Stories
Stories, Gedichte und mehr
Quartett
Teil 37 - Schweben
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.
Informationen
- Story: Quartett
- Autor: ratte-rizzo
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction, Fantasy und Mystery
43. Schweben
„Lass mich, ich muss ...”
Mit seiner blutverschmierten linken und unkontrolliert auch mit seiner eingegipsten rechten Hand versuchte FX Eggsy von sich weg zu drücken, der jedoch seinen Lehrling sehr erfolgreich mit einer Hand am Kiefer festhielt. Eine unglaublich effektive Art, um jemanden erstens am Weglaufen zu hindern und ihn zweitens dazu zu bringen, bei dem folgenden Gespräch dem Gegenüber auch ins Gesicht zu schauen. Nur sehr widerwillig widmete FX Eggsy nun seine Aufmerksamkeit, auch wenn er der Meinung war, dass das gerade schlicht nur Zeitverschwendung war. In seinen Augen gab es in diesem Augenblick nur eine einzige Mission: Henne retten. Den armen Henne aus den Fängen Unbekannter zu befreien. Er konnte es nicht fassen. Schon wieder Henne. Ein weiteres Mal wurde er entführt, ein weiteres Mal hatten Fremde ihn in ihre Gewalt gebracht. Es blieb nur zu hoffen, dass sie ihm dieses Mal nicht erneut folterten und dass FX dieses Mal schneller war mit der Befreiungsaktion.
„Erst einmal musst Du Dich beruhigen! Das ist es, was Du musst.”
„Henne ist weg! Ich muss zurückspringen und ihn holen!”
„Erst einmal musst Du Dich beruhigen, damit Du klar denken kannst. Und zwar zwingend!”
Eggsy sah ihm direkt in die Augen und auch wenn seine Augen bei weitem nicht so spektakulär leuchten konnten, wie die von FX, ging von ihnen dennoch eine Bestimmtheit und Kraft aus, der sich selbst FX nicht widersetzen konnte. Es fühlte sich an, als blickte Eggsy direkt in seinen Kopf und fokussierte einen Punkt auf der Innenseite seines Schädels.
„Das ist der impulsive und unkontrollierte Felix! Mann, was für eine Enttäuschung. Ist denn alles verloren und vergessen, was ich Dir in all den Jahren beigebracht habe? Du warst so gut, Kleiner. Du warst einer der Besten. Nein, Du warst der Beste, definitiv. Du warst es. Aber jetzt gerade bist Du es nicht. Jetzt gerade bist Du nichts.”
Als sei es ein fauler Apfel, den er angewidert wegwerfen wollte, machte Eggsy eine wegwerfende Handbewegung mit der Hand, die FX gerade noch am Unterkiefer in die Zange genommen hatte. Durch die ruckartige Bewegung wirbelte FX’ Kopf zur Seite und FX sah betrübt zu Boden.
Ihm war jetzt klar geworden, dass er es anscheinend immer noch nicht verinnerlicht hatte: Innehalten, Denken, Handeln. Zumeist seiner Intuition folgend, führte er diese drei Schritte häufig rückwärts aus. Mit dem Ergebnis eines Misserfolgs. Immer wieder hatte Eggsy im eingebläut, dass man eben nicht blind drauflos laufen sollte, ohne einen Plan in der Tasche zu haben. Und im besten Falle noch einen Plan B oder gar C.
Nein, wann immer sich die Möglichkeit ergab, startete FX mit der größtmöglichen Kraft, die er besaß und war nicht selten der Elefant im Porzellanladen. Immer haute er mit der Faust auf den Tisch, auch wenn ein sensibles Vorgehen schneller, einfacher und unauffälliger wäre. Dennoch, der Erfolg gab ihm Recht, denn Eggsy hatte nicht übertrieben, als er sagte, dass er der Beste der Zweiundvierzig war.
Dazu kam noch die Tatsache, dass Eggsy ihn soeben bei seinem eigentlichen Namen genannt hatte. Ein Name, den er nur selten hörte, ließ er sich doch lieber FX nennen statt Felix. Und diesen Namen auch noch aus dem Munde seines Ziehvaters, Freundes und Lehrers zu hören, schmerzte gleich dreifach. Natürlich wusste FX, dass Eggsy definitiv Recht hatte, was die Sache für Ihn allerdings auch nicht einfacher machte. Eggsy hatte immer Recht. Zumindest meistens. So auch dieses Mal und FX hatte nach diesem kleinen Scharmützel erneut eine bittere Niederlage erlitten.
„Ich weiß, der durchgeknallte Punk hat Dir den Kopf gehörig verdreht. Und alleine das ist schon ein Grund, vorsichtig und mit Bedacht vorzugehen, damit ihm nichts passiert. Also, was hast Du vor? Was ist Dein Plan? Willst Du in der Zeit zurückspringen und ihn festhalten? Mir ist es egal, was Du wie machst. Aber hab einen Plan und bespreche ihn idealerweise mit jemandem, der auch nur einen Funken Ahnung davon hat. Du brauchst einen Sparringspartner. Mein Gefühl sagt mir, dass das diesmal nicht so trivial ist, wie seinerzeit in der Burg.”
In der Tat war es genau das, was FX vor hatte. Er fühlte sich von Eggsy ertappt. Anscheinend war er sehr einfach zu durchschauen. Allerdings kannte ihn sein Meister auch schon ein ganzes Leben lang. Ein Sprung zurück in der Zeit von nur wenigen Minuten war in der Regel sehr unkritisch und brachte das Raum-Zeit-Kontinuum kaum durcheinander. Und er als einer der Zweiundvierzig konnte ohnehin problemlos in der Zeit hin und her springen, ohne dass es Wellen oder Brüche erzeugte. Nichts anderes taten sie am Anfang und am Ende jeder ihrer Missionen: In die Zielzeit springen, Auftrag erledigen, zurückspringen. Nichts anders würde er nun auch tun: Zurückspringen, Henne retten und wieder ins Jetzt springen.
„Hervorragende Idee, Felix!”
Eggsy wusste, dass FX mittlerweile fertig überlegt hatte. Er erwartete auch keine Antwort, weil er wusste, dass FX wusste, dass er, Eggsy, Recht hatte. Daher fuhr er mit seinem Monolog fort, in dem er ständig den von FX abgelehnten richtigen Namen verwendete. Dafür hasste FX seinen Meister und wusste zugleich, dass es eben diese Szenen waren, die ihn am meisten lernen ließen. Lernen. Sein ganzes langes Leben bestand bisher aus Lernen und er war es leid, wollte er doch einfach mal leben, Spaß haben und mit Freunden das Hier und Jetzt genießen. Aber es blieb ihm verwehrt. Ein weiteres Mal.
„Wenn Du das tust, dann weißt Du immer noch nicht, wer Henne wirklich entführt hat. Dann weißt Du immer noch nicht, warum Henne entführt wurde. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis so etwas wieder passiert. Wenn Du gleich nur einen Moment nachgedacht hättest, wäre Dir aufgefallen, dass das Band zwischen Dir und Henne unterbrochen wurde. Das wiederum bedeutet, dass Dein Freund nicht von irgendwelchen Bandidos entführt wurde und auch nicht in irgendeinem Kofferraum liegt. Zumindest in keinem herkömmlichen. Du kennst Deinen Gegner noch nicht einmal. Und das ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für eine Rettungsmission!”
