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Quartett

Teil 4 - Der Kerker & Die Rettung

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Inhaltsverzeichnis

7. Der Kerker

Wie gemein! Zu wissen, dass man die geheime Geheimtür gefunden hat, war das Eine. Nicht zu wissen, wie man diese öffnen konnte, war wirklich zum Haare ausreißen, was Ben auch fast tat. Sein Cap hatte er schon lange einmal quer über den Flur geworfen und sein Board mit voller Wucht gegen die Tür gerammt. Jetzt waren seine Haare fällig und die sonst so sorgsam gehütete Frisur sah nun wirklich aus, als wenn ein Wirbelsturm durch sie hinweg gefahren war. Und wenn er nicht mit seinen Haaren beschäftigt war, dann fummelte er nervös an den Gummis seiner Zahnspange herum. Als das vierte und letzte gerissen war, schaute er genervt zu den anderen beiden, die ihn die ganze Zeit beobachtet haben.

„Was glotzt Ihr so???”, fragte er pampig. „Geht Euch das alles am Arsch vorbei?”

„Ben”, versuchte FX ihn zu beruhigen, was erfahrungsgemäß in diesem Stadium extrem schwierig war, „natürlich geht uns das nicht am Arsch vorbei. Ganz im Gegenteil, es nimmt uns genauso mit wie Dich auch! Aber es hat halt jeder eine andere Art, damit fertig zu werden und ...”

Weiter kam er nicht, denn in dem Augenblick geschahen mehrere Dinge fast gleichzeitig: Erst drehte sich der Lüster über ihnen. Nicht viel, deutlich weniger als eine Vierteldrehung. Genau so weit, dass alle sechs Kerzen vermeintlich wieder am selben Platz zu sein schienen. Danach bewegte sich eine der alten Fackeln an der Wand ein Stück nach oben. Auch nicht besonders viel, aber dennoch genug, um wahrgenommen zu werden, wenn man denn zufällig darauf achtete. Die dritte Bewegung aus dem Nichts vollführte die uralte Kommode, die direkt neben der steinernen geheimen Tür stand. Dort öffnete sich die oberste Schublade einen Spalt weit. Und dann glitt die massive Steintür plötzlich lautlos zunächst etwa einem halben Meter nach hinten in die Wand hinein und danach rutschte sie genauso lautlos zur Seite. Und da war er plötzlich, der von FX prophezeite Geheimgang ins Dunkel!

Bereits mit der Drehung des Kronleuchters sprang FX aus dem Schneidersitz senkrecht in die Höhe. Auch die anderen waren vollkommen wach und bereit, wenn auch nicht ganz so schnell wie er. Trotz seines Dauer-Sports war Michel sogar der langsamste, denn er staunte über den Sprung, den FX aus dem Sitzen heraus machen konnte. Daher war Michel es auch, den sich FX im wahrsten Sinne des Wortes am Kragen packte und um die Ecke in Richtung Cafeteria hinter eine Quadriga aus Ritterrüstungen zerrte, um dort Schutz zu suchen. Vor wem auch immer, aber die Tür öffnete sich mit Sicherheit nicht einfach so ohne Grund.

Allerdings saß Michel nun rechts von FX, so dass dieser mit seinem Gipsarm etwas umständlich zugreifen musste, um ihn zu packen und in Deckung zu zerren. Der Gips war am Ende sehr rau und kratzig, so dass Michel durch das Hochreißen unfreiwillig einen Satz blutiger Schrammen im Nacken hatte, und dieses mit einem lauten Aufschrei quittieren wollte. Geistesgegenwärtig nahm FX seine linke Hand, hielt ihm damit den Mund zu und erstickte so jeden Laut im Keim. So große Hände sind durchaus praktisch, dachte FX im Stillen.

Ben war da schon geistesgegenwärtiger, schnappte sein Skateboard und huschte mit den beiden anderen in Richtung Versteck hinter den Rüstungen. Erst als er sich zusammen mit den anderen Beiden zwischen die massigen Rüstungen gezwängt hatte, fiel sein Blick zurück auf den Fleck vor der Tür, wo sie gesessen hatten und wo sich gerade die Fackel an der Wand bewegt hatte. Dort lag, halb unter der Kommode halb im Gang, sein knallblaues Cap!

Mit weit aufgerissenen Augen starrte er zunächst auf das Corpus Delicti, dann zu Michel und FX. Ersterer war noch mit seinem schmerzenden und leicht blutigen Nacken beschäftigt. Letzterer blickte kurz in die angedeutete Richtung, entdeckte die Mütze und rollte mit den Augen. Sehr eindeutig gab er Ben zu verstehen, dass er nicht noch einmal loslaufen sollte, um sein Cap zu holen: Erst zeigte FX mit dem Zeigefinger auf Ben und sah ihn dabei durchdringend an. Danach deutete er mit dem Zeigefinger nach unten auf die Stelle, wo sie gerade standen. Ben nickte kreidebleich, woraufhin FX als nächstes die Geste eines Halsabschneidens machte und danach wieder auf Ben zeigte. Der so verurteilte schluckte trocken und sah beschämt zu Boden. Schließlich gab FX, während er Ben immer noch mit böse funkelnden Augen direkt ansah, der blöden Mütze in Gedanken einen kleinen Stupser, so dass sie just in dem Moment, als sich die Steinwand öffnete, vollends unter der Kommode verschwand. Michel hatte nichts gesehen, er rieb sich nach wie vor den aufgekratzten Nacken. Ben bemerkte das Verrutschen seines Caps unter die Kommode ebenfalls nicht, da er schuldbewusst nach unten schaute.

