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Quartett

Teil 17 - Zeit

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23. Zeit

Wütend ließ Ben einen Umzugskarton auf den Boden fallen. Er hatte genug von der Schlepperei und deutlich zeichneten sich Schweißflecken unter seinen Achseln und an Brust und Rücken ab.

„Ich hab keinen Bock mehr auf diese Schlepperei. Was soll’n der Scheiß überhaupt?”

„Ben, entspann Dich mal. Ist doch fein, dass wir jetzt ein Upgrade bekommen haben und ein Stockwerk höher wohnen dürfen!”

Michel versuchte, seinen Freund zu beruhigen und stellte seinerseits einen Umzugskarton ab. Er fand es richtig gut, dass man mit jedem Jahrgangswechsel ein Stockwerk höher in den Turm aufstieg und so im Laufe des Studiums immer bessere Apartments mit zusehends besseren Ausblick bekam. Der Abschlussjahrgang im achten Semester war dann schließlich im vierten Obergeschoss untergebracht. Aber bis sie dort ankommen würden, müssten sie noch etwas durchhalten und ein ums andere Jahr ein Stockwerk weiter nach oben umziehen.

Auch wenn es immer etwas anstrengend war, so ein Umzug befreite doch von unnötigen Dingen und bot die Gelegenheit, etwas auszumisten. Zwar war Michel mit Abstand der mit der besten Kondition, allerdings hatte er auch mit Abstand am meisten Umzugskartons einen Stockwerk nach oben getragen. Um genau zu sein, waren es doppelt so viele, denn FX mit seinem Gipsarm war bei dieser Aufgabe fast komplett außen vor gewesen. Seine durchgeschwitzten Haare klebten nun auch an seiner Stirn und sie weigerten sich beharrlich, wieder in Form gebracht zu werden.

„Jo, Aussicht hin oder her, aber ich bin komplett durchgeschwitzt!”

Henne brachte gerade den letzten Karton in den zweiten Stock und grinste Ben verschmitzt an.

„Könnte es daran liegen, dass Du der Einzige bist, der noch sein Shirt an hat?”

Mit dem Zeigefinger deutete er auf Michels durchtrainierten Oberkörper und dort wiederum auf eine verlockend anmutende, verhärtete Brustwarze. Der so ins Rampenlicht gerückte Michel ließ es sich daher auch nicht nehmen und spannte rhythmisch seine Brustmuskeln an während FX aus einem der beiden Zimmer heraus trat

„Gibt's Probleme? Oh, lecker, was zum Knabbern!”

Zügig durchquerte er den Raum, machte vor Michel halt und kniete sich vor ihn hin. Durch seine überragende Größe war er selbst auf Knien noch groß genug, um sich an Michels Brustwarzen zu vergnügen. Behutsam näherte er sich mit dem Gesicht dessen Brust. Vorsichtig leckte FX die glitzernden Schweißperlen von seinen harten Nippeln und kostete genüsslich mit geschlossenen Augen das Salz auf dessen Haut. Einen Atemzug später öffnete er erneut den Mund und umschloss vorsichtig mit seinen Lippen die Brustwarze von Michel.

Dieser quittierte die sinnliche Berührung indem er zischend durch die Zähne einatmete und ein leises Stöhnen von sich gab. Vorsichtig umkreiste FX’ Zunge die Brustwarze und mit jeder Umdrehung schien sich der Körper von Michel weiter anzuspannen.

Nur kurz hielt FX inne, entfernte sich etwas von Michels Brust um gleich darauf mit gespitzten Lippen die Brustwarze anzublasen. Instinktiv reagierte Michels Körper sofort und eine Gänsehaut stellte sich auf der gesamten Brust auf. Kaum zu glauben, aber seine ohnehin harten Nippel wurden noch etwas fester und standen etwas weiter heraus als zuvor.

So auf dem Präsentierteller serviert konnte FX nicht anders, als sie ein weiteres Mal zu kosten und erneut vorsichtig mit Zunge und Lippen zu liebkosen. Die animalischen Geräusche, die Michel von sich gab, wurden zusehends lauter.

Michel hielt es nicht länger aus. Er wollte mehr! Viel mehr! In seiner Hose zeichnete sich eine kleine Beule ab und er hatte unendliche Schmerzen im Schritt! Dennoch wollte er mehr, wollte dass FX nicht aufhörte. Es elektrisierte ihn, wie diese gewandte Zunge ständig von allen Seiten seine Nippel berühren zu schien.

FX erschrak ein bisschen, als sich der feste Griff von Michel in seine Dreads krallte und er von ihm fest an dessen Brust heran gedrückt wurde. Die durchtrainierten Hände ließen ihm keine andere Wahl und er fügte sich diesen gerne. Vorsichtig begann er, mit den Zähnen an der Brustwarze zu knabbern, was Michel mit einem lauteren Stöhnen und einem noch festeren Druck quittierte. FX konnte durch den engen Körperkontakt den Herzschlag deutlich spüren und stellte erfreut fest, dass dieser sehr schnell und überaus kräftig war. Etwas fester biss er zu und Michel konnte nur unter größter Anstrengung seinen Wunsch kundtun.

„Bitte nicht aufhören!”

Ruckartig richtete sich FX auf und überraschte Michel derart, dass er den Griff in FX’ Schopf verlor.

„Doch!”

FX grinste hämisch und machte einen Schritt zurück. Michel wusste nicht, wie ihm geschah. Hatte er die letzten Minuten derart genossen und war er doch fast dahingeschmolzen. Aber so überraschend wie diese kleine sexuelle Eskapade begann, so endete sie auch.

„Das kannst Du doch nicht mit mir machen!”

„Doch! Siehst Du ja.”

FX schelmisches Grinsen wurde noch breiter.

„Bitte! Kratz mich, beiß mich, aber lass mich hier nicht so halbfertig stehen!”

„Doch.”

Die Antwort war eiskalt und FX war selbst erstaunt, wie gut es ihm gelang, das zu spielen. Gerne hätte er noch weiter gemacht, aber irgendwie genoss er es auch, dass Michel jetzt etwas schmoren sollte. Er drehte sich um und zwinkerte Ben zu, der mit halb offenem Mund die Show verfolgt hatte.

Wie auf ein Kommando entledigte sich Ben seines T-Shirts, schleuderte es in eine Ecke und deutete mit beiden Zeigefingern auf seine Brust.

„Nachschub Diggi?”

„Später ...”

Und schon war FX wieder in dem Schlafzimmer verschwunden, aus dem er gekommen war.

„Na toll.”

Enttäuscht ließ Michel seine Schultern hängen und schob demonstrativ seine Unterlippe hervor.

„Hej, Junx”, Henne versuchte etwas Zweckoptimismus zu verbreiten, obwohl auch er als Zuschauer die Darbietung sehr genossen hatte und nun verschämt seine Hand aus dem Hosenbund wieder herauszog.

„Sehen wir es doch mal positiv: Besser hätte das Semester doch nicht starten können! Als zweiter Jahrgang dürfen wir in den zweiten Stock umziehen und als Sahnehäubchen gibt’s noch ‘nen Softporno dazu!”

„Ein Happy End wäre mir lieber gewesen.”

Michel war offensichtlich immer noch enttäuscht.