Langsam ging FX ein Licht auf. Natürlich hatte Eggsy Recht, aber das wollte FX nicht zugeben. Denn selbst wenn Henne wirklich normal entführt worden wäre, und selbst wenn er bewusstlos wäre, würde er, FX, nach wie vor etwas von seinem Freund spüren. Aber das war nicht der Fall. Es musste also jemand am Werk sein, der hier nicht hergehörte und entweder über Technologie oder über Macht verfügte, die eben an diesem Ort nicht zulässig war. Dies war im Gegensatz zu Hennes Entführung damals an der Uni kein normaler Fall. Hier hatte er es schon eher mit einem richtigen Einsatz zu tun, wie er ihn mit Eggsy oder Johannes schon so oft durchgeführt hatte.
„Danke, Pa...”
„Untersteh Dich!”
Eggsy hasste es, wenn FX das P-Wort benutzte. Dabei war er, fast solange FX denken konnte, wie ein Vater zu ihm, hatte er ihn doch nach dem Tod seiner Eltern zu sich aufgenommen, großgezogen und ausgebildet. Es gab wenig, was Eggsy nicht mochte, aber dass FX ihn Papa nannte, gehörte definitiv zu diesen Dingen. Dennoch rutschte es ihm ab und zu heraus, manchmal aus Versehen, in der Regel jedoch um Eggsy zu ärgern. Und so war es dieses Mal eine kleine Rache für die heute gerechtfertigte Maßregelung unter Nennung seines richtigen Namens.
„Und? Was ist nun Dein wirklicher Plan?”
Als hätte Eggsy bei FX einen Schalter umgelegt, sah dieser nun glasklar und war vollkommen fokussiert auf seine neue Mission. In seinem Gehirn ratterte es bereits und ein minutiöser Plan war schnell ausgearbeitet. Wenn FX wollte, dann konnte er unglaublich schnell und sehr präzise die Dinge tun, die zu tun waren. Nur wollte er es in der Regel schlichtweg nicht.
„Michel beherrscht die Präkognition. Erstaunlich gut sogar, für einen Normalo. Er weiß es noch nicht, aber er ist ein ungeschliffener, hochkarätiger Rohdiamant. Ich werde ihn zunächst fragen, was auf Hennes Zettel für die nächste Zeit steht. Michel ist, was uns Freunde angeht, extrem sensibel und hat unser Leben sehr deutlich auf dem Schirm. So hat er uns schon das Leben gerettet. Er ist mit Abstand der ideale Mensch, um in die bereits vergangene Zukunft von Henne zu schauen.”
„Donnerwetter. Präkognition. Das hatten wir schon lange nicht mehr! Das ist selten.”
„In der Tat. Ein seltener Schatz. Aber er ist noch weit entfernt vom Ende seiner Ausbildung. Du weißt, das ist nicht mein Spezialgebiet. Aber ich kann heute nicht so lange warten, weshalb ich ihn bitten werde, ihn als Medium nutzen zu dürfen.”
FX ärgerte sich gerade sehr, dass er Michel in der Vergangenheit nicht weiter trainiert hatte. Einem untrainierten Geist jetzt solch eine Mammutaufgabe zu stellen, war nicht besonders freundlich, das wusste FX selber. Aber auf der anderen Seite hatten sie bisher tatsächlich noch keine Zeit gehabt, irgendein Training zu starten. Außerdem hatte FX die beste Ausrede überhaupt, weil er beim Thema Präkognition selbst eine Niete und somit als Lehrer wohl eher ungeeignet war. Eine seiner wichtigsten Aufgaben für das neue Semester würde sein, Michels Training deutlich zu intensivieren. Aber das nützte ihm jetzt auch nichts, denn heute Abend musste er Michel schlichtweg benutzen, wenn auch mit dessen Erlaubnis. Trotzdem fühlte er sich jetzt schon mehr als mies dabei.
„FX, ich möchte Dir helfen!”
Emil hatte er total vergessen. Wie peinlich! Hatte er sich doch gut und intensiv mit ihm den halben Abend unterhalten und war Emil quasi der Überraschungsgast dieser bis dato grandiosen Party. Doch als das Band zu Henne plötzlich gerissen war, hatte FX Emil komplett aus seinen Gedanken gestrichen und seinen Fokus ausschließlich auf Henne gerichtet.
Fragend musterte FX seinen Nachbarn. Er war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, dass Emil ihn bei der Suche nach Henne helfen sollte. Er kannte ihn nicht. Wusste nicht, wer er war. Wusste nicht, was er konnte. Und vor allem wusste FX nicht, was Emil wirklich im Schilde führte! Er konnte überhaupt nicht einschätzen, ob das Hilfsangebot von Emil aufrichtig war, ob er tatsächlich helfen wollte. Am Ende, so befürchtete er, könnte Emil ihn sogar in eine Falle locken und vielleicht auch hinter dieser ganzen Entführungs-Geschichte stecken. Er hatte keine Ahnung, über welche Fähigkeiten Emil verfügte, möglicherweise hatten diese Fähigkeiten ja die Verbindung zwischen ihm und Hennes gekappt. FX war sich unsicher.
Eines war klar: Emil war ein Schattenjäger. Er wusste also vermutlich, wie man kämpfte. Und demnach kannte er sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit Geschöpfen aus, die FX eher nie zu Gesicht bekam. Da gab es also durchaus einen gewissen Nutzen, den er an Emil haben könnte.
Andererseits hatte er das Protokoll nicht gelesen, wusste daher nicht, warum die Zweiundvierzig und die Schattenjäger auseinander gegangen waren, die sich offensichtlich irgendwann einmal gekannt hatten. Es musste ja schließlich einen Grund dafür geben, dass sie nicht weiter Hand in Hand arbeiteten, obwohl sie anscheinend ähnliche Ziele hatten.
FX hatte Emils goldene Augen fest im Blick und versuchte, in ihnen zu lesen. Er traute sich nicht, in die Gedanken seines Gegenübers einzutauchen, weil er nicht wusste, ob dieser das bemerken oder gar manipulieren würde. Er wollte das zur Zeit gute Verhältnis zu ihn in keiner Weise gefährden. Dennoch würde er zu gerne wissen, was dieses goldgelbe Leuchten in seinen Augen alles verbarg und er war sich sicher, dass es eine Menge zu verbergen gab.
Hinter Emil erkannte er Eggsy. Ohne seine Augen auch nur eine Kleinigkeit zu bewegen, fokussierte sich FX nun auf Eggsy und forderte im Geiste dessen Meinung an. Ohne jegliche Verzögerung und aus Eggsys tiefsten Herzen kam ein sehr spontanes, aber für außenstehende unmerkliches Nicken. So schnell und intuitiv antwortete Eggsy für gewöhnlich nicht auf solch schwerwiegende Fragen. Aber wenn seine Reaktion so schnell kam, war er sich seiner Sache sehr sicher. Innerlich entspannte sich FX etwas, ohne dass Emil oder gar andere irgendetwas davon mitbekommen hätten.
„Du gibst nach wie vor den Ton an. Es ist Deine Mission, Dein Freund, den wir retten. Ich decke Dir aber immer und zu jeder Zeit den Rücken. Du kannst Dich uneingeschränkt auf mich verlassen.”
