manchmal richtig reinhängen, alles geben.

Das ist nicht einfach, schließlich lässt man auf der Bühne quasi „die Hosen runter“, das bedeutet: Wer Gefühle zeigt, ist verletzbar.

Ihr begebt euch dann völlig in die Hand eurer Mitspieler und auch in meine Hand.

Seid euch dessen immer bewusst und denkt daran: Jeder ist besonders verletzlich und benötigt die Rücksichtnahme Aller!

Und eins noch zum Abschluss:

Wenn ihr auf der Bühne z. B. jemanden beschimpft, dann müsst ihr unbedingt am Ende der Proben etwas tun, das euch gegenseitig klar macht: Hey, das war nur Theater, mit der Wirklichkeit hat das nichts zu tun!

Ich schlage deshalb vor, dass wir immer am Schluss genau so zusammenkommen, wie jetzt und dass jeder jeden in den Arm nimmt, um ihm zu zeigen: War nur Spaß!

So, los geht’s!“

Nils

Na, da gibt es einiges Staunen in der Runde; so was hatten sie nicht erwartet!

Aber tapfer, einige mit Überwindung, machen sie alle mit.


Die ersten Stellproben waren ganz schön anstrengend.

Mit Spielern ohne Erfahrung zu arbeiten kostet Kraft, besonders, weil ich nicht so hart mit denen umgehen kann, schließlich fängt jeder mal an, und ich hab mich bei meiner ersten Rolle auch ziemlich blöd angestellt.

Aber die Gegenwart meiner beiden besten Freunde macht das mehr als wett!

Nur Jakob macht mir ein bisschen Sorge.

Er ist, seit wir mit den Proben angefangen haben, zunehmend ernster geworden, manchmal richtig düster.

Ich weiß nicht, woher das kommen könnte.

Seit dem Unfall sind wir drei ein richtig gutes Team geworden, das NJN-Team, also Nils-Jakob-Nils.

Und Nils, also Nils II, sieht immer seinen Namen vorne, was Jakob energisch bestreitet.

Das geht dann hin und her und endet regelmäßig mit einer Kitzelorgie, einer jugendfreien, versteht sich.

Wie es kommt, dass Nils in unsere Schule geht?

Ganz einfach, er kommt auch hier aus dem Ort, war nur deshalb in Boberg im Krankenhaus, weil sein großer Bruder dort Oberarzt auf der Chirurgischen ist.

Nennt es Zufall oder Fügung, wir, Jakob und ich, finden es richtig gut und genießen es, diesen kleinen Racker zu unserem Team zu zählen.

Und, ehrlich gesagt: Als Gegner möchte ich den auch nicht haben!

Doch zurück zu Jakob.

Irgendwas beschäftigt ihn, und ich finde einfach nicht raus, was das sein könnte.

Jakob

So, heute ist wieder mal eine Probe.

Den Text des ersten Aktes habe ich schon intus, war nicht so schwer.

Schwer ist, dass ich so viele Szenen mit Oleg zusammen habe.

Er soll in mich verliebt sein, ich soll das nicht merken.

Jedenfalls jetzt noch nicht.

Nachher, im dritten Akt, da hab ich dann was gemerkt und muss ihn auch noch trösten, weil er dann Rotz und Wasser heult, weil ich ihn nicht will.

Ach, ich hab mir das Theaterspielen nicht so kompliziert vorgestellt.

Nils will, dass alles realistisch sein soll, und das mach mal, wenn du mit einem freundlich sein sollst, den du eigentlich nicht leiden kannst!

Aber ok, ich hab’s Nils versprochen, und da muss ich eben durch!

„So, wir wollen jetzt mal eine Übung zwischenschieben“, sagt Nils.

„Da gibt es ja eine Szene, in der Jakob voller Hass auf Oleg ist. Das muss richtig gut kommen, dafür habe ich mal ne Übung rausgesucht.

Jakob, setz dich bitte mal hier auf den Stuhl.

Oleg, du stellst dich vor Jakob und beschimpfst ihn, aber bitte nicht beleidigend.

Sprich einfach über das, was du Jakob gegenüber empfindest.