„Diggi, Moment mal!“

Bens Aufmerksamkeitsspanne war nie besonders lang und auch dieses Mal hatte er das kleine Techtelmechtel zwischen Michel und FX schon wieder vergessen und ihm war stattdessen etwas ganz anderes aufgefallen.

„FX, Diggi, komm doch nochmal her, bitte!“

Der so gerufene steckte seinen Kopf durch die Zimmertür ins Wohnzimmer und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch.

„Ja bitte?“

„Diggi, sag mal, diesen Umzug hier, den hättest Du doch auch selber in drei Minuten machen können, wie am Strand neulich, oder?“

„Ja, klar!“

„Dein Ernst?“

Henne fiel es wie Schuppen aus den Augen und er ärgerte sich, dass ausgerechnet Ben auf die Idee gekommen war?

„Ja, klar, natürlich! Ob ich nun unsere Campingsachen ins Auto dirigiere oder aber unser Hab und Gut aus dem ersten in den zweiten Stock ist dabei doch wohl egal. Das dürfte Euch nicht weiter überraschen, oder?“

„Diggi, ich glaub’s jetzt echt nich!“

Ben, immer noch oben ohne, baute sich vor FX auf und sah ihn vorwurfsvoll an.

„Was?“ FX hob die Schultern.

„Was was? Diggi, kannst du mir mal verklickern, warum wir hier stundenlang Umzugskartons durchs Treppenhaus gewuchtet haben?“

„Nö, kann ich nicht.“

„Ich auch nich! Und kannst Du uns vielleicht erklären, warum Du das nicht selber gezaubert hast, wie neulich? Diggi, für Dich wäre das doch ein Klacks gewesen!“

„Ihr habt nicht gefragt.“

„Dein Ernst?“

„Najanun.“

FX zuckte erneut mit den Schultern, war sich aber dennoch im Klaren darüber, dass er gerade auf sehr dünnem Eis tanzte. Er war definitiv der letzte, der einen Wunsch ausschlagen würde. Zumal genau so etwas durchaus im Rahmen des vom Club erlaubten lag. Aber er mochte es schlicht auch nicht, mit seinen Fähigkeiten hausieren zu gehen. Daher hatte er zwar erwartet, dass seine Freunde ihn fragen würden, den Umzug zu dirigieren, aber anscheinend hatten sie vergessen, dass er so etwas konnte. Das wiederum beruhigte FX enorm, denn war das doch ein eindeutiges Zeichen dafür, dass seine Freunde in ihm keinen Zauberkünstler sahen, sondern einen ganz normalen Menschen, wie sie auch. Er war kein Freak, sondern deren Freund.

„Okay, ich mach’s wieder gut. Ich denk mir was aus, versprochen.“

Später am Abend eilten die Freunde zur Mensa. Eine Woche vor Beginn der Vorlesungen war noch nicht viel Betrieb in der Uni und die Essensausgabe in der Mensa hatte nur reduzierte Öffnungszeiten. Sie waren viel zu spät dran, denn sie hatten viel zu lange geduscht. Irgendwie waren alle der Meinung, dass das kurze Intermezzo am Ende des Umzugs doch noch weiter ausgeführt werden musste.

Mit jeweils einem Tablett beladen, FX balancierte es gekonnt wie ein Kellner in der linken Hand, steuerten sie im Gänsemarsch durch den Speisesaal zielstrebig ihren Stammplatz an, als der vorausgehende Henne unerwartet stehen blieb.

Von einem Augenblick auf den nächsten schwand jegliche Farbe aus seinem Gesicht und unzählige Schweißperlen bildeten sich in Bruchteilen einer Sekunde auf seiner Stirn. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er ans entgegengesetzte Ende des Speisesaals.

FX, der direkt hinter Henne ging, überragte ihn zwar deutlich, war aber ob des abrupten Bremsmanövers seines Freundes derart überrascht, dass er Mühe hatte, sowohl sein Tablett in Balance zu halten als auch nicht mit Henne zusammenzustoßen. Instinktiv folgte sein Blick dem von Henne und sofort erkannte er den Grund für die blanke Angst, die so plötzlich in Henne aufstieg: Er hatte die vier Freunde noch nicht gesehen, weil er mit dem Rücken zu ihnen stand. Aber Henne erkannte ihn auch von hinten, seinen Peiniger aus dem Kerker, der ihn mehrere Tage im Verlies gefangen gehalten und gequält hatte: Nico!

Die Panik hatte Henne jetzt komplett überrannt. Den Typen hatte er hier definitiv nicht erwartet. Er müsste letztes Semester seinen Abschluss gemacht haben, denn an dieser Elite-Uni schafft jeder in der Regelstudienzeit von acht Semestern sein Examen. Um so überraschender stiegen erneut die Gefühle von Schmerz und Einsamkeit in ihm auf. Die drohende Hilflosigkeit und die Erinnerungen an die Fesseln waren es, die seinem Körper nur ein Signal gab: Hau ab!

Jeder Muskel in Hennes Körper war nun gespannt und wartete nur darauf, dass das finale Signal zur Flucht kam. Noch einmal wollte, noch einmal konnte er das nicht über sich ergehen lassen. Henne wusste, dass er diesem Menschen kein zweites Mal über den Weg laufen wollte. Henne hatte Angst, Angst um sein Leben! Sein Körper nahm ihm die Entscheidung ab, denn sein Gehirn war nach wie vor gelähmt, war ein Zuschauer in einem unbekannten Film, in dem man nichts machen konnte als zu beobachten. Sein Überlebensinstinkt kam zum Vorscheinen und entschied sich für das einzig sinnvolle: Flucht! Er ließ sein Tablett fallen, drehte sich um und lief davon.

STOP

Zwar sprach FX dieses eine Wort aus, aber es war mehr als das gesprochene Wort. Er blieb dabei ganz ruhig, er schrie nicht. Dieses einzelne Wort war für alle im Raum deutlich hörbar, aber es war mehr als das, es war sogar fühlbar. Jeder im Raum hörte es. Jeder fühlte die Bestimmtheit und Macht, die FX in dieses eine Wort gelegt hatte. Jeder und alles. Dieses Wort durchdrang nicht nur jedermanns Ohr, es durchdrang auch jeden Stuhl und jeden Tisch in diesem Raum. Alles um ihn herum wurde von diesem Wort durchdrungen. Dieses eine Wort war so energiegeladen, dass jeder Widerstand zwecklos war und jeder unmittelbar gehorchen musste. Jeder und alles.

Die Mensa stand still. Die Welt stand still. Das Universum stand still. Die Zeit stand still.

„Cool, ich kann es noch.”

Anerkennend nickte FX und murmelte zu sich selbst, denn er wusste, dass fast niemand es je hören würde; zumindest niemand in diesem Raum.

Er sah sich um. Die paar Kommilitonen, die noch im Speisesaal waren, saßen erstarrt auf ihren Plätzen. Teils mit geöffneten Mündern kurz vor dem Essen des nächsten Happs auf der Gabel vor ihnen, teils mit wirren Gesten in einer bestimmt spannenden Diskussion vertieft.

Es war still geworden. Es herrschte eine absolute Ruhe. Nur das Atmen und der Herzschlag von FX waren zu hören. Dieses sonst so leise Geräusch klang in der Stille wie ein Rockkonzert. Sein Herzschlag war ein dröhnender Rhythmus. Das Blut, welches durch seine Adern strömte glich dem lauten Rauschen des Meeres. Und sein Atmen klang nach einem Orkan, der durch die Stille tobte.