Als hätte Emil die Unsicherheit von FX’ Stirn abgelesen, bekräftigte er noch einmal sein Angebot und übergab die Führung ganz klar an ihn. Das ließ FX nicht gerade entspannter werden. Und Emil war ganz zweifellos ein mächtiger Mensch und solche Menschen geben normalerweise nicht irgendwelche Autoritäten ab. Und dazu kam noch, dass FX es gar nicht mochte, wenn andere Menschen seine Gedanken oder Empfindungen auch nur erahnten. Daher hatte er sich im Laufe der Zeit eine sehr effektive Schutzmauer aufgebaut, die nicht einmal Eggsy zu durchdringen vermochte, wenn er, FX, es nicht zuließ. Entweder hatte Emil einfach nur gepokert und gut geraten, oder aber er hatte doch noch unbekannte Löcher in seinem Verteidigungswall.
„Wir treffen uns gleich auf der Rückseite der Bühne. Ich bringe Michel mit. Du kommst alleine.”
FX vermied es explizit, auch nur ein ‚okay’ oder eine andere Form der Zusage Gegenüber Emil zu äußern. Er wollte sich alle möglichen Optionen nach wie vor offen halten. Wortlos stand er auf und ließ Emil alleine am Tresen zurück. FX wusste nicht, ob Emil wusste, dass die Bühne mitten im Wasser stand und dass es keinen Steg oder ähnliches dorthin gab. Es war ihm auch ein Stück weit egal. Er sah es als erste Prüfung für Emil an und als kleinen Beweis für sein weiteres Können.
Michel war trotz der tanzenden Masse schnell gefunden, hatte er sich am Ufer doch mit einer Truppe weiß gekleideter Menschen zum Tanzen getroffen. Mit einem tiefen Zungenkuss löste FX seinen Freund aus der tanzenden Masse und unter diesem falschen Vorwand folgte ihm Michel mehr als willig. FX fasste ihn an der Hand und so gingen sie zu zweit über das Wasser und näherten sich von hinten der Bühne, die dort genug Platz für eine Hand voll Menschen bot. Außerdem war dort die Musik deutlich leiser, als am Strand.
„Cool, dieses Plätzchen ist ja noch viel geiler zum Rummachen, als drüben bei den Felsen. Und als kleines Sahnehäubchen durfte ich mit Dir übers Wasser gehen. Wenn das heute kein Glückstag ist, dann weiß ich es auch nicht.”
Ein Lächeln huschte über Michels Lippen, war er doch voller Hoffnung, dass der erste Kuss nur einer von vielen sein würde, die er hier gleich bekommen sollte. Die mehr als erregende Show neulich Zuhause von Ben und FX war ihm nach wie vor noch sehr präsent vor Augen und er hatte gerade Lust auf mehr. Noch dazu an so einem aufregenden Ort hier im Urlaub.
„Und habe ich den ersten Test bestanden?”
Emil tauchte am anderen Ende der Bühne auf und näherte sich den beiden. Demonstrativ deutete er auf seine nach wie vor trockene Kleidung. Offensichtlich war er, wie auch immer, trockenen Fußes vom Strand auf die schwimmende Bühne gekommen. Anerkennend nickte FX kurz und überlegte, wie Emil das wohl bewerkstelligt haben konnte. Jedoch kam er schnell zu dem Schluss, dass die Lösung dieser Frage gerade eine sehr geringe Priorität hatte.
„Oh, ein Dreier?”
Michel kratzte sich irritiert am Kopf.
„Michel, pass auf, es ist kompliziert.”
FX’ Stimme klang sehr ernst und Michel war sofort klar, dass weder sie beide noch gar alle Drei an diesem Abend Sex haben werden. Es war anscheinend etwas schlimmes vorgefallen. Sofort war er hellwach und seine Partylaune war verflogen.
„Ich brauche Deine Erlaubnis für Zweierlei.”
„FX, Du weißt, dass Du mein volles Vertrauen genießt. Warum fragst Du also?”
„Weil ich erstens Deine präkognitiven Fähigkeiten brauche. Und zwar so stark, wie Du es allein nicht kannst. Oder noch nicht kannst. Aber ich kann Dich und Deine Fähigkeiten benutzen. Dafür brauche ich aber Deine Erlaubnis, denn alles andere gehört sich einfach nicht.”
Bei dem Wort ‚benutzen’ lief es Michel abwechselnd heiß und kalt den Rücken hinunter. Zu tiefst bedauerte er gerade, dass sie jetzt keinen Sex haben würden. Wie gerne würde er sich jetzt FX und Emil hingeben. Aber so schnell, wie dieser Gedanke gerade in seinen Kopf geschossen kam, war er auch schon wieder verschwunden.
„Und zweiten bitte ich Dich, dass ich danach die letzten Minuten aus Deinem Gedächtnis löschen darf. Ich werde Dir später alles erklären, aber ich möchte Dir diesen wundervollen Abend nicht versauen, weshalb ich Dir hinterher alles erzählen werde. Ehrenwort. Also löschen ist auch das falsche Wort. Es ist eher verstecken. Ich geb Dir die Erinnerungen morgen wieder zurück.”
Die heißen Schauer auf Michels Rücken erstarben und es blieb der kalte Schauer. Michel war sich nicht sicher, ob er FX gerade richtig verstanden hatte. Irgendwie war ihm der Begriff ‚Erinnerung löschen’ im Kopf geblieben, obwohl sein Freund das gleich wieder relativiert hatte. Spontan und ungewollt startete ein Kopfkino in ihm. Plötzlich stieg eine Angst in ihm auf, dass FX das schon öfter getan haben könnte, nur ohne ihn wie heute um Erlaubnis zu bitten. Und gleich im Anschluss kam der Gedanke, wie oft FX das schon gemacht haben könnte und er sich nicht daran zu erinnern vermochte.
„Glaub mir, Michel, ich würde nicht fragen, wenn ich es jemals vorher bei Dir oder den anderen Beiden getan hätte. Ich mache so etwas nicht einfach so aus Spaß.”
Er musste sich sehr zusammenreißen, um nicht schuldbewusst zu Emil zu blicken, hatte er ihn doch einen Teil seiner Erinnerungen beraubt, als Ben damals mehr oder weniger unkontrolliert auf der Semesterparty durch die Wand gegangen war und Emil es im Augenwinkel beobachtet hatte. Doch das war damals Teil einer kleinen Bereinigungsaktion für eine unerlaubte Tätigkeit und durch seinen generellen Auftrag absolut gedeckt, das Raumzeit-Kontinuum vor Verwerfungen zu schützen. Außerdem hatte er diese Erinnerungen ja auch wieder freigegeben, nachdem er mit Emil ausführlich über dieses Thema gesprochen hatte. Dieses Kapitel zwischen ihnen war also besprochen und schon seit längerem geschlossen. Dennoch hatte es einen leicht faden Nachgeschmack für FX, denn so etwas tut man nicht bei Freunden.
„Okay, FX. Zwei Mal Ja.”
Michel versuchte ganz entspannt zu wirken, was ihm nur mäßig gelang. Ihm war gerade klar geworden, dass er FX gerade einen sehr mächtigen Persilschein ausgestellt hatte, dessen Auswirkungen er zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht so genau absehen konnte.