Als die massive Steintür lautlos zurück und zur Seite glitt und dabei den düsteren Gang freigab, hielten die drei Jungs die Luft an und richteten ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das freigegebene schwarze Loch in der Wand. Alle warteten gespannt, wer diesen geheimen Mechanismus von innen aktiviert haben mochte und wer jetzt in den schummrigen Raum im Turm treten würde.

Sie hatten es alle drei vermutet, und sie lagen alle richtig. Es waren Maik und Nico!

Ben zuckte, wollte schon aufspringen und sich auf die beiden stürzen und keiner der anderen beiden wollte sich so recht ausmalen, was er noch alles mit den beiden aus dem höheren Semester anstellen wollte. Daher hatten sowohl FX als auch Michel ohne Absprache jeweils eine Hand auf Bens Schulter und hielten ihn so weiterhin in Deckung, so dass sie der gedämpften Unterhaltung der Übeltäter lauschen konnten.

„Ich hätte nicht gedacht, dass der so hartnäckig ist!”

„Wie lange willst Du ihn denn noch im Kerker lassen?”

„Bis er mit der Sprache rausrückt natürlich. Was denkst Du denn, Du Vollidiot?”

„Ich glaube nicht, dass er weiß, wo unser Schild ist. So lange hat es noch nie jemand da drin ausgehalten.”

„Blödmann, der ist nur zäh. Aber wir kochen den schon weich, ich hab noch ganz andere Dinge auf Lager, glaub mir!”

„Bisher hat jeder nach 2 Tagen alles gestanden und gemacht, was wir wollten. Alles! Jeder! Der Typ ist jetzt schon doppelt so lange auf der Streckbank!”

„Und da bleibt er auch, das glaubst Du ja wohl. Morgen früh, vor der Vorlesung werden wir unter seinen Füßen noch ...”

Mehr war nicht zu hören, denn die beiden waren im Eingang ihrer WG verschwunden. Allerdings nicht ohne zuvor die Tür wieder zu verschließen, indem sie einfach die Schublade zugeschoben haben. Das setze offensichtlich die ganze Maschinerie wieder rückwärts in Bewegung, bis die grob behauenen Felsen der Tür wieder bündig mit der Wand eine Einheit bildeten und im ganzen Flur wieder eine bedrückende Stille herrschte.

Kaum waren die beiden verschwunden, wollte Ben erneut aufstehen und ein weiteres Mal wurde er von den anderen beiden daran gehindert. Egal, ob er nach rechts oder links blickte, von beiden Seiten erntete er funkelnde Blicke, die ihm unmissverständlich klar machten, dass er gefälligst zu warten habe.

Nach quälend langen und schier endlosen fünfzehn Minuten lockerten Michel und FX schließlich ihren Griff. Ben sprang auf, drehte sich um, blickte wütend auf seine noch knienden Freunde, öffnete den Mund und sagte: nichts.

Einen Augenblick später folgte von ihm dann ein erleichtertes: „Danke. Ich weiß nicht, was ohne Euch passiert wäre.”

Michel war etwas angesäuert, als er Ben zurechtwies: „Du sammelst jetzt erst mal Dein blödes Cap ein! Das ist uns ja wohl fast zum Verhängnis geworden. Und die Reste von Deinen Gummis, die Du Dir aus lauter Verzweiflung aus Deiner Spange gepult hast, gleich mit!”

„Sir, jawohl, Sir!”, salutierte Ben und grinste.

„Arbeitest Du bei der Resterampe oder was? Wenn überhaupt heißt das: Sir, JA, Sir!”

Erschrocken zuckte Ben zusammen, als er erneut und diesmal noch ernster angezählt wurde. Michel klang ja fast wie ein Drill-Instructor.

„Kinners, kommt mal wieder auf den Teppich. Da unten wartet unser Freund auf uns und es klang so, als wenn er dringend unsere Hilfe braucht!”, ermahnte FX die anderen beiden.

Michel zwängte sich als letztes aus der Ecke hinter den Rüstungen hervor und rappelte sich auf. Ihm war in der Hocke ein Bein eingeschlafen und so verlor er beim Aufstehen fast das Gleichgewicht. An eine der Rüstungen abstützend, konnte er sich jedoch gerade so auf den Beinen halten. Allerdings quittierte die Rüstung seine Handgreiflichkeiten mit einem lauten Quietschen, was mit bösen Blicken der anderen sofort bestraft wurde.

„Geht's noch?!?”, zischte FX.

„‘tschuldige, mein Bein ist eingeschlafen …”

„Okay”, meinte Ben, wieder voll konzentriert und ernst, „FX, Du hast Dir mit Deinem Superhirn bestimmt alles gemerkt, wie man diese Zaubertür wieder in Bewegung setzt, oder?”