Jakob, du hast die schwerere Aufgabe: du darfst nicht reagieren.

Bleib einfach neutral, verzieh möglichst keine Miene.

So, los!“

Mann, das ist wirklich ne schwere Sache, nicht zu reagieren.

Aber nicht so, wie Nils meint.

Oleg hängt sich ganz schön rein!

„ICH BIN RICHTIG WÜTEND AUF DICH! SAG WAS, VERDAMMT NOCH MAL! ICH WILL WISSEN, WIE DU DIR DAS DENKST!“

Und ich muss da sitzen und cool bleiben, darf mir nichts anmerken lassen.

Dabei muss ich mich nicht zwingen, nicht zu lachen oder so.

Nein, ich muss mich zwingen, keine Abneigung zu zeigen.

Dieser Oleg ist ein Schwulenhasser, also würde er auch mich hassen, wenn er wüsste, dass ich schwul bin.

Aber das wissen hier nur sehr wenige gute Freunde: Nils uns Nils natürlich, aber auch noch ein paar Jungs und Mädels, auf die wir uns wirklich verlassen können.

Und so sitze ich also hier und vermeide den Blickkontakt, damit Oleg nicht meine Abneigung sieht, die ihn stellvertretend für alle jene Menschen trifft, die Schwule nicht einfach das sein lassen können, was sie sind: Menschen.

Nils

Wow!

Was Jakob da abliefert, ist ganz große Klasse!

Er wirkt tatsächlich so, als ginge ihn diese ganze Schreierei nichts an.

Sogar eher so, als würde er Oleg nicht abkönnen.

Das sind ja beste Voraussetzungen für die schweren Szenen!


Die Proben sind nun fast am Ende angekommen.

Oleg stellt sich ganz gut an, aber irgendetwas stimmt nicht mit Jakob.

Seine Auftritte sind unglaublich beeindruckend, aber privat – er ist nicht mehr der Jakob, den ich kenne und so liebe.

Kuscheln kommt nur noch ganz selten vor, und dabei macht er dann einen zerstreuten, zurückhaltenden Eindruck.

Zwischen uns liegt eine Distanz, die ich nicht einordnen kann, und unter der ich leide.

Was ist nur los mit ihm?

Wir haben uns nicht gestritten, die Kabbeleien, die wir beide, nein, wir drei immer so genossen haben, können das nicht ausgelöst haben.

Nils II behandelt er unverändert freundlich-kumpelhaft, wie ein großer Bruder eben, und der Kleine genießt das, gerade weil ich jetzt, als sein Regisseur, quasi ein „Fachvorgesetzter“ bin und ihm Anweisungen geben muss.

Manchmal verfluche ich den Tag, an dem der Direx mir meine Zusage für dieses Projekt abgenötigt hat.

Dabei macht mir das so einen Spaß, gerade wegen Jakob und Nils.

Na ja, es geht jedenfalls auf den Endspurt zu, in einer Woche ist Premiere.

Privates muss nun erstmal zurückstehen; wenn mein Stück Erfolg haben soll, muss ich mich ganz darauf konzentrieren.

Jakob

Ich bin voller Hass auf diesen Oleg!

Was nimmt der sich eigentlich raus?!?

Auf der Bühne schmachtet der mich an wie n läufiger Köter, und dann, bei der Umarmung stößt er mich richtig weg, als wenn ich widerlich stinken würde!

Manchmal will ich alles hinschmeißen!

Aber das kann ich Nils nicht antun.

Immerhin ist das sein Stück.

Und den, den ich liebe, zu enttäuschen – das kommt nicht infrage!

Das muss ich aushalten.

Is nu mal so!

Die eine Woche und dann die Aufführungen werd ich auch noch überstehen!

Scheiße!

Nils

Hauptprobe.

Oleg fehlt!

Morgen ist Generalprobe, übermorgen Premiere.

UND OLEG IST NICHT DA!

Ich werd noch wahnsinnig!

Kein Anruf, sein Handy aus, keiner nimmt bei ihm zu Hause das Telefon ab – was soll ich jetzt machen?!?