„Ich stehe nach wie vor dazu. Ich schlage Dir keine Deiner beiden Bitten aus. Werde ich mich irgendwann später wieder dran erinnern können? Und: Worum geht's eigentlich?”
„Ja, wenn alles vorbei ist, gebe ich Dir Deine Erinnerungen wieder frei. Versprochen. Wie gesagt, ich möchte nur, dass Du heute einen geilen Abend hast. Henne ist weg.”
„Schon wieder?”
„Ja, schon wieder. Aber diesmal vermutlich nicht von normalen Honks von der Uni.”
„Wie? Schon wieder?”
Jetzt war es Emil, dessen Blicke irritiert zwischen seinen beiden Gegenübern hin und her wanderten.
„Emil, muss das jetzt sein? Es war Nico und seine Bande. Der Nico, der jetzt Assi ist, weil er zu blöd für das Studium war. Der hat Henne damals entführt und gefoltert.”
„Genau, ich denke, wir sollten keine Zeit verlieren. Damals musste Henne schon lang genug leiden.”
„Wie sanft hättest Du es gern, Michel?”
FX hob fragend eine Augenbraue, wollte er doch so viel Rücksicht auf seinen Freund nehmen, wie es irgendwie möglich war. Seiner Erfahrung nach reagierten Menschen grundsätzlich sehr unterschiedlich auf solche geistigen Penetrationen und so ganz ungefährlich war es auch nicht. Daher sollte Michel das Tempo vorgeben, nicht er.
„So sanft, wie diese Faust Dir gleich in die Magenkuhle schlagen kann, wenn Du nicht sofort anfängst! Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren, es geht schließlich um Henne! Für Henne und jeden anderen von uns bin ich bereit, alles zu ertragen, war irgendwie nötig ist.”
Michel in seinem hautengen weißen Hemd, was ohnehin jeden seiner Muskel durchscheinen ließ, spannte seinen rechten Oberarm an und der harte Bizeps ließ den Stoff aufplatzen, wie eine Bockwurst im heißen Wasser.
Das wiederum ließ sich FX nicht zweimal sagen. Er hätte nicht erwartet, dass er ein dermaßen freizügiges Prokura von seinem Freund erhalten würde, aber Michel hatte den Ernst der Lage erkannt.
Das ‘tschuldige’, was FX noch hauchte, hörte Michel schon nicht mehr, denn zeitgleich traf ihn FX’ Handballen mittig auf die Stirn. Es tat nicht weh, obwohl die Wucht enorm war, mit der FX gerade zugeschlagen hatte. Auch bewegte sich Michel nicht einen Millimeter.
Entschuldige, Michel.
Die zweite Entschuldigung hörte Michel sehr wohl – im Inneren seines Kopfes, genau zwischen seinen Ohren. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl, die Stimme seines Freundes direkt im Inneren seines Kopfes zu hören oder besser gesagt zu spüren. Er wusste nicht, ob er jetzt in Panik verfallen sollte. Er wusste gar nichts mehr, war nur noch verwirrt. Und dann merkte er nur noch, wie sein Geist beiseite gedrängt und in die hinterste Ecke seines Kopfes platziert wurde.
Dennoch hatte Michel von seinem Platz in den hinteren Rängen seines eigenen Kopfes aus die beste Aussicht auf das, was FX gerade in ihm selbst tat. Jedoch war er verdammt dazu, Zuschauer eines Geschehens in seinem eigenen Kopf zu sein, ohne die geringste Möglichkeit zu haben, das Geschehen zu beeinflussen.
Und so gab es eine Demonstration, wie man bestmöglich in die Zukunft schauen kann. Gleichzeitig fiel ihm ein, dass er sich daran aber gleich nicht mehr erinnern würde. Trotzdem verfolgte er jede noch so kleine Bewegung seines Besatzers in der Hoffnung, dass er diese Erinnerung später wieder von FX zurück gegeben bekam.
FX begann, sich auf Henne zu konzentrieren. Besser gesagt leitete er Michels Gedanken in eben diese Richtung. Er begann mit einem Blick in die jüngste Vergangenheit.
Er hatte sich einen etwas verrückt klingenden Plan ausgedacht, der aber funktionieren müsste. Theoretisch zumindest, denn er hatte so etwas noch nie zuvor getan. Zunächst wollte er in Michels Gedanken etwas in die Vergangenheit reisen zu dem Zeitpunkt, als er Henne das letzte Mal gesehen hatte. Diese Vorbereitung hatte zunächst nichts mit Präkognition zu tun, sondern war einfach nur herumstöbern in anderer Leute Gedanken. Erst der nächste Schritt sollte dann wiederum der Zeitleiste entlang vorwärts führen: Von diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit, dem letzten bekannten Punkt aus wollte FX dann mit Hilfe der präkognitiven Fähigkeiten seines Freundes in Hennes Zukunft schauen. Dieser Teil lag natürlich auch in der Vergangenheit, aber vom Startpunkt aus war es dennoch ein Schritt in die Zukunft. Und da hoffte FX dann zu sehen, was Henne geschehen würde beziehungsweise was ihm geschehen war.
Wie oft hast Du ihm denn in drei Minuten in den Schritt geschaut?
FX Stimme würde im Normalfall schon sehr anklagend klingen. Sie in seinem Kopf zu hören, machte es für Michel definitiv nicht besser. Ja, es war ihm peinlich, dass er dem kleinen Punk so auffallend in den Schritt geschaut hatte. Wobei es gar nicht auffällig war, wie ihm kurz darauf einfiel. Es war nur auffällig, weil FX gerade unerhörterweise in seinem Kopf herumstöberte. Aber was soll's, er fand diesen kleinen Punk einfach so süß und knuffig.
Jetzt hatte FX Gewissheit, dass er Michels Gedanken ausreichend auf Henne konzentriert hatte. Daher wand er nun den Blick seines Freundes nach vorne, von jenem Zeitpunkt in der Vergangenheit aus in Hennes Zukunft, indem er die Fähigkeiten der Präkognition nutzte. Da sie als Freunde ohnehin emotional tief miteinander verbunden waren, würde dieser Blick in die Zukunft nicht nur eine Wahrscheinlichkeit einer möglichen Handlung sein, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch das beschreiben, was passieren würde. Da FX ja gedanklich in die Vergangenheit gereist war, würde es das Geschehen erneut abbilden. Hoffentlich.
Henne war nicht auf der Tanzfläche gewesen. Er hatte sich ein Bier geholt und am Rande der tosenden Masse die Menschen beobachtet. Und plötzlich stand ein Typ neben ihm. Ein durchschnittlicher Typ. Vermutlich ein einheimischer Spanier, zumindest dem Aussehen nach. Faszinierend jedoch war seine Stimme: Sie war vollkommen akzentfrei, also war er wohl doch kein Lokaler, aber dieser besänftigende Klang wickelte Henne sofort um den Finger. Die beiden unterhielten sich kurz und Hennes schmolz quasi dahin, denn schon bald fingen sie an zu knutschen. Sie zogen weiter zu den Felsen und im Schatten derer knutschten sie weiter. Und sie knutschten und knutschten und knutschten.
Das ergab keinen Sinn.