„Klar!”

„Dann sach an, Diggi, wir machen das schon! Mach hin und bummel nich!”

„Also, als erstes dreht man den Kronleuchter um den Abstand von einer Lampe.”

Alle warteten, aber nichts passierte. Plötzlich fiel FX auf, dass er von den anderen beiden angestarrt wurde und sie auf ihn warteten, denn er war der einzige, der ohne Hilfsmittel an den Kronleuchter herankam.

„Oh, ‘tschuldigt, wie unaufmerksam von mir. Aber den Rest bekommt ihr hin, oder? Rechte Fackel hochschieben und links die Schublade der Kommode öffnen.”

Als Antwort bekam er nur ein ironisches Grinsen der anderen beiden. Die taten danach, was FX aufgezählt hatte und tatsächlich, die Tür glitt auf und gab den Gang frei.

Ein leichter Hauch kühler und feuchter Luft wehte ihnen entgegen. Erstaunlicherweise roch diese Luft aber weder modrig noch schimmelig. Nein, sie war ganz frisch. Immerhin etwas Angenehmes an diesem Gang, denn ansonsten starrten sie in ein dunkles eckiges Loch, welches wenig einladend aussah.

„Ich glaube, wir müssen schon rein gehen”, meinte Michel, wobei seine Stimme zwar nicht zittrig, aber dennoch etwas dünn klang.

Also zückte jeder seine Taschenlampe, schaltete sie ein und dann gingen sie langsam durch den Eingang in eine neue unbekannte Welt ihrer Alma Mater. Michel ging voran, gefolgt von FX. Ben ging hinten und erschreckte sich gehörig, als sich kurz nach durchschreiten der Tür diese wieder schloss.

„Woher wusste die Tür das denn?”

Der Gang war, wie die Tür auch, gut einen halben Meter breit und ging zunächst einfach geradeaus. Nach etwa fünf Metern erschien eine enge und steile Wendeltreppe, die sich direkt nach unten schraubte. In Windeseile hatten sie dank der steilen Treppe mit ihren ungewöhnlich hohen Stufen ein Doppelstockwerk hinter sich gelassen. Sie mussten jetzt also auf +3 sein. Und tatsächlich, auch hier gab es wieder so einen etwa fünf Meter langen Gang. Anscheinend hatte jedes Stockwerk einen Zugang zu diesem geheimen Wendeltreppenhaus. Stockwerk um Stockwerk gingen sie die steile Wendeltreppe hinab. Selbst im Sockelgeschoss gab es eine geheime Zugangstür, auch wenn hier der Gang deutlich kürzer war als in den anderen Stockwerken.

Weiter ging es abwärts. Obwohl es ohne Taschenlampe bereits absolut dunkel war, hatte man das Gefühl, dass es mit jeder Wendel der Treppe, die man abwärts stieg, noch dunkler, noch drückender und noch beklemmender wurde.

Auf -2 hielt Michel plötzlich an und fragte flüsternd seine beiden Gefolgsleute: „Sagt mal, wir sind jetzt zwar in einem geheimen Gangsystem unserer Uni, aber woher wissen wir denn, wohin wir genau müssen? Ich meine, so wie sich das bisher dargestellt hat, müssen wir davon ausgehen, dass hier alles mehr oder weniger doppelt vorhanden ist. Die geheimen Gänge scheinen nämlich parallel zu den öffentlichen Gängen zu verlaufen. Die Uni wäre dann doppelt so groß, wie wir eigentlich vermutet haben!”

Ratloses Schweigen gesellte sich zur absoluten Dunkelheit.

„Recht hat er”, meinte Ben vom Ende der kleinen Karawane, „wir können ja kaum die ganze versteckte Uni noch einmal absuchen!”

„Macht mal bitte Eure Taschenlampen aus”, bat FX, was auch umgehend und ohne Murren in die Tat umgesetzt wurde. „Und nun müssen wir kurz warten, bis sich unsere Augen an diese absolute Dunkelheit gewöhnt haben.”

„Digga, was soll das denn werden? Wenn Du wieder an mich ran willst, dann kannste das auch im Hellen haben!”

„Ich weiß!”, entgegnete FX mit einem Grinsen, was in der Dunkelheit zwar niemand sehen, aber alle spüren konnten. Obwohl Ben zwei hohen Stufen über FX stand, wurde er dennoch vom langen FX überragt und bekam zu seiner großen Überraschung einen flüchtigen Kuss auf die Wange gedrückt.

„Was ist Euch aufgefallen, als die beiden Brutalos aus der Tür kamen?”

„Mir ist aufgefallen, dass Ihr mich zurückgehalten habt. Sonst hätte ich die windelweich geschlagen!”

„Dass Du blind vor Wut warst, ist uns beiden klar. Michel, Du hast es bestimmt gesehen. Ich kenn’ Dich doch. Oder, um dir etwas auf die Sprünge zu helfen: Was hast Du NICHT gesehen, was fehlte?”

„Krass!”, kam es von Michel nach einer kurzen Denkpause voller Überraschung.