Gut, für heute werde ich die Rolle übernehmen. obwohl: ich hasse das!

Ich kann nicht gleichzeitig auf der Bühne stehen und inszenieren.

Ich hoffe nur, dass er eine gute Begründung für sein Fernbleiben hat!

Gut, aber wir müssen noch mal die wichtige Szene probieren, die große Hass-Szene zwischen Jakob und Oleg (also heute: mir).

Verdammt! Das wäre auch für Oleg so wichtig gewesen!

„Gut, Jakob, dann machen wir beide das jetzt.

Mit Oleg musst du das notfalls morgen noch mal extra probieren, ok?“

„Ja, klar. Ist mir auch lieber so.“

„Wie, was ist dir lieber?

„Ich mein, dass wir das jetzt proben.

„Ja, find ich auch. Muss ja sein.“

Er setzt sich in Positur, ich stehe vor ihm.

„Nils, ist das so, wie wir es mit Oleg gestellt haben?“

„Ja, kommt hin. Etwas weiter rechts noch… ja!“

„Ok, ich fang an!“

Zum Glück habe ich den Text drauf.

So geht es mir immer beim Regieführen.

Und nun ziehe ich vom Leder, flehe Jakob an, seine Entscheidung noch mal zu

überdenken und breche dann, weil er lt. Text stur bleibt, völlig zusammen.

Jakob muss mich nun trösten, dabei aber doch Distanz wahren.

Mich überrascht, mit welcher Gefühlskälte er dabei vorgeht.

So kenne ich ihn gar nicht.

„Jakob, äh, du musst das Trösten schon etwas deutlicher darstellen, sonst gibt das ein falsches Bild von deinen einander widersprechenden Gefühlen.

Bitte noch mal“

„Was WILLST du denn immer? Auf der letzten Probe war das noch völlig ok, wie ich das gemacht habe. Und auf einmal meckerst du nur noch rum! Hast du schlechte Laune, oder was?!? Lass die gefälligst nicht an mir aus, ok?“

Ich bin völlig geschockt!

Was ist denn mit Jakob los?

„Du, ich will dich doch nicht anmeckern.

Tut mir Leid, wenn das so rübergekommen ist.

Jakob, beruhige dich bitte.

Wir machen jetzt ne Pause, und dann versuchen wir’s noch mal, ja?“

„Ja, ja! IMMER wegrennen, wenn’s n Problem gibt!

BLOSS nicht drauf eingehen!“

„Jakob, bitte. Was ist denn los, wir haben doch immer über unsere Probleme gesprochen.

Komm, wir gehen mal nach draußen, und reden, ok?“

Dann setzte ich leise, dass nur er es versteht, hinzu: „Ich glaub nämlich, dass ich dich ganz dringend küssen muss!

„Das kannst du dir sparen! Geh doch raus und hol dir einennnngmf“

Er reißt meine Hand weg, mit der ich ihm schnell den Mund zuhalte.

„LASS DAS! DU WIRST MIR NICHT DEN MUND VERBIETEN, OLEG!“

Oleg? Hat Jakob eben wirklich Oleg gesagt?

„STOPP! ALLE SOFORT HIERHER, BILDET EINEN KREIS! EGAL, WAS IHR MACHT, KOMMT ALLE HER! DU AUCH, NILS!“

„Hey, was is denn los auf einmal?“ – „Ich denk, wir proben jetzt!“

Allgemeines, erstaunten Gemurmel.

„Jakob braucht unsere Hilfe!“

„Von mir aus brauchst du dich um mich nicht zu sorgen! Ich komm schon allein zurecht!“, stößt Jakob verbissen hervor.

„Erinnert ihr euch, was ich gesagt habe wegen der Gefühle auf der Bühne?

Unsere Umarmungen zum Ende jeder Probe sollten dabei helfen, alle negativen Gefühle hier abzulegen und nicht mit ins Private zu nehmen.

Leider habe ich nicht besonders gut darauf geachtet, ob das wirklich bei Jedem funktioniert!