FX hatte sich in Michels Erinnerungen einen realen Startpunkt ausgesucht. Der Moment, an dem Michel in Hennes Schritt geschaut hatte. Von diesem Punkt in der Vergangenheit nutzte er Michels Fähigkeiten der Präkognition um von dort aus in die Zukunft zu schauen. Was er sah, deckte sich, soweit er es erlebt hatte, mit der näheren Vergangenheit. FX konnte also davon ausgehen, dass er mit Michels Fähigkeiten korrekt in die Zukunft blicken konnte. Es musste also stimmen, was er gerade gesehen hatte.
Dennoch ergab es keinen Sinn, was er gerade sah. Mittlerweile hatte er durch Michel schon sehr weit in die Zukunft geblickt und die beiden knutschten immer noch im Dunkeln zwischen den Felsen. FX war sich jedoch sicher, dass er mittlerweile mehrere Tage in die Zukunft von Henne geblickt hatte und die beiden immer noch am Knutschen waren. Erfreut stellte er fest, dass Michel zumindest theoretisch in der Lage war, ziemlich weit voraus schauen zu können. Das erfreute ihn sehr, war das doch eine exzellente und vor allem seltene Fähigkeit. Dennoch war er ob des Ergebnisses sehr verwirrt. Es konnte definitiv nicht richtig sein. Das brachte ihn also nicht weiter.
Danke!
Mit einem Hauch hinterließ FX das Wort in Michels Geist. Ein Wort, ganz sanft ausgesprochen und begleitet von einer Fülle von Emotionen, die ihm einen wohligen Schauer der Erregung über den Rücken laufen ließen.
Autsch!
FX hatte total vergessen, dass Michel mit einer Erektion dank seines Käfigs eher schlecht umgehen konnte, dies aber im Normalfall ziemlich gut im Griff hatte. Natürlich war er auf einen derart intimen Schwall nicht eingestellt und litt gerade sehr darunter.
Tschuldige, ich vergaß.
FX verließ den Kopf seines Freundes.
„Du bekommst sie wieder zurück, versprochen. Später gebe ich Dir Deine Erinnerungen wieder frei.”
FX blickte ihm noch einmal kurz in die Augen und berührte dann mit einem Finger Michels Nacken. Das nächste, an das dieser sich erinnern konnte war der letzte Titel auf der Tanzfläche und das nun sein Lieblingslied lief. FX hatte wie angekündigt Teile seiner Erinnerungen versteckt und ihn danach zurück auf die Tanzfläche teleportiert. Michel sollte heute einen wundervollen Abend auf der Party haben und sich keine Sorgen um Henne machen.
„FX, Du siehst nicht sehr glücklich aus.”
Emil hatte das Geschehen sehr aufmerksam verfolgt, musste jedoch feststellen, dass es nicht viel zu gucken gab. Dennoch war er sensibel genug, dass er auch aus den kleinsten Regungen von FX eine Menge Informationen herauslesen konnte.
Neben dem Muskelspiel von Michel und der verdammt schnellen Reaktion von FX, wie er seinen Handballen an die Stirn von Michel ansetzte, passierte rein äußerlich nichts weiter. Aber alleine schon diese geschmeidig aber blitzschnelle Bewegung von FX verriet Emil sehr viel über seinem Gegenüber. Denn dieser Schlag gegen die Stirn war kein Schlag, auch wenn er so aussah. Er war blitzschnell aber ebenso exakt. Michels Kopf hat sich bei der Berührung überhaupt nicht bewegt, was im Umkehrschluss bedeutete, dass FX die Position seiner Hand sehr genau bestimmt hatte und sie exakt dort zur Ruhe kam, wo die Stirn war. So ein Schlag verlangte viele Jahre an Übung und Körperbeherrschung.
Doch nun stand FX die Frustration mitten auf die Stirn geschrieben. Dazu brauchte es keine besondere Achtsamkeit, das konnte jeder selbst bei dem hiesigen Schummerlicht erkennen.
„Nein, da war nichts. Er hat einen spanisch aussehenden Typen kennengelernt und dann mit ihm drüben an den Felsen das Knutschen angefangen. Mehr gabs nicht. Der Rest ergab keinen Sinn. Das ist alles, was wir gerade wissen. Das ist quasi nichts.”
„Ich gehe sehr davon aus, dass Du ihn wiedererkennen würdest. Also, lass uns nachschauen!”
Erwartungsvoll streckte Emil FX die Hand aus.
„Es ist wohl kaum der richtige Augenblick, um Händchen haltend hier durch die Massen zu ziehen, oder?”
„FX, manchmal erschreckst Du mich. Ich hätte Dich für professioneller gehalten. Auch und gerade in solchen Situationen. Ich glaube, der Eggsy hat sooo recht. Was ist los mit Dir? Du hast Henne sehr gern, oder?”
Der Kloß in seinem Hals wuchs viel zu schnell, als dass FX ihn erfolgreich hätte herunterschlucken können. Dadurch, dass Emil das Offensichtliche so direkt ansprach, wurde es auch nicht besser. Ja, er mochte Henne. Sehr sogar. Er mochte jeden seine drei Freunde. Er liebte sie alle drei. Und bei keinem der Drei würde es ihm leichter fallen, als jetzt bei Henne. Es war, als hätte man ihm gerade ein Körperteil geraubt. Er fühlte sich schlichtweg nicht komplett. Etwas fehlte. Etwas in ihm fehlte. Und genau das war es, was ihm jetzt gerade jeden klaren Gedanken vernebelte.
„Pass mal auf, FX. Ich hab nicht viel Ahnung von Euch Vieren, aber eines weiß ich: Ihr gehört zusammen. Nicht irgendwelche Zwei von Euch, wie in der Uni an jeder Ecke gemunkelt wird. Ihr seid keine zwei Pärchen oder so. Nein, Ihr gehört alle vier zusammen. Ihr seid keine wechselnden Paare, habt keine Fluide Beziehung. Ihr seid ein Quartett. Punkt. Aus. Und ich werde Dir helfen, Henne wieder zu holen. Das verspreche ich Dir!”
Emil ergriff die Hand seines Gegenübers und führte sie vorsichtig an seinen freien Oberkörper. Langsam wachte FX aus seiner Verzweiflung wieder auf und starrte auf diese durchtrainierte Brust, zu der sich seine Hand langsam näherte. Die fast kreideweiße Haut mit den unzähligen pechschwarzen Runen drauf bildete einen unbeschreiblichen Kontrast. Es waren große Symbole, die man selbst mit zwei Händen nicht abdecken konnte. Und es waren winzige Zeichnungen dazwischen. Filigran und zart. Sie waren scheinbar wild angeordnet und folgten keinem erkennbaren Schema. Sie waren mehr oder weniger gleichmäßig auf Emils Oberkörper und Armen verteilt. Vermutlich selbst auf seinem Rücken.
Solch eine winzig kleine Rune entdeckte FX direkt neben Emils linker Brustwarze: Ein Pfeil mit einer doppelten Spitze nach oben zeigend. An einer Flanke der unteren Pfeilspitze war ein Strich nach unten angehängt, so dass es auch ein bisschen wie ein kleines h aussah. FX Blick blieb irgendwie an diesem kleinen verschnörkelten Buchstaben hängen. Warum auch immer erregte er seine Aufmerksamkeit.
„Die Rune der Hoffnung. Berühr sie. Es wird Dir diesmal bestimmt nichts passieren.”