„Hej, Junx, lasst mich nicht dumm sterben! Verratet Ihr mir vielleicht auch mal was?” Ben konnte, wenn er wollte, richtig lieb sein.

Michel löste das Rätsel sogleich auf: „Die hatten kein Licht dabei! Keine Taschenlampe. Nichts!”

„Korrekt”, entgegnete FX und machte mit seiner freien Hand eine einladende Geste in die Runde. Die anderen beiden staunten nicht schlecht, als sie realisierten, was sich gerade um sie herum abspielte und sie in der Zwischenzeit sehen konnten, weil sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten: Sämtliche Fugen im Mauerwerk um sie herum und auch in der Decke, sie waren etwa so breit wie ein Daumen, leuchteten in einem satten Orange und wiesen einem den Weg die Treppe hinunter und zeigten, wie ein leuchtendes Gitter jede einzelne Abzweigung. Man kam sich fast vor, wie in einem Computerspiel, wo die neue Welt erst noch gerendert werden muss und bisher nur das Netz fertig berechnet ist. Alle Quadrate dazwischen, also die Granitblöcke, waren nach wie vor absolut schwarz. Lediglich die Fugen leuchteten und je besser sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, desto besser konnten sie auch Konturen und Richtungen der Gänge erkennen.

„Wahnsinn!”, flüsterte Ben.

„Was ist es?” Michel bewegte seine Hand vorsichtig in Richtung einer dieser Fugen, um sie zu berühren.

„Biolumineszenz. Nicht anfassen, es lebt und Du würdest es vermutlich töten”, klärte FX sie auf.

„Woher weißt Du so einen Scheiß???”

„Was soll es sonst sein? Es ist nicht neu. Es ist Jahrhunderte alt. Aliens werden es nicht sein, auch wenn es eine Möglichkeit wäre. Prinzipiell ist es genau das Selbe wie bei Glühwürmchen auch, nur dass es halt von Bakterien gemacht wird. Es ist halt statisch, weil sich die Bakterien nicht bewegen wie die Glühwürmchen, aber es sieht wundervoll und beeindruckend aus. Das hat Jahrhunderte zum Wachsen gebraucht … ”

„Aber wovon ernähren sie sich?”

„Das, lieber Michel, ist unsere Fahrkarte ans Ziel! Denn sie ernähren sich von uns. Von dem, was wir ausscheiden, ausdünsten und ausatmen. Bekommen sie nichts zu futtern, fallen sie in eine Art Winterschlaf und wachen erst wieder auf, wenn es Nahrung gibt.”

„Das bedeutet, dass wir nur dem erleuchteten Pfad folgen müssen?”

Und genauso war es auch. Mit Erreichen der dritten Verlies-Ebene wurde der Weg der Wendeltreppe beziehungsweise das Leuchten in den Fugen schon nach wenigen Stufen deutlich dunkler. Jedoch der Gang weg von der Treppe, der in den Ostflügel führte, leuchtete nach wie vor mit derselben Intensität, wie zuvor das Treppenhaus.

Der Rettungstrupp bog also in den Gang hinein, der sie tief unter den Verwaltungstrakt führte. Sie mussten jetzt genau eine Ebene über dem Partykeller sein. Und nach wenigen Metern änderte sich auch die Leuchtfarbe der Fugen. Statt dem kräftigen Orange herrschte in dem Gang ein eher grün-bläulicher Farbton vor.

Im Gegensatz zum sehr schmalen Treppenhaus war der Gang hier deutlich breiter, so dass die Drei fast nebeneinander gehen konnten. Er führte, wie sie es von den normalen öffentlichen Gängen bereits kannten, schnurgerade aus. Im Abstand von etwa zehn Metern gab es immer wieder schwere Eichentüren, die rechts und links in separate Kammern führten. Die meisten Türen waren verschlossen. Einige jedoch standen halb oder ganz offen. Jedoch war es dunkel darin. Offensichtlich hatte diesen Raum schon längere Zeit niemand betreten, so dass die Leuchtbakterien der Fugen kein Futter mehr bekamen und ihre Funktion vorübergehend eingestellt haben.

Michel war neugierig, zückte seine Taschenlampe und leuchtete in eine der Kammern.

„Alter, Du Idiot, bist Du wirr?!?”

Ihre Augen hatten sich bestens an die fast komplette Dunkelheit gewöhnt und ihre Pupillen waren maximal geweitet. Das gleißend helle weiße Licht der LED Taschenlampe, die man im Notfall der Größe wegen auch zu Zwecken der Selbstverteidigung nutzen konnte, blendete die Gruppe dermaßen, dass sie für fast eine Minute gar nichts mehr sehen konnten.

„’tschuldigung.”

Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen wieder an die ungewohnte Helligkeit. Aber was sie dann sahen, verschlug allen die Sprache. Selbst Ben, der um einen blöden Spruch nie verlegen war, bekam kein Wort über die Lippen.