Und FX war aufgeregt. Zum einen war er sehr erregt, dass er diesen großen Kunstgriff nach so langer Zeit überhaupt so reibungslos vollbracht hatte. Außerdem war es zudem streng verboten, diese absolute Notbremse zu betätigen. Der Club würde mich Sicherheit eine Untersuchung veranlassen.

Ohnehin verfügten nur sehr wenige Menschen über die Fähigkeit, eben dieses zu vollbringen. Und es war verpönt, für jedes kleinere oder größere Problem gleich das gesamte Universum anzuhalten. Denn nichts anderes hatte er gerade getan: Sämtliche existierende Materie war soeben zum Stillstand gekommen. Alles und jeder, außer 42 Menschen, ihn eingeschlossen.

„Das gibt wieder Mecker ...” seufzte FX und bewegte sich erstmals als er aus ihrer kleinen Karawane austrat, die die Vier auf dem Weg zu ihren Tisch gebildet hatten.

Er ging um Henne herum und als er ihm ins Gesicht blickte, lief ein Schauer über seinen Rücken. Der eingefrorene Gesichtsausdruck, den Henne im Angesicht seiner Panik machte, glich einer grauen Fratze, wie sie zu Halloween nicht gruseliger hätte sein können. Die pure Angst konnte FX in seinen Augen ablesen und Henne tat ihm im selben Augenblick unendlich leid. Dieser arme Mensch hatte grauenhaftes erlebt und diese Tortur hatte offensichtlich tiefe Wunden hinterlassen, die nun plötzlich und unerwartet wieder aufgerissen wurden.

FX sah sich noch einmal um und genoss die Stille der stehenden Welt. Wann hatte er zum letzten Mal die Notbremse gezogen? Es war lange her. Eggsy könnte sich mit Sicherheit an das kleinste Detail erinnern. Er auch. Aber er wollte es nicht. Nicht jetzt. Nicht hier.

Das Tablett, was Henne noch vor einen Augenblick in den Händen gehalten hatte, war bereits im freien Fall jedoch auf halber Strecke zum Stillstand gekommen, als FX das Universum angehalten hatte. Er liebte diese äußerst seltenen Momentaufnahmen.

Kurz schloss er die Augen und konzentrierte sich. Er war nervös, denn das, war er gleich tun würde, kam einer Operation am offenen Herzen gleich. Aber er war sich sicher, dass er diese Operation erfolgreich meistern würde, denn er war ein Profi. Er war der Beste. Zumindest behaupteten das immer alle. Und außerdem war es für einen seiner besten Freunde. Henne brauchte jetzt seine Hilfe.

Er schluckte kurz trocken und dann strich er seinem Freund mit dem Zeigefinger langsam vom Haaransatz des bunten Iros über die Stirn bis runter zur Nasenwurzel.

Im gleichen Augenblick kam wieder Leben und Bewegung in Henne und sein aktiviertes Fluchtprogramm lief einfach weiter, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. Er wollte einfach nur weg von dem Typen und durch den Eingang des Speisesaals die Flucht ergreifen.

Doch FX war schneller. Er hatte seine Hand ohnehin noch im Gesicht von Henne und so war es für ihn ein Leichtes, einfach umzugreifen und mit einem gekonnten Griff seiner großen Hände Henne am Unterkiefer fest zu halten. Ein Griff, den er im Schlaf beherrschte und exakt zu dosieren vermochte. Er liebte diesen Griff, denn damit konnte er immer sicherstellen, dass sein Gegenüber genau dort hinsah, wo er es wollte. Und dank seiner langen Arme hatte er dennoch stets einen ausreichenden Abstand zu seinem Gegenüber.

Sein Griff konnte ganz zärtlich sein, er konnte den Kiefer seines Gegenüber aber auch problemlos mehrfach brechen! Oder aber so wie bei Henne ihn ganz bestimmend festhalten, ohne dass es weh tat. Aber trotzdem genau so, dass die Botschaft eindeutig war: Bleib stehen, schau mich an, ich bin da und es wird Dir nichts passieren.

Diese Nachricht kam erstaunlich schnell bei Henne an. FX war überrascht, dass sein Freund so instinktiv und umgehend auf seine beruhigende Aura reagierte. Normalerweise brauchten die Menschen dennoch ein paar Sekunden, bis sie realisierten, dass sie in Sicherheit waren. Aber bei Henne war es quasi im selben Augenblick der Berührung passiert.

Er sah überrascht und gleichzeitig erwartungsvoll direkt in FX’ Augen.

„Keine Panik” flüsterte FX sanft, was jedoch aufgrund der Stille im Raum fast einem lauten Rufen gleich kam. „Entspann Dich, es kann Dir nichts passieren, ich bin bei Dir.”

Henne starrte weiter seinen Gegenüber an und FX war sich nicht sicher, ob seine Worte Henne wirklich erreicht hatten. Er war nach wie vor etwas irritiert ob der sofortigen Reaktion von Henne, so dass sich die beiden noch etwas länger wortlos anstarrten. FX konnte seinen Freund gerade nicht richtig einschätzten, traute sich allerdings auch nicht, einen Blick in Hennes Gemütszustand zu werfen.

In dem Speisesaal pochten zwei Herzen um die Wette. In der absoluten Stille klang es, als würden zwei riesige Pauken ohne Rhythmus geschlagen werden. Asynchron und durcheinander. Erleichtert bemerkte FX schließlich, dass langsam Ordnung in das Chaos Einzug erhielt, dass sich ihre Herzschläge ein ums andere Mal mehr synchronisierten und die Arrhythmie zusehends verschwand.

Als schließlich beide Herzen im selben Rhythmus schlugen, wurde das Trommeln leiser und FX Mundwinkel verzogen sich vorsichtig nach oben zu einem leichten Lächeln. Äußerlich hatte Henne nicht die geringste Regung gezeigt und sah noch genauso erwartungsvoll aus, wie in dem Augenblick als FX ihn in den Griff genommen hatte.

Aber er wusste, dass Henne jetzt ruhig war und nicht mehr weglaufen würde. Behutsam lockerte er seinen Griff und ließ Henne los, der seine neu gewonnene Freiheit sofort mit einem tiefen Atemzug quittierte.

„Nico ist wieder hier! Was tut der Kerl hier? Ich will ihn nicht noch einmal sehen!”

Henne versuchte nicht zu schreien, denn kaum hatte FX ihn losgelassen, spürte er schon wieder die Angst in ihm aufkeimen. Aber obwohl er nicht sonderlich laut rief, klang seine Stimme in der stillen Mensa doch, als würde er durch die Lautsprecheranlage eines Stadions schreien.

FX bemerkte sofort, wie sich in Henne wieder langsam die selbe Panik ausbreitete wie vor dem Betätigen seiner Notbremse und er sah deutlich den Schweißausbruch auf seiner Stirn hervortreten.

„Beruhige Dich, Henne, er wird Dir nichts mehr tun. Jetzt sowieso nicht. Und er wird Dir auch nie wieder etwas tun, das verspreche ich Dir bei meinem Leben!”