Noch immer hielt Emil die Hand wenige Zentimeter vor seiner Brust fest. Nun ließ er sie los. Den verbleibenden kurzen Weg musste er offensichtlich alleine zurücklegen. FX hielt inne. Anders als erwartet, strahlte der Körper von Emil eine Kälte aus. Er schien eiskalt zu sein. Etwas zögerlich und mit großem Respekt berührte FX die Rune mit zwei Fingern.
Durch seine zusammengepressten Zähne zog Emil hörbar Luft ein. Er hatte seine Augen fest zusammengekniffen und kontrollierte bestmöglich den Schmerz, den er gerade in seiner linken Brust spürte. Er kannte diesen Schmerz. Es war genau der selbe Schmerz, den er erfuhr, als Paul ihm die Rune auf die Brust gezeichnet hatte. Das Zeichnen einer Rune in die Haut war immer von heftigen Schmerzen geprägt, egal an welcher Stelle des Körpers man sie aufbrachte. Aber noch nie hatte er den Schmerz einer Rune ein zweites Mal gespürt.
Erschrocken wollte FX seine Finger zurückziehen, doch Emil war schneller und ergriff seine Hand, fest hielt er sie in dieser Position. Emil wusste genau, wie lange es brauchte, diese Rune zu zeichnen. Er wusste es von all seinen Runen auf seinem Körper. Er wusste, dass es gleich vollbracht war. Leider wusste er auch, dass der Schmerz um seinen verlorenen Bruder wieder auftauchen würde. In seinem Inneren hoffte er, dass die Rune dieses Mal mehr Kraft besaß, als zuvor.
„Ich wollte Dir nicht wehtun, Emil.”
Nachdem sich Emils Gesichtszüge wieder entspannt hatten und er FX’ Hand losgelassen hatte, traute sich FX wieder etwas zu sagen.
„Das hast Du aber. Und diesmal ohne Ankündigung.”
Kurz flackerte die Erinnerung an die extrem schmerzhafte Heilung seiner Allergie in ihm auf, bevor er weiter sprach.
„Ich wusste allerdings auch nicht, dass Du solch eine Kraft hast. Eigentlich ist nur das erste Aufbringen einer Rune mit dem Schmerz verbunden. Deswegen war ich selber überrascht, dass ich exakt den selben Schmerz gerade ein zweites Mal spüren musste. Das gab es noch nie. Vielleicht war es auch etwas anderes, aber genau so fühlte es sich gerade an.”
Verlegen betrachtete FX seine Fingerspitzen und rieb sie aneinander. Diese Schattenjäger waren anscheinend ein ganz spezielles Volk. Und auch die Zweiundvierzig waren es. Die Kombination aus beiden verhieß spannendes.
„Können wir jetzt endlich los?”
Erneut hielt Emil FX seine Hand entgegen und wartete darauf, dass dieser sie ergriff.
„Du willst Dich also wirklich Hand in Hand unters Partyvolk mischen?”
„Nein, ganz im Gegenteil! Ich wollte eigentlich mit Dir darüber hinweg fliegen! Irgendwie müssen wir ja von dieser schwimmenden Bühne herunter kommen, wenn wir Henne retten wollen, oder?”
Wieso hatte er nicht eher dran gedacht? Jetzt fiel es FX wie Schuppen von den Augen. Natürlich hatte man von oben einen viel besseren Blick auf das ganze Geschehen der Party und trotzdem konnte man problemlos die einzelnen Gesichter erkennen. FX ärgerte sich sehr, dass er nicht selbst auf diese naheliegende Idee gekommen war, ein Mal die ganze Szenerie von oben anzuschauen.
„Schattenjäger beherrschen Levitation?”
FX war ein Stück weit enttäuscht von sich selbst, dass er an das Fliegen nicht gedacht hatte. Gleichzeitig verspürte er eine große Dankbarkeit Emil gegenüber, der mit seinem klaren Kopf so sinnvolle Entscheidungen traf. Die Tatsache an sich, dass Emil fliegen oder besser gesagt schweben konnte, irritierte ihn hingegen kaum. Es war vielmehr ein weiteres Puzzleteil des unvollständigen Bildes der Schatten-Jäger.
„Nicht alle, aber die meisten.” Emil ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. „Könnt Ihr das auch?”
„Nicht alle, aber die meisten.” FX musste lachen. „Allerdings ist es bei uns keine wirkliche Levitation. Wir haben einfach nur, sagen wir mal, eine gute Absprache mit dem Universum gemacht.”
„Na dann. Darf ich Dich auf einen richtigen Rundflug einladen? Nicht einen nach Absprache? Also höchstens nach Absprache mit mir.”
Diesmal war es FX, der Emils Hand ergriff. Hatte er doch noch nie das Vergnügen gehabt, die Schwerkraft einfach so zu ignorieren. Seine Kollegen und er waren dabei immer auf das Wohlwollen des Universums angewiesen. Nicht, dass es jemals Streitigkeiten deswegen gegeben hätte der Gravitation zu entwischen, dennoch war es diesmal komplett anders.
Bisher hatte FX, und das wurde ihm von Eggsy und Johannes bestätigt, immer das Gefühl, vom Universum geduldet zu sein, wenn er die Schwerkraft ignorierte und in die Luft aufstieg. Wohl wissend, dass sie damit dem Universum Gutes taten, wurde ihre Fliegerei stets vom Universum wohlwollend akzeptiert. Dennoch hatte FX immer die latente Sorge, dass sich das Universum diesbezüglich einmal anders entscheiden würde und er im günstigsten Falle nicht abheben und im schlimmsten Falle der Erde sehr schnell sehr nahe kommen würde.
Jetzt aber, an der Hand von Emil, der seine Levitationskräfte bei Körperkontakt auf ihn übertrug, war dieses Gefühl nicht da. Und es lag nicht daran, dass er nichts tun musste, und den Flug einfach genießen konnte. Nein, es war so, als wenn Emil die unwiderrufliche Erlaubnis hätte, der Schwerkraft zu trotzen und sich in die Luft erheben konnte, wann immer er es wollte.
„Nett!”
„Es ist also anders?”
„Oh ja, definitiv ist es das! Bei mir ist es so, als stünde am Zaun der Kirschbaum des Nachbarn und er versichert mir jedes Jahr aufs Neue, dass ich gerne alles pflücken darf, was über den Zaun hängt. Und trotzdem kommt man sich doch jedes Mal wie ein kleiner Dieb vor. Mit Dir ist es im Gegensatz so, als hätte man den Baum mitten im eigenen Garten stehen und selbstverständlich darf man zu jeder Zeit eine Kirsche essen.”
„Klingt schon etwas komisch, Dein Vergleich, findest Du nicht?”
Mit seiner freien Hand wedelte Emil vor seinem Gesicht um FX zu signalisieren, dass er nicht ganz bei Sinnen sei.
„Ach halt die Fresse!” Er musste grinsen, war es doch absolut freundschaftlich gemeint. “Bring uns lieber über die tanzenden Tunten. Ich will den Typen finden, der Henne entführt hat.”
Das flackernde Licht von Johannes’ Bühne machte es nicht einfacher, die einzelnen Gesichter zu erkennen. Entweder hatten sich die Menschen mit dem Rücken zu ihnen gedreht, oder aber das Licht leuchtete in die falsche Richtung. Dazu kam, dass FX nicht alleine navigieren konnte, sondern seine Wünsche immer an Emil weitergeben musste. Er war kurz davor, dessen Hand loszulassen und selber zu fliegen, damit er die einzelnen Personen auf der Tanzfläche schneller und gezielter anfliegen konnte. Allerdings wollte er Emil nun auch nicht vor den Kopf stoßen, der es sichtlich genoss, dass er FX etwas komplett anderes zeigen konnte.