Der Raum war nahezu quadratisch mit etwa fünf Metern Länge. Auch hier waren die Wände aus den gleichen Steinen, wie die Zimmer und der Rest der Burg. Allerdings waren die Flächen weit weniger gut bearbeitet und nicht so schön glatt und eben, wie man das sonst kannte. Die Oberflächen waren rau und sehr uneben. Man hatte eher den Eindruck, in einer Felshöhle zu sein, als in einem gemauerten Raum.

Mitten in diesem Raum stand eine Vorrichtung aus Holz; sie war das dominierende Element in diesem Raum. Uraltes Eichenholz, wie auch die Türen und fast alle Möbel hier. Das Ding war etwa zweieinhalb Meter lang und eineinhalb Meter breit. Das Ding stand längs im Raum mit der schmaleren Seite der Eingangstür zugewandt. An beiden Enden waren jeweils zwei schwere Eisenketten befestigt, an deren Ende wiederum am Ende ein dicker Metallring angebracht war, der eigentlich aus zwei Halbkreisen bestand und mit alten Schrauben zusammengehalten wurde. Die Ketten, die am entfernteren Ende angebracht waren, waren über eine große Rolle mit einem noch größeren Drehrad befestigt.

„Eine Streckbank”, flüsterte Michel erschrocken, „aus dem tiefsten Mittelalter. Wie grauenhaft!”

An einer der Seitenwände hingen, fein säuberlich aufgereiht, diverse „Instrumente”, um die Arbeit des Folterknechts etwas abwechslungsreicher, spannender und effektiver zu gestalten. Zangen, Peitschen und Klemmen in verschiedenen Größen und Ausführungen waren nach Größe und Modell sortiert. Nur eine sehr dünne Staubschicht bedeckte alles.

Gegenüber auf der anderen Seite stand ein Stuhl an der Wand. Von der Größe her war es allerdings eher ein Thron. Allerdings sah dieses Modell deutlich unbequemer aus, da es ebenfalls aus nacktem purem Holz gefertigt war. Unzählige Schnallen und Riemen waren an dem Sitz befestigt, so dass der bedauernswerte Gast, der dort Platz nehmen musste, bestmöglich fixiert werden konnte. Selbst für die Hände, Füße und Kopf waren Halterungen in dem Stuhl vorgesehen. Etwas eigenartig waren lediglich die unzähligen Löcher in allen Auflageflächen: Löcher in der Sitzfläche sowie an den Arm- und der Rückenlehne. Selbst die senkrechten Flächen, an denen Unterschenkel und Oberarme fixiert wurden, hatten über ein Dutzend Löcher.

Als Michel an diesen zweifelhaften Thron herantrat, und einen Hebel an der Seite betätigte, wusste jeder sofort, wofür diese Löcher gedacht waren: Mit einem deutlich hörbaren mechanischen Klack schoben sich plötzlich unzählige metallene Spitzen aus den Löchern heraus und würden sich gnadenlos in das Fleisch des dort sitzenden hinein bohren. Unweigerlich zuckten Ben und FX zusammen, als dieses fiese Geräusch ertönte.

Da war der kleine Käfig hinten links in der Ecke des Raumes schon fast harmlos, wenn man davon absah, dass er zufälligerweise genau in den daneben stehenden Badezuber hineinpasste und mittels einer Seilwinde unter der Decke auch dort hineingelassen werden konnte. Selbstverständlich würde der Käfig komplett in dem Zuber untergetaucht werden können. Sonst hätte dieses Folterinstrument ja auch wenig Daseinsberechtigung.

„Das ist ja grauenhaft! Das ist ja wie im Museum!” Ben war entsetzt.

„Mit dem kleinen Unterschied, dass das hier kein Museum ist”, entgegnete Michel nüchtern.

„Freunde, ich denke, wir sollten uns beeilen und Henne suchen!”, mahnte FX zur Eile.

Etwa in der Mitte des Flügels, so schätzte FX, wurde das gründliche Biolumineszenz-Leuchten der Fugen merklich dunkler. Ein eindeutiges Zeichen, dass sich in letzter Zeit niemand mehr in diesem Bereich aufgehalten hat. Also konzentrierten sich die Freunde auf das mittlere Drittel des Ostflügels. Eine Tür nach der nächsten wurde geöffnet. Sie riefen Hennes Namen und klopften an verschlossene Türen. Glücklicherweise kamen sie so sehr schnell voran. Sorgen um etwaigen Lärm mussten sie sich nicht machen. Zum einen war es schon weit nach Mitternacht und zum anderen drang hier unten aus dem Verlies nicht ein Laut in bewohnte Bereiche.

Schließlich wurden sie fündig. Hinter einer verschlossenen Tür konnten sie das leise Rasseln von Ketten wahrnehmen!

„Hier ist er!”, rief Michel voller Freude. „Hier muss er sein, ich höre Geräusche aus dieser Zelle. Aber sie ist abgeschlossen.”

Im Schein dreier Taschenlampen, sie hatten sie nach dem Verlassen des ersten Gruselkabinetts nicht mehr ausgeschaltet, standen sie ratlos vor einer verschlossenen Kerkertür.

„Und wir kommen wir da jetzt rein?”

Seine Zahnspange glitzerte im Licht der Taschenlampen, so breit war das Grinsen von Ben, als er in seinem Rucksack herumwühlte und nach kurzer Zeit ein kleines Lederetui hervorholte.