„Aber was tut er hier? Der müsste doch längst weg sein!”

„Henne, ich weiß es nicht. Es ist aber auch egal.”

Behutsam legte FX seine freie Hand auf Hennes Schultern und sprach den letzten Satz besonders akzentuiert und deutlich aus.

„Du bist in Sicherheit.”

„Ich möchte das Arschloch nicht wiedersehen.”

FX war überrascht von dem schnellen Stimmungsumschwung von Henne, der jetzt schlaff und zusammengesunken vor ihm stand. Seine Augen waren weit aufgerissen, kugelrund und füllten sich langsam mit Tränen.

„Henne, ich fürchte, dass Du das nicht vermeiden kannst. Aber sei gewiss: Du bist nicht alleine. Ich bin immer da. Wir sind immer da!”

Ungläubig sah Henne zu FX auf. Noch hatte sich keine Träne gelöst, aber viel fehlte nicht mehr. Henne schluckte trocken und FX nickte leicht um seine Aussage noch einmal zu unterstreichen.

„Danke.”

Seine Stimme klang dünn und zitternd. Henne kniff die Augen zusammen und zwei kleine Sturzbäche aus Tränen rannen seine Wangen hinunter. FX zog ihn wortlos an sich heran und nahm ihn liebevoll in den Arm.

Irgendwann trennten sich die beiden wieder. FX liebte und hasste dieses Gefühl, dass man nicht wusste, ob gerade nur wenige Sekunden vergangen waren oder aber ein halber Tag verstrichen war. Die Zeit war stehengeblieben. Und auch Henne dämmerte langsam, dass hier etwas nicht stimmte.

„Was ...”

„Ich war das. Ich kann das.”

„Du kannst ...”

„… die Zeit anhalten, ja.”

FX vervollständigte den Satz, den Henne ohnehin nicht über die Lippen gebracht hätte, weil es so absurd klang.

„Das ist …”

„… eigentlich verboten.” Seufzte FX. „Gibt bestimmt auch Ärger.”

„Danke.”

Als hätte er gerade das großartigste Weihnachtsgeschenk seines Lebens bekommen, trat Henne erneut auf FX zu. Seine Augen leuchteten und ein bezauberndes Lächeln lag in seinem Gesicht, als er FX in den Arm nahm und nun seinerseits FX fest in den Arm nahm.

„Du kannst die Zeit anhalten?”

„Ja. Nicht viele Menschen können das ...”

„Wie? Das können noch mehr?”

„Es sind insgesamt 42, um ganz genau zu sein.”

„Krass ...”

„Wir können die Zeit anhalten und damit das gesamte Universum, alles was existiert. Es ist, als würde man bei einer Bahn die Notbremse betätigen. Es gibt einen riesigen Ruck und alles steht still. Aber diesen Ruck bemerkt niemand. Also nur wir. Für alle anderen bleibt die Zeit einfach stehen und läuft irgendwann wieder weiter. Niemand wird etwas merken, außer wir 42. Und Du jetzt. Es ist immer herrlich ruhig, wenn das Universum still steht, wie Du vielleicht gemerkt hast. ”

Henne hielt inne, rollte mit den Augen und legte seinen Kopf schief. Er hörte nichts. Nur das schlagen zweier Herzen im Gleichtakt und das Atmen zweier Menschen. FX setzte sich im Schneidersitz auf den Fußboden. Direkt neben ihm klebte Hennes fallendes Tablett magisch in der Luft, ohne sich zu bewegen. Henne tat es ihm gleich und setzte sich gegenüber hin.

„Deins.”

Gleichgültig deutete FX auf das schief in der Luft hängende Tablett und fuhr sogleich mit seinen Erklärungen fort. Er wollte nicht schon wieder mysteriöse Fragezeichen bei seinen Freunden hinterlassen, sondern entschied sich gleich für die Wahrheit.

„Wir sind auch die einzigen, die nach dem Anhalten weitermachen können. Alles andere bleibt still stehen, bis wir die Zeit weiter laufen lassen oder diejenigen rausholen aus der Zeit, wie ich Dich gerade.”

FX sah seinen Freund gegenüber aufmerksam an, der das Gesagte noch etwas verarbeiten musste.

„Wenn Du jetzt irgendeinen Spruch von mir erwartest, dann muss ich Dich enttäuschen. Ich weiß grad nicht, was ich sagen soll.”

„Du musst nichts sagen. Ich möchte nur sicher gehen, dass Du verstehst, was hier passiert. Ich möchte, dass Du hinterher kommst mit dem was ich sage und dass ich Dich nicht überfordere.”

„Neee, mach mal weiter. Das ist gerade alles sehr abgefahren. Vor ein paar Tagen in Tarragona waren wir in Deinem Gedächtnis drin. Jetzt hältst Du die Zeit an. Verstehen kann man das nicht, oder?”

„Es geht schneller und macht weniger Kopfschmerzen, wenn Du es erst einmal akzeptierst. Verstehen kann man es später immer noch.“

„Startreck ist ein Dreck dagegen!“

„Dazu sag ich wiederum nichts ...”

Irgendwie schwang etwas geheimnisvolles in dem kurzen Satz, das Henne nicht entgangen war. Da steckte bei FX noch mehr dahinter. Aber bevor er darauf anspringen konnte, fuhr FX bereits fort.

„Theoretisch kann jeder von uns die Zeit auch wieder in Gang setzen, aber das machen wir nicht. Es hat immer einen Grund, warum jemand die Zeit angehalten hat. Der, der anhält, macht auch weiter, wenn er fertig ist. Derjenige soll sich die Zeit nehmen, die er braucht.”

„Im wahrsten Sinne des Wortes.”

„In der Tat!”

Erfreut stellte FX fest, dass Henne seiner Schilderung folgen konnte.

„Wie gesagt, merkt man nicht, dass die Zeit angehalten hat und irgendwann später wieder weiter läuft. Diese Unterbrechung ist für alle Menschen absolut nahtlos und unbemerkt. Es gibt allerdings auch ganz wenige Menschen, die doch etwas merken, auch wenn sie nicht aus der Zeit heraus geholt werden, wie Du. Diese Menschen beschreiben es als eine Art …“

„Rucken?“

„Bingo!“

Vor Freude ballte FX seine Hand zur Faust und streckte sie in die Luft! So sehr hatte er es sich gewünscht, dass seine Freunde doch etwas sensibler waren, als die meisten anderen Menschen. Und sein Wunsch wurde tatsächlich erhört!

„Du hast es wirklich gespürt? Wie war es?“

„Ich weiß nicht. Es war komisch. Eigentlich war ich in Gedanken, sofern ich überhaupt noch klar denken konnte, bei Nico. Und doch war da noch mehr. Ich war eigentlich ganz woanders. Ich hatte das Gefühl, dass ich gar nicht in meinem Körper war, sondern daneben stand und wie bei einem Film zugeschaut habe. Mein eigener Film. Krass. Ein Film, wo ich gleich die Flucht ergreifen würde. Und dann war es so, als gäbe es einen kleinen Fehler im Film, um mal bei dem Bild zu bleiben. Als würde ein einzelnes Bild fehlen und es einen kleinen Ruckler im Bild geben würde. Und dann hast Du mich plötzlich im Gesicht angefasst.“

„Spannend, Henne. Wie gesagt, es gibt nicht viele Menschen, die das bemerken. Aber sie alle sprechen von einem kleinen Ruckler. Sei es optischer Natur, wie Du es gerade beschrieben hast, oder aber ein kleiner Erdstoß oder ein leises, aber eindeutiges Knacken.“

„Also gehört oder gespürt habe ich nichts. Glaube ich. Aber ich habe es definitiv gesehen.“

„Wie gesagt: Die meisten Menschen bemerken gar nichts.“

„Du meinst, wenn Du gleich wieder den Startschuss gibst, merken die beiden”, er blickte hinüber zu Ben und Michel, die wie auf einem Foto im Gänsemarsch da standen, „davon gar nichts?”