Bei Jakob hat es nicht funktioniert. Und darum lasse ich jetzt die Probe hier enden, und wir kümmern uns erstmal um ihn!“

„FASS MICH NICHT AN!“

„Jakob, sieh mich an! Sieh mir in die Augen!“

„Ich habe gesagt, du sollt mich LOSLASSEN!

Verpiss dich, du schwummmmpf“

Erschrocken halte ich ihm wieder den Mund zu.

„Ok, so wird das nichts. Lasst uns bitte alle allein, ich muss mit Jakob unter vier, nein sechs Augen sprechen; Nils, bleib bitte“!

„Ja , sicher, ok“

Nils ist ganz aufgeregt.

Ich auch, aber ich bemühe mich, ruhig zu bleiben.

Nils II

Alle sind jetzt draußen!

Puh! Da haben wir aber Schwein gehabt, dass Nils ihm noch gerade den Mund zuhalten konnte!

Jakob scheint wirklich abgetickt zu sein.

Er sieht in Nils immer noch Oleg, und den hasst er wirklich, den blöden, engstirnigen, nicht ganz dichten, idiotischen …

„Nils, ich brauch deine Hilfe jetzt!“

Wir gehen etwas abseits und lassen Jakob, der wieder in seinem Sessel sitzt, nicht aus den Augen.

„Ok, was soll ich tun?“

„Red weiter mit Jakob, gegen Dich hat er nichts!“

„Aber gegen dich doch auch nicht, nur gegen Oleg!“

„Ja, ich wusste, dass du das erkennst.

Das Schlimme ist, dass er mich jetzt, in der Rolle, auch für Oleg hält.

Und ich muss mich jetzt zurückhalten, er akzeptiert nicht, dass ich ich bin.

Also, bitte, rede mit ihm.

Rede, wie du noch nie geredet hast!

Wenn wir das nicht schaffen, muss ich womöglich psychiatrische Hilfe holen!“

„Ja, ich tu was ich kann!

Hey, Jakob! Darf ich dich mal was fragen?“

„Ja, Nils, nur immer zu!”

Er blinzelt mir zu: Es klappt. Nur ruhig!

Ich nicke zurück: Machst das gut. Nur weiter!

„Ich glaube, dass mich Nils nicht leiden kann!“

„Wie kommst du denn auf den Blödsinn?“ fragt Jakob erstaunt, „Jetzt hör mal genau zu: Nils ist der beste Freund, den jemand haben kann, ok?

Auf den lass ich nichts kommen!

Und glaub ja nicht, dass ich zulasse, dass du ihn schlecht machst, verstanden?“

„Aber … aber … hast du nicht gesehen, wie er mich beiseite schiebt, wenn er dich reinkommen sieht?

Zu dir ist er ganz anders, als zu mir! Das ist dir doch auch aufgefallen!?! Sag schon, ist es?“

„Das ist was ganz anderes!

Wir lieben uns, das weißt du doch!

Aber mit dir haben wir eine andere Beziehung, Freundschaft eben. Und darum ist er zu dir anders, als zu mir!“

„Er hat mir aber gesagt, dass er nicht mehr sicher ist, ob du ihn noch liebst!

Auch, weil du dich so komisch benommen hast, eben.“ Er setzt leise hinzu: „Liebst du Nils denn überhaupt noch?“

„Ob ich ihn … Nils? Nils, wo bist du? Komm bitte sofort her, ich muss dir was Wichtiges sagen!“

„Ja, Jakob? Hier bin ich!“ kommt Nils herein.

Er war unbemerkt raus gegangen ist jetzt umgezogen.

Das Kostüm, das Olegs Kostüm ähnlich war, ist weg, und er hat wieder seine Privatklamotten an.

„Nils, komm bitte ganz nah. So ist es gut.

Was erzählst du denn für einen Blödsinn? Ich soll dich nicht mehr lieben?“

Ich gehe ganz leise raus.

Ich habe es geschafft.

Ich, der große Nils!

Der größte Nils, der hier auf der Bühne gestanden hat!

Nils

Jakob sieht mich mit seinen braunen Augen an, die jetzt in dem gedimmten Licht der Schweinwerfer fast schwarz wirken.