„Sag nicht, das sind ...”

„Dietriche, genau!”

„Wieso … Woher … Ach, egal, mach auf”, forderte FX ihn auf.

Keine zwei Minuten später, Ben war etwas aus der Übung und das Schloss sehr schwergängig und verrostet. Gerade wollte Michel die Tür aufstoßen, da hielt FX ihn fest und deutete auf die Taschenlampen. Der arme Henne war nunmehr seit vier Tagen in dem Verlies eingesperrt und seine Augen wussten vermutlich nicht einmal mehr, wie hell Licht überhaupt sein konnte. Also schaltete jeder seine Lampe aus und sie warteten wieder, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten und sie das geisterhafte Licht der Bakterien erkennen konnten.

8. Die Rettung

Vorsichtig öffneten sie die Tür und traten ein. Keiner wusste so recht, was sie erwarten würde. Die Verunsicherung war groß, die Angst war noch größer. Wie würde es ihrem Freund gehen? Wie schwer war er verletzt? Würden sie ihn hier herausbekommen? Vor Anspannung hielt jeder die Luft an, als sie in die Kammer eintraten.

Der Raum war von ein paar Fackeln erhellt, die in Halterungen an der Wand hingen. Das Flackerlicht war mehr als ausreichend, alles in dem Raum zu erkennen. Und da lag er, festgespannt auf der Streckbank mit Füßen und Händen in den Eisen und die Ketten waren bis aufs äußerste gespannt. Mit nacktem Oberkörper lag er da, unzählige rote Striemen zeichneten sich darauf ab. Dutzende blutverkrustete Kratzer zeugten von den Gräueltaten, die man ihm angetan hat. Einige der Wunden hatten sich entzündet und Eiter lief aus ihnen heraus. Auch seine nackten Füße schien man malträtiert zu haben. Sie waren über und über mit blauen Flecken versehen. In seinem Mund steckte irgendein alter Lumpen, so dass er keinen Laut von sich geben konnte. Gehört hätte ihn hier in den Katakomben jedoch ohnehin niemand. Selbst im Kerker direkt daneben würden Geräusche vermutlich nur sehr gedämpft ankommen. Mit weit aufgerissenen Augen voller Angst und Hoffnung zugleich blickte Henne um sich. Da er mit dem Kopf zur Tür lag, konnte er nicht sehen, wer eintrat und ob es sich wirklich um seine Retter und Freunde handelte oder ob es wieder nur eine fiese Finte seiner Peiniger war.

FX lief sofort zu dem großen Rad hin und wollte den Zug von den Ketten nehmen, um Henne möglichst schnell eine Entlastung zu verschaffen, wurde aber von Michel ermahnt: „FX, auch wenn es Dir schwerfällt: Mach es bitte langsam. Ganz langsam! Es tut höllisch weh, wenn er jetzt einen Ruck abbekommt!”

Er tat, wie ihm geheißen und löste das Rad vorsichtig aus der Fixierung und drehte es nur Stück für Stück zurück, so dass sich der geschundene Körper von Henne an die neue Freiheit langsam gewöhnen könnte und keine rückwärtigen Bewegungen ertragen musste.

Während FX die Streckbank langsam wieder zurück kurbelte, hatte Michel den Knebel aus Hennes Mund entfernt. Da die beiden Peiniger erst vor relativ kurzer Zeit den Kerker verlassen hatten, musste Henne dieses Mal nicht ganz so lange mit dem alten Lappen im Mund verharren und daher waren die Schmerzen im Kiefer nicht ganz so stark und im Vergleich zu den restlichen Schmerzen ohnehin erträglich.

Tränen der Erleichterung und Freude rannen über seine Wangen. Niemand war auch nur fähig, ein Wort von sich zu geben. Jeder arbeitete konzentriert daran, Henne aus dieser misslichen Lage umgehend aber schonend zu befreien. FX hatte bereits sämtlichen Druck von den Ketten genommen, so dass Henne zum ersten Mal seit 4 Tagen wieder die Knie und Arme etwas anziehen konnte. Richtig gelingen wollte es ihm jedoch nicht. Zu groß waren noch die Schmerzen, so dass er einfach nur flach liegen blieb und keuchend atmete.

Ben hatte mittlerweile die Schlösser an den Armen mit einem weiteren Dietrich geöffnet und machte sich nun daran, die Fußfesseln zu lösen. Michel hielt vorsichtig Hennes Kopf und richtete seinen Oberkörper langsam und ruhig auf.

Obwohl es keine Viertelstunde gedauert hat, Henne zu befreien, kam es allen wie eine Ewigkeit vor. Die erste Anspannung war vorüber und die Erleichterung allen deutlich anzusehen, als Henne endlich komplett befreit auf der Streckbank lag. Eigenständig sitzen konnte er noch nicht, dafür war er zu kraftlos.

„Du bist viel zu schwach zum Laufen”, stellte FX fest und fuhr fort: „Michel, was denkst Du? Kannst Du Henne in unsere Wohnung tragen?”

„Klar. Wohin auch immer. Egal wie weit.”