„Korrekt. Für sie existiert das, was wir hier tun, nicht. Es ist, als würdest Du bei einem Film die Pausetaste drücken, aufs Klo gehen und dann wieder auf Start drücken. Der Film bekommt davon nichts mit. Wobei ...”

„Wobei?”

„Die Beiden sind auch Kandidaten für das gefühlte Erdbeben. Genau wie Du.”

Schweigen.

„Ja. Ihr seid sehr sensibel. Alle Drei. Vielleicht fällt Dir ja etwas auf. Sei bitte in Zukunft achtsam. Ich lehne mich jetzt bestimmt sehr weit aus dem Fenster hinaus und auch dafür gibt’s in jedem Falle Mecker, aber das ist jetzt auch egal.”

„FX, Du bist echt ein Krawallbursche, kann das sein?” Henne lachte laut und schlug sich belustigt auf die Schenkel.

„Ja” entgegnete FX jedoch voller Ernst und das Lachen blieb Henne im Hals stecken. „Ich bin durchaus als Querulant bekannt im Club. Ich kenne zwar nicht alle 42, aber jeder kennt mich! Ich kann mehr als die meisten, ich darf mir mehr erlauben als andere, aber ich bekomme auch mit Abstand die meisten Rügen und den meisten Ärger.”

Eine gehörige Portion Stolz schwang in seiner Stimme und FX saß kerzengerade vor Henne, der ihn nur ungläubig anstarrte.

„FX, wer bist Du?”

Er wollte gerade Luft holen und zu seiner ersten ehrlichen Erklärung ansetzen, als er überraschend von Henne unterbrochen wurde.

„Nein. Ich glaube nicht, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Beichte ist. Außerdem müsstest Du es dann für die anderen beiden noch einmal wiederholen.”

Erleichtert ließ FX die Luft aus seinen Lungen entweichen. Er hätte es Henne erzählt. Es war so kurz davor, Henne hatte ihn definitiv gepackt und es im gleichen Augenblick wieder ruiniert. Er war jetzt wirklich soweit und sich komplett über die Direktive hinweg zu setzen und noch einen Einlauf zu bekommen, aber erleichtert stellte er fest, dass Henne ihn vor dieser Strafe bewahrt hatte.

Henne für gönnerisch fort.

„Aber aufgeschoben ist definitiv nicht aufgehoben. Versprochen?”

Ein schelmische Grinsen machte sich auf Hennes Gesicht breit und gehässig rieb er seine Hände aneinander.

„Du Arsch!”

„Ja! Aber mal ehrlich, FX. Was ist, wenn es gleich für alle weitergeht? Was, wenn Du Recht hast, und die beiden wirklich etwas bemerkt haben? Was erwartest Du von mir?”

FX sah ihn herausfordernd an und schwieg. Er deutete ihn mit einer Geste, weiter zu sprechen.

„Verstehe. Klappe halten. Toll, danke, Du Arsch!”

„Hej, das ist nur die Retourkutsche für gerade eben! Jetzt aber mal ernsthaft: Kannst Du das? Schaffst Du das? Willst Du das überhaupt?”

Die Antwort kam prompt.

„FX, was glaubst Du denn, wer hier vor Dir sitzt? Genau, Dein bester Freund! Natürlich werde ich schweigen wie ein Grab!”

Und nach einer kurzen Pause fügte er vorsichtig hinzu: „Und was, wenn nicht?”

„Du würdest es nicht merken.”

„WAS?”

„Nein! Natürlich würde ich Dich nicht umbringen, keine Sorge. Es ist nicht so, wie Du denkst ...”

Hennes Gesichtszüge entgleisten und er starrte FX mit halboffenem Mund an.

„Ups. Das war jetzt etwas sehr spontan, oder?”

„Du kannst Gedanken lesen?”

„Auch.”

„Und schreiben?”

„Oh, cool! Das muss ich mir merken! Darf ich den Begriff verwenden? Das find' ich sympathisch. Dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin.”

FX lächelte vergnügt und murmelte zu sich selbst: „Gedanken lesen und schreiben. Der ist gut!”

„Okay, okay, das reicht. Mehr geht in meinen Kopf heute definitiv nicht mehr rein. Vorerst zumindest nicht. Dir ist schon klar, dass Du gerade wieder mehr Fragen aufgeworfen hast, als Du geklärt hast, oder? Aber ich bohre heute nicht mehr weiter.”

„Ja. Aber falls es Dich beruhigt: Es geht mir nicht anders. Auch bei mir tauchen immer mehr Fragen als Antworten auf. Das ist normal. Das ist geil! Genau deswegen macht das Leben Spaß! Bleib neugierig!”

„Du bist verrückt.”

„Auch das gehört etwas dazu ...”

Unerwartet wurde FX ernst und blickte Henne direkt in die Augen.

„Wie machen wir jetzt weiter?”

„Ich sag nichts, ich schwöre!”

Henne hielt seine rechte Hand in die Luft.

„Nein, das meine ich nicht. Das hab ich notfalls unter Kontrolle, wie Du weißt und unterstütze Dich da, wenn Du Hilfe brauchst. Ich meinte eher Nico.”

„Oh, ach so. Den hab ich ganz vergessen. Es war gerade so schön und unbeschwert.”

Verzweifelt richtete Henne seinen Blick auf den Boden.

„Henne, Du kannst vielleicht vor ihm weglaufen. Aber es wird immer wieder Leute wie ihn geben. Es wird immer wieder hässliche Situationen im Leben geben und Du kannst nicht immer weglaufen. Auch wenn es nicht einfach ist, glaub mir, es ist deutlich besser, wenn Du in solchen Fällen entgegen Deinen Instinkt handelst und nicht weg, sondern drauf zu läufst.”

„Du meinst, ich soll mich an ihm rächen?” Henne blickte ungläubig zu FX auf.

„Nein, das wäre mit Sicherheit nicht der richtige Weg. Auge um Auge hat die Welt noch nie voran gebracht.”

„Gerne würde ich ihm einfach nur einmal eine reinhauen, so fest wie ich nur kann!”

Seine Augen funkelten und Henne blickte FX direkt in die Augen.

„Das kann ich verstehen und ist durchaus nachvollziehbar. Aber das ist nicht der richtige Weg, glaub mir! Das bringt Dich nicht weiter. Das hilft Dir vielleicht kurz, aber ist keine Lösung.”

Und nach einer kurzen Pause hatte FX eine Idee.

„Aber vielleicht kann ich Dir anderweitig helfen ...”

Fragend blickte Henne FX in die Augen und er legte erwartungsvoll seine Stirn in Falten.