Der Ausdruck in seinen Augen ist keine Spur lauernd.

Aber ein ganz leises, entferntes Lächeln ist zu ahnen.

Und der Ausdruck von Sehnen, von Verlustangst, der ist deutlich.

„Ich liebe dich! Hörst du? Ich“. Kuss. „liebe“. Kuss. „dich.“ Kuss.

Eine ganze Zeit lang stehen wir beide, eng umschlungen, den Andern an sich drückend, und bestätigen einander: ich bin da. Ich bin für dich da. Komme, was wolle!

Eine LAST plumpst mir von der Seele.

Jakob hat mich wieder!

Und vor allem: Ich habe meinen Jakob wieder!

Nils

Der nächste Tag: Generalprobe!

Oleg ist wieder nicht da.

Kann er auch nicht; er hat sich beim Nachhause-Kommen vorgestern ein Bein gebrochen.

So muss ich nun seine Rolle spielen.

Jakob findet das ausgesprochen toll.

Gestern nach der abgebrochenen Hauptprobe habe ich noch mal alle zusammengeholt und mit ihnen noch n paar Übungen gemacht, Entspannung, Atemübungen, Vertrauensübungen, na ja, das Übliche halt.

Und dann noch mal diese Sache, bei der einer auf dem Stuhl sitzt und nicht reagieren darf, während der andere ihn übelst angeht.

Die meisten haben es nicht geschafft, ganz cool zu bleiben.

Vor Allem ist Jakob immer ins Lachen gekommen, was mich sehr beruhigt hat.

Diese schlimme Phase hat er wohl überwunden, und das erleichtert mich sehr.

Nur Nils, der kleine Recke, hat keine Miene verzogen, als ich ihn „behandelt“ habe.

Respekt!

Aber dann haben wir (wie auch alle anderen Paarungen vorher) die Plätze getauscht, und was dann abging, hätte ich mir nicht träumen lassen.

Nils hat mich dermaßen echt wirkend beschimpft, dass mir beinahe die Tränen kamen.

Was für ein Schauspieler-Talent!

Hinterher hat sich die Gruppe ausgiebig über das Gewesene unterhalten, und wir haben uns gegenseitig versichert, dass wir das keinesfalls noch mal zulassen und künftig besser auf einander achten werden.

Und nun heute die Premiere!

Jakob

Die Premiere heute war recht aufregend.

Zuerst ein Lampenfieber, wie ich es noch nie erlebt habe.

Aber nach den ersten Sätzen auf der Bühne, da war alle Nervosität wie weggeblasen.

Das Stück – Nils’ Stück! – kam einfach großartig an, die Probleme der jugendlichen Schwulen anzusprechen, war eine geniale Idee von Nils.

Dem Schulleiter, dem Nils nichts verraten hatte („Lassen Sie sich überraschen!“), fielen beinahe die Augen raus, als nach den ersten Szenen deutlich wurde, welches Thema sich Nils da ausgesucht hat.

Aber er musste gute Miene dazu machen, denn unter den Anwesenden in der ausverkauften Aula waren eine Menge Eltern (von Hetero-Kindern!), die durchweg mit ernster Miene diese Problematik diskutierten und so wahnsinnig viel Verständnis hatten.

Die möchte ich mal sehen, wenn ich mit ihren Söhnen was anfangen würde!

Na ja, und dann die große Szene, meine Szene mit Nils!

Dem liefen die Tränen runter, so hab ich noch nie jemanden auf der Bühne weinen sehen!

Am Schluss, beim Verbeugen, schniefte er immer noch und sah mich mit seinen rotgeränderten Augen von der Seite an: Toll gemacht, ich freu mich!

Nils

„Toll gemacht, Jakob! ich freu mich, dass aus Olegs Beinbruch nicht auch einer für uns wurde!“

„Weißt du, Nils, ich denke, dass Oleg das nicht so hätte spielen können!

So viel Gefühl hätte er nicht da reinbringen können, weil das echte Gefühle waren!!“

„Du hast ja Recht.

Aber nun: Mädels, lasst uns feiern! Premierenfeier!“

Ende

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