Doch dann kam ihm die rettende Idee. Er gab Emil zu verstehen, hoch hinaus zu steigen, so dass sie den gesamten Strand und damit alle Menschen auf ein Mal im Blick hatten. Aus großer Höhe konnte man selbst den Bereich der Nischen in den Felsen erkennen, in die sich diverse junge Menschen zurückgezogen hatten. Kurz, von diesem hohen Schwebepunkt aus hatten sie den optimalen Überblick über die wirklich gesamte Party.
Wenn, ja wenn es denn hell genug wäre.
Und da kam Johannes ins Spiel. FX schickte seinem Ex-Freund eine kurze Botschaft mit der Bitte, eine halbe Sekunde lang alle Lichter die er zur Verfügung hatte, gleichzeitig einzuschalten. FX wollte einen Mega-Blitz, der den Strand kurzfristig maximal erhellte. Natürlich war ihm klar, dass er seinen Wunsch nicht sofort erfüllt bekommen würde. Aber er wusste auch, dass Johannes seine Musik so genau kannte, dass er den passenden Titel für den Blitz gleich als nächstes spielen würde.
Maximal drei Minuten, einen Musiktitel lang, würden sie warten müssen, bis Johannes die gesamte Szenerie unten in gleißend helles Licht tauchen würde. Drei Minuten, die eine Ewigkeit dauern konnten. Zweifel stiegen in FX auf. Das Warten in der freien Luft ließ seine Gedanken kreisen. Er war sich auf ein Mal nicht mehr sicher, ob er gerade wirklich das richtige tat. Es machte schon einen skurrilen Eindruck, zig Meter in luftiger Höhe zu schweben, Hand in Hand mit einem halbwegs fremden Menschen, während der eigene Freund gerade entführt worden war.
FX musste zugeben, dass dieser Typ mehr als attraktiv war. Alleine vom Äußeren her machte er ihn total an. Aber es war besonders das Geheimnisvolle und Unbekannte, was ihn wie eine dichte Wolke umgab, die sich nur selten hier und dort mal lüftete. So in etwa mussten sich seine eigenen Freunde fühlen, wenn er, FX, mal wieder sehr vage Andeutungen machte.
Auf der anderen Seite war gerade ein Freund gekidnappt worden und er hatte vor eben diesem Typen einen Weinkrampf nur mit Mühe unterbinden können. Es erschien ihm gerade selber sehr eigenartig, über die Attraktivität eines völlig fremden Menschen in dieser Situation zu sinnieren.
Die Musik unterbrach seine Gedanken. Instinktiv wusste er, dass es nur noch wenige Takte bis zum Blitz der Blitze brauchte. Johannes war einfach ein Meister an den Plattentellern.
„Achtung, hell!”
Und da war er auch schon! Gleißend hell und rein weiß! Noch nie war dieser Strand so hell gewesen wie in dieser Nacht! Man erkannte alles und jeden. Es war fast schon wie ein Röntgenblitz, der in die entlegensten Ecken hinein drang und keine Geheimnisse unerkannt ließ.
Die Partymenge johlte vor Freude über diese unerwartete Betonung der Musik. Jedoch erkannte niemand, dass das Licht derart gnadenlos war, dass es jede noch so kleine Hautunreinheit der schwulen Mannschaft ungewollt in Szene setzte. All die Zeit, die ein jeder zum Aufhübschen vor dem Spiegel verbracht hatte, war in dieser halben Sekunde des reinen Lichts verpufft. Doch daran störte sich mittlerweile niemand mehr. Es ging schon lange nicht mehr um sehen und gesehen werden, sondern es kam einzig und alleine darauf an, dass man heute einen geilen Abend hatte. Die Stimmung war nach wie vor am Schäumen und Johannes sorgte sehr gekonnt dafür, dass keine Langeweile aufkam.
Der kurze Mega-Blitz hatte für FX bei weitem ausgereicht, sich das gesamte Bild vom Strand und den Menschen darauf einzuprägen. Jedes noch so kleine Detail in der abgelegensten Ecke war jetzt in seinem fotografischen Gedächtnis gespeichert und wartete nun darauf, abgerufen zu werden. Er gab Emil ein Zeichen, dass er sie nun wieder zum Strand zurückbringen konnte. Und schon während ihres Abstiegs fing FX an, die Menschen im abgespeicherten Bild in seinem Gehirn sukzessive anzuschauen, ob Hennes Kidnapper vielleicht dabei war.
Und dann hatte er ihn tatsächlich, den kleinen knackigen Spanier. Er sah wirklich ganz sexy aus, mit seinem dunklen dichten Dreitagebart. Aber er hatte Henne entführt. Oder zumindest zum letzten Mal gesehen. So sexy konnte ein Mensch nicht sein, als dass FX ihm so eine Tat verzeihen würde. Kurz beschrieb er Emil den Typen, der immer noch da stand, wo Henne mit ihm angebandelt hatte. Es war genau auf der anderen Seite der Tanzfläche, ihnen gegenüber. So einigten sich die Beiden darauf, dass sie sich dem Kerl von beiden Seiten nähern wollten, wobei FX natürlich die Führung übernahm und Emil nur dafür sorgen sollte, dass der Kerl nicht flüchtete.
„Hej.”
FX setzte sein charmantestes Lächeln auf, was er in der jetzigen Situation zu bieten hatte und ließ seine Augen tiefblau funkeln. Seine Dreads hatte er nach hinten zu einem dicken Zopf zusammengebunden, um nicht ganz so mächtig gegenüber dem Fremden zu erscheinen. Der Typ war klein. Viel kleiner, als er dachte. Umso peinlicher war es ihm, dass er ihn jetzt mit seiner riesigen Größe anbaggerte.
„Hola.”
Etwas irritiert schaute der Angesprochene erst geradeaus und dann überrascht nach oben, bevor er in FX Lächeln blickte, was er ganz intuitiv erwiderte. Im Kontrast zu seiner braungebrannten Haut wirkten seine Zähne schneeweiß und auch der dunkle getrimmte Bart unterstrich dieses freundliche Lächeln. Unter normalen Umständen hätte auch FX diesen süßen Spanier durchaus attraktiv gefunden und konnte Henne gut verstehen, dass er mit ihm angebandelt hatte.
Nach nur diesem einen Wort war sich FX absolut sicher. Das war der Mann! Dieser Typ war derjenige, mit dem Henne angebandelt und geknutscht hatte. Diese sonore wohlklingende Stimme erkannte er sofort wieder. Das war der Kerl! Sie hatten ihn gefunden.
Dabei ging es FX überhaupt nicht um die Tatsache, dass die beiden geknutscht oder vielleicht sogar Sex gehabt haben. Das wäre ihm selbst unter normalen Umständen egal gewesen, denn er wusste, was Henne für ihn und seine Freunde empfand.