„Warte einfach ab. Du musst Dich der Situation lediglich stellen. Geh hin zu Nico und sieh ihm in die Augen. Auch wenn es krass schwer ist, geh so dicht ran, wie Du kannst. Spüre seinen Atem. Spüre seinen Hass auf Dich, dann wird er auch Deine Gefühle spüren. Wenn Du das schaffst und aushältst, werde ich für ein kleines Sahnehäubchen sorgen, dass Dir vermutlich gefallen wird.”

„Na toll, wieder so ein Geheimnis. Wer weiß, wie lange ich auf diese Auflösung wieder warten muss. FX, Du bist wirklich ein Großmeister der Nebelbomben ...”

Henne lachte laut auf, was sich in der Stille der stehengebliebenen Mensa hässlich und schrill anhörte. Erschrocken hielt er sich selbst den Mund zu.

„Komisch, diese Stille, nicht wahr? Sie ist fast unerträglich. Aber nur fast. Ich liebe sie. Man muss sich dran gewöhnen, bevor man sie wertschätzen kann.”

Wie zur Bestätigung nickte Henne nur stumm.

„Und was das Warten angeht: Ich muss dafür um Entschuldigung bitten. Ich habe zu Zeit definitiv ein schräges Verhältnis.”

„Ja, das kann man so sagen.”

„Wie alt bist Du, FX?”

Er hatte mit einer ganz anderen Frage gerechnet, weshalb ihn diese vollkommen unerwartet traf. Dementsprechend perplex saß er da. Er öffnete den Mund aber außer ein Schweigen brachte er nichts hervor. Natürlich wurde er dann und wann nach seinem Alter gefragt und immer hatte er eine plausibel klingende Lüge parat. Aber Hennes Frage war anders. Sie war ernst gemeint und ehrlich. Henne wusste, dass FX seinem Gegenüber in solch einem Falle nie die Wahrheit erzählen würde. Und Henne erwartete, dass das jetzt nicht passieren würde.

„Komm schon, so schwierig ist die Frage nun auch wieder nicht.”

FX schüttelte einmal den Kopf um wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Seine Dreads wippen wieder lustig umher, bis er sich verlegen durch die Haare strich, um noch etwas mehr Zeit zu gewinnen.

„Doch, ist sie. Ich müsste nachrechnen … Naja, Du warst selbst dabei. Tarragona. Das war 1978. Da war ich 10.”

„Oh, dann bist Du ja viel ...”

Henne war verwirrt und traute sich gar nicht, den Satz zu Ende zu bringen. Stattdessen versuchte er es mit einem neuen Ansatz.

„Aber Du siehst ...”

Aber auch diesen brachte er nicht zu Ende.

FX erlöste ihn aus der Klemme.

„Ja, ich bin sehr viel älter als Ihr. Rein rechnerisch. Und ja, ich sehe nicht so aus. Rein optisch.”

Ein tiefer Seufzer drang aus ihm heraus und hallte durch die Mensa. Als das letzte Echo erstarb, fuhr er fort.

„Das ist alles nicht so einfach. Und man sollte sich nicht zu viele Gedanken machen. Du weißt, das gibt nur Kopfschmerzen. Das menschliche Gehirn ist für Zeitakrobatik nie ausgelegt gewesen. Es ist sehr schwer, das alles zu erfassen. Aber nur so viel: Als Zeitreisender hat man ein paar Privilegien. Wenn wir nicht arbeiten, dürfen wir uns aussuchen, wann und wo wir leben. Und wir dürfen uns ein Alter aussuchen!”

„Zeitreisen? Wir? Alter aussuchen? Zeit aussuchen?”

FX lachte laut und musste sich den Bauch halten.

„Hej, ich hab Dich gewarnt! Jede Antwort wirft mehr Fragen auf als dass sie welche löst. Du hast auf eine Antwort von mir gleich vier Fragen gestellt!”

„Ich merke das schon.”

Henne blickte etwas zerknirscht und warf seine Stirn erneut in Falten.

„Vermutlich braucht es ewig, bis man das alles verstanden hat.”

„Ja, durchaus. Aber Zeit ist relativ. Also sie ist in diesem Falle sogar egal. Aber zurück zu Deinen Fragen: Ich kann mir aussuchen, in welcher Zeit ich leben möchte. Offensichtlich habe ich die Zeit gewählt, in der Du und Ihr lebt.”

FX lächelte Henne an, jedoch war dieser nicht in der Lage es zu erwidern, weshalb FX fortfuhr.

„Und wir altern nicht. Also physisch zumindest nicht. Wir werden alt, aber nicht älter. Wir behalten das Alter, was wir uns ausgesucht haben. Theoretisch können wir sogar das ändern.”

„Geil! Du bist unsterblich? Lebst ewig? Alterst nie? Wie genial ist das denn?”

„Drei Fragen auf eine Antwort! Man mag meinen, dass das geil wäre.”

FX, der gerade noch mit Freude und leuchtenden Augen erzählt und erklärt hatte, senkte seine Stimme. Sie wurde leiser und brüchig. Verlegen blickte er zu Boden.

„Zeit ist für mich nicht linear. Sie hat nicht 1970 begonnen und ist bis heute einfach so abgelaufen. Ich habe in der Zwischenzeit diverse Extrarunden gedreht. In der Zukunft, in der Vergangenheit. Ich kann durch die Zeit reisen Ich habe schon in vielen Zeiten viele Jahre verbracht. Nein, frag jetzt mal nicht nach.”

FX versuchte Hennes Neugierde im Zaum zu halten, der gerade Luft holte um eine weitere Frage zu stellen.

„In linearer Zeitrechnung ist mein Alter mehr als dreistellig. Ich bin unzählige Male in der Zeit vor und zurück gereist, habe in allen Epochen viele Jahre gelebt und gearbeitet, ohne zu altern. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich habe aufgehört, die Jahre zu zählen, weil es nicht wichtig ist. Und in diesen vielen, nennen wir sie Extra-Jahren, hab ich viel erlebt. Spannendes und schönes. Aber auch schreckliches und trauriges. Ich habe Freunde gewonnen und sie wieder verloren. Glaub mir, es ist nicht schön wenn man ständig seine besten Freunde zu Grabe tragen muss ...”

Henne war entsetzt und wusste nicht weiter. Der sonst so selbstsichere FX, der jetzt vor ihm saß, blickte starr auf einen fernen Punkt der vermutlich nicht im hier und jetzt lag. Aufrecht saß er da, bewegte sich nicht. Eine einzige Träne löste sich, rann langsam aber ungehindert die Wange herunter, sammelte sich am Kinn und tropfte schließlich zu Boden. Das Aufplatschen des Tropfens auf dem Boden erschien Henne wieder unglaublich laut und er erschrak. FX jedoch schien daran gewöhnt zu sein. Seine einzige Reaktion war ein langsames Schließen und Öffnen seiner Augen, bevor er entschlossen und mit fester Stimme weitersprach.

„Bevor man sich auf Zeitreisen einlässt, sollte man sich bewusst sein, dass man kurz davor ist, ethische und philosophische Grundsatzfragen komplett auf den Kopf zu stellen! Man setzt sich nicht einfach in eine Zeitmaschine wie in ein Flugzeug. So funktioniert das nicht. Es ist … schwierig.”