„Alles klar. Ich zeige Euch gleich den Weg. Wir werden durch die geheimen Gänge bis direkt vor unser Zimmer gehen. Das geht am allerschnellsten und ist außerdem noch wunderbar unauffällig.” FX konnte ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ben, kannst Du das Schloss der Tür hier so manipulieren, dass man es selbst mit dem Schlüssel, den diese Typen haben, nicht mehr öffnen kann?”

„Wie hättest Du es denn gern? Ganz kaputt oder so, dass ich noch reinkomme?”

„Halb kaputt. Wer weiß, wofür es noch gut ist.”

Auf dem kürzesten Weg führte FX die wieder vereinten Freunde durch das geheime Labyrinth direkt bis zum Vorraum ihres Turmes im Südwesten. Die Frage, wie man die geheime Tür von innen öffnet, erledigte sich von alleine. Es schien irgendeinen geheimen Mechanismus zu geben, der die Tür automatisch öffnete, sobald man von innen in die Nähe dieser kam. Sobald sich die Wogen dieser Nacht und der vergangenen Vorfälle etwas geglättet hatten, würde er das noch einmal genauer untersuchen, beschloss FX.

In ihren Räumlichkeiten, legte Michel den vor Erschöpfung ohnmächtig gewordenen Henne auf sein Bett. Nicht eine Schweißperle war auf Michels Stirn zu sehen. Die Schlepperei des leblos anmutenden Körpers schien ihn überhaupt nicht anzustrengen. Ganz im Gegenteil, er lächelte sogar und strich ihm die langen bunten Haare seines vollkommen zerzausten Iros aus dem Gesicht, sobald er ihn vorsichtig auf dem Bett abgelegt hatte.

„Er braucht einen Arzt”, stellte Ben besorgt fest. „Die haben ihn echt übel zugerichtet, die Arschlöcher! Das werden sie büßen!”

Michel war bereits an der Tür und wollte die WG verlassen, um den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Universität zu alarmieren.

Dieser Notdienst war einer der unzähligen Vorteile, dieser privaten Bildungsanstalt. Man konnte dort zu jeder Tages- und Nachtzeit aufkreuzen oder ihn rufen. Egal mit welchen Beschwerden, sei es nun ein leichter Schnupfen oder aber ein schwerer Unfall. Selbst kleine Operationen und ambulante Eingriffe konnte man hier erledigen lassen. Es gab eine eigene Krankenstation mit ein paar Betten und natürlich auch eine Apotheke, auf dessen Ausstattung so manche Apotheke in Großstädten neidisch gewesen wäre.

„Ich denke, es eilt nicht”, meinte FX mit fester Stimme. „Sein Puls ist gleichmäßig und kräftig. Er atmet tief und regelmäßig. Er ist einfach nur unglaublich erschöpft und fertig. Ich denke, er braucht einfach nur etwas Ruhe. Morgen können wir immer noch den Arzt rufen.”

Die anderen beiden kamen näher ans Bett heran und beobachteten Henne für mehrere Minuten sehr genau, bevor sie sich schließlich der Meinung von FX anschlossen. Die Aufregung und Turbulenzen eines Besuches beim Arzt würde die jetzt aufkommende Ruhe nur wieder unnötig zerstören und Henne machte derzeit wirklich nicht den Eindruck, als würde sein Leben am seidenen Faden hängen.

Um die anderen weiter zu beruhigen, bot FX an, hier neben dem Bett etwas Wache zu halten und die anderen zu verständigen, sobald sich der Zustand von Henne verschlechterte. Dankend nahmen die beiden dieses Angebot an. Auch sie waren total fertig von dem langen, anstrengenden und vor allem ereignisreichen Tag. Sie zogen sich in das zweite Schlafzimmer zurück, legten sich ins Bett und schliefen im selben Moment auch ein.

Die Aufteilung der Schlafgelegenheiten war bei den Vieren ohnehin ein spannendes Thema. Zwar gab es in dieser, wie jeder anderen WG der Uni auch, zwei Schlafzimmer mit je zwei einzelnen Betten, Schränken, Nachtschränken und was man sonst noch alles für ein einfaches aber geordnetes Leben braucht. Jedoch hatte es sich irgendwie ergeben, dass jeder zwar „seinen” Schrank für seine Kleidung hatte, aber die Zuordnung der Betten war alles andere als fest.

Alles fing damit an, dass sie gegen Ende des ersten Monats an der Uni vor lauter Erschöpfung auf dem gemeinsamen Sofa beziehungsweise in deren Kuschelecke im Wohnzimmer eingeschlafen waren. Von da an gab es kaum eine Nacht, in der einer der Freunde alleine schlief. Entweder schliefen sie zu zweit in einem der Betten, was mit einzelnen King-Size-Matratzen zwar geht, aber dann doch sehr viel Nähe bedeutet. Oder aber sie schliefen alle im Wohnzimmer. Oder Kombinationen daraus, sprich teils im Wohnzimmer, teils in einem Schlafzimmer.