Nein, es war vielmehr die Tatsache, dass dieser Typ seinen Freund gekidnappt hatte. Hinterhältig versteckt und so isoliert, dass weder er noch Michel in der Lage waren, ihn zu lokalisieren. Und dann besaß der Kerl auch noch die Frechheit, sich hier wieder unter das Partyvolk zu mischen, als sei nichts geschehen. Vielleicht war er ja auch hier, um sein nächstes Opfer zu lokalisieren.
Innerlich kochte FX vor Wut, aber es gelang ihm spielend, den charmanten deutschen Urlauber zu spielen, der jetzt gerne ein Date mit einem rassigen Spanier haben wollte.
„Hej, ich bin Felix.”
Gespielt nervös fasste sich FX an den Kragen seines T-Shirts als wüsste er nicht, wohin mit seinen Händen. Unsicher einigte er sich schließlich nach einer kleinen Ewigkeit, dass er mit der Linken seinen rechten Gipsarm festhielt.
„Hola, iss eisse Paco. Wass hasst Du mit Dein Arm gemacht?”
Unter normalen Umständen wäre FX vermutlich dahin geschmolzen, da er diesen spanischen Akzent so sehr liebte. Dass ein Leben zu kurz ist, um Deutsch zu lernen, hatte nicht zuletzt Oscar Wilde festgestellt. Aber sein Gegenüber gab sich alle Mühe, diese schwierige Sprache zu nutzen, um es FX möglichst einfach zu machen. Dieser Typ arbeitete vermutlich in der Tourismusbranche. Aber das war völlig egal, denn es ging jetzt um andere, wichtigere Dinge.
Doch das Kartenhaus, was FX sich so mühsam aufgebaut hatte, brach jäh in sich zusammen.
Ja, es war der Typ, mit dem Henne vorhin gesprochen hatte. Es war auch die Stimme. Und es war auch genau das, was FX kurz darauf durch Michels Präkognition vorhergesehen hatte. Aber als Henne vorhin mit diesem Menschen gesprochen hatte, sprach er ein absolut akzentfreies Deutsch.
In diesem Augenblick wurde FX klar, dass hier etwas größeres schief gegangen war. Entweder sprach dieser Typ wirklich akzentfrei und hatte sich gerade gegenüber FX nur verstellt, was sowohl FX als auch Emil jedoch definitiv bemerkt hatten. Aber mit einem fast unsichtbaren kurzen Blick hinter den Spanier zu Emil, der nach wie vor dafür sorgte, dass der Kerl nicht verschwinden konnte, war FX klar geworden, dass dieser spanische Akzent definitiv echt war. Demnach musste sein perfektes Deutsch falsch sein, was Henne gehört hatte.
Für FX gab es daher nur eine mögliche Erklärung: Jemand anderes hatte diesen Menschen gekapert und Henne ganz gezielt angemacht. Diese Theorie galt es nur noch zu beweisen.
„Ich hab mir den Arm gebrochen.”
„Dios mío. Tut es sseeehr wech?”
„Man muss ihn etwas streicheln, dann gehts.”
Der Spanier zeigte auf FX’ Gipsarm und dieser ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Er griff nach der Hand seines Gegenübers und streichelte dann mit dieser seinen sicher verpackten Arm. Wie Eggsy seinerzeit bei ihm, begann FX mit der Körperberührung in dem Spanier zu lesen. In seinem Inneren leistete er Abbitte, war er doch nicht besser als dieser Eggsy, den er vor langer Zeit so gehasst und verteufelt hatte. Dass der Zweck die Mittel eben nicht heiligte, war damals immer sein Argument gewesen. Und nun tat er nichts anders.
FX wusste, dass er das irgendwann wieder gerade rücken musste. Nicht dem gegenüber, den er gerade las. Der bekam davon überhaupt nichts mit und würde es auch nie bemerken. Nein, FX war sich selbst gegenüber nicht mehr im Reinen und das war es, was er irgendwie wieder gut machen musste, sobald sie Henne gefunden hatten.
Emil, der nach wie vor unerkannt hinter dem Spanier stand, hatte seinerseits ebenfalls mitbekommen, dass es nicht so lief, wie geplant und dass sie anscheinend einer Finte aufgesessen waren. Irgendwie musste er FX jetzt aus dieser Situation holen, damit sie nicht noch mehr Zeit vertrödelten.
Fragend blickte er an dem Spanier vorbei zu FX. Mit einer hochgezogenen Augenbraue warf er ihm unausgesprochen die Frage zu, ob er gerne aus dieser Situation erlöst werden wollte. FX wollte und gab das mit einem unmerklichen Nicken zu verstehen.
„Mensch, Hase, da bist Du ja! Du bist aber auch echt leicht zu übersehen!”
FX war immer wieder überrascht, wenn Emil seine monotone Stimme ablegte, und endlich wieder mit einer menschlich klingenden Betonung sprach, wohl wissend, dass das nicht lange anhalten würde.
„Hase?”
FX konnte es nicht glauben, dass Emil ihn gerade Hase genannt hatte. Natürlich hatten sie nichts abgesprochen, aber das stand definitiv nicht auf der nicht existierenden Auswahlliste.
„Komm her, Hase, ich hab Dich überall gesucht.”
Emil schlängelte sich an dem Spanier vorbei, drängelte sich zwischen sie und gab FX einen für diese Zwecke viel zu langen und viel zu intensiven Zungenkuss.
Der Spanier verschwand indes beleidigt in der Menschenmenge, während Emil noch eine weitere Sekunde seine Zunge in FX‘ Mund schob, was dieser auch sehr gerne geschehen ließ.
Als hätten sie es abgesprochen, endete ihr Kuss gleichzeitig und wortlos verließen sie den Strand über die alte hölzerne Treppe, um oben an der Abbruchkante das Geschehen zu beobachten und über die nächsten Schritte zu beratschlagen.
„Paco, also der Spanier, wurde gekapert. Ich weiß nicht von wem, aber es waren Reste in ihm. Nicht genug um den doppelten Kidnapper zu identifizieren, aber genug um zu wissen, dass er da war. Unser neuer Fremder hat erst Paco gekapert, um an Henne heran zu kommen. Er hatte es eindeutig auf Henne abgesehen, andernfalls hätte er ja einfach den Spanier nehmen können, und nicht das unnötige Risiko mit doppeltem Kidnapping eingehen müssen.”
„Es gibt viele Leute, die das können und die Gelegenheit dazu gehabt haben. Alleine schon bei denen, die ich kenne. Das wird bei Dir nicht anders sein, oder FX? Wir können sie nicht alle checken.”
„Naja, normalerweise hätte ich alle Zeit der Welt, um das zu tun. Ich bin Zeitreisender, für mich spielt Zeit keine Rolle. Aber ich habe das Gefühl, dass das hier nicht so ist und wir uns etwas beeilen müssen. Ich habe so eine Ahnung, dass die Zeit hier eben eine sehr große Rolle spielt.”
„Dann stellt sich die Frage nach dem Motiv? Warum hat er das getan? Und warum ausgerechnet Henne? Oder war das vielleicht nur ein Zufall?”
„An Zufälle glaube ich nicht.”
Grübelnd spielte FX mit einem seiner Dreads.
„Lass mich mal was überprüfen, ich bin gleich wieder da.”
Emil verschwand in der Dunkelheit noch ehe er seinen Satz beendet hatte.
Der Lesemodus blendet die rechte Navigationsleiste aus und vergrößert die Story auf die gesamte Breite.
Die Schriftgröße wird dabei vergrößert.