FX machte eine kurze Pause und schüttelte dann entschlossen den Kopf als Henne erneut ansetzte etwas zu sagen.

„Nein, nicht hier, nicht jetzt. Es ist verlockend, ich weiß. Auch ich war mal da, wo Du jetzt bist und hatte die selben Fragen wie Du. Einige hab ich immer noch. Und auch ich wollte damals alle Antworten haben. Sofort. Klar, wir hätten die Zeit. Wir haben gerade alle Zeit der Welt. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.”

Ein ironisches Grinsen huschte über FX Lippen und Henne verstand. Millionen von Fragen und Ideen schwirrten gerade durch seinen Kopf. Es gab so vieles, was er FX fragen wollte und er war etwas enttäuscht, dass er jetzt so abgewürgt wurde.

„Sei nicht enttäuscht. Mit diesem kleinen Ausflug ist Dir eine Ehre zuteil geworden, die nur sehr wenige Menschen bekommen. Ich werde Dir mehr über Zeitreisen und meinen Job erzählen. Aber nicht nur Dir, sondern Euch! Und dafür müssen wir hier weiter machen. Jetzt, Henne, ist es an der Zeit, wieder in die Zeit zurück zu kehren. Du hast noch eine kleine Aufgabe vor Dir!”

Henne schluckte kurz, hatte er Nico doch schon wieder vergessen oder verdrängt, weil FX ihm eine so spannende neue Welt offenbart hatte. Aber er besann sich und blickte FX treu mit großen Augen an.

„Ja, ich werde mich ihm stellen, mit Deiner Hilfe. Und ich verspreche auch hoch und heilig, dass ich Ben und Michel nichts von diesem geilen Trip erzählen werde. Ich schwöre!”

Um seinen Schwur noch weiter zu untermauern, ob er die rechte Hand und spreizte Zeige- und Mittelfinger auseinander. FX hingegen quittierte das nur mit einem lauten Lachen und entgegnete trocken.

„Ich weiß. Und auch dabei werde ich Dir helfen. Wie gesagt: Ich werde es Euch erzählen. Sei unbesorgt. Aber es ist meine Aufgabe, das zu tun, nicht Deine. Deswegen kommt jetzt etwas, was ich tun muss. Es ist nicht wegen Dir, es ist leider bei uns Gesetz.”

Er beugte sich etwas vor und legte seinen Zeigefinger auf Hennes Lippen für das Zeichen, dass er leise sein sollte. Dabei sah er Henne tief in die Augen und sprach in einem bestimmenden Tonfall, der keine Widerworte zu dulden schien.

„Ohne mein Einverständnis wirst Du ab sofort darüber nicht reden KÖNNEN.”

Überrascht von FX’ Tonfall, den er nicht erwartet hatte, zuckte Henne leicht zusammen, ohne dass seine Lippen den Kontakt zu FX’ Zeigefinger verloren. Erst, als FX seinen Finger weg nahm, trennten sich die beiden wirklich und FX nickte auffordernd und fragte keck.

„Okay, eine Frage darfst Du noch stellen ...”

Durch Hennes Kopf schossen plötzlich unzählige Fragen, die er FX noch stellen wollte. Was ist spannender? Die Zukunft oder die Vergangenheit? Hatte er sich selbst je gesehen in der Vergangenheit getroffen? Warum hat er das Feuer in Tarragona nicht aufgehalten, wenn er denn durch die Zeit reisen konnte? Ja, diese Frage sollte es werden!

Henne wollte etwas Dramaturgie in seine letzte Frage bringen. Er setzte sich kerzengerade hin im Schneidersitz und sah FX direkt in die Augen. Dann wartete er kurz, bevor er den Mund öffnete um seine Frage zu stellen. Und es geschah nichts. Sein Mund öffnete sich, aber er hörte weder die Worte, die er sagen wollte noch bewegten sich seine Lippen. Es war, als würde ihm die Luft zum Sprechen fehlen.

Verwirrt blickte er FX an und setzte ein zweites Mal an, seine Frage zu stellen. Auch dieses Mal versagte er komplett. Sein Herz begann zu rasen, der Schweiß schoss ihm auf die Stirn. Was war geschehen? Er war plötzlich stumm? Wieso konnte er nicht mehr sprechen?

„Henne, alles okay?”

„Nein … Ja! Was ...”

„Keine Sorge, Du kannst sprechen. Aber nicht über alles. Zumindest nicht, ohne dass ich es erlaube. Und das betrifft auch nur unser kleines Geheimnis hier. Alles andere verbiete ich Dir natürlich nicht. Und auch das wird nicht sehr lange unser beider Geheimnis bleiben, keine Sorge. Sobald Michel und Ben mit im Boot sind, ist dieser Bann innerhalb unserer Gruppe aufgehoben. Es tut mir wirklich leid, dass ich das tun muss. Aber das dient zu unserem Schutz. Und auch zu Deinem.”

Henne war enttäuscht. Vertraute ihm FX etwa nicht? Dachte FX, er sei ein elendes Klatschweib, was alles sofort weiter tratschen würde? Er, Henne, war sehr integer und er konnte ein Geheimnis sehr wohl für sich behalten! FX war nicht der Erste, der ihm etwas wichtiges anvertraute, was nicht an die große Glocke gehängt werden sollte.

„Natürlich bist Du kein Klatschweib!”

Henne sah ihn irritiert an. War es Zufall oder hatte FX gerade seine Gedanken gelesen?

„Tschuldige ...”

FX sah betreten zu Boden.

„Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder?”

„Ich mach das sonst wirklich nie. Aber manchmal muss ich mir halt sicher sein, dass es anderen Menschen gut geht! Und bitte glaub mir, ich merke mir wirklich nicht das, was andere gerade denken oder so. Dann würde mein Kopf ja platzen vor lauter Infos!”

„Ich glaub, wir sollten hier wirklich verschwinden, bevor das noch unheimlicher wird mir Dir!”

Dieses Mal war es FX, der Luft holte um etwas zu sagen und sogleich von Henne unterbrochen wurde.

„Nein, keine Sorge, ich mag Dich trotzdem. Das kannst Du gerne nachschauen!”

FX lächelte dankbar, stand auf. Er musste nicht nachschauen, er wusste auch so, dass Henne ihn mochte. Sehr mochte.

„Komm. Ich setze die Zeit wieder in Gang. The show must go on. Stell Dich hier hin, bück Dich und fang Dein Tablett gleich wieder auf, wenn die Zeit weiter fließt. Du hast die letzte Portion bekommen, die sollte besser nicht auf dem Boden landen.”

LOS

Es klirrte, als Hennes Glas umkippte und dessen Inhalt auf dem Tablett verspritzte. Es gab einen fürchterlichen Ruck. Nicht nach vorne oder nach hinten. Eher nach innen oder außen. Obwohl Henne darauf vorbereitet war, zumindest hatte FX ihm gesagt, dass er sich bereit machen sollte, wofür auch immer, kam es doch überraschend. Aber der Schreck währte nur kurz und er parierte schnell. Das Geschirr auf seinem Tablett klapperte zum Protest, das Glas kippte um, aber er fing das Tablett tatsächlich auf und rettete sein Mittagessen. Kurz fragte er sich, ob er überhaupt Hunger hätte in Anbetracht der Tatsache, was ihm gleich bevorstehen würde. Aber die Antwort konnte er sich nicht mehr selber geben.