Es schien, als wenn jeder der vier Freunde ein sehr hohes Bedürfnis an körperlicher Nähe hatte und sie schliefen deutlich besser, wenn sie nicht alleine schlafen mussten, sondern immer einen oder gar mehrere ihrer Freunde in ihrer Nähe spürten.

Im Schneidersitz und mit kerzengeradem Rücken saß FX vor dem Bett in dem Henne lag und grübelte. Die anderen beiden hatten das Zimmer verlassen und schliefen bereits, das konnte er deutlich spüren. Er selbst war sich unsicher, was er tun sollte. Problemlos konnte er Henne helfen, das stand außer Frage. Aber durfte er es auch? Mit Sicherheit würde es ihm eine Menge Ärger einbrocken, wenn er sich in diese Geschehnisse einmischte. Andersherum war es auch kein großer Eingriff in die Geschichte. Es blieb auf wenige Individuen beschränkt und deren Loyalität konnte er sich auf jeden Fall sicher sein. Sollte er deswegen vorgeladen werden, so würde es aber dennoch kein Spaziergang auf einer Blumenwiese werden.

Immer und immer wieder spielte er die einzelnen Möglichkeiten und Ereignisbäume durch. Normalerweise berechnete er mögliche Auswirkungen von irgendwelchen Ereignissen immer 99 Schritte im Voraus. Einfach, weil er die Zahl mochte. In diesem Falle aber ging er weiter. Viel weiter. Immerhin stand ja auch einiges auf dem Spiel.

Auf einmal öffnete er die Augen und schüttelte den Kopf so heftig, dass das Band mit dem seine Dreads zusammengehalten wurden, abfiel und seine Haare wild durch die Gegend wippten.

Nein, dachte er sich, ich muss das jetzt einfach tun. Henne ist mein bester Freund. Eine andere Behandlung hat er nicht verdient. Es ist möglich, also mache ich es. Basta.

Wie vorhin, als sie ohne es zu wissen vor der geheimen Tür gesessen hatten und plötzlich flüchten mussten, sprang FX aus dem Schneidersitz lautlos in die Höhe um gleich darauf auf seinen Knien und neben dem Kopfende des Bettes zu landen.

Er schlug die Decke von Henne zurück, so dass man alle Verletzungen auf seinem Oberkörper deutlich sehen konnte. Die Drei hatten Hennes Körper zwar vorsichtig gereinigt, aber dennoch sah der Arme nach wie vor schlimm aus.

FX atmete tief durch, legte seine Hand auf Hennes Stirn, schloss seine Augen und konzentrierte sich. Wären weitere Personen anwesend gewesen, hätten sie sehen können, wie sich binnen kurzer Zeit die Schrammen und Wunden verschlossen und die blauen Flecken und Beulen verschwanden. Es begann an den Füßen von Henne, wo die blauen Flecken und die blauen unterlaufen Nägel seiner Zehen wieder eine normale Hautfarbe bekamen. Die Schnitte an seinen Schienbeinen schlossen sich, als zöge man einen Reißverschluss zu. Zurück blieb nichts als die leicht behaarten aber unversehrten Waden. Die blauen Flecken an den Oberschenkel wurden innerhalb kurzer Zeit kleiner um schließlich komplett zu verschwinden. Auch die riesigen Hämatome an seinem Bauch wurden schnell kleiner und verschwanden. Die gebrochenen Rippen, die sich deutlich unter der Haut abzeichneten, rutschten wieder in ihre angestammten Positionen und verbanden sich wieder. Die Haut darüber erlangte ihre normale Farbe zurück. Auch der Eiter, der aus einigen Wunden langsam heraustropfte, versiegt plötzlich und die Löcher in Hennes Haut verschlossen sich auf magische Weise. Seine aufgesprungen Lippen schlossen sich und zurück blieben ein paar samtweiche Lippen, die zufrieden und ganz leicht lächelten.

All diese Verletzungen saugte FX einfach in sich auf, verzog dabei aber selbst schmerzverzerrt das Gesicht. Im Schnelldurchlauf und innerhalb weniger Augenblicke durchlebte er die gleichen Qualen, die auch Henne zuvor ertragen musste. Allerdings war er so etwas gewohnt. Wie üblich leitete er den gesamten Schmerz, den er quasi absaugte auf einen Punkt in seinen Körper: sein rechter Arm mit dem Gips. Es war nicht das erste Mal, dass er jemanden nach einem schweren Unfall heilte und rettet. Im Vergleich zu Aktionen aus der Vergangenheit, waren dies hier jedoch Kleinigkeiten. Dennoch merkte er deutlich den neuen Schmerz, den er Henne genommen hatte. Der Kleine ist echt hart im Nehmen, dachte FX.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht öffnete FX seine Augen und sah auf Hennes Körper hinab. Unversehrt, wie ein Baby, dachte er. Als er seine Hand von Hennes Stirn nahm, schlug dieser die Augen auf und lächelte zurück.

„Ich habe Dir einiges abgenommen, aber einen Teil der Last musst Du selber tragen. Aber keine Sorge, Du bist nicht alleine”, beruhigte in FX, obwohl Henne eigentlich gar nicht beruhigt werden musste. „Schlaf jetzt, es war anstrengend.”

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