Die Geräusche zogen die Aufmerksamkeit von Nico auf das Geschehen in seinem Rücken und schnell drehte er sich um. Mit bösartig funkelnden Augen blickte er sich um und machte schnell den Übeltäter mit dem bunten Irokesen aus, der seine Mittagspause so unwirsch gestört hatte. Und einen Augenblick später stand der Typ auch schon vor ihm, wie auch immer er so schnell von einem Ende des Speisesaals zum anderen gekommen war.

Vielleicht meinte FX auch das, worauf er sich vorbereiten sollte. Wenn er, Henne, die Wahl gehabt hätte, würde er viel lieber hunderte Male mit der Zeit anhalten und weiter mit FX quatschen, als sich noch einmal diesen Blicken auszusetzen. Sein Herz setzte aus und nach ein paar verpassten Schlägen versuchte es, das Versäumte aufzuholen und schlug mit der doppelten Frequenz. Er spürte, wie seine Hände feucht und rutschig wurden vor Angstschweiß. Zwar wusste er nicht, was er seinem Peiniger hätte sagen wollen, aber selbst wenn: Sein Hals war wie zugeschnürt.

Wie zu erwarten, war der Typ schlagfertiger als Henne und so ergriff er zuerst das Wort. Seine Stimme klang widerwärtig und abstoßend.

„Was willst Du Ratte? Kriech in das Loch, wo Du hergekommen bist und komm erst zurück, wenn Du hast was mir gehört! Du schuldest uns was!”

Ja richtig. Das war es. Henne hatte es schon fast verdrängt. Der bittere Nachgeschmack ihrer ersten Uni-Party kam wieder hervor. FX hatte, bestimmt war es FX, da war sich Henne jetzt absolut sicher, diese uralte Messingplatte in dem genauso alten Fass irgendwie ausgetauscht oder manipuliert. Jedenfalls hatte er so den Typen gehörig an der Nase herumgeführt und das nahm er ihnen jetzt noch übel. Seine Wut ließ er schließlich an Henne aus, den er damals gekidnappt und über mehrere Tage in einem geheimen Verlies der Universität gefoltert hatte. Damals. So lang war das noch gar nicht her, schoss es Henne durch den Kopf. Aber so viel war seit dem passiert.

Vor allem hätte der Typ gar nicht mehr hier sein dürfen! Er war damals im letzten Semester und hätte jetzt fertig sein müssen. Jeder an dieser Uni macht in der Regelstudienzeit seinen Abschluss. Vielleicht hatte Henne auch deswegen diesen Typen so gut verdrängt; er hätte ihn ohnehin nicht wieder gesehen.

Wieder kamen diese Gefühle aus dem Kerker in ihm auf. Ja, da waren diese Schmerzen. So stark und lang anhaltend, wie er sie noch nie erfahren hatte. Auf einer Skala von eins bis zehn war es mindestens eine elf. Aber das war nicht das schlimmste. Viel schwerer wogen die Hilflosigkeit und Einsamkeit. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein und keine Hilfe von seinen Freunden zu bekommen. Niemand wusste, wo er war und gefühlt hatte es Ewigkeiten gedauert, bis er von seinen Freunden gerettet wurde.

Er spürte, wie seine Knie weich wurden und er im Begriff war, ohnmächtig zu werden. Henne kämpfte gegen seine drohende Ohnmacht an. Er durfte ihr jetzt nicht nachgeben, auch wenn es so verlockend und einfach war. Er musste nur etwas seine Beine locker lassen, damit seine Knie einknickten und er endlich bewusstlos zu Boden sinken konnte. Es schien so einfach zu sein, dieser schmerzhaften Situation zu entkommen. Aber er stemmte sich mit aller Kraft gegen diesen Drang des einfachen Wegs. Er wollte nicht abhauen, er wollte sich der Situation mit Nico stellen. Das hatte er FX versprochen. Das hatte er sich selber auch versprochen. Henne kämpfte dagegen an, merkte jedoch, wie sein Blickfeld enger wurde und vom Rand her immer schwärzer. Schließlich nahm das Gesicht seines Peinigers sein gesamtes Blickfeld ein. Wenn er vorher am Rand der Panik war, so war er nun einen Schritt weiter.

Seine Füße und Hände begannen zu kribbeln. Er spürte erneut, wie ihm alles zu entrinnen drohte. Es war genau das selbe Gefühl, was er gerade gehabt hatte, kurz bevor FX seine Zeit-Notbremse gezogen hatte.

Wo war FX überhaupt. Wollte er ihm nicht helfen, zur Seite stehen? Henne wusste jetzt genau, dass er das nicht überstehen würde. Im Endeffekt war er nun doch alleine. Er spürte, wie seine Knie nun doch nachgaben, musste mit Entsetzen feststellen, wie sein Blick noch schmaler wurde als zuvor und er nur noch die Augen seines Peinigers sehen konnte.

Inständig bat Henne darum, dass es jetzt bitte vorbei sein möge und die Dunkelheit ihn bitte in Empfang nehmen sollte, damit er von diesem Druck befreit werden würde.

In seinem Nacken fing es plötzlich an. Es wurde warm. Es fühlte sich komisch an. Es fühlte sich gut an! Es krabbelte von hinten den Kopf hinauf und machte sich dann auf der Stirn breit. Als es seine Schläfen erreichte, entspannte sich Henne. FX war da. Wie auch immer er das gemacht hatte. Henne wusste, dass er nicht alleine war.

Einen Lidschlag später sah er wieder klar. Der Tunnelblick war verschwunden und seine Knie gehorchten ihm wieder. Entschlossen krallte er sich am Tablett fest, bis die Knöchel seiner Finger weiß hervortraten. Er kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und fixierte seinen Peiniger.

Dieser zuckte ob der neuen Reaktion von Henne kurz zusammen und versuchte einen Schritt nach hinten auszuweichen. Er stieß gegen den Tisch und blieb überrascht stehen. Henne sagte keinen Ton, sondern fixierte ganz instinktiv mit seinen Blicken einen Punkt hinter der Stirn seines Gegenüber. Unzählige Dinge schossen ihm durch den Kopf, die er dem Typen an den Kopf werfen wollte. Von übelsten Beschimpfungen bis hin Drohungen.

„Na, durchgefallen?”

Diese Frage, noch dazu mit einem süffisanten Grinsen, hatte Henne von sich selbst am wenigsten erwartet. Aber sie gefiel ihm. Er ließ seinen Gegenüber nicht einen Augenblick unbeobachtet und starrte weiterhin hinter seine Stirn.

Der so angestarrte wurde zusehends unsicherer. Die Mittagssonne schien durch die großen Fenster und man konnte die im Licht glitzernden Schweißperlen auf seiner Stirn beim Wachsen zuschauen. Nico rang nach Luft und wusste nicht so recht, wie er auf diese Frage parieren sollte. Er öffnete den Mund, ohne dass ein Laut darauf hervorkam. Schloss ihn wieder um ihn kurz darauf wieder zu öffnen.

„I…i…ich… Da…da…das g...g...g...geht D...d...”

Irritiert brach Nico ab, wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn, drehte sich um und lief in Panik aus der Mensa